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Porträt<br />

Königsberg ist nur noch eine ferne Erinnerung<br />

Als Sechsjähriger musste Wolfgang Lumma aus Ostpreußen flüchten<br />

Im eisigen Februar des Jahres 1945<br />

zerbrach die heile Kinderwelt des dam<strong>als</strong><br />

sechsjährigen Wolfgang Lumma.<br />

„Es war wie ein Schock”, erinnert er<br />

sich an die plötzliche Flucht vor den<br />

herannahenden sowjetischen Truppen.<br />

In aller Hast, zu Fuß und mit Eisenbahn,<br />

hatten er und seine Familie den<br />

ostpreußischen Hafen Pillau erreicht,<br />

von wo aus ein kleiner Frachter Flüchtlinge<br />

nach Westen transportierte. Unbeschreiblich,<br />

weiß er noch, waren die Zustände<br />

an Bord des hoffnungslos überfüllten<br />

Schiffes. Man lag im Laderaum<br />

auf Stroh unter haarsträubenden hygienischen<br />

Verhältnissen. Kein Wunder,<br />

wenn für ein sensibles Kind alles aus<br />

den Fugen geriet. Am schlimmsten war,<br />

dass nur Frauen und Kinder mitkommen<br />

durften. Der Vater blieb zurück und<br />

schloss sich einem der Trecks an, die<br />

sich über das zugefrorene Haff Richtung<br />

Westen durchschlagen mussten. Ob man<br />

ihn jem<strong>als</strong> wieder sehen würde, stand<br />

in den Sternen.<br />

Immerhin erreichte man Gotenhafen,<br />

(heute polnisch: Gdynia), von wo aus es<br />

weiter ging mit der „Deutschland”, einem<br />

ehemaligen Kraft-durch-Freude-<br />

Kreuzfahrtschiff. Doch die Angst fuhr<br />

mit. Denn kurz zuvor war das Schwesterschiff,<br />

die „Wilhelm Gustloff”, nach<br />

einem Torpedoangriff gesunken und<br />

hatte Tausende von Menschen mit in<br />

den Tod gerissen.<br />

Sorglose Kindheit<br />

Bis zu diesen traumatischen Erlebnissen<br />

gegen Kriegsende war dem kleinen<br />

Jungen eine sorglose Kindheit im heimischen<br />

Königsberg beschieden. Zwar<br />

gibt es nicht mehr allzu viele Erinnerungen<br />

an diese Zeit. Aber von dem schönen<br />

großen Haus mit Garten auf den „Hufen”<br />

weiß Wolfgang Lumma noch. Auch,<br />

dass steinerne Löwen seinen Eingang<br />

flankierten und dass der Zoo nicht weit<br />

war. Vor allem lange Ferienwochen an<br />

goldenen Ostseestränden hinterließen<br />

bleibenden Eindruck. Noch zeigte auch<br />

der Krieg im Osten des „Reiches” nicht<br />

sein ganz brutales Gesicht. Zumal der<br />

Vater <strong>als</strong> Beschäftigter in einer Nahrungsmittelfabrik<br />

<strong>als</strong> „unabkömmlich”<br />

galt und nicht Soldat werden musste.<br />

40 SZ 1/<strong>2010</strong><br />

Ruhe vor dem Sturm<br />

Aber es war nur die Ruhe vor dem<br />

Sturm. Nach dem Beschluss von Wehrmacht<br />

und NS-Partei, Königsberg <strong>als</strong><br />

Festung bis zuletzt zu verteidigen, hielt<br />

es der Vater für sicherer, die Familie<br />

aus der Stadt hinaus und aufs Land zu<br />

bringen. „Mit Mutter, kleiner Schwester,<br />

Oma, zwei Tanten und einem Koffer auf<br />

einem Pferdefuhrwerk.” Was sich <strong>als</strong><br />

weise Entscheidung erwies. Denn am<br />

nächsten Tag bereits waren die Russen<br />

da. Nicht einmal in ihre Wohnung konnten<br />

sie kurz zurück, sondern mussten<br />

H<strong>als</strong> über Kopf zur Flucht aufbrechen.<br />

Doch die gelang. Irgendwie schlug<br />

sich die verbliebene Familie durch bis<br />

Goslar zu Verwandten. Wieder alles anders:<br />

Dorfschule, winziges Häuschen,<br />

Kriegsende. Und die Amerikaner kamen.<br />

„Zum ersten Mal habe ich da schwarze<br />

Menschen gesehen.” Vor allem den<br />

Hunger der Nachkriegszeit hat Wolfgang<br />

Lumma noch im Gedächtnis, „die ewigen<br />

Steckrüben in allen Variationen, Brot<br />

gab’s nur am Wochenende”.<br />

Riesig dann die Freude, <strong>als</strong> plötzlich<br />

der Vater vor der Tür stand. Nun ging’s<br />

bergauf. Nach dem Umzug nach Braunschweig<br />

richtete er dort eine still gelegte<br />

Fabrik wieder ein. „Wir hatten nun einen<br />

Garten, Hühner, Dinge zum Tauschen.<br />

Für mich begann da erst wieder das<br />

richtige Leben.” Für alle. Denn „ich habe<br />

nie gehört, dass meine Eltern über Heimweh<br />

geklagt oder Verlorenem nachgetrauert<br />

hätten”. Zwar machten gelegentlich<br />

Freunde oder Verwandte aus Königsberg<br />

Station bei ihnen, aber die Gegenwart<br />

hatte längst über nostalgische Träume<br />

Wolfgang Lumma<br />

Foto: Oeser<br />

gesiegt. Vor allem nach einem neuerlichen<br />

Umzug. <strong>Die</strong>smal nach Düsseldorf,<br />

und die fröhliche Rheinstadt wurde endgültig<br />

zur Heimat. Ein seltsamer Zufall<br />

ereignete sich für Wolfgang Lumma während<br />

seines Studiums, <strong>als</strong> er dort auf dem<br />

Gymnasium einem ehemaligen Mitschüler<br />

aus seiner Königsberger Grundschule<br />

begegnete. Bis heute hält die Freundschaft<br />

der beiden „alten Ostpreußen”.<br />

Das Leben besteht<br />

aus Abschnitten<br />

„Das Leben besteht aus Abschnitten”,<br />

meint Wolfgang Lumma philosophisch.<br />

Ein weiterer neuer begann für ihn 1965,<br />

<strong>als</strong> er aus privaten Gründen nach Frankfurt<br />

zum Hessischen Rundfunk kam, wo<br />

er später bis zu seiner Pensionierung<br />

<strong>als</strong> Hörfunknachrichten-Chef arbeitete.<br />

Hat er nie den Wunsch verspürt, Königsberg<br />

einmal wieder zu sehen? „Eigentlich<br />

nicht, nur in letzter Zeit denke<br />

ich hin und wieder doch daran, mal<br />

dorthin zu reisen.”<br />

<strong>Die</strong> rund 1.000 Kilometer nach Osten<br />

dürften heute ja auch kürzer sein <strong>als</strong> dam<strong>als</strong><br />

auf abenteuerlichen Fluchtwegen.<br />

Lore Kämper<br />

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