almanah
Jahrbuch für Integration in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Ausgabe 2014 / 2015
Jahrbuch für Integration in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Ausgabe 2014 / 2015
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<strong>almanah</strong><br />
2014 / 2015 Jahrbuch für<br />
Integration<br />
in Wirtschaft,<br />
Politik und<br />
Gesellschaft<br />
lmanah<br />
*<br />
* bosnisch/kroatisch/serbisch für »Almanach/Jahrbuch«<br />
AKTUELLE ENTWICKLUNGEN<br />
Jihadismus und Jugendkultur<br />
Wien wächst: Visionen für 2029<br />
Die neue Willkommenskultur<br />
REPORTAGEN<br />
Ausländerbehörde deluxe<br />
Wochenendkrieger<br />
Kolo-Meister aus Favoriten<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 1
Wir fördern den<br />
Rohstoff der<br />
Zukunft: Ideen.<br />
Allein in der Forschung arbeiten bei<br />
Siemens über 1.000 helle Köpfe!<br />
siemens.com/answersforaustria<br />
Ideen sind der Stoff, aus dem die Zukunft<br />
gemacht wird! Siemens Österreich belegt<br />
regelmäßig Top-Platzierungen in den<br />
Erfindungs-Ranglisten des Österreichischen<br />
Patentamts.<br />
Kein Wunder: arbeiten doch von den über<br />
12.500 Siemens Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen<br />
in Österreich allein 1.000 im<br />
Bereich Forschung und Entwicklung.<br />
Hier entsteht Neues. Jetzt und in Zukunft.<br />
Answers for Austria.
<strong>almanah</strong><br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
Almanah-Macher Simon Kravagna und Alexandra Stanić.<br />
Im Almanah 2014/2015<br />
haben wir für Sie die<br />
spannendsten Aspekte<br />
von Integration gesammelt.<br />
Unser Fazit:<br />
Wir leiden in Österreich<br />
noch immer auf hohem<br />
Niveau.<br />
Die Welt wird nicht gerade besser. Aber auch nicht<br />
langweiliger. Das haben wir bei unserer Arbeit am<br />
Almanah feststellen können. Jährlich dokumentiert die<br />
biber-Redaktion im Jahresbericht für Wirtschaft, Politik<br />
und Gesellschaft aktuelle Entwicklungen im Bereich<br />
Integration. Dabei zeigt sich: Integration ist ein widersprüchlicher<br />
Prozess.<br />
Auf der einen Seite wird die Stadt Wien bis 2029 auf<br />
mehr als zwei Millionen Einwohner wachsen. Vor allem<br />
durch Zuwanderung. Und das ist gut so. Denn anders<br />
als Kärnten, wo die Bevölkerungszahl bereits abnimmt,<br />
bleibt die Bundeshauptstadt eine dynamische und junge<br />
Metropole. Durch eine in Europa durchaus vorbildliche<br />
„Willkommenskultur“ begegnen Außen- und Integrationsminister<br />
Sebastian Kurz sowie die Stadt Wien den<br />
neuen Zuwanderern.<br />
Auf der anderen Seite erleben wir auch die negativen<br />
Folgen von Migration. Obwohl der sogenannte „Islamische<br />
Staat“ in Syrien und im Irak wütet, spürt Europa<br />
und Österreich die Auswirkungen. Die Regierung verschärft<br />
Gesetze, verbietet Symbole und versucht,<br />
Jugendliche vor Extremismus zu schützen. Im Almanah<br />
2014/2015 haben wir für Sie die spannendsten Aspekte<br />
von Integration gesammelt. Unser Fazit: Wir leiden in<br />
Österreich noch immer auf hohem Niveau.<br />
Übrigens: Der Begriff „Almanah“ ist kein Schreibfehler,<br />
sondern heißt auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch und<br />
in anderen slawischen Sprachen Almanach, also Jahrbuch.<br />
Simon Kravagna<br />
Herausgeber und Chefredakteur das biber<br />
Alexandra Stanić<br />
Redaktionsleitung Almanah<br />
Wir freuen uns über Kritik, Lob und Anregungen:<br />
kravagna@dasbiber.at<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 3
<strong>almanah</strong><br />
INHALT<br />
„Typisch ist eine<br />
Underdog-Kultur“<br />
Der Soziologe und Integrationsexperte<br />
Kenan<br />
Güngör im Interview<br />
über Radikalisierung<br />
von Jugendlichen und<br />
warum es skurril ist,<br />
einer Weltreligion ihre<br />
internationale Finanzierung<br />
verbieten zu<br />
wollen.<br />
10<br />
GESELLSCHAFT & POLITIK<br />
Kriegstourismus: Schon vor dem<br />
IS-Phänomen kämpften österreichische<br />
Gastarbeiter für „ihre“ Leute. 14<br />
Sei still und arbeite: 2014 feierte<br />
Öster reich 50 Jahre Gastarbeiter-<br />
Anwerbeabkommen mit der Türkei.<br />
Viele Gastarbeiter erinnern<br />
sich an schlimme Bedingungen. 18<br />
MARKT & KARRIERE<br />
Ausländer behörde<br />
deluxe<br />
Das Welcome Center in<br />
Hamburg rollt ausländischen<br />
Fachkräften<br />
den roten Teppich aus<br />
und geht europaweit<br />
mit gutem Beispiel<br />
voran. Wie werden<br />
qualifizierte Migranten<br />
in Österreich empfangen<br />
30<br />
Wien wächst: Sieben Wirtschaftsmanager<br />
erläutern ihre Visionen zu<br />
Wiens Zukunft. 36<br />
Making of Aspern: Wir haben uns in<br />
der Seestadt zwischen Baukränen und<br />
Fassadenbauern umgesehen. 40<br />
Halal Banking: Ein Kärntner gründet<br />
das erste Halal-Start-up im Finanzbereich. 46<br />
SPORT, MEDIEN & KULTUR<br />
Das runde Leder: Rapid hat eine Fußballmannschaft<br />
für Menschen mit geistigen<br />
und körperlichen Handicaps gegründet. 54<br />
Kolomeister aus<br />
Favoriten<br />
Der Wiener Verein<br />
„Kud Stevan Mokranjac“<br />
ist EM-Meister in<br />
serbischer Folklore.<br />
Wir haben den Klub bei<br />
einem seiner Auftritte<br />
begleitet.<br />
50<br />
Made by biber: Ein Jahresüberblick über<br />
die biber-Akademie und ihre Stipendiaten 58<br />
UNTERNEHMEN &<br />
INSTITUTIONEN<br />
Was österreichische Firmen und<br />
Institutionen für die Integration tun:<br />
Ein Überblick 61<br />
Impressum 65<br />
Todors letzte Worte 66<br />
4<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Vielfalt<br />
in<br />
Herkunftsländer<br />
Rund 1,625 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben<br />
in Österreich. Davon stammen zwei Fünftel (39%) aus einem<br />
EU- oder EWR-Staat oder der Schweiz. Aus den Nachfolgestaaten<br />
Jugoslawiens, außer Slowenien und Kroatien, kommen 29<br />
Prozent. Rund 17 Prozent sind ursprünglich aus der Türkei. Die<br />
restlichen 15 Prozent sind aus sonstigen Staaten, davon ist aber<br />
mehr als die Hälfte aus Asien.<br />
Zahlen<br />
Aus EU- oder EWR-Staat oder der Schweiz<br />
Aus Nachfolgestaaten Jugoslawiens<br />
39% 29%<br />
17%<br />
15%<br />
Sonstige<br />
Aus Türkei<br />
Quellen:<br />
Statistik Austria, Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der<br />
österreichischen Akademie der Wissenschaften<br />
„Muslimische Alltagspraxis in Österreich“, Institut für Islamische Studien der<br />
Uni Wien 2013<br />
6 Eine Studie von L&R Sozialforschung im Auftrag der Arbeiterkammer JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Altersstruktur<br />
Asyl<br />
Das Durchschnittsalter der österreichischen Bevölkerung<br />
beträgt 42,2 Jahre. Deutlich jünger sind die ausländischen<br />
Staatsangehörigen mit einem Durchschnittsalter von 35,2<br />
Jahren. Zu den jüngsten Bevölkerungsgruppen zählen<br />
Zuwanderer aus Asien (31,3 Jahre), Afrika (30 Jahre) und den<br />
meisten osteuropäischen Drittstaaten. Mit durchschnittlich<br />
27,5 Jahren gehören auch Tschetschenen zu der jüngsten Gruppe,<br />
noch jünger sind nur Personen aus Somalia (22,6 Jahre) und<br />
Afghanistan (24 Jahre).<br />
Bei einem EU-Vergleich der<br />
Asylanträge rangiert<br />
Österreich an siebenter<br />
Stelle. 17.503 Anträge<br />
wurden 2013 in<br />
Österreich gestellt.<br />
Davon wurden<br />
4.133 Personen<br />
Asyl gewährt.<br />
17.503<br />
4.133<br />
ÖSTERREICHER<br />
42,2<br />
Jahre<br />
AUSLÄNDER<br />
35,2<br />
Jahre<br />
Moslems<br />
573.876 Moslems leben in Österreich. Das sind 6,8 Prozent der<br />
Gesamtbevölkerung. 203.000 davon sind österreichische Staatsbürger.<br />
6,8% Moslems<br />
Davon 203.000 mit österreichischer Staatsbürgerschaft<br />
Asien 31,3 Jahre<br />
Afrika 30 Jahre<br />
Tschetschenien 27,5 Jahre<br />
Afghanistan 24 Jahre<br />
Somalia 22,6 Jahre<br />
Selbstständigkeit<br />
28 %<br />
37 %<br />
der über 344.000 Selbstständigen wurden laut<br />
Wirtschaftskammer im Ausland geboren.<br />
der in Wien lebenden Gründer haben<br />
Migrationshintergrund.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 7
<strong>almanah</strong><br />
zabadság<br />
ungarisch für »Freiheit«<br />
8<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
GESELLSCHAFT & POLITIK<br />
Migration bringt nicht nur dringend benötigte Facharbeiter und kulturelle<br />
Vielfalt nach Österreich. Migration sorgt auch für den Import<br />
radikaler Ideologien und Konflikte. Egal ob wir wollen oder nicht:<br />
Österreichs Gesellschaft muss sich mit dem Jihad und ethnischen<br />
Konflikten auseinandersetzen.<br />
S. 10-12<br />
„TYPISCH IST EINE UNDERDOG-KULTUR“<br />
Der Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör<br />
beschreibt die syrische Lagerromantik, den jugendlichen<br />
Wunsch nach Ordnung und das neue Wir-Gefühl unter<br />
Muslimen.<br />
S. 14–17<br />
WOCHENENDKRIEGER<br />
Kriegstourismus ist nicht erst seit dem IS-Phänomen<br />
bekannt. In den 90er Jahren fuhren österreichische<br />
Gastarbeiter in Länder Ex-Jugoslawiens, um für „ihre“<br />
Leute zu kämpfen.<br />
S. 18–21<br />
SEI STILL UND ARBEITE<br />
2014 feierte Österreich 50 Jahre Gastarbeiter-Anwerbeabkommen<br />
mit der Türkei. Viele Gastarbeiter erinnern<br />
sich aber an unbezahlte Überstunden und menschenunwürdige<br />
Bedingungen.
<strong>almanah</strong><br />
Kenan Güngör<br />
Funktion: Experte<br />
für Integrations- und<br />
Diversitätsfragen<br />
Organisation: Leitet<br />
das Büro „think difference“<br />
Besonderes: deutschsprachiger<br />
Europäer<br />
mit kurdisch-türkischen<br />
Wurzeln<br />
10<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
INTERVIEW:<br />
Kenan Güngör<br />
„Typisch ist eine<br />
Underdog-Kultur“<br />
Der Soziologe Kenan Güngör über den Einstieg von Jugendlichen in<br />
den Jihad, „kleine Würmchen“ vor Gott und warum es skurril ist,<br />
einer Weltreligion die internationale Finanzierung zu streichen.<br />
„Der Islam ist<br />
ein Teil des<br />
Problems.“<br />
TEXT:<br />
Delna Antia,<br />
Simon Kravagna<br />
F O T O :<br />
Marko Mestrović<br />
Beschreiben Sie bitte einen typischen Jugendlichen,<br />
der sich für den Jihad interessiert.<br />
Der deutsche Verfassungsschutz hat ein Profil der<br />
Jihadisten für Deutschland erstellt: Sie sind meist<br />
männlich, zwischen 16 und 24 Jahren alt. Meist<br />
kommen die Jugendlichen aus einem jugendkulturellen<br />
Submilieu mit wenig Bildung, Status und<br />
wenig Perspektive. Typisch ist auch eine starke Rapbzw.<br />
Underdog-Kultur.<br />
Ist Musik für Radikale nicht eigentlich „haram“ – also<br />
verboten<br />
Es gibt eine Grauzeit in der Radikalisierung. Das<br />
war etwa auch beim früheren Rapper und heutigen<br />
Jihadisten Deso Dogg so. Dabei gibt es das Paradox,<br />
dass mit einer zutiefst westlichen Musik- und<br />
Lebenskultur antiwestlicher Rap gemacht wird,<br />
der muslimisch oder antisemitisch unterlegt ist.<br />
„Gemeinsam ficken wir die Amerikaner“, singt ein<br />
unter muslimischen Jugendlichen bekannter Rapper<br />
aus Graz etwa. Wenn die Jugendlichen in der Radikalisierung<br />
noch weitergehen, hin zur reinen Lehre,<br />
kippen sie irgendwann. Dann hören sie keine oder<br />
nur mehr religiöse Musik.<br />
Welche Beziehungen haben sie zu ihren Eltern<br />
Diese Jugendlichen sind „Sinnsuchende“ in einer für<br />
sie Sinn und Orientierung entleerten Welt. Sie glauben,<br />
dass sie das absolut Richtige tun, weil sie es im<br />
Namen Allahs tun. Sie suchen nach einer einfachen,<br />
eindeutigen Klärung von Welt. Um diese Ordnung<br />
hineinzubringen, grenzen sie sich ab: Von Eltern,<br />
Freunden, der Gesellschaft und vor allem von den<br />
Anders- und Ungläubigen. Bei einem großen Teil<br />
haben die Eltern keinen streng religiösen Hintergrund.<br />
Oft gibt es problematische Väter-Beziehungen.<br />
Aber selbst wenn dem nicht so ist, verlieren<br />
Eltern oft jeden Kontakt zu ihren Kindern. Das wird<br />
in radikalen Kreisen auch so gelehrt: „Vor dem Wort<br />
Gottes ist das Wort deines Vaters, deiner Eltern<br />
nichts. Gewinne sie – wenn du sie nicht gewinnst,<br />
trenne dich“.<br />
Was passiert in ihren Freundeskreisen<br />
Es gibt einen neuen Trend der Vergemeinschaftung.<br />
Früher waren sie Türken, Kurden, Tschetschenen<br />
oder Bosnier, jetzt stellen sie unter dem Motto „Wir<br />
Muslime“ eine neue Gruppe dar.<br />
Integrationsminister Sebastian Kurz betont gerne, Religion<br />
soll nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung<br />
sein.<br />
Der Islam ist ein Teil der Lösung und auch des Problems.<br />
Natürlich kann man im Koran die humanistischen<br />
Seiten sehen und sogar feministische Aspekte<br />
finden. Aber man kann die immanente Gewalt- und<br />
auch Unterwerfungstheologie nicht wegblenden.<br />
Und man muss sehr viel dafür tun, diese Stellen<br />
umzudeuten und die humanistischen Stellen herauszustreichen.<br />
‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 11
<strong>almanah</strong><br />
Es gibt wenige Politiker, die sagen würden, dass der Islam<br />
ein Teil des Problems ist.<br />
Das ist eine gut gemeinte, aber sachlich unhaltbare<br />
Position. Es ist gut gemeint, weil man die Leute<br />
schützen möchte, denn wir haben eine sehr große<br />
Islamophobie, die mich besorgt. Es bleibt die Frage,<br />
wie gläubige Moslems ihre Lehre auslegen wollen.<br />
Das ist bei Religionen immer so. Im Christentum<br />
gibt es den gleichen Bibeltext, der aber so ausgelegt<br />
wurde, dass im Mittelalter die Religionskriege damit<br />
begründet wurden und heute die Liebe Gottes betont<br />
wird. Im Islam würde ich dieses Spektrum wenn<br />
auch nicht gleich, aber ähnlich sehen. Es gibt sehr<br />
gläubige Muslime, die kein Problem haben in einem<br />
Staat wie Österreich zu leben und andere, die diese<br />
Gesellschaft als unrein sehen und sie klar ablehnen.<br />
Warum wird der Koran nicht einfach „zeitgemäß“ interpretiert<br />
Weil das für viele streng Religiöse die größte Blasphemie<br />
wäre. Gottes Wort ist absolut. Deswegen<br />
löst es Aggressionen aus, wenn „du kleines Würmchen“<br />
heute daher kommst und Gottes Wort in Frage<br />
stellst. Das Problem ist, dass die Salafisten eine 1:1<br />
Übersetzung von Religion in die Praxis wollen und<br />
permanent diese Suren aufzählen: So steht es, so<br />
muss es geschehen. In Saudi-Arabien wird mit den<br />
gleichen Suren eine steinzeitliche Gesellschaftsordnung<br />
begründet. Warum sollen die Jihadisten das<br />
dann nicht auch tun<br />
Warum ist die konservative Lesart des Korans interessanter<br />
als vor 10 Jahren<br />
Viele Organisationen – wie etwa die Islamische<br />
Glaubensgemeinschaft, die Muslimische Jugend<br />
Österreich – begünstigen dies. Einerseits zeigen sie<br />
sich gerne als eine weltoffene Interessenvertretung,<br />
die sich gegen die grassierende Islamfeindlichkeit<br />
wehrt. Andererseits aber finden nach innen hin erzkonservative<br />
Schliessungsprozesse statt, die kein<br />
Problem haben, auch einem Kind mit sechs Jahren<br />
ein Kopftuch zu geben, Kindern ab der Geburt in<br />
eine voll-islamische Umgebung zu stecken um sie<br />
vor der „unislamischen“ Gesellschaft zu schützen.<br />
Wir hatten vor Jahren eine Geschichte im biber: Damals<br />
wollte eine Pädagogin mit den Kindern eines islamischen<br />
Kindergartens in den Stephansdom gehen. Doch Eltern<br />
haben das als christliche Missionierung empfunden und<br />
es untersagt.<br />
Die erste Generation aus der Türkei war offener.<br />
Wie meine Mutter, die aus den kurdischen Bergen<br />
„Die erste<br />
Generation aus<br />
der Türkei war<br />
offener.“<br />
kommt und keine Bildung bekommen hat. Für sie<br />
war es kein Problem, dass wir zum Beispiel einen<br />
Weihnachtsbaum zu Hause hatten. Indem aber<br />
immer mehr geklärt wird, was eindeutig muslimisch<br />
ist und was nicht, habe ich das Gefühl, wird<br />
es unflexibler und starrer.<br />
Damit stellt sich die Frage: Was soll man tun Werden<br />
radikale Tendenzen auch noch durch öffentliche Mittel<br />
gefördert<br />
Es ist wirklich ein ernsthaftes Problem und ich<br />
hadere auch damit. Wir müssen aber akzeptieren,<br />
dass moderne und diverse Gesellschaften mit massiven<br />
Zielkonflikten einhergehen. Wenn der Staat<br />
katholische Kindergärten fördert, warum dann<br />
nicht auch islamische Kindergärten Gleichzeitig<br />
wissen wir: Die Förderung muslimischer Kindergärten<br />
ist in ihren Folgewirkungen in vielerlei Hinsicht<br />
problematischer.<br />
Das neue Islamgesetz will Muslimen die Finanzierung<br />
aus dem Ausland verbieten. Die Katholische Kirche<br />
finanziert aber in Afrika ganze Missionsstätten. Ist<br />
es nicht skurril einer Weltreligion eine internationale<br />
Finanzierung zu streichen<br />
Das würde ich genauso unterschreiben. Es ist<br />
unzeitgemäß in einer Welt, wo alles internationaler<br />
wird und wir grenzenlos kommunizieren können,<br />
so etwas zu fordern. Die Lösung kann nicht darin<br />
liegen, dass wir grundsätzlich das Problem in der<br />
Auslandsfinanzierung sehen. Es geht vielmehr um<br />
Transparenz in der Finanzierung und die Frage:<br />
Welche Ziele und Werte werden mit der jeweiligen<br />
Finanzierung verfolgt<br />
Zuletzt: Als potenzieller Jihadist ist es aufwändig nach<br />
Syrien zu fahren. Warum sprenge ich mich nicht einfach<br />
vor dem Stephansdom in die Luft<br />
Weil es in Syrien eine Lagerromantik gibt und sie<br />
dort selber im Kalifat sind. Außerdem haben sie dort<br />
Waffen, da spielt auch eine Martialität hinein. Ich<br />
bin eher überrascht, dass hier noch so wenig passiert<br />
ist und befürchte es. Man braucht keine große<br />
Logistik, keine Infrastruktur, um große Anschläge<br />
zu machen. Für den individuellen Jihad ist die Fantasie<br />
noch offen, was möglich ist. Mein Problem ist<br />
eher die Frage: Wie werden wir darauf reagieren In<br />
dieser fragilen und leicht hysterisierbaren Gesellschaft<br />
habe ich Angst, dass wir wie aufgescheuchte<br />
Hühner alle aufeinander losgehen und die Muslime<br />
als Sündenböcke herhalten müssen. So leicht dürfen<br />
wir es den Terroristen nicht machen.<br />
<br />
12<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
WER SORGT FÜR<br />
GERECHTIGKEIT<br />
Bankenrechner Brutto-Netto-<br />
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GERECHTIGKEIT MUSS SEIN
<strong>almanah</strong><br />
Die<br />
Wochenendkrieger<br />
Mitglieder der serbischen<br />
Paramilitär-Gruppierung<br />
„Arkan’s Tiger“ in der<br />
Nähe von Osijek, Kroatien.<br />
November 1991.<br />
14<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
In Syrien kämpfen Austro-Jihadisten<br />
auf der Seite der Terror-Islamisten.<br />
Die Medien sind alarmiert, die Politik<br />
setzt Aktionen. Kriegstourismus made<br />
in Austria ist aber nichts Neues: Schon<br />
in den 90er-Jahren kämpften tausende<br />
Gastarbeiter mit österreichischem Pass<br />
in den Balkankriegen.<br />
heer-Soldat, der damals in verdeckter Mission unter<br />
den „Foreign Fighters“ auf kroatischer Seite am<br />
Balkan unterwegs war und lieber anonym bleiben<br />
möchte. „Es gab damals wirklich tausende Wochenendkrieger<br />
mit österreichischem Pass, die am<br />
Freitag mit den Gastarbeiterbussen runter fuhren<br />
und am Sonntagabend wieder rauf, um am Montag<br />
pünktlich in der Arbeit zu stehen“, erzählt er. „Wien<br />
war eine Drehscheibe. Es war gang und gäbe, jeder<br />
wusste es, interessiert hat das niemanden.“<br />
Österreichische Muslime kämpften auf bosnischer<br />
Seite, die Serben hatten Beistand von den vielen<br />
TEXT:<br />
Tyma Kraitt und Anna Thalhammer<br />
schon vor dem Krieg ausgewanderten Gastarbeitern<br />
– und die Kroaten bekamen tatkräftige Unterstützung<br />
von Neo-Nazis, die sich auf die Seite der<br />
rechtsradikalen Ustascha schlugen. Vor allem<br />
„Ich muss da hingehen und kämpfen – für<br />
Allah, für meine Brüder und für mein Land, an das<br />
ich glaube“, sagte damals der Austro-Bosnier Emir<br />
(18). Seine Eltern konnten ihn trotz guten Zuredens<br />
nicht davon abbringen. Wenige Tage später war er<br />
verschwunden.<br />
Das klingt nach einer klassischen Geschichte<br />
eines radikalisierten Jugendlichen, der für die<br />
Terrormiliz IS in den Krieg nach Syrien ziehen will.<br />
Emir ist aber kein Jihadist – das Land, für das<br />
er sich opfern wollte, war nicht das vermeintliche<br />
Kalifat. Der Wiener Automechaniker (heute<br />
41) kämpfte vor 22 Jahren im Jugoslawienkrieg auf<br />
bosnischer Seite für eine paramilitärische Einheit<br />
– in den Ferien und mindestens zwei Mal im Monat<br />
am Wochenende für knapp ein halbes Jahr. „Das war<br />
völlig normal“, erzählt er. „Tausende, die was auf<br />
sich gehalten haben, sind runter auf den Balkan.<br />
Und auch Österreicher haben die Truppen unterstützt“,<br />
erzählt er „biber“.<br />
Wochenendtrip zur Ustascha<br />
„Stimmt“, bestätigt auch ein hochrangiger Bundes-<br />
„Die Motive<br />
waren vielfältig:<br />
Weil sie<br />
dort Verwandte<br />
hatten, weil<br />
sie ihr Haus<br />
verteidigen<br />
wollten, das<br />
sie sich hart<br />
zusammengespart<br />
hatten.“<br />
Ultrarechte aus der ehemaligen DDR schätzten die<br />
Chance, einige von den ihnen so verhassten Kommunisten<br />
umbringen zu können. „Die österreichische<br />
Neo-Nazi-Szene war groß involviert, es<br />
organisierte sich aber alles über Deutschland, wo es<br />
eigene Trainingslager gab“, erzählt Soldat R.<br />
So gut organisiert wie die Neo-Nazis waren die<br />
meisten Kriegstouristen aber nicht: „Die größeren<br />
paramilitärischen Truppen entstanden erst später<br />
im Laufe des Krieges, am Anfang gab es hauptsächlich<br />
Einzelkämpfer. Es lief sehr individuell ab, die<br />
Motive in den Kampf zu ziehen waren vielfältig: Weil<br />
sie dort Verwandte hatten; weil sie ihr Haus verteidigen<br />
wollten, das sie sich von ihrem Gastarbeiterlohn<br />
hart abgespart hatten oder weil sie endlich<br />
einmal jemand sein wollten. Denn die meisten der<br />
Foreign Fighters mit ex-jugoslawischem Migrationshintergrund<br />
wurden schon in Österreich geboren<br />
oder waren lange vor dem Krieg ausgewandert. Die<br />
wenigsten waren solche, die geflüchtet sind, wie<br />
man vielleicht glauben möchte“, erzählt Soldat R.<br />
Bist du ein „Slabic“<br />
So war es auch bei Emir. Er wurde bereits in Österreich<br />
geboren, leistete gerade seine Wehrpflicht ab,<br />
als der Krieg 1990/’91 losging und dann 1992 in Bosnien<br />
ankam. „Ich fühlte mich der Heimat meiner<br />
Eltern immer schon sehr verbunden – fast mehr<br />
als Österreich. Ich verbrachte immer die Ferien<br />
unten und hatte dort viele Freunde“, erzählt er.<br />
Und die riefen ihn dann öfters an, erzählten vom<br />
Krieg, erzählten von den Gräueltaten der Serben,<br />
von Vergewaltigungen, erzählten von Verletzten<br />
und Toten. Sie drängten Emir dazu, zu kommen und<br />
zu helfen. Zuerst bittend, dann flehend, dann ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 15
<strong>almanah</strong><br />
wütend. „Sie beschimpften mich als ,slabic’ (Anm.<br />
Schwächling), weil ich gemütlich in Österreich saß.<br />
Es war schlimm genug, dass ich hier immer nur der<br />
Tschusch war, der Loser. Ich wollte nicht auch noch<br />
der Feigling vor meinen Freunden sein, der einfach<br />
zuschaut, wenn Unrecht passiert.“<br />
Kalaschnikov und Schnaps<br />
An einem Septembertag stieg er dann am Ostbahnhof<br />
in einen Bus. Im Gepäck eine Kalaschnikov, die<br />
er sich besorgt hatte – und eine Flasche Schnaps zum<br />
Mut antrinken. Wenige Tage vorher hatte er abgerüstet<br />
und jetzt noch vier Wochen Zeit, bis er seinen<br />
neuen Job in der Autowerkstatt in Meidling anfangen<br />
würde: Perfekt für einen Urlaub vom Frieden.<br />
Seine Freunde hatten ihm schon die letzten Wochen<br />
erzählt, dass sie sich einer Gruppe angeschlossen<br />
hatten, die im Umland von Sarajevo kämpfte. Er<br />
solle nur kommen. „Es waren ungefähr 400 Leute,<br />
die dort mehr oder weniger gearbeitet haben. Wir<br />
waren eine Art Robin-Hood-Gruppe. Es gab einen<br />
Anführer und man konnte sich hocharbeiten. Am<br />
Anfang habe ich wichtige Leute herumgefahren,<br />
dann Serben-Häuser markiert, die wir ab und zu<br />
ausgeräumt haben. Ich habe dann aber schnell mit<br />
der Waffe arbeiten dürfen, weil ich vom Bundesheer<br />
noch trainiert war“, erzählt Emir.<br />
Das erste Mal jemand töten<br />
Der junge Söldner war zwar geübt darin auf Objekte<br />
zu schießen, allerdings nicht auf lebende. „Das erste<br />
Waffen inspizieren und Saufspiele: Alltag eines Soldaten im Krieg.<br />
„Ich fühlte<br />
mich der Heimat<br />
meiner<br />
Eltern immer<br />
schon sehr<br />
verbunden<br />
- Ich verbrachte<br />
immer<br />
die Ferien<br />
unten hatte<br />
dort viele<br />
Freunde.“<br />
Emir, 41<br />
Mal wen umbringen ist wie das erste Mal Sex. Weißt<br />
eh, wenn du vorher so voller Adrenalin bist. Es war<br />
dann aber gar nicht so aufregend: Es hat geknallt,<br />
er ist umgefallen, das war’s. Ich hab den ganzen Tag<br />
darauf gewartet, dass irgendwas mit mir passiert.<br />
Aber nix.“ Wie viele Menschen er getötet hat, kann<br />
Emir nicht genau sagen: „Wenn sie umfallen, weiß<br />
man nicht immer, ob sie tot sind. Manchmal sind<br />
sie zu weit weg.“ Für getötete Feinde gab es in Emirs<br />
Einheit jedenfalls eine Belohnung. „Wenn du viele<br />
erwischt hast, gab’s sowas wie Orden, so eine Auszeichnung.<br />
Aber was Selbstgebasteltes (lacht). Das<br />
war manchmal schon recht schiach.“<br />
In Wien fängt der Balkan an<br />
Emir kämpfte fast ein halbes Jahr in einer der zahlreichen<br />
muslimischen Mudschahedin-Einheiten in<br />
Bosnien. Paramilitärische Gruppen gab es im Jugoslawienkrieg<br />
generell aber zahlreich: Auf Seiten der<br />
Serben gab es etwa die Tschetniks oder die Serbische<br />
Freiwilligengarde des Warlords „Arkan“, auf kroatischer<br />
Seite die Verbände Hrvatske Omrambene<br />
snage (HOS, Kroatische Verteidigungskräfte) und<br />
Hrvatsko Vijeé obrane.<br />
Sie finanzierten sich hauptsächlich durch<br />
Spenden aus dem Ausland – und auch hier spielte<br />
Wien wieder eine Schlüsselrolle: „Man sagt ja: In<br />
Wien fängt der Balkan an. Unmengen an Kriegsgerät<br />
kam aus den ex-kommunistischen Nachbarstaaten<br />
wie Tschechien, Slowakei oder der DDR über Wien<br />
und dann über Kärnten ins Kriegsgebiet“, berichtet<br />
VINCENT AMALVY / AFP / picturedesk.com, JOEL ROBINE / AFP / picturedesk.com, Mile Jelesijevic / EPA / picturedesk.com, MICHAEL EVSTAFIEV / AFP / picturedesk.com<br />
16<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
„Ich habe<br />
schnell mit<br />
der Waffe arbeiten<br />
dürfen,<br />
weil ich vom<br />
Bundesheer<br />
noch trainiert<br />
war.“<br />
Emir, 41<br />
Paramilitärische Gruppen spielten eine große Rolle im Abtrünnigkeitskampf in Ex-Jugoslawien.<br />
Soldat R. Grenzkontrollen seien kein Problem<br />
gewesen: „Wenn du nicht gerade einen Panzer<br />
aufgeladen hattest, hat sich keiner geschert. Im<br />
Laufe des Krieges und der Unabhängigkeit Sloweniens<br />
(Anm.1991) wurde es langsam schwieriger –<br />
aber auch nicht wirklich. Nehmen wir zum Beispiel<br />
Kroatien: Das wurde damals von den Amerikanern<br />
kontrolliert, die das Land unterstützten. Sagen wir<br />
so: Boote wurden nicht aufgehalten. Es war also kein<br />
Problem Waffen über den Seeweg einzuschleusen.“<br />
Kriminelle Banden<br />
Weil die Staatspolizei nicht besonders mit Nachdruck<br />
– aber doch – anfing unangenehme Fragen zu<br />
stellen und die Grenzkontrollen strenger wurden,<br />
nahm die Zahl der „Foreign Fighters“ aus Österreich<br />
mit Fortschreiten des Krieges ab – die Rückkehrer<br />
wurden dagegen mehr. Gekümmert hat man<br />
sich um die tausenden brutalen und teils traumatisierten<br />
Kriegserfahrenen nicht. Ebenso wurde<br />
gegen die mafiösen Strukturen, die durch den<br />
Waffenhandel entstanden waren, nicht vehement<br />
vorgegangen. Im Gegenteil: „Die Rückkehrer aus<br />
Jugoslawien haben sich vielfach diesen kriminellen<br />
Banden angeschlossen“, so R. Ein großes Problem,<br />
das nicht aufgearbeitet wurde. Die Rolle der österreichischen<br />
Volontäre im Jugoslawienkrieg bleibt im<br />
Dunklen: Genaue Daten und Informationen haben<br />
weder Verfassungsschutz noch Polizei, die damals<br />
anders strukturiert waren. Ebenso wenig ließ sich<br />
ein Experte oder Historiker auftreiben, der sich dazu<br />
äußern möchte – wissenschaftlich wurde kaum<br />
etwas aufgearbeitet.<br />
Krieg tötet das Gewissen<br />
Emir ist heute ein erwachsener Mann, Familienvater<br />
und noch immer Automechaniker. Zweiundzwanzig<br />
Jahre liegt sein Einsatz im Bosnienkrieg<br />
mittlerweile zurück. Doch losgelassen hat es ihn<br />
nie: „Solange Action war, denkst du nicht viel darüber<br />
nach, was du da eigentlich tust. Irgendwann<br />
siehst du aber, dass alles hin ist und wie viele Gräber<br />
es gibt. Da kannst du kämpfen so gut du willst. Du<br />
siehst: irgendwie hast du trotzdem verloren. Krieg<br />
tötet das Gewissen, die Seele und das Gefühl.“ <br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 17
<strong>almanah</strong><br />
Sei still und arbeite!<br />
TEXT:<br />
Marina Delcheva<br />
FOTO:<br />
bereitgestellt von<br />
Ali Özbas/JUKUS<br />
2014 feierte Österreich 50 Jahre<br />
Gastarbeiter-Anwerbeabkommen mit<br />
der Türkei. Während die Wirtschaft auf<br />
gute Beziehungen und Erfolge für den<br />
Standort Österreich hinweist, erinnern<br />
sich viele Gastarbeiter an unbezahlte<br />
Überstunden, menschenunwürdige<br />
Quartiere und Beleidigungen. Streiks<br />
und Forderungen nach besseren<br />
Arbeitsbedingungen wurden mit<br />
Kündigung und Abschiebung bestraft.<br />
Es ist sechs Uhr morgens, irgendwann<br />
in den frühen 80ern. Dragica S. ist gerade<br />
eben aufgestanden und macht sich für<br />
die Arbeit fertig. Sie ist Tellerwäscherin<br />
und Reinigungskraft in einem Hotel in<br />
den Salzburger Alpen. Ihr Mann ist noch<br />
nicht aus der Nachtschicht zurück. Beide<br />
wohnen in einem winzigen Kellerzimmer<br />
ohne Bad und Küche im Hotel, in dem<br />
Dragica arbeitet. Die Frau weint zu dieser<br />
Zeit sehr oft. Sie hat vor wenigen Monaten<br />
ein Kind bekommen und es nach nur vier<br />
Wochen zu den Verwandten nach Jugoslawien<br />
geschickt. Sie hätte ihren Job verloren,<br />
wenn sie zu Hause beim Kind geblieben<br />
wäre. Mit der Arbeit wäre auch das Visum<br />
weg. Es ist ihr vierzehnter Arbeitstag in<br />
Folge. „Die Arbeitgeber haben das mit den<br />
freien Tagen damals nicht so ernst genommen“,<br />
erzählt sie heute.<br />
Dragica S. und ihr Mann gehören zu<br />
18<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
den geschätzten 200.000 Gastarbeitern,<br />
die in den 60ern bis 80ern nach Österreich<br />
gekommen sind, um hier zu arbeiten.<br />
Offiziell sollen von 1964 bis 1971 40.000<br />
türkische und jugoslawische Arbeiter<br />
über den Amtsweg gekommen sein. Noch<br />
mehr fanden aber über Bekannte oder<br />
als Touristen eine Arbeit in Österreich.<br />
„Es war nie das Problem, dass zu viele da<br />
waren, man musste sie eher suchen“, sagt<br />
August Gächter vom Zentrum für Soziale<br />
Innovation (ZSI). Heuer feiert Österreich<br />
das 50-jährige Jubiläum zum Anwerbeabkommen<br />
mit der Türkei (siehe Info auf der<br />
nächsten Seite).<br />
Österreichs Wirtschaft litt vor allem<br />
in den 60ern unter starkem Arbeitskräftemangel<br />
und brauchte dringend billige<br />
Arbeitskräfte aus dem Ausland. Die<br />
Baubranche hatte schon 1961 begonnen<br />
Arbeiter im Ausland anzuwerben. Heimische<br />
Betriebe waren in einem regelrechten<br />
Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte.<br />
Hinzu kam, dass Österreich eigentlich<br />
kein attraktiver Ort für Gastarbeiter war.<br />
Die meisten wollten nach Deutschland<br />
oder Belgien weiter, wo die Löhne viel<br />
höher waren, und sahen Österreich nur<br />
als Zwischenstopp. Das war ein großes<br />
Problem für heimische Betriebe, die immer<br />
wieder neue Leute anlernen mussten. Um<br />
ausländische Angestellte im Unternehmen<br />
zu halten, haben manche Betriebsleiter<br />
versucht bei der Fremdenpolizei zu intervenieren<br />
oder ihre Pässe einbehalten.<br />
Mindestlohn und Überstunden<br />
„Sie haben dir den Vertrag auf Deutsch<br />
hingehalten und du hast sofort unterschreiben<br />
müssen. Viele haben nicht<br />
einmal gewusst, was da steht“, erzählt<br />
Akif G. (Anm.: Name von der Redaktion<br />
geändert). Er kam 1979 als 18-Jähriger aus<br />
Ankara nach Wien. Damals hat sein Onkel<br />
schon als Gastarbeiter hier gearbeitet. Er<br />
hat im Baugewerbe, in einer Fischfabrik<br />
und später in einem Industriebetrieb gearbeitet.<br />
„Wir wussten zum Beispiel nicht,<br />
dass wir am Wochenende mehr verdienen<br />
dürfen. Das hat uns keiner gesagt“, sagt er.<br />
Die meisten Gastarbeiter haben nur den<br />
gesetzlichen Mindestlohn erhalten und<br />
„Ganz ehrlich, ich habe<br />
das als Sklavenarbeit<br />
empfunden.“<br />
Sagt Akif G. heute.<br />
wurden kaum über ihre Rechte aufgeklärt.<br />
„Manche von uns haben 3.000 bis 4.000<br />
Schilling im Monat verdient. Sie haben uns<br />
oft nur ein Viertel von dem bezahlt, was die<br />
Österreicher bekommen haben“, erzählt er.<br />
Doch auch jene, die wussten, was ihnen<br />
zusteht, haben sich nicht getraut aufzubegehren.<br />
Das Visum war an die Beschäftigung<br />
gekoppelt, die Arbeitsverträge waren<br />
meist auf ein Jahr befristet. Wer keinen Job<br />
hatte, musste das Land verlassen. „Ganz<br />
ehrlich, ich habe das als Sklavenarbeit<br />
empfunden“, sagt Akif G. heute.<br />
Für Frauen seien die Arbeitsbedingungen<br />
besonders schlimm gewesen, erzählt<br />
Ali Özbaş. Er ist Veranstalter der Ausstellung<br />
„Lebensgeschichten der ersten<br />
GastarbeiterInnen aus der Türkei: Eine<br />
Ausstellung zu über 50 Jahren türkische<br />
Arbeitsmigration nach Österreich“, die im<br />
Herbst landesweit startet. Auch wenn ein<br />
Großteil der Gastarbeiter Männer waren,<br />
so kamen doch auch Frauen, die vorwiegend<br />
in der Textilindustrie und manchmal<br />
im Gastgewerbe gearbeitet haben.<br />
Im Vergleich zum Baugewerbe oder zur<br />
Schwerindustrie waren die Gehälter in<br />
diesen Branchen aber sehr niedrig. Vor<br />
allem am Land gab es kaum Kinderbetreuungsplätze<br />
und viele Frauen hatten kein<br />
Recht auf Karenz, wenn sie nicht lange<br />
genug im Land waren. „Ich bin irgendwie<br />
alleine aufgewachsen“, erzählt Nesim G.,<br />
die als Sechsjährige mit ihren Eltern aus<br />
der Türkei nach Österreich gekommen ist.<br />
Viele Kinder wurden nach der Geburt zu<br />
den Großeltern in die Heimat geschickt<br />
oder sogar in staatliche Obhut gegeben.<br />
Wohnen „wie im Schweinestall“<br />
Am Anfang hat Akif G. in einer Fabrik<br />
gearbeitet und sich mit sieben weiteren<br />
Kollegen ein Zimmer geteilt. Es war gerade<br />
einmal groß genug für die vier Stockbetten,<br />
auf denen die Männer geschlafen<br />
haben. „Wir haben wie im Schweinestall<br />
gelebt!“ Bis weit in die 1970er mussten die<br />
Firmen theoretisch für die Unterkunft und<br />
die Beschäftigungsbewilligung ihrer ausländischen<br />
Arbeiter aufkommen. In der<br />
Praxis wurde aber vielen ein Teil des Lohns<br />
für Logis und für die Gebühren rund um die<br />
Erteilung der Beschäftigung abgezogen.<br />
„Waschmaschine oder Bad im Zimmer ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 19
<strong>almanah</strong><br />
„Es gibt keine Zahlen<br />
über die Anträge seitens<br />
der WKO oder des<br />
ÖGB und wie diese ausgegangen<br />
sind. Mein<br />
Eindruck war aber, es<br />
hing davon ab, wie gut<br />
der Betrieb in der Sozialpartnerschaft<br />
verankert<br />
war.“<br />
waren Luxus. Jede Woche war eine lange<br />
Schlange vor dem Amalienbad“, so Akif. In<br />
eine eigene Wohnung umziehen war theoretisch<br />
möglich, aber nicht gern gesehen.<br />
„Wer aus den schäbigen Arbeiterquartieren<br />
ausziehen wollte, dem wurde mit dem<br />
Rauswurf gedroht“, erzählt Gächter vom<br />
ZSI.<br />
„Am Anfang waren die Arbeiter mit<br />
dem zufrieden, was sie bekommen haben.<br />
Niemand hat gefragt, was ihm zusteht“,<br />
sagt Özbas, der im Rahmen der Ausstellung<br />
zahlreiche Interviews mit ehemaligen<br />
Gastarbeitern geführt hat. „Aber sobald<br />
die Leute ihren Lebensmittelpunkt hierher<br />
verlagert hatten und ihre Kinder hier in die<br />
Schule gegangen sind, haben sie begonnen,<br />
mehr Rechte einzufordern.“ Und das<br />
wurde noch weniger gern gesehen und<br />
folgenschwer bestraft.<br />
Von Kammers Gnaden<br />
Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit hat<br />
die Historikerin Vida Bakondy untersucht,<br />
wie Gastarbeiter gegen miserable<br />
Wohn- und Arbeitsbedingungen demonstriert<br />
haben und wie heimische Betriebe<br />
auf deren Ungehorsam reagiert haben.<br />
Das Resultat: Aufbegehren wurde in manchen<br />
Fällen mit Abschiebung bestraft.<br />
Die Beschäftigungsbewilligungen wurden<br />
nicht verlängert und ein Wechsel in eine<br />
andere Firma wurde bewusst erschwert.<br />
„Manche Firmen haben bei der Wirtschaftskammer<br />
interveniert und wollten<br />
verhindern, dass die Arbeiter in einer<br />
anderen Firma einen Job bekommen“, sagt<br />
Bakondy. So bittet etwa eine Metallerzeugungsfirma<br />
1963 die Wirtschaftskammer<br />
im Fall eines angeworbenen türkischen<br />
Arbeiters um Intervention. Die Kammer<br />
solle beim damaligen Arbeitsamt intervenieren,<br />
sodass der Arbeiter in keiner anderen<br />
Firma eine Arbeit findet und entweder<br />
beim Metallerzeuger bleibt, oder das Land<br />
verlassen muss. In den Archiven der WKO<br />
finden sich auch weitere Briefe von Firmen<br />
mit der Bitte um Intervention. Der niederösterreichische<br />
„Stadtbaumeister Rudolf<br />
Jäger“ beschwert sich 1963 etwa, dass acht<br />
türkische Bauarbeiter gekündigt haben<br />
und bittet die WKO, „auch von Ihrer Seite<br />
aus zu versuchen, diese türkischen Bauhelfer<br />
aufzugreifen und damit zur Rückkehr<br />
zu zwingen.“<br />
Damals hatten Wirtschaftskammer<br />
(WKO) und Gewerkschaftsbund (ÖGB)<br />
tatsächlich ein Mitspracherecht bei der<br />
Erteilung von Arbeitsbewilligungen und<br />
Visa. In welchen Fällen aber interveniert<br />
wurde, hing oft von der Firma selbst ab.<br />
„Es gibt keine Zahlen über die Anträge<br />
seitens der WKO oder des ÖGB und wie<br />
diese ausgegangen sind. Mein Eindruck war<br />
aber, es hing davon ab, wie gut der Betrieb<br />
in der Sozialpartnerschaft verankert war“,<br />
erzählt August Gächter, der im Rahmen<br />
seiner Forschungsarbeit die Arbeitsbedingungen<br />
von Gastarbeitern untersucht hat.<br />
Hatte ein Betrieb ein hohes Standing in der<br />
Kammer oder einen Betriebsrat beim ÖGB,<br />
sei den Forderungen nach Intervention<br />
eher nachgegangen worden – unabhängig<br />
davon, ob es darum ging einen Arbeiter zu<br />
behalten oder abzuwerben, so Gächter.<br />
Bakondy schildert in der Zeitschrift<br />
der Initiative Minderheit, „Stimme“, den<br />
Wunsch nach Abschiebung von neun türkischen<br />
Arbeitern, die sich nach Auslaufen<br />
ihres Arbeitsvertrags geweigert hatten<br />
bei derselben Baufirma zu verlängern.<br />
Diesen Vorfall kommentierte das Arbeitsamt<br />
Niederösterreich 1962 so: „…Da auch<br />
weiterhin Interesse an ihrer berufsrichtigen<br />
Beschäftigung bestand, sieht das<br />
Landesamt NÖ. in dem disziplinlosen und<br />
den Arbeitsmarkt störenden Verhalten<br />
dieser Fremdarbeiter eine Gefährdung der<br />
öffentlichen Interessen.“ Die Gastarbeiter<br />
sollten kein Recht bekommen über die Art<br />
ihrer Beschäftigung und ihren Arbeitgeber<br />
selbst zu entscheiden.<br />
„Das Anwerbeabkommen mit der Türkei<br />
wurde vor 50 Jahren abgeschlossen, die<br />
damals für dieses Thema zuständigen<br />
Personen sind schon lange nicht mehr in<br />
20<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
der WKO tätig. Ich kann sie daher nicht<br />
mehr fragen, wie mit Interventionen<br />
umgegangen wurde. Ich bitte Sie dahingehend<br />
um Verständnis“, sagt Margit Kreuzhuber<br />
von der WKO. Tatsächlich sind in den<br />
Archiven keine Aufzeichnungen darüber,<br />
wie die Kammer damals auf Briefe und<br />
Ansuchen geantwortet hat.<br />
Keine Macht den Arbeitern<br />
Autonomie und Ungehorsam wurden vom<br />
Arbeitgeber bestraft, die Kammern und<br />
das Arbeitsamt haben ihnen den Rücken<br />
gestärkt. Gächter schildert im Rahmen<br />
seiner Forschung beispielsweise zwei<br />
Streikfälle von jugoslawischen Gastarbeitern<br />
1965 und 1966 in zwei unterschiedlichen<br />
Betrieben, die mit Schubhaft und<br />
Abschiebung niedergeschlagen wurden. Im<br />
ersten Fall haben zehn Arbeiter demonstriert,<br />
weil sie statt der versprochenen 18<br />
Schilling pro Stunde nur 15 bekommen<br />
hatten. Im zweiten Fall hatten Arbeiter<br />
ihre Stimmen erhoben, weil ein Kollege<br />
gekündigt worden war, nachdem er sich<br />
über die Arbeitsbedingungen beschwert<br />
hatte. Die Arbeitgeber hatten Angst, dass<br />
auch andere ausländische Arbeiter auf die<br />
Barrikaden steigen und haben jede Form<br />
des Widerstands drakonisch bestraft.<br />
„Streik oder Aufregen waren purer<br />
Luxus!“, erzählt Akif G. Und so haben viele<br />
einfach nur geschwiegen und gearbeitet.<br />
Sie haben alles gespart, was sie<br />
beiseite legen konnten und ihren Familien<br />
geschickt oder für ihre Kinder hier auf<br />
die Seite gelegt. „Irgendwann wurde es<br />
langsam besser. Zuerst ein besserer Job,<br />
dann eine schönere Wohnung…“ Heute<br />
lebt Akif in einer geräumigen, schönen<br />
Wohnung in Wien. Seine Kinder sind<br />
erwachsen und haben studiert. „Ich habe<br />
meinem Sohn gesagt, ich will dich nicht<br />
im Blaumann sehen!“ Nur sein Rücken ist<br />
von der jahrelangen harten Arbeit kaputt.<br />
Auch Dragica hat Schmerzen, wenn sie sich<br />
bücken muss und ihre Enkelkinder auf den<br />
Arm nimmt. Und erinnern wollen sie sich<br />
nicht so gern an die ersten Jahre in Österreich,<br />
als jeder noch gedacht hat, sie gehen<br />
bald.<br />
<br />
Gastarbeiter in Österreich<br />
1961 wurde das sogenannte Raab-Olah-Abkommen geschlossen,<br />
benannt nach den Präsidenten der Wirtschaftskammer<br />
und des Gewerkschaftsbunds Julius Raab und Franz Olah.<br />
Dieses sollte ausländischen Arbeitskräften den Zugang zum<br />
heimischen Arbeitsmarkt erleichtern und war quasi der<br />
Grundstein für die über 30-jährige Gastarbeitergeschichte<br />
Österreichs. Das erste Abkommen zum Abwerben von ausländischen<br />
Arbeitern wurde 1962 mit Spanien geschlossen.<br />
Da das Lohnniveau in Österreich relativ gering war, kamen<br />
aber kaum spanische Arbeiter ins Land. 1964 schloss Österreich<br />
ein Abwerbeabkommen mit der Türkei. Eine entsprechende<br />
Anwerbestelle war schon 1961 in Istanbul eröffnet<br />
worden. Diese vermittelte türkische Arbeiter an österreichische<br />
Betriebe, die um ausländische Arbeiter angesucht<br />
hatten. Auch mit dem ehemaligen Jugoslawien gab es ein<br />
Abkommen. Offiziell sollen von 1964 bis 1971 40.000 türkische<br />
und jugoslawische Arbeiter über den Amtsweg gekommen<br />
sein. Vermutlich waren es weit mehr, weil viele Arbeiter<br />
über Verwandte und Bekannte eine Stelle in Österreich<br />
bekommen haben. Schätzungsweise kamen bis Mitte der<br />
80er-Jahre 200.000 bis 220.000 Menschen als Gastarbeiter<br />
nach Österreich.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 21
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
Wien Holding:<br />
So vielfältig<br />
Rund 75 Unternehmen bündelt<br />
die Wien Holding derzeit<br />
unter ihrem Dach. So vielfältig<br />
wie die Projekte, sind<br />
auch die MitarbeiterInnen,<br />
die in dem städtischen Konzern<br />
arbeiten. Internationalität<br />
und Integration wird hier<br />
groß geschrieben.<br />
Ob Pink-Konzert in der Stadthalle, entspannen<br />
in der Therme Wien oder per Twin City Liner auf<br />
der Donau von Wien nach Bratislava cruisen –<br />
die Wien Holding hat diese Projekte realisiert.<br />
Der städtische Konzern erfüllt kommunale Aufgaben<br />
und ist gleichzeitig stets bestrebt, die Lebensqualität<br />
in der Stadt zu erhöhen. Die rund<br />
75 Unternehmen sind im Kulturbereich, in der<br />
Entwicklung von Immobilien, im Logistik-, Umwelt-<br />
und Mediensektor tätig. Vielfalt spielt hier<br />
eine wichtige Rolle. Nicht nur auf Projekt- und<br />
Kundenebene – ein guter Teil der rund 2.900<br />
MitarbeiterInnen ist international oder hat zumindest<br />
Migrationshintergrund. Integration ist<br />
in den Unternehmen der Wien Holding gelebte<br />
Praxis.<br />
MARKETINGLEITERIN EINES TV-SENDERS<br />
IRINGÓ DEMETER wurde in Rumänien geboren<br />
und gehört der ungarischen Minderheit an.<br />
1981 flüchtete sie mit ihrer Familie nach Wien.<br />
Die 36-Jährige bezeichnet sich als Wienerin, ist<br />
in Favoriten aufgewachsen, hat in Wieden maturiert<br />
und an der Hauptuniversität und der WU<br />
studiert. Sie absolvierte ein Betriebswirtschaftsund<br />
ein Genetik-Mikrobiologie Studium, zu ihren<br />
Spezialgebieten zählten betriebliche Finanzierung<br />
und Change Management, sowie Immunologie<br />
und Molekulare Medizin. Die Kombination<br />
aus Wirtschaft und Naturwissenschaft hat Iringó<br />
auf ihrem Berufsweg viel gebracht. Sie hat ihr<br />
Wissen unter anderem bei Avir Green Hills Biotechnology<br />
und LilO Venture eingesetzt. Seit<br />
2012 ist Iringó Marketingleiterin beim Stadtsender<br />
W24. „Stadtfernsehen wurde in dieser Form<br />
in Wien bisher nicht gemacht. Ich bin stolz, in<br />
einem so dynamischen Unternehmen arbeiten<br />
zu können“, freut sich Iringó.<br />
GUIDE IM KUNST HAUS WIEN<br />
LALAINE CERRADA ist seit 2004 im Aufsichtsbereich<br />
und als „Guide“ im Kunst Haus Wien im<br />
Einsatz. Sehr passend, wollte sie doch immer<br />
Künstlerin werden. Ihre Mutter hingegen wollte,<br />
dass sie zuerst ein „greifbares“ Studium absolviert.<br />
Also hat sie Marketingmanagement belegt,<br />
„den einzigen Bereich der Wirtschaft, in<br />
dem Kunst vorkommt“, lacht sie. In ihrer Heimat,<br />
den Philippinen, war Lalaine als Modedesignerin<br />
tätig, in Österreich hat sie dann als erste Ausstellung<br />
gleich eine Modeausstellung betreut.<br />
Neben dem Einsatz für das Kunst Haus Wien<br />
22
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
wie die Stadt<br />
ist Lalaine Cerrada nach wie vor als Künstlerin<br />
tätig und experimentiert liebend gern mit neuen<br />
Materialien. Ihren Arbeiten kann man auf<br />
www.lalaine-art.com einen Besuch abstatten.<br />
ARBEITEN WO DIE STARS ZU HAUSE SIND<br />
ZUHDIJA BEGIC ist Betriebsleiter in der Wiener<br />
Stadthalle. Von den KollegInnen wird er meist<br />
„Sudo“ genannt, da die Aussprache seines seltenen<br />
bosnischen Vornamens „Zuhdija“ den<br />
ÖsterreicherInnen schwerfällt. Zuhidija Begic,<br />
geboren am 23. März 1957 in Boskrupa im Norden<br />
Bosnien-Herzegowinas, ist im Alter von 13<br />
Jahren seinen Eltern nach Wien gefolgt. Seit<br />
mittlerweile 29 Jahren gehört der gelernte Maschinenschlosser<br />
fest zum Betrieb der Stadthalle<br />
und hat hier viele Stationen durchlaufen: Er war<br />
Bühnenmeister, Hallenmeister und Maschinist.<br />
Heute führt er 80 KollegInnen aus den Bereichen<br />
Hallen-, Ton- und Lichttechnik sowie Mechanik,<br />
Portiere und Reinigung.<br />
„Ein volles Haus ist das Schönste. Ich krieg‘ noch<br />
immer eine Gänsehaut, wenn 16.000 Menschen<br />
jubeln“, sagt Zuhdija Begic über seine Arbeit.<br />
VOM FERIALJOB ZUR MARKETING-LADY<br />
ANGELA DJURIC, geboren 1989 in Brčko in Bosnien-Herzegowina,<br />
zog im Alter von zwei Jahren<br />
mit ihren Eltern nach Wien. In der Wien Holding<br />
arbeitete Angela Djuric zum ersten Mal im Jahr<br />
2008 als Ferialpraktikantin. Seit Oktober 2011,<br />
kurz nach ihrem Bachelorabschluss in „Kommunikationswirtschaft“,<br />
ist sie Vollzeit im Bereich<br />
Marketing und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Als<br />
bisher jüngste Teilnehmerin machte sie im Managementprogramm<br />
der Wien Holding mit.<br />
Ihre Wurzeln liegen am Balkan, aufgewachsen ist<br />
sie in Wien. Hier wird sie immer Migrantin bleiben,<br />
in Bosnien immer Auswanderin. Sie selbst<br />
sagt, dass sie sich weder als Österreicherin noch<br />
als Bosnierin fühlt, sondern als Wienerin. „Deswegen<br />
arbeite ich auch gerne bei der Wien Holding.<br />
Wien ist eine großartige Stadt und hat so<br />
viel zu bieten, immer ist irgendetwas los. Mit<br />
ihren Tochterunternehmen trägt die Wien Holding<br />
viel dazu bei und ich finde es toll, hier auch<br />
dazuzugehören.“<br />
Fotos v.l.n.r. :<br />
© W24, © Katrin Bruder, Foto 3 u. 4 © Eva Kelety<br />
WIEN HOLDING GMBH<br />
Universitätsstraße 11, 1010 Wien<br />
T +43 (1) 408 25 69-0<br />
F +43 (1) 408 25 69-37<br />
office@wienholding.at<br />
www.wienholding.at<br />
www.facebook.com/WienHolding<br />
23
<strong>almanah</strong><br />
Im Namen<br />
der Ausländer<br />
TEXT:<br />
Melisa Aljović<br />
F O T O :<br />
Philipp Tomsich<br />
Weil ausländische Namen schwer zu merken<br />
sind, werden viele einfach umbenannt. So<br />
wird aus Farhad Toni und aus Razija Tina.<br />
Mich<br />
fragten<br />
Lehrer oft,<br />
ob mein<br />
Name falsch<br />
geschrieben<br />
ist.<br />
Da geben sich werdende Eltern doch so viel Mühe.<br />
Sie kaufen Namensbücher und suchen Statistiken<br />
darüber heraus, mit welchen Namen ihren Kindern<br />
bessere Chancen im Leben offen stehen. Nachdem<br />
sie also Kevin und Jennifer aussortiert haben,<br />
suchen sie nach einem Kompromiss mit dem Namen<br />
des Kindes der verstorbenen Uroma zu gedenken,<br />
aber trotzdem auch dem 21. Jahrhundert gerecht zu<br />
werden. Ja, die Namenswahl sollte gut durchdacht<br />
sein, schließlich begleitet der Vorname einen sein<br />
Leben lang - zumindest die meisten von uns.<br />
Meine Tante Razija (z wird wie das s bei Rose<br />
ausgesprochen) trug ihren Namen nur bis zur ersten<br />
Hälfte ihres Lebens. Denn ihr bosnischer Name war<br />
zu kompliziert für die Österreicher. Deshalb wurde<br />
sie von ihrer Chefin in „Tina“ umbenannt: „Das<br />
können sich dann auch die Kunden besser merken.“<br />
Eine Frisörin namens Tina kriegt halt mehr Trinkgeld.<br />
Macht sich auch auf der Tip-Box besser: Tina<br />
Trinkgeld. Tip Tina. Trinkgeld für Tina.<br />
Und weil die Österreicher scheinbar auf kurze<br />
Namen, die mit einem T anfangen, stehen, wurde<br />
mein Bekannter Farhad (h ist nicht stumm) von<br />
seinem Fußballtrainer „Toni“ getauft. Der Name<br />
würde ihm viel besser stehen, meinte der Trainer.<br />
Was genau jetzt an „Farhad“ nicht passt, bleibt<br />
offen - vielleicht war der Mann aber auch einfach<br />
nur Toni Polster Fan.<br />
Um Leben und Tod<br />
Ich selbst habe übrigens einen großartigen Namen,<br />
den man glücklicherweise in aller Welt kennt, der<br />
mir sogar einmal quasi mein Leben gerettet hat, aber<br />
das ist eine andere Geschichte. Ich heiße Melisa. Mit<br />
einem s geschrieben, weil es im Bosnischen keine<br />
Doppelkonsonanten gibt. So leicht erklärt man das<br />
fehlende s, doch für so viel Verwirrung sorgt es<br />
stets. Mich fragten Lehrer oft, ob ich wüsste, dass<br />
mein Name falsch geschrieben sei. Einmal wurde<br />
mein Name, händisch von mir selbst im dazu vorgesehenen<br />
Feld eingetragen, mit Rotstift von jemand<br />
anderem in „Melissa“ umgebessert. Ich war kurz<br />
davor mich nun selbst mit Doppel-s zu schreiben,<br />
aber ich ließ es dann doch bleiben, ich war halt ein<br />
rebellischer Teenager. Dafür beschloss ich meine<br />
Mutter Senija meinen Lehrern und Klassenkollegen<br />
nur noch als Xenia vorzustellen, so musste ich ihren<br />
Namen nicht auch noch ständig buchstabieren.<br />
Wenn ich schon beim Thema Schule bin: Eine<br />
Lehrerin erzählte neulich, dass ihr türkischstämmiger<br />
Schüler Can, der Name bedeutet im Türkischen<br />
„Leben“, (C wird wie dsch in Dschungel ausgesprochen)<br />
von anderer Lehrern Kan genannt wird. Das<br />
stört den Bub schon ziemlich, weil Kan auf Türkisch<br />
„Blut“ bedeutet und statt mit Leben eher mit dem<br />
Tod assoziiert wird. Und naja, welches Kind möchte<br />
damit in Verbindung gebracht werden<br />
Ja, ich weiß – es ist aber auch ungerecht. Da sind<br />
die schon so viele Jahre in Österreich und trotzdem<br />
denken sie nicht daran, dem Nachwuchs anständige<br />
Namen wie Julia, Sieglinde oder Florian zu geben.<br />
Es wird den Ur-Österreichern nichts anderes übrig<br />
bleiben, als sich zu bemühen die fremden, ausländischen<br />
Namen irgendwie zu akzeptieren. Ein kleiner<br />
Tipp, der angeblich gut zu funktionieren scheint:<br />
Fragt die Leute, wie man ihren Namen korrekt<br />
ausspricht und merkt es euch dann einfach für die<br />
Zukunft!<br />
Kopf hoch, bei Chantal und Angelina klappt es<br />
doch auch schon.<br />
Melisa hat bosnische Wurzeln und ist Redakteurin bei biber.<br />
24<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 25
<strong>almanah</strong><br />
ad<br />
bosnisch, kroatisch, serbisch für »Arbeit«<br />
26<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
MARKT & KARRIERE<br />
2029 wird Wien die Zwei-Millionen-Grenze überschreiten. Wie geht<br />
Österreich mit den neuen Zuwanderern um Welche Visionen haben<br />
Top-Manager von Wiens Zukunft Und warum entwickelt die Regierung<br />
und Wien eine neue "Willkommenskultur", die als best-practice<br />
Beispiel in Europa gilt<br />
S. 28–33<br />
AUSLÄNDERBEHÖRDE DELUXE<br />
Das Welcome Center in Hamburg rollt hochqualifizierten<br />
Migranten den roten Teppich aus und geht europaweit<br />
mit gutem Beispiel voran. Aber wie werden Fachkräfte in<br />
Österreich empfangen<br />
S. 34-37<br />
WIEN WÄCHST<br />
Sieben Wirtschaftsexperten sprechen über die zukünftige<br />
Wohnsituation, den Arbeitsmarkt und infrastrukturelle<br />
Veränderungen.<br />
S. 38-41<br />
MAKING OF ASPERN<br />
In Aspern entsteht eine Siedlung, die größer als Eisenstadt<br />
sein wird. Wir haben uns zwischen Baukränen und<br />
Fassadenbauern umgesehen.
<strong>almanah</strong><br />
T E X T:<br />
Philipp Woldin<br />
FOTO:<br />
Daniel Cihan Schmidt<br />
Ausländerbehörde<br />
deluxe<br />
Ein Besuch im Hamburg Welcome Center, wo<br />
Deutschland ausländischen Fachkräften den<br />
roten Teppich ausrollt: Wer hierher kommt, wird<br />
dringend gebraucht – das spürt man.<br />
den Räumen der Handelskammer, das Welcome<br />
Center residiert auf zwei Fluren. Bevor ein Gast<br />
Platz nimmt, schaltet der Sachbearbeiter sein<br />
Telefon jetzt immer auf lautlos, so läuft das hier.<br />
Die deutsche Wirtschaft ringt um ausländische<br />
Fachkräfte, die heißen hier konsequent Kunden oder<br />
Die Glastür des Hamburg Welcome Center gleitet<br />
auf, Muhammed Karasu geht über einen roten Teppich<br />
zum Empfangstresen, vorbei an schneeweißen<br />
Säulen. Von der gewölbten Decke hängen Lampen<br />
wie aus einem skandinavischen Designkatalog. Der<br />
32-Jährige – randlose Brille, Pausbäckchen – will<br />
sein Visum um drei Monate verlängern. Vorn empfängt<br />
ihn gleich eine Sachbearbeiterin, keine Sekretärin:<br />
Just a moment, please have a seat. Herr Karasu<br />
sinkt in einen flauschigen Sessel. Das soll eine Ausländerbehörde<br />
sein<br />
Endlose Schlangen, Nummern ziehen und graue<br />
Büros. Wenn Michael Möller über seinen alten Job<br />
bei der Ausländerabteilung Hamburg-Nord erzählt,<br />
klingt es eher nach Behörde. „Das war Massenabfertigung“,<br />
sagt der Sachbearbeiter. „Die Leute kamen<br />
meist aus schwierigen sozialen Verhältnissen, oft<br />
musste ich Anträge ablehnen.“ Auf dem Amt sprach<br />
man Deutsch. Wer die Sprache nicht konnte, musste<br />
sich einen Dolmetscher besorgen.<br />
Heute berät Möller in einem verglasten Büro in<br />
Just a<br />
moment,<br />
please have<br />
a seat.<br />
Neubürger, keiner spricht von Antragsstellern.<br />
Welcome Center wie in Hamburg sollen das<br />
Image des Landes aufpolieren. Bis in die neunziger<br />
Jahre galt der Satz: Deutschland ist kein Einwanderungsland.<br />
Das war einmal: Im vergangenen Jahr<br />
wanderten laut Statistischem Bundesamt 437.000<br />
Menschen ein, Tendenz steigend. Experten nennen<br />
Deutschland schon das neue Zuwanderungsmekka.<br />
Die Deutschen, hilfsbereit und ausgeglichen<br />
In ganz Deutschland verändert sich deshalb<br />
die Kultur der Ämter: Sachsen krempelte 2011<br />
seine Behörden komplett um, in Essen eröffnete<br />
im vergangenen Jahr ein Willkommenszentrum,<br />
Stuttgart baut gerade. Hamburg gilt noch immer<br />
als Vorzeigebeispiel, die Business-Class unter den<br />
Ausländerbehörden, seit 2007 für Fachkräfte da.<br />
In anderen Städten stellten die Behörden dafür nur<br />
ein paar Sachbearbeiter mehr ein, entfernten die<br />
Sicherheitsscheibe zwischen Beamten und Antragstellern<br />
und stellten ein paar Blumen ins Regal. ‣<br />
28<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
‣<br />
<strong>almanah</strong><br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 29
<strong>almanah</strong><br />
Welcome Center wie in Hamburg sollen das Image des Landes aufpolieren.<br />
Hamburg Marketing GmbH/Sven Schwarze<br />
Möller fragt: Können Sie Deutsch Ein bisschen,<br />
sagt Karasu. Er ist Beamter im türkischen Innenministerium<br />
und lernt ein Jahr lang, wie die deutsche<br />
Verwaltung funktioniert. Ende Oktober fliegt er<br />
zurück in die Türkei, ein letztes Mal verlängert er<br />
seinen Titel. Karasu blättert die Unterlagen hin –<br />
Meldebestätigung, Krankenversicherung, Passfoto.<br />
Die Deutschen, ja, die seien hilfsbereit und ausgeglichen,<br />
nicht so aufbrausend wie die Türken.<br />
Besonders beeindruckt ist Karasu von der U-Bahn,<br />
die kommt immer so pünktlich. Er ist erst seit<br />
Kurzem hier.<br />
Vorurteile Naja, sagt der Sachbearbeiter Möller,<br />
durch die täglichen Erfahrungen in der Ausländerabteilung<br />
in Hamburg-Nord habe er schon eine<br />
spezielle Meinung über manche Bevölkerungsgruppen<br />
entwickelt. Er schnippelt das Passbild von<br />
Karasu zurecht, dann pappt er den Aufenthaltstitel<br />
in den Pass – alles klar, das kostet 15 Euro. Karasu<br />
Das mit<br />
dem WLAN<br />
muss wirklich<br />
besser<br />
werden.<br />
stutzt: „Muss ich nicht 30 Euro zahlen“ Möller<br />
ist verblüfft: Stimmt. Wahrscheinlich käme der<br />
türkische Beamte auch ganz gut allein zurecht, von<br />
den meisten Asylbewerbern und Flüchtlingen, die<br />
Möller früher betreute, konnte man das nicht sagen.<br />
„Wer kriegt eigentlich die Herdprämie“ Reiner<br />
Fabian hat davon in der Zeitung gelesen. „Sie<br />
meinen das Betreuungsgeld“, sagt der Sachbearbeiter.<br />
Fabian ist gebürtiger Hamburger, lebte acht<br />
Jahre mit seiner Frau im englischen Swansea. Jetzt<br />
ist das Ehepaar zurück – und muss sich durch die<br />
deutsche Bürokratie kämpfen.<br />
Seine litauische Frau Vitalia sucht nach einem<br />
Kindergarten für die 14 Monate alte Tochter und klagt:<br />
„Wieso gibt es da keine zentrale Webseite“ Integrationskurse,<br />
Krankenkassen, Mutter-Kind-Betreuung<br />
in Wandsbeck – der Sachbearbeiter gibt<br />
geduldig Tipps. Empfehlen darf er als Behördenmitarbeiter<br />
nichts, aber er druckt einen Flyer nach<br />
30<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
dem anderen aus. Dann ist das Ehepaar fast aus der<br />
Tür, der Sachbearbeiter ruft ihnen noch hinterher:<br />
„Sollte Ihnen noch eine Frage einfallen, dann<br />
mailen Sie mir doch!“<br />
Neben dem Flachbildschirm im Eingangsbereich<br />
beugt sich Raghav Gupta über den Grundriss<br />
einer Wohnung und befindet: Die ist nicht gut, wir<br />
brauchen dringend einen Aufzug. Ihm gegenüber<br />
sitzt seine Relocaterin. Guptas neuer Arbeitgeber,<br />
eine Pharmafirma, bezahlt sie. Viele Firmen umsorgen<br />
ihre ausländischen Mitarbeiter auf ähnliche<br />
Weise. Die Relocaterin betreut den Inder rund um<br />
die Uhr: Sie holte die Familie vom Flughafen ab,<br />
vereinbarte Termine mit Maklern – und begleitet<br />
Gupta, wenn er wie heute seinen Wohnsitz anmeldet.<br />
Sie ist sein persönliches Welcome Center.<br />
Es hätte auch ein anderes Land sein können<br />
Der 35-Jährige kommt aus Neu Delhi, er ist einer<br />
der Fachkräfte, die Deutschland händeringend<br />
sucht. Bisher plante er, 18 Monate in Deutschland<br />
zu bleiben, vielleicht werden es mehr. Jetzt müssen<br />
sie weiter, sagt die Relocaterin. Um 15 Uhr ist<br />
der Banktermin, später besichtigen sie ein Haus.<br />
Warum Deutschland Es sei ein herausfordernder<br />
Markt, sagt Gupta. Es klingt wie: Es hätte auch ein<br />
anderes Land sein können.<br />
Anfangs gab es Vorurteile gegen die neue Einrichtung,<br />
sagt der stellvertretende Leiter Günther<br />
Wielgoß, klar. Ihr pickt euch nur die Rosinen raus,<br />
murrten die anderen Ausländerämter. Natürlich sei<br />
der Alltag unterschiedlich: Die Termine sind lange<br />
vorbereitet, die Kunden werden umfassend beraten,<br />
nicht nur zum Wohn- und Aufenthaltsrecht.<br />
Andersherum hätten die Bezirke teilweise aber auch<br />
Kunden wie hier: Wissenschaftler und Manager,<br />
Selbstständige und Ingenieure, auch Studierende.<br />
Die könnten sich ja selbst aussuchen, zu welcher<br />
Stelle sie gehen.<br />
Jonathan Seiling fühlt sich hier willkommen, in<br />
New York war das nach dem 11. September anders,<br />
der 39-jährige Kanadier hatte dort jahrelang<br />
gelebt. Erst vor wenigen Tagen ist er in Deutschland<br />
angekommen, nächsten Monat fängt er an der<br />
Hamburger Universität an. Was ihm auffällt: Hier<br />
Viele junge Fachkräfte folgen dem Ruf der Arbeit und ziehen ins Ausland.<br />
patrouilliert nicht an jeder Ecke ein Polizist. Das<br />
Schulsystem findet er herausragend, sein Sohn ist<br />
fünf Jahre alt, er soll davon profitieren. Unbürokratisch<br />
nennt er die Betreuung – für eine deutsche<br />
Behörde ein seltsames Kompliment.<br />
Das Welcome Center und die Handelskammer verbindet<br />
eine Glastür, auf der Anrichte rechts daneben<br />
thront ein massiges Buch. Die Kunden können<br />
hier Verbesserungsvorschläge hinterlassen. Konstantin<br />
Belyaev lobt die Organisation der Behörde,<br />
jemand anders schreibt: „Super Atmosphäre!“ Dann<br />
ist da noch ein kritischer Eintrag, etwas versteckt:<br />
Diese Reportage wurde von<br />
Das mit dem WLAN in Hamburg, das muss wirklich<br />
„ZEIT-ONLINE“ zur Verfügung<br />
besser werden.<br />
<br />
gestellt.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 31
<strong>almanah</strong><br />
Dobro došli u Austriju<br />
Integrationsbeauftragte in Ankara und Belgrad<br />
vermitteln österreichische Werte an Zuwanderer.<br />
Dadurch soll Integration leichter fallen.<br />
T E X T:<br />
Alexandra Stanić<br />
„Dobro Došli u Austriju!“ Mit diesen Wörtern<br />
begrüßt die neue Integrationsbeauftragte Belma<br />
Coković zukünftige Zuwanderer in der österreichischen<br />
Botschaft in Belgrad. Die 26-Jährige ist die<br />
erste Anlaufstelle für Menschen, die nach Österreich<br />
ziehen wollen. Ziel ist es, die Integration von<br />
Anfang an zu sichern. Neben Nalan Gündüz in der<br />
Türkei ist Belma die zweite Integrationsbeauftragte<br />
an einer österreichischen Vertretungsbehörde. Dass<br />
die Idee aufgeht, bestätigen die Zahlen: 2013 wurden<br />
in Ankara über 1.600 türkische Personen erreicht.<br />
Im Oktober 2014 begrüßte Außen- und Integrati-<br />
onsminister Sebastian Kurz nun die zweite Integrationsbeauftragte.<br />
„Belma übernimmt in Serbien die<br />
wichtige Funktion einer Brückenbauerin, die schon<br />
im Vorfeld Zuwanderinnen und Zuwanderer über<br />
alle Möglichkeiten informiert“, so Sebastian Kurz.<br />
Auch Belma ist sich der Wichtigkeit ihrer Funktion<br />
bewusst. „Mit dem Orientierungsmodul und persönlichen<br />
Beratungen kann ich vielen Leuten ein<br />
wichtiges Rüstzeug mitgeben, das ihnen die ersten<br />
Schritte in Österreich sowie die Eingliederung in die<br />
Gesellschaft erleichtern wird", erklärt die 26-Jährige.<br />
Österreich als Vorreiter<br />
„Kein anderes EU-Land bietet Zuwanderern im Vorfeld<br />
eine derartige Beratung und Erstorientierung<br />
in den Herkunftsländern an“, so Victoria Benesch,<br />
die derzeit an einem Projekt zum Thema Willkommenskultur<br />
im Auftrag des Bundesministeriums für<br />
Äußeres arbeitet. Sie ist sich sicher, dass Österreich<br />
das best-practice-Modell europaweit ist. Schon<br />
2008 hat die Wiener Integrationsstadträtin Sandra<br />
Frauenberger das Willkommensprogramm „Start<br />
Wien“ ins Leben gerufen. Die Initiative hilft beim<br />
1.800 LEHRLINGE UNTER<br />
DEM REWE-BOGEN<br />
32<br />
LIDIJA, TAMARA, THOMAS, MANUEL,<br />
SHQIPRIM, KEVIN UND KATHRIN<br />
Sind Lehrlinge bei PENNY, BIPA, BILLA,<br />
MERKUR und ADEG. Ihre Pausen<br />
JAHRBUCH genießen FÜR INTEGRATION sie am liebsten gemeinsam.
<strong>almanah</strong><br />
Allein in Salzburg stiegen die<br />
Spracherwerb und stellt Informationen<br />
jeglicher Art über die<br />
für Integrationsmaßnahmen<br />
Lebensweise in Wien bereit. Im<br />
wie Deutschkurse verwendeten<br />
Zeitraum November 2008 bis<br />
Oktober 2014 wurden ca. 41.000<br />
Besuche bei den Informationsmodulen<br />
gezählt.Im Rahmen des<br />
„Startcoachings“ bekommt jeder<br />
neu Zugewanderte einen Wiener<br />
Mittel im ersten Jahr der<br />
Welcome Desks um 60% an“, so<br />
Franz Wolf, Geschäftsführer des<br />
ÖIF.<br />
Trotz der Bemühungen seitens<br />
der Regierung ist der Berufseinstieg<br />
Bildungspass. Alle Maßnahmen,<br />
für hochqualifizierte<br />
die für die Integration wichtig<br />
Fachkräfte aus dem Ausland<br />
sind, stehen in diesem Pass.<br />
nicht immer leicht, weiß der<br />
Mittlerweile gibt es zudem<br />
Wissenschaftler und jüngste<br />
sechs Integrationszentren des<br />
Sebastian Kurz setzt auf neue<br />
Willkommenskultur<br />
Professor der Universität Wien<br />
österreichischen Integrationsfonds<br />
Nuno Maulide. Der 34-jährige<br />
(ÖIF): In Wien, Graz, Linz, Salzburg, Klagenfurt<br />
und Innsbruck. Dort werden die neu Zugewanderten<br />
nach ihrer Ankunft weiterhin beim Integrationsprozess<br />
unterstützt. Im ersten Jahr fanden an den<br />
Beratungsstellen über 25.500 Beratungen statt.<br />
„Dass unser Angebot Wirkung zeigt, verdeutlichen<br />
die Zahlen unserer Beratungen und die verstärkte<br />
Portugiese kam vor einem Jahr nach Wien. Er leitet<br />
ein Team von 16 Leuten mit zwölf verschiedenen<br />
Nationen und kennt den bürokratischen Hürdenlauf.<br />
„Für Länder, die nicht der EU angehören, ist<br />
schon das Visum irrsinnig kompliziert“, so Nuno.<br />
„Zum Beispiel: Einen hochqualifizierten Forscher<br />
aus China nach Österreich zu holen, grenzt fast ans<br />
Nachfrage nach unseren Integrationsangeboten: Unmögliche.“<br />
<br />
Felicitas Matern<br />
Information<br />
Die Website www.berufsanerkennung.at<br />
wurde im Herbst 2014<br />
neu gestaltet und<br />
inhaltlich überarbeitet.<br />
Das Online-Portal<br />
dient als Wegweiser<br />
für den Anerkennungsprozess<br />
von<br />
Bildungs- und Berufsabschlüssen.<br />
SUADA<br />
Arbeitet als Lehrling bei BIPA und<br />
versorgt ihre Freundinnen immer mit<br />
den neuesten Beautytipps.<br />
Gemeinsam für eine bessere<br />
Zukunft. Mit dem Weiterbildungsprogramm<br />
für Österreichs<br />
Jugendliche bei BILLA,<br />
MERKUR, PENNY, BIPA<br />
und ADEG. Gemeinsam unter<br />
dem REWE-BOGEN.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 33
Österreichs Hauptstadt wird im Jahr 2029 die Zwei-<br />
Millionen Grenze überschreiten. Sieben Wirtschaftsexperten<br />
deuten Wiens Zukunft aus ihrer Sicht.<br />
Wien<br />
Wachstum<br />
WOLFGANG<br />
HESOUN<br />
Vorsitzender des<br />
Vorstands der<br />
Siemens AG<br />
Österreich<br />
Siemens AG<br />
„Wien wird 2029 trotz oder<br />
gerade wegen eines beachtlichen<br />
Bevölkerungswachstums<br />
genauso lebenswert sein<br />
wie heute. In rund 15 Jahren<br />
wird Wien eine zentraleuropäische<br />
Metropole sein, in der die<br />
Gesellschaft von der Vielfalt<br />
ihrer Bewohner profitiert und<br />
Industrie und Wirtschaft erfolgreich<br />
ihre Leistungskraft unter<br />
Beweis stellen können, wenn<br />
es um innovative Lösungen für<br />
die ‚smarte Stadt der Zukunft‘<br />
geht.“<br />
2,08 Mio.<br />
1,77 Mio.<br />
2,0 Mio.<br />
1910 2014 2029<br />
Derzeit leben 1,77 Millionen Menschen<br />
in Wien. 2029 wird die Zwei-Millionen<br />
Grenze überschritten. 1910 zählte Wien<br />
2,08 Millionen Einwohner.<br />
Zwei Drittel des Bevölkerungswachstums<br />
ist auf Migration zurückzuführen.<br />
40 Prozent der Zuwanderung nach Österreich<br />
endet in Wien.<br />
Alter<br />
2044 +96%<br />
Bis 2020 wird die Anzahl der über 65-Jährigen um<br />
rund 31 Prozent ansteigen, die der unter 14-Jährigen<br />
um etwa 24 Prozent, während die Anzahl 15-<br />
bis 64-Jährige nur um etwa acht Prozent ansteigt.<br />
Trotzdem wird Wien schon 2016 das jüngste Bundesland<br />
sein – derzeit liegt noch Vorarlberg vorn.<br />
2020<br />
+24%<br />
+31%<br />
unter<br />
14-Jährige<br />
über<br />
65-Jährige<br />
über<br />
75-Jährige<br />
2014
wächst<br />
Schüler<br />
XXI<br />
145.000<br />
170.000<br />
Derzeit gibt es 145.000 schul pflichtige<br />
Kinder (sechs bis 14), 2025 werden es rund<br />
XX<br />
XXII<br />
170.000 sein.<br />
In den nächsten zehn Jahren müssen 1000<br />
Klassen entstehen. Die Stadt Wien setzt<br />
auf „Campus-Modelle“, derzeit gibt es den<br />
VI<br />
II<br />
Campus Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof,<br />
in den kommenden Jahren sollen<br />
weitere große Bildungseinrichtigungen<br />
(Donaustadt, Floridsdorf, Favoriten) entstehen.<br />
2014 2025<br />
X<br />
„In der Schule 2029 herrscht ein<br />
Klima, in dem die SchülerInnen<br />
Die Bezirke Donau stadt,<br />
Leopoldstadt, Favoriten,<br />
Floridsdorf, Mariahilf und<br />
Brigittenau boomen.<br />
„Meine Vision: Im Jahr 2029 ist<br />
das Vorsorge- Bewusstsein der<br />
Wienerinnen und Wiener optimal<br />
Ricardo Herrgott<br />
GEORG<br />
KRAFT-KINZ<br />
Stellvertretender<br />
Generaldirektor<br />
Raiffeisen landesbank<br />
Niederösterreich-<br />
Wien<br />
ihre individuellen Fähigkeiten<br />
und Talente kennenlernen<br />
und entfalten können. Es spielt<br />
keine Rolle mehr, woher jemand<br />
kommt oder welchen Beruf<br />
die Eltern haben. Alle werden<br />
gleichermaßen gefördert und bei<br />
der Entwicklung ihres Potenzials<br />
unterstützt.“<br />
ausgeprägt – alle haben so gut<br />
vorgesorgt, dass niemand mehr<br />
finanzielle Einbußen im Alter<br />
JUDIT HAVASI<br />
Generaldirektor-<br />
Stellvertreterin<br />
Wiener Städtische<br />
Petra Spiola<br />
hinnehmen muss. Österreich ist ein<br />
Land bestens versicherter Menschen,<br />
die sich keine Sorgen um<br />
ihre Pension machen müssen.“
Lebensqualität<br />
„Lebensqualität und Vielfalt:<br />
Wien gilt laut der „Quality of Living Studie“<br />
Genau dafür steht die Wien Hol-<br />
von Mercer seit fünf Jahren als die Met-<br />
ding. Egal, ob es um das Kul-<br />
ropole mit der besten Lebensqualität. Das<br />
turangebot in der Stadt geht, um<br />
schnelle Bevölkerungswachstum könnte zur<br />
große Immobilienprojekte oder<br />
Folge haben, dass die Lebensqualität sinkt.<br />
um Projekte, die den Logistik- und<br />
Dafür gibt es mehrere Gründe: So punktete<br />
Wien im internationalen Vergleich vor allem<br />
mit viel Wohnraum, das könnte sich durch<br />
den Zuwachs ändern. Außerdem wurde die<br />
Wiener Verkehrssituation schon bei früheren<br />
Mercer-Rankings schwach bewertet,<br />
SIGRID OBLAK<br />
Geschäftsführerin<br />
Wien Holding<br />
Eva Kelety<br />
Wirtschaftsstandort Wien aufwerten,<br />
dem Umweltschutz zu<br />
Gute kommen oder die Vielfalt der<br />
Medienlandschaft bereichern. Die<br />
Wien Holding sorgt auch im Jahr<br />
2025 dafür, dass die sich die Men-<br />
vor allem wegen der vielen Staus. Zusätzlich<br />
schen in Wien wohlfühlen.“<br />
steigt auch die Luftverschmutzung bei wachsender<br />
Bevölkerung. Falls Wien auf Platz Eins<br />
bleiben will, muss vor allem bei der Wohnsituation<br />
und der Infrastruktur angesetzt<br />
werden.<br />
Infrastruktur<br />
In der aktuellen Stadtentwicklung ist vorgesehen,<br />
dass bis 2025 rund 80 Prozent der Alltagswege in<br />
Wien mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß<br />
oder mit dem Rad zurückgelegt werden können.<br />
Der Bau der U5 hat schon begonnen, sie soll bis<br />
2025 fertig gestellt werden. Außerdem ist eine<br />
Verlängerung der U1 und U2 geplant. Abgesehen<br />
von erweiterten Bus- und Straßenbahnlinien und<br />
CarSharing-Angeboten setzt die Stadt auch stark<br />
auf Radfahrer und Fußgänger. Bis 2018 soll es einen<br />
Rad-Highway geben, bis 2025 sollen zwei weitere<br />
Routen dazukommen.<br />
Wiener Stadtwerke<br />
GABRIELE<br />
DOMSCHITZ<br />
Vorstandsdirektorin<br />
Wiener Stadtwerke<br />
„Die Wiener Stadtwerke arbeiten<br />
heute ganz konkret an der<br />
Zukunft der Wiener Infrastruktur<br />
von morgen. Die WienerInnen<br />
werden mit der U5 bis zum<br />
Wienerberg und mit der U2 bis<br />
zum Elterleinplatz fahren, 50%<br />
der erzeugten Energie wird aus<br />
erneuerbaren Quellen stammen.“
Wohnen<br />
Der Wohnbau konzentriert sich vor allem auf<br />
Transdanubien. Die AK schätzt den Bedarf auf<br />
10.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 8.000<br />
geförderte. Die MA23 geht in ihren Berechnungen<br />
davon aus, dass von 2014 bis 2024 insgesamt<br />
79.000 neue Wohnungen zur Verfügung stehen<br />
werden. Mit dem Wohnungsbelagsfaktor des<br />
jeweiligen Bezirks multipliziert, ergibt sich<br />
daraus, dass neuer Wohnraum für rund 165.000<br />
Personen geschaffen wird.<br />
Mischek<br />
„Leistbares Wohnen steht in<br />
den kommenden zehn Jahren<br />
im Fokus. 2025 kann qualitativ<br />
hochwertiges Wohnen zu leistbaren<br />
Preisen in Wien für jede und<br />
jeden Wirklichkeit sein - wenn<br />
die Stadt genügend Fläche dem<br />
Wohnraum widmet.“<br />
STEPHAN<br />
JAINÖCKER<br />
Geschäftsführer von<br />
Mischek Bauträger<br />
Arbeit<br />
„Sehr viele gut qualifizierte<br />
Zuwanderinnen und Zuwanderer<br />
werden nach Wien kommen:<br />
Die Arbeiterkammer sieht zukünftig<br />
Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten<br />
Beschäftigungs möglichkeiten vor allem in der<br />
müssen leichter anerkannt und<br />
Kinderbetreuung, der Bildung und der Pflege. Ein<br />
Großteil der neuen Wiener und Wienerinnen bringt<br />
gute Qualifikationen mit. Die schon verbesserten<br />
Anstrengungen zur Erleichterung der Anerkennung<br />
von im Ausland erworbenen Qualifikationen<br />
und Fertigkeiten müssen weiter ausgebaut werden.<br />
Außerdem braucht es laut der AK in den nächsten<br />
RUDI KASKE<br />
Arbeiterkammerpräsident<br />
Renee Del Missier<br />
dementsprechend besser bezahlt<br />
werden. Wer noch einen Schuloder<br />
Lehrabschluss nachholen<br />
will, muss dabei gefördert und<br />
unterstützt werden. Jeder Förder-Euro,<br />
der in Schulen und Ausbildung<br />
gesteckt wird, zahlt sich<br />
Jahren stärkere Anstrengungen zur Arbeitsmarkt-<br />
doppelt aus. Deshalb unterstützt<br />
integration von gering Qualifizierten.<br />
die AK Wien den Wiener Qualifikationsplan<br />
2020.“
<strong>almanah</strong><br />
T E X T:<br />
Olivia Mrzyglod<br />
F O T O S :<br />
Christoph Schlessmann,<br />
Olivia Mrzyglod,<br />
Marko Mestrović<br />
Making of<br />
Aspern<br />
38<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Am Rande Wiens schießt eine der größten<br />
Wohnsiedlungen Europas aus dem Boden. Auf<br />
einer Fläche doppelt so groß wie die Josefstadt,<br />
entstehen Wohnungen, Sportzentren und ein<br />
türkisblauer See. Doch wer sind die Menschen<br />
hinter der Baustellen-Fassade<br />
Eine Fahrt mit der U2. Bei den meisten Passagieren<br />
ist am Praterstern Endstation. Die, die sitzen<br />
bleiben, sind entweder Ralph-Lauren-tragende<br />
WU-Studenten oder waschechte Transdanubier.<br />
Doch auch sie sind spätestens bei der Station Stadlau<br />
weg. Dann ist der Wagen menschenleer. Die nächste<br />
Station ist „Seestadt Aspern“ – Endstation. Links<br />
Landidylle, rechts die größte Baustelle Österreichs.<br />
Bis zum Jahr 2028 sollen hier doppelt so viele<br />
Menschen leben wie in Eisenstadt. Zu diesen 20.000<br />
Einwohnern kommen ebenso viele Arbeitsplätze<br />
hinzu. Ein Viertel der geplanten Gebäude sind schon<br />
bezugsbereit. In ihnen leben die ersten „Pioniere“<br />
Asperns. So nennt man Bewohner, die sich trotz<br />
angrenzendem Baustellen-Wahnsinn und fehlender<br />
Nahversorgung am östlichen Stadtrand Wiens<br />
einquartiert haben. Gesellschaft bekommen sie von<br />
den rund 1000 Arbeitern, die täglich ein Haus nach<br />
dem anderen aus dem Boden stampfen.<br />
Am Rande des Sees, der sich direkt neben der<br />
Station befindet, ist eine Gruppe knallorangener<br />
Gestalten zu sehen. Sie tragen Warnwesten, die<br />
Diese Hände<br />
bauen<br />
eure Stadt<br />
ihnen am Anfang ihrer „Aspern-Touristen-Tour“<br />
ausgehändigt wurden. „Jeden ersten Freitag im<br />
Monat findet eine statt. Man muss sich nur auf der<br />
aspern-seestadt.at Seite anmelden. Bis zu 1.000<br />
Besucher tummeln sich hier an Wochenenden“,<br />
erklärt der Gruppenleiter.<br />
Mile, der „Insider“<br />
Die Tour beginnt. Während der Tross auf einer nigelnagelneuen<br />
Straße entlang geht, wird rund um die<br />
Wohnungstouristen gebohrt und gespachtelt. Auf<br />
einem Container steht ganz groß „Kantine“. Ausgedruckte<br />
Bilder von Schnitzelsemmeln und Pizzen<br />
schmücken den Eingang. Der Besitzer heißt Mile<br />
Savić. Der 53-Jährige ist seit dem ersten Spatenstich<br />
der Hauptversoger für hungrige Arbeiter. „Ich ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 39
<strong>almanah</strong><br />
kenne mich hier aus, wie niemand sonst“, meint er<br />
stolz. In der Mittagspause, so Savić, platz sie aus<br />
allen Nähten.<br />
„Ich habe so etwas noch nie gesehen.“ - Als Savić<br />
mit seiner Kantine vor einem Jahr ankam, waren<br />
hier nur Felder und Sonnenblumen zu sehen. Jetzt<br />
ziehen schon die ersten Bewohner ein. Der selbsternannte<br />
Insider erzählt weiter, dass sich für eine<br />
Wohnung bis zu 50 Leute anmelden. „Bis zu 13.000€<br />
Euro beträgt die Anzahlung auf eine geförderte<br />
3-Zimmer-Wohnung, es werden also keinesfalls<br />
Wohnungen für Sozialfälle“, ist sich der Kantineur<br />
sicher. Seine Frau fügt vom Nebentisch hinzu: “Das<br />
Letzte vom Letzten kommt nicht her. Das wird kein<br />
zehnter oder sechzehnter Bezirk hier, hundertprozentig<br />
nicht.“<br />
Egal wer kommt, der gebürtige Serbe will in der<br />
Seestadt bleiben und aus der Kantine ein Restaurant<br />
machen. Übrigens, Mile hat keine fixen Öffnungszeiten,<br />
denn „Sperrstunde hat nur der, der Nachbarn<br />
hat“, erklärt er lachend.<br />
Stefan<br />
Dumitrica<br />
trainiert schon<br />
Jahre hier.<br />
Hinter ihm<br />
schossen<br />
wöchentlich<br />
neue<br />
Gebäude aus<br />
dem Boden.<br />
Diese Hände bauen eure Stadt<br />
Nachdem sich die Tagestouristen in der Kantine<br />
gestärkt haben, geht die Führung weiter. Bekanntlich<br />
wird eine Stadt nicht von im Büro herumsitzenden<br />
Geschäftsleuten errichtet. Es sind Hände von<br />
Bauarbeitern, die in waghalsigen Höhen Fassaden<br />
bemalen, in der prallen Sonne den Metallbau machen<br />
und im Akkord Rohre verlegen. „Die meisten sind<br />
aus ex-jugoslawischen Ländern oder dem Ostblock.<br />
Besonders beim Rohbau, also der Anfangsphase des<br />
Gebäudes, werden sie geholt, um die Drecksarbeit<br />
zu erledigen. Die Fachkräfte wie Elektriker sind<br />
Österreicher“, mutmaßt ein Bauarbeiter, der lieber<br />
anonym bleiben möchte. „Unsere Hände bauen eure<br />
Stadt“, sagt Piotrek, ein polnischer Fassadenbauer,<br />
während er eine Wurstsemmel verputzt.<br />
Frauenpower trifft Männerschweiß<br />
Auf ihrem blitzblauen Fahrrad rollt eine Frau an<br />
der Touristen-Gruppe vorbei. „Super, das ist sicher<br />
auch eine Schaulustige“, schreit eine Dame mittleren<br />
Alters. Auf die Frage, was sie an diesem ungewöhnlichen<br />
Ausflugsziel macht, zückt sie ein mit<br />
rosa Glitzersteinchen verziertes Etui und holt ihre<br />
Visitenkarte heraus. „Mag. Christine Spiess, Projektleiterin<br />
Seestadt Aspern“. Ob es kompliziert sei<br />
als Frau über so vielen Männern zu stehen „Keinesfalls!<br />
Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht<br />
kompliziert bin“, meint Frau Spiess lächelnd. „Übrigens<br />
wird die Seestadt weiblich. Jeder Straßen- und<br />
• Die Seestadt Aspern ist zurzeit das größte<br />
Stadt entwicklungsprojekt Europas.<br />
• Auf einer Fläche von 350 Fußballfeldern<br />
werden etwa 20.000 Menschen leben.<br />
• Insgesamt 4 Mrd. Euro werden in das Projekt<br />
investiert.<br />
• Die U2 wurde eigens für die Seestadt um drei<br />
Stationen ausgebaut.<br />
• Die ersten Einwohner sind Anfang 2014<br />
eingezogen.<br />
40<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Park-Name gebührt einer starken Frau“, sagt sie und<br />
radelt auf der Schotterstraße davon.<br />
Die mittlerweile erschöpften Touristen begeben<br />
sich langsam Richtung U-Bahn-Station. Auf einmal<br />
schreit einer aus der Gruppe: „Schaut, da fliegt eine<br />
Kugel herum.“ Um seine Neugierde zu befriedigen,<br />
entfernt sich der Mann von der Kolonne. Er nähert<br />
sich vorsichtig dem Werfer, einem durchtrainierten<br />
Athleten, der auf den Namen Stefan Dumtrica<br />
hört. Mehrmals die Woche kommt der Rumäne nach<br />
Aspern und trainiert für die europaweiten Turniere<br />
der Highland Games. „Noch nie davon gehört Das<br />
kennen die wenigsten“, beruhigt er uns. „Es ist ein<br />
Nationalsport aus Schottland. Neben Baumstammwerfen<br />
und Hammerwerfen gehört auch Steinweitwurf<br />
zu den Disziplinen.“ So mischt sich auch<br />
die schottische Kultur in die wohl angesagteste<br />
Baustelle Europas.<br />
<br />
„Ich kenne<br />
mich hier<br />
aus, wie<br />
niemand<br />
s o n s t “,<br />
Mile Savić, 53.<br />
Siemens setzt auf<br />
Smart Cities<br />
Siemens ist österreichweit in smarte<br />
Infrastrukturprojekte involviert.<br />
Das große Aushängeschild zum Thema<br />
Smart City ist Aspern Seestadt.<br />
Das Unternehmen bringt als Projektpartner<br />
der Aspern Smart City<br />
Research (ASCR) Forschungs- und<br />
Technologie-Know-how ein. Zuletzt<br />
wurde das Demoprojekt „Energieeffizienz<br />
– Integration von Technik<br />
und Mensch“ im Technologiezentrum<br />
Aspern IQ vorgestellt. Eines der<br />
Hauptziele des Energieforschungsprogramms<br />
in Österreich ist es,<br />
innovativen Technologien den Weg<br />
von der Entwicklung in den Alltag<br />
der Menschen zu ebnen.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 41
<strong>almanah</strong><br />
Genug Sicherheitsabstand ist der beste Schutz vor einem Auffahrunfall.<br />
42<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Halten Sie daher immer mindestens zwei Sekunden Abstand zum Vordermann.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 43
<strong>almanah</strong><br />
Ein Kärntner will Muslime<br />
„zinslos glücklich“ machen<br />
TEXT & FOTO:<br />
Clemens Neuhold<br />
Dieser Artikel wurde von<br />
der Wiener Zeitung zur<br />
Verfügung gestellt.<br />
Weltweit sind 38 Millionen Menschen Kunden<br />
einer Bank, die wenigstens teilweise „Islamic Banking“<br />
anbietet. Tendenz steigend. Österreichische<br />
Banken bieten hingegen noch keine Produkte nach<br />
dem islamischen Recht mit seinem Zinsverbot an.<br />
Sie spüren unter ihren Kunden kaum Nachfrage. Der<br />
Kärntner Harald Lamprecht (43) will sie im direkten<br />
Kontakt mit Muslimen sehr wohl verspürt haben<br />
und hat das wohl erste Halal-Start-up im Finanzbereich<br />
gegründet.<br />
Im Herzen des türkischen Wiens, in der Grundsteingasse<br />
in Wien Ottakring, hat er ein Gassenlokal<br />
bezogen. Ein steriler Raum ohne optischen Hinweis<br />
auf den Islam, keine Mekka-Bilder, keine Sure, kein<br />
arabisches Schriftzeichen. Ein Tisch, eine Couch,<br />
im hinteren Raum eine Dusche. Nur ein schlichter<br />
Zettel in der Tür verrät das Business: „Kindersparpläne,<br />
Elternsparpläne, Hadsch-Sparen. Zinslos<br />
glücklich.“ Am wenigsten würde man aber hinter<br />
dem waschechten Kärntner Harald Lamprecht aus<br />
Feld am See einen Islam-Berater in Sachen Finanzen<br />
vermuten.<br />
Lamprecht war IT-Techniker. Als er für seine<br />
sechsköpfige Familie Geld sparen wollte, brach<br />
2008 die Finanzkrise aus. Er suchte nach Alternativen<br />
zum wankenden Finanzsystem und wurde im<br />
Islamic Banking fündig. Er knüpfte Kontakte zum<br />
deutschen Beraternetzwerk „My Islamic Finance“.<br />
Seit Anfang des Monats arbeitet er mit ihnen.<br />
Er ist keine Bank, die auch Geld verborgt, weil er<br />
dafür eine Lizenz bräuchte. Schon gar nicht sei er<br />
einer dieser Kredithaie, weil das „haram“ (verboten)<br />
sei. Er berät unter der deutschen Dachmarke<br />
Kunden, wie sie ihr Geld „halal“ (erlaubt) anlegen<br />
können. Dafür verlangt er zwischen fünf und sechs<br />
Prozent Provision von der angesparten Summe.<br />
Seine Palette ist denkbar eingeschränkt: auf Gold<br />
und Scharia-Fonds. Die Fonds vertreibt ein österreichischer<br />
Partner. Lamprecht ist der Vermittler.<br />
In den Fonds stecken Firmen, die nichts mit Waffen,<br />
Glücksspiel, Versicherungen oder der Finanzbranche<br />
(wegen ihres Zinsgeschäftes) zu tun haben.<br />
Kunden, die ihr Geld in Gold anlegen, schließt er mit<br />
einem deutschen Gold-Anbieter kurz.<br />
„Natürlich kann der Goldpreis auch sinken“, sagt<br />
Lamprecht, aber dafür sei das Edelmetall krisensicher.<br />
„Gold ist noch nie pleitegegangen.“ Wofür<br />
sparen seine potenziellen Kunden Zum Beispiel für<br />
die Hadsch, erzählt er. Das ist die Pilgerreise nach<br />
Mekka, die jeder Gläubige einmal im Leben absolvieren<br />
muss. Oder für die Kinder. Oder ein Haus.<br />
Warum sollen die Muslime ihr hart zusammengekratztes<br />
Geld einem Kärntner anvertrauen Die<br />
muslimische Community umfasse viele Richtungen<br />
und Nationen. Es müsse deswegen kein Nachteil<br />
sein, zu keiner von ihnen zu gehören, sagt er.<br />
Ist er überhaupt Moslem Nicht direkt. Lamprecht<br />
ist evangelisch getauft, bezeichnet sich als religiös.<br />
Der Islam liege ihm von allen monotheistischen<br />
Religionen am meisten. Die hätten viel mehr<br />
Gemeinsames als Trennendes. Deswegen drängt es<br />
ihn nicht, zu konvertieren. Er betet nicht fünf Mal<br />
am Tag, besucht aber regelmäßig eine Moschee des<br />
türkischen Vereines Atib im 20. Bezirk. Die türkische<br />
Predigt versteht er nicht, er genieße die Atmosphäre.<br />
Er hofft, dass Atib und türkische Zeitungen seine<br />
Dienstleistung bei potenziellen Kunden bewerben.<br />
Die nennt er „Brüder“. 20 Abschlüsse im Monat peilt<br />
er mit diesen an, der Ottakringer Halal-Berater aus<br />
Kärnten.<br />
<br />
44<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
Entgeltliche Einschaltung<br />
W I R<br />
UNS.<br />
HPV ist keine reine Mädchensache. Krebs geht alle an. IMPFEN SCHÜTZT.<br />
Eine Infektion mit „Humanen Papilloma-Viren“ (HPV) kann bei Frauen UND<br />
Männern Krebs verursachen: Bösartige Tumore im Rachen- und Genitalbereich<br />
sowie Gebärmutterhalskrebs. Eine Impfung im Kindesalter kann schützen. Mädchen<br />
UND Buben. Im Rahmen des öffent lichen Impfprogrammes wird allen Kindern vom<br />
9. bis zum 12. Geburtstag nun kostenfrei eine HPV-Impfung angeboten.<br />
Informieren Sie sich auf www.bmg.gv.at/HPV und fordern Sie die<br />
Gratis-Broschüre an. Lassen Sie sich bei Ihrer Impfentscheidung von<br />
Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt oder in Ihrer Apotheke fachlich beraten.<br />
www.bmg.gv.at/HPV
<strong>almanah</strong><br />
Humus<br />
schlägt<br />
Liptauer<br />
46<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION<br />
Marko Mestrović
BEZAHLTE ANZEIGE<br />
Spar- Geschäftsführer<br />
Alois Huber und<br />
Neni-Gründerin Haya<br />
Molcho sprechen über<br />
die bunte Küche Wiens,<br />
warum Humus besser<br />
ankommt als Liptauer<br />
und wie die Zusammenarbeit<br />
zwischen Spar<br />
und Neni abläuft.<br />
Seit mehr als drei Jahren arbeiten Spar und die Wiener<br />
Szeneköchin Haya Molcho zusammen. Insgesamt gibt<br />
es 13 Produkte wie Falafeln, Humus und Kichererbsensalat.<br />
Aber auch eigens von Haya kreierte Eissorten wie<br />
„Erdnuss-Karamell“ oder „Limonana“ sind im Sortiment<br />
zu finden.<br />
Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Spar und Neni entstanden<br />
ALOIS HUBER: Ich war auf der Suche nach etwas Neuem<br />
abseits des Mainstreams und wollte unseren Kunden<br />
innovative Produkte bieten. So bin ich auf Neni<br />
gestoßen.<br />
HAYA MOLCHO: Ja, Alois ist bei einer Veranstaltung auf<br />
mich zugekommen und so ist unsere Kooperation entstanden<br />
- ohne Druck, fast wie von selbst.<br />
Und läuft die Kooperation gut<br />
HAYA MOLCHO: Ausgezeichnet! Spar hat uns von Anfang<br />
an Zeit gegeben, damit wir uns einarbeiten. Wir<br />
hatten keine Erfahrung mit Produktionen in diesem<br />
Ausmaß, da ist die Verantwortung ja noch viel größer<br />
als in der Gastronomie. Ich kann mich noch genau erinnern,<br />
wie ich vor genau zwei Jahren in der Küche am<br />
Naschmarkt gestanden bin und Produkte für die erste<br />
Spar-Filiale mit Freunden und Familie verpackt habe.<br />
Ich muss schon sagen, dass ich stolz bin, dass wir uns<br />
so schnell weiterentwickelt haben.<br />
ALOIS HUBER: Die Zusammenarbeit läuft toll, weil<br />
Haya authentische und innovative Produkte liefert.<br />
Deswegen gibt es die Neni-Produkte mittlerweile flächendeckend<br />
an 1.400 Standorten.<br />
Was ist das Erfolgsrezept Ihrer Zusammenarbeit<br />
ALOIS HUBER: Auch wenn wir ein urösterreichisches<br />
Unternehmen sind, haben wir ein weltoffenes und<br />
menschenfreundliches Verständnis. Mit den Neni-Produkten<br />
bringen wir Lifestyle in unsere Supermärkte.<br />
Wir passen unsere Produktpalette der kulturellen Vielfalt,<br />
die es in Wien gibt, an.<br />
HAYA MOLCHO: Das Geheimnis ist, dass wir uns Schritt<br />
für Schritt hochgearbeitet haben. Und wir helfen uns<br />
gegenseitig: Wenn ich Eigenwerbung mache, versuche<br />
ich immer, Spar mit einzubringen. Das bringt meinen<br />
Kunden auch etwas, weil sie so wissen, wo sie Neni-Produkte<br />
finden können.<br />
Die österreichische Küche unterscheidet sich stark von der<br />
orientalischen. Wie sind die Reaktionen auf die Neni-Produkte<br />
bei Spar<br />
HAYA MOLCHO: Es ist ganz klar, dass ich bei meinen<br />
Rezepten auf den Geschmack der Österreicher eingehe.<br />
Ich entnehme den Gerichten beispielsweise die Schärfe.<br />
Ich respektiere die österreichische Esskultur, gleichzeitig<br />
bringe ich meine Kultur hinzu. Deswegen funktioniert<br />
das Ganze so gut. Diese Adaption macht es aus.<br />
ALOIS HUBER: Wenn ich vor fünf Jahren einen Österreicher<br />
gefragt hätte, was Humus ist, hätte er mit<br />
Erde geantwortet. Heute verkauft sich der Humus von<br />
Neni trotz der Wiener Heurigenkultur besser als Liptauer-Aufstrich.<br />
Sehr stark im Kommen ist auch die Rote<br />
Rüben-Humus Variation.<br />
Richten sich die Neni-Produkte bei Spar an junge Menschen<br />
ALOIS HUBER: Neni gehört zum neuen Lebensgefühl<br />
von jungen Menschen, die interkulturell unterwegs sind<br />
und Spar deckt das mit Lebensmitteln ab. Die Produkte<br />
reflektieren dieses Lebensgefühl und das ist gut so!<br />
HAYA MOLCHO: Ja, stimmt. Wenn du Neni kaufst, bist<br />
du einfach ‚cool’ (lacht).<br />
Ein Stichwort noch: Regionalität.<br />
ALOIS HUBER: Regionalität ist in Wien mehr als das<br />
Gemüse aus der Stadt. Wien hat eine traditionsgeprägte<br />
Genusskultur - dafür steht der Naschmarkt,<br />
aber auch Produzenten wie z.B. Heindl, Staud’s, Piccini<br />
und viele mehr. Daneben ist diese Genusskultur auch<br />
von einer jungen, internationalen und trendigen Strömung<br />
beeinflusst - dafür ist „NENI am Tisch“ eines der<br />
besten Beispiele.<br />
HAYA MOLCHO: Ich kann dazu nur sagen, dass ich jeden<br />
einzelnen meiner Lieferanten kenne und niemals<br />
bei einem Fremden bestellen würde. Mir ist es irrsinnig<br />
wichtig, dass ich weiß, woher die Zutaten kommen, die<br />
ich für meine Gerichte verwende.<br />
„Spar enjoy<br />
by Neni“<br />
Seit Neuestem gibt es<br />
auch die Linie „spar<br />
enjoy by neni“. Damit<br />
verbinden Spar und<br />
Neni die Eigenmarke<br />
von Spar und „Neni am<br />
Tisch“. Die Menschen<br />
haben heutzutage viel,<br />
aber eines haben sie<br />
nicht: Zeit. Genau darauf<br />
geht die Linie ein.<br />
Das Prinzip ist einfach.<br />
Das Essen soll gesund,<br />
lecker und schnell<br />
sein. Haya Molcho hat<br />
die Rezepte selbst<br />
kreiert und hat lange<br />
daran gewerkelt, um<br />
die perfekte Kombination<br />
zu schaffen. Die<br />
Zeiten des Junkfoods<br />
sind vorbei. Mit den<br />
verschiedenen Salatvariationen<br />
geben Spar<br />
und Neni den Kunden<br />
die Möglichkeit, auf<br />
ihre Ernährung zu achten,<br />
auch wenn sie im<br />
Stress sind.<br />
47
<strong>almanah</strong><br />
赋<br />
mandarin für »Talent, Geschenk des Himmels«<br />
48<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
SPORT, MEDIEN & KULTUR<br />
Ob serbischer Volksbrauch in Favoriten oder eine Mannschaft für Menschen<br />
mit geistigen und körperlichen Handicaps - erfolgreiche Integration<br />
ist überall umsetzbar. Auch in der biber-Akademie, die Jungjournalisten<br />
ausbildet.<br />
S. 50-52<br />
KOLOMEISTER AUS FAVORITEN<br />
Der traditionelle Volksbrauch Folklore ist bei serbischen<br />
Jugendlichen besonders beliebt. Wir haben die diesjährigen<br />
Europameister aus Wien bei einem ihrer Auftritte<br />
begleitet.<br />
S. 54-56<br />
ENDLICH MITTWOCH<br />
Der Rekordmeister Rapid hat eine Fußballmannschaft<br />
für Menschen mit geistigen und körperlichen Handicaps<br />
gegründet. Sie lachen, weinen, spielen zusammen und<br />
ergänzen sich gegenseitig.<br />
S. 58–59<br />
MADE BY BIBER<br />
Sie arbeiten im Außenministerium, schreiben für große<br />
österreichische Medien, landen beim Radio oder sind<br />
stellvertretende Chefredakteure. Ein Überblick über die<br />
biber-Akademiker.
<strong>almanah</strong><br />
Kolomeister aus<br />
Favoriten<br />
Ausgerechnet der Verein „Kud Stevan Mokranjac“<br />
aus Favoriten hat sich bei der EM in serbischer<br />
Folklore in Banja Luka gegen insgesamt 60<br />
Konkurrenten bewiesen. biber begleitet den<br />
Sieger bei einem Auftritt und erfährt, was hinter<br />
den Kulissen vorgeht und warum der Volksbrauch<br />
so wichtig für die Community ist.<br />
TEXT:<br />
Alexandra Stanić<br />
FOTOS:<br />
Marko Mestrović<br />
„Folklore ist<br />
mein Leben!“<br />
Ein Mädchen in einer gold verzierten Tracht und<br />
mit buntem Haarschmuck zieht sich gestrickte<br />
Socken über die Knie. Sie bindet lederne Sandalen<br />
um ihre Knöchel, streicht ihr Kostüm glatt. Ihr<br />
Name ist Suzana Todić, sie ist 19 Jahre alt und Folklore-Tänzerin<br />
bei dem serbischen Verein „Kud<br />
Stevan Mokranjac“. Um sie herum herrscht reges<br />
Treiben. In der einen Ecke der Garderobe stehen<br />
ein paar Jungs, schlüpfen in mit Blumen bestickte<br />
Hemden und helfen sich gegenseitig beim Festmachen<br />
des Bauchgürtels. Auf der anderen Seite probt<br />
eine Gruppe von stark geschminkten und in Trachten<br />
gekleideten Mädchen ein altes serbisches Volkslied.<br />
Suzana richtet sich auf, blickt strahlend in ihr<br />
Spiegelbild und erneuert ihren pinken Lippenstift.<br />
Obwohl der Gesang im Hintergrund eine beruhigende<br />
Wirkung hat, ist die Stimmung im Umkleidezimmer<br />
konzentriert und angespannt. Eine der<br />
Sängerinnen läuft nervös im Raum hin und her, übt<br />
immer wieder den Text ein.<br />
„Kein simples Herumgehüpfe“<br />
Folklore kann man sich in etwa so vorstellen: Eine<br />
Gruppe von traditionell gekleideten Mädchen und<br />
Jungen performt eine Show, die alte Bräuche widerspiegelt.<br />
Manchmal geht es um Hochzeiten, Festlichkeiten<br />
wie die Slava (siehe biber-Ausgabe 05/14)<br />
oder um ein Neugeborenes. Das Ganze ist kombiniert<br />
mit altertümlichem Gesang, Gedichten und<br />
einem Volkstanz, der je nach Region eine andere<br />
Schrittfolge hat. Auch das Aussehen der Trachten<br />
ist abhängig von der Gegend. Folklore ist am ganzen<br />
Balkan verbreitet und beinhaltet die Tradition verschiedener<br />
ethnischer Gemeinschaften. In Wien hat<br />
sich eine eigene Subkultur entwickelt. In der gesamten<br />
ex-jugoslawischen Community ist Folklore ein<br />
Bestandteil für die Aufrechterhaltung alter Werte,<br />
doch vor allem in der serbischen Szene ist der Volksbrauch<br />
wichtig. So gibt es sechs große serbische<br />
Vereine in Wien: Stevan Mokranjac, Karadjordje,<br />
Branko Radićević, Bambi und Jedinstvo.<br />
Suzana selbst tanzt seit zwei Jahren bei „KUD<br />
Stevan Mokranjac“ im zehnten Bezirk. Der Klub<br />
bereitet sich für einen Auftritt beim serbischen<br />
Fernsehsender „RTS“ vor. Mehrere Wiener Vereine<br />
sind anwesend, aber als Gewinner der diesjährigen<br />
Europameisterschaft in serbischer Folklore muss<br />
sich der Klub Stevan Mokranjac von seiner besten<br />
Seite zeigen. Im Oktober haben sie sich gegen<br />
insgesamt 60 Teilnehmer bei der EM in Banja Luka,<br />
Bosnien-Herzegowina, bewiesen und sind nun zum<br />
zweiten Mal infolge Sieger. Mit 99 Punkten von 100<br />
möglichen erreichten sie die höchste Punkte-Vergabe<br />
in der Geschichte. Dafür haben sie hart<br />
trainiert: Drei Mal die Woche proben sie, nur wer<br />
regelmäßig trainiert, darf auch mittanzen. Suzana<br />
erzählt, dass das Training knallhart ist, die Tänzer<br />
müssen vollen Körpereinsatz zeigen. „Das ist kein<br />
simples Herumgehüpfe, nach zwei Stunden ist jeder<br />
von uns komplett fertig.“<br />
„Folklore ist ein Teil von mir“<br />
Das bestätigt der Vereins-Choreograph Milorad<br />
Runjo. „Ich verlange viel Disziplin von meinen<br />
Tänzern“, sagt der 36-Jährige. Aber nicht nur das<br />
Trainieren ist zeitaufwendig. Die Tänzer touren oft<br />
auch durch ganz Europa, besuchen andere serbische<br />
Folklore-Vereine und tanzen bei verschiede- ‣<br />
50<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 51
<strong>almanah</strong><br />
eines Tanzes höre, weiß ich, was für eine Schrittfolge<br />
gewählt wird“, ist sie sich sicher.<br />
Bei dem Auftritt für das serbische Fernsehen<br />
hat sich KUD Stevan Mokranjac für einen vlachischen<br />
Tanz entschieden, der aus der Region der<br />
serbisch-rumänischen Grenze stammt. Es bleiben<br />
noch 20 Minuten, bevor die Show beginnt. Die<br />
Mimik des Choreographen wird streng, er befiehlt<br />
der Sängerinnen-Gruppe ein letzte Probe. Nebenbei<br />
weist er ein paar Jungs zurecht, deren Kappen schief<br />
sitzen. Er zieht die Schürze eines Mädchens enger,<br />
richtet ihren Haarschmuck. Alle müssen perfekt<br />
aussehen.<br />
nen Veranstaltungen. Die Reisen finanzieren sie<br />
sich selbst. Der Großteil von Suzanas Freundeskreis<br />
tanzt Folklore, die Mitglieder und der Verein sind<br />
eng miteinander verbunden. „Ich identifiziere mich<br />
als Folklore-Tänzerin“, erklärt die 19-Jährige. „Folklore<br />
ist einfach ein Teil von mir.“<br />
Einer von Suzanas Tanzpartnern, Ivan Ban, kann<br />
ihr nur zustimmen. Seit vier Jahren tanzt der Schüler<br />
bei dem Verein Stevan Mokranjac. „Tanzen ist alles<br />
für mich, es ist wie eine Sucht“, beschreibt der<br />
18-Jährige seine Folklore-Liebe. Vielen anderen in<br />
seinem Alter scheint es genauso zu gehen. Allein in<br />
dem Klub Stevan Mokranjac tanzen über 200 Personen.<br />
„Eltern schicken ihre Kinder zum Folklore, weil<br />
es ein sicherer Ort ist und so die serbische Tradition<br />
erhalten bleibt“, meint Saša Božinović, stellvertretender<br />
Obmann des Vereins. Insgesamt gibt es fünf<br />
Tanzgruppen, in der Hauptgruppe ist die Jüngste 15,<br />
der Älteste 25. Es gibt aber keine fixe Gruppe, die<br />
immer auftritt. Es kommt ganz darauf an, wer am<br />
besten tanzt, immer bei den Proben ist und wie viele<br />
Personen auf die Bühne sollen.<br />
„Nach zwei<br />
Stunden Intensivtraining<br />
sind wir alle<br />
völlig außer<br />
Puste.“<br />
Mehr als nur ein Hobby<br />
Nach stundenlangem Warten und Vorbereiten ist<br />
es soweit: Die EM-Sieger sind an der Reihe. Als die<br />
Gruppe die Bühne betritt, stimmen die Musiker des<br />
Vereins mit Trommel, Ziehharmonika und Flöte die<br />
Melodie an. 20 Personen bewegen sich in gleichem<br />
Tempo, die bunt bestickten Trachten der Mädchen<br />
schwingen in der Luft. Ledersandalen berühren kurz<br />
den Boden, bevor sie wieder in die Höhe schnellen.<br />
Die Melodie wird schneller, ein kurzer, hoher Schrei<br />
ertönt während des Tanzes - alles Teil der Show. Das<br />
Publikum applaudiert, der Auftritt ist gut gelungen.<br />
Die Stimmung der Tänzer ist jetzt entspannt,<br />
sie marschieren direkt zur Garderobe, reden ausgiebig<br />
miteinander. Am nächsten Tag findet bereits<br />
die nächste Probe statt, der Verein muss sich für<br />
die nächsten Auftritte vorbereiten. Geld verdienen<br />
die Tänzer übrigens keins, aber darum geht es den<br />
Jugendlichen auch gar nicht. „Wir tanzen nicht, weil<br />
es nur ein Hobby ist oder weil wir Geld bekommen<br />
wollen“, erklärt Suzana. „Wir tanzen Folklore, weil<br />
es eine Verbindung zu unserer Tradition ist.“ <br />
Tracht, Schritt, Musik<br />
Der 45-jährige Stellvertreter erzählt weiter, dass der<br />
Gesamtwert der Trachten im fünfstelligen Bereich<br />
liegt. Es handelt sich um handgefertigte Einzelstücke,<br />
die am Balkan hergestellt wurden und bis zu 150<br />
Jahre alt sind. Anhand der Kleidung erkennt jeder<br />
Folklore-Kenner, woher die vorgeführten Stücke<br />
stammen. Zwei weitere Kriterien sind die Schrittwahl<br />
und die Musik. So sieht man anhand dieser<br />
drei Dinge, aus welcher Region des Balkans der Tanz<br />
gewählt wurde oder ob es sich um kroatische, bosnische<br />
oder mazedonische Vereine handelt. Suzana<br />
bestätigt diese Aussage. „Wenn ich die Melodie<br />
52<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Türkischunterricht<br />
Je mehr Sprachen wir können, desto<br />
besser für uns. Nur Türkisch nicht. Da<br />
wird die Diskussion sofort politisch.<br />
Clemens Fabry<br />
Viele<br />
Migrantenkinder<br />
lernen<br />
ihre Muttersprache<br />
meist<br />
nur vom<br />
Hören.<br />
Literatur, von allem ein bisschen. Für einen ausführlichen<br />
Unterricht waren die Stunden zu wenig, aber<br />
was wir zumindest erhalten haben, war ein Gefühl<br />
für unsere Muttersprache, zu der wir sonst kaum<br />
einen vollständigen Zugang erhalten hätten.<br />
Rumpf<br />
Wenn wir eine Sprache lernen, dann lernen wir sie<br />
automatisch und logisch auf mehreren Ebenen:<br />
Rechtschreibung, Syntax, Aussprache, Redewendungen,<br />
Dialekte usw. Viele Migrantenkinder lernen<br />
ihre Muttersprache aber meistens nur vom Hören,<br />
der Wortschatz ist auf den Wortschatz des Alltags<br />
beschränkt und bleibt auch so. Man bekommt kaum<br />
einen Einblick in all diese Ebenen, die es braucht,<br />
um eine Sprache vollständig zu begreifen. Was<br />
bleibt, ist der Rumpf einer Sprache, die man sprechen,<br />
aber kaum lesen und – viel wichtiger– fühlen<br />
kann. Diese Kinder sind schlecht vorbereitet für den<br />
Deutschunterricht: Sie stolpern in die Schule mit<br />
halben Kenntnissen, und daraus sollen die Lehrer<br />
eine gepflegte Sprache basteln Der muttersprachliche<br />
Unterricht biegt hier einiges zurecht; es ist nur<br />
logisch, diesen Unterricht weiter zu fassen. Mit den<br />
meisten Sprachen passiert das auch.<br />
Dieser Kommentar wurde von<br />
der Tageszeitung „Die Presse“<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
In der türkischen Sprache gibt es kein ck, sehr<br />
wohl aber ein hartes k, das rau ausgesprochen, aber<br />
eben nur mit einem k wiedergegeben wird. Im muttersprachlichen<br />
Unterricht in meiner Vorarlberger<br />
Schule haben wir Kinder türkische Wörter oft mit<br />
ck statt k geschrieben. Nicht, dass du glaubst, wir<br />
waren ein begriffsstutziger Haufen: Vielmehr hat<br />
ck, der natürliche Feind unseres Türkischlehrers,<br />
den armen Mann derart an den Rand der Verzweiflung<br />
gebracht, dass seine Vorschläge für Eselsbrücken<br />
immer grotesker wurden. Und darüber haben<br />
wir uns in den Pausen natürlich amüsiert wie Kaiser<br />
und Könige. Kinder sind so grausam, das kannst du<br />
dir überhaupt nicht vorstellen.<br />
Was wir im Türkischunterricht sonst so gemacht<br />
haben: Diktate, vorlesen, Landeskunde, türkische<br />
Nur nicht mit Türkisch.<br />
Dann wird die Debatte – wir sehen es an der aktuellen<br />
Diskussion um die Türkischmatura – sofort<br />
politisch. Dadurch würden die Integrationsbemühungen<br />
zunichtegemacht, heißt es (Umfragen<br />
zufolge führen Türken ja das Integrationsunwilligkeitsranking<br />
an). Aber was an der Tatsache, dass wir<br />
in Österreich mehr Lehrer mit zusätzlichen Fremdsprachenkenntnissen<br />
ausbilden, die in österreichischen<br />
Schulen nach österreichischem Lehrplan<br />
unterrichten, was also daran integrationsfeindlich<br />
sein soll, das habe ich bis heute nicht verstanden. <br />
Duygu Özkan wurde in der Türkei geboren, wuchs in Vorarlberg<br />
auf und schreibt in Wien.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 53
<strong>almanah</strong><br />
Endlich<br />
Mittwoch<br />
TEXT:<br />
Christian Hackl<br />
FOTOS:<br />
Christian Fischer<br />
54<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Rekordmeister Rapid hat ein Special Needs<br />
Team gegründet. Die Fußballer haben<br />
geistige oder körperliche Handicaps. Sie<br />
sehen, hören, laufen, kämpfen, spielen,<br />
lachen, weinen und gewinnen gemeinsam.<br />
Es wird nur auf<br />
dem halben<br />
Feld gespielt.<br />
Diese Reportage wurde von<br />
der Tageszeitung „Der Standard“<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Daniel hat ein wesentliches Kriterium gar nicht<br />
erfüllt. Rapid ist ihm ziemlich wurscht gewesen.<br />
Das Geschwafel über Kult, Religion, Lebensphilosophie<br />
ist spurlos an ihm vorbeigezogen. Er kannte<br />
es maximal vom Weghören. Massenansammlungen<br />
meidet er, auf der Tribüne stehen, Fahnen schwenken<br />
und grölen, „war nie meine Welt. Ich mache<br />
lieber selbst Sport.“ Der 29-Jährige rennt gerne, die<br />
100 Meter schafft er in 12,4 Sekunden. Weitspringen<br />
kann er auch. Fußballprofi war nie sein Traumberuf,<br />
insofern ist egal, „dass ich es nicht geworden bin“.<br />
Daniel wollte LKW-Fahrer sein. Hat nicht geklappt,<br />
konnte nicht klappen. „Weil ich praktisch blind<br />
bin.“<br />
Er leidet an Albinismus, einer Erbkrankheit,<br />
die - medizinisch laienhaft ausgedrückt - die Haut<br />
hell und die Augen in vielen Fällen dunkel macht.<br />
Tagsüber sitzt Daniel in der Uni Wien im Callcenter.<br />
„Man muss die Dinge akzeptieren, wie sie sind.“<br />
Es ist Mittwochabend. Seit Mai sind die Mittwochabende<br />
etwas „Spezielles“. Das SK Rapid Special<br />
Needs Team trainiert von 19 bis 20.30 Uhr neben dem<br />
Hanappi-Stadion, das gerade niedergerissen wird.<br />
Die Übungsplätze bleiben von den Baggern vorerst<br />
verschont. Jakob und Florian denken ab Donnerstag<br />
an den Mittwoch. Es sei „wahnsinnig aufregend“, das<br />
grün-weiße Rapid-Dress tragen zu dürfen, sagen sie.<br />
Sie haben das Downsyndrom, sind jeweils 18 Jahre alt<br />
und praktisch unzertrennlich. Die beiden bekommt<br />
man ausschließlich im Doppelpack. Sie lachen<br />
gemeinsam, weinen gemeinsam, kicken gemeinsam.<br />
„Und Tennisspielen können wir auch gemeinsam.“<br />
Jakob ist Küchengehilfe beim Plachutta, er<br />
putzt das Besteck so lange, „bis es glänzt. Ich darf<br />
Reis und Kartoffelpüree kochen. Du glaubst gar<br />
nicht, wie gut das schmeckt. Wenn du willst, mache<br />
ich dir einmal ein Erdäpfelpüree, das ist echt kein<br />
Problem.“ Florian ist in einer Gärtnerei beschäftigt.<br />
Im Herbst, sagt er, sei die Arbeit stressig. „Viel Laub,<br />
das hört nie auf runterzufallen, muss aber weg.“<br />
Feuer und Flamme<br />
Rückblick, Sommer 2013. Rapids Generalmanager<br />
Werner Kuhn weilte in Liechtenstein, sah ein Turnier<br />
von Behindertenteams. „Ich war fasziniert von<br />
diesem Teamgeist, dieser Freude, dieser Fairness,<br />
dieser Normalität.“ Die Akteure hatten unterschiedliche<br />
Handicaps, körperliche und/oder geistige.<br />
Im anglikanischen Raum gibt es diese gemischten<br />
Teams schon seit Jahren, bei Arsenal oder Liverpool<br />
sind sie eine Selbstverständlichkeit. Kuhn wollte<br />
das unbedingt „bei Rapid haben“. Akademie-Leiter<br />
Peter Grechtshammer war erstens Feuer und zweitens<br />
Flamme, das Projekt kam in die Gänge.<br />
Der Grad des Handicaps spielt eher eine untergeordnete<br />
Rolle, der Behindertensportverband hat<br />
bei der Kicker-Auswahl geholfen. Grechtshammer:<br />
„Wichtig war, dass sie sich mit Rapid identifizieren.“<br />
Der Kader umfasst zumindest 16 Spieler, sie<br />
sind zwischen 16 und 35 Jahre alt. Was das Projekt<br />
kostet Kuhn: „In diesem Fall spricht man nicht<br />
übers Geld.“<br />
Jakob und Florian passen perfekt ins Schema. Sie<br />
versäumen praktisch keine Heimpartie der Profis.<br />
Steffen Hofmann nennen sie „Fußballgott“, auch<br />
Terrence Boyd sei super. Dass der mittlerweile für<br />
Leipzig stürmt, ist ihnen wurscht oder entgangen.<br />
„Man soll die Welt nicht so eng sehen.“<br />
Irgendein Mittwochabend seit Mai, kurz vor 19<br />
Uhr. Alle sind pünktlich eingetroffen. Disziplin ist<br />
wichtig. Wer verhindert ist, muss sich abmelden. Sie<br />
fassen Dressen aus, Hektik in der Kabine. Jakob und<br />
Florian umarmen Trainer Jürgen Kerber (sie reißen<br />
ihn fast zu Boden), fragen, wann es denn endlich<br />
losgeht. Kerber sagt: „Gleich.“ Eine kurze Besprechung,<br />
Treppen hoch, raus aufs Feld. Der 29-jährige<br />
Kerber ist Kindergartenpädagoge, betreut seit sechs<br />
Jahren die U14.<br />
Der Vorarlberger strebte eine Karriere als Fußballer<br />
an, allerdings übertraf die Zahl der Verletzungen<br />
jene der Einsätze. Kerber ist mittlerweile „süchtig<br />
nach den Mittwochabenden“. Unterstützt wird<br />
er von Matias Costa und Dominik Formann. „Wir<br />
wollen zeigen, dass jeder, der möchte, Fußballspielen<br />
kann.“ Das Special Needs Team ist für Kerber<br />
„etwas ganz Normales. Es geht darum, besser zu<br />
werden, zu gewinnen. Man soll die Leute fordern,<br />
nicht überfordern.“ Natürlich seien gewisse Grenzen<br />
gesetzt. Es wird nur auf dem halben Feld gespielt,<br />
„das ganze wäre zu groß, zu anstrengend“. Die<br />
Partien dauern zweimal 15 Minuten. „Ich versuche<br />
auch, ihnen Taktik beizubringen. Die Fortschritte<br />
sind enorm.“ Was er selbst von der Arbeit mit ‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 55
<strong>almanah</strong><br />
Das Problem ist, dass das Specials Needs Team keine Gegner hat. Um sich zu messen, müssen sie ins Ausland reisen.<br />
den Behinderten gelernt hat „Demut, Geduld,<br />
Glück.“<br />
Schlangen sind taub<br />
Erste Aufgabe: „Jeder schnappt einen Ball.“ Der<br />
34-jährige Owen stammt aus Jamaika. Er ist gehörlos,<br />
sieht das Kommando. Der Mann kann kicken,<br />
seine Schüsse sind Striche. Er arbeitet im Reptilienzentrum.<br />
„Schlangen hören auch nicht“, tippt er<br />
später in sein Smartphone.<br />
Die Bälle werden eng am Fuß geführt, Doppelpass,<br />
Gleichgewichtsübungen, Freistöße, internes<br />
Match. Daniel hatte ursprünglich Bedenken. „Ich<br />
dachte nicht, dass es funktioniert. Aber es klappt.<br />
Die Handicaps werden gegenseitig wettgemacht.<br />
Der eine sieht für mich, ich höre für den Tauben<br />
und laufe für den, dessen Beine langsam sind.“<br />
Jakob schießt ein Tor, Florian ist der erste Gratulant,<br />
Kerber sagt: „Das schaut nach Profivertrag<br />
aus.“ Jakob: „Wirklich“ Kerber: „Ich werde mit<br />
Zoran Barisic sprechen.“ Fällt einer um, machen die<br />
anderen abrupt Pause. Steht er auf, applaudieren sie.<br />
Weiter geht‘s.<br />
Daniel, und wie er die Welt sieht: „Ich erkenne<br />
Ich erkenne<br />
den Ball erst<br />
dann, wenn er<br />
knapp vor mir<br />
auftaucht.<br />
den Ball erst, wenn er knapp vor mir auftaucht.<br />
Ich mache ihn aber nicht als Ball aus, sondern als<br />
Fetzen. Schwer zu erklären.“ Sein Erfolg hängt von<br />
den Zurufen ab. „Ich weiß, wo das Tor stehen muss,<br />
das Gefühl entwickelt man.“ Daniel hat mittlerweile<br />
auch das zweite Kriterium erfüllt. Er war im<br />
Rapideum, dem Vereinsmuseum. „Da atmet man<br />
Geschichte ein.“<br />
Das Problem ist, dass das Specials Needs Team<br />
keine Gegner hat. Um sich zu messen, muss ins<br />
Ausland gereist werden. Im Juni wurde ein Turnier<br />
in Liechtenstein und der Schweiz gewonnen. Die<br />
Gegner waren Arsenal, Chelsea, FC Zürich, Benfica<br />
Lissabon. Rapid hat kein Gegentor kassiert.<br />
20.30 Uhr, Trainingsende. Dressen in den Wäschekorb,<br />
duschen. Jakob und Florian sind traurig, Kerber<br />
sagt: „Der nächste Mittwoch kommt bestimmt.“<br />
Daniel würde übrigens jene berühmt-theoretische<br />
Fee, die drei Wünsche vergibt, wegschicken.<br />
„Wer will schon das Gewohnte aufgeben Ich habe,<br />
wie jeder andere, Angst vor Veränderungen. Den<br />
Mittwochabend will ich aber nicht mehr missen.“<br />
Jakob sagt: „Ich will im Fußball gewinnen. Aber<br />
wenn man verliert, geht die Welt auch nicht unter.<br />
Ich koch‘ dir dann ein Erdäpfelpüree.“ <br />
56<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 57
<strong>almanah</strong><br />
Delna Antia,<br />
biber-Akademie 2012<br />
stv. Chefredakteurin<br />
„das biber“<br />
Martin Smetana,<br />
biber-Akademie 2011<br />
Innenpolitikredakteur<br />
„Salzburger Nachrichten“<br />
Amra Ducic´ ,<br />
biber-Akademie 2012<br />
Pressereferentin im<br />
Außenministerium<br />
Monate lang werden je vier Stipendiaten<br />
ausgebildet und sie veröffentlichen<br />
ihre Interviews, Berichte und Reportagen<br />
online und im Heft. Zwei weitere Monate<br />
absolvieren die biber-Akademiker in<br />
einem Partnermedium oder einer Pressestelle<br />
ihrer Wahl.<br />
Made by biber<br />
Sie sind jung, ihre<br />
Wurzeln sind auf der<br />
ganzen Welt verstreut<br />
und sie wollen schreiben.<br />
Die biber-Akademie<br />
bildet Jungjournalisten<br />
mit internationalem<br />
Background aus. Unsere<br />
Absolventen arbeiten<br />
mittlerweile für Medien<br />
wie die Salzburger<br />
Nachrichten, fm4,<br />
Kurier oder auch im<br />
Außenministerium.<br />
Was soll da erst in den nächsten<br />
Jahren kommen Wir blicken auf ein paar<br />
Erfolgsstories unserer „Medienprofis mit<br />
scharf“ zurück. Amra Ducić erinnert sich<br />
gerne an ihre Akademiezeit. „Ich hatte bis<br />
dahin keine Erfahrung im Journalismus,<br />
biber hat mir Einblick in die Medienwelt<br />
gewährt“, erzählt die 26-jährige Bosnierin.<br />
Heute arbeitet Amra in der Presseabteilung<br />
des Außenministeriums, ist dort hauptsächlich<br />
für Integrationsagenden zuständig<br />
und betreut die Social Media Kanäle<br />
des Ministeriums mit. „Ich habe dank der<br />
Akademie gelernt, wie ich mich in dieser<br />
Branche durchsetze.“<br />
Genau aus diesen Gründen wurde die<br />
biber-Akademie 2011 ins Leben gerufen:<br />
Um engagierte Jungjournalisten mit internationalen<br />
Wurzeln für die Medien- und<br />
Kommunikationswelt vorzubereiten. Zwei<br />
Fashionistas und Politikredakteure<br />
Über 60 Jungjournalisten mit und ohne<br />
Migrationshintergrund haben bisher die<br />
biber-Akademie besucht. Viele von ihnen<br />
sind im Journalismus geblieben und verfassen<br />
Beiträge für Medien wie die Salzburger<br />
Nachrichten, fm4, Kurier, Wiener<br />
Zeitung, Heute, Bezirkszeitung und sogar<br />
für deutsche wie stern.de. Andere bleiben<br />
biber treu: 2012 absolvierte Delna Antia<br />
die Akademie, um danach direkt bei den<br />
Großen mitzuspielen. Die Deutsche mit<br />
parsischen Wurzeln ist stellvertretende<br />
Chefredakteurin und koordiniert das Heft<br />
- ganz nebenbei organisiert sie Mode-Fotostrecken<br />
und Fashionshows mit internationalen<br />
Designern.<br />
Die biber-Stipendiaten verschlägt es<br />
in die verschiedensten Richtungen: Zum<br />
Beispiel Marian Smetana, der 2011 in der<br />
Akademie war und heute Innenpolitikredakteur<br />
bei den „Salzburger Nachrichten“<br />
ist. Amra Durić ist nach ihrem biber-Praktikum<br />
direkt in das Kulturressort der<br />
Heute-Zeitung gewechselt und ist dort<br />
seither fix angestellt. Menerva Hammad<br />
hingegen macht von allem ein bisschen:<br />
Nach der Akademie, die sie 2013 besucht<br />
hat, arbeitet sie für den österreichischen<br />
Integrationsfonds. Danach hat die<br />
25-Jährige ein Praktikum beim TV-Sender<br />
PULS 4 gemacht. Nun hat die gebürtige<br />
Ägypterin Österreich verlassen und zog<br />
der Liebe wegen nach Kuwait. Ganz verloren<br />
geht sie Wien aber trotzdem nicht:<br />
Menerva wird biber weiterhin Geschichten<br />
aus arabischen Ländern liefern. <br />
58<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Sponsoren der biber-Akademie:<br />
Felicitas Matern<br />
„Mir ist eine Versachlichung der Integrationsdebatte sehr wichtig. Dabei können Journalisten<br />
mit Migrationsbackground viel dazu beitragen und daher unterstützen wir die<br />
biber-Akademie. Zudem geht es mir aber auch einfach darum, dass Integration gelebt<br />
wird und auch möglichst viele Menschen mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten im<br />
Journalismus beschäftigt sind.“<br />
SEBASTIAN KURZ, Bundesminister für Europa, Äußeres und Integration<br />
„Die Zahl der jungen Menschen mit Migrationshintergrund steigt stetig und sie sind ein<br />
fester Bestandteil der Berichterstattung in der österreichischen Medienlandschaft. Die<br />
biber-Akademie gibt diesen jungen Menschen die Möglichkeit, das nötige Handwerk zu<br />
erlernen, um diese Berichterstattung selbst mitzugestalten – durch ihre persönliche<br />
Betroffenheit, ihr Wissen und ihr Engagement. Wir von der Wiener Städtischen Versicherung<br />
freuen uns, dieses Projekt, das viel zur Integration und zu einem verständnisvolleren<br />
Miteinander beiträgt, zu unterstützen.“<br />
JUDIT HAVASI, Generaldirektor-Stellvertreterin der Wiener Städtischen Versicherung<br />
Ian Ehm<br />
„Wir sind ein internationaler Öl- und Gaskonzern, in dem mehr als 60 verschiedene<br />
Nationen an einem Strang ziehen. Das macht uns erfolgreich und stark. Integration wird<br />
bei uns gelebt und gespürt, einer von uns ist immer in einem unserer 30 Länder neu. Und<br />
dabei hat uns, als OMV, die Idee der biber-Akademie sofort begeistert. Wir wünschen<br />
viel Erfolg und freuen uns auf die neue Kommunikationsgeneration!“<br />
MICHAELA HUBER, Senior Vice President Corporate Communications & Sustainability OMV<br />
OMV<br />
„Damit Diversity und Inklusion keine Slogans bleiben, müssen beide Begriffe mit Leben<br />
erfüllt werden. Daher ist es wichtig, dass engagierte JungjournalistInnen mit migrantischen<br />
Wurzeln ihre Talente und Fähigkeiten einbringen und die Sichtweisen der Medien<br />
erweitern. Gerade der Start in der Medienbranche ist oftmals schwierig. Die Wirtschaftskammer<br />
Wien unterstützt die Biber-Akademie, um diese Generation der neuen<br />
ÖsterreicherInnen auf ihrem Weg zu fördern und zu stärken.“<br />
WALTER RUCK, Wiener Wirtschaftskammer-Präsident<br />
„NOVOMATIC will zu einer vielfältigen Zivilgesellschaft beitragen und unterstützt daher<br />
die Akademie für Nachwuchsjournalisten. Journalisten mit migrantischem Background<br />
bringen eine neue, längst überfällige Sichtweise in die festgefahrene Integrationsdebatte<br />
in Österreich ein.“<br />
HARALD NEUMANN, Generaldirektor Novomatic AG<br />
Weinwurm<br />
Novomatic<br />
„Die Industriellenvereinigung unterstützt gerne die biber-Akademie, da hier offene und<br />
kritische junge Menschen als zukünftige, journalistische Exzellenz Österreichs ausgebildet<br />
und gefördert werden.“<br />
GEORG KAPSCH, Präsident der Industriellenvereinigung<br />
Sabine Hauswirth<br />
Die ÖBB sind eines der öffentlichsten Unternehmen Österreichs. Mehr als 25.000 Zeitungsartikel<br />
erscheinen über uns, aber auch in den neuen Medien und Sozialen Netzwerken<br />
spielen wir eine große Rolle. Junge Medien-Talente auf ihrem Berufsweg zu<br />
unterstützen, liegt also nahe. Die biber-Akademie mit ihrem innovativen Ausbildungsansatz<br />
hat uns sofort überzeugt. Wir wünschen allen Teilnehmern viel Erfolg!<br />
KRISTIN HANUSCH-LINSER, Head of Corporate Communications and Marketing,<br />
ÖBB-Holding AG<br />
Kapsch AG<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 59
<strong>almanah</strong><br />
arabisch für »Geschäft«<br />
60<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
UNTERNEHMEN & INSTITUTIONEN<br />
Die Regierung verstärkt die Präventionsarbeit gegen Jihadismus. Ein<br />
neues Magazin für Black Lifestyle ist am Markt und die ÖBB erhält den<br />
„DiversCity-Preis“. Das Thema Integration wurde 2014 groß geschrieben<br />
- ein Jahresüberblick.<br />
BERUFSANERKENNUNG FÜR MIGRANTEN VERBESSERT<br />
BERATUNGSHOTLINE GEGEN JIHADISMUS<br />
ÖBB ERHÄLT DEN „DIVERSCITY“-PREIS<br />
BLACK LIFESTYLE AUS WIEN<br />
FAIRE KARRIERE<br />
WIENER MUTBÜRGER<br />
COCA-COLA SPONSERT INTEGRATIONSPREIS SPORT
<strong>almanah</strong><br />
Sozialminister<br />
Rudolf Hundstorfer<br />
Dragan Tatiić<br />
Berufsanerkennung für<br />
Migranten verbessert<br />
Die Regierung will die Berufsanerkennung von qualifizierten<br />
Fachkräften aus dem Ausland erleichtern. Vor<br />
zwei Jahren hat sich Sozialminister Rudolf Hundstorfer<br />
für einen Maßnahmenplan eingesetzt, der den<br />
bürokratischen Hürdenlauf verringern soll. Seit 2014<br />
gibt es auch den relaunchten Online-Wegweiser<br />
www.berufsanerkennung.at, der in wenigen Schritten<br />
zur richtigen Kontaktstelle führen soll.<br />
In Österreich gibt es keine einheitlichen Regelungen<br />
in Bezug auf die formale Anerkennung von im Ausland<br />
erworbenen Qualifikationen. Die Verfahren sind abhängig<br />
von den Abschlüssen und den Bereichen, für die sie<br />
benötigt werden. Sozialminister Rudolf Hundstorfer<br />
hat zusammen mit Integrationsminister Sebastian<br />
Kurz einen Maßnahmenplan zusammengestellt, um die<br />
Anerkennung der Qualifikationen von Migranten zu<br />
erleichtern. Dazu gehört eine individuelle Beratung in<br />
den Bundesländern. Außerdem sollen Migranten während<br />
ihres Anerkennungsprozesses von Informations- und<br />
Anlaufstellen unterstützt und begleitet werden. Der<br />
Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) hat zudem<br />
zusammen mit dem Außen- und Integrationsministerium<br />
die Webseite www.berufsanerkennung.at überarbeitet und<br />
benutzerfreundlicher gestaltet. Migranten sollen durch<br />
den Online-Wegweiser in wenigen Schritten die richtige<br />
Ansprechperson für ihre Anerkennung finden.<br />
Marko Mestrović<br />
Vier Minister präsentieren die neue Beratungsstelle und<br />
Hotline, die sich gegen Extremismus richtet.<br />
Beratungshotline gegen Jihadismus<br />
Die Regierung verstärkt die Präventionsarbeit gegen<br />
Jihadismus: Eine neue Beratungsstelle und Hotline<br />
soll Betroffenen helfen, die befürchten, dass junge<br />
Menschen in ihrem Umfeld radikalisiert werden.<br />
Im Dezember 2014 präsentierte die Regierung eine neue<br />
Beratungsstelle und eine Hotline, an die sich Familien,<br />
Arbeits- und Schulkollegen, Lehrer und Freunde wenden<br />
können, wenn sich ein Jugendlicher zunehmend von<br />
seinem sozialen Umfeld entfernt. Bei der Hilfestellung<br />
geht es aber nicht nur um Jihadismus, sondern um alle<br />
Formen des Extremismus. Die Beratung erfolgt anonym<br />
und kostenlos, wobei die Anrufe und Mails anonymisiert<br />
dokumentiert werden. Allerdings ist die Hotline nicht<br />
uneingeschränkt anonym: Wenn im Gesprächsverlauf<br />
deutlich wird, dass Gefahr droht, werden die persönlichen<br />
Daten – nach Rücksprache mit dem Anrufer – an den<br />
Verfassungsschutz weitergegeben. Neben der Hotline<br />
gibt es eine Beratungsstelle, die im Familienministerium<br />
angesiedelt ist. Diese besteht aus einem mobilen Team,<br />
das für Krisensituationen ausgebildet wurde. Die Familien<br />
oder die Freunde können so schnell aufgesucht werden.<br />
Die Beratung erfolgt zunächst in fünf Sprachen – Deutsch,<br />
Türkisch, Englisch, Arabisch und Persisch.<br />
62<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Sabine Hauswirth<br />
Der ÖBB-Vorstandsvorsitzender Christian Kern<br />
nahm die Auszeichnung für das Unternehmen<br />
entgegen.<br />
ÖBB erhält den „DiversCity“-Preis<br />
Die Wirtschaftskammer Wien (WKO) vergab dieses<br />
Jahr zum vierten Mal den „DiversCity“-Preis. In<br />
der Kategorie „Großunternehmen“ wurde die ÖBB<br />
gekürt.<br />
„DiversCity“ ist eine Auszeichnung für Wiener<br />
Unternehmen, die Maßnahmen zur Förderung<br />
und Nutzung von personeller Vielfalt umsetzen.<br />
Der Preis wird in folgenden Rubriken verliehen:<br />
Kleinstunternehmen, kleine und mittlere<br />
Unternehmen, große Unternehmen sowie einer in<br />
der Sonderkategorie „ethnische Ökonomie“. Die<br />
Verleihung fördert Unternehmen, die sich zukunftsweisend<br />
in den Bereichen ethnische Herkunft, Alter,<br />
Geschlecht, Religion, sexuelle Orientierung und<br />
Behinderung einsetzen und wird mit einem Preisgeld<br />
von € 3.000 unterstützt. Außerdem ist es Ziel des<br />
Preises, Anreiz für die Auseinandersetzung mit Vielfalt<br />
zu schaffen. Weitere Gewinner waren das biber-Magazin,<br />
die Jobplattform „Careesma“ und „Henkel“.<br />
Die Jury setzt sich aus Unternehmern, Pädagogen und<br />
Persönlichkeiten in der Wirtschaft zusammen.<br />
fresh Magazin - Black Austrian Lifestyle<br />
Black Lifestyle aus Wien<br />
Das österreichische „fresh“ Magazin ist vieles:<br />
schwarz, popkulturell, aber auch sozialkritisch.<br />
Das Lifestyle-Magazin will zeigen, wie vielfältig,<br />
selbstbewusst und global der Black Austrian Way of<br />
Life ist.<br />
Afrikanische Designer, Musiker oder Promis mit “black<br />
roots” runden das “fresh” Magazin genauso ab wie<br />
Karriere-Wege und Bildungsthemen, Haarpflege-Tipps<br />
oder Kulinarik aus dem afrikanischen Raum. „fresh“<br />
ist erstmals im Juli 2014 erschienen und wird in<br />
Restaurants, beim Frisör, beim Arzt, in Kulturzentren<br />
und Universitäten, sowie bei verschiedenen<br />
Partnerfirmen in Wien, Graz, Linz, Klagenfurt,<br />
Innsbruck, St. Pölten und Bregenz zur freien Entnahme<br />
aufliegen.<br />
Sowohl die stellvertretende Chefredakteurin Vanessa<br />
Spanbauer als auch Marie Noel Ntwa sind ehemalige<br />
biber-Akademikerinnen. Die beiden sind zwei der<br />
vielen Frauen in der schwarz-weißen Redaktion.<br />
Die Inhalte richten sich aber nicht ausschließlich<br />
an afrikanische Österreicher, sondern an alle, die<br />
Österreich durch die Afro-Brille sehen möchten.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 63
<strong>almanah</strong><br />
Die beiden Veranstalter Manuel Bräuhofer und Manfred Wondrak<br />
haben 2014 zum vierten Mal die fair.versity organisiert.<br />
Amélie Chapalain<br />
Eser Ari-Akbaba und Nuno Maulide haben dieses Jahr<br />
den „Wiener Mut“ Preis erhalten.<br />
Christoph Liebentritt<br />
Wiener Mutbürger<br />
Christoph Liebentritt<br />
Faire Karriere<br />
Bereits zum zweiten Mal lockte die Karrieremesse<br />
fair.versity an die 2000 Besucher ins Wiener<br />
Rathaus, wo am 23. September 2014 alles unter<br />
dem Motto „Gender & Diversität“ stand. Moderiert<br />
wurden die 100 Vorträge über Geschlechter und<br />
deren Bedeutung sowie Unterschiede in der<br />
Wirtschaft von Schauspielerin und transgender<br />
„Kunstfigur“ Lucy McEvil.<br />
Unter der Leitung und Planung von Manuel Bräuhofer<br />
und Manfred Wondrak bot die fair.versity alles für<br />
den Karriereweg: vom Lebenslauf-Check bis zum<br />
kostenlosen Porträtfoto. Die Workshops setzten sich<br />
aus unterschiedlichen Perspektiven mit Diversität<br />
auseinander. Unter anderem stellte Bestseller-Autor<br />
Christian Seidel sein Projekt „Die Frau in mir“ vor.<br />
Bei diesem zweijährigen Selbsterfahrungsexperiment<br />
versuchte er als Frau zu leben und hat dabei die<br />
Geschlechterdebatte neu angeheizt. Das VIP-Business-<br />
Speed-Dating ermöglichte jedem, Persönlichkeiten<br />
aus Wirtschaft, Politik und TV kennenzulernen<br />
und sich schnell wissenswerte Tipps zu holen. Wer<br />
dieses Jahr nicht dabei war, kann das am 23. Oktober<br />
2015 nachholen. Die fair.versity’15 findet unter dem<br />
Stichwort „Generationen & Work-Life-Balance“ im<br />
Museum für angewandte Kunst in Wien statt.<br />
2014 wurde der „Wiener Mut“ Preis verliehen.<br />
Menschen, die sich für kulturelle und sprachliche<br />
Vielfalt in Wien engagieren, wurden in insgesamt<br />
sechs Kategorien und mit zwei Sonderpreisen<br />
ausgezeichnet.<br />
Die Initiatoren von „Wiener Mut“ sind der Verein Wirtschaft<br />
für Integration und das ORF Landesstudio Wien.<br />
Der Preis ist eine Auszeichnung für alle Wiener, die sich<br />
beruflich, ehrenamtlich und/oder privat dafür einsetzen<br />
Österreichs Hauptstadt zu bereichern. Bewerben<br />
können sich alle, die die Stadt vielfältiger und bunter<br />
machen. 2014 wurde der Preis in sechs Kategorien<br />
vergeben: Bildung, Bühne, Kulinarik, Sport, Wirtschaft<br />
und Wissenschaft. Außerdem gab es zwei Sonderpreise<br />
in den Bereichen Flucht und Migration.<br />
Zwei Gewinner des Preises sind Eser Ari-Akbaba<br />
und Nuno Maulide. Die in Wien geborene Kurdin und<br />
ORF-Wetterfrau Eser ist stellvertretende Obfrau in<br />
dem Verein „Nubigena Wolkenkind“. Im Rahmen von<br />
Schulbesuchen vermittelt der Verein Schülern, was es<br />
bedeutet als Flüchtling zu leben. Dafür hat die Initiative<br />
den Sonderpreis im Bereich Flucht und Migration<br />
erhalten. Nuno Maulide arbeitet als jüngster Professor<br />
an der Universität Wien. Der 35-Jährige möchte den<br />
Wissenschaftsort Wien internationaler positionieren.<br />
Dafür wurde er in der Kategorie Wissenschaft prämiert.<br />
64<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
<strong>almanah</strong><br />
Impressum<br />
Medieninhaber:<br />
biber Verlagsgesellschaft m.b.H.<br />
Herausgeber und Chefredakteur:<br />
Simon Kravagna<br />
Redaktionelle Leitung:<br />
Alexandra Stanić<br />
George Alaba, Coca-Cola-Unternehmenssprecher Philipp<br />
Bodzenta und Sportminister Gerald Klug waren bei der<br />
Preisverleihung.<br />
Integration durch Sport<br />
Der Integrationspreis Sport wurde 2014 zum<br />
siebenten Mal verliehen – mit dabei: Coca-Cola als<br />
Kooperationspartner. 12 innovative Sportprojekte<br />
wurden mit insgesamt 15.000 Euro ausgezeichnet.<br />
Integration durch Sport: Das ist das Ziel der<br />
Preisverleihung. Integrations- und Außenminister<br />
Sebastian Kurz, Sportminister Gerald Klug und<br />
der österreichische Städtebund verliehen im<br />
November 2014 die Auszeichnung an 12 vielfältige<br />
Sportinitiativen. „Sport und ehrenamtliches<br />
Engagement leisten einen wichtigen Beitrag dazu,<br />
dass sich Menschen mit Migrationshintergrund<br />
in Österreich wohl fühlen. Fairplay, gemeinsames<br />
Engagement und Teamgeist sind Werte, die uns alle<br />
verbinden, egal, woher wir kommen“, so Sebastian<br />
Kurz. Auch Coca-Cola war von den Sportinitiativen<br />
beeindruckt. „Coca-Cola steht für Integration und<br />
Sport und was liegt näher, als Projekte wie den<br />
Integrationspreis Sport intensiv zu unterstützen.<br />
Es zeigt sich einmal mehr, welch großartige<br />
Möglichkeiten Sport für die Integration bietet. Sport<br />
verbindet Kulturen und wenn man dabei zusätzlich<br />
noch etwas für die Gesundheit tun kann, ist das<br />
perfekt!“, so Unternehmenssprecher Philipp Bodzenta.<br />
Der mit 3.000 Euro dotierte Hauptpreis wurde auch 2014<br />
von Coca-Cola präsentiert und ging an ein Gesundheitsförderungsprojekt<br />
für muslimische Frauen.<br />
Gabriel Rizar<br />
Redaktion:<br />
Delna Antia<br />
Amar Rajković<br />
Marina Delcheva<br />
Alexandra Stanić<br />
Maida Dedagić<br />
Adam Bezeczky<br />
Gizem Yazgan<br />
Melisa Aljović<br />
Olivia Mrzyglod<br />
Gastautoren:<br />
Philipp Woldin (ZEIT ONLINE)<br />
Duygu Özkan (Die Presse)<br />
Clemens Neuhold (Wiener Zeitung)<br />
Christian Hackl (Der Standard)<br />
AD & Grafik:<br />
Dieter Auracher<br />
Fotoredaktion:<br />
Marko Mestrović<br />
Projektkoordination:<br />
Irina Obushtarova<br />
Adam Bezeczky<br />
Lektorat:<br />
Christina Gaal<br />
Druck:<br />
NEOGRAFIA, a.s.<br />
Sucianska 39A, 038 61 Martin - Priekopa<br />
Auflage:<br />
55.000<br />
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JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 65
<strong>almanah</strong><br />
Dimitre Ovtcharov<br />
LETZTE WORTE:<br />
Todor Ovtcharov<br />
Bloß nicht<br />
beschweren!<br />
Wisst ihr wo sich die Städte Sofia, Freiburg, Tallinn<br />
und Tel-Aviv treffen In meinem Zimmer in<br />
Wien. Denn hier sitzt meine Freundin M. und plaudert<br />
mit ihren Freundinnen auf Skype.<br />
Maggie ist eine Kollegin von M., die sie an der<br />
Universität in Sofia kennengelernt hat. Vor einigen<br />
Monaten hat Maggie die bulgarische Hauptstadt<br />
verlassen und ist nach Freiburg zu ihrem deutschen<br />
Freund gezogen. „Es ist so langweilig in der<br />
deutschen Provinz. Alle sprechen nur über Geld und<br />
Arbeit“, erzählt Maggie. Es wirkt so, als ob sie sich<br />
beklagen will, aber ihrer Tonart nach zu urteilen<br />
gibt sie eigentlich ein bisschen an. „Ich habe das<br />
Gefühl, dass die Leute hier ständig nur arbeiten und<br />
einkaufen, weil es sonst nichts anderes zu tun gibt.<br />
Tom ist ganz lieb zu mir, gestern hat er mir ein neues<br />
Kleid gekauft und wir gehen jeden Abend in einem<br />
schönen Restaurant essen.“<br />
Villi, die ein Masterstudium in Estland macht,<br />
mischt sich ins Gespräch ein. „Also wenn man<br />
über langweilige Orte spricht, dann ist Tallinn<br />
die langweiligste Stadt der Welt“, beginnt sie ihre<br />
Erzählung. „Alles ist so kalt und erfroren, ich dachte<br />
da steigt die große Party, aber nein, nur Langeweile<br />
und Heavy Metal Konzerte.“ Villi würde niemals ein<br />
Konzert verpassen, egal um welches Genre es geht.<br />
Sie hört sich so an, als hätte sie die ganze Nacht<br />
mitgesungen. Ihre Stimme klingt wie die von Tom<br />
Waits.<br />
M. versucht etwas Positives ins Gespräch zu<br />
bringen. „In Tallinn muss es ja auch kalt sein!“,<br />
verteidigt sie Estlands Hauptstadt und stellt Eli<br />
eine suggestive Frage zu Tel Aviv. „Tel Aviv ist doch<br />
sicherlich prima“ Aber die Architektin muss sie<br />
enttäuschen. „Nein, gar nicht“, so Eli. Neulich fuhr<br />
Tallinn,<br />
Sofia,<br />
Freiburg<br />
und Tel<br />
Aviv<br />
beneiden<br />
M. um ihr<br />
interessantes<br />
Leben<br />
in Wien.<br />
sie nach Israel, um dort ihr Glück zu versuchen.<br />
„Ich lerne die Sprache den ganzen Tag und habe für<br />
nichts anderes Zeit. Es ist sonst ganz waaaarm“, sagt<br />
Eli. Auf ihrem Skypebild trägt Eli einen Bikini. Die<br />
Art wie sie „warm“ ausspricht, lässt erahnen, dass<br />
es ihr blendend geht. M. zittert und kuschelt sich in<br />
ihren dicken Wollschal. „Und dir Kathi, geht es dir<br />
besser in Sofia“<br />
Kathi ist die einzige der Freundinnen, die in<br />
der gemeinsamen Geburtsstadt der vier geblieben<br />
ist. „Oh ja, hier steigt, wie ihr wisst, ständig eine<br />
Riesenparty! Ich habe weiterhin meinen blöden<br />
staatlichen Job. Jeder versucht weiterhin nichts zu<br />
machen und sein miserables Gehalt zu kassieren!“<br />
Ein Anflug von Stolz ist in ihrer Stimme zu erkennen<br />
- sie ist die einzige, die einen festen Job hat.<br />
Nur M. sagt nichts. Vielleicht weil ich im Zimmer<br />
bin und ungewollter Zeuge ihrer Skypegespräche<br />
bin. Sie kann weder mit einem neuen Kleid, noch mit<br />
einem Heavy Metal Konzert, noch mit einem festen<br />
Job angeben. Außerdem ist es bei uns ziemlich<br />
kalt, da ich die Heizung nicht einschalte, um Geld<br />
zu sparen. Sie will nicht erzählen, dass ihr in Wien<br />
langweilig ist. M. unterbricht das Gespräch. „Wir<br />
gehen jetzt auf eine Ausstellung!“ Aus dem anderen<br />
Ende der Leitungen erklingen bewundernde Schreie.<br />
Tallinn, Sofia, Freiburg und Tel Aviv beneiden M. um<br />
ihr interessantes Leben in Wien. Nur blöd, dass M.<br />
statt auf eine Ausstellung zu gehen, Flyer für eine<br />
Ausstellung verteilt.<br />
<br />
Todor Ovtcharov ist Kolumnist der Zeitschrift biber und FM4.<br />
66<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION
Österreich blüht auf – dank den zahlreichen Bahnfahrern,<br />
die mit jedem Kilometer CO 2<br />
sparen.<br />
Mehr Infos zur App auf oebb.at/greenpoints