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Alexander Wandinger, Jana Cerno, Christian Aichner

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Friedrich, Bavaria: Oberbayern. I. Hauptgruppe.<br />

Das Land zwischen Lech und Isar)<br />

»Die Braut<br />

muß bei der ganzen Ceremonie sehr ernsthaft<br />

sein. Sie ist schwarz gekleidet, mit dem silbernen<br />

Brautgürtel um die Hüften und trägt im Haar<br />

ein Kranl oder einen Kranz aus Rosmarin und<br />

künstlichen Blumen, daran eine blaue Masche<br />

mit einer Silbernadel festgesteckt.« (Lentner,<br />

Joseph Friedrich, Bavaria: Oberbayern.<br />

III. Hauptgruppe. Zwischen Inn und Salzach)<br />

Neben Texten besitzen wir Bildquellen wie<br />

Votivtafeln, Trachtengraphiken, Portraits<br />

und Photographien, die in ihrer Aussagekraft<br />

sehr unterschiedlich zu bewerten sind.<br />

Votivtafeln vermitteln durch die stereotypen<br />

Abbildungen der Votanten meist nur den<br />

Gesamteindruck einer gerade vorherrschenden<br />

bäuerlichen Mode. Dagegen bemüht sich<br />

der Portraitist in der Regel darum, ein möglichst<br />

treffendes Konterfei des meist bürgerlichen<br />

Auftraggebers zu schaffen. In der Graphik<br />

wiederum finden sich wirklichkeitsgetreue Bilder<br />

von ländlichen Personen ebenso wie vollkommen<br />

realitätsferne Darstellungen. Drucke,<br />

die aus ethnologischem Interesse gefertigt<br />

wurden, unterscheiden sich erheblich von Blättern,<br />

die den großen Markt klischeehafter<br />

Trachtenbilder bedienten und einer bürgerlichen<br />

Romantisierung des Landlebens<br />

entsprachen. Die Photographie ist die jüngste<br />

Bildquelle. Erst um 1860 erobert sie den<br />

ländlichen Raum und hinterläßt uns wichtige<br />

Zeugnisse der Kleidungskultur unserer<br />

Vorfahren. Allerdings kennt auch das frühe<br />

16<br />

Lichtbild die vorgetäuschte Wirklichkeit in Form<br />

bewußt gestellter Situationen und Inszenierungen.<br />

Ob Abbildungen in erster Linie die<br />

Aufgabe haben, die Wirklichkeit für die<br />

Nachwelt festzuhalten, ist ohnehin nicht sicher.<br />

Um die Originalstücke, Texte und Bildquellen<br />

zu interpretieren, muß der innere<br />

Antrieb des Kleidungsverhaltens verstanden<br />

werden. Gewand und Accessoires sind eine<br />

subtile Ergänzung der menschlichen Sprache.<br />

Sie vermitteln Botschaften, um den Status,<br />

die Gruppenzugehörigkeit und die Persönlichkeit<br />

ihrer Träger zu bezeichnen. Daneben<br />

inszeniert sich der Mensch durch sein Gewand<br />

selbst und versucht damit, einem Idealbild von<br />

sich näherzukommen bzw. ein solches Ideal-<br />

bild zu vermitteln. Die »Botschaft« der Schmuckgürtel<br />

erschließt sich vor allem über ihre Motive.<br />

Zeichen, Symbole und Ornamente erlauben<br />

Rückschlüsse auf die gegürteten Menschen und<br />

ihre Zeit. Vieles davon bleibt freilich bloße<br />

Vermutung oder Hypothese; nur wenig darf als<br />

gesichertes Wissen gelten.<br />

Betrachten wir<br />

beispielsweise das Wappen des Salzburger<br />

Fürstbischofs Graf Schrattenbach, das zweifach<br />

auf einem Männergürtel um 1760 neben Doppeladler<br />

und Löwen in das Leder geprägt ist.<br />

Über Siegmund Graf Schrattenbach und seine<br />

Lebensumstände wissen wir einiges, sein<br />

Wappen kennen wir auch aus anderen histori-<br />

schen Zusammenhängen, und daran, daß<br />

es im Verein mit den heraldischen Tieren den<br />

fürstbischöflichen Machtanspruch in der<br />

absolutistischen Welt des 18. Jahrhunderts<br />

symbolisiert, besteht kaum ein Zweifel. Für<br />

ein tieferes Verständnis des Gürtels müßten wir<br />

allerdings auch wissen, wer ihn zu welchem<br />

Zweck getragen hat. Gerade in dieser Hinsicht<br />

tappen wir leider im Dunkeln. Es kann ein<br />

Verwaltungsbeamter der fürstlichen Saline ebenso<br />

gewesen sein wie ein bischöflicher Jäger oder<br />

ein Angehöriger des Salzburger Militärwesens.<br />

Auf Männergürteln aus der Zeit zwischen<br />

1750 und 1800 finden sich weitere Abbildungen,<br />

die noch mehr Rätsel aufgeben. Hauptsächlich<br />

treten bis etwa 1770/80 Doppeladler, Steinböcke<br />

und Hirsche neben Löwen und Blumen<br />

zusammen mit religiösen Zeichen wie INRI<br />

oder den Namen Marias und Josephs auf.<br />

Als Einzelbeleg erscheinen sogar Sonne, Mond<br />

und Sterne zwischen zwei Löwen, die mit<br />

den Himmelszeichen zu spielen scheinen.<br />

Soweit es sich nicht um rein kirchliche Symbole,<br />

Jahreszahlen oder Monogramme handelt, haben<br />

alle diese Motive ihre Entsprechung in der<br />

hermetischen Wissenschaft, insbesondere der<br />

Alchemie. Die Sonne bedeutet das Gold,<br />

der Mond das Silber. Der gekrönte Doppeladler<br />

als Zeichen universaler Herrschaft mit<br />

Christussymbolik steht wie die verschlingenden<br />

Löwen oder der Steinbock als Tier mit astrologischem<br />

Charakter in einem komplizierten<br />

alchemistischen Bezugssystem.<br />

Für eine zu-<br />

friedenstellende Deutung oder Erklärung der<br />

Motive auf den Gürteln ist aber selbst eine<br />

genaue Kenntnis dieses Bezugssystems nur<br />

von beschränktem Nutzen. Fast alle Symbole<br />

sind polyvalent und entfalten in mehreren,<br />

sich überlagernden Sinnzusammenhängen<br />

unterschiedliche Bedeutungen. Die Rose etwa<br />

ist im Christentum ein Sinnbild für das<br />

Paradies, die dornenlose Rose für Maria, die<br />

Gottesmutter. In der Alchemie galt sie als<br />

Blume der Weisheit und des klaren Geistes. Der<br />

Doppeladler gelangte erst durch orientalische<br />

Vorlagen im 11. Jahrhundert nach Europa.<br />

Wenn wir ihn heute eng mit dem Hause Habsburg<br />

und Österreich verbinden, vergessen wir<br />

seine lange Geschichte, die weit in die Zeit<br />

vor Christi Geburt zurückreicht. Die Armenier<br />

kennen den Doppeladler als dynastisches<br />

Zeichen immerhin schon seit dem 4. Jahrhundert.<br />

Vor dem Hintergrund dieser reichhaltigen<br />

Tradition wäre es dem Verständnis wenig<br />

dienlich, den Doppeladler ausschließlich als<br />

nationales Emblem der Donaumonarchie anzu-<br />

sehen. Er ist ein archetypisches Symbol,<br />

Stellvertreter für ein Dualsystem, gleichzeitig<br />

Darsteller und Versöhnender der Gegensätze.<br />

Auf den Gürteln ist der Doppeladler auch<br />

nicht mit dem Wappen des Heiligen Römischen<br />

Reichs dargestellt, sondern mit einem Herz.<br />

Auf die naheliegende Frage: welche Bedeutungen<br />

wurden von wem in welcher Zeit aufgrund<br />

welcher Vorbilder den verschiedenen Symbolen<br />

zugemessen? – gibt es angesichts dieser Ge-<br />

mengelage keine überzeugende Antwort. Zu<br />

sehr haben sich verschiedene vorbildhafte<br />

Ebenen bastardisiert.<br />

Die gleichzeitige Ver-<br />

wendung antiker, alchemistischer und christlicher<br />

Symbole verwundert zunächst. Eine<br />

hypothetische Erklärung dieses Phänomens<br />

ergibt sich aus den Vorlagen, die von den<br />

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