Noch mehr Naturschutz im Bürgerwald - Nationalpark Steigerwald
Noch mehr Naturschutz im Bürgerwald - Nationalpark Steigerwald
Noch mehr Naturschutz im Bürgerwald - Nationalpark Steigerwald
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
11. Juli 2012<br />
GEROLZHOFEN<br />
<strong>Noch</strong> <strong>mehr</strong> <strong>Naturschutz</strong> <strong>im</strong> <strong>Bürgerwald</strong><br />
Revierleiter Volker Conrad legt Fokus be<strong>im</strong> Waldgrenzbegang 2012 auf die Ökologie<br />
• Waldsiebener Alfred Röder an einem Markstein.<br />
• Der längste Marsch in ihrem jungen Leben: Viele der<br />
Sechstklässler aus der Realschule bekannten, noch nie einen so langen Weg wie die<br />
16 Kilometer bei der Waldgrenzbegehung gelaufen zu sein.<br />
Fotos (4): Norbert Finster<br />
• Ein Urwald entsteht: Auf dem Plateau der Vollburg<br />
überlässt Revierleiter Volker Conrad den Wald seiner natürlichen Entwicklung.<br />
• Revierleiter Volker Conrad hat den Schutz des Waldes <strong>im</strong><br />
Blick.<br />
Ein moderner Förster muss fähig sein zum Spagat. Die einen erwarten von ihm, dass der Wald<br />
möglichst großen wirtschaftlichen Nutzen abwirft, die andern wollen, dass er geschützt wird, wo<br />
<strong>im</strong>mer es geht, bis hin zu einer kompletten Herausnahme aus der wirtschaftlichen Nutzung.<br />
Volker Conrad hat <strong>im</strong> Gemeinsamen <strong>Bürgerwald</strong> Gerolzhofen/Dingolshausen beides zu bieten,<br />
entschied sich aber be<strong>im</strong> Grenzbegang 2012 vorwiegend für Letzteres als Schwerpunkt, also für<br />
4 Bilder
den Natur- und Waldschutz. Rund 250 tüchtige Wanderer liefen an zwei Tagen die genau 384<br />
Grenzsteine ab, die den Gemeinsamen <strong>Bürgerwald</strong> Gerolzhofen/Dingolshausen von seinen<br />
Nachbarn trennen, und nahmen am Ende viel Wissen über den Wald mit nach Hause.<br />
Sechs Stunden Fußmarsch am ersten Tag, dabei größere Anstiege hinauf zu den Zwei Eichen,<br />
dann zur Vollburg und schließlich über den Ochsensteig zum Murrleinsnest. Besonders auf den<br />
16 Kilometern des ersten Tags merkten die Grenzgänger, warum der <strong>Steigerwald</strong> <strong>Steigerwald</strong><br />
heißt.<br />
Die weiß getünchten Grenzsteine waren diesmal eher nebensächlich, es ging Conrad um die<br />
wichtigen ökologischen Funktionen des Waldes. Kurz nach dem Start an der Waldesruh zeigte<br />
der Forstmann an der Jahnswiese oberhalb von Dingolshausen seltene und wertvolle Bäume wie<br />
den Speierling und die Elsbeere.<br />
Ganz anderes Thema: „Die Wetter-Anomalien nehmen auch bei uns zu“, sagt Conrad.<br />
Starkregen nagt an Waldwegen, für deren Erhalt die Waldpflege jedes Jahr zwischen 5000 und<br />
10 000 Euro ausgibt. Grundsätzlich soll anders als früher möglichst viel Wasser <strong>im</strong> Wald<br />
bleiben. Wo es geht, staut der Förster Feuchtbiotope an, damit das Wasser nicht aus dem Wald in<br />
Flure und Ortschaften schießen kann.<br />
Conrads Prognose: Wasser könnte auf längere Sicht zwar nicht einen Krieg, aber doch Streit<br />
auslösen, eher noch als das Auslaufmodell Öl.<br />
Der Wald als Wasserspeicher<br />
Auf die 800 Hektar des <strong>Bürgerwald</strong>s fällt zurzeit noch <strong>mehr</strong> als genug Wasser: So viel, dass man<br />
das 50-Meter-Becken des Geomaris mit 2500 Kubikmeter Fassungsvermögen weit über zwei<br />
Millionen Mal <strong>im</strong> Jahr füllen könnte.<br />
Ein eindrucksvolles Exper<strong>im</strong>ent an der nächsten Station zeigte die Funktion des Waldbodens als<br />
Wasserspeicher. Conrad goss einen halben Gießer Wasser auf eine kleine, geneigte Fläche<br />
nackten Bodens. Das Wasser spülte den Boden rasch weg und vom Ablauf der Fläche tropfte<br />
eine schmutzigbraunen Brühe. Dann die gleiche Menge auf einen ganz normal bewachsenen<br />
Waldboden: Viel weniger Wasser lief davon und es war auch fast klar.<br />
<strong>Noch</strong> einmal Waldwege: Oft ernten Förster und Waldarbeiter böse Blicke von Walkern, Joggern<br />
und Spaziergängern, wenn sie mit schwerem Gerät darüberfahren. So etwas stört ja schließlich<br />
das eigene Vergnügen. Conrad: „Wir fahren da nicht aus Jux und Tollerei, sondern, um unsere<br />
Arbeit <strong>im</strong> Wald zu machen. Letztlich sind die Wege auch dafür gebaut.“<br />
Nächste Station: „Wir müssen noch <strong>mehr</strong> für den <strong>Naturschutz</strong> tun“, war das eindeutige Credo<br />
Conrads. Wenn man sich die Richtschnur von fünf Prozent ungenutzter Waldfläche vor Augen<br />
hält, müsste der <strong>Bürgerwald</strong> etwa 40 Hektar aus der Nutzung nehmen. „Davon sind wir noch<br />
weit entfernt“, gab Volker Conrad zu. Trotzdem: Anfänge sind gemacht. Der Förster zeigte den<br />
Wald auf dem Plateau der Vollburg, der sich vollständig selbst überlassen ist. Und er sprach von<br />
den 279 Biotopbäumen, die nicht <strong>mehr</strong> gefällt werden und mit ihren Mulmhöhlen und<br />
Astlöchern Lebensraum für Spechte, Fledermäuse oder Hornissen bieten.<br />
Sieben Hektar ausgemustert
Die Kronen dieser Bäume beschatten zusammen eine Fläche von vier Hektar. Mit den aus der<br />
Nutzung genommenen Waldflächen bringt Conrad sieben Hektar zusammen.<br />
Stephan Thierfelder vom Amt für Ernährung Landwirtschaft und Forsten in Schweinfurt<br />
erläuterte die Fördermöglichkeiten, die es für Waldbesitzer <strong>im</strong> Vertragsnaturschutzprogramm<br />
gibt.<br />
Ulrich Merger, Leiter des Forstbetriebs Ebrach, der größter Nachbar des <strong>Bürgerwald</strong>es ist, ging<br />
auf die Wichtigkeit solcher Biotopflächen auch <strong>im</strong> <strong>Bürgerwald</strong> ein, denn sie sind eine Brücke<br />
zwischen dem nördlichen und südlichen Teil des Staatswaldes, über die seltene Arten wandern<br />
(Trittsteinkonzept).<br />
Be<strong>im</strong> Schlusshock auf der Waldesruh spendierte die Klinik am <strong>Steigerwald</strong> zur Freude von<br />
Waldpflegeausschussvorsitzendem Werner Ach das Mittagessen. Großen Beifall gab es dabei für<br />
die 28 Schüler der Klasse 6 d an der Realschule Gerolzhofen mit Lehrerin Barbara Stumpf. Die<br />
Kinder waren den ganzen langen Weg klaglos mitmarschiert und zeigten viel Interesse am Wald.<br />
„Anstrengend, aber cool“, brachte es einer auf den Punkt. So mancher gab zu, dass der<br />
Grenzgang der längste Fußmarsch seines Lebens war.<br />
Am Ende des zweiten Tages spielten zum Ausklang Wendelin Joos und seine Geusfelder auf.<br />
Das zeigt: Die Geusfelder scheinen es den Gerolzhöfern verziehen zu haben, dass diese ihnen<br />
ihren Wald geklaut haben, wie sie <strong>im</strong>mer sagen.<br />
Zahlen und Fakten aus dem Gemeinsamen <strong>Bürgerwald</strong><br />
Fläche: rund 800 Hektar in drei Distrikten und 26 Waldabteilungen;<br />
Forstwirtschaftliche Leitung: Revierleiter Volker Conrad;<br />
Verwaltung: Waldpflegeausschuss mit drei Stadträten aus Gerolzhofen und zwei Gemeinderäten<br />
aus Dingolshausen; der Ausschuss ist völlig autark und hat auch einen eigenen Haushalt mit<br />
etwa 400 000 Euro Jahresvolumen;<br />
Anteile: Gerolzhofen 401 (83 Prozent), Dingolshausen 78 (17 Prozent);<br />
Rechnerischer Wert: 25 Millionen Euro;<br />
Bewirtschaftung: nachhaltig; eingeschlagen wird nach Möglichkeit nur das Holz, das aufgrund<br />
von Vorverträgen auf dem Holzmarkt absetzbar ist; Höchstmenge 6000 Festmeter (einschließlich<br />
der Kronen und Äste, die als Totholz <strong>im</strong> Wald liegen bleiben);<br />
Abnehmer: überwiegend he<strong>im</strong>ische Holzindustrie, Liefervertrag mit der Benediktinerabtei<br />
Münsterschwarzach für Holzhackschnitzel, Brennholzwerber;<br />
Brennholz: 1800 Ster wurden aus dem Einschlag 2012 an die Bürger von Gerolzhofen<br />
abgegeben; der Bedarf ist steigend, so dass der <strong>Bürgerwald</strong> die Nachfrage kaum <strong>mehr</strong> erfüllen<br />
kann;<br />
Kl<strong>im</strong>aschutz: Ein Ster Brennholz ersetzt 230 Liter Heizöl; bei der abgegebenen Brennholzmenge<br />
sind das <strong>mehr</strong> als 400 000 Liter Heizöl mit einem Ausstoß von 1000 Tonnen Kohlendioxid;
Grenzbegang: findet seit Jahrhunderten alle drei Jahre statt; er diente früher der Überprüfung der<br />
Grenzsteine und damit der Sicherung der Außengrenzen; heute hat die Begehung eher die<br />
Absicht, den Bürgern die Größe und die Schönheit des Waldes zu zeigen, insbesondere der<br />
Jugend, und mit den Grenzgängern über aktuelle waldbauliche und naturschützerische Themen<br />
ins Gespräch zu kommen;<br />
Nachbarn: Der <strong>Bürgerwald</strong> hat an seiner 23 Kilometer langen Grenze 13 Nachbarn, der größte<br />
davon ist der Forstbetrieb Ebrach (Staatswald), von dem sechs Forstbezirke an den <strong>Bürgerwald</strong><br />
grenzen; dazu kommen Wälder von sieben Gemeinden;<br />
Grenzsteine: 384 mit unterschiedlicher Beschriftung auf der dem <strong>Bürgerwald</strong> abgewandten<br />
Seite; gesetzt wurden sie um 1606, nachdem der Frankenwinhe<strong>im</strong>er Lehrer Jakob Heilmann <strong>im</strong><br />
Auftrag des Würzburger Amtmanns auf dem Zabelstein vermessen hatte; Heilmann errechnete<br />
mit den damaligen Mitteln fast exakt dieselbe Fläche, die heute bei modernen Vermessungen<br />
über Satelliten herauskommt. Text: FI<br />
Von unserem Redaktionsmitglied Norbert Finster