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almanah

Jahrbuch für Integration in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Ausgabe 2014 / 2015

Jahrbuch für Integration in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Ausgabe 2014 / 2015

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<strong>almanah</strong><br />

2014 / 2015 Jahrbuch für<br />

Integration<br />

in Wirtschaft,<br />

Politik und<br />

Gesellschaft<br />

lmanah<br />

*<br />

* bosnisch/kroatisch/serbisch für »Almanach/Jahrbuch«<br />

AKTUELLE ENTWICKLUNGEN<br />

Jihadismus und Jugendkultur<br />

Wien wächst: Visionen für 2029<br />

Die neue Willkommenskultur<br />

REPORTAGEN<br />

Ausländerbehörde deluxe<br />

Wochenendkrieger<br />

Kolo-Meister aus Favoriten<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 1


Wir fördern den<br />

Rohstoff der<br />

Zukunft: Ideen.<br />

Allein in der Forschung arbeiten bei<br />

Siemens über 1.000 helle Köpfe!<br />

siemens.com/answersforaustria<br />

Ideen sind der Stoff, aus dem die Zukunft<br />

gemacht wird! Siemens Österreich belegt<br />

regelmäßig Top-Platzierungen in den<br />

Erfindungs-Ranglisten des Österreichischen<br />

Patentamts.<br />

Kein Wunder: arbeiten doch von den über<br />

12.500 Siemens Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen<br />

in Österreich allein 1.000 im<br />

Bereich Forschung und Entwicklung.<br />

Hier entsteht Neues. Jetzt und in Zukunft.<br />

Answers for Austria.


<strong>almanah</strong><br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

Almanah-Macher Simon Kravagna und Alexandra Stanić.<br />

Im Almanah 2014/2015<br />

haben wir für Sie die<br />

spannendsten Aspekte<br />

von Integration gesammelt.<br />

Unser Fazit:<br />

Wir leiden in Österreich<br />

noch immer auf hohem<br />

Niveau.<br />

Die Welt wird nicht gerade besser. Aber auch nicht<br />

langweiliger. Das haben wir bei unserer Arbeit am<br />

Almanah feststellen können. Jährlich dokumentiert die<br />

biber-Redaktion im Jahresbericht für Wirtschaft, Politik<br />

und Gesellschaft aktuelle Entwicklungen im Bereich<br />

Integration. Dabei zeigt sich: Integration ist ein widersprüchlicher<br />

Prozess.<br />

Auf der einen Seite wird die Stadt Wien bis 2029 auf<br />

mehr als zwei Millionen Einwohner wachsen. Vor allem<br />

durch Zuwanderung. Und das ist gut so. Denn anders<br />

als Kärnten, wo die Bevölkerungszahl bereits abnimmt,<br />

bleibt die Bundeshauptstadt eine dynamische und junge<br />

Metropole. Durch eine in Europa durchaus vorbildliche<br />

„Willkommenskultur“ begegnen Außen- und Integrationsminister<br />

Sebastian Kurz sowie die Stadt Wien den<br />

neuen Zuwanderern.<br />

Auf der anderen Seite erleben wir auch die negativen<br />

Folgen von Migration. Obwohl der sogenannte „Islamische<br />

Staat“ in Syrien und im Irak wütet, spürt Europa<br />

und Österreich die Auswirkungen. Die Regierung verschärft<br />

Gesetze, verbietet Symbole und versucht,<br />

Jugendliche vor Extremismus zu schützen. Im Almanah<br />

2014/2015 haben wir für Sie die spannendsten Aspekte<br />

von Integration gesammelt. Unser Fazit: Wir leiden in<br />

Österreich noch immer auf hohem Niveau.<br />

Übrigens: Der Begriff „Almanah“ ist kein Schreibfehler,<br />

sondern heißt auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und<br />

in anderen slawischen Sprachen Almanach, also Jahrbuch.<br />

Simon Kravagna<br />

Herausgeber und Chefredakteur das biber<br />

Alexandra Stanić<br />

Redaktionsleitung Almanah<br />

Wir freuen uns über Kritik, Lob und Anregungen:<br />

kravagna@dasbiber.at<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 3


<strong>almanah</strong><br />

INHALT<br />

„Typisch ist eine<br />

Underdog-Kultur“<br />

Der Soziologe und Integrationsexperte<br />

Kenan<br />

Güngör im Interview<br />

über Radikalisierung<br />

von Jugendlichen und<br />

warum es skurril ist,<br />

einer Weltreligion ihre<br />

internationale Finanzierung<br />

verbieten zu<br />

wollen.<br />

10<br />

GESELLSCHAFT & POLITIK<br />

Kriegstourismus: Schon vor dem<br />

IS-Phänomen kämpften österreichische<br />

Gastarbeiter für „ihre“ Leute. 14<br />

Sei still und arbeite: 2014 feierte<br />

Öster reich 50 Jahre Gastarbeiter-<br />

Anwerbeabkommen mit der Türkei.<br />

Viele Gastarbeiter erinnern<br />

sich an schlimme Bedingungen. 18<br />

MARKT & KARRIERE<br />

Ausländer behörde<br />

deluxe<br />

Das Welcome Center in<br />

Hamburg rollt ausländischen<br />

Fachkräften<br />

den roten Teppich aus<br />

und geht europaweit<br />

mit gutem Beispiel<br />

voran. Wie werden<br />

qualifizierte Migranten<br />

in Österreich empfangen<br />

30<br />

Wien wächst: Sieben Wirtschaftsmanager<br />

erläutern ihre Visionen zu<br />

Wiens Zukunft. 36<br />

Making of Aspern: Wir haben uns in<br />

der Seestadt zwischen Baukränen und<br />

Fassadenbauern umgesehen. 40<br />

Halal Banking: Ein Kärntner gründet<br />

das erste Halal-Start-up im Finanzbereich. 46<br />

SPORT, MEDIEN & KULTUR<br />

Das runde Leder: Rapid hat eine Fußballmannschaft<br />

für Menschen mit geistigen<br />

und körperlichen Handicaps gegründet. 54<br />

Kolomeister aus<br />

Favoriten<br />

Der Wiener Verein<br />

„Kud Stevan Mokranjac“<br />

ist EM-Meister in<br />

serbischer Folklore.<br />

Wir haben den Klub bei<br />

einem seiner Auftritte<br />

begleitet.<br />

50<br />

Made by biber: Ein Jahresüberblick über<br />

die biber-Akademie und ihre Stipendiaten 58<br />

UNTERNEHMEN &<br />

INSTITUTIONEN<br />

Was österreichische Firmen und<br />

Institutionen für die Integration tun:<br />

Ein Überblick 61<br />

Impressum 65<br />

Todors letzte Worte 66<br />

4<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Vielfalt<br />

in<br />

Herkunftsländer<br />

Rund 1,625 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben<br />

in Österreich. Davon stammen zwei Fünftel (39%) aus einem<br />

EU- oder EWR-Staat oder der Schweiz. Aus den Nachfolgestaaten<br />

Jugoslawiens, außer Slowenien und Kroatien, kommen 29<br />

Prozent. Rund 17 Prozent sind ursprünglich aus der Türkei. Die<br />

restlichen 15 Prozent sind aus sonstigen Staaten, davon ist aber<br />

mehr als die Hälfte aus Asien.<br />

Zahlen<br />

Aus EU- oder EWR-Staat oder der Schweiz<br />

Aus Nachfolgestaaten Jugoslawiens<br />

39% 29%<br />

17%<br />

15%<br />

Sonstige<br />

Aus Türkei<br />

Quellen:<br />

Statistik Austria, Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der<br />

österreichischen Akademie der Wissenschaften<br />

„Muslimische Alltagspraxis in Österreich“, Institut für Islamische Studien der<br />

Uni Wien 2013<br />

6 Eine Studie von L&R Sozialforschung im Auftrag der Arbeiterkammer JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Altersstruktur<br />

Asyl<br />

Das Durchschnittsalter der österreichischen Bevölkerung<br />

beträgt 42,2 Jahre. Deutlich jünger sind die ausländischen<br />

Staatsangehörigen mit einem Durchschnittsalter von 35,2<br />

Jahren. Zu den jüngsten Bevölkerungsgruppen zählen<br />

Zuwanderer aus Asien (31,3 Jahre), Afrika (30 Jahre) und den<br />

meisten osteuropäischen Drittstaaten. Mit durchschnittlich<br />

27,5 Jahren gehören auch Tschetschenen zu der jüngsten Gruppe,<br />

noch jünger sind nur Personen aus Somalia (22,6 Jahre) und<br />

Afghanistan (24 Jahre).<br />

Bei einem EU-Vergleich der<br />

Asylanträge rangiert<br />

Österreich an siebenter<br />

Stelle. 17.503 Anträge<br />

wurden 2013 in<br />

Österreich gestellt.<br />

Davon wurden<br />

4.133 Personen<br />

Asyl gewährt.<br />

17.503<br />

4.133<br />

ÖSTERREICHER<br />

42,2<br />

Jahre<br />

AUSLÄNDER<br />

35,2<br />

Jahre<br />

Moslems<br />

573.876 Moslems leben in Österreich. Das sind 6,8 Prozent der<br />

Gesamtbevölkerung. 203.000 davon sind österreichische Staatsbürger.<br />

6,8% Moslems<br />

Davon 203.000 mit österreichischer Staatsbürgerschaft<br />

Asien 31,3 Jahre<br />

Afrika 30 Jahre<br />

Tschetschenien 27,5 Jahre<br />

Afghanistan 24 Jahre<br />

Somalia 22,6 Jahre<br />

Selbstständigkeit<br />

28 %<br />

37 %<br />

der über 344.000 Selbstständigen wurden laut<br />

Wirtschaftskammer im Ausland geboren.<br />

der in Wien lebenden Gründer haben<br />

Migrationshintergrund.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 7


<strong>almanah</strong><br />

zabadság<br />

ungarisch für »Freiheit«<br />

8<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


GESELLSCHAFT & POLITIK<br />

Migration bringt nicht nur dringend benötigte Facharbeiter und kulturelle<br />

Vielfalt nach Österreich. Migration sorgt auch für den Import<br />

radikaler Ideologien und Konflikte. Egal ob wir wollen oder nicht:<br />

Österreichs Gesellschaft muss sich mit dem Jihad und ethnischen<br />

Konflikten auseinandersetzen.<br />

S. 10-12<br />

„TYPISCH IST EINE UNDERDOG-KULTUR“<br />

Der Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör<br />

beschreibt die syrische Lagerromantik, den jugendlichen<br />

Wunsch nach Ordnung und das neue Wir-Gefühl unter<br />

Muslimen.<br />

S. 14–17<br />

WOCHENENDKRIEGER<br />

Kriegstourismus ist nicht erst seit dem IS-Phänomen<br />

bekannt. In den 90er Jahren fuhren österreichische<br />

Gastarbeiter in Länder Ex-Jugoslawiens, um für „ihre“<br />

Leute zu kämpfen.<br />

S. 18–21<br />

SEI STILL UND ARBEITE<br />

2014 feierte Österreich 50 Jahre Gastarbeiter-Anwerbeabkommen<br />

mit der Türkei. Viele Gastarbeiter erinnern<br />

sich aber an unbezahlte Überstunden und menschenunwürdige<br />

Bedingungen.


<strong>almanah</strong><br />

Kenan Güngör<br />

Funktion: Experte<br />

für Integrations- und<br />

Diversitätsfragen<br />

Organisation: Leitet<br />

das Büro „think difference“<br />

Besonderes: deutschsprachiger<br />

Europäer<br />

mit kurdisch-türkischen<br />

Wurzeln<br />

10<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

INTERVIEW:<br />

Kenan Güngör<br />

„Typisch ist eine<br />

Underdog-Kultur“<br />

Der Soziologe Kenan Güngör über den Einstieg von Jugendlichen in<br />

den Jihad, „kleine Würmchen“ vor Gott und warum es skurril ist,<br />

einer Weltreligion die internationale Finanzierung zu streichen.<br />

„Der Islam ist<br />

ein Teil des<br />

Problems.“<br />

TEXT:<br />

Delna Antia,<br />

Simon Kravagna<br />

F O T O :<br />

Marko Mestrović<br />

Beschreiben Sie bitte einen typischen Jugendlichen,<br />

der sich für den Jihad interessiert.<br />

Der deutsche Verfassungsschutz hat ein Profil der<br />

Jihadisten für Deutschland erstellt: Sie sind meist<br />

männlich, zwischen 16 und 24 Jahren alt. Meist<br />

kommen die Jugendlichen aus einem jugendkulturellen<br />

Submilieu mit wenig Bildung, Status und<br />

wenig Perspektive. Typisch ist auch eine starke Rapbzw.<br />

Underdog-Kultur.<br />

Ist Musik für Radikale nicht eigentlich „haram“ – also<br />

verboten<br />

Es gibt eine Grauzeit in der Radikalisierung. Das<br />

war etwa auch beim früheren Rapper und heutigen<br />

Jihadisten Deso Dogg so. Dabei gibt es das Paradox,<br />

dass mit einer zutiefst westlichen Musik- und<br />

Lebenskultur antiwestlicher Rap gemacht wird,<br />

der muslimisch oder antisemitisch unterlegt ist.<br />

„Gemeinsam ficken wir die Amerikaner“, singt ein<br />

unter muslimischen Jugendlichen bekannter Rapper<br />

aus Graz etwa. Wenn die Jugendlichen in der Radikalisierung<br />

noch weitergehen, hin zur reinen Lehre,<br />

kippen sie irgendwann. Dann hören sie keine oder<br />

nur mehr religiöse Musik.<br />

Welche Beziehungen haben sie zu ihren Eltern<br />

Diese Jugendlichen sind „Sinnsuchende“ in einer für<br />

sie Sinn und Orientierung entleerten Welt. Sie glauben,<br />

dass sie das absolut Richtige tun, weil sie es im<br />

Namen Allahs tun. Sie suchen nach einer einfachen,<br />

eindeutigen Klärung von Welt. Um diese Ordnung<br />

hineinzubringen, grenzen sie sich ab: Von Eltern,<br />

Freunden, der Gesellschaft und vor allem von den<br />

Anders- und Ungläubigen. Bei einem großen Teil<br />

haben die Eltern keinen streng religiösen Hintergrund.<br />

Oft gibt es problematische Väter-Beziehungen.<br />

Aber selbst wenn dem nicht so ist, verlieren<br />

Eltern oft jeden Kontakt zu ihren Kindern. Das wird<br />

in radikalen Kreisen auch so gelehrt: „Vor dem Wort<br />

Gottes ist das Wort deines Vaters, deiner Eltern<br />

nichts. Gewinne sie – wenn du sie nicht gewinnst,<br />

trenne dich“.<br />

Was passiert in ihren Freundeskreisen<br />

Es gibt einen neuen Trend der Vergemeinschaftung.<br />

Früher waren sie Türken, Kurden, Tschetschenen<br />

oder Bosnier, jetzt stellen sie unter dem Motto „Wir<br />

Muslime“ eine neue Gruppe dar.<br />

Integrationsminister Sebastian Kurz betont gerne, Religion<br />

soll nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung<br />

sein.<br />

Der Islam ist ein Teil der Lösung und auch des Problems.<br />

Natürlich kann man im Koran die humanistischen<br />

Seiten sehen und sogar feministische Aspekte<br />

finden. Aber man kann die immanente Gewalt- und<br />

auch Unterwerfungstheologie nicht wegblenden.<br />

Und man muss sehr viel dafür tun, diese Stellen<br />

umzudeuten und die humanistischen Stellen herauszustreichen.<br />

‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 11


<strong>almanah</strong><br />

Es gibt wenige Politiker, die sagen würden, dass der Islam<br />

ein Teil des Problems ist.<br />

Das ist eine gut gemeinte, aber sachlich unhaltbare<br />

Position. Es ist gut gemeint, weil man die Leute<br />

schützen möchte, denn wir haben eine sehr große<br />

Islamophobie, die mich besorgt. Es bleibt die Frage,<br />

wie gläubige Moslems ihre Lehre auslegen wollen.<br />

Das ist bei Religionen immer so. Im Christentum<br />

gibt es den gleichen Bibeltext, der aber so ausgelegt<br />

wurde, dass im Mittelalter die Religionskriege damit<br />

begründet wurden und heute die Liebe Gottes betont<br />

wird. Im Islam würde ich dieses Spektrum wenn<br />

auch nicht gleich, aber ähnlich sehen. Es gibt sehr<br />

gläubige Muslime, die kein Problem haben in einem<br />

Staat wie Österreich zu leben und andere, die diese<br />

Gesellschaft als unrein sehen und sie klar ablehnen.<br />

Warum wird der Koran nicht einfach „zeitgemäß“ interpretiert<br />

Weil das für viele streng Religiöse die größte Blasphemie<br />

wäre. Gottes Wort ist absolut. Deswegen<br />

löst es Aggressionen aus, wenn „du kleines Würmchen“<br />

heute daher kommst und Gottes Wort in Frage<br />

stellst. Das Problem ist, dass die Salafisten eine 1:1<br />

Übersetzung von Religion in die Praxis wollen und<br />

permanent diese Suren aufzählen: So steht es, so<br />

muss es geschehen. In Saudi-Arabien wird mit den<br />

gleichen Suren eine steinzeitliche Gesellschaftsordnung<br />

begründet. Warum sollen die Jihadisten das<br />

dann nicht auch tun<br />

Warum ist die konservative Lesart des Korans interessanter<br />

als vor 10 Jahren<br />

Viele Organisationen – wie etwa die Islamische<br />

Glaubensgemeinschaft, die Muslimische Jugend<br />

Österreich – begünstigen dies. Einerseits zeigen sie<br />

sich gerne als eine weltoffene Interessenvertretung,<br />

die sich gegen die grassierende Islamfeindlichkeit<br />

wehrt. Andererseits aber finden nach innen hin erzkonservative<br />

Schliessungsprozesse statt, die kein<br />

Problem haben, auch einem Kind mit sechs Jahren<br />

ein Kopftuch zu geben, Kindern ab der Geburt in<br />

eine voll-islamische Umgebung zu stecken um sie<br />

vor der „unislamischen“ Gesellschaft zu schützen.<br />

Wir hatten vor Jahren eine Geschichte im biber: Damals<br />

wollte eine Pädagogin mit den Kindern eines islamischen<br />

Kindergartens in den Stephansdom gehen. Doch Eltern<br />

haben das als christliche Missionierung empfunden und<br />

es untersagt.<br />

Die erste Generation aus der Türkei war offener.<br />

Wie meine Mutter, die aus den kurdischen Bergen<br />

„Die erste<br />

Generation aus<br />

der Türkei war<br />

offener.“<br />

kommt und keine Bildung bekommen hat. Für sie<br />

war es kein Problem, dass wir zum Beispiel einen<br />

Weihnachtsbaum zu Hause hatten. Indem aber<br />

immer mehr geklärt wird, was eindeutig muslimisch<br />

ist und was nicht, habe ich das Gefühl, wird<br />

es unflexibler und starrer.<br />

Damit stellt sich die Frage: Was soll man tun Werden<br />

radikale Tendenzen auch noch durch öffentliche Mittel<br />

gefördert<br />

Es ist wirklich ein ernsthaftes Problem und ich<br />

hadere auch damit. Wir müssen aber akzeptieren,<br />

dass moderne und diverse Gesellschaften mit massiven<br />

Zielkonflikten einhergehen. Wenn der Staat<br />

katholische Kindergärten fördert, warum dann<br />

nicht auch islamische Kindergärten Gleichzeitig<br />

wissen wir: Die Förderung muslimischer Kindergärten<br />

ist in ihren Folgewirkungen in vielerlei Hinsicht<br />

problematischer.<br />

Das neue Islamgesetz will Muslimen die Finanzierung<br />

aus dem Ausland verbieten. Die Katholische Kirche<br />

finanziert aber in Afrika ganze Missionsstätten. Ist<br />

es nicht skurril einer Weltreligion eine internationale<br />

Finanzierung zu streichen<br />

Das würde ich genauso unterschreiben. Es ist<br />

unzeitgemäß in einer Welt, wo alles internationaler<br />

wird und wir grenzenlos kommunizieren können,<br />

so etwas zu fordern. Die Lösung kann nicht darin<br />

liegen, dass wir grundsätzlich das Problem in der<br />

Auslandsfinanzierung sehen. Es geht vielmehr um<br />

Transparenz in der Finanzierung und die Frage:<br />

Welche Ziele und Werte werden mit der jeweiligen<br />

Finanzierung verfolgt<br />

Zuletzt: Als potenzieller Jihadist ist es aufwändig nach<br />

Syrien zu fahren. Warum sprenge ich mich nicht einfach<br />

vor dem Stephansdom in die Luft<br />

Weil es in Syrien eine Lagerromantik gibt und sie<br />

dort selber im Kalifat sind. Außerdem haben sie dort<br />

Waffen, da spielt auch eine Martialität hinein. Ich<br />

bin eher überrascht, dass hier noch so wenig passiert<br />

ist und befürchte es. Man braucht keine große<br />

Logistik, keine Infrastruktur, um große Anschläge<br />

zu machen. Für den individuellen Jihad ist die Fantasie<br />

noch offen, was möglich ist. Mein Problem ist<br />

eher die Frage: Wie werden wir darauf reagieren In<br />

dieser fragilen und leicht hysterisierbaren Gesellschaft<br />

habe ich Angst, dass wir wie aufgescheuchte<br />

Hühner alle aufeinander losgehen und die Muslime<br />

als Sündenböcke herhalten müssen. So leicht dürfen<br />

wir es den Terroristen nicht machen.<br />

<br />

12<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


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GERECHTIGKEIT<br />

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GERECHTIGKEIT MUSS SEIN


<strong>almanah</strong><br />

Die<br />

Wochenendkrieger<br />

Mitglieder der serbischen<br />

Paramilitär-Gruppierung<br />

„Arkan’s Tiger“ in der<br />

Nähe von Osijek, Kroatien.<br />

November 1991.<br />

14<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

In Syrien kämpfen Austro-Jihadisten<br />

auf der Seite der Terror-Islamisten.<br />

Die Medien sind alarmiert, die Politik<br />

setzt Aktionen. Kriegstourismus made<br />

in Austria ist aber nichts Neues: Schon<br />

in den 90er-Jahren kämpften tausende<br />

Gastarbeiter mit österreichischem Pass<br />

in den Balkankriegen.<br />

heer-Soldat, der damals in verdeckter Mission unter<br />

den „Foreign Fighters“ auf kroatischer Seite am<br />

Balkan unterwegs war und lieber anonym bleiben<br />

möchte. „Es gab damals wirklich tausende Wochenendkrieger<br />

mit österreichischem Pass, die am<br />

Freitag mit den Gastarbeiterbussen runter fuhren<br />

und am Sonntagabend wieder rauf, um am Montag<br />

pünktlich in der Arbeit zu stehen“, erzählt er. „Wien<br />

war eine Drehscheibe. Es war gang und gäbe, jeder<br />

wusste es, interessiert hat das niemanden.“<br />

Österreichische Muslime kämpften auf bosnischer<br />

Seite, die Serben hatten Beistand von den vielen<br />

TEXT:<br />

Tyma Kraitt und Anna Thalhammer<br />

schon vor dem Krieg ausgewanderten Gastarbeitern<br />

– und die Kroaten bekamen tatkräftige Unterstützung<br />

von Neo-Nazis, die sich auf die Seite der<br />

rechtsradikalen Ustascha schlugen. Vor allem<br />

„Ich muss da hingehen und kämpfen – für<br />

Allah, für meine Brüder und für mein Land, an das<br />

ich glaube“, sagte damals der Austro-Bosnier Emir<br />

(18). Seine Eltern konnten ihn trotz guten Zuredens<br />

nicht davon abbringen. Wenige Tage später war er<br />

verschwunden.<br />

Das klingt nach einer klassischen Geschichte<br />

eines radikalisierten Jugendlichen, der für die<br />

Terrormiliz IS in den Krieg nach Syrien ziehen will.<br />

Emir ist aber kein Jihadist – das Land, für das<br />

er sich opfern wollte, war nicht das vermeintliche<br />

Kalifat. Der Wiener Automechaniker (heute<br />

41) kämpfte vor 22 Jahren im Jugoslawienkrieg auf<br />

bosnischer Seite für eine paramilitärische Einheit<br />

– in den Ferien und mindestens zwei Mal im Monat<br />

am Wochenende für knapp ein halbes Jahr. „Das war<br />

völlig normal“, erzählt er. „Tausende, die was auf<br />

sich gehalten haben, sind runter auf den Balkan.<br />

Und auch Österreicher haben die Truppen unterstützt“,<br />

erzählt er „biber“.<br />

Wochenendtrip zur Ustascha<br />

„Stimmt“, bestätigt auch ein hochrangiger Bundes-<br />

„Die Motive<br />

waren vielfältig:<br />

Weil sie<br />

dort Verwandte<br />

hatten, weil<br />

sie ihr Haus<br />

verteidigen<br />

wollten, das<br />

sie sich hart<br />

zusammengespart<br />

hatten.“<br />

Ultrarechte aus der ehemaligen DDR schätzten die<br />

Chance, einige von den ihnen so verhassten Kommunisten<br />

umbringen zu können. „Die österreichische<br />

Neo-Nazi-Szene war groß involviert, es<br />

organisierte sich aber alles über Deutschland, wo es<br />

eigene Trainingslager gab“, erzählt Soldat R.<br />

So gut organisiert wie die Neo-Nazis waren die<br />

meisten Kriegstouristen aber nicht: „Die größeren<br />

paramilitärischen Truppen entstanden erst später<br />

im Laufe des Krieges, am Anfang gab es hauptsächlich<br />

Einzelkämpfer. Es lief sehr individuell ab, die<br />

Motive in den Kampf zu ziehen waren vielfältig: Weil<br />

sie dort Verwandte hatten; weil sie ihr Haus verteidigen<br />

wollten, das sie sich von ihrem Gastarbeiterlohn<br />

hart abgespart hatten oder weil sie endlich<br />

einmal jemand sein wollten. Denn die meisten der<br />

Foreign Fighters mit ex-jugoslawischem Migrationshintergrund<br />

wurden schon in Österreich geboren<br />

oder waren lange vor dem Krieg ausgewandert. Die<br />

wenigsten waren solche, die geflüchtet sind, wie<br />

man vielleicht glauben möchte“, erzählt Soldat R.<br />

Bist du ein „Slabic“<br />

So war es auch bei Emir. Er wurde bereits in Österreich<br />

geboren, leistete gerade seine Wehrpflicht ab,<br />

als der Krieg 1990/’91 losging und dann 1992 in Bosnien<br />

ankam. „Ich fühlte mich der Heimat meiner<br />

Eltern immer schon sehr verbunden – fast mehr<br />

als Österreich. Ich verbrachte immer die Ferien<br />

unten und hatte dort viele Freunde“, erzählt er.<br />

Und die riefen ihn dann öfters an, erzählten vom<br />

Krieg, erzählten von den Gräueltaten der Serben,<br />

von Vergewaltigungen, erzählten von Verletzten<br />

und Toten. Sie drängten Emir dazu, zu kommen und<br />

zu helfen. Zuerst bittend, dann flehend, dann ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 15


<strong>almanah</strong><br />

wütend. „Sie beschimpften mich als ,slabic’ (Anm.<br />

Schwächling), weil ich gemütlich in Österreich saß.<br />

Es war schlimm genug, dass ich hier immer nur der<br />

Tschusch war, der Loser. Ich wollte nicht auch noch<br />

der Feigling vor meinen Freunden sein, der einfach<br />

zuschaut, wenn Unrecht passiert.“<br />

Kalaschnikov und Schnaps<br />

An einem Septembertag stieg er dann am Ostbahnhof<br />

in einen Bus. Im Gepäck eine Kalaschnikov, die<br />

er sich besorgt hatte – und eine Flasche Schnaps zum<br />

Mut antrinken. Wenige Tage vorher hatte er abgerüstet<br />

und jetzt noch vier Wochen Zeit, bis er seinen<br />

neuen Job in der Autowerkstatt in Meidling anfangen<br />

würde: Perfekt für einen Urlaub vom Frieden.<br />

Seine Freunde hatten ihm schon die letzten Wochen<br />

erzählt, dass sie sich einer Gruppe angeschlossen<br />

hatten, die im Umland von Sarajevo kämpfte. Er<br />

solle nur kommen. „Es waren ungefähr 400 Leute,<br />

die dort mehr oder weniger gearbeitet haben. Wir<br />

waren eine Art Robin-Hood-Gruppe. Es gab einen<br />

Anführer und man konnte sich hocharbeiten. Am<br />

Anfang habe ich wichtige Leute herumgefahren,<br />

dann Serben-Häuser markiert, die wir ab und zu<br />

ausgeräumt haben. Ich habe dann aber schnell mit<br />

der Waffe arbeiten dürfen, weil ich vom Bundesheer<br />

noch trainiert war“, erzählt Emir.<br />

Das erste Mal jemand töten<br />

Der junge Söldner war zwar geübt darin auf Objekte<br />

zu schießen, allerdings nicht auf lebende. „Das erste<br />

Waffen inspizieren und Saufspiele: Alltag eines Soldaten im Krieg.<br />

„Ich fühlte<br />

mich der Heimat<br />

meiner<br />

Eltern immer<br />

schon sehr<br />

verbunden<br />

- Ich verbrachte<br />

immer<br />

die Ferien<br />

unten hatte<br />

dort viele<br />

Freunde.“<br />

Emir, 41<br />

Mal wen umbringen ist wie das erste Mal Sex. Weißt<br />

eh, wenn du vorher so voller Adrenalin bist. Es war<br />

dann aber gar nicht so aufregend: Es hat geknallt,<br />

er ist umgefallen, das war’s. Ich hab den ganzen Tag<br />

darauf gewartet, dass irgendwas mit mir passiert.<br />

Aber nix.“ Wie viele Menschen er getötet hat, kann<br />

Emir nicht genau sagen: „Wenn sie umfallen, weiß<br />

man nicht immer, ob sie tot sind. Manchmal sind<br />

sie zu weit weg.“ Für getötete Feinde gab es in Emirs<br />

Einheit jedenfalls eine Belohnung. „Wenn du viele<br />

erwischt hast, gab’s sowas wie Orden, so eine Auszeichnung.<br />

Aber was Selbstgebasteltes (lacht). Das<br />

war manchmal schon recht schiach.“<br />

In Wien fängt der Balkan an<br />

Emir kämpfte fast ein halbes Jahr in einer der zahlreichen<br />

muslimischen Mudschahedin-Einheiten in<br />

Bosnien. Paramilitärische Gruppen gab es im Jugoslawienkrieg<br />

generell aber zahlreich: Auf Seiten der<br />

Serben gab es etwa die Tschetniks oder die Serbische<br />

Freiwilligengarde des Warlords „Arkan“, auf kroatischer<br />

Seite die Verbände Hrvatske Omrambene<br />

snage (HOS, Kroatische Verteidigungskräfte) und<br />

Hrvatsko Vijeé obrane.<br />

Sie finanzierten sich hauptsächlich durch<br />

Spenden aus dem Ausland – und auch hier spielte<br />

Wien wieder eine Schlüsselrolle: „Man sagt ja: In<br />

Wien fängt der Balkan an. Unmengen an Kriegsgerät<br />

kam aus den ex-kommunistischen Nachbarstaaten<br />

wie Tschechien, Slowakei oder der DDR über Wien<br />

und dann über Kärnten ins Kriegsgebiet“, berichtet<br />

VINCENT AMALVY / AFP / picturedesk.com, JOEL ROBINE / AFP / picturedesk.com, Mile Jelesijevic / EPA / picturedesk.com, MICHAEL EVSTAFIEV / AFP / picturedesk.com<br />

16<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

„Ich habe<br />

schnell mit<br />

der Waffe arbeiten<br />

dürfen,<br />

weil ich vom<br />

Bundesheer<br />

noch trainiert<br />

war.“<br />

Emir, 41<br />

Paramilitärische Gruppen spielten eine große Rolle im Abtrünnigkeitskampf in Ex-Jugoslawien.<br />

Soldat R. Grenzkontrollen seien kein Problem<br />

gewesen: „Wenn du nicht gerade einen Panzer<br />

aufgeladen hattest, hat sich keiner geschert. Im<br />

Laufe des Krieges und der Unabhängigkeit Sloweniens<br />

(Anm.1991) wurde es langsam schwieriger –<br />

aber auch nicht wirklich. Nehmen wir zum Beispiel<br />

Kroatien: Das wurde damals von den Amerikanern<br />

kontrolliert, die das Land unterstützten. Sagen wir<br />

so: Boote wurden nicht aufgehalten. Es war also kein<br />

Problem Waffen über den Seeweg einzuschleusen.“<br />

Kriminelle Banden<br />

Weil die Staatspolizei nicht besonders mit Nachdruck<br />

– aber doch – anfing unangenehme Fragen zu<br />

stellen und die Grenzkontrollen strenger wurden,<br />

nahm die Zahl der „Foreign Fighters“ aus Österreich<br />

mit Fortschreiten des Krieges ab – die Rückkehrer<br />

wurden dagegen mehr. Gekümmert hat man<br />

sich um die tausenden brutalen und teils traumatisierten<br />

Kriegserfahrenen nicht. Ebenso wurde<br />

gegen die mafiösen Strukturen, die durch den<br />

Waffenhandel entstanden waren, nicht vehement<br />

vorgegangen. Im Gegenteil: „Die Rückkehrer aus<br />

Jugoslawien haben sich vielfach diesen kriminellen<br />

Banden angeschlossen“, so R. Ein großes Problem,<br />

das nicht aufgearbeitet wurde. Die Rolle der österreichischen<br />

Volontäre im Jugoslawienkrieg bleibt im<br />

Dunklen: Genaue Daten und Informationen haben<br />

weder Verfassungsschutz noch Polizei, die damals<br />

anders strukturiert waren. Ebenso wenig ließ sich<br />

ein Experte oder Historiker auftreiben, der sich dazu<br />

äußern möchte – wissenschaftlich wurde kaum<br />

etwas aufgearbeitet.<br />

Krieg tötet das Gewissen<br />

Emir ist heute ein erwachsener Mann, Familienvater<br />

und noch immer Automechaniker. Zweiundzwanzig<br />

Jahre liegt sein Einsatz im Bosnienkrieg<br />

mittlerweile zurück. Doch losgelassen hat es ihn<br />

nie: „Solange Action war, denkst du nicht viel darüber<br />

nach, was du da eigentlich tust. Irgendwann<br />

siehst du aber, dass alles hin ist und wie viele Gräber<br />

es gibt. Da kannst du kämpfen so gut du willst. Du<br />

siehst: irgendwie hast du trotzdem verloren. Krieg<br />

tötet das Gewissen, die Seele und das Gefühl.“ <br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 17


<strong>almanah</strong><br />

Sei still und arbeite!<br />

TEXT:<br />

Marina Delcheva<br />

FOTO:<br />

bereitgestellt von<br />

Ali Özbas/JUKUS<br />

2014 feierte Österreich 50 Jahre<br />

Gastarbeiter-Anwerbeabkommen mit<br />

der Türkei. Während die Wirtschaft auf<br />

gute Beziehungen und Erfolge für den<br />

Standort Österreich hinweist, erinnern<br />

sich viele Gastarbeiter an unbezahlte<br />

Überstunden, menschenunwürdige<br />

Quartiere und Beleidigungen. Streiks<br />

und Forderungen nach besseren<br />

Arbeitsbedingungen wurden mit<br />

Kündigung und Abschiebung bestraft.<br />

Es ist sechs Uhr morgens, irgendwann<br />

in den frühen 80ern. Dragica S. ist gerade<br />

eben aufgestanden und macht sich für<br />

die Arbeit fertig. Sie ist Tellerwäscherin<br />

und Reinigungskraft in einem Hotel in<br />

den Salzburger Alpen. Ihr Mann ist noch<br />

nicht aus der Nachtschicht zurück. Beide<br />

wohnen in einem winzigen Kellerzimmer<br />

ohne Bad und Küche im Hotel, in dem<br />

Dragica arbeitet. Die Frau weint zu dieser<br />

Zeit sehr oft. Sie hat vor wenigen Monaten<br />

ein Kind bekommen und es nach nur vier<br />

Wochen zu den Verwandten nach Jugoslawien<br />

geschickt. Sie hätte ihren Job verloren,<br />

wenn sie zu Hause beim Kind geblieben<br />

wäre. Mit der Arbeit wäre auch das Visum<br />

weg. Es ist ihr vierzehnter Arbeitstag in<br />

Folge. „Die Arbeitgeber haben das mit den<br />

freien Tagen damals nicht so ernst genommen“,<br />

erzählt sie heute.<br />

Dragica S. und ihr Mann gehören zu<br />

18<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

den geschätzten 200.000 Gastarbeitern,<br />

die in den 60ern bis 80ern nach Österreich<br />

gekommen sind, um hier zu arbeiten.<br />

Offiziell sollen von 1964 bis 1971 40.000<br />

türkische und jugoslawische Arbeiter<br />

über den Amtsweg gekommen sein. Noch<br />

mehr fanden aber über Bekannte oder<br />

als Touristen eine Arbeit in Österreich.<br />

„Es war nie das Problem, dass zu viele da<br />

waren, man musste sie eher suchen“, sagt<br />

August Gächter vom Zentrum für Soziale<br />

Innovation (ZSI). Heuer feiert Österreich<br />

das 50-jährige Jubiläum zum Anwerbeabkommen<br />

mit der Türkei (siehe Info auf der<br />

nächsten Seite).<br />

Österreichs Wirtschaft litt vor allem<br />

in den 60ern unter starkem Arbeitskräftemangel<br />

und brauchte dringend billige<br />

Arbeitskräfte aus dem Ausland. Die<br />

Baubranche hatte schon 1961 begonnen<br />

Arbeiter im Ausland anzuwerben. Heimische<br />

Betriebe waren in einem regelrechten<br />

Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte.<br />

Hinzu kam, dass Österreich eigentlich<br />

kein attraktiver Ort für Gastarbeiter war.<br />

Die meisten wollten nach Deutschland<br />

oder Belgien weiter, wo die Löhne viel<br />

höher waren, und sahen Österreich nur<br />

als Zwischenstopp. Das war ein großes<br />

Problem für heimische Betriebe, die immer<br />

wieder neue Leute anlernen mussten. Um<br />

ausländische Angestellte im Unternehmen<br />

zu halten, haben manche Betriebsleiter<br />

versucht bei der Fremdenpolizei zu intervenieren<br />

oder ihre Pässe einbehalten.<br />

Mindestlohn und Überstunden<br />

„Sie haben dir den Vertrag auf Deutsch<br />

hingehalten und du hast sofort unterschreiben<br />

müssen. Viele haben nicht<br />

einmal gewusst, was da steht“, erzählt<br />

Akif G. (Anm.: Name von der Redaktion<br />

geändert). Er kam 1979 als 18-Jähriger aus<br />

Ankara nach Wien. Damals hat sein Onkel<br />

schon als Gastarbeiter hier gearbeitet. Er<br />

hat im Baugewerbe, in einer Fischfabrik<br />

und später in einem Industriebetrieb gearbeitet.<br />

„Wir wussten zum Beispiel nicht,<br />

dass wir am Wochenende mehr verdienen<br />

dürfen. Das hat uns keiner gesagt“, sagt er.<br />

Die meisten Gastarbeiter haben nur den<br />

gesetzlichen Mindestlohn erhalten und<br />

„Ganz ehrlich, ich habe<br />

das als Sklavenarbeit<br />

empfunden.“<br />

Sagt Akif G. heute.<br />

wurden kaum über ihre Rechte aufgeklärt.<br />

„Manche von uns haben 3.000 bis 4.000<br />

Schilling im Monat verdient. Sie haben uns<br />

oft nur ein Viertel von dem bezahlt, was die<br />

Österreicher bekommen haben“, erzählt er.<br />

Doch auch jene, die wussten, was ihnen<br />

zusteht, haben sich nicht getraut aufzubegehren.<br />

Das Visum war an die Beschäftigung<br />

gekoppelt, die Arbeitsverträge waren<br />

meist auf ein Jahr befristet. Wer keinen Job<br />

hatte, musste das Land verlassen. „Ganz<br />

ehrlich, ich habe das als Sklavenarbeit<br />

empfunden“, sagt Akif G. heute.<br />

Für Frauen seien die Arbeitsbedingungen<br />

besonders schlimm gewesen, erzählt<br />

Ali Özbaş. Er ist Veranstalter der Ausstellung<br />

„Lebensgeschichten der ersten<br />

GastarbeiterInnen aus der Türkei: Eine<br />

Ausstellung zu über 50 Jahren türkische<br />

Arbeitsmigration nach Österreich“, die im<br />

Herbst landesweit startet. Auch wenn ein<br />

Großteil der Gastarbeiter Männer waren,<br />

so kamen doch auch Frauen, die vorwiegend<br />

in der Textilindustrie und manchmal<br />

im Gastgewerbe gearbeitet haben.<br />

Im Vergleich zum Baugewerbe oder zur<br />

Schwerindustrie waren die Gehälter in<br />

diesen Branchen aber sehr niedrig. Vor<br />

allem am Land gab es kaum Kinderbetreuungsplätze<br />

und viele Frauen hatten kein<br />

Recht auf Karenz, wenn sie nicht lange<br />

genug im Land waren. „Ich bin irgendwie<br />

alleine aufgewachsen“, erzählt Nesim G.,<br />

die als Sechsjährige mit ihren Eltern aus<br />

der Türkei nach Österreich gekommen ist.<br />

Viele Kinder wurden nach der Geburt zu<br />

den Großeltern in die Heimat geschickt<br />

oder sogar in staatliche Obhut gegeben.<br />

Wohnen „wie im Schweinestall“<br />

Am Anfang hat Akif G. in einer Fabrik<br />

gearbeitet und sich mit sieben weiteren<br />

Kollegen ein Zimmer geteilt. Es war gerade<br />

einmal groß genug für die vier Stockbetten,<br />

auf denen die Männer geschlafen<br />

haben. „Wir haben wie im Schweinestall<br />

gelebt!“ Bis weit in die 1970er mussten die<br />

Firmen theoretisch für die Unterkunft und<br />

die Beschäftigungsbewilligung ihrer ausländischen<br />

Arbeiter aufkommen. In der<br />

Praxis wurde aber vielen ein Teil des Lohns<br />

für Logis und für die Gebühren rund um die<br />

Erteilung der Beschäftigung abgezogen.<br />

„Waschmaschine oder Bad im Zimmer ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 19


<strong>almanah</strong><br />

„Es gibt keine Zahlen<br />

über die Anträge seitens<br />

der WKO oder des<br />

ÖGB und wie diese ausgegangen<br />

sind. Mein<br />

Eindruck war aber, es<br />

hing davon ab, wie gut<br />

der Betrieb in der Sozialpartnerschaft<br />

verankert<br />

war.“<br />

waren Luxus. Jede Woche war eine lange<br />

Schlange vor dem Amalienbad“, so Akif. In<br />

eine eigene Wohnung umziehen war theoretisch<br />

möglich, aber nicht gern gesehen.<br />

„Wer aus den schäbigen Arbeiterquartieren<br />

ausziehen wollte, dem wurde mit dem<br />

Rauswurf gedroht“, erzählt Gächter vom<br />

ZSI.<br />

„Am Anfang waren die Arbeiter mit<br />

dem zufrieden, was sie bekommen haben.<br />

Niemand hat gefragt, was ihm zusteht“,<br />

sagt Özbas, der im Rahmen der Ausstellung<br />

zahlreiche Interviews mit ehemaligen<br />

Gastarbeitern geführt hat. „Aber sobald<br />

die Leute ihren Lebensmittelpunkt hierher<br />

verlagert hatten und ihre Kinder hier in die<br />

Schule gegangen sind, haben sie begonnen,<br />

mehr Rechte einzufordern.“ Und das<br />

wurde noch weniger gern gesehen und<br />

folgenschwer bestraft.<br />

Von Kammers Gnaden<br />

Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit hat<br />

die Historikerin Vida Bakondy untersucht,<br />

wie Gastarbeiter gegen miserable<br />

Wohn- und Arbeitsbedingungen demonstriert<br />

haben und wie heimische Betriebe<br />

auf deren Ungehorsam reagiert haben.<br />

Das Resultat: Aufbegehren wurde in manchen<br />

Fällen mit Abschiebung bestraft.<br />

Die Beschäftigungsbewilligungen wurden<br />

nicht verlängert und ein Wechsel in eine<br />

andere Firma wurde bewusst erschwert.<br />

„Manche Firmen haben bei der Wirtschaftskammer<br />

interveniert und wollten<br />

verhindern, dass die Arbeiter in einer<br />

anderen Firma einen Job bekommen“, sagt<br />

Bakondy. So bittet etwa eine Metallerzeugungsfirma<br />

1963 die Wirtschaftskammer<br />

im Fall eines angeworbenen türkischen<br />

Arbeiters um Intervention. Die Kammer<br />

solle beim damaligen Arbeitsamt intervenieren,<br />

sodass der Arbeiter in keiner anderen<br />

Firma eine Arbeit findet und entweder<br />

beim Metallerzeuger bleibt, oder das Land<br />

verlassen muss. In den Archiven der WKO<br />

finden sich auch weitere Briefe von Firmen<br />

mit der Bitte um Intervention. Der niederösterreichische<br />

„Stadtbaumeister Rudolf<br />

Jäger“ beschwert sich 1963 etwa, dass acht<br />

türkische Bauarbeiter gekündigt haben<br />

und bittet die WKO, „auch von Ihrer Seite<br />

aus zu versuchen, diese türkischen Bauhelfer<br />

aufzugreifen und damit zur Rückkehr<br />

zu zwingen.“<br />

Damals hatten Wirtschaftskammer<br />

(WKO) und Gewerkschaftsbund (ÖGB)<br />

tatsächlich ein Mitspracherecht bei der<br />

Erteilung von Arbeitsbewilligungen und<br />

Visa. In welchen Fällen aber interveniert<br />

wurde, hing oft von der Firma selbst ab.<br />

„Es gibt keine Zahlen über die Anträge<br />

seitens der WKO oder des ÖGB und wie<br />

diese ausgegangen sind. Mein Eindruck war<br />

aber, es hing davon ab, wie gut der Betrieb<br />

in der Sozialpartnerschaft verankert war“,<br />

erzählt August Gächter, der im Rahmen<br />

seiner Forschungsarbeit die Arbeitsbedingungen<br />

von Gastarbeitern untersucht hat.<br />

Hatte ein Betrieb ein hohes Standing in der<br />

Kammer oder einen Betriebsrat beim ÖGB,<br />

sei den Forderungen nach Intervention<br />

eher nachgegangen worden – unabhängig<br />

davon, ob es darum ging einen Arbeiter zu<br />

behalten oder abzuwerben, so Gächter.<br />

Bakondy schildert in der Zeitschrift<br />

der Initiative Minderheit, „Stimme“, den<br />

Wunsch nach Abschiebung von neun türkischen<br />

Arbeitern, die sich nach Auslaufen<br />

ihres Arbeitsvertrags geweigert hatten<br />

bei derselben Baufirma zu verlängern.<br />

Diesen Vorfall kommentierte das Arbeitsamt<br />

Niederösterreich 1962 so: „…Da auch<br />

weiterhin Interesse an ihrer berufsrichtigen<br />

Beschäftigung bestand, sieht das<br />

Landesamt NÖ. in dem disziplinlosen und<br />

den Arbeitsmarkt störenden Verhalten<br />

dieser Fremdarbeiter eine Gefährdung der<br />

öffentlichen Interessen.“ Die Gastarbeiter<br />

sollten kein Recht bekommen über die Art<br />

ihrer Beschäftigung und ihren Arbeitgeber<br />

selbst zu entscheiden.<br />

„Das Anwerbeabkommen mit der Türkei<br />

wurde vor 50 Jahren abgeschlossen, die<br />

damals für dieses Thema zuständigen<br />

Personen sind schon lange nicht mehr in<br />

20<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

der WKO tätig. Ich kann sie daher nicht<br />

mehr fragen, wie mit Interventionen<br />

umgegangen wurde. Ich bitte Sie dahingehend<br />

um Verständnis“, sagt Margit Kreuzhuber<br />

von der WKO. Tatsächlich sind in den<br />

Archiven keine Aufzeichnungen darüber,<br />

wie die Kammer damals auf Briefe und<br />

Ansuchen geantwortet hat.<br />

Keine Macht den Arbeitern<br />

Autonomie und Ungehorsam wurden vom<br />

Arbeitgeber bestraft, die Kammern und<br />

das Arbeitsamt haben ihnen den Rücken<br />

gestärkt. Gächter schildert im Rahmen<br />

seiner Forschung beispielsweise zwei<br />

Streikfälle von jugoslawischen Gastarbeitern<br />

1965 und 1966 in zwei unterschiedlichen<br />

Betrieben, die mit Schubhaft und<br />

Abschiebung niedergeschlagen wurden. Im<br />

ersten Fall haben zehn Arbeiter demonstriert,<br />

weil sie statt der versprochenen 18<br />

Schilling pro Stunde nur 15 bekommen<br />

hatten. Im zweiten Fall hatten Arbeiter<br />

ihre Stimmen erhoben, weil ein Kollege<br />

gekündigt worden war, nachdem er sich<br />

über die Arbeitsbedingungen beschwert<br />

hatte. Die Arbeitgeber hatten Angst, dass<br />

auch andere ausländische Arbeiter auf die<br />

Barrikaden steigen und haben jede Form<br />

des Widerstands drakonisch bestraft.<br />

„Streik oder Aufregen waren purer<br />

Luxus!“, erzählt Akif G. Und so haben viele<br />

einfach nur geschwiegen und gearbeitet.<br />

Sie haben alles gespart, was sie<br />

beiseite legen konnten und ihren Familien<br />

geschickt oder für ihre Kinder hier auf<br />

die Seite gelegt. „Irgendwann wurde es<br />

langsam besser. Zuerst ein besserer Job,<br />

dann eine schönere Wohnung…“ Heute<br />

lebt Akif in einer geräumigen, schönen<br />

Wohnung in Wien. Seine Kinder sind<br />

erwachsen und haben studiert. „Ich habe<br />

meinem Sohn gesagt, ich will dich nicht<br />

im Blaumann sehen!“ Nur sein Rücken ist<br />

von der jahrelangen harten Arbeit kaputt.<br />

Auch Dragica hat Schmerzen, wenn sie sich<br />

bücken muss und ihre Enkelkinder auf den<br />

Arm nimmt. Und erinnern wollen sie sich<br />

nicht so gern an die ersten Jahre in Österreich,<br />

als jeder noch gedacht hat, sie gehen<br />

bald.<br />

<br />

Gastarbeiter in Österreich<br />

1961 wurde das sogenannte Raab-Olah-Abkommen geschlossen,<br />

benannt nach den Präsidenten der Wirtschaftskammer<br />

und des Gewerkschaftsbunds Julius Raab und Franz Olah.<br />

Dieses sollte ausländischen Arbeitskräften den Zugang zum<br />

heimischen Arbeitsmarkt erleichtern und war quasi der<br />

Grundstein für die über 30-jährige Gastarbeitergeschichte<br />

Österreichs. Das erste Abkommen zum Abwerben von ausländischen<br />

Arbeitern wurde 1962 mit Spanien geschlossen.<br />

Da das Lohnniveau in Österreich relativ gering war, kamen<br />

aber kaum spanische Arbeiter ins Land. 1964 schloss Österreich<br />

ein Abwerbeabkommen mit der Türkei. Eine entsprechende<br />

Anwerbestelle war schon 1961 in Istanbul eröffnet<br />

worden. Diese vermittelte türkische Arbeiter an österreichische<br />

Betriebe, die um ausländische Arbeiter angesucht<br />

hatten. Auch mit dem ehemaligen Jugoslawien gab es ein<br />

Abkommen. Offiziell sollen von 1964 bis 1971 40.000 türkische<br />

und jugoslawische Arbeiter über den Amtsweg gekommen<br />

sein. Vermutlich waren es weit mehr, weil viele Arbeiter<br />

über Verwandte und Bekannte eine Stelle in Österreich<br />

bekommen haben. Schätzungsweise kamen bis Mitte der<br />

80er-Jahre 200.000 bis 220.000 Menschen als Gastarbeiter<br />

nach Österreich.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 21


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Wien Holding:<br />

So vielfältig<br />

Rund 75 Unternehmen bündelt<br />

die Wien Holding derzeit<br />

unter ihrem Dach. So vielfältig<br />

wie die Projekte, sind<br />

auch die MitarbeiterInnen,<br />

die in dem städtischen Konzern<br />

arbeiten. Internationalität<br />

und Integration wird hier<br />

groß geschrieben.<br />

Ob Pink-Konzert in der Stadthalle, entspannen<br />

in der Therme Wien oder per Twin City Liner auf<br />

der Donau von Wien nach Bratislava cruisen –<br />

die Wien Holding hat diese Projekte realisiert.<br />

Der städtische Konzern erfüllt kommunale Aufgaben<br />

und ist gleichzeitig stets bestrebt, die Lebensqualität<br />

in der Stadt zu erhöhen. Die rund<br />

75 Unternehmen sind im Kulturbereich, in der<br />

Entwicklung von Immobilien, im Logistik-, Umwelt-<br />

und Mediensektor tätig. Vielfalt spielt hier<br />

eine wichtige Rolle. Nicht nur auf Projekt- und<br />

Kundenebene – ein guter Teil der rund 2.900<br />

MitarbeiterInnen ist international oder hat zumindest<br />

Migrationshintergrund. Integration ist<br />

in den Unternehmen der Wien Holding gelebte<br />

Praxis.<br />

MARKETINGLEITERIN EINES TV-SENDERS<br />

IRINGÓ DEMETER wurde in Rumänien geboren<br />

und gehört der ungarischen Minderheit an.<br />

1981 flüchtete sie mit ihrer Familie nach Wien.<br />

Die 36-Jährige bezeichnet sich als Wienerin, ist<br />

in Favoriten aufgewachsen, hat in Wieden maturiert<br />

und an der Hauptuniversität und der WU<br />

studiert. Sie absolvierte ein Betriebswirtschaftsund<br />

ein Genetik-Mikrobiologie Studium, zu ihren<br />

Spezialgebieten zählten betriebliche Finanzierung<br />

und Change Management, sowie Immunologie<br />

und Molekulare Medizin. Die Kombination<br />

aus Wirtschaft und Naturwissenschaft hat Iringó<br />

auf ihrem Berufsweg viel gebracht. Sie hat ihr<br />

Wissen unter anderem bei Avir Green Hills Biotechnology<br />

und LilO Venture eingesetzt. Seit<br />

2012 ist Iringó Marketingleiterin beim Stadtsender<br />

W24. „Stadtfernsehen wurde in dieser Form<br />

in Wien bisher nicht gemacht. Ich bin stolz, in<br />

einem so dynamischen Unternehmen arbeiten<br />

zu können“, freut sich Iringó.<br />

GUIDE IM KUNST HAUS WIEN<br />

LALAINE CERRADA ist seit 2004 im Aufsichtsbereich<br />

und als „Guide“ im Kunst Haus Wien im<br />

Einsatz. Sehr passend, wollte sie doch immer<br />

Künstlerin werden. Ihre Mutter hingegen wollte,<br />

dass sie zuerst ein „greifbares“ Studium absolviert.<br />

Also hat sie Marketingmanagement belegt,<br />

„den einzigen Bereich der Wirtschaft, in<br />

dem Kunst vorkommt“, lacht sie. In ihrer Heimat,<br />

den Philippinen, war Lalaine als Modedesignerin<br />

tätig, in Österreich hat sie dann als erste Ausstellung<br />

gleich eine Modeausstellung betreut.<br />

Neben dem Einsatz für das Kunst Haus Wien<br />

22


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wie die Stadt<br />

ist Lalaine Cerrada nach wie vor als Künstlerin<br />

tätig und experimentiert liebend gern mit neuen<br />

Materialien. Ihren Arbeiten kann man auf<br />

www.lalaine-art.com einen Besuch abstatten.<br />

ARBEITEN WO DIE STARS ZU HAUSE SIND<br />

ZUHDIJA BEGIC ist Betriebsleiter in der Wiener<br />

Stadthalle. Von den KollegInnen wird er meist<br />

„Sudo“ genannt, da die Aussprache seines seltenen<br />

bosnischen Vornamens „Zuhdija“ den<br />

ÖsterreicherInnen schwerfällt. Zuhidija Begic,<br />

geboren am 23. März 1957 in Boskrupa im Norden<br />

Bosnien-Herzegowinas, ist im Alter von 13<br />

Jahren seinen Eltern nach Wien gefolgt. Seit<br />

mittlerweile 29 Jahren gehört der gelernte Maschinenschlosser<br />

fest zum Betrieb der Stadthalle<br />

und hat hier viele Stationen durchlaufen: Er war<br />

Bühnenmeister, Hallenmeister und Maschinist.<br />

Heute führt er 80 KollegInnen aus den Bereichen<br />

Hallen-, Ton- und Lichttechnik sowie Mechanik,<br />

Portiere und Reinigung.<br />

„Ein volles Haus ist das Schönste. Ich krieg‘ noch<br />

immer eine Gänsehaut, wenn 16.000 Menschen<br />

jubeln“, sagt Zuhdija Begic über seine Arbeit.<br />

VOM FERIALJOB ZUR MARKETING-LADY<br />

ANGELA DJURIC, geboren 1989 in Brčko in Bosnien-Herzegowina,<br />

zog im Alter von zwei Jahren<br />

mit ihren Eltern nach Wien. In der Wien Holding<br />

arbeitete Angela Djuric zum ersten Mal im Jahr<br />

2008 als Ferialpraktikantin. Seit Oktober 2011,<br />

kurz nach ihrem Bachelorabschluss in „Kommunikationswirtschaft“,<br />

ist sie Vollzeit im Bereich<br />

Marketing und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Als<br />

bisher jüngste Teilnehmerin machte sie im Managementprogramm<br />

der Wien Holding mit.<br />

Ihre Wurzeln liegen am Balkan, aufgewachsen ist<br />

sie in Wien. Hier wird sie immer Migrantin bleiben,<br />

in Bosnien immer Auswanderin. Sie selbst<br />

sagt, dass sie sich weder als Österreicherin noch<br />

als Bosnierin fühlt, sondern als Wienerin. „Deswegen<br />

arbeite ich auch gerne bei der Wien Holding.<br />

Wien ist eine großartige Stadt und hat so<br />

viel zu bieten, immer ist irgendetwas los. Mit<br />

ihren Tochterunternehmen trägt die Wien Holding<br />

viel dazu bei und ich finde es toll, hier auch<br />

dazuzugehören.“<br />

Fotos v.l.n.r. :<br />

© W24, © Katrin Bruder, Foto 3 u. 4 © Eva Kelety<br />

WIEN HOLDING GMBH<br />

Universitätsstraße 11, 1010 Wien<br />

T +43 (1) 408 25 69-0<br />

F +43 (1) 408 25 69-37<br />

office@wienholding.at<br />

www.wienholding.at<br />

www.facebook.com/WienHolding<br />

23


<strong>almanah</strong><br />

Im Namen<br />

der Ausländer<br />

TEXT:<br />

Melisa Aljović<br />

F O T O :<br />

Philipp Tomsich<br />

Weil ausländische Namen schwer zu merken<br />

sind, werden viele einfach umbenannt. So<br />

wird aus Farhad Toni und aus Razija Tina.<br />

Mich<br />

fragten<br />

Lehrer oft,<br />

ob mein<br />

Name falsch<br />

geschrieben<br />

ist.<br />

Da geben sich werdende Eltern doch so viel Mühe.<br />

Sie kaufen Namensbücher und suchen Statistiken<br />

darüber heraus, mit welchen Namen ihren Kindern<br />

bessere Chancen im Leben offen stehen. Nachdem<br />

sie also Kevin und Jennifer aussortiert haben,<br />

suchen sie nach einem Kompromiss mit dem Namen<br />

des Kindes der verstorbenen Uroma zu gedenken,<br />

aber trotzdem auch dem 21. Jahrhundert gerecht zu<br />

werden. Ja, die Namenswahl sollte gut durchdacht<br />

sein, schließlich begleitet der Vorname einen sein<br />

Leben lang - zumindest die meisten von uns.<br />

Meine Tante Razija (z wird wie das s bei Rose<br />

ausgesprochen) trug ihren Namen nur bis zur ersten<br />

Hälfte ihres Lebens. Denn ihr bosnischer Name war<br />

zu kompliziert für die Österreicher. Deshalb wurde<br />

sie von ihrer Chefin in „Tina“ umbenannt: „Das<br />

können sich dann auch die Kunden besser merken.“<br />

Eine Frisörin namens Tina kriegt halt mehr Trinkgeld.<br />

Macht sich auch auf der Tip-Box besser: Tina<br />

Trinkgeld. Tip Tina. Trinkgeld für Tina.<br />

Und weil die Österreicher scheinbar auf kurze<br />

Namen, die mit einem T anfangen, stehen, wurde<br />

mein Bekannter Farhad (h ist nicht stumm) von<br />

seinem Fußballtrainer „Toni“ getauft. Der Name<br />

würde ihm viel besser stehen, meinte der Trainer.<br />

Was genau jetzt an „Farhad“ nicht passt, bleibt<br />

offen - vielleicht war der Mann aber auch einfach<br />

nur Toni Polster Fan.<br />

Um Leben und Tod<br />

Ich selbst habe übrigens einen großartigen Namen,<br />

den man glücklicherweise in aller Welt kennt, der<br />

mir sogar einmal quasi mein Leben gerettet hat, aber<br />

das ist eine andere Geschichte. Ich heiße Melisa. Mit<br />

einem s geschrieben, weil es im Bosnischen keine<br />

Doppelkonsonanten gibt. So leicht erklärt man das<br />

fehlende s, doch für so viel Verwirrung sorgt es<br />

stets. Mich fragten Lehrer oft, ob ich wüsste, dass<br />

mein Name falsch geschrieben sei. Einmal wurde<br />

mein Name, händisch von mir selbst im dazu vorgesehenen<br />

Feld eingetragen, mit Rotstift von jemand<br />

anderem in „Melissa“ umgebessert. Ich war kurz<br />

davor mich nun selbst mit Doppel-s zu schreiben,<br />

aber ich ließ es dann doch bleiben, ich war halt ein<br />

rebellischer Teenager. Dafür beschloss ich meine<br />

Mutter Senija meinen Lehrern und Klassenkollegen<br />

nur noch als Xenia vorzustellen, so musste ich ihren<br />

Namen nicht auch noch ständig buchstabieren.<br />

Wenn ich schon beim Thema Schule bin: Eine<br />

Lehrerin erzählte neulich, dass ihr türkischstämmiger<br />

Schüler Can, der Name bedeutet im Türkischen<br />

„Leben“, (C wird wie dsch in Dschungel ausgesprochen)<br />

von anderer Lehrern Kan genannt wird. Das<br />

stört den Bub schon ziemlich, weil Kan auf Türkisch<br />

„Blut“ bedeutet und statt mit Leben eher mit dem<br />

Tod assoziiert wird. Und naja, welches Kind möchte<br />

damit in Verbindung gebracht werden<br />

Ja, ich weiß – es ist aber auch ungerecht. Da sind<br />

die schon so viele Jahre in Österreich und trotzdem<br />

denken sie nicht daran, dem Nachwuchs anständige<br />

Namen wie Julia, Sieglinde oder Florian zu geben.<br />

Es wird den Ur-Österreichern nichts anderes übrig<br />

bleiben, als sich zu bemühen die fremden, ausländischen<br />

Namen irgendwie zu akzeptieren. Ein kleiner<br />

Tipp, der angeblich gut zu funktionieren scheint:<br />

Fragt die Leute, wie man ihren Namen korrekt<br />

ausspricht und merkt es euch dann einfach für die<br />

Zukunft!<br />

Kopf hoch, bei Chantal und Angelina klappt es<br />

doch auch schon.<br />

Melisa hat bosnische Wurzeln und ist Redakteurin bei biber.<br />

24<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 25


<strong>almanah</strong><br />

ad<br />

bosnisch, kroatisch, serbisch für »Arbeit«<br />

26<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


MARKT & KARRIERE<br />

2029 wird Wien die Zwei-Millionen-Grenze überschreiten. Wie geht<br />

Österreich mit den neuen Zuwanderern um Welche Visionen haben<br />

Top-Manager von Wiens Zukunft Und warum entwickelt die Regierung<br />

und Wien eine neue "Willkommenskultur", die als best-practice<br />

Beispiel in Europa gilt<br />

S. 28–33<br />

AUSLÄNDERBEHÖRDE DELUXE<br />

Das Welcome Center in Hamburg rollt hochqualifizierten<br />

Migranten den roten Teppich aus und geht europaweit<br />

mit gutem Beispiel voran. Aber wie werden Fachkräfte in<br />

Österreich empfangen<br />

S. 34-37<br />

WIEN WÄCHST<br />

Sieben Wirtschaftsexperten sprechen über die zukünftige<br />

Wohnsituation, den Arbeitsmarkt und infrastrukturelle<br />

Veränderungen.<br />

S. 38-41<br />

MAKING OF ASPERN<br />

In Aspern entsteht eine Siedlung, die größer als Eisenstadt<br />

sein wird. Wir haben uns zwischen Baukränen und<br />

Fassadenbauern umgesehen.


<strong>almanah</strong><br />

T E X T:<br />

Philipp Woldin<br />

FOTO:<br />

Daniel Cihan Schmidt<br />

Ausländerbehörde<br />

deluxe<br />

Ein Besuch im Hamburg Welcome Center, wo<br />

Deutschland ausländischen Fachkräften den<br />

roten Teppich ausrollt: Wer hierher kommt, wird<br />

dringend gebraucht – das spürt man.<br />

den Räumen der Handelskammer, das Welcome<br />

Center residiert auf zwei Fluren. Bevor ein Gast<br />

Platz nimmt, schaltet der Sachbearbeiter sein<br />

Telefon jetzt immer auf lautlos, so läuft das hier.<br />

Die deutsche Wirtschaft ringt um ausländische<br />

Fachkräfte, die heißen hier konsequent Kunden oder<br />

Die Glastür des Hamburg Welcome Center gleitet<br />

auf, Muhammed Karasu geht über einen roten Teppich<br />

zum Empfangstresen, vorbei an schneeweißen<br />

Säulen. Von der gewölbten Decke hängen Lampen<br />

wie aus einem skandinavischen Designkatalog. Der<br />

32-Jährige – randlose Brille, Pausbäckchen – will<br />

sein Visum um drei Monate verlängern. Vorn empfängt<br />

ihn gleich eine Sachbearbeiterin, keine Sekretärin:<br />

Just a moment, please have a seat. Herr Karasu<br />

sinkt in einen flauschigen Sessel. Das soll eine Ausländerbehörde<br />

sein<br />

Endlose Schlangen, Nummern ziehen und graue<br />

Büros. Wenn Michael Möller über seinen alten Job<br />

bei der Ausländerabteilung Hamburg-Nord erzählt,<br />

klingt es eher nach Behörde. „Das war Massenabfertigung“,<br />

sagt der Sachbearbeiter. „Die Leute kamen<br />

meist aus schwierigen sozialen Verhältnissen, oft<br />

musste ich Anträge ablehnen.“ Auf dem Amt sprach<br />

man Deutsch. Wer die Sprache nicht konnte, musste<br />

sich einen Dolmetscher besorgen.<br />

Heute berät Möller in einem verglasten Büro in<br />

Just a<br />

moment,<br />

please have<br />

a seat.<br />

Neubürger, keiner spricht von Antragsstellern.<br />

Welcome Center wie in Hamburg sollen das<br />

Image des Landes aufpolieren. Bis in die neunziger<br />

Jahre galt der Satz: Deutschland ist kein Einwanderungsland.<br />

Das war einmal: Im vergangenen Jahr<br />

wanderten laut Statistischem Bundesamt 437.000<br />

Menschen ein, Tendenz steigend. Experten nennen<br />

Deutschland schon das neue Zuwanderungsmekka.<br />

Die Deutschen, hilfsbereit und ausgeglichen<br />

In ganz Deutschland verändert sich deshalb<br />

die Kultur der Ämter: Sachsen krempelte 2011<br />

seine Behörden komplett um, in Essen eröffnete<br />

im vergangenen Jahr ein Willkommenszentrum,<br />

Stuttgart baut gerade. Hamburg gilt noch immer<br />

als Vorzeigebeispiel, die Business-Class unter den<br />

Ausländerbehörden, seit 2007 für Fachkräfte da.<br />

In anderen Städten stellten die Behörden dafür nur<br />

ein paar Sachbearbeiter mehr ein, entfernten die<br />

Sicherheitsscheibe zwischen Beamten und Antragstellern<br />

und stellten ein paar Blumen ins Regal. ‣<br />

28<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


‣<br />

<strong>almanah</strong><br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 29


<strong>almanah</strong><br />

Welcome Center wie in Hamburg sollen das Image des Landes aufpolieren.<br />

Hamburg Marketing GmbH/Sven Schwarze<br />

Möller fragt: Können Sie Deutsch Ein bisschen,<br />

sagt Karasu. Er ist Beamter im türkischen Innenministerium<br />

und lernt ein Jahr lang, wie die deutsche<br />

Verwaltung funktioniert. Ende Oktober fliegt er<br />

zurück in die Türkei, ein letztes Mal verlängert er<br />

seinen Titel. Karasu blättert die Unterlagen hin –<br />

Meldebestätigung, Krankenversicherung, Passfoto.<br />

Die Deutschen, ja, die seien hilfsbereit und ausgeglichen,<br />

nicht so aufbrausend wie die Türken.<br />

Besonders beeindruckt ist Karasu von der U-Bahn,<br />

die kommt immer so pünktlich. Er ist erst seit<br />

Kurzem hier.<br />

Vorurteile Naja, sagt der Sachbearbeiter Möller,<br />

durch die täglichen Erfahrungen in der Ausländerabteilung<br />

in Hamburg-Nord habe er schon eine<br />

spezielle Meinung über manche Bevölkerungsgruppen<br />

entwickelt. Er schnippelt das Passbild von<br />

Karasu zurecht, dann pappt er den Aufenthaltstitel<br />

in den Pass – alles klar, das kostet 15 Euro. Karasu<br />

Das mit<br />

dem WLAN<br />

muss wirklich<br />

besser<br />

werden.<br />

stutzt: „Muss ich nicht 30 Euro zahlen“ Möller<br />

ist verblüfft: Stimmt. Wahrscheinlich käme der<br />

türkische Beamte auch ganz gut allein zurecht, von<br />

den meisten Asylbewerbern und Flüchtlingen, die<br />

Möller früher betreute, konnte man das nicht sagen.<br />

„Wer kriegt eigentlich die Herdprämie“ Reiner<br />

Fabian hat davon in der Zeitung gelesen. „Sie<br />

meinen das Betreuungsgeld“, sagt der Sachbearbeiter.<br />

Fabian ist gebürtiger Hamburger, lebte acht<br />

Jahre mit seiner Frau im englischen Swansea. Jetzt<br />

ist das Ehepaar zurück – und muss sich durch die<br />

deutsche Bürokratie kämpfen.<br />

Seine litauische Frau Vitalia sucht nach einem<br />

Kindergarten für die 14 Monate alte Tochter und klagt:<br />

„Wieso gibt es da keine zentrale Webseite“ Integrationskurse,<br />

Krankenkassen, Mutter-Kind-Betreuung<br />

in Wandsbeck – der Sachbearbeiter gibt<br />

geduldig Tipps. Empfehlen darf er als Behördenmitarbeiter<br />

nichts, aber er druckt einen Flyer nach<br />

30<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

dem anderen aus. Dann ist das Ehepaar fast aus der<br />

Tür, der Sachbearbeiter ruft ihnen noch hinterher:<br />

„Sollte Ihnen noch eine Frage einfallen, dann<br />

mailen Sie mir doch!“<br />

Neben dem Flachbildschirm im Eingangsbereich<br />

beugt sich Raghav Gupta über den Grundriss<br />

einer Wohnung und befindet: Die ist nicht gut, wir<br />

brauchen dringend einen Aufzug. Ihm gegenüber<br />

sitzt seine Relocaterin. Guptas neuer Arbeitgeber,<br />

eine Pharmafirma, bezahlt sie. Viele Firmen umsorgen<br />

ihre ausländischen Mitarbeiter auf ähnliche<br />

Weise. Die Relocaterin betreut den Inder rund um<br />

die Uhr: Sie holte die Familie vom Flughafen ab,<br />

vereinbarte Termine mit Maklern – und begleitet<br />

Gupta, wenn er wie heute seinen Wohnsitz anmeldet.<br />

Sie ist sein persönliches Welcome Center.<br />

Es hätte auch ein anderes Land sein können<br />

Der 35-Jährige kommt aus Neu Delhi, er ist einer<br />

der Fachkräfte, die Deutschland händeringend<br />

sucht. Bisher plante er, 18 Monate in Deutschland<br />

zu bleiben, vielleicht werden es mehr. Jetzt müssen<br />

sie weiter, sagt die Relocaterin. Um 15 Uhr ist<br />

der Banktermin, später besichtigen sie ein Haus.<br />

Warum Deutschland Es sei ein herausfordernder<br />

Markt, sagt Gupta. Es klingt wie: Es hätte auch ein<br />

anderes Land sein können.<br />

Anfangs gab es Vorurteile gegen die neue Einrichtung,<br />

sagt der stellvertretende Leiter Günther<br />

Wielgoß, klar. Ihr pickt euch nur die Rosinen raus,<br />

murrten die anderen Ausländerämter. Natürlich sei<br />

der Alltag unterschiedlich: Die Termine sind lange<br />

vorbereitet, die Kunden werden umfassend beraten,<br />

nicht nur zum Wohn- und Aufenthaltsrecht.<br />

Andersherum hätten die Bezirke teilweise aber auch<br />

Kunden wie hier: Wissenschaftler und Manager,<br />

Selbstständige und Ingenieure, auch Studierende.<br />

Die könnten sich ja selbst aussuchen, zu welcher<br />

Stelle sie gehen.<br />

Jonathan Seiling fühlt sich hier willkommen, in<br />

New York war das nach dem 11. September anders,<br />

der 39-jährige Kanadier hatte dort jahrelang<br />

gelebt. Erst vor wenigen Tagen ist er in Deutschland<br />

angekommen, nächsten Monat fängt er an der<br />

Hamburger Universität an. Was ihm auffällt: Hier<br />

Viele junge Fachkräfte folgen dem Ruf der Arbeit und ziehen ins Ausland.<br />

patrouilliert nicht an jeder Ecke ein Polizist. Das<br />

Schulsystem findet er herausragend, sein Sohn ist<br />

fünf Jahre alt, er soll davon profitieren. Unbürokratisch<br />

nennt er die Betreuung – für eine deutsche<br />

Behörde ein seltsames Kompliment.<br />

Das Welcome Center und die Handelskammer verbindet<br />

eine Glastür, auf der Anrichte rechts daneben<br />

thront ein massiges Buch. Die Kunden können<br />

hier Verbesserungsvorschläge hinterlassen. Konstantin<br />

Belyaev lobt die Organisation der Behörde,<br />

jemand anders schreibt: „Super Atmosphäre!“ Dann<br />

ist da noch ein kritischer Eintrag, etwas versteckt:<br />

Diese Reportage wurde von<br />

Das mit dem WLAN in Hamburg, das muss wirklich<br />

„ZEIT-ONLINE“ zur Verfügung<br />

besser werden.<br />

<br />

gestellt.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 31


<strong>almanah</strong><br />

Dobro došli u Austriju<br />

Integrationsbeauftragte in Ankara und Belgrad<br />

vermitteln österreichische Werte an Zuwanderer.<br />

Dadurch soll Integration leichter fallen.<br />

T E X T:<br />

Alexandra Stanić<br />

„Dobro Došli u Austriju!“ Mit diesen Wörtern<br />

begrüßt die neue Integrationsbeauftragte Belma<br />

Coković zukünftige Zuwanderer in der österreichischen<br />

Botschaft in Belgrad. Die 26-Jährige ist die<br />

erste Anlaufstelle für Menschen, die nach Österreich<br />

ziehen wollen. Ziel ist es, die Integration von<br />

Anfang an zu sichern. Neben Nalan Gündüz in der<br />

Türkei ist Belma die zweite Integrationsbeauftragte<br />

an einer österreichischen Vertretungsbehörde. Dass<br />

die Idee aufgeht, bestätigen die Zahlen: 2013 wurden<br />

in Ankara über 1.600 türkische Personen erreicht.<br />

Im Oktober 2014 begrüßte Außen- und Integrati-<br />

onsminister Sebastian Kurz nun die zweite Integrationsbeauftragte.<br />

„Belma übernimmt in Serbien die<br />

wichtige Funktion einer Brückenbauerin, die schon<br />

im Vorfeld Zuwanderinnen und Zuwanderer über<br />

alle Möglichkeiten informiert“, so Sebastian Kurz.<br />

Auch Belma ist sich der Wichtigkeit ihrer Funktion<br />

bewusst. „Mit dem Orientierungsmodul und persönlichen<br />

Beratungen kann ich vielen Leuten ein<br />

wichtiges Rüstzeug mitgeben, das ihnen die ersten<br />

Schritte in Österreich sowie die Eingliederung in die<br />

Gesellschaft erleichtern wird", erklärt die 26-Jährige.<br />

Österreich als Vorreiter<br />

„Kein anderes EU-Land bietet Zuwanderern im Vorfeld<br />

eine derartige Beratung und Erstorientierung<br />

in den Herkunftsländern an“, so Victoria Benesch,<br />

die derzeit an einem Projekt zum Thema Willkommenskultur<br />

im Auftrag des Bundesministeriums für<br />

Äußeres arbeitet. Sie ist sich sicher, dass Österreich<br />

das best-practice-Modell europaweit ist. Schon<br />

2008 hat die Wiener Integrationsstadträtin Sandra<br />

Frauenberger das Willkommensprogramm „Start<br />

Wien“ ins Leben gerufen. Die Initiative hilft beim<br />

1.800 LEHRLINGE UNTER<br />

DEM REWE-BOGEN<br />

32<br />

LIDIJA, TAMARA, THOMAS, MANUEL,<br />

SHQIPRIM, KEVIN UND KATHRIN<br />

Sind Lehrlinge bei PENNY, BIPA, BILLA,<br />

MERKUR und ADEG. Ihre Pausen<br />

JAHRBUCH genießen FÜR INTEGRATION sie am liebsten gemeinsam.


<strong>almanah</strong><br />

Allein in Salzburg stiegen die<br />

Spracherwerb und stellt Informationen<br />

jeglicher Art über die<br />

für Integrationsmaßnahmen<br />

Lebensweise in Wien bereit. Im<br />

wie Deutschkurse verwendeten<br />

Zeitraum November 2008 bis<br />

Oktober 2014 wurden ca. 41.000<br />

Besuche bei den Informationsmodulen<br />

gezählt.Im Rahmen des<br />

„Startcoachings“ bekommt jeder<br />

neu Zugewanderte einen Wiener<br />

Mittel im ersten Jahr der<br />

Welcome Desks um 60% an“, so<br />

Franz Wolf, Geschäftsführer des<br />

ÖIF.<br />

Trotz der Bemühungen seitens<br />

der Regierung ist der Berufseinstieg<br />

Bildungspass. Alle Maßnahmen,<br />

für hochqualifizierte<br />

die für die Integration wichtig<br />

Fachkräfte aus dem Ausland<br />

sind, stehen in diesem Pass.<br />

nicht immer leicht, weiß der<br />

Mittlerweile gibt es zudem<br />

Wissenschaftler und jüngste<br />

sechs Integrationszentren des<br />

Sebastian Kurz setzt auf neue<br />

Willkommenskultur<br />

Professor der Universität Wien<br />

österreichischen Integrationsfonds<br />

Nuno Maulide. Der 34-jährige<br />

(ÖIF): In Wien, Graz, Linz, Salzburg, Klagenfurt<br />

und Innsbruck. Dort werden die neu Zugewanderten<br />

nach ihrer Ankunft weiterhin beim Integrationsprozess<br />

unterstützt. Im ersten Jahr fanden an den<br />

Beratungsstellen über 25.500 Beratungen statt.<br />

„Dass unser Angebot Wirkung zeigt, verdeutlichen<br />

die Zahlen unserer Beratungen und die verstärkte<br />

Portugiese kam vor einem Jahr nach Wien. Er leitet<br />

ein Team von 16 Leuten mit zwölf verschiedenen<br />

Nationen und kennt den bürokratischen Hürdenlauf.<br />

„Für Länder, die nicht der EU angehören, ist<br />

schon das Visum irrsinnig kompliziert“, so Nuno.<br />

„Zum Beispiel: Einen hochqualifizierten Forscher<br />

aus China nach Österreich zu holen, grenzt fast ans<br />

Nachfrage nach unseren Integrationsangeboten: Unmögliche.“<br />

<br />

Felicitas Matern<br />

Information<br />

Die Website www.berufsanerkennung.at<br />

wurde im Herbst 2014<br />

neu gestaltet und<br />

inhaltlich überarbeitet.<br />

Das Online-Portal<br />

dient als Wegweiser<br />

für den Anerkennungsprozess<br />

von<br />

Bildungs- und Berufsabschlüssen.<br />

SUADA<br />

Arbeitet als Lehrling bei BIPA und<br />

versorgt ihre Freundinnen immer mit<br />

den neuesten Beautytipps.<br />

Gemeinsam für eine bessere<br />

Zukunft. Mit dem Weiterbildungsprogramm<br />

für Österreichs<br />

Jugendliche bei BILLA,<br />

MERKUR, PENNY, BIPA<br />

und ADEG. Gemeinsam unter<br />

dem REWE-BOGEN.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 33


Österreichs Hauptstadt wird im Jahr 2029 die Zwei-<br />

Millionen Grenze überschreiten. Sieben Wirtschaftsexperten<br />

deuten Wiens Zukunft aus ihrer Sicht.<br />

Wien<br />

Wachstum<br />

WOLFGANG<br />

HESOUN<br />

Vorsitzender des<br />

Vorstands der<br />

Siemens AG<br />

Österreich<br />

Siemens AG<br />

„Wien wird 2029 trotz oder<br />

gerade wegen eines beachtlichen<br />

Bevölkerungswachstums<br />

genauso lebenswert sein<br />

wie heute. In rund 15 Jahren<br />

wird Wien eine zentraleuropäische<br />

Metropole sein, in der die<br />

Gesellschaft von der Vielfalt<br />

ihrer Bewohner profitiert und<br />

Industrie und Wirtschaft erfolgreich<br />

ihre Leistungskraft unter<br />

Beweis stellen können, wenn<br />

es um innovative Lösungen für<br />

die ‚smarte Stadt der Zukunft‘<br />

geht.“<br />

2,08 Mio.<br />

1,77 Mio.<br />

2,0 Mio.<br />

1910 2014 2029<br />

Derzeit leben 1,77 Millionen Menschen<br />

in Wien. 2029 wird die Zwei-Millionen<br />

Grenze überschritten. 1910 zählte Wien<br />

2,08 Millionen Einwohner.<br />

Zwei Drittel des Bevölkerungswachstums<br />

ist auf Migration zurückzuführen.<br />

40 Prozent der Zuwanderung nach Österreich<br />

endet in Wien.<br />

Alter<br />

2044 +96%<br />

Bis 2020 wird die Anzahl der über 65-Jährigen um<br />

rund 31 Prozent ansteigen, die der unter 14-Jährigen<br />

um etwa 24 Prozent, während die Anzahl 15-<br />

bis 64-Jährige nur um etwa acht Prozent ansteigt.<br />

Trotzdem wird Wien schon 2016 das jüngste Bundesland<br />

sein – derzeit liegt noch Vorarlberg vorn.<br />

2020<br />

+24%<br />

+31%<br />

unter<br />

14-Jährige<br />

über<br />

65-Jährige<br />

über<br />

75-Jährige<br />

2014


wächst<br />

Schüler<br />

XXI<br />

145.000<br />

170.000<br />

Derzeit gibt es 145.000 schul pflichtige<br />

Kinder (sechs bis 14), 2025 werden es rund<br />

XX<br />

XXII<br />

170.000 sein.<br />

In den nächsten zehn Jahren müssen 1000<br />

Klassen entstehen. Die Stadt Wien setzt<br />

auf „Campus-Modelle“, derzeit gibt es den<br />

VI<br />

II<br />

Campus Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof,<br />

in den kommenden Jahren sollen<br />

weitere große Bildungseinrichtigungen<br />

(Donaustadt, Floridsdorf, Favoriten) entstehen.<br />

2014 2025<br />

X<br />

„In der Schule 2029 herrscht ein<br />

Klima, in dem die SchülerInnen<br />

Die Bezirke Donau stadt,<br />

Leopoldstadt, Favoriten,<br />

Floridsdorf, Mariahilf und<br />

Brigittenau boomen.<br />

„Meine Vision: Im Jahr 2029 ist<br />

das Vorsorge- Bewusstsein der<br />

Wienerinnen und Wiener optimal<br />

Ricardo Herrgott<br />

GEORG<br />

KRAFT-KINZ<br />

Stellvertretender<br />

Generaldirektor<br />

Raiffeisen landesbank<br />

Niederösterreich-<br />

Wien<br />

ihre individuellen Fähigkeiten<br />

und Talente kennenlernen<br />

und entfalten können. Es spielt<br />

keine Rolle mehr, woher jemand<br />

kommt oder welchen Beruf<br />

die Eltern haben. Alle werden<br />

gleichermaßen gefördert und bei<br />

der Entwicklung ihres Potenzials<br />

unterstützt.“<br />

ausgeprägt – alle haben so gut<br />

vorgesorgt, dass niemand mehr<br />

finanzielle Einbußen im Alter<br />

JUDIT HAVASI<br />

Generaldirektor-<br />

Stellvertreterin<br />

Wiener Städtische<br />

Petra Spiola<br />

hinnehmen muss. Österreich ist ein<br />

Land bestens versicherter Menschen,<br />

die sich keine Sorgen um<br />

ihre Pension machen müssen.“


Lebensqualität<br />

„Lebensqualität und Vielfalt:<br />

Wien gilt laut der „Quality of Living Studie“<br />

Genau dafür steht die Wien Hol-<br />

von Mercer seit fünf Jahren als die Met-<br />

ding. Egal, ob es um das Kul-<br />

ropole mit der besten Lebensqualität. Das<br />

turangebot in der Stadt geht, um<br />

schnelle Bevölkerungswachstum könnte zur<br />

große Immobilienprojekte oder<br />

Folge haben, dass die Lebensqualität sinkt.<br />

um Projekte, die den Logistik- und<br />

Dafür gibt es mehrere Gründe: So punktete<br />

Wien im internationalen Vergleich vor allem<br />

mit viel Wohnraum, das könnte sich durch<br />

den Zuwachs ändern. Außerdem wurde die<br />

Wiener Verkehrssituation schon bei früheren<br />

Mercer-Rankings schwach bewertet,<br />

SIGRID OBLAK<br />

Geschäftsführerin<br />

Wien Holding<br />

Eva Kelety<br />

Wirtschaftsstandort Wien aufwerten,<br />

dem Umweltschutz zu<br />

Gute kommen oder die Vielfalt der<br />

Medienlandschaft bereichern. Die<br />

Wien Holding sorgt auch im Jahr<br />

2025 dafür, dass die sich die Men-<br />

vor allem wegen der vielen Staus. Zusätzlich<br />

schen in Wien wohlfühlen.“<br />

steigt auch die Luftverschmutzung bei wachsender<br />

Bevölkerung. Falls Wien auf Platz Eins<br />

bleiben will, muss vor allem bei der Wohnsituation<br />

und der Infrastruktur angesetzt<br />

werden.<br />

Infrastruktur<br />

In der aktuellen Stadtentwicklung ist vorgesehen,<br />

dass bis 2025 rund 80 Prozent der Alltagswege in<br />

Wien mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß<br />

oder mit dem Rad zurückgelegt werden können.<br />

Der Bau der U5 hat schon begonnen, sie soll bis<br />

2025 fertig gestellt werden. Außerdem ist eine<br />

Verlängerung der U1 und U2 geplant. Abgesehen<br />

von erweiterten Bus- und Straßenbahnlinien und<br />

CarSharing-Angeboten setzt die Stadt auch stark<br />

auf Radfahrer und Fußgänger. Bis 2018 soll es einen<br />

Rad-Highway geben, bis 2025 sollen zwei weitere<br />

Routen dazukommen.<br />

Wiener Stadtwerke<br />

GABRIELE<br />

DOMSCHITZ<br />

Vorstandsdirektorin<br />

Wiener Stadtwerke<br />

„Die Wiener Stadtwerke arbeiten<br />

heute ganz konkret an der<br />

Zukunft der Wiener Infrastruktur<br />

von morgen. Die WienerInnen<br />

werden mit der U5 bis zum<br />

Wienerberg und mit der U2 bis<br />

zum Elterleinplatz fahren, 50%<br />

der erzeugten Energie wird aus<br />

erneuerbaren Quellen stammen.“


Wohnen<br />

Der Wohnbau konzentriert sich vor allem auf<br />

Transdanubien. Die AK schätzt den Bedarf auf<br />

10.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 8.000<br />

geförderte. Die MA23 geht in ihren Berechnungen<br />

davon aus, dass von 2014 bis 2024 insgesamt<br />

79.000 neue Wohnungen zur Verfügung stehen<br />

werden. Mit dem Wohnungsbelagsfaktor des<br />

jeweiligen Bezirks multipliziert, ergibt sich<br />

daraus, dass neuer Wohnraum für rund 165.000<br />

Personen geschaffen wird.<br />

Mischek<br />

„Leistbares Wohnen steht in<br />

den kommenden zehn Jahren<br />

im Fokus. 2025 kann qualitativ<br />

hochwertiges Wohnen zu leistbaren<br />

Preisen in Wien für jede und<br />

jeden Wirklichkeit sein - wenn<br />

die Stadt genügend Fläche dem<br />

Wohnraum widmet.“<br />

STEPHAN<br />

JAINÖCKER<br />

Geschäftsführer von<br />

Mischek Bauträger<br />

Arbeit<br />

„Sehr viele gut qualifizierte<br />

Zuwanderinnen und Zuwanderer<br />

werden nach Wien kommen:<br />

Die Arbeiterkammer sieht zukünftig<br />

Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

Beschäftigungs möglichkeiten vor allem in der<br />

müssen leichter anerkannt und<br />

Kinderbetreuung, der Bildung und der Pflege. Ein<br />

Großteil der neuen Wiener und Wienerinnen bringt<br />

gute Qualifikationen mit. Die schon verbesserten<br />

Anstrengungen zur Erleichterung der Anerkennung<br />

von im Ausland erworbenen Qualifikationen<br />

und Fertigkeiten müssen weiter ausgebaut werden.<br />

Außerdem braucht es laut der AK in den nächsten<br />

RUDI KASKE<br />

Arbeiterkammerpräsident<br />

Renee Del Missier<br />

dementsprechend besser bezahlt<br />

werden. Wer noch einen Schuloder<br />

Lehrabschluss nachholen<br />

will, muss dabei gefördert und<br />

unterstützt werden. Jeder Förder-Euro,<br />

der in Schulen und Ausbildung<br />

gesteckt wird, zahlt sich<br />

Jahren stärkere Anstrengungen zur Arbeitsmarkt-<br />

doppelt aus. Deshalb unterstützt<br />

integration von gering Qualifizierten.<br />

die AK Wien den Wiener Qualifikationsplan<br />

2020.“


<strong>almanah</strong><br />

T E X T:<br />

Olivia Mrzyglod<br />

F O T O S :<br />

Christoph Schlessmann,<br />

Olivia Mrzyglod,<br />

Marko Mestrović<br />

Making of<br />

Aspern<br />

38<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Am Rande Wiens schießt eine der größten<br />

Wohnsiedlungen Europas aus dem Boden. Auf<br />

einer Fläche doppelt so groß wie die Josefstadt,<br />

entstehen Wohnungen, Sportzentren und ein<br />

türkisblauer See. Doch wer sind die Menschen<br />

hinter der Baustellen-Fassade<br />

Eine Fahrt mit der U2. Bei den meisten Passagieren<br />

ist am Praterstern Endstation. Die, die sitzen<br />

bleiben, sind entweder Ralph-Lauren-tragende<br />

WU-Studenten oder waschechte Transdanubier.<br />

Doch auch sie sind spätestens bei der Station Stadlau<br />

weg. Dann ist der Wagen menschenleer. Die nächste<br />

Station ist „Seestadt Aspern“ – Endstation. Links<br />

Landidylle, rechts die größte Baustelle Österreichs.<br />

Bis zum Jahr 2028 sollen hier doppelt so viele<br />

Menschen leben wie in Eisenstadt. Zu diesen 20.000<br />

Einwohnern kommen ebenso viele Arbeitsplätze<br />

hinzu. Ein Viertel der geplanten Gebäude sind schon<br />

bezugsbereit. In ihnen leben die ersten „Pioniere“<br />

Asperns. So nennt man Bewohner, die sich trotz<br />

angrenzendem Baustellen-Wahnsinn und fehlender<br />

Nahversorgung am östlichen Stadtrand Wiens<br />

einquartiert haben. Gesellschaft bekommen sie von<br />

den rund 1000 Arbeitern, die täglich ein Haus nach<br />

dem anderen aus dem Boden stampfen.<br />

Am Rande des Sees, der sich direkt neben der<br />

Station befindet, ist eine Gruppe knallorangener<br />

Gestalten zu sehen. Sie tragen Warnwesten, die<br />

Diese Hände<br />

bauen<br />

eure Stadt<br />

ihnen am Anfang ihrer „Aspern-Touristen-Tour“<br />

ausgehändigt wurden. „Jeden ersten Freitag im<br />

Monat findet eine statt. Man muss sich nur auf der<br />

aspern-seestadt.at Seite anmelden. Bis zu 1.000<br />

Besucher tummeln sich hier an Wochenenden“,<br />

erklärt der Gruppenleiter.<br />

Mile, der „Insider“<br />

Die Tour beginnt. Während der Tross auf einer nigelnagelneuen<br />

Straße entlang geht, wird rund um die<br />

Wohnungstouristen gebohrt und gespachtelt. Auf<br />

einem Container steht ganz groß „Kantine“. Ausgedruckte<br />

Bilder von Schnitzelsemmeln und Pizzen<br />

schmücken den Eingang. Der Besitzer heißt Mile<br />

Savić. Der 53-Jährige ist seit dem ersten Spatenstich<br />

der Hauptversoger für hungrige Arbeiter. „Ich ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 39


<strong>almanah</strong><br />

kenne mich hier aus, wie niemand sonst“, meint er<br />

stolz. In der Mittagspause, so Savić, platz sie aus<br />

allen Nähten.<br />

„Ich habe so etwas noch nie gesehen.“ - Als Savić<br />

mit seiner Kantine vor einem Jahr ankam, waren<br />

hier nur Felder und Sonnenblumen zu sehen. Jetzt<br />

ziehen schon die ersten Bewohner ein. Der selbsternannte<br />

Insider erzählt weiter, dass sich für eine<br />

Wohnung bis zu 50 Leute anmelden. „Bis zu 13.000€<br />

Euro beträgt die Anzahlung auf eine geförderte<br />

3-Zimmer-Wohnung, es werden also keinesfalls<br />

Wohnungen für Sozialfälle“, ist sich der Kantineur<br />

sicher. Seine Frau fügt vom Nebentisch hinzu: “Das<br />

Letzte vom Letzten kommt nicht her. Das wird kein<br />

zehnter oder sechzehnter Bezirk hier, hundertprozentig<br />

nicht.“<br />

Egal wer kommt, der gebürtige Serbe will in der<br />

Seestadt bleiben und aus der Kantine ein Restaurant<br />

machen. Übrigens, Mile hat keine fixen Öffnungszeiten,<br />

denn „Sperrstunde hat nur der, der Nachbarn<br />

hat“, erklärt er lachend.<br />

Stefan<br />

Dumitrica<br />

trainiert schon<br />

Jahre hier.<br />

Hinter ihm<br />

schossen<br />

wöchentlich<br />

neue<br />

Gebäude aus<br />

dem Boden.<br />

Diese Hände bauen eure Stadt<br />

Nachdem sich die Tagestouristen in der Kantine<br />

gestärkt haben, geht die Führung weiter. Bekanntlich<br />

wird eine Stadt nicht von im Büro herumsitzenden<br />

Geschäftsleuten errichtet. Es sind Hände von<br />

Bauarbeitern, die in waghalsigen Höhen Fassaden<br />

bemalen, in der prallen Sonne den Metallbau machen<br />

und im Akkord Rohre verlegen. „Die meisten sind<br />

aus ex-jugoslawischen Ländern oder dem Ostblock.<br />

Besonders beim Rohbau, also der Anfangsphase des<br />

Gebäudes, werden sie geholt, um die Drecksarbeit<br />

zu erledigen. Die Fachkräfte wie Elektriker sind<br />

Österreicher“, mutmaßt ein Bauarbeiter, der lieber<br />

anonym bleiben möchte. „Unsere Hände bauen eure<br />

Stadt“, sagt Piotrek, ein polnischer Fassadenbauer,<br />

während er eine Wurstsemmel verputzt.<br />

Frauenpower trifft Männerschweiß<br />

Auf ihrem blitzblauen Fahrrad rollt eine Frau an<br />

der Touristen-Gruppe vorbei. „Super, das ist sicher<br />

auch eine Schaulustige“, schreit eine Dame mittleren<br />

Alters. Auf die Frage, was sie an diesem ungewöhnlichen<br />

Ausflugsziel macht, zückt sie ein mit<br />

rosa Glitzersteinchen verziertes Etui und holt ihre<br />

Visitenkarte heraus. „Mag. Christine Spiess, Projektleiterin<br />

Seestadt Aspern“. Ob es kompliziert sei<br />

als Frau über so vielen Männern zu stehen „Keinesfalls!<br />

Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht<br />

kompliziert bin“, meint Frau Spiess lächelnd. „Übrigens<br />

wird die Seestadt weiblich. Jeder Straßen- und<br />

• Die Seestadt Aspern ist zurzeit das größte<br />

Stadt entwicklungsprojekt Europas.<br />

• Auf einer Fläche von 350 Fußballfeldern<br />

werden etwa 20.000 Menschen leben.<br />

• Insgesamt 4 Mrd. Euro werden in das Projekt<br />

investiert.<br />

• Die U2 wurde eigens für die Seestadt um drei<br />

Stationen ausgebaut.<br />

• Die ersten Einwohner sind Anfang 2014<br />

eingezogen.<br />

40<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Park-Name gebührt einer starken Frau“, sagt sie und<br />

radelt auf der Schotterstraße davon.<br />

Die mittlerweile erschöpften Touristen begeben<br />

sich langsam Richtung U-Bahn-Station. Auf einmal<br />

schreit einer aus der Gruppe: „Schaut, da fliegt eine<br />

Kugel herum.“ Um seine Neugierde zu befriedigen,<br />

entfernt sich der Mann von der Kolonne. Er nähert<br />

sich vorsichtig dem Werfer, einem durchtrainierten<br />

Athleten, der auf den Namen Stefan Dumtrica<br />

hört. Mehrmals die Woche kommt der Rumäne nach<br />

Aspern und trainiert für die europaweiten Turniere<br />

der Highland Games. „Noch nie davon gehört Das<br />

kennen die wenigsten“, beruhigt er uns. „Es ist ein<br />

Nationalsport aus Schottland. Neben Baumstammwerfen<br />

und Hammerwerfen gehört auch Steinweitwurf<br />

zu den Disziplinen.“ So mischt sich auch<br />

die schottische Kultur in die wohl angesagteste<br />

Baustelle Europas.<br />

<br />

„Ich kenne<br />

mich hier<br />

aus, wie<br />

niemand<br />

s o n s t “,<br />

Mile Savić, 53.<br />

Siemens setzt auf<br />

Smart Cities<br />

Siemens ist österreichweit in smarte<br />

Infrastrukturprojekte involviert.<br />

Das große Aushängeschild zum Thema<br />

Smart City ist Aspern Seestadt.<br />

Das Unternehmen bringt als Projektpartner<br />

der Aspern Smart City<br />

Research (ASCR) Forschungs- und<br />

Technologie-Know-how ein. Zuletzt<br />

wurde das Demoprojekt „Energieeffizienz<br />

– Integration von Technik<br />

und Mensch“ im Technologiezentrum<br />

Aspern IQ vorgestellt. Eines der<br />

Hauptziele des Energieforschungsprogramms<br />

in Österreich ist es,<br />

innovativen Technologien den Weg<br />

von der Entwicklung in den Alltag<br />

der Menschen zu ebnen.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 41


<strong>almanah</strong><br />

Genug Sicherheitsabstand ist der beste Schutz vor einem Auffahrunfall.<br />

42<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Halten Sie daher immer mindestens zwei Sekunden Abstand zum Vordermann.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 43


<strong>almanah</strong><br />

Ein Kärntner will Muslime<br />

„zinslos glücklich“ machen<br />

TEXT & FOTO:<br />

Clemens Neuhold<br />

Dieser Artikel wurde von<br />

der Wiener Zeitung zur<br />

Verfügung gestellt.<br />

Weltweit sind 38 Millionen Menschen Kunden<br />

einer Bank, die wenigstens teilweise „Islamic Banking“<br />

anbietet. Tendenz steigend. Österreichische<br />

Banken bieten hingegen noch keine Produkte nach<br />

dem islamischen Recht mit seinem Zinsverbot an.<br />

Sie spüren unter ihren Kunden kaum Nachfrage. Der<br />

Kärntner Harald Lamprecht (43) will sie im direkten<br />

Kontakt mit Muslimen sehr wohl verspürt haben<br />

und hat das wohl erste Halal-Start-up im Finanzbereich<br />

gegründet.<br />

Im Herzen des türkischen Wiens, in der Grundsteingasse<br />

in Wien Ottakring, hat er ein Gassenlokal<br />

bezogen. Ein steriler Raum ohne optischen Hinweis<br />

auf den Islam, keine Mekka-Bilder, keine Sure, kein<br />

arabisches Schriftzeichen. Ein Tisch, eine Couch,<br />

im hinteren Raum eine Dusche. Nur ein schlichter<br />

Zettel in der Tür verrät das Business: „Kindersparpläne,<br />

Elternsparpläne, Hadsch-Sparen. Zinslos<br />

glücklich.“ Am wenigsten würde man aber hinter<br />

dem waschechten Kärntner Harald Lamprecht aus<br />

Feld am See einen Islam-Berater in Sachen Finanzen<br />

vermuten.<br />

Lamprecht war IT-Techniker. Als er für seine<br />

sechsköpfige Familie Geld sparen wollte, brach<br />

2008 die Finanzkrise aus. Er suchte nach Alternativen<br />

zum wankenden Finanzsystem und wurde im<br />

Islamic Banking fündig. Er knüpfte Kontakte zum<br />

deutschen Beraternetzwerk „My Islamic Finance“.<br />

Seit Anfang des Monats arbeitet er mit ihnen.<br />

Er ist keine Bank, die auch Geld verborgt, weil er<br />

dafür eine Lizenz bräuchte. Schon gar nicht sei er<br />

einer dieser Kredithaie, weil das „haram“ (verboten)<br />

sei. Er berät unter der deutschen Dachmarke<br />

Kunden, wie sie ihr Geld „halal“ (erlaubt) anlegen<br />

können. Dafür verlangt er zwischen fünf und sechs<br />

Prozent Provision von der angesparten Summe.<br />

Seine Palette ist denkbar eingeschränkt: auf Gold<br />

und Scharia-Fonds. Die Fonds vertreibt ein österreichischer<br />

Partner. Lamprecht ist der Vermittler.<br />

In den Fonds stecken Firmen, die nichts mit Waffen,<br />

Glücksspiel, Versicherungen oder der Finanzbranche<br />

(wegen ihres Zinsgeschäftes) zu tun haben.<br />

Kunden, die ihr Geld in Gold anlegen, schließt er mit<br />

einem deutschen Gold-Anbieter kurz.<br />

„Natürlich kann der Goldpreis auch sinken“, sagt<br />

Lamprecht, aber dafür sei das Edelmetall krisensicher.<br />

„Gold ist noch nie pleitegegangen.“ Wofür<br />

sparen seine potenziellen Kunden Zum Beispiel für<br />

die Hadsch, erzählt er. Das ist die Pilgerreise nach<br />

Mekka, die jeder Gläubige einmal im Leben absolvieren<br />

muss. Oder für die Kinder. Oder ein Haus.<br />

Warum sollen die Muslime ihr hart zusammengekratztes<br />

Geld einem Kärntner anvertrauen Die<br />

muslimische Community umfasse viele Richtungen<br />

und Nationen. Es müsse deswegen kein Nachteil<br />

sein, zu keiner von ihnen zu gehören, sagt er.<br />

Ist er überhaupt Moslem Nicht direkt. Lamprecht<br />

ist evangelisch getauft, bezeichnet sich als religiös.<br />

Der Islam liege ihm von allen monotheistischen<br />

Religionen am meisten. Die hätten viel mehr<br />

Gemeinsames als Trennendes. Deswegen drängt es<br />

ihn nicht, zu konvertieren. Er betet nicht fünf Mal<br />

am Tag, besucht aber regelmäßig eine Moschee des<br />

türkischen Vereines Atib im 20. Bezirk. Die türkische<br />

Predigt versteht er nicht, er genieße die Atmosphäre.<br />

Er hofft, dass Atib und türkische Zeitungen seine<br />

Dienstleistung bei potenziellen Kunden bewerben.<br />

Die nennt er „Brüder“. 20 Abschlüsse im Monat peilt<br />

er mit diesen an, der Ottakringer Halal-Berater aus<br />

Kärnten.<br />

<br />

44<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


Entgeltliche Einschaltung<br />

W I R<br />

UNS.<br />

HPV ist keine reine Mädchensache. Krebs geht alle an. IMPFEN SCHÜTZT.<br />

Eine Infektion mit „Humanen Papilloma-Viren“ (HPV) kann bei Frauen UND<br />

Männern Krebs verursachen: Bösartige Tumore im Rachen- und Genitalbereich<br />

sowie Gebärmutterhalskrebs. Eine Impfung im Kindesalter kann schützen. Mädchen<br />

UND Buben. Im Rahmen des öffent lichen Impfprogrammes wird allen Kindern vom<br />

9. bis zum 12. Geburtstag nun kostenfrei eine HPV-Impfung angeboten.<br />

Informieren Sie sich auf www.bmg.gv.at/HPV und fordern Sie die<br />

Gratis-Broschüre an. Lassen Sie sich bei Ihrer Impfentscheidung von<br />

Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt oder in Ihrer Apotheke fachlich beraten.<br />

www.bmg.gv.at/HPV


<strong>almanah</strong><br />

Humus<br />

schlägt<br />

Liptauer<br />

46<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION<br />

Marko Mestrović


BEZAHLTE ANZEIGE<br />

Spar- Geschäftsführer<br />

Alois Huber und<br />

Neni-Gründerin Haya<br />

Molcho sprechen über<br />

die bunte Küche Wiens,<br />

warum Humus besser<br />

ankommt als Liptauer<br />

und wie die Zusammenarbeit<br />

zwischen Spar<br />

und Neni abläuft.<br />

Seit mehr als drei Jahren arbeiten Spar und die Wiener<br />

Szeneköchin Haya Molcho zusammen. Insgesamt gibt<br />

es 13 Produkte wie Falafeln, Humus und Kichererbsensalat.<br />

Aber auch eigens von Haya kreierte Eissorten wie<br />

„Erdnuss-Karamell“ oder „Limonana“ sind im Sortiment<br />

zu finden.<br />

Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Spar und Neni entstanden<br />

ALOIS HUBER: Ich war auf der Suche nach etwas Neuem<br />

abseits des Mainstreams und wollte unseren Kunden<br />

innovative Produkte bieten. So bin ich auf Neni<br />

gestoßen.<br />

HAYA MOLCHO: Ja, Alois ist bei einer Veranstaltung auf<br />

mich zugekommen und so ist unsere Kooperation entstanden<br />

- ohne Druck, fast wie von selbst.<br />

Und läuft die Kooperation gut<br />

HAYA MOLCHO: Ausgezeichnet! Spar hat uns von Anfang<br />

an Zeit gegeben, damit wir uns einarbeiten. Wir<br />

hatten keine Erfahrung mit Produktionen in diesem<br />

Ausmaß, da ist die Verantwortung ja noch viel größer<br />

als in der Gastronomie. Ich kann mich noch genau erinnern,<br />

wie ich vor genau zwei Jahren in der Küche am<br />

Naschmarkt gestanden bin und Produkte für die erste<br />

Spar-Filiale mit Freunden und Familie verpackt habe.<br />

Ich muss schon sagen, dass ich stolz bin, dass wir uns<br />

so schnell weiterentwickelt haben.<br />

ALOIS HUBER: Die Zusammenarbeit läuft toll, weil<br />

Haya authentische und innovative Produkte liefert.<br />

Deswegen gibt es die Neni-Produkte mittlerweile flächendeckend<br />

an 1.400 Standorten.<br />

Was ist das Erfolgsrezept Ihrer Zusammenarbeit<br />

ALOIS HUBER: Auch wenn wir ein urösterreichisches<br />

Unternehmen sind, haben wir ein weltoffenes und<br />

menschenfreundliches Verständnis. Mit den Neni-Produkten<br />

bringen wir Lifestyle in unsere Supermärkte.<br />

Wir passen unsere Produktpalette der kulturellen Vielfalt,<br />

die es in Wien gibt, an.<br />

HAYA MOLCHO: Das Geheimnis ist, dass wir uns Schritt<br />

für Schritt hochgearbeitet haben. Und wir helfen uns<br />

gegenseitig: Wenn ich Eigenwerbung mache, versuche<br />

ich immer, Spar mit einzubringen. Das bringt meinen<br />

Kunden auch etwas, weil sie so wissen, wo sie Neni-Produkte<br />

finden können.<br />

Die österreichische Küche unterscheidet sich stark von der<br />

orientalischen. Wie sind die Reaktionen auf die Neni-Produkte<br />

bei Spar<br />

HAYA MOLCHO: Es ist ganz klar, dass ich bei meinen<br />

Rezepten auf den Geschmack der Österreicher eingehe.<br />

Ich entnehme den Gerichten beispielsweise die Schärfe.<br />

Ich respektiere die österreichische Esskultur, gleichzeitig<br />

bringe ich meine Kultur hinzu. Deswegen funktioniert<br />

das Ganze so gut. Diese Adaption macht es aus.<br />

ALOIS HUBER: Wenn ich vor fünf Jahren einen Österreicher<br />

gefragt hätte, was Humus ist, hätte er mit<br />

Erde geantwortet. Heute verkauft sich der Humus von<br />

Neni trotz der Wiener Heurigenkultur besser als Liptauer-Aufstrich.<br />

Sehr stark im Kommen ist auch die Rote<br />

Rüben-Humus Variation.<br />

Richten sich die Neni-Produkte bei Spar an junge Menschen<br />

ALOIS HUBER: Neni gehört zum neuen Lebensgefühl<br />

von jungen Menschen, die interkulturell unterwegs sind<br />

und Spar deckt das mit Lebensmitteln ab. Die Produkte<br />

reflektieren dieses Lebensgefühl und das ist gut so!<br />

HAYA MOLCHO: Ja, stimmt. Wenn du Neni kaufst, bist<br />

du einfach ‚cool’ (lacht).<br />

Ein Stichwort noch: Regionalität.<br />

ALOIS HUBER: Regionalität ist in Wien mehr als das<br />

Gemüse aus der Stadt. Wien hat eine traditionsgeprägte<br />

Genusskultur - dafür steht der Naschmarkt,<br />

aber auch Produzenten wie z.B. Heindl, Staud’s, Piccini<br />

und viele mehr. Daneben ist diese Genusskultur auch<br />

von einer jungen, internationalen und trendigen Strömung<br />

beeinflusst - dafür ist „NENI am Tisch“ eines der<br />

besten Beispiele.<br />

HAYA MOLCHO: Ich kann dazu nur sagen, dass ich jeden<br />

einzelnen meiner Lieferanten kenne und niemals<br />

bei einem Fremden bestellen würde. Mir ist es irrsinnig<br />

wichtig, dass ich weiß, woher die Zutaten kommen, die<br />

ich für meine Gerichte verwende.<br />

„Spar enjoy<br />

by Neni“<br />

Seit Neuestem gibt es<br />

auch die Linie „spar<br />

enjoy by neni“. Damit<br />

verbinden Spar und<br />

Neni die Eigenmarke<br />

von Spar und „Neni am<br />

Tisch“. Die Menschen<br />

haben heutzutage viel,<br />

aber eines haben sie<br />

nicht: Zeit. Genau darauf<br />

geht die Linie ein.<br />

Das Prinzip ist einfach.<br />

Das Essen soll gesund,<br />

lecker und schnell<br />

sein. Haya Molcho hat<br />

die Rezepte selbst<br />

kreiert und hat lange<br />

daran gewerkelt, um<br />

die perfekte Kombination<br />

zu schaffen. Die<br />

Zeiten des Junkfoods<br />

sind vorbei. Mit den<br />

verschiedenen Salatvariationen<br />

geben Spar<br />

und Neni den Kunden<br />

die Möglichkeit, auf<br />

ihre Ernährung zu achten,<br />

auch wenn sie im<br />

Stress sind.<br />

47


<strong>almanah</strong><br />

赋<br />

mandarin für »Talent, Geschenk des Himmels«<br />

48<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


SPORT, MEDIEN & KULTUR<br />

Ob serbischer Volksbrauch in Favoriten oder eine Mannschaft für Menschen<br />

mit geistigen und körperlichen Handicaps - erfolgreiche Integration<br />

ist überall umsetzbar. Auch in der biber-Akademie, die Jungjournalisten<br />

ausbildet.<br />

S. 50-52<br />

KOLOMEISTER AUS FAVORITEN<br />

Der traditionelle Volksbrauch Folklore ist bei serbischen<br />

Jugendlichen besonders beliebt. Wir haben die diesjährigen<br />

Europameister aus Wien bei einem ihrer Auftritte<br />

begleitet.<br />

S. 54-56<br />

ENDLICH MITTWOCH<br />

Der Rekordmeister Rapid hat eine Fußballmannschaft<br />

für Menschen mit geistigen und körperlichen Handicaps<br />

gegründet. Sie lachen, weinen, spielen zusammen und<br />

ergänzen sich gegenseitig.<br />

S. 58–59<br />

MADE BY BIBER<br />

Sie arbeiten im Außenministerium, schreiben für große<br />

österreichische Medien, landen beim Radio oder sind<br />

stellvertretende Chefredakteure. Ein Überblick über die<br />

biber-Akademiker.


<strong>almanah</strong><br />

Kolomeister aus<br />

Favoriten<br />

Ausgerechnet der Verein „Kud Stevan Mokranjac“<br />

aus Favoriten hat sich bei der EM in serbischer<br />

Folklore in Banja Luka gegen insgesamt 60<br />

Konkurrenten bewiesen. biber begleitet den<br />

Sieger bei einem Auftritt und erfährt, was hinter<br />

den Kulissen vorgeht und warum der Volksbrauch<br />

so wichtig für die Community ist.<br />

TEXT:<br />

Alexandra Stanić<br />

FOTOS:<br />

Marko Mestrović<br />

„Folklore ist<br />

mein Leben!“<br />

Ein Mädchen in einer gold verzierten Tracht und<br />

mit buntem Haarschmuck zieht sich gestrickte<br />

Socken über die Knie. Sie bindet lederne Sandalen<br />

um ihre Knöchel, streicht ihr Kostüm glatt. Ihr<br />

Name ist Suzana Todić, sie ist 19 Jahre alt und Folklore-Tänzerin<br />

bei dem serbischen Verein „Kud<br />

Stevan Mokranjac“. Um sie herum herrscht reges<br />

Treiben. In der einen Ecke der Garderobe stehen<br />

ein paar Jungs, schlüpfen in mit Blumen bestickte<br />

Hemden und helfen sich gegenseitig beim Festmachen<br />

des Bauchgürtels. Auf der anderen Seite probt<br />

eine Gruppe von stark geschminkten und in Trachten<br />

gekleideten Mädchen ein altes serbisches Volkslied.<br />

Suzana richtet sich auf, blickt strahlend in ihr<br />

Spiegelbild und erneuert ihren pinken Lippenstift.<br />

Obwohl der Gesang im Hintergrund eine beruhigende<br />

Wirkung hat, ist die Stimmung im Umkleidezimmer<br />

konzentriert und angespannt. Eine der<br />

Sängerinnen läuft nervös im Raum hin und her, übt<br />

immer wieder den Text ein.<br />

„Kein simples Herumgehüpfe“<br />

Folklore kann man sich in etwa so vorstellen: Eine<br />

Gruppe von traditionell gekleideten Mädchen und<br />

Jungen performt eine Show, die alte Bräuche widerspiegelt.<br />

Manchmal geht es um Hochzeiten, Festlichkeiten<br />

wie die Slava (siehe biber-Ausgabe 05/14)<br />

oder um ein Neugeborenes. Das Ganze ist kombiniert<br />

mit altertümlichem Gesang, Gedichten und<br />

einem Volkstanz, der je nach Region eine andere<br />

Schrittfolge hat. Auch das Aussehen der Trachten<br />

ist abhängig von der Gegend. Folklore ist am ganzen<br />

Balkan verbreitet und beinhaltet die Tradition verschiedener<br />

ethnischer Gemeinschaften. In Wien hat<br />

sich eine eigene Subkultur entwickelt. In der gesamten<br />

ex-jugoslawischen Community ist Folklore ein<br />

Bestandteil für die Aufrechterhaltung alter Werte,<br />

doch vor allem in der serbischen Szene ist der Volksbrauch<br />

wichtig. So gibt es sechs große serbische<br />

Vereine in Wien: Stevan Mokranjac, Karadjordje,<br />

Branko Radićević, Bambi und Jedinstvo.<br />

Suzana selbst tanzt seit zwei Jahren bei „KUD<br />

Stevan Mokranjac“ im zehnten Bezirk. Der Klub<br />

bereitet sich für einen Auftritt beim serbischen<br />

Fernsehsender „RTS“ vor. Mehrere Wiener Vereine<br />

sind anwesend, aber als Gewinner der diesjährigen<br />

Europameisterschaft in serbischer Folklore muss<br />

sich der Klub Stevan Mokranjac von seiner besten<br />

Seite zeigen. Im Oktober haben sie sich gegen<br />

insgesamt 60 Teilnehmer bei der EM in Banja Luka,<br />

Bosnien-Herzegowina, bewiesen und sind nun zum<br />

zweiten Mal infolge Sieger. Mit 99 Punkten von 100<br />

möglichen erreichten sie die höchste Punkte-Vergabe<br />

in der Geschichte. Dafür haben sie hart<br />

trainiert: Drei Mal die Woche proben sie, nur wer<br />

regelmäßig trainiert, darf auch mittanzen. Suzana<br />

erzählt, dass das Training knallhart ist, die Tänzer<br />

müssen vollen Körpereinsatz zeigen. „Das ist kein<br />

simples Herumgehüpfe, nach zwei Stunden ist jeder<br />

von uns komplett fertig.“<br />

„Folklore ist ein Teil von mir“<br />

Das bestätigt der Vereins-Choreograph Milorad<br />

Runjo. „Ich verlange viel Disziplin von meinen<br />

Tänzern“, sagt der 36-Jährige. Aber nicht nur das<br />

Trainieren ist zeitaufwendig. Die Tänzer touren oft<br />

auch durch ganz Europa, besuchen andere serbische<br />

Folklore-Vereine und tanzen bei verschiede- ‣<br />

50<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 51


<strong>almanah</strong><br />

eines Tanzes höre, weiß ich, was für eine Schrittfolge<br />

gewählt wird“, ist sie sich sicher.<br />

Bei dem Auftritt für das serbische Fernsehen<br />

hat sich KUD Stevan Mokranjac für einen vlachischen<br />

Tanz entschieden, der aus der Region der<br />

serbisch-rumänischen Grenze stammt. Es bleiben<br />

noch 20 Minuten, bevor die Show beginnt. Die<br />

Mimik des Choreographen wird streng, er befiehlt<br />

der Sängerinnen-Gruppe ein letzte Probe. Nebenbei<br />

weist er ein paar Jungs zurecht, deren Kappen schief<br />

sitzen. Er zieht die Schürze eines Mädchens enger,<br />

richtet ihren Haarschmuck. Alle müssen perfekt<br />

aussehen.<br />

nen Veranstaltungen. Die Reisen finanzieren sie<br />

sich selbst. Der Großteil von Suzanas Freundeskreis<br />

tanzt Folklore, die Mitglieder und der Verein sind<br />

eng miteinander verbunden. „Ich identifiziere mich<br />

als Folklore-Tänzerin“, erklärt die 19-Jährige. „Folklore<br />

ist einfach ein Teil von mir.“<br />

Einer von Suzanas Tanzpartnern, Ivan Ban, kann<br />

ihr nur zustimmen. Seit vier Jahren tanzt der Schüler<br />

bei dem Verein Stevan Mokranjac. „Tanzen ist alles<br />

für mich, es ist wie eine Sucht“, beschreibt der<br />

18-Jährige seine Folklore-Liebe. Vielen anderen in<br />

seinem Alter scheint es genauso zu gehen. Allein in<br />

dem Klub Stevan Mokranjac tanzen über 200 Personen.<br />

„Eltern schicken ihre Kinder zum Folklore, weil<br />

es ein sicherer Ort ist und so die serbische Tradition<br />

erhalten bleibt“, meint Saša Božinović, stellvertretender<br />

Obmann des Vereins. Insgesamt gibt es fünf<br />

Tanzgruppen, in der Hauptgruppe ist die Jüngste 15,<br />

der Älteste 25. Es gibt aber keine fixe Gruppe, die<br />

immer auftritt. Es kommt ganz darauf an, wer am<br />

besten tanzt, immer bei den Proben ist und wie viele<br />

Personen auf die Bühne sollen.<br />

„Nach zwei<br />

Stunden Intensivtraining<br />

sind wir alle<br />

völlig außer<br />

Puste.“<br />

Mehr als nur ein Hobby<br />

Nach stundenlangem Warten und Vorbereiten ist<br />

es soweit: Die EM-Sieger sind an der Reihe. Als die<br />

Gruppe die Bühne betritt, stimmen die Musiker des<br />

Vereins mit Trommel, Ziehharmonika und Flöte die<br />

Melodie an. 20 Personen bewegen sich in gleichem<br />

Tempo, die bunt bestickten Trachten der Mädchen<br />

schwingen in der Luft. Ledersandalen berühren kurz<br />

den Boden, bevor sie wieder in die Höhe schnellen.<br />

Die Melodie wird schneller, ein kurzer, hoher Schrei<br />

ertönt während des Tanzes - alles Teil der Show. Das<br />

Publikum applaudiert, der Auftritt ist gut gelungen.<br />

Die Stimmung der Tänzer ist jetzt entspannt,<br />

sie marschieren direkt zur Garderobe, reden ausgiebig<br />

miteinander. Am nächsten Tag findet bereits<br />

die nächste Probe statt, der Verein muss sich für<br />

die nächsten Auftritte vorbereiten. Geld verdienen<br />

die Tänzer übrigens keins, aber darum geht es den<br />

Jugendlichen auch gar nicht. „Wir tanzen nicht, weil<br />

es nur ein Hobby ist oder weil wir Geld bekommen<br />

wollen“, erklärt Suzana. „Wir tanzen Folklore, weil<br />

es eine Verbindung zu unserer Tradition ist.“ <br />

Tracht, Schritt, Musik<br />

Der 45-jährige Stellvertreter erzählt weiter, dass der<br />

Gesamtwert der Trachten im fünfstelligen Bereich<br />

liegt. Es handelt sich um handgefertigte Einzelstücke,<br />

die am Balkan hergestellt wurden und bis zu 150<br />

Jahre alt sind. Anhand der Kleidung erkennt jeder<br />

Folklore-Kenner, woher die vorgeführten Stücke<br />

stammen. Zwei weitere Kriterien sind die Schrittwahl<br />

und die Musik. So sieht man anhand dieser<br />

drei Dinge, aus welcher Region des Balkans der Tanz<br />

gewählt wurde oder ob es sich um kroatische, bosnische<br />

oder mazedonische Vereine handelt. Suzana<br />

bestätigt diese Aussage. „Wenn ich die Melodie<br />

52<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Türkischunterricht<br />

Je mehr Sprachen wir können, desto<br />

besser für uns. Nur Türkisch nicht. Da<br />

wird die Diskussion sofort politisch.<br />

Clemens Fabry<br />

Viele<br />

Migrantenkinder<br />

lernen<br />

ihre Muttersprache<br />

meist<br />

nur vom<br />

Hören.<br />

Literatur, von allem ein bisschen. Für einen ausführlichen<br />

Unterricht waren die Stunden zu wenig, aber<br />

was wir zumindest erhalten haben, war ein Gefühl<br />

für unsere Muttersprache, zu der wir sonst kaum<br />

einen vollständigen Zugang erhalten hätten.<br />

Rumpf<br />

Wenn wir eine Sprache lernen, dann lernen wir sie<br />

automatisch und logisch auf mehreren Ebenen:<br />

Rechtschreibung, Syntax, Aussprache, Redewendungen,<br />

Dialekte usw. Viele Migrantenkinder lernen<br />

ihre Muttersprache aber meistens nur vom Hören,<br />

der Wortschatz ist auf den Wortschatz des Alltags<br />

beschränkt und bleibt auch so. Man bekommt kaum<br />

einen Einblick in all diese Ebenen, die es braucht,<br />

um eine Sprache vollständig zu begreifen. Was<br />

bleibt, ist der Rumpf einer Sprache, die man sprechen,<br />

aber kaum lesen und – viel wichtiger– fühlen<br />

kann. Diese Kinder sind schlecht vorbereitet für den<br />

Deutschunterricht: Sie stolpern in die Schule mit<br />

halben Kenntnissen, und daraus sollen die Lehrer<br />

eine gepflegte Sprache basteln Der muttersprachliche<br />

Unterricht biegt hier einiges zurecht; es ist nur<br />

logisch, diesen Unterricht weiter zu fassen. Mit den<br />

meisten Sprachen passiert das auch.<br />

Dieser Kommentar wurde von<br />

der Tageszeitung „Die Presse“<br />

zur Verfügung gestellt.<br />

In der türkischen Sprache gibt es kein ck, sehr<br />

wohl aber ein hartes k, das rau ausgesprochen, aber<br />

eben nur mit einem k wiedergegeben wird. Im muttersprachlichen<br />

Unterricht in meiner Vorarlberger<br />

Schule haben wir Kinder türkische Wörter oft mit<br />

ck statt k geschrieben. Nicht, dass du glaubst, wir<br />

waren ein begriffsstutziger Haufen: Vielmehr hat<br />

ck, der natürliche Feind unseres Türkischlehrers,<br />

den armen Mann derart an den Rand der Verzweiflung<br />

gebracht, dass seine Vorschläge für Eselsbrücken<br />

immer grotesker wurden. Und darüber haben<br />

wir uns in den Pausen natürlich amüsiert wie Kaiser<br />

und Könige. Kinder sind so grausam, das kannst du<br />

dir überhaupt nicht vorstellen.<br />

Was wir im Türkischunterricht sonst so gemacht<br />

haben: Diktate, vorlesen, Landeskunde, türkische<br />

Nur nicht mit Türkisch.<br />

Dann wird die Debatte – wir sehen es an der aktuellen<br />

Diskussion um die Türkischmatura – sofort<br />

politisch. Dadurch würden die Integrationsbemühungen<br />

zunichtegemacht, heißt es (Umfragen<br />

zufolge führen Türken ja das Integrationsunwilligkeitsranking<br />

an). Aber was an der Tatsache, dass wir<br />

in Österreich mehr Lehrer mit zusätzlichen Fremdsprachenkenntnissen<br />

ausbilden, die in österreichischen<br />

Schulen nach österreichischem Lehrplan<br />

unterrichten, was also daran integrationsfeindlich<br />

sein soll, das habe ich bis heute nicht verstanden. <br />

Duygu Özkan wurde in der Türkei geboren, wuchs in Vorarlberg<br />

auf und schreibt in Wien.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 53


<strong>almanah</strong><br />

Endlich<br />

Mittwoch<br />

TEXT:<br />

Christian Hackl<br />

FOTOS:<br />

Christian Fischer<br />

54<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Rekordmeister Rapid hat ein Special Needs<br />

Team gegründet. Die Fußballer haben<br />

geistige oder körperliche Handicaps. Sie<br />

sehen, hören, laufen, kämpfen, spielen,<br />

lachen, weinen und gewinnen gemeinsam.<br />

Es wird nur auf<br />

dem halben<br />

Feld gespielt.<br />

Diese Reportage wurde von<br />

der Tageszeitung „Der Standard“<br />

zur Verfügung gestellt.<br />

Daniel hat ein wesentliches Kriterium gar nicht<br />

erfüllt. Rapid ist ihm ziemlich wurscht gewesen.<br />

Das Geschwafel über Kult, Religion, Lebensphilosophie<br />

ist spurlos an ihm vorbeigezogen. Er kannte<br />

es maximal vom Weghören. Massenansammlungen<br />

meidet er, auf der Tribüne stehen, Fahnen schwenken<br />

und grölen, „war nie meine Welt. Ich mache<br />

lieber selbst Sport.“ Der 29-Jährige rennt gerne, die<br />

100 Meter schafft er in 12,4 Sekunden. Weitspringen<br />

kann er auch. Fußballprofi war nie sein Traumberuf,<br />

insofern ist egal, „dass ich es nicht geworden bin“.<br />

Daniel wollte LKW-Fahrer sein. Hat nicht geklappt,<br />

konnte nicht klappen. „Weil ich praktisch blind<br />

bin.“<br />

Er leidet an Albinismus, einer Erbkrankheit,<br />

die - medizinisch laienhaft ausgedrückt - die Haut<br />

hell und die Augen in vielen Fällen dunkel macht.<br />

Tagsüber sitzt Daniel in der Uni Wien im Callcenter.<br />

„Man muss die Dinge akzeptieren, wie sie sind.“<br />

Es ist Mittwochabend. Seit Mai sind die Mittwochabende<br />

etwas „Spezielles“. Das SK Rapid Special<br />

Needs Team trainiert von 19 bis 20.30 Uhr neben dem<br />

Hanappi-Stadion, das gerade niedergerissen wird.<br />

Die Übungsplätze bleiben von den Baggern vorerst<br />

verschont. Jakob und Florian denken ab Donnerstag<br />

an den Mittwoch. Es sei „wahnsinnig aufregend“, das<br />

grün-weiße Rapid-Dress tragen zu dürfen, sagen sie.<br />

Sie haben das Downsyndrom, sind jeweils 18 Jahre alt<br />

und praktisch unzertrennlich. Die beiden bekommt<br />

man ausschließlich im Doppelpack. Sie lachen<br />

gemeinsam, weinen gemeinsam, kicken gemeinsam.<br />

„Und Tennisspielen können wir auch gemeinsam.“<br />

Jakob ist Küchengehilfe beim Plachutta, er<br />

putzt das Besteck so lange, „bis es glänzt. Ich darf<br />

Reis und Kartoffelpüree kochen. Du glaubst gar<br />

nicht, wie gut das schmeckt. Wenn du willst, mache<br />

ich dir einmal ein Erdäpfelpüree, das ist echt kein<br />

Problem.“ Florian ist in einer Gärtnerei beschäftigt.<br />

Im Herbst, sagt er, sei die Arbeit stressig. „Viel Laub,<br />

das hört nie auf runterzufallen, muss aber weg.“<br />

Feuer und Flamme<br />

Rückblick, Sommer 2013. Rapids Generalmanager<br />

Werner Kuhn weilte in Liechtenstein, sah ein Turnier<br />

von Behindertenteams. „Ich war fasziniert von<br />

diesem Teamgeist, dieser Freude, dieser Fairness,<br />

dieser Normalität.“ Die Akteure hatten unterschiedliche<br />

Handicaps, körperliche und/oder geistige.<br />

Im anglikanischen Raum gibt es diese gemischten<br />

Teams schon seit Jahren, bei Arsenal oder Liverpool<br />

sind sie eine Selbstverständlichkeit. Kuhn wollte<br />

das unbedingt „bei Rapid haben“. Akademie-Leiter<br />

Peter Grechtshammer war erstens Feuer und zweitens<br />

Flamme, das Projekt kam in die Gänge.<br />

Der Grad des Handicaps spielt eher eine untergeordnete<br />

Rolle, der Behindertensportverband hat<br />

bei der Kicker-Auswahl geholfen. Grechtshammer:<br />

„Wichtig war, dass sie sich mit Rapid identifizieren.“<br />

Der Kader umfasst zumindest 16 Spieler, sie<br />

sind zwischen 16 und 35 Jahre alt. Was das Projekt<br />

kostet Kuhn: „In diesem Fall spricht man nicht<br />

übers Geld.“<br />

Jakob und Florian passen perfekt ins Schema. Sie<br />

versäumen praktisch keine Heimpartie der Profis.<br />

Steffen Hofmann nennen sie „Fußballgott“, auch<br />

Terrence Boyd sei super. Dass der mittlerweile für<br />

Leipzig stürmt, ist ihnen wurscht oder entgangen.<br />

„Man soll die Welt nicht so eng sehen.“<br />

Irgendein Mittwochabend seit Mai, kurz vor 19<br />

Uhr. Alle sind pünktlich eingetroffen. Disziplin ist<br />

wichtig. Wer verhindert ist, muss sich abmelden. Sie<br />

fassen Dressen aus, Hektik in der Kabine. Jakob und<br />

Florian umarmen Trainer Jürgen Kerber (sie reißen<br />

ihn fast zu Boden), fragen, wann es denn endlich<br />

losgeht. Kerber sagt: „Gleich.“ Eine kurze Besprechung,<br />

Treppen hoch, raus aufs Feld. Der 29-jährige<br />

Kerber ist Kindergartenpädagoge, betreut seit sechs<br />

Jahren die U14.<br />

Der Vorarlberger strebte eine Karriere als Fußballer<br />

an, allerdings übertraf die Zahl der Verletzungen<br />

jene der Einsätze. Kerber ist mittlerweile „süchtig<br />

nach den Mittwochabenden“. Unterstützt wird<br />

er von Matias Costa und Dominik Formann. „Wir<br />

wollen zeigen, dass jeder, der möchte, Fußballspielen<br />

kann.“ Das Special Needs Team ist für Kerber<br />

„etwas ganz Normales. Es geht darum, besser zu<br />

werden, zu gewinnen. Man soll die Leute fordern,<br />

nicht überfordern.“ Natürlich seien gewisse Grenzen<br />

gesetzt. Es wird nur auf dem halben Feld gespielt,<br />

„das ganze wäre zu groß, zu anstrengend“. Die<br />

Partien dauern zweimal 15 Minuten. „Ich versuche<br />

auch, ihnen Taktik beizubringen. Die Fortschritte<br />

sind enorm.“ Was er selbst von der Arbeit mit ‣<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 55


<strong>almanah</strong><br />

Das Problem ist, dass das Specials Needs Team keine Gegner hat. Um sich zu messen, müssen sie ins Ausland reisen.<br />

den Behinderten gelernt hat „Demut, Geduld,<br />

Glück.“<br />

Schlangen sind taub<br />

Erste Aufgabe: „Jeder schnappt einen Ball.“ Der<br />

34-jährige Owen stammt aus Jamaika. Er ist gehörlos,<br />

sieht das Kommando. Der Mann kann kicken,<br />

seine Schüsse sind Striche. Er arbeitet im Reptilienzentrum.<br />

„Schlangen hören auch nicht“, tippt er<br />

später in sein Smartphone.<br />

Die Bälle werden eng am Fuß geführt, Doppelpass,<br />

Gleichgewichtsübungen, Freistöße, internes<br />

Match. Daniel hatte ursprünglich Bedenken. „Ich<br />

dachte nicht, dass es funktioniert. Aber es klappt.<br />

Die Handicaps werden gegenseitig wettgemacht.<br />

Der eine sieht für mich, ich höre für den Tauben<br />

und laufe für den, dessen Beine langsam sind.“<br />

Jakob schießt ein Tor, Florian ist der erste Gratulant,<br />

Kerber sagt: „Das schaut nach Profivertrag<br />

aus.“ Jakob: „Wirklich“ Kerber: „Ich werde mit<br />

Zoran Barisic sprechen.“ Fällt einer um, machen die<br />

anderen abrupt Pause. Steht er auf, applaudieren sie.<br />

Weiter geht‘s.<br />

Daniel, und wie er die Welt sieht: „Ich erkenne<br />

Ich erkenne<br />

den Ball erst<br />

dann, wenn er<br />

knapp vor mir<br />

auftaucht.<br />

den Ball erst, wenn er knapp vor mir auftaucht.<br />

Ich mache ihn aber nicht als Ball aus, sondern als<br />

Fetzen. Schwer zu erklären.“ Sein Erfolg hängt von<br />

den Zurufen ab. „Ich weiß, wo das Tor stehen muss,<br />

das Gefühl entwickelt man.“ Daniel hat mittlerweile<br />

auch das zweite Kriterium erfüllt. Er war im<br />

Rapideum, dem Vereinsmuseum. „Da atmet man<br />

Geschichte ein.“<br />

Das Problem ist, dass das Specials Needs Team<br />

keine Gegner hat. Um sich zu messen, muss ins<br />

Ausland gereist werden. Im Juni wurde ein Turnier<br />

in Liechtenstein und der Schweiz gewonnen. Die<br />

Gegner waren Arsenal, Chelsea, FC Zürich, Benfica<br />

Lissabon. Rapid hat kein Gegentor kassiert.<br />

20.30 Uhr, Trainingsende. Dressen in den Wäschekorb,<br />

duschen. Jakob und Florian sind traurig, Kerber<br />

sagt: „Der nächste Mittwoch kommt bestimmt.“<br />

Daniel würde übrigens jene berühmt-theoretische<br />

Fee, die drei Wünsche vergibt, wegschicken.<br />

„Wer will schon das Gewohnte aufgeben Ich habe,<br />

wie jeder andere, Angst vor Veränderungen. Den<br />

Mittwochabend will ich aber nicht mehr missen.“<br />

Jakob sagt: „Ich will im Fußball gewinnen. Aber<br />

wenn man verliert, geht die Welt auch nicht unter.<br />

Ich koch‘ dir dann ein Erdäpfelpüree.“ <br />

56<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 57


<strong>almanah</strong><br />

Delna Antia,<br />

biber-Akademie 2012<br />

stv. Chefredakteurin<br />

„das biber“<br />

Martin Smetana,<br />

biber-Akademie 2011<br />

Innenpolitikredakteur<br />

„Salzburger Nachrichten“<br />

Amra Ducic´ ,<br />

biber-Akademie 2012<br />

Pressereferentin im<br />

Außenministerium<br />

Monate lang werden je vier Stipendiaten<br />

ausgebildet und sie veröffentlichen<br />

ihre Interviews, Berichte und Reportagen<br />

online und im Heft. Zwei weitere Monate<br />

absolvieren die biber-Akademiker in<br />

einem Partnermedium oder einer Pressestelle<br />

ihrer Wahl.<br />

Made by biber<br />

Sie sind jung, ihre<br />

Wurzeln sind auf der<br />

ganzen Welt verstreut<br />

und sie wollen schreiben.<br />

Die biber-Akademie<br />

bildet Jungjournalisten<br />

mit internationalem<br />

Background aus. Unsere<br />

Absolventen arbeiten<br />

mittlerweile für Medien<br />

wie die Salzburger<br />

Nachrichten, fm4,<br />

Kurier oder auch im<br />

Außenministerium.<br />

Was soll da erst in den nächsten<br />

Jahren kommen Wir blicken auf ein paar<br />

Erfolgsstories unserer „Medienprofis mit<br />

scharf“ zurück. Amra Ducić erinnert sich<br />

gerne an ihre Akademiezeit. „Ich hatte bis<br />

dahin keine Erfahrung im Journalismus,<br />

biber hat mir Einblick in die Medienwelt<br />

gewährt“, erzählt die 26-jährige Bosnierin.<br />

Heute arbeitet Amra in der Presseabteilung<br />

des Außenministeriums, ist dort hauptsächlich<br />

für Integrationsagenden zuständig<br />

und betreut die Social Media Kanäle<br />

des Ministeriums mit. „Ich habe dank der<br />

Akademie gelernt, wie ich mich in dieser<br />

Branche durchsetze.“<br />

Genau aus diesen Gründen wurde die<br />

biber-Akademie 2011 ins Leben gerufen:<br />

Um engagierte Jungjournalisten mit internationalen<br />

Wurzeln für die Medien- und<br />

Kommunikationswelt vorzubereiten. Zwei<br />

Fashionistas und Politikredakteure<br />

Über 60 Jungjournalisten mit und ohne<br />

Migrationshintergrund haben bisher die<br />

biber-Akademie besucht. Viele von ihnen<br />

sind im Journalismus geblieben und verfassen<br />

Beiträge für Medien wie die Salzburger<br />

Nachrichten, fm4, Kurier, Wiener<br />

Zeitung, Heute, Bezirkszeitung und sogar<br />

für deutsche wie stern.de. Andere bleiben<br />

biber treu: 2012 absolvierte Delna Antia<br />

die Akademie, um danach direkt bei den<br />

Großen mitzuspielen. Die Deutsche mit<br />

parsischen Wurzeln ist stellvertretende<br />

Chefredakteurin und koordiniert das Heft<br />

- ganz nebenbei organisiert sie Mode-Fotostrecken<br />

und Fashionshows mit internationalen<br />

Designern.<br />

Die biber-Stipendiaten verschlägt es<br />

in die verschiedensten Richtungen: Zum<br />

Beispiel Marian Smetana, der 2011 in der<br />

Akademie war und heute Innenpolitikredakteur<br />

bei den „Salzburger Nachrichten“<br />

ist. Amra Durić ist nach ihrem biber-Praktikum<br />

direkt in das Kulturressort der<br />

Heute-Zeitung gewechselt und ist dort<br />

seither fix angestellt. Menerva Hammad<br />

hingegen macht von allem ein bisschen:<br />

Nach der Akademie, die sie 2013 besucht<br />

hat, arbeitet sie für den österreichischen<br />

Integrationsfonds. Danach hat die<br />

25-Jährige ein Praktikum beim TV-Sender<br />

PULS 4 gemacht. Nun hat die gebürtige<br />

Ägypterin Österreich verlassen und zog<br />

der Liebe wegen nach Kuwait. Ganz verloren<br />

geht sie Wien aber trotzdem nicht:<br />

Menerva wird biber weiterhin Geschichten<br />

aus arabischen Ländern liefern. <br />

58<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Sponsoren der biber-Akademie:<br />

Felicitas Matern<br />

„Mir ist eine Versachlichung der Integrationsdebatte sehr wichtig. Dabei können Journalisten<br />

mit Migrationsbackground viel dazu beitragen und daher unterstützen wir die<br />

biber-Akademie. Zudem geht es mir aber auch einfach darum, dass Integration gelebt<br />

wird und auch möglichst viele Menschen mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten im<br />

Journalismus beschäftigt sind.“<br />

SEBASTIAN KURZ, Bundesminister für Europa, Äußeres und Integration<br />

„Die Zahl der jungen Menschen mit Migrationshintergrund steigt stetig und sie sind ein<br />

fester Bestandteil der Berichterstattung in der österreichischen Medienlandschaft. Die<br />

biber-Akademie gibt diesen jungen Menschen die Möglichkeit, das nötige Handwerk zu<br />

erlernen, um diese Berichterstattung selbst mitzugestalten – durch ihre persönliche<br />

Betroffenheit, ihr Wissen und ihr Engagement. Wir von der Wiener Städtischen Versicherung<br />

freuen uns, dieses Projekt, das viel zur Integration und zu einem verständnisvolleren<br />

Miteinander beiträgt, zu unterstützen.“<br />

JUDIT HAVASI, Generaldirektor-Stellvertreterin der Wiener Städtischen Versicherung<br />

Ian Ehm<br />

„Wir sind ein internationaler Öl- und Gaskonzern, in dem mehr als 60 verschiedene<br />

Nationen an einem Strang ziehen. Das macht uns erfolgreich und stark. Integration wird<br />

bei uns gelebt und gespürt, einer von uns ist immer in einem unserer 30 Länder neu. Und<br />

dabei hat uns, als OMV, die Idee der biber-Akademie sofort begeistert. Wir wünschen<br />

viel Erfolg und freuen uns auf die neue Kommunikationsgeneration!“<br />

MICHAELA HUBER, Senior Vice President Corporate Communications & Sustainability OMV<br />

OMV<br />

„Damit Diversity und Inklusion keine Slogans bleiben, müssen beide Begriffe mit Leben<br />

erfüllt werden. Daher ist es wichtig, dass engagierte JungjournalistInnen mit migrantischen<br />

Wurzeln ihre Talente und Fähigkeiten einbringen und die Sichtweisen der Medien<br />

erweitern. Gerade der Start in der Medienbranche ist oftmals schwierig. Die Wirtschaftskammer<br />

Wien unterstützt die Biber-Akademie, um diese Generation der neuen<br />

ÖsterreicherInnen auf ihrem Weg zu fördern und zu stärken.“<br />

WALTER RUCK, Wiener Wirtschaftskammer-Präsident<br />

„NOVOMATIC will zu einer vielfältigen Zivilgesellschaft beitragen und unterstützt daher<br />

die Akademie für Nachwuchsjournalisten. Journalisten mit migrantischem Background<br />

bringen eine neue, längst überfällige Sichtweise in die festgefahrene Integrationsdebatte<br />

in Österreich ein.“<br />

HARALD NEUMANN, Generaldirektor Novomatic AG<br />

Weinwurm<br />

Novomatic<br />

„Die Industriellenvereinigung unterstützt gerne die biber-Akademie, da hier offene und<br />

kritische junge Menschen als zukünftige, journalistische Exzellenz Österreichs ausgebildet<br />

und gefördert werden.“<br />

GEORG KAPSCH, Präsident der Industriellenvereinigung<br />

Sabine Hauswirth<br />

Die ÖBB sind eines der öffentlichsten Unternehmen Österreichs. Mehr als 25.000 Zeitungsartikel<br />

erscheinen über uns, aber auch in den neuen Medien und Sozialen Netzwerken<br />

spielen wir eine große Rolle. Junge Medien-Talente auf ihrem Berufsweg zu<br />

unterstützen, liegt also nahe. Die biber-Akademie mit ihrem innovativen Ausbildungsansatz<br />

hat uns sofort überzeugt. Wir wünschen allen Teilnehmern viel Erfolg!<br />

KRISTIN HANUSCH-LINSER, Head of Corporate Communications and Marketing,<br />

ÖBB-Holding AG<br />

Kapsch AG<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 59


<strong>almanah</strong><br />

arabisch für »Geschäft«<br />

60<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


UNTERNEHMEN & INSTITUTIONEN<br />

Die Regierung verstärkt die Präventionsarbeit gegen Jihadismus. Ein<br />

neues Magazin für Black Lifestyle ist am Markt und die ÖBB erhält den<br />

„DiversCity-Preis“. Das Thema Integration wurde 2014 groß geschrieben<br />

- ein Jahresüberblick.<br />

BERUFSANERKENNUNG FÜR MIGRANTEN VERBESSERT<br />

BERATUNGSHOTLINE GEGEN JIHADISMUS<br />

ÖBB ERHÄLT DEN „DIVERSCITY“-PREIS<br />

BLACK LIFESTYLE AUS WIEN<br />

FAIRE KARRIERE<br />

WIENER MUTBÜRGER<br />

COCA-COLA SPONSERT INTEGRATIONSPREIS SPORT


<strong>almanah</strong><br />

Sozialminister<br />

Rudolf Hundstorfer<br />

Dragan Tatiić<br />

Berufsanerkennung für<br />

Migranten verbessert<br />

Die Regierung will die Berufsanerkennung von qualifizierten<br />

Fachkräften aus dem Ausland erleichtern. Vor<br />

zwei Jahren hat sich Sozialminister Rudolf Hundstorfer<br />

für einen Maßnahmenplan eingesetzt, der den<br />

bürokratischen Hürdenlauf verringern soll. Seit 2014<br />

gibt es auch den relaunchten Online-Wegweiser<br />

www.berufsanerkennung.at, der in wenigen Schritten<br />

zur richtigen Kontaktstelle führen soll.<br />

In Österreich gibt es keine einheitlichen Regelungen<br />

in Bezug auf die formale Anerkennung von im Ausland<br />

erworbenen Qualifikationen. Die Verfahren sind abhängig<br />

von den Abschlüssen und den Bereichen, für die sie<br />

benötigt werden. Sozialminister Rudolf Hundstorfer<br />

hat zusammen mit Integrationsminister Sebastian<br />

Kurz einen Maßnahmenplan zusammengestellt, um die<br />

Anerkennung der Qualifikationen von Migranten zu<br />

erleichtern. Dazu gehört eine individuelle Beratung in<br />

den Bundesländern. Außerdem sollen Migranten während<br />

ihres Anerkennungsprozesses von Informations- und<br />

Anlaufstellen unterstützt und begleitet werden. Der<br />

Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) hat zudem<br />

zusammen mit dem Außen- und Integrationsministerium<br />

die Webseite www.berufsanerkennung.at überarbeitet und<br />

benutzerfreundlicher gestaltet. Migranten sollen durch<br />

den Online-Wegweiser in wenigen Schritten die richtige<br />

Ansprechperson für ihre Anerkennung finden.<br />

Marko Mestrović<br />

Vier Minister präsentieren die neue Beratungsstelle und<br />

Hotline, die sich gegen Extremismus richtet.<br />

Beratungshotline gegen Jihadismus<br />

Die Regierung verstärkt die Präventionsarbeit gegen<br />

Jihadismus: Eine neue Beratungsstelle und Hotline<br />

soll Betroffenen helfen, die befürchten, dass junge<br />

Menschen in ihrem Umfeld radikalisiert werden.<br />

Im Dezember 2014 präsentierte die Regierung eine neue<br />

Beratungsstelle und eine Hotline, an die sich Familien,<br />

Arbeits- und Schulkollegen, Lehrer und Freunde wenden<br />

können, wenn sich ein Jugendlicher zunehmend von<br />

seinem sozialen Umfeld entfernt. Bei der Hilfestellung<br />

geht es aber nicht nur um Jihadismus, sondern um alle<br />

Formen des Extremismus. Die Beratung erfolgt anonym<br />

und kostenlos, wobei die Anrufe und Mails anonymisiert<br />

dokumentiert werden. Allerdings ist die Hotline nicht<br />

uneingeschränkt anonym: Wenn im Gesprächsverlauf<br />

deutlich wird, dass Gefahr droht, werden die persönlichen<br />

Daten – nach Rücksprache mit dem Anrufer – an den<br />

Verfassungsschutz weitergegeben. Neben der Hotline<br />

gibt es eine Beratungsstelle, die im Familienministerium<br />

angesiedelt ist. Diese besteht aus einem mobilen Team,<br />

das für Krisensituationen ausgebildet wurde. Die Familien<br />

oder die Freunde können so schnell aufgesucht werden.<br />

Die Beratung erfolgt zunächst in fünf Sprachen – Deutsch,<br />

Türkisch, Englisch, Arabisch und Persisch.<br />

62<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Sabine Hauswirth<br />

Der ÖBB-Vorstandsvorsitzender Christian Kern<br />

nahm die Auszeichnung für das Unternehmen<br />

entgegen.<br />

ÖBB erhält den „DiversCity“-Preis<br />

Die Wirtschaftskammer Wien (WKO) vergab dieses<br />

Jahr zum vierten Mal den „DiversCity“-Preis. In<br />

der Kategorie „Großunternehmen“ wurde die ÖBB<br />

gekürt.<br />

„DiversCity“ ist eine Auszeichnung für Wiener<br />

Unternehmen, die Maßnahmen zur Förderung<br />

und Nutzung von personeller Vielfalt umsetzen.<br />

Der Preis wird in folgenden Rubriken verliehen:<br />

Kleinstunternehmen, kleine und mittlere<br />

Unternehmen, große Unternehmen sowie einer in<br />

der Sonderkategorie „ethnische Ökonomie“. Die<br />

Verleihung fördert Unternehmen, die sich zukunftsweisend<br />

in den Bereichen ethnische Herkunft, Alter,<br />

Geschlecht, Religion, sexuelle Orientierung und<br />

Behinderung einsetzen und wird mit einem Preisgeld<br />

von € 3.000 unterstützt. Außerdem ist es Ziel des<br />

Preises, Anreiz für die Auseinandersetzung mit Vielfalt<br />

zu schaffen. Weitere Gewinner waren das biber-Magazin,<br />

die Jobplattform „Careesma“ und „Henkel“.<br />

Die Jury setzt sich aus Unternehmern, Pädagogen und<br />

Persönlichkeiten in der Wirtschaft zusammen.<br />

fresh Magazin - Black Austrian Lifestyle<br />

Black Lifestyle aus Wien<br />

Das österreichische „fresh“ Magazin ist vieles:<br />

schwarz, popkulturell, aber auch sozialkritisch.<br />

Das Lifestyle-Magazin will zeigen, wie vielfältig,<br />

selbstbewusst und global der Black Austrian Way of<br />

Life ist.<br />

Afrikanische Designer, Musiker oder Promis mit “black<br />

roots” runden das “fresh” Magazin genauso ab wie<br />

Karriere-Wege und Bildungsthemen, Haarpflege-Tipps<br />

oder Kulinarik aus dem afrikanischen Raum. „fresh“<br />

ist erstmals im Juli 2014 erschienen und wird in<br />

Restaurants, beim Frisör, beim Arzt, in Kulturzentren<br />

und Universitäten, sowie bei verschiedenen<br />

Partnerfirmen in Wien, Graz, Linz, Klagenfurt,<br />

Innsbruck, St. Pölten und Bregenz zur freien Entnahme<br />

aufliegen.<br />

Sowohl die stellvertretende Chefredakteurin Vanessa<br />

Spanbauer als auch Marie Noel Ntwa sind ehemalige<br />

biber-Akademikerinnen. Die beiden sind zwei der<br />

vielen Frauen in der schwarz-weißen Redaktion.<br />

Die Inhalte richten sich aber nicht ausschließlich<br />

an afrikanische Österreicher, sondern an alle, die<br />

Österreich durch die Afro-Brille sehen möchten.<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 63


<strong>almanah</strong><br />

Die beiden Veranstalter Manuel Bräuhofer und Manfred Wondrak<br />

haben 2014 zum vierten Mal die fair.versity organisiert.<br />

Amélie Chapalain<br />

Eser Ari-Akbaba und Nuno Maulide haben dieses Jahr<br />

den „Wiener Mut“ Preis erhalten.<br />

Christoph Liebentritt<br />

Wiener Mutbürger<br />

Christoph Liebentritt<br />

Faire Karriere<br />

Bereits zum zweiten Mal lockte die Karrieremesse<br />

fair.versity an die 2000 Besucher ins Wiener<br />

Rathaus, wo am 23. September 2014 alles unter<br />

dem Motto „Gender & Diversität“ stand. Moderiert<br />

wurden die 100 Vorträge über Geschlechter und<br />

deren Bedeutung sowie Unterschiede in der<br />

Wirtschaft von Schauspielerin und transgender<br />

„Kunstfigur“ Lucy McEvil.<br />

Unter der Leitung und Planung von Manuel Bräuhofer<br />

und Manfred Wondrak bot die fair.versity alles für<br />

den Karriereweg: vom Lebenslauf-Check bis zum<br />

kostenlosen Porträtfoto. Die Workshops setzten sich<br />

aus unterschiedlichen Perspektiven mit Diversität<br />

auseinander. Unter anderem stellte Bestseller-Autor<br />

Christian Seidel sein Projekt „Die Frau in mir“ vor.<br />

Bei diesem zweijährigen Selbsterfahrungsexperiment<br />

versuchte er als Frau zu leben und hat dabei die<br />

Geschlechterdebatte neu angeheizt. Das VIP-Business-<br />

Speed-Dating ermöglichte jedem, Persönlichkeiten<br />

aus Wirtschaft, Politik und TV kennenzulernen<br />

und sich schnell wissenswerte Tipps zu holen. Wer<br />

dieses Jahr nicht dabei war, kann das am 23. Oktober<br />

2015 nachholen. Die fair.versity’15 findet unter dem<br />

Stichwort „Generationen & Work-Life-Balance“ im<br />

Museum für angewandte Kunst in Wien statt.<br />

2014 wurde der „Wiener Mut“ Preis verliehen.<br />

Menschen, die sich für kulturelle und sprachliche<br />

Vielfalt in Wien engagieren, wurden in insgesamt<br />

sechs Kategorien und mit zwei Sonderpreisen<br />

ausgezeichnet.<br />

Die Initiatoren von „Wiener Mut“ sind der Verein Wirtschaft<br />

für Integration und das ORF Landesstudio Wien.<br />

Der Preis ist eine Auszeichnung für alle Wiener, die sich<br />

beruflich, ehrenamtlich und/oder privat dafür einsetzen<br />

Österreichs Hauptstadt zu bereichern. Bewerben<br />

können sich alle, die die Stadt vielfältiger und bunter<br />

machen. 2014 wurde der Preis in sechs Kategorien<br />

vergeben: Bildung, Bühne, Kulinarik, Sport, Wirtschaft<br />

und Wissenschaft. Außerdem gab es zwei Sonderpreise<br />

in den Bereichen Flucht und Migration.<br />

Zwei Gewinner des Preises sind Eser Ari-Akbaba<br />

und Nuno Maulide. Die in Wien geborene Kurdin und<br />

ORF-Wetterfrau Eser ist stellvertretende Obfrau in<br />

dem Verein „Nubigena Wolkenkind“. Im Rahmen von<br />

Schulbesuchen vermittelt der Verein Schülern, was es<br />

bedeutet als Flüchtling zu leben. Dafür hat die Initiative<br />

den Sonderpreis im Bereich Flucht und Migration<br />

erhalten. Nuno Maulide arbeitet als jüngster Professor<br />

an der Universität Wien. Der 35-Jährige möchte den<br />

Wissenschaftsort Wien internationaler positionieren.<br />

Dafür wurde er in der Kategorie Wissenschaft prämiert.<br />

64<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


<strong>almanah</strong><br />

Impressum<br />

Medieninhaber:<br />

biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />

Herausgeber und Chefredakteur:<br />

Simon Kravagna<br />

Redaktionelle Leitung:<br />

Alexandra Stanić<br />

George Alaba, Coca-Cola-Unternehmenssprecher Philipp<br />

Bodzenta und Sportminister Gerald Klug waren bei der<br />

Preisverleihung.<br />

Integration durch Sport<br />

Der Integrationspreis Sport wurde 2014 zum<br />

siebenten Mal verliehen – mit dabei: Coca-Cola als<br />

Kooperationspartner. 12 innovative Sportprojekte<br />

wurden mit insgesamt 15.000 Euro ausgezeichnet.<br />

Integration durch Sport: Das ist das Ziel der<br />

Preisverleihung. Integrations- und Außenminister<br />

Sebastian Kurz, Sportminister Gerald Klug und<br />

der österreichische Städtebund verliehen im<br />

November 2014 die Auszeichnung an 12 vielfältige<br />

Sportinitiativen. „Sport und ehrenamtliches<br />

Engagement leisten einen wichtigen Beitrag dazu,<br />

dass sich Menschen mit Migrationshintergrund<br />

in Österreich wohl fühlen. Fairplay, gemeinsames<br />

Engagement und Teamgeist sind Werte, die uns alle<br />

verbinden, egal, woher wir kommen“, so Sebastian<br />

Kurz. Auch Coca-Cola war von den Sportinitiativen<br />

beeindruckt. „Coca-Cola steht für Integration und<br />

Sport und was liegt näher, als Projekte wie den<br />

Integrationspreis Sport intensiv zu unterstützen.<br />

Es zeigt sich einmal mehr, welch großartige<br />

Möglichkeiten Sport für die Integration bietet. Sport<br />

verbindet Kulturen und wenn man dabei zusätzlich<br />

noch etwas für die Gesundheit tun kann, ist das<br />

perfekt!“, so Unternehmenssprecher Philipp Bodzenta.<br />

Der mit 3.000 Euro dotierte Hauptpreis wurde auch 2014<br />

von Coca-Cola präsentiert und ging an ein Gesundheitsförderungsprojekt<br />

für muslimische Frauen.<br />

Gabriel Rizar<br />

Redaktion:<br />

Delna Antia<br />

Amar Rajković<br />

Marina Delcheva<br />

Alexandra Stanić<br />

Maida Dedagić<br />

Adam Bezeczky<br />

Gizem Yazgan<br />

Melisa Aljović<br />

Olivia Mrzyglod<br />

Gastautoren:<br />

Philipp Woldin (ZEIT ONLINE)<br />

Duygu Özkan (Die Presse)<br />

Clemens Neuhold (Wiener Zeitung)<br />

Christian Hackl (Der Standard)<br />

AD & Grafik:<br />

Dieter Auracher<br />

Fotoredaktion:<br />

Marko Mestrović<br />

Projektkoordination:<br />

Irina Obushtarova<br />

Adam Bezeczky<br />

Lektorat:<br />

Christina Gaal<br />

Druck:<br />

NEOGRAFIA, a.s.<br />

Sucianska 39A, 038 61 Martin - Priekopa<br />

Auflage:<br />

55.000<br />

Kontakt:<br />

biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien<br />

redaktion@dasbiber.at<br />

+43 1 95 77 528<br />

© 2014 biber<br />

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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 65


<strong>almanah</strong><br />

Dimitre Ovtcharov<br />

LETZTE WORTE:<br />

Todor Ovtcharov<br />

Bloß nicht<br />

beschweren!<br />

Wisst ihr wo sich die Städte Sofia, Freiburg, Tallinn<br />

und Tel-Aviv treffen In meinem Zimmer in<br />

Wien. Denn hier sitzt meine Freundin M. und plaudert<br />

mit ihren Freundinnen auf Skype.<br />

Maggie ist eine Kollegin von M., die sie an der<br />

Universität in Sofia kennengelernt hat. Vor einigen<br />

Monaten hat Maggie die bulgarische Hauptstadt<br />

verlassen und ist nach Freiburg zu ihrem deutschen<br />

Freund gezogen. „Es ist so langweilig in der<br />

deutschen Provinz. Alle sprechen nur über Geld und<br />

Arbeit“, erzählt Maggie. Es wirkt so, als ob sie sich<br />

beklagen will, aber ihrer Tonart nach zu urteilen<br />

gibt sie eigentlich ein bisschen an. „Ich habe das<br />

Gefühl, dass die Leute hier ständig nur arbeiten und<br />

einkaufen, weil es sonst nichts anderes zu tun gibt.<br />

Tom ist ganz lieb zu mir, gestern hat er mir ein neues<br />

Kleid gekauft und wir gehen jeden Abend in einem<br />

schönen Restaurant essen.“<br />

Villi, die ein Masterstudium in Estland macht,<br />

mischt sich ins Gespräch ein. „Also wenn man<br />

über langweilige Orte spricht, dann ist Tallinn<br />

die langweiligste Stadt der Welt“, beginnt sie ihre<br />

Erzählung. „Alles ist so kalt und erfroren, ich dachte<br />

da steigt die große Party, aber nein, nur Langeweile<br />

und Heavy Metal Konzerte.“ Villi würde niemals ein<br />

Konzert verpassen, egal um welches Genre es geht.<br />

Sie hört sich so an, als hätte sie die ganze Nacht<br />

mitgesungen. Ihre Stimme klingt wie die von Tom<br />

Waits.<br />

M. versucht etwas Positives ins Gespräch zu<br />

bringen. „In Tallinn muss es ja auch kalt sein!“,<br />

verteidigt sie Estlands Hauptstadt und stellt Eli<br />

eine suggestive Frage zu Tel Aviv. „Tel Aviv ist doch<br />

sicherlich prima“ Aber die Architektin muss sie<br />

enttäuschen. „Nein, gar nicht“, so Eli. Neulich fuhr<br />

Tallinn,<br />

Sofia,<br />

Freiburg<br />

und Tel<br />

Aviv<br />

beneiden<br />

M. um ihr<br />

interessantes<br />

Leben<br />

in Wien.<br />

sie nach Israel, um dort ihr Glück zu versuchen.<br />

„Ich lerne die Sprache den ganzen Tag und habe für<br />

nichts anderes Zeit. Es ist sonst ganz waaaarm“, sagt<br />

Eli. Auf ihrem Skypebild trägt Eli einen Bikini. Die<br />

Art wie sie „warm“ ausspricht, lässt erahnen, dass<br />

es ihr blendend geht. M. zittert und kuschelt sich in<br />

ihren dicken Wollschal. „Und dir Kathi, geht es dir<br />

besser in Sofia“<br />

Kathi ist die einzige der Freundinnen, die in<br />

der gemeinsamen Geburtsstadt der vier geblieben<br />

ist. „Oh ja, hier steigt, wie ihr wisst, ständig eine<br />

Riesenparty! Ich habe weiterhin meinen blöden<br />

staatlichen Job. Jeder versucht weiterhin nichts zu<br />

machen und sein miserables Gehalt zu kassieren!“<br />

Ein Anflug von Stolz ist in ihrer Stimme zu erkennen<br />

- sie ist die einzige, die einen festen Job hat.<br />

Nur M. sagt nichts. Vielleicht weil ich im Zimmer<br />

bin und ungewollter Zeuge ihrer Skypegespräche<br />

bin. Sie kann weder mit einem neuen Kleid, noch mit<br />

einem Heavy Metal Konzert, noch mit einem festen<br />

Job angeben. Außerdem ist es bei uns ziemlich<br />

kalt, da ich die Heizung nicht einschalte, um Geld<br />

zu sparen. Sie will nicht erzählen, dass ihr in Wien<br />

langweilig ist. M. unterbricht das Gespräch. „Wir<br />

gehen jetzt auf eine Ausstellung!“ Aus dem anderen<br />

Ende der Leitungen erklingen bewundernde Schreie.<br />

Tallinn, Sofia, Freiburg und Tel Aviv beneiden M. um<br />

ihr interessantes Leben in Wien. Nur blöd, dass M.<br />

statt auf eine Ausstellung zu gehen, Flyer für eine<br />

Ausstellung verteilt.<br />

<br />

Todor Ovtcharov ist Kolumnist der Zeitschrift biber und FM4.<br />

66<br />

JAHRBUCH FÜR INTEGRATION


Österreich blüht auf – dank den zahlreichen Bahnfahrern,<br />

die mit jedem Kilometer CO 2<br />

sparen.<br />

Mehr Infos zur App auf oebb.at/greenpoints

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