Die gesamte Ausgabe 1/2010 als pdf-Datei - Senioren Zeitschrift ...
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Anrecht auf 26 Minuten<br />
Pflege pro Tag – reicht das?<br />
Gewaltprävention in Altenheimen<br />
Auf der Tagung „Gewaltprävention in stationären<br />
Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe” im<br />
September des vergangenen Jahres ging es um die<br />
großen Probleme: zu wenig Personal und zu wenig Zeit in<br />
der Pflege. Was muss unternommen werden, damit Gepflegte<br />
und Pflegende besser in Pflegeheimen leben und arbeiten<br />
können? <strong>Die</strong> Rahmenbedingungen von Pflegeberufen sind eng,<br />
darin liegt ein strukturelles Gewaltpotenzial. 120 Tagungsgäste<br />
– vorwiegend aus der Pflege – nahmen an der<br />
Veranstaltung teil.<br />
Der Begriff Gewalt sei vielschichtig, sagte Volker Gussmann,<br />
Leiter Fachbereich Pflege der Hessischen Heimaufsicht.<br />
Pflegekräfte stünden oft unter Zeitdruck und könnten dem<br />
Einzelnen dadurch nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken,<br />
die er brauche. Zeitdruck verursache ein Gefühl der<br />
Überforderung und Unzufriedenheit. <strong>Die</strong>se könnten sich in<br />
unterschiedlichsten Formen der Gewalt gegenüber den zu<br />
Pflegenden äußern. Daher müsse für eine entsprechende Person<strong>als</strong>truktur<br />
gesorgt werden. Gussmann forderte beständige<br />
Weiterbildung von Pflegekräften und mahnte die Leitungskräfte<br />
an, die Pflegenden vor Überforderungen zu schützen.<br />
Komme es aber zu Übergriffen im <strong>Die</strong>nst, etwa weil sich eine<br />
Pflegekraft angegriffen fühlt und sich wehrt, so empfahl<br />
Volker Serth, Rechtsanwalt in Frankfurt, den Pflegenden,<br />
diesen Vorfall unmittelbar schriftlich zu dokumentieren<br />
und sofort die Heimleitung zu informieren. Um diese Problemlagen<br />
möglichst früh bewusst zu machen, sei in der<br />
Altenpflegeausbildung Hessens die Gewaltprävention im<br />
Rahmenlehrplan verbindlich, erklärte Dr. Marie-Luise Marx<br />
vom Hessischen Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit.<br />
Zudem wolle man, dass freiheitsentziehende<br />
Maßnahmen grundsätzlich vermieden werden. Wenn sie<br />
aber unumgänglich seien, etwa im Falle der akuten Selbstoder<br />
Fremdgefährdung, müssten sie fachlich, ethisch und<br />
rechtlich einwandfrei geregelt sein.<br />
Fixierungen haben meist<br />
schädigende Wirkungen<br />
Ein Plädoyer gegen Fixierungen in Heimen hielt Doris<br />
Bredthauer, Professorin an der FH Frankfurt. Den beruflichen<br />
wie ehrenamtlichen Betreuern gegenüber hätten<br />
Pflegekräfte zu begründen, warum eine Fixierung bei einem<br />
Bewohner notwendig sei. Axel Bauer, Betreuungsrichter in<br />
34 SZ 1/<strong>2010</strong><br />
Frankfurt, äußerte sich über die Pflichten der Berufsbetreuer<br />
und beklagte die Kürzung der Betreuervergütung seit 2005.<br />
Seitdem werde eine bewohnerorientierte Entscheidungsfindung<br />
in kritischen Situationen erheblich eingeschränkt.<br />
Würde ist nicht messbar<br />
Im Grundgesetz formuliert der Artikel 1 die Achtung der<br />
Menschenwürde und gibt ihr den Vorrang vor allen anderen<br />
Normen. Das Heimgesetz habe die Würde der Bewohnerinnen<br />
und Bewohner in Heimen vor Beeinträchtigungen zu<br />
wahren, sagte Jutta Schwenkglenks, Leiterin des Hessischen<br />
Amtes für Versorgung und Soziales, Frankfurt. Das, was den<br />
Menschen in seinem Geist und Denken, seiner Freiheit und<br />
Innerlichkeit ausmache, ließe sich nicht messen, sondern<br />
nur achten. Wer achtet, erfährt, was einem alten Menschen<br />
wichtig ist, und vermag ihn wertzuschätzen.<br />
Pflege unter Zeitdruck und<br />
ohne öffentliche Wertschätzung<br />
<strong>Die</strong> Tagung ist gut besucht.<br />
Foto: Rix<br />
„Wir müssen die Sicht der Pflege nach außen tragen und<br />
sagen, was 26 Pflegezeitminuten für den Pflegenden und für<br />
den Bewohner bedeuten”, sagte Ruth Schwerdt, Professorin<br />
an der FH-Frankfurt. Sie bezog sich dabei auf eine beispielhafte<br />
Minutensumme, die für die Unterstützung bei Teilwäsche<br />
und beim Kleiden für einen Heimbewohner mit Demenz<br />
pro Tag zur Verfügung stehen kann. Je nach Situation<br />
sei eine bedürfnis- und bedarfsangemessene Pflege in dieser<br />
Zeit nicht zu erbringen. Zu wenig Pflegezeit erhöhe daher<br />
das Gewaltrisiko, so Schwerdt.<br />
Dabei sind es nicht nur erdrückende Rahmenbedingungen<br />
und knappe Zeitressourcen, die den Pflegenden die Arbeit<br />
erschweren. Ruth Gärtner, die im Krankhaus Nord-West in<br />
Frankfurt die innerbetriebliche Fortbildung leitet, äußerte<br />
sich über die mangelnde öffentliche Wertschätzung: „Es wird<br />
Zeit, dass die Pflege in der Mitte der Gesellschaft ankommt.”<br />
Zur Veranstaltung eingeladen hatten das Hessische Versorgungsamt<br />
Frankfurt sowie die Hessische Heimaufsicht<br />
des Regierungspräsidiums Gießen. Sie wurden von ihren<br />
Kooperationspartnern, dem gastgebenden Versorgungshaus<br />
und Wiesenhüttenstift, der Fachhochschule Frankfurt, der<br />
Anwaltskanzlei FPS sowie dem Frankfurter Forum für<br />
Altenpflege unterstützt. red