34 35 Andy Warhol Marilyn 1967 (Kat. 67)
48 setdrucken allerdings Ausnahmen. Jasper Johns hat zwischen 1971 und 1973 das Offsetverfahren für fotomechanische Reproduktionen eingesetzt, jedoch nur in Verbindung mit Kreide- und Tuschelithografien, die den Drucken eine betont malerische Anmutung geben (Abb. S. 49). Bei anderen Künstlern wie etwa Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Ed Ruscha finden sich – wenn man von Künstlerbüchern und Ausstellungsplakaten absieht – nur ganz vereinzelt Offsetdrucke. In den 1960er- und 1970er-Jahren nahm in Europa das Verhältnis zu dieser Drucktechnik auffälligerweise eine etwas andere Entwicklung. Die offsetbasierte Transformation fotografischer Vorlagen lässt sich bei einigen Künstlern mit zahlreichen Beispielen belegen: bei Marcel Broodthaers ab 1964, bei Dieter Roth und Gerhard Richter ab 1966, bei Joseph Beuys, Sigmar Polke und Richard Hamilton ab 1967 sowie bei Christo ab 1968. <strong>Im</strong> Folgenden sollen einige beispielhafte Arbeiten vorgestellt werden. 1972 gaben die Münchener Galeristen Heiner Friedrich und Fred Jahn von Marcel Broodthaers eine schwarz-weiße Druckgrafik mit dem Titel Ein Eisenbahnüberfall heraus (Abb. S. 46). Das Blatt zeigt mehrere kurze Filmstreifen mit Szenen von zwei Männern, die neben einem Zug stehen oder verdächtig an Bahngleisen hantieren. Unter den Abbildungen werden in einem Textstreifen Titel, Regisseur, Darsteller, Kamera und Produktion genannt. Der Titel spielt auf den berühmten US-amerikanischen Film Der große Eisenbahnraub von 1903 an, der als der erste Western der Filmgeschichte gilt. <strong>Im</strong> Stil erscheint Broodthaers’ Offsetdruck allerdings wie ein artifizielles Kinoplakat des Film noir. Seinen Film hat es in Wirklichkeit nie gegeben, denn die Druckgrafik als Plakat ist ein Fake. Der Drucktechnik kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da sie auf perfekte Weise auf eine filmische Arbeit verweist, deren Existenz durch das Blatt überzeugend vorgetäuscht wird. 1976 und 1977 produzierte Hans-Peter Feldmann 21 schwarz-weiße, unbetitelte Drucke im Offset- und einige im Siebdruckverfahren, die anschließend in der Kölner Galerie von Paul Maenz und Gerd de Vries ohne Rahmen an die Wand gehängt wurden. Die fotografischen Motive sind vor allem Liebespaare, Sonnenuntergänge, Blumenwiesen, Palmenstrände, Tierbabys, Schloss Neuschwanstein und ein junges Mädchen, das sich Ballettschuhe anzieht. Die Galeristen nannten die Blätter aufgrund der sentimentalen, ja kitschigen Inhalte und Ästhetik Sonntagsmotive 9 (Abb. S. 52 und 53). Feldmann hatte sie von banalen Postern oder Kalenderblättern übernommen. Indem solche sehr verbreiteten Motive in sprödem Schwarz-Weiß reproduziert und im Kunstkontext platziert wurden, konnten sie zu anschaulichen Objekten der Reflexion werden. Die höchst stereotypen Bildformen besitzen einen penetrant affirmativen Charakter und bedienen somit spezifische gesellschaftliche Sehnsüchte. Sie sind aufgrund ihrer allgemeinen Lesbarkeit Teil unseres kollektiven Bewusstseins, wodurch ihnen eine große kulturelle Definitionsmacht zukommt. Die zum Teil grob gerasterten und somit billig wirkenden Blätter betonen das Prinzip des Reproduktiven sowohl in Bezug auf die Druckgrafik als auch auf die Populärkultur, in der solche Motive in riesigen Auflagen hergestellt wurden. Unter den deutschen Künstlern sind es vor allem Sigmar Polke und Gerhard Richter, die sich seit Mitte der 1960er-Jahre besonders intensiv und nachhaltig mit dem Offsetverfahren auseinandergesetzt haben. So produzierte Polke 1972 eine Reihe von vier ein- und zweifarbigen Druckgrafiken, die Klaus Staeck in Heidelberg unter dem Titel Kölner Bettler I – IV herausgab (Abb. S. 50, 51). Es sei dahingestellt, ob sich der Künstler mit den dargestellten Bettlern als gesellschaftlichen Außenseitern in ihrer prekären und ungesicherten Situation ein Stück weit identifizierte oder ob er vor allem den Umgang unserer Gesellschaft mit den Armen und Obdachlosen reflektieren wollte. Zumindest medientechnisch kann festgehalten werden, dass die Blätter auf eigenen Fotografien von Polke basieren, dass der Druck im Offsetverfahren auf edlem Karton erfolgte und die Motive trotzdem eine spezifisch trashige Erscheinung aufweisen: Sie zeigen Flecken, Fusseln, Kratzer, Unschärfen, Unterbelichtungen und Solarisationen 10 , die teils bei der Aufnahme der Motive oder bei der Belichtung des Fotopapiers im Labor entstanden und teils im chemischen Entwicklerbad hervorgerufen wurden. Die Effekte der Verunklärung und Auflösung der Motive konnte der Künstler bei einer hohen Auflage am besten im Offsetverfahren reproduzieren, was die Verwendung dieser Technik plausibel erscheinen lässt. Zwar lebt auch die Fotografie von der Serie, von der Möglichkeit mehrerer Abzüge, doch die identische Wiederholung etwa der Solarisationen im dritten Motiv der Reihe wäre in einer Fotoedition kaum möglich gewesen. III. Die Visualität des Rasterpunktes Die berühmteste und bedeutendste Druckgrafik Sigmar Polkes gab der Galerist August Haseke 1967 in seiner Galerie h in Hannover heraus. Mit dem gesellschaftspolitischen <strong>Im</strong>petus einer Demokratisierung der Kunst bot er damals den schwarz-weißen Offsetdruck Freundinnen I für nur 40 DM an (Abb. S. 54). Das Motiv geht auf eine kleine Zeitungsabbildung im Offsetverfahren zurück, die der Künstler fotografiert hatte, um davon einen sehr stark vergrößerten Papierabzug 11 herzustellen, der dann wiederum im Offsetdruck reproduziert wurde. Martin Hentschel meint, dass die originale Vorlage »ein Ausschnitt aus einer Reklame« 12 , »eine Offerte neuer Bademode« sei, was sich jedoch als unwahrscheinlich herausgestellt hat. Wie sich August Haseke kürzlich erinnern konnte, 14 handelt es sich bei der blonden Frau links im Bild um Elke Sommer, was diese in Los Angeles mittlerweile bestätigt hat. 15 Sommer war in den 1960er-Jahren eine erfolgreiche Hollywood-Schauspielerin und trat in ihren Filmen sehr häufig leicht bekleidet auf. Da sie es aufgrund ihres internationalen Erfolges nicht nötig hatte, Modewerbung zu machen, scheint es sich bei dem Motiv wohl eher um ein Film Still zu handeln. Der Titel des Blattes anonymisiert die dargestellten zwei Frauen allerdings, sodass der grundsätzliche Sachverhalt, dass es sich um ein Bild aus den Massenmedien handelt, für Polke wohl wichtiger gewesen ist als die Frage, welche Personen abgebildet sind. 16 Der Künstler hat hier das Offsetverfahren als fotomechanisches Reproduktionsverfahren eingesetzt, um ganz deutlich werden zu lassen, dass die Übernahme und Verarbeitung gefundener Bildvorlagen die Auseinandersetzung mit einer Realität aus zweiter Hand, also mit einer medial vermittelten Wirklichkeit, bedeutet. Charles W. Haxthausen hebt treffend hervor, dass Polke, »immer wenn er sich ein Bild aneignet, auch die Kennzeichen von dessen Reproduktionstechnik als integralen Bestandteil dieses Bildes übernimmt«. 17 . Bei den Freundinnen I wird dies sofort sichtbar durch die das Bild konstituierenden Elemente: die unterschiedlich großen, schwarzen Punkte. Sie bildeten in der Zeitung das Raster, das notwendig war, um die fotografische Vorlage in eine Druckform übertragen zu können. Die Tonwerte des Halbtonbildes wurden dabei in einzelne Punkte zerlegt, die im Druck das Bild entstehen ließen und mehr oder weniger weiche Übergänge zwischen Hell und Dunkel erzeugten. Jasper johns Decoy 1971 (Kat. 32)