Magisterarbeit - Karate-Budo-Torgelow
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Magisterarbeit
Zur Entwicklung des Trainingssystems im Karate
– Eine Interviewstudie mit erfolgreichen Trainern und Trainerinnen –
Hochschule: Universität Greifswald
Hauptfach : Sportwissenschaft
Nebenfächer: Psychologie
Kommunikationswissenschaft
Magisterarbeit im
Hauptfach:
Sportwissenschaft
Eine sportwissenschaftliche Betrachtung des Themas
Thema: Zur Entwicklung des Trainingssystems im Karate
- Eine Interviewstudie mit erfolgreichen Trainern und
Trainerinnen -
Erstgutachter : PD Dr. E. J. Hossner
Zweitgutachter: Prof. Dr. paed. H. Ilg
Autor: Thomas Kuhrt
Matrikelnummer: 470799
E-Mail Adresse: kuhrt.torgelow@freenet.de
Eingereicht am: 20.07.2004
Inhalt
1) Einleitung 4
2) Vorbetrachtung 5
2.1) Ein geschichtlicher Einblick 5
2.2) Bedeutende Lehrer und Meister 8
2.3) Traditionen und Philosophie des Shotokan-Karate 13
2.4) Klassische Trainingsmethoden 20
2.5) Didaktische Prinzipien 25
2.5.1) Didaktisches Leitkonzept im DKV 26
2.5.2) Didaktisches Leitkonzept im SRD 28
3) Die Weiterentwicklung der klassischen Trainingsmethoden 30
3.1) Kumite – Kämpfen 31
3.1.1) Psychische und Physische Bereitschaft 36
3.1.1.1) Mi-Gamae – Physische Bereitschaft 37
3.1.1.2) Ki-Gamae – Psychische Bereitschaft 39
3.2) Kihon – Grundschule 43
3.3) Koordinative Fähigkeiten 47
3.4) Konditionelle Fähigkeiten 52
4) Das Interview 57
4.1) Fragenerstellung 59
4.2) Gedächtnisprotokolle des Interviewers 61
4.2.1) Gedächtnisprotokoll – Ralph Masella 62
4.2.2) Gedächtnisprotokoll – Jörg Waterstradt 65
4.2.3) Gedächtnisprotokoll – Dirk Wedel 67
4.2.4) Gedächtnisprotokoll – Arnfried Krause 69
4.2.5) Gedächtnisprotokoll – Jörg Kohl 72
4.3) Ableitungen der Trainer- bzw. Alltagstheorien 75
4.3.1) Trainingsziele 76
4.3.2) Trainingsplanung 77
4.3.3) Trainingsmethoden 79
4.3.4) Technikleitbild 84
4.3.5) Trainingsinhalte 88
4.3.6) Trainerwissen 89
4.3.7) Kategoriendarstellung 96
4.3.8) Prinzipienerstellung 96
5) Zusammenfassung 102
Anhang:
Stichwortverzeichnis
Ausspracheregeln
Begriffe
Trainingsplan 2004 DKV
104
Literaturverzeichnis 109
Bilderverzeichnis 111
Anmerkung:
Alle Bezeichnungen für Karate-Übende sind männlich, bezeichnen aber beide Geschlechter.
Der verwendete Ausdruck Karate bezieht sich in dieser Arbeit immer auf
das Shotokan-Karate, außer in gekennzeichneten Abschnitten. Es haben sich keine
Trainerinnen bereit erklärt an der Studie teilzunehmen, weil es einerseits sehr wenige
Trainerinnen gibt und andererseits der Aufwand sie zu erreichen zu groß war.
1) Einleitung
Das verfolgte Anliegen dieser Arbeit ist die Betrachtung der Entwicklung des Trainingssystems
im Karate. Der Titel der Arbeit bezieht sich nicht nur auf trainingswissenschaftliche
Aspekte, sondern auch auf Ansichten bezüglich klassisch philosophisch
traditioneller Werte. Es werden themenübergreifende, interdisziplinäre Ansichten
dargestellt, die das Trainingssystem für die Kampfkunst Karate charakterisieren.
Da es jedoch sehr viele verschiedene Stile im Karate gibt und diese in einer Arbeit
nicht alle analysiert werden können, beschränken sich die ausgewählten Aspekte auf
das Shotokan-Karate. Alle Karate-Stile beinhalten aber dieselben Prinzipien. Diese
Prinzipien unterliegen sportwissenschaftlichen Analysen und gehen allgemein aus
der Trainingswissenschaft, Sportmotorik – Biomechanik, Sportpsychologie, Sportmedizin
u.a. hervor. Zunächst folgen allgemeine Betrachtungen zum Shotokan-Karate,
mit geschichtlichen, traditionellen, philosophischen Hintergründen und klassischen
Trainingsmethoden. Daran setzen didaktische Prinzipien an sowie die Weiterentwicklung
der klassischen Trainingsmethoden. Es folgt die Erstellung des Konzepts des
Interviews. Das Interviewverfahren wurde gewählt, um das Trainerwissen ohne Vorbereitung
zu Testen und im persönlichen Gespräch festzustellen, wie Karate betrachtet,
geübt und gelehrt wird. Gleichzeitig ist eine genauere Hinterfragung des Wissens
und der Sichtweisen der Trainer möglich. Des Weiteren lag es nahe mehr über die
Ausbildung der Trainer selbst zu erfahren. Dadurch kann möglicherweise ein Qualitätsmerkmal
des Trainings festgestellt werden. Hierzu werden die Trainingsmethoden,
Trainingsziele und das Wissen der Trainer hinterfragt. Außerdem wird der ursprüngliche
Gedanke des Karatetrainings aufgenommen und mit dem Entwicklungsstand
der heutigen Ideen des Karatetrainings verglichen. Es folgt die Auswertung der
Interviews. Die Rahmenhypothese dieser Arbeit lautet, dass es im Trainingssystem
des Shotokan-Karate starke Veränderungen gibt. Tiefergehend wird hypothetisch
angenommen, dass Shotokan-Karate, als Spezialisierung und Transformierung von
Techniken zum Wettkampfsport einerseits und als Erweiterung des klassischen Trainingssystems
mit modernen sportwissenschaftlichen Erkenntnissen andererseits, in
zwei Hauptrichtungen gesplittet wurde. Den Abschluss der Arbeit bildet eine alltagsorientierte
Kategorien- und Prinzipienbildung. Diese können aus den Interviews und
der wissenschaftlichen Literaturrecherche abgeleitet werden. Schließlich folgt eine
Zusammenfassung und die Verifizierung oder Falsifizierung der Rahmenhypothese.
Der Rahmen der Arbeit wurde durch eine umfangreiche Literaturrecherche gelegt,
wofür 40 Bücher, verschiedene Trainingspläne, -konzeptionen und Fachzeitschriften
gelesen und sondiert wurden. Interviewpartner waren Trainer von zwei verschiedenen
Verbänden. Diese Verbände vertreten und verbreiten das Shotokan-Karate mit
ihren speziellen Ansichten. Sie werden als „Shotokan-Ryu-in-Deutschland e.V.“
(SRD) und als „Deutscher-Karate-Verband e.V.“ (DKV) bezeichnet. Ihre Ziele sind
nur Ansatzweise dieselben, die Trainingsinhalte sind teilweise gleich und werden unterschiedlich
gewichtet. Die Trainerausbildungen, die Beachtung der Traditionen und
die Philosophie des klassischen Karate und dessen Umsetzung sind stark divergent.
Das wird in der Auswertung der Interviews deutlich herausgestellt. Um einen besseren
Einblick in die Divergenzen zu erhalten, werden zusätzlich die Rahmentrainingskonzeption
für Kinder und Jugendliche im Leistungssport des Deutschen Karate Verbandes
e.V. und die Trainingsschwerpunkte der Landeskader Schleswig-Holsteins
des DKV in der Auswertung der Interviews verwendet.
4
2) Vorbetrachtung
Die Vorbetrachtung gewährt einen allgemeinen Einblick in die geschichtliche Entwicklung,
den geschichtlichen Hintergrund, religiöse Einflüsse, philosophische Gedanken
und klassische Trainingsmethoden. Außerdem werden didaktische Prinzipien
im Shotokan-Karate-Training erläutert. Dazu werden wesentliche Persönlichkeiten
der Geschichte des Karate und deren Einflüsse genannt. Die Gedanken dieser Persönlichkeiten
werden im Laufe der Arbeit immer wieder aufgenommen, um auch der
Bedeutung der geistigen Werte des Karate, die sie stets betonten, Achtung zu tragen.
In der Vorbetrachtung werden die klassisch, traditionellen Ansichten und Werte
des Karate deutlich, die als Vergleichsmöglichkeit zur späteren Gegenüberstellung
mit den heutigen Inhalten des Shotokan-Karate dienen. Dadurch soll ein tieferes
Verständnis für die klassischen Trainingsmethoden und den damit verbundenen
Werten ermöglicht und die Entwicklung des Trainingssystems und der ursprüngliche
Hintergrund des klassischen Karate-Trainings tiefer erfahren werden. Es werden allgemeine
didaktische Richtlinien genannt, derer die Weiterentwicklung der klassischen
Trainingsmethoden folgt.
2.1) Ein geschichtlicher Einblick
Karate entwickelt sich seit über 1000 Jahren und
wird von Begeisterten auf der ganzen Welt
gefördert. Die Wiege der Kampfkunst Karate ist
Okinawa. Seine Geschichte ist nicht zu trennen
von der des Landes. Deshalb folgt nun ein kurzer
Einblick in dieselben. Okinawa bedeutet „Tau im
offenen Meer“ (W. Lind, Okinawa – Karate, S.19).
Es ist die Hauptinsel des aus 140 Inseln
bestehenden Ryukyu – Archipels. „Der Ursprung
der Bevölkerung ist ein ungeklärtes völker-
kundliches Rätsel“ (W. Lind, Okinawa–Karate,
S.19). Sie setzt sich aus gestrandeten Asiaten
vom Festland, aus Einwanderern Japans, die
durch Rassenverfolgung zur Auswanderung
gezwungen wurden, aus Malaien, Mongolen, Chinesen
und Philippinen zusammen. Bereits im 3.
Jahrhundert v. Chr. gab es Kontakte mit dem
asiatischen Festland. Es ist also eine bunte
Mischung von Menschen, die den Japanern am
ähnlichsten sehen. Okinawa war in seiner Geschichte ein Land vieler Veränderungen.
Die Insel wurde oft durch die Chinesen und Japaner besetzt, wodurch intensiver
Kulturaustausch vollzogen wurde. Es gibt darüber historische Aufzeichnungen, die
das für die Zeit um 560 bis 743 n. Chr. belegen und meist Nationalschätze des Landes
Japan sind. Diese Besatzungen sind Knotenpunkte für die Entwicklung des Karate,
denn es wanderten Priester, Soldaten, Beamte und politisch Verfolgte ein (vgl.
W. Lind 1997, S.19, 20). Dieser rege Verkehr setzte sich bis ins 14. Jahrhundert fort.
In der Regierungszeit König Satos (1353-1395) herrschte Krieg auf Okinawa. König
5
Sato stellte exklusive Handelsbeziehungen zu Korea her
und erhielt die Unterstützung Chinas. Dadurch erlangte er
eine Vormachtstellung. In dieser Zeit schickte der
chinesische Kaiser ausgewählte Experten aus dem
Staatswesen, der Wissenschaft, Religion, Kunst und
Militärstrategie nach Okinawa. Diese Gruppe wurde „36
Familien“ genannt (vgl. W. Lind 1997). Darunter waren
einige Spezialisten der chinesischen Kampfkunst „Quan-fa“,
was die Bezeichnung für Shaolin-Kung-Fu ist (die Abbildung zeigt zwei Meister des
Quan-fa beim Training). Gleichzeitig wurden okinawanische Abgesandte nach China
geschickt, um direkt vor Ort zu lernen und das neue Wissen zurück nach Okinawa zu
bringen. Dieser Austausch hielt auch in der Zeit der japanischen Besatzung an. In
der Regierungszeit des Königs Sho Hashi (1422-1439) wurde der Besitz von Waffen
auf ganz Okinawa verboten, um eine Bedrohung des Throns zu bannen. Ein Nebeneffekt
des Verbots war die Entwicklung der waffenlosen Kampfkünste. Außerdem
wurden intensive Handelsbeziehungen zu den umliegenden Ländern aufgenommen.
Es entstanden Kontakte zu Arabern, Malaien, Indonesiern und Thailändern. Diese
Kontakte übten Einfluss auf das einheimische Selbstverteidigungssystem, das Ti oder
Te genannt wurde (vgl. W. Lind 1997, S.23-30). Es gibt verschiedene Ansätze
über die Entstehung des Karate. Ein Ansatz beschreibt die Bauern als Initiatoren, ein
anderer beschreibt die Adelsklasse als Begründer dieser Kampfkunst. Aber: „Keine
unserer vielen Recherchen kann zum Beispiel die vielzitierte Theorie bestätigen,
dass das okinawanische Karate von Bauern begründet und organisiert gegen die
Satsuma – Samurai verwendet wurde. Vielmehr möchten wir die Existenz der alten
okinawanischen Selbstverteidigung (Te) an der Tradition der Shizoku – Klasse (Adel)
festmachen“ (W. Lind 1997, S.14). Einige der ersten aufgezeichneten Grundlagen
dieser Theorie findet man in der Regierungszeit des Königs Sho Shin (1477-1526).
Die Hauptstadt Okinawas war zu diesem Zeitpunkt Shuri. Der König veranlasste,
dass alle Adligen (Shizoku) fast wie in Gefangenschaft in der Hauptstadt leben mussten.
Gleichzeitig wurde das Verbot erneuert, das das Waffentragen untersagte. Die
Shizoku – Klasse hatte keine eigenständige Macht. Danach und nach Selbstbestimmung
trachteten sie. In dieser Zeit entwickelten sie das Selbstverteidigungssystem
ohne Waffen weiter, dessen Ursprungsbezeichnung, wie oben beschrieben, Ti oder
Te war. Das Schriftzeichen wird auf Okinawa Ti gesprochen, während es japanisch
Te ausgesprochen wird. Aber er entwaffnete nicht nur den Adel, sondern auch die
Landbevölkerung, die Heimin-Klasse. Diese entwickelte ein Kampfsystem, wobei sie
Werkzeuge als Waffen einsetzten. Heute ist die Bezeichnung dieses Systems Ryukyu-Kobujutsu.
Die Selbstverteidigung mit bloßen Händen und das Bauernverteidigungssystem
mit Werkzeugen wurden im Geheimen trainiert, um Strafen zu entgehen.
Aus diesem Grund ist nicht sehr viel über Technik und Training dieser Zeit bekannt.
Die Geheimhaltung zog sich über das 16. bis zum 17. Jahrhundert hinweg.
1609 wurde Okinawa von den brutalen Samurai (Krieger / Dienender) des japanischen
Satsuma – Clans erobert. Der Satsuma-Clan hatte den Krieg in Japan gegen
den Tokugawa-Clan verloren. Dieser erlaubte den Satsuma ihre Ehre wieder herzustellen
indem sie Okinawa eroberten. Dort regierten sie mit brutaler Gewalt. Sie verboten
erneut das Tragen von Waffen. Der herrschende König Sho Nei wurde gefangen
genommen und nach Japan gebracht. Da die Okinawaner nur im allergeringsten
Maße mit den Satsuma zusammenarbeiteten wurden sie hart sanktioniert, schikaniert
und gequält. Die Ausübung der Selbstverteidigungssysteme war unter Todesstrafe
verboten. Wenn zum Beispiel ein Mann mit Knöcheln gesichtet wurde, die
Spuren von Abhärtungsübungen aufwiesen, richtete man ihn hin. Aus diesen Grün-
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den trafen sich verschiedene Kampfgemeinschaften, um ihre
Kampfsysteme zu verbessern, damit sie effektiver gegen die
Waffen der Samurai kämpfen konnten. Samurai trugen
Waffen, wie zum Beispiel Schwerter, Lanzen, Bögen und
Kurzschwerter. In Folge dessen vermischten sich die beiden
Hauptstile der Selbstverteidigung auf Okinawa. Das waren
zum einen das einheimische Ti/Te und zum anderen das
eingeführte chinesische Quan-fa. Die neu kombinierte Kampfform wurde Tode genannt.
Tode bedeutet übersetzt Hand aus China. Zu dieser Zeit wurde das Kampfsystem
noch immer im Geheimen trainiert und nur an nahe Verwandte weitergegeben.
Auch darüber gibt es kaum Aufzeichnungen. Die genaue Entwicklung nachzuvollziehen
ist deshalb nicht möglich. So liegen ca. 90 Jahre im Dunkeln. Erst mit dem
17. Jahrhundert wurde das Geheimnis langsam gelüftet. 1611 kam der König zurück
nach Okinawa, jedoch nur als Marionette des Satsuma-Clan. In der Regierungszeit
des Königs Sho Tei (1669-1709) näherten sich Okinawaner und Japaner langsam
an. Man kann sagen, dass ein allgemeiner Waffenstillstand eintrat. Es entstanden
drei Hauptstile des Tode, die nach den Städten benannt wurden, in denen sie geübt
wurden. Das sind Shuri-Te, Naha-Te und Tomari-Te. Das Shuri- und Tomari-Te wurde
als Shorin-ryu, das Naha-Te als Shorei-ryu bezeichnet. Ryu bedeutet hierbei soviel
wie Stil. Bis zum 19.Jahrhundert regierte der Satsuma-Clan auf Okinawa. 1868
begann in Japan die Meiji-Restauration, die eine Klasseangleichung beinhaltete. Der
Samuraistand wurde aufgelöst und damit auch die Herrschaft der Satsuma auf Okinawa.
1895 wurde Okinawa als 47. Präfektur Japans anerkannt. Eine 259jährige Besatzungszeit
endete. Die Hinterlassenschaft waren verschiedene Kampfsysteme.
Hier beginnt die Reise der Selbstverteidigung Okinawas als Kampfkunst um die Welt
(vgl. W. Lind, 1997). Mit dem 19. Jahrhundert öffnete sich die Shizoku-Klasse nach
außen und gab das Kampfsystem der Öffentlichkeit preis. Dieses wurde bis 1950
weiterentwickelt und danach verschiedenartig umgewandelt. Zur Zeit des 2. Weltkrieges,
in dessen Nachkriegszeit und zur Zeit des Vietnamkrieges wurde Okinawa
als Militärbasis benutzt. Die amerikanischen Soldaten lernten die einheimischen
Kampfkünste, die sich namentlich in Okinawa-Te verändert hatten, von allen möglichen
Lehrern. Sie verdienten sich dadurch ein Zubrot oder wollten die amerikanische
Staatsbürgerschaft als Lohn, um in die USA auswandern zu können, um dort ein
besseres Leben anzufangen (vgl. W. Lind 1997). Nach den Forschungen des Budo-
Studien-Kreises (vgl. W. Lind 1997) gibt es zwischen 50 und 100 Übende des authentischen
okinawanischen Karatestils. Sie trainieren in der Abgeschiedenheit, verzichten
auf weltweite Anerkennung und geben ihr System nicht preis. So entstand
letztendlich aus dem Ti (japan. Te) und dem Quan-fa das Tode, welches später in
Okinawa –Te umbenannt wurde. Im Zuge der Anpassung an japanische Verhältnisse
wurde Okinawa-Te in Karate (japanisch) umbenannt. Wie Karate nach Japan gelangte
und warum es umbenannt wurde wird im nächsten Abschnitt näher beschrieben.
7
2.2) Bedeutende Lehrer und Meister
Es gab sehr viele unbekannte Lehrer und Meister des Tode auf Okinawa. Diese
Meister waren sicherlich sehr wichtig für die Entwicklung vom Tode zum heutigen
Karate. Aber alle anderen Aussagen wären hier nur Spekulation, denn es gibt darüber
keine Nachweise. Die ersten bekannten Meister und Lehrer stammen aus dem
18. Jahrhundert. Sie trainierten entweder Te oder Quan-fa. Einer der Meister war
Kushanku, der Shaolin-Kung-Fu übte. Er brachte eine Dao aus seiner Heimat China
mit. Dao (japanisch Kata / deutsch Form) ist ein formaler Ablauf bestimmter Angriffs-
und Abwehrtechniken, die einen bestimmten Rhythmus haben, ähnlich einer Tanzkoregrafie.
Eine Dao verschlüsselt die Anwendung der ausgeführten Techniken für den
realen Kampf. Der Begriff Kata und ihre Bedeutung werden später genauer als ein
Hauptinhalt des Karatetrainings erklärt. Die Form des Lehrers Kushanku wurde nach
ihm benannt und erfuhr oftmals Weiterentwickelungen und Umbenennungen. Seine
Grundbezeichnung blieb aber erhalten. Der Name dieser Kata im Shotokan-Karate
ist Kanku und besteht aus einer großen (Kanku-Dai/dai=groß) und aus einer kleinen
Form (Kanku-Sho/ sho=klein; vgl. W. Lind, 1997). Kanku bedeutet übersetzt Blick in
den Himmel (vgl. A. Pflüger, 1995, S.47/48, S.71/72). Der Lehrer Kushanku war nicht
der einzig bekannte Unterweiser in der Selbstverteidigung. Ein anderer benannter
Lehrer war der okinawanische Experte im Ti/Te Takahara Peichin. Bei diesen Lehrern
lernte der Okinawaner Sakugawa Shungo. Sakugawa kombinierte die beiden
Systeme und entwickelte den ersten systematischen Tode-Stil. Da er in Shuri lebte
nannte er den Stil Shuri-Te. Sakugawa gilt als der Begründer der okinawanischen
Dojokun, was Verhaltensregeln für Übende des Karate sind. Dessen Grundgedanken
wurden von Boddhidarma, dem ersten Patriarch des Zen-Buddhismus, in China gelegt
(siehe Abbildung). Darauf wird im Abschnitt der
traditionellen und Philosophischen Gedanken eingegangen.
Zur Zeit Sakugawas gab es noch viele andere Meister. Einer
war der chinesische Meister Iwah, der den Shaolin-
Kranichstil (bai-he-quan) beherrschte. Sakugawa und Iwah
unterrichteten einen Mann namens Matsumura Sokon (auch
Matsumura Shoshu genannt). Matsumura verband die beiden Stile und erschuf „Shorin
Ryu Gokuan Tode“ (Übersetzung: „Technik aus China, aus dem Shaolin – Kloster,
zur Verteidigung der Heimat“; W. Lind 1997, S.72). Er verfaste einige Texte zum
Weg des Lernens und des Kämpfens. (Dazu genaueres im Abschnitt zu philosophischen
und traditionellen Gedanken der Kampfkunst Karate.) Matsumuras Kampfstil
war sehr dynamisch und kraftvoll. Er enthielt Elemente des Shaolin-Kung-Fu, einige
Prinzipien des japanischen Schwertstils des Satsuma-Clans (bekannt als jigen-ryu)
und Teile des okinawanischen Te. Ein Schüler Matsumura Sokons war Azato Anko,
der spätere Lehrer des Begründers des modernen Karate Funakoshi Gichin. „Azato
Anko verfeinerte Matsumuras Methode, indem er viele Ausweichbewegungen und
schnelle Wechsel zwischen Angriff und Verteidigung einbaute“ (W. Lind 1997, S.73).
Ein weiterer Schüler Matsumuras war Meister Itosu Yasutsune oder auch Itosu Anko
genannt. Itosus Spitzname war „die heilige Faust des Shuri-Te“ (W. Lind 1997, S.76).
Itosu wurde streng im Sinne eines Samurai erzogen. Er lernte nicht nur bei Matsumura
Sokon Kampftechniken, sondern auch bei den Meistern Shiroma Gusukuma aus
Tomari, Nakahara und Yasuri, einem direkten Schüler des Lehrers Iwah. Itosu war
der zweite Lehrer Funakoshi Gichins. Erstgenannter begann, im April 1901, Karate
an öffentlichen Schulen zu unterrichten, da er Karate als Gesundheitsgymnastik erkannte.
Auf Grund dessen entschärfte Itosu die kämpferischen Inhalte und betonte
den Gesundheitsaspekt. Er brach hiermit das alte Tabu der Geheimhaltung der
8
Kampftechniken, die in den verschiedenen Kata (Form) versteckt waren (vgl. W. Lind
1997). Auch Itosu begründete tiefe philosophische Hintergründe und Traditionen, die
an späterer Stelle näher genannt werden. Seine Forschungen vertieften sich in verschiedenen
Kampfkunststilen. Denen entnahm er verschiedene formale Abläufe (Kata/Dao),
um seinem System neue Techniken hinzuzufügen. Dadurch lag eine überdimensionale
Sammlung vieler Formen vor, die zum Verlust des tieferen Inhalts seines
Stils führten. Heute heißt das Quantität statt Qualität. Deshalb waren die okinawanischen
Lehrer der Meinungen, dass Itosu Karate verfälschte. Doch die gefährlichen
Techniken konnten nicht in der Schule unterrichtet werden. Er wandelte viele
Angriffstechniken in Abwehrtechniken um. Itosu verstand die Zeichen des eingekehrten
Friedens und brachte eine neue Denkweise ein,
indem er den Menschen das Karate als Sport, mit dem
Grundgedanken eines heilenden Kampfsystems
eröffnete, wobei die Abwehr im Vordergrund stand aber
die Tödlichkeit und Ernsthaftigkeit der Selbstverteidigung
nicht verkannt wurde (vgl. W. Lind 1997, S.84). An dieser
Stelle muss ein Schüler der beiden Meister Azato Anko
und Itosu Yasutsune näher betrachtet werden. Wie schon
erwähnt ist der Name des Schülers Funakoshi Gichin
(siehe Abbildung). Er wurde 1869 auf Okinawa, als einziger
Sohn einer niederen Shizoku-Familie geboren und
verlebte seine Kindheit bei seinem Großvater Gifu, einem
konfuzianischen Gelehrten. Dort studierte er klassische
chinesische Literatur. In seiner Grundschulzeit übte
Funakoshi bei Azato Anko im Geheimen Karate. Er besuchte seinen Lehrer bei
Nacht und übte oft bis in die Morgenstunden. Sein Training bestand nur aus Kata
(siehe Trainingsinhalte). Das Motto der alten Meister lautete „mindestens 3 Jahre für
eine Kata“ (W. Lind 1997, S.271). Funakoshi übte 10 Jahre ein und dieselbe Kata,
bevor Meister Azato mit ihm zufrieden war. Diese Kata wird heute als Tekki (Eisenreiter)
bezeichnet. Zu der Zeit seiner Übung besuchte Meister Itosu Funakoshis Lehrer
Azato. Sie tauschten sich über Karate und viele andere Themen aus. Itosu akzeptierte
Funakoshi ebenfalls als Schüler. „1888 legte Funakoshi die Prüfung zum Hilfslehrer
in Shuri ab und 1891 wurde er Hauptschullehrer an einer Schule in Naha“ (W.
Lind 1997, S.271). In Naha trainierte er mit den Meistern Higashionna und Aragaki, in
Shuri übte er mit den Meistern Kiyuna und Matsumura Nabe. „1901 / 1902 leitete er
eine Karatedemonstration in der Schule von Naha anlässlich eines Besuches des
Schulkommissars der japanischen Provinz Kagoshima, Herrn Shintaro Ogawa. Dessen
Bericht veranlasste das Kultusministerium in Tokyo, Karate als Teil des Lehrplans
an den okinawanischen Schulen einzuführen,…“ (W. Lind 1997, S.271). Daraufhin
entwickelten sich immer mehr Kontakte zwischen japanischen Persönlichkeiten
und dem Okinawakarate. Funakoshi Gichins Rolle in diesen Begegnungen wurde
immer größer. Nach einer 30jährigen Schullehrzeit kündigte er und widmete sich
vollkommen den Kampfkünsten. Er reiste mit einer Gruppe, heute als Großmeister
bekannter Karatepersönlichkeiten, durch Okinawa und zeigte mit ihnen Okinawa-Te
im ganzen Land. 1916 gab Funakoshi eine Demonstration in Kyoto und 1921 eine
Vorführung für den japanischen Erbprinz Hirohito auf Okinawa. Im gleichen Jahr bekam
die okinawanischen Kampfkunstorganisation eine Einladung vom japanischen
Kultusministerium, um Karate in Tokyo zu demonstrieren. Okinawa betrachtete das
als eine Möglichkeit Karate als Friedensbotschaft in die Welt zu entsenden. Dafür
wurde ein Mann gewählt, dessen „Charakter über jeden Zweifel erhaben war“ (W.
Lind 1997, S.272). Die Wahl traf auf Funakoshi Gichin, der nicht nur ein Meister des
9
Karate, sondern auch der Kalligraphie und Dichtkunst war. Sein Künstlername lautete
„Shoto“, er sprach Japanisch und Chinesisch, kannte die Philosophien der beiden
Länder und war in der okinawanischen Kultur bewandert. Bei der Demonstration waren
viele Kampfkünste der japanischen Kultur vertreten, wie beispielsweise Judo,
dessen Begründer Kano Jigoro ist. Dieser zeigte großes Interesse an Karate und lud
Funakoshi ins Kodakan ein, dem Judozentrum Japans. Funakoshi führte weitere
Demonstrationen vor, was durch die Anerkennung des Judobegründers Kano erleichtert
wurde. Von einer Reise, im Jahr 1922, nach Japan kehrte Funakoshi nicht
mehr nach Okinawa zurück. Er sorgte dafür, dass Karate von den Japanern anerkannt
wurde. Dafür lebte und lehrte er Karate intensiv in Japan. Es gelang ihm sogar
Karate in Universitäten und Hochschulen zu integrieren. Sein Leben war nie von
Reichtum gekennzeichnet und er musste für seinen Unterhalt Hilfsarbeiten leisten.
Seine ersten Schüler trainierten mit ganz gewöhnlicher Kleidung, ohne weiße Karateanzüge
und ohne Graduierungssysteme. Die einzige Methode war das Katatraining
und die Abhärtung verschiedener Körperteile am Schlagpolster. Doch die Mentalität
in Japan war eine andere als in Okinawa. Die Japaner führten Wettkämpfe in allen
Kampfkünsten durch, wie beispielsweise im Kendo, Judo, Jiyujitsu und Sumo. Dort
gab es eine Vielzahl von Übungen und Bewegungsformen, doch im Karate gab es
weder Wettkämpfe noch eine Vielzahl von verschiedenen Bewegungen. Um Popularität
zu erlangen und Karate zu verbreiten musste Funakoshi Veränderungen im
Trainingssystem vornehmen. Er führte Kampfübungen und Grundtechniktraining ein.
Nach Ansicht der Meister Okinawas war es nur möglich etwa 3-5 Kata vollständig zu
meistern und deren Kampfaspekte zu verstehen. In Japan musste diese Qualität der
Quantität weichen. So erweiterte Funakoshi das Lehrsystem auf 15 verschiedene
Kata, die später näher erläutert werden. Die ursprünglichen Varianten der Kata wurden
von ihm veränderte, die Gründe sind umstritten. Sie gelten derzeit als Standardübungen
im Shotokan-Karate. Heute gibt es 27 Shotokan-Kata. Das Trainingssystem
Funakoshis bestand hauptsächlich aus Kataübungen, deren Anwendung im Kampf
(Bunkai), Grundtechnikschulung (Kihon), Schlagpolsterübungen (Makiwara) und die
Lehre bestimmter Körperpunkte, die im Kampf angegriffen werden sollten, um den
größtmöglichen negativen Effekt einer Technik beim Gegner zu erzielen (= jintaikyusho;
vgl. W. Lind 1997, S.281). Funakoshi lehnte grundsätzlich das freie Kämpfen
ab, denn hier verliert Karate den Hintergrund einer Selbstverteidigung, bei der man
nicht die aggressive Angriffsposition einnimmt, sondern das Leben verteidigt. Karate
dient der friedlichen Charakterschulung. Einer seiner Hauptgrundsätze lautete „karate
ni sente nashi!“, was etwa die Bedeutung trägt, dass „es keinen ersten Angriff oder
keine erste Bewegung im Karate gibt“ (W. Lind 1997, S.281). Um Karate noch mehr
den Japanern anzupassen wandelte Funakoshi Gichin das traditionelle Schriftzeichen
der Okinawaner ins Japanische um. Das traditionelle Schriftzeichen bedeutete
„Technik aus Okinawa“ oder „Technik der Tang“ (in Anlehnung an die Kampfkünste
aus China, aus der Regierungszeit der Tang – 618-907 n.Ch. / vgl. W. Lind, 1997).
Das Wort Karate setze sich aus „kara“ und „te“ zusammen. Kara bedeutet soviel wie
„Leere“ und Te bedeutet „Hand“. Zusammengefasst ergibt sich die Übersetzung „Die
leere Hand“. „Das Schriftzeichen, das er für Kara wählte, hat seinen Ursprung in der
buddhistischen Tradition und wird auch „ku“ ausgesprochen, was „ohne Inhalt“ oder
„leer“ bedeutet und eine Andeutung an das Universum ist“ (vgl. R. G. Hassel, S.36).
„Shotokan war die ursprüngliche Bezeichnung für Meister Funakoshis 1936 gegründetes
Karate-Dojo in Tokyo“ (W. Lind 1997, S.268). Das alleine reichte nicht, um die
Japaner zu befriedigen. Es wurden ein Kampf- und Wettkampfsystem entwickelt, die
als Teilaspekt des Karatetrainings eingeführt wurden. Der Wettkampf war nicht das
Hauptanliegen des Trainings und wurde nicht speziell geübt. Er galt als Nebenpro-
10
dukt der Entwicklung des Karate. Im Training wurden die Hauptelemente Kata, Kihon
und Kumite geübt, um sie im Wettkampf anzuwenden. Die Entwicklung zum Sportwettkampf
wird an späterer Stelle erläutert. Funakoshi Gichin versuchte sein ganzes
Leben lang traditionelles Karate in Japan zu verbreiten und es der Welt als Friedensbotschaft
zu eröffnen. Doch die Moderne und die Modernisierung zwangen Karate
zur Weiterentwicklung. Hier legte ein Sohn Funakoshi Gichins wertvolle Grundsteine.
Sein Name war Funakoshi Yoshitaka (siehe Abbildung). Er führte verschiedene
Kampfsysteme ein, wie zum Beispiel das Gohon-, Sanbon-
und Ippon-Kumite. Gohon-Kumite ist ein Fünf-Schritt-Kampf,
Sanbon-Kumite ist ein Drei-Schritt-Kampf und Ippon-Kumite
ist ein Ein-Schritt-Kampf. Er arbeitete das Karatesystem
kämpferisch auf. Yoshitaka unterrichtete japanische
Eliteeinheiten des Militärs im zweiten Weltkrieg, darunter
waren zum Beispiel die berühmten Kamikazeflieger. Die
Techniken wurden so verändert, dass sie vom Militär verwendet
werden konnten. Dazu wurden die Stellungen tiefer
und stärker, um zum Beispiel durch die Haltung Konfrontation
zu suggerieren. Fußtechniken wurden aggressiver
eingesetzt, die Akzentuierung lag deutlich bei den
Angriffstechniken und es wurde der wirkliche Kampf geübt.
Messer und andere Waffen kamen zum Einsatz und die Fußtritte wurden mit Stiefeln
ausgeführt, selbst im Übungskampf. Karate gewährleistete unter Yoshitaka eine extreme
Kampfausbildung, mit der Betonung des Kampfes auf Leben und Tod. Yoshitaka
wurde von Meister Egami Shigeru begleitet, der nach dem Tod Yoshitakas eine
der wichtigsten Persönlichkeiten der Shotokan-Bewegung wurde. Er ließ keine Abweichungen
vom Grundkonzept des Karate, wie es Funakoshi Gichin lehrte zu. Yoshitaka
starb im zweiten Weltkrieg an einer Krankheit in jungen Jahren. Egami
Shigeru verbreitete seinen eigenen Stil, der als Shotokai bekannt ist. In der Zeit des
zweiten Weltkrieges kam die Entwicklung Karates leicht zum Stocken, da viele Meister
in den Krieg involviert und im Ausland stationiert waren. Nach dem zweiten Weltkrieg
ist der Name Nakayama Masatoshi zu nennen (siehe Abbildung links), der
1913 in Tokyo geboren wurde. Er war in China stationiert und
gehörte einer Samurai-Familie an. Sein Training begann er
unter Funakoshi Gichin. Nakayama kehrte 1946 nach Japan
zurück. Während seiner Abwesenheit hatte Yoshitaka das
System, in der Zeit von 1938 und 1942, stark verändert.
Diese Veränderungen waren ihm fremd und der
vorherrschende Stil unbekannt. Nakayama ging den älteren
Lehrern aus dem Weg und lernte von jüngeren Karatekas. Er
wollte das Konzept des Wettkampfkarates einführen und
suchte dafür die Unterstützung Funakoshis. Das Wettkampfsystem
wurde jedoch weder von Funakoshi Gichin noch von Yoshitaka autorisiert.
Aber Nakayama ließ sich nicht aufhalten. Er erarbeitete ein Regelsystem, in
Zusammenarbeit mit Nishiyama Hidetaka, um das Karate als Wettkampfsport weltweit
zu verbreiten. 1949 wurde unter Leitung von Nakayama die JKA (Japan Karate
Association) als erster Karateverband gegründet. 1955 eröffnete sie das erste kommerzielle
Dojo (Dojo = Übungshalle). Eine der unbestrittenen Verdienste der JKA war
die Einrichtung einer speziellen Instruktorenklasse (Trainerkategorie) im Jahre 1956.
Da auch Nichtjapaner, vor allem amerikanische Soldaten unterrichtet wurden, beschäftigten
sich Nakayama und Vertreter der JKA mit Kinetik, Physiologie, Anatomie
und Hygiene. Sie schufen eine solide Grundlage der Bewegungsmechanik für das
11
Karatetraining und fügten Inhalte aus den Bereichen der Physik, Psychologie und
des Managements hinzu. Außerdem erstellten sie eine Systematisierung durch die
Einführung von Gürtelfarben und Graduierungen. Durch diese tiefergehende Forschung
wurde das Instruktorenprogramm vom japanischen Bildungsministerium anerkannt.
Ausgewählte und talentierte Karatekas, vorwiegend aus dem Karate-Club
der Takushoku-Universität, durchliefen ein dreijähriges Ausbildungsprogramm. Dafür
konnten mehrere Instruktoren aus der Vorkriegsgeneration, unter der Leitung von
Masatoshi Nakayama, gewonnen werden. Nach Abschluss des Programms wurden
die Instruktoren in ferne Länder entsandt, um dort Karate zu verbreiten. Der erste
Lehrgang mit JKA-Instruktoren in Deutschland fand 1965 statt. Bis zum Höhepunkt
ihres Schaffens, im Jahre 1977, hatten zahlreiche Länder eigene Instruktoren. So
konnte Karate in einer guten Qualität in der Welt verbreitet werden. Am 26.04.1957
starb Meister Funakoshi Gichin. Nach seinem Tod stritten sich die beiden Hauptrichtungen
des Shotokan-Karate um die wahre Nachfolge. So entstanden zwei politisch
konkurrierende Hauptlinien im Shotokan-Karate. Die eine war die JKA unter Nakayama
Masatoshi, die andere war die Shotokai-Linie unter Egami Shigeru, der das Nihon
Karate-Do Shotokai gründete. Ein wesentlicher Unterschied der beiden Linien
bestand in der Ausübung von Wettkämpfen. Die JKA führte das Wettkampfsystem
ein und verbreitete es über die ganze Welt. Die Shotokai-Linie lehnt noch heute
Wettkampfkarate ab. Am 15.04.1987 starb Meister Nakayama und die JKA stritt wieder
um die „Erbfolge“. Die politischen Streitigkeiten hier weiterzuverfolgen ginge entschieden
zu weit. Aber egal ob sie Wettkämpfe betreiben oder nicht, sie folgten und
folgen doch den alten Traditionen und Prinzipien der Meister längst vergangener Tage.
Einige leben diese Prinzipien mehr, andere leben sie weniger. Aber um Karate zu
verstehen, muss man diese Gedanken kennen. Die Grafik zeigt zusammenfassend
den Stammbaum des Shotokan-Karate (Quelle: www.utah.edu/ska/images/history.gif):
12
2.3) Traditionen und Philosophie des Shotokan-Karate
Im Folgenden werden traditionelle Regeln und philosophische Gedanken zum und
des Karate aufgenommen. Wie schon erwähnt gilt Meister Sakugawa Shungo als der
Begründer der okinawanischen Dojokun, deren Vorbild die Regeln Boddhidarmas
aus dem Shaolin-Tempel war. Dojokun sind Verhaltensregeln für Übende des Karate.
Diese Regeln galten als Charaktervervollkommnungsleitlinien, die den Ausübenden
dazu befähigen sollten „in allen Dingen des Lebens bewandert zu sein“ (W. Lind
1997, S.68). Die Essenz seiner Regeln ist in folgenden fünf Punkten auch heute
noch in den Übungshallen vieler Karateinstitutionen zu finden:
„1. Suche die Vervollkommnung deines Charakters: Bemühe dich darum, nicht nur
deinen Körper zu üben, sondern begegne deinen inneren Unebenheiten mit derselben
Kraft, wie du im Training lernst, äußere Schwierigkeiten zu überwinden.
2. Sei aufrichtig, loyal und zuverlässig: Achte das Leben, deine Kunst und den anderen
Menschen. Pflege gegenseitige Beziehungen mit ehrlicher Gesinnung und vermeide
Haltungen, durch die du in Frage gestellt werden kannst. Stehe zu deinen
Verantwortungen und pflege den Geist der Freundschaft.
3. Sei achtsam in deinem Streben: Vermeide jede Form des egoistischen Strebens.
Überwinde den Egoismus, die Selbstsucht und die Habgier, sei maßvoll im Nehmen
und großzügig im Geben. Dränge dich nicht in den Vordergrund, halte deine Ansprüche
gering und bekenne dich zur Verantwortung, zur Hilfe und zur Toleranz.
4. Ehre die Prinzipien der Etikette: respektiere die Budo-Etikette und bemühe dich
darum sie in deinem Verhalten sichtbar zu machen. Gehe nicht gedankenlos über sie
hinweg und suche nicht nach Entschuldigungen, wenn du sie verletzt. Gleiche Fehler
durch erhöhte Hingabe aus und lasse sie nicht auf sich beruhen.
5. Verzichte auf Gewalt: Missbrauche weder das Wissen noch das Können, das du
dir in der Übung der Kampfkünste aneignest, für eigennützige Zwecke. Bekenne dich
zur körperlichen und geistigen Gewaltlosigkeit und bemühe dich in allen Problemsituationen
um friedliche Alternativen“ (W. Lind 1997, S.95; Karamitsos, Pejcic 2000,
S.21). In einer weiteren Linie wird der Lehrmeister Matsumura Sokon genannt, der
einige Lehrschriften verfasste. In einer schreibt er, dass einer der drei Wege des
Kämpfens Budo ist. Budo bedeutet so viel wie der Weg der Kriegskünste. Sokon
schrieb: „Budo (Bujutsu der wahren Kampfkünste): Dies ist reine Konzentration, die
viele einzigartige Ideen hervorbringt. Du musst mit Deinem Geist gut umgehen und
darauf warten, dass Dein Gegner geistig zusammenbricht. Gewinne den Kampf
durch die Ruhe Deines Geistes, der die Konzentration des Gegners zerstört. Reifes
Handeln bewahrt Dich vor Fehlern. Auf dem Gebiet der Loyalität musst Du die Kraft
eines Tigers haben. Ein Meister des Budo sollte sich von Gewalt fernhalten, mit
Menschen gut umgehen, ihre Leistungen anerkennen, in Frieden mit ihnen Leben
und zu ihrem Wohlbefinden beitragen. Kampfkunstanhängern ist es verboten, sich
auf ungebärdige Weise zu verhalten. Soldaten sollten die Menschen schützen und
ihnen Helfen, in Frieden zu leben. Daher liegt in den Kampfkünsten der Weg der
Wahrheit“ (W. Lind 1997, S.73). In Japan wurde der philosophische Grundstein in der
Kamakura-Periode (1193-1333) gelegt. Die Samurai schufen den nötigen Hintergrund
um ihre Macht zu stabilisieren. Sie nahmen Elemente des Zen-Buddhismus
und die Lehre des Konfuzianismus als Staatsphilosophie auf. Kurz gesagt hieß das
Motto „das Leben sei einfach und hart“ (H. Handel 1998, S.193). So entstand der
Weg des Kriegers (japanisch Bushido), dem sieben wesentliche Punkte zu Grunde
gelegt wurden.
1) „Gi – die rechte Entscheidung aus der Ruhe des Geistes, die rechte Haltung, die
Wahrheit. Wenn wir sterben müssen, müssen wir sterben.
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2) Yu – Tapferkeit und Heldentum
3) Jin – die universale Liebe, das Wohlwollen gegenüber der Menschheit
4) Rei – das rechte Verhalten (ein ganz grundlegender Punkt)
5) Makoto – vollkommene Aufrichtigkeit
6) Meiyo – Ehre und Ruhm
7) Chugi – Hingabe und Loyalität“ (H. Handel 1998, S.193)
Der Sinn, das Training der Kampfkünste als Weg zu betrachten, besteht darin zu erkennen,
zu erfahren, zu erfühlen und zu leben (vgl. H. Handel 1998, S.196). In den
verschiedenen Epochen entwickelte sich die Philosophie ständig weiter, ohne die
Wurzeln zu verlieren. Itosu Yasutsune griff folgende Gedanken auf: „Karate strebt
nicht nur danach, den Körper zu disziplinieren, sondern dient der Erhaltung der Gesundheit.
Wenn es notwendig ist, für eine gerechte Sache zu kämpfen, sorgt Karate
für die Tapferkeit und für die Stärke, durch die man sein eigenes Leben für diese Sache
aufs Spiel setzen kann. Es ist nicht dazu gedacht, im Wettbewerb eingesetzt zu
werden, sondern viel eher als ein Mittel, seine Hände und Füße in einer ernsthaften
Bewegung mit einem Raufbold oder Schurken zu gebrauchen“ (W. Lind 1997, S.79).
Der Ursprungsgedanke des Karate war es mit einem Schlag zu töten, denn der Samurai
(Krieger, Dienender) wollte dem Okinawaner immer mit einem Schwerthieb
das Leben nehmen. Itosus Gedanken gehen in den Friedenszeiten weiter und er erwähnt
den gesunderhaltenden und fördernden Wert des Karate, ohne den Gedanken
an die ursprünglichen, kämpferischen Inhalte zu verlieren. Dieser wird in eine friedliche
Form transformiert. Itosu sagt auch, dass „Realität ein wichtiges Ziel im Karatetraining
ist. Sich vorzustellen, dass man wirklich während des Trainings auf dem
Schlachtfeld ist, trägt viel zu intensiveren Fortschritten bei“ (W. Lind 1997, S.79/80).
Heute nennen wir diese Trainingsform ideomotorisches Training, die Anwendung in
vielen Sportarten findet.
Der Karatemeister Motobu Choki (1871-1944) schreibt zu der tieferen Bedeutung Karates
folgendes: „Manche Menschen befürchten, dass sie durch ihre Fortschritte im
Karate andere angreifen können und sich nicht nur auf die Abwehr beschränken.
Doch sie sollten im Sinne behalten, was Karate wirklich ist, und sich der Meisterschaft
des Selbst widmen. Wenn jemand das vergisst, kann er nicht mehr als Mitglied
der Kampfkunstgemeinschaft gelten. Karate ist zu einer internationalen Kampfkunst
geworden und kann als Mittel zur Geisterziehung sehr wichtig sein. Das Training
entwickelt eine beträchtliche geistige Kapazität…“ (W. Lind 1997, S.226/228).
Diese Entwicklung ist auch heute noch am Wirken und machte mit Funakoshi Gichin
keinen Halt. Er erarbeitete viele Gedanken und erstellte wesentliche Leitlinien für die
Übenden des Karate (Karateka). Die philosophische Bedeutung des heutigen Karate
ist nach ihm folgende:
„Die Bedeutung des neuen >>Kara>Technik>Handleer>grüne
Bambusstab: innen hohl (Kara), aufrecht und mit Knoten, d.h. selbstlos, sanft und
gemäßigt.
Universums Leere ‚(Kara, Ku), und so ist Leere die Form selbst. >>Form ist Leere,
und Leere ist Form selbst
Geist unterweisen.
5. Die Schüler müssen alle Lehren des Meisters befolgen und alle Regeln des
Dojo bewahren. Wenn ein Schüler sie nicht befolgt, muss ihn der Verantwortliche
aus dem Dojo weisen.
6. Im Dojo darf man nicht sprechen, nicht lachen, sich nicht laut verhalten, keine
Unruhe stiften und keine Feste veranstalten. Das Dojo dient keinem anderen
Ziel als dem Training des Do.
7. Im Dojo darf man keine auffällige Kleidung tragen.
8. Zum Training muss jeglicher Schmuck abgelegt werden.
9. Personen unter Drogeneinfluss oder Verrückte dürfen das Dojo nicht betreten.
10. Personen, die gerne streiten, diskutieren oder sonstige Probleme bereiten, dürfen
nicht eintreten.
11. Alle, die sich im Dojo kennenlernen, müssen eine strenge Sexualmoral einhalten.
12. Jeder muss das Dojo betreten, bevor das Training begonnen hat. Wer zu spät
kommt, darf die anderen nicht stören. Schuhe und sonstige Gegenstände müssen
geordnet abgestellt werden.“ (H. Handel 1998, S.197/198)
Andere wichtige Traditionen und Rituale beim Karate-Training sind der Gruß, die
Meditation, der weiße Karateanzug (Karate-gi) und das Graduierungssystem in Form
von Gürtelfarben. Graduierungen gibt es als Kyu- (Schüler-) und Dan- (Meister-) Bereiche.
Die Gürtelfarben und Graduierungen im Shotokan-Karate sind in folgender
Tabelle aufgeführt:
Schülergraduierung Gürtelfarbefarbe Meistergraduierung Gürtelfarbe
9. Kyu Weiß 1. Dan Schwarz
8. Kyu Gelb 2. Dan Schwarz
7. Kyu Orange 3. Dan Schwarz
6. Kyu Grün 4. Dan Schwarz
5. Kyu Blau 5. Dan Schwarz
4. Kyu Blau oder Violett 6. Dan Schwarz
3. Kyu Braun 7. Dan Schwarz oder Rot-
Weiß
2. Kyu Braun 8. Dan Schwarz oder Rot-
Weiß
1. Kyu Braun 9. Dan Schwarz oder Rot
10. Dan Rot, Schwarz, oder
Weiß
Der 10. Dan wird ehrenhalber verliehen und stellt die Herauslösung aus dem Weg
und die Stufe der Erkenntnis dar, die über das Studium des Karate hinausgeht. Es ist
auch die Loslösung vom Sein, womit klar wird, dass der 10. Dan nach dem Tode verliehen
wird, obwohl auch Ausnahmen gemacht werden. In der trainingswissenschaftlichen
Betrachtung, innerhalb dieser Arbeit, wird näher auf die Systematik der Schüler-
und Meistergraduierungen eingegangen.
Der weiße Karateanzug steht für die Reinheit des Geistes. Man soll innerlich vollkommen
leer sein, um alles aufnehmen zu können, was in der Unterrichtseinheit gelehrt
wird. Außerdem bedeutet der weiße Anzug, dass alle gleich sind, egal aus welcher
Gesellschaftsschicht sie kommen. Die Farbe Weiß stellt das Bemühen dar Körper,
Geist, Kleidung und das gesamte Leben sauber zu halten, sie beschreibt die
„lauteren Absichten einer Person“ (R. G. Hassel 1997, S.28). Das Erscheinungsbild
des Karatekas soll dafür mit dem weißen Anzug ein gutes Beispiel sein.
16
Die Meditation wird am Anfang und am Ende jeder Trainingseinheit durchgeführt.
Meditation am Anfang bedeutet sich auf das Training vorzubereiten und sich vom Alltag
zu lösen. Meditation am Ende bedeutet sich von der Anstrengung des Trainings
zu lösen, wieder in den Alltag zu gleiten und die gewonnene Stärke für das gewöhnliche
Leben zu sammeln. In der Meditation werden Atemtechniken durchgeführt, die
den Körper auf die Herausforderungen des Trainings einstellen und vom Training
wieder entspannen. Sie wird im Fersensitz (Seiza) mit aufrechter Körperhaltung und
den Händen auf den Oberschenkeln ausgeführt.
Eine der bedeutensten Traditionen ist der Gruß. Was oben schon angesprochen
wurde soll nun etwas näher betrachtet werden. Japanisch wird Gruß mit Rei übersetzt.
Aber Rei bedeutet mehr als Gruß. Es ist die Bezeichnung für Respekt, Höflichkeit,
Anstand, Aufforderung zur Übung, Dankbarkeit und zeigt das rechte Verhalten.
Rei heißt Verbeugen. „Verbeugungen sind Momente der Sammlung und müssen eine
Innere Überzeugung beinhalten“ (H. Handel 1997, S.197). Karate beginnt und endet
mit Respekt, das ist eine Verhaltensregel von Funakoshi Gichin. Wenn man die
Halle betritt und wenn man die Halle verlässt zeigt man diese Haltung, indem man
sich in diesen Momenten verbeugt. Dabei sollte die Verbeugung nicht weniger als
drei Sekunden dauern.
Nach den Meditationen folgen nachstehende rituelle Abfolgen:
1. Shomen ni Rei: Verbeugung zur Front des Dojo, an der Meist ein Bild oder ein
Schrein des Meisters, im Shotokan-Ryu von Funakoshi Gichin
steht,
2. Sensei ni Rei: Verbeugung zum Meister,
3. Otagai ni Rei: Verbeugung zueinander.
H. Handel (1997) fasst die innere Werte folgendermaßen zusammen: Klarheit, Höflichkeit,
Direktheit, Respekt, Makellosigkeit, Anstand, Kontrolle, Aufrichtigkeit, Mut,
Risikobereitschaft, Tapferkeit, Endscheidungsfreudigkeit, Beherrschung der Atmung,
rechtes Verhalten, Gleichmut, Hingabe, Erfahrung, Loyalität, rechtes Erkennen, rechte
Entscheidung, rechtes Erleben, rechte Haltung, rechtes Erfühlen etc. Was diese
Elemente genau bedeuten und wie sie erfahren werden können wird an dieser Stelle
nicht beschrieben. Wahrscheinlich ist das auch nicht möglich, denn es kann nur
durch praktische Erfahrung erlebt und damit die tiefere Bedeutung erfahren werden.
Eine weitere Tradition stellt das Kommando „Yoi“ dar. Es bedeutet Acht geben und
signalisiert dem Übenden eine Wachsamkeitsstellung einzunehmen. Meistens ist
diese Wachsamkeitsstellung eine hüftbreite, natürliche Stellung, wobei die Füße parallel,
nach außen oder nach innen gerichtet sind. Es werden hier die Fähigkeit der
Wahrnehmung und die Bereitschaft jeder Zeit reaktionsfähig zu sein geschult. All
diese Traditionen und philosophischen Ansätze führen zu innerer Stärke. Durch korrekte
Atmung, in Verbindung mit der richtigen An- und Entspannung der Skelettmuskulatur,
können die inneren Organe gesunderhalten und gestärkt werden (vgl. J.
Measara 2003, S.11). Ein gestärkter Körper und die charakterliche Auseinandersetzung
mit den Werten des Karate führen zur Harmonisierung von Körper und Geist.
Die Bestimmung des Begriffs Geist wird an dieser Stelle nicht vorgenommen, denn
das würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Doch um zu dieser Anschauung zu
gelangen mussten in der Geschichte viele Kriege geführt werden. In diesen Kriegen
galt das Motto „Töte oder werde getötet“, japanisch bedeutet das „Ikken Hisatsu“ und
heißt genau, den Gegner mit einem Schlag zu stoppen. Die Philosophie des kriegerischen
Weges stellt die Grundlage dieser Künste dar (vgl. R. G. Hassel 1998). Aus
dieser Entwicklungsstufe stammt die japanische Philosophie „Heijo – Shin – Kokoro
– Michi.“ Das bedeutet „bleibe stets die selbe Person, äußerlich selbstsicher, ruhig
und unerschütterlich, innerlich aber vollkommen Wachsam und in Alarmbereitschaft“.
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Es bedeutet auch „das ruhige, unerschütterliche, tägliche Denken, denn im Kampf
gibt es keine Möglichkeit einen Fehler zu korrigieren“ (R. G. Hassel 1998, S.57 – 59).
Aber über dieses Prinzip hinaus wird heute „nicht das Töten selbst, sondern die Fähigkeit
zur absoluten Handlung, die aus der rechten inneren Haltung resultiert“, erstrebt
(vgl. R. G. Hassel 1998). Mit E. Karamitsos Worten gesprochen „fordert das
nicht nur eine perfekte Beherrschung der Technik des Kämpfers, sondern im besonderen
Maße auch geistige und psychische Eigenschaften wie Selbstvertrauen, Mut
und einen bis zum Äußersten gehende Konzentration. Ein Verlust der Konzentration
kann die Niederlage, Verletzungen oder den Tod bedeuten“ (E. Karamitsos, B. Pejcic
2000, S.19). Die philosophischen und traditionellen Rituale und Ansichten bedeuten
also die Auseinandersetzung mit psychologischen Komponenten wie Angst, Unentschlossenheit,
Übermut, Wut, Hass, Eifersucht, Rache, Freude, Verzweiflung, Aufgabe,
Resignation u.a. Wenn man das sportpsychologisch betrachtet werden die
Richtungsdispositionen Wille, Emotion und Motivation tiefer hinterfragt und erlebbar
gemacht. Das sind verborgene Essenzen des traditionellen Karate. „Karatetraining
führt so zu einem besseren Verständnis seiner selbst und der Welt“ (S. Nagamine
1998, S.14). Meister Nagamine stellt folgende Regeln zur Meisterung des Weges der
leeren Hand auf: „Er ist ein Mensch genauso wie ich! Ich kann nicht mein Potential
entwickeln, wenn ich in der Falle der Selbstbeschränktheit stecke. Ich muss die
Selbstbeschränktheit ablegen. Falls er drei Mal trainiert, muss ich sechs Mal trainieren.
Sei nicht von anderen abhängig für Deinen Fortschritt. Musashi Miyamoto, Japans
größter Schwertmeister sagte einst >> zolle den Göttern und Buddhas Deinen
Respekt aber vertaue ihnen niemals.
„Ichi byo shi – In einem Atemzug. Im selben Moment.“ (Musashi Miyamoto)
„Shingi ichinyo – Herz und Technik sind eins.“ (ohne Angabe)
„Fudochishin – Der unbewegte Geist.“ (Soho Takuan)
„Tokon – Kampfgeist“ (ohne Angabe)
„Bumbu fuki – Die literarischen und die kriegerischen Künste kann man nicht trennen.“
(ohne Angabe)
„Kantan na mono yoku kachi o seisu – Die einfachen Dinge entscheiden oft über
Sieg und Niederlage.“ (Funakoshi Gichin)
„Shoshin o wasurezu – Verliere nie das Gefühl eines Anfängers.“ (Funakoshi Gichin)
„Shin – gi – tai – Geist – Technik – Körper“ (ohne Angabe)
„Mu – Die Leere.“ (Musashi Miyamoto)
Der japanische Meister Tanaka Masahiko, Instruktor der JKA, sagt über Karate, in
seinem Buch „Perfecting Kumite“ folgendes: „The self – challenge is a greater priority
then physical power, regardless of age, if you always endeavor to explore the
techniques with a demanding attitude. This is the reason Karate has to be
understood as a „Budo – Education – of – Life“ (M. Tanaka 2001, S.22). Was bedeutet
Budo? Es heißt übersetzt „Weg des Krieges.“ Für alle Wegkünste, besonders für
die Japanischen gilt, dass technische Perfektion und absolute geistige Konzentration
durch jahrelanges Üben und bedingungslose Hingabe das Ziel des Handelns, des
Übens sind. Das Handeln soll von Bewusstheit, Wachsamkeit, Klarheit und Konzentration
bestimmt sein. Die Aufmerksamkeit muss in jedem Moment des Handelns auf
das, was man gerade tut gerichtet sein. Der Weg bedeutet die Lehre des Nicht-
Anhaftens, die Nicht-Abhängigkeit von Dingen, Begebenheiten, Gefühlen und Bedürfnissen.
Es ist „die Lehre, die den Tod als Teil der Existenz“ unterrichtet, „die beständige
Arbeit an sich selbst bildet den Weg“ (Karamitsos, Pejcic 2000, S.19). Wahre
Meisterschaft liegt in der konsequenten Verfolgung des Weges und somit im
Einswerden mit der Kunst. Das Ausüben des Kampfes dient zur eigenen Vervollkommnung.
Abschließend zu den Ausführungen der Tradition und Philosophie des
Karate werden zwei Zitate aus dem Grundwerk des Shotokan-Karate „Karate-Do Kyohan“,
von Funakoshi Gichin aufgeführt: „One who truly trains in this do and actually
understands Karate-do is never easily drawn into a fight. One attack or a simple kick
determines life or death. Karate is properly applied only in those rare situations in
which one really must either down another or be downed by him. This situation is
experienced possibly once in a lifetime by an ordinary person, and therefore there
may be an occasion to use karate techniques only once or not at all“ (Funakoshi
Gichin 1973, S.5). „True Karate-do is this: that in daily life, one’s mind and body be
trained and developed in a spirit of humility; and that in critical times, one be devoted
utterly to the cause of justice“ (Funakoshi Gichin 1973, S.3).
19
2.4) Klassische Trainingsmethoden
Klassische Trainingsmethoden im Karate sind Verfahren, die im Training eingesetzt
werden, um Fortschritte in der Ausführung, im Verständnis und in der Anwendung
spezifischer Techniken zu erreichen. Das bezieht sich auf diejenigen Verfahren, die
ursprünglich verwendet und bis heute überliefert wurden. Einige dieser Prozeduren
werden auch heute noch angewandt. Diese Definition der klassischen Trainingsmethoden
ist angelehnt an die Definition der Trainingsmethode, nach Schnabel, Harre
und Borde, die folgendermaßen lautet: „Im sportlichen Training einzusetzendes Verfahren,
um zielgerichtet, planmäßig und effektiv Fortschritte in der Leistungsfähigkeit
und Leistungsbereitschaft der Sportler zu erreichen“ (Schnabel, Harre und Borde
(Hrsg.) 1997, S.181). Zu jeder Zeit war den Karatekas bewusst, dass das Ziel des
Techniktrainings die Aneignung der effektivst zu realisierende Technik war und noch
heute ist. Zwar haben sich die Ziele des Resultats der Technik verändert, doch die
Suche nach Perfektion ist erhalten geblieben. Die Technik soll heute nicht mehr zum
Töten verwendet werden, obwohl ein Mensch dazu in der Lage ist, wenn er die
Technik korrekt ausführt. Da die Techniken und die Anwendung der Techniken im
Kampf geheim gehalten wurden (geschichtlich betrachtet), musste ein System entwickelt
werden, das diesen Elementen entsprach. Die Kampfkunst wurde in formale
Übungsabläufe transkribiert. Diese Übungsabläufe kamen hauptsächlich aus China.
Sie haben ihren Ursprung wahrscheinlich im Shaolin-Kloster, wurden „aus den anfänglichen
Gesundheitsbewegungen des Qi-Gong entwickelt, woraus das Quan-fa
entstand“ (vgl. Schlatt 1999, S.27). Sie wurden benutzt, um die alte einheimische, okinawanische
Selbstverteidigung mit den chinesischen Kampfmethoden zu verbinden
und für Außenstehende zu verschlüsseln. Wie schon oft erwähnt werden diese formalen
Abläufe japanisch „Kata“ und chinesisch „Dao“ genannt. „Kata ist eine den
ostasiatischen Kampfkünsten typische Übungsform und existiert nicht bei den verschiedenen
europäischen Künsten. Auf der Insel Okinawa und in China war das Üben
der Kata das eigentliche Herzstück der Kampfsysteme“ (Schlatt 1999, S.23). Kata
wird als Basis bezeichnet, um Stellungen, Bewegungen, den Einsatz von Händen
und Füßen, Atmung, Ruhe, Sicherheit, Rhythmus, Kampfgeist, Entschlossenheit,
Koordination, Kondition, Kraftentwicklung, Gleichgewicht und andere Fähigkeiten und
Fertigkeiten zu entwickeln. „In der Kata gibt es niemals einen ersten Angriff. Ihr System
findet in der Verteidigung ihre Bedeutung und Anwendung“ (Schlatt 1999, S.27).
Die Anwendung der Kata im Kampf mit Partnern oder Gegnern, die Bedeutung der
Technikabläufe und deren Inhalte bezeichnet man als Bunkai. Kata dient also der
„grundlegenden Ausbildung der Technik, dem Erkennen der tieferen Bedeutung von
Geist und Energie der Technik und der Meisterschaft der äußeren und inneren Prinzipien“
(Schlatt 1999, S.27). Die Kata sind somit auch mit esoterischen Inhalten gefüllt.
Diese gehen stark im heutigen Sportkarate verloren und sind oft vollkommen
verschwunden. Zu den Inhalten des Sportkarate wird an späterer Position Stellung
genommen. Kata beginnt und endet grundsätzlich mit einer Verbeugung. Jede Kata
hat ein bestimmtes Schrittdiagramm (japanisch = Enbusen oder Embusen), das genauer
bezeichnet „Linie der kriegerischen Übungen oder Schrittlinie bei Kata“ bedeutet
(vgl. Schlatt 1999, S.157). Es gibt drei wesentliche Kriterien der Kata. Diese sind
einmal die starke und weiche Anwendung der Kraft, je nach Bedeutung der Bewegung,
der Technik und deren energetischen Aspekten. Zum Zweiten ist es die exakte
Ausführung langsamer und schneller Techniken, das Einblicke in den Kampfrhythmus
bietet und die Anwendung der Techniken als Kombinationen im Selbstverteidigungsfall
andeutet. Und zum Dritten ist es die korrekte An- und Entspannung des
Körpers (der Skelettmuskulatur), was ein Element einer korrekt ausgeführten Technik
20
ist (vgl. M. Tanaka 2001, S.22; Schlatt 1999, S.23, S.200). Gleichzeitig müssen die
Bewegungen genau ausgeführt werden. Das richtet sich unter anderem nach dem
Grad der Bewegungsamplitude der auszuführenden Techniken. Diese sind entweder
groß (japanisch Dai) oder klein (japanisch Sho). In den verschiedenen Kata entstehen
dadurch bestimmte Bewegungsmuster und Bewegungsbilder (optisch), die entweder
groß oder klein aussehen. Danach wurden einige Formen benannt, die in ihrer
Struktur sonst sehr ähnlich sind und denselben Ursprung haben. Weiterhin sind die
Beachtung der Schwerpunktlage des Körpers, die Vorbereitung des Kampfgeistes
(innere Einstellung / Bereitschaft) und die Hinwendung des Blickes in die Richtung
des imaginären Gegners wesentliche Elemente der Kata. Das alles hilft dem Karateka
die richtige Position einzunehmen, sowohl physisch als auch psychisch betrachtet,
um genug Kraft und Balance für eine Abwehr- und gegebenenfalls eine Kontertechnik
zu entwickeln. Kata ist zusammengefasst eine Aneinanderreihung bestimmter
Techniken, mit dem Ursprung den Gegner mit einem Schlag, Stoß, Tritt oder einem
bestimmten Druck zu töten (Ikken Hisatsu), mit dem Ziel der Perfektionierung
der Technik und dem Erkennen seiner selbst. Kata verlaufen in geometrischen Mustern
und beginnen und enden am selben Punkt. Der Sportwissenschaftler Horst
Handel, der intensiv in Japan Karate studierte und eine Lehrtätigkeit im Lehramt der
Trainerakademie in Köln ausübte, sowie Bundestrainer des Deutschen Karate-
Verbandes ist und Buddhismus in Klöstern von Indien, Nepal, Hongkong, Japan und
Deutschland studierte, beschreibt folgende Kataschwerpunkte: Der erste Schwerpunkt
ist „die Erhaltung oder Wiedergewinnung des äußeren und inneren Gleichgewichts
des eigenen Egos aufgrund der esoterischen Bewegungsinhalte, wie Atem-,
Geistes- und Ki-Kontrolle“ (Ki als Lebensenergie). Der zweite Schwerpunkt ist „die
Entwicklung der Fähigkeit Angriffe abzuwehren oder zu neutralisieren“ und dazu die
Ausnutzung der kämpferischen Aspekte, die gegnerischen Vitalzentren mit Tritt-,
Schlag- oder Stoßtechniken negativ zu beeinflussen, um somit den Gegner zu besiegen“
(vgl. H. Handel 1997, S.215). Kata zu trainieren zeigt die Bereitschaft zum
Kämpfen, mit dem Bewusstsein zu sterben, um gleichzeitig jeden Moment des Übens
mit voller Hingabe zu genießen, so als ob es der Letzte wäre. Kata wird als die
Seele des Karate-do bezeichnet und beinhaltet das gesamte Konzept des Karate,
was in dieser Arbeit noch deutlich herausgestellt wird. Es werden Grundtechniken
und die Anwendung dieser Techniken im Kampf trainiert. Diese Elemente wurden im
Verlauf der Entwicklung des Karatetrainings aufgegriffen und verfeinert. Aber Grundtechniken
und Kämpfen (Kumite) waren keine Inhalte des Trainings vor dem 19./20.
Jahrhundert. Das wird an späterer Stelle näher aufgegriffen. Kata können somit als
eine der ersten Systematisierung der Kampfkunst Karate angesehen werden und waren
die Hauptmethode des Karate-Trainings (vgl. R. G. Hassel 1998, S.30). Durch
die genaue Ausübung einer Kata wird die Tradition und die Identität des klassischen
Karate bewart. Gleichzeitig wird Karate durch dieses traditionelle Üben weiterentwickelt,
denn die Interpretation der Techniken ist frei und deren Anwendung im Kampf
individuell verschieden. „Dadurch geht der Bezug zur lebendigen Entwicklung nicht
verloren“ (Binhack, Karamitsos 1997, S.75). Kata muss gelebt werden, das wird
durch die Überzeugung des Übenden während der Kata deutlich, besonders wenn
die Kata gekämpft wird, als ginge es um Leben und Tod. Ein weiterer Aspekt, der
heute nur noch selten als Ziel der Übung gewählt wird, ist die Meditation in der Bewegung.
Ähnlich wie Tai-Chi kann auch Karate als Meditationsform ausgeführt werden.
Der Sinn besteht darin, die Übung einzig für das Üben auszuführen, um sein Inneres
vollkommen leer zu machen. Das impliziert auch das Schriftzeichen Kara, das
mit Leere übersetzt wird. Das Prinzip der inneren Ruhe wird hier deutlich, denn ein
guter Kämpfer soll innerlich ruhig sein, wenn er äußerlich bewegt ist und andersher-
21
um. Zusammengefasst können physische und übergreifende Ziele des Katatrainings
festgestellt werden. Physische Ziele sind die Aneignung der Techniken, Stärkung der
Muskeln, Sehnen, Bändern, Knochen, des Organsystems, des Herzkreislaufsystems
und des Atmungssystems, Maximierung der Effektivität der eigenen Biomechanik
und die Entwicklung schneller Reflexe und Bewegungen bis zur Fähigkeit in realistischen
Situationen zur Selbstverteidigung fähig zu sein. Übergreifende Ziele sind die
Verbindung von Körper, Geist und Seele (die Definition soll an dieser Stelle offen
bleiben, denn das Wahrnehmen von Geist und Seele ist vielfältig und kann derzeit
nicht genau festgestellt werden), Höflichkeit, allgegenwärtige Wachsamkeit, das Energiezentrum
(japanisch Hara, das im Unterbauch liegt und Sammelort der Lebensenergie
ist) zu entwickeln und als Quelle der Kraft zu nutzen. Katatraining und die
Anwendung der Kata in Selbstverteidigungssituationen war vor dem letzen Jahrhundert
die einzige Trainingsmethode im Karate (vgl. R. G. Hassel 1998, S.29/30). Zusätzlich
wurden Körperabhärtungsübungen ausgeführt, um schmerzunempfindlich zu
werden und sowohl die Verteidigungs- als auch die Angriffstechniken zu verstärken.
Es wurde trainiert, bis die Arme und Beine angeschwollen waren, bis die Knöchel der
Faust bluteten und hunderte Male gegen ein Schlagpfosten geschlagen worden war.
Das Schlagpolster wird japanisch Makiwara genannt. Auf dem Bild ist eine Variante
abgebildet. Es sind viele Geschichten überliefert, in denen von fast übermenschlichen
Trainingsmethoden gesprochen wird. So trainierte z. B. ein
Meister der okinawanischen Selbstverteidigung seine Standfestigkeit auf
dem Dach seines Hauses, wenn ein Taifun über die Insel hinwegfegte. In
seinen Händen hielt er eine Tatami-Matte (Strohmatte). Sein Ziel war es
seine Standfestigkeit zu steigern, seine Technik zu perfektionieren, seinen
Körper und seinen Geist zu trainieren, indem er gegen schwierigste
Umstände anging (vgl. Funakoshi Gichin 1993, S. 72-74). Ob diese und
ähnliche Geschichten der Wahrheit entsprechen oder nicht, ob vielleicht
ein Teil Wahrheit in ihnen liegt oder nicht kann nicht empirisch nachgewiesen
werden. Deshalb werden sie als Trainingsmethoden der früheren
Karateentwicklung in dieser Arbeit nicht in Betracht gezogen. Im Gegensatz
zu diesen Geschichten ist aber streng überliefert, dass in früheren
Zeiten des Karate der Grundsatz galt für eine Kata drei bis vier Jahre täglichen
Trainings zu absolvieren, um sie zu meistern (vgl. A. Pflüger 1995, S.20; W.
Lind 1997, S.278). Das heißt, dass erst nach mindestens drei Jahren intensiven
Trainings eine neue Kata gelernt werden durfte. Und das nur, wenn der Meister die
erlernte Kata als gut genug beurteilte und den Schüler als bereit anerkannte. Das
wird von vielen Schriftstellern zum Thema des Karate belegt, wie zum Beispiel von
W. Lind, Funakoshi Gichin, Schlatt, E. Karamitsos, Okazaki, H. Handel, Binhack, u.a.
„Dieses dauernde Wiederholen eines einzigen Kata war grausam, brachte einen oft
zur Verzweiflung und war manchmal erniedrigend. Mehr als einmal ging ich dabei zu
Boden. Aber das Training war hart, und es wurde mir nie erlaubt mit einem anderen
Kata zu beginnen, bevor Azato nicht überzeugt war, dass ich jenes, an dem ich gerade
arbeitete, zufriedenstellend verstanden hatte“ (F. Gichin 1993, S.25). Ganz allgemein
kann gesagt werden, dass ausschließlich die Dauermethode verwendet wurde.
Mit fortschreitender Entwicklung im Karate wurden verschiedenste neue Varianten
des Übens ins Training integriert. Ein wesentlicher Punkt zur Erweiterung des Karate
war die Aufnahme verschiedener Kata. Die geschichtlich überlieferte Anzahl der
geübten Kata eines Meisters reicht von drei bis fünf. Mehr konnten nicht in einem
Leben gemeistert werden (vgl. W. Lind 1997, S.278). Diese Zahl wurde von Funakoshi
Gichin auf fünfzehn Kata erhöht. Die fünfzehn Kata sind folgende (vgl. H. Han-
22
del 1997, S.217; Schlatt 1999, S.23-45; A. Pflüger 1995, S.21-81; W. Lind 1997,
S.278):
Japanische Bezeichnung Deutsche Übersetzung
1) Heian Shodan Friedvoller Geist 1
2) Heian Nidan Friedvoller Geist 2
3) Heian Sandan Friedvoller Geist 3
4) Heian Yondan Friedvoller Geist 4
5) Heian Godan Friedvoller Geist 5
6) Tekki Shodan Eisenreiter 1
7) Tekki Nidan Eisenreiter 2
8) Tekki Sandan Eisenreiter 3
9) Bassai Dai Sturm auf die Festung (mit großen Bewegungen)
10) Kanku Dai Blick in den Himmel (mit großen Bewegungen)
11) Hangetsu Halbmond
12) Empi Flug der Schwalbe
13) Jitte Zehn Hände
14) Jion Liebe und Gnade
15) Gankaku Kranich auf dem Felsen
Die Heian Kata dienen der Ausbildung der Kyu-
Grade (Schülergrade).
(Die Abbildung rechts zeigt eine schematische
Darstellung der Kata Heian Shodan, die
zeilenmäßig von links nach rechts zu lesen ist.
Hier wird die Schwierigkeit der Entschlüsslung der
klassischen Anwendung deutlich, da Bewegungen
nicht eindeutig nachzuvollziehen sind.)
(Quelle: A. Pflüger, 25 Shotokan-Katas, S.24/25)
Die Tekki-Kata dienen der Herausbildung eines guten
Standes und der Verbindung von Technik und
Stand, es wird Krafterzeugung durch Hüftvibration
geschult.
Bassai und Kanku dienen dem Training der Technikvielfalt.
Hangetsu dient der Entwicklung bewusster Atmung
und körperlicher Stärke, durch konzentrierte
An- und Entspannung der Skelettmuskulatur.
Die Kata Empi dient der Entwicklung von Hüftbeweglichkeit, dem Üben von Ausweichbewegungen
und dem Training von Schnelligkeit. Jitte dient der Ausbildung
grundlegender Abwehrprinzipien und dem Herausbilden exakter Muskelarbeit in der
Abwehr, verbunden mit dem Energiefluss und dem Stand. Jion schult einen geradlinigen,
direkten Kampfstil, mit starken Techniken ohne zurückzuweichen. Gankaku
schult den Gleichgewichtssinn, die Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart (Zanshin), die
Antizipationsfähigkeit oder Vorausnahme (Yomi), das Timing, das Ausnutzen einer
Chance (Suki) und andere psychologische Aspekte des Kämpfens.
Im 20. Jahrhundert wurden diesen 15 Kata weitere 12 hinzugefügt, teilweise von Funakoshi
Yoshitaka (vgl. H. Handel 1997, S.217; Schlatt 1999, S.23-45; A. Pflüger
1995, S.21-81):
23
Japanische Bezeichnung Deutsche Übersetzung
16) Bassai-Sho Sturm auf die Festung (mit kleinen Bewegungen)
17) Kanku-Sho Blick in den Himmel (mit kleinen Bewegungen)
18) Chinte Seltene Hand
19) Nijushiho Vierundzwanzig Schritte
20) Wankan König und Krone
21) Meikyo Heller Spiegel
22) Sochin Stärke und Ruhe
23) Ji’in Liebe und Schatten
24) Taikyoku Grundlagenkata – Kata des Universums
25) Goju shi ho Dai Vierundfünfzig Schritte (mit großen Bewegungen)
26) Goju shi ho Sho Vierundfünfzig Schritte (mit kleinen Bewegungen)
27) Unsu Wolkenhände oder Wolken und Wasser
Die Vielzahl der Kata soll eine große Variabilität der Techniken gewährleisten und eine
große Bewegungsvielfalt ermöglichen. Das Erlernen der Kata ist bis zu einem
gewissen Grad festgelegt und systematisch vorgegeben. Das garantiert eine grundlegende
Ausbildung der Techniken, wie Stände, Bewegungen, Arm- und Beintechniken
u.a. Die Kata werden in verschiedene Gruppen geordnet. Dabei unterscheidet
man Shorin-ryu und Shorei-ryu. Shorin ist die japanische Sprechweise für Shaolin
und bezieht sich, wie schon erwähnt, auf die Kampfstile der Städte Shuri und Tomari.
Die Techniken des Shorin-ryu passen gut zu kleinen, leichten Menschen, die Bewegungen
sind schnell und die Atmung ist natürlich. Diese Kata sind nicht so kraftvoll
wie die des Shorei-ryu. Shorei-ryu wird das Kampfsystem der Stadt Naha genannt.
Es ist weniger mobil als der Shorin-ryu, dafür werden kraftvolle Techniken, oft langsame
Bewegungen und besonders die Atmung betont. Shotokan-Karate beinhaltet
sowohl Formen des Shorei-ryu als auch Formen des Shorin-ryu. Die Einteilung der
Kata ist wie folgt vorgenommen worden (vgl. W. Lind 1995, S.91; A. Pflüger 1995,
S.17):
Shorin-ryu: Heian Shodan – Godan, Bassai-Dai, Kanku-Dai, Empi, Gankaku, Basai-Sho,
Kanku-Sho, Chinte, Nijushiho, Unsu, Goju shi ho Dai / Sho, Jion,
Jitte, Ji’in, Meikyo, Wankan, Empi, Sochin, Unsu;
Shorei-ryu: Tekki Shodan, Tekki Nidan, Tekki Sandan, Hangetsu, Jion, Jitte, Sochin.
Einige Kata lassen sich sowohl zu den Shorin- als auch zu den Shorei-Kata zuordnen,
da sie einerseits kraftvolle, dynamische und andererseits schnelle, agile Techniken
und Bewegungen beinhalten.
Die tausendfachen Wiederholung der Techniken, die jahrelangen Wiederholungen
nur einer Kata, die kämpferische Anwendung der Kata und die tausenden Schläge
zur Abhärtung der Körperteile am Schlagpolster (Makiwara) waren die ersten Trainingsinhalte
des Karate und wurden in Form der Dauermethode das ganze Leben
lang geübt. Der Lehrer gab sein Wissen darüber nur an ausgewählte Schüler weiter.
Hierbei gab es zwei Hauptgruppen: Soto-deshi und Uchi-deshi. „Soto-deshi“ bedeutet
„Äußerer-Schüler“. Das waren alle Schüler, die keine engere Bindung zum Lehrer
hatten und in der Kampfkunst nicht durch den Lehrer zum tieferen Verständnis kommen
konnten. Entweder trainierten sie nicht hart genug, zu hart oder nur um den
Körper zu stählen. Irgendetwas fehlte ihnen, um in das tiefere Verständnis des Karate
einzudringen. Doch es war dem Soto-deshi möglich ein Meister des Karate zu
werden, denn auch dieser Schüler entwickelte sich körperlich und geistig weiter. „Uchi-deshi“
bedeutet „Innerer-Schüler“. Diese Schüler lebten meist im Haus des Meisters
und hatten eine enge Beziehung zu ihm. Sie wurden direkt von ihrem Meister in
24
das tiefe Verständnis der Kampfkunst eingeweiht und meistens zu seinen Nachfolgern
ernannt. Zu Zeiten der Geheimhaltung der Kampfkunst waren Uchi-deshi fast
ausschließlich Verwandte. Sonst wurden nur Schüler Uchi-deshi, wenn sie einen reinen
Charakter hatten, mit Hingabe trainierten, ohne Widerworte alles Annahmen,
was der Meister sagte, sich selbst dabei aufgaben und mit größter Härte und Demut
an sich arbeiteten. Daran kann man erkennen, dass bestimmte Prinzipien im Lehr-
und Lernprozess befolgt wurden.
2.5) Didaktische Prinzipien
Um die Geheimhaltung der Kampfkunst zu wahren musste der Lehrer sicher sein,
dass die Schüler absolut vertrauenswürdig waren. Konnte er sich bei einem sicher
sein, nahm er ihn auf. Dieser unterwarf sich einer absoluten Hierarchie und musste
dem Lehrer und den fortgeschrittenen Schülern gehorsam sein. In den asiatischen
Ländern stellte das keine Schwierigkeit dar, denn die Gesellschaft war absolut hierarchisch
aufgebaut. Japan war hierbei ein Extrem, denn das Kämpfen oblag der
Samurai-Klasse und dem Adel. Sie lebten nach dem Kodex des „Bushido“, dem
„Weg des Kriegers“. Wer diesem Weg folgte wurde schon in der Kindheit zu absolutem
Gehorsam dem Lehrer und Herren gegenüber erzogen. Samurai bedeutet nicht
nur Krieger, sondern auch Dienender. So wurde alles hingenommen, nichts hinterfragt
und kein Schüler bildete sich eine eigene Meinung, bis er nicht selbst Meisterschaft
in den Künsten erlangt hatte. Diese absolute Hingabe, das Fehlen von Erklärungen
und das Hinnehmen auch unverständlicher Inhalte sind bei Menschen der
westlichen Welt fast völlig ausgeschlossen. Hier gilt jemand, der sich nicht erklärt
und sein Handeln und Lehren nicht erläutert, als inkompetent und nicht fähig zu unterrichten.
Es könnte das Fehlen didaktischer Kompetenz diagnostiziert werden. Das
ist sicherlich entwicklungsbedingt und der wissenschaftlichen Betrachtungsweise und
Analyse zur Erkenntnis der Dinge und Zusammenhänge der Welt zuzuordnen. Diese
Unterschiede machen das Verstehen des ursprünglichen Karate, sowohl im klassischen
Training als auch im Verständnis, des oben erläuterten Hintergrundes für Menschen
der westlichen, analytischen und rationell erklärenden Zivilisation beinahe unmöglich.
Doch Einblicke in die Geschichte der Kampfkunst und die Betrachtung didaktischer
Prinzipien können das Verständnis erhöhen. Die didaktischen Prinzipien
und die didaktischen Methodiken erleichtern das Training in Hinsicht auf den Lern-
und Lehrprozess. Sie wurden aus den philosophisch traditionellen Verhaltensregeln
erarbeitet und weiterentwickelt. Dabei ist ein Punkt die Bezeichnung: „Karate-do“. Do
beschreibt den Weg, der lebenslang verfolgt wird und mit einem Schritt beginnt. Dieser
eine Schritt und die Länge des Weges, bis zum Lebensende, bedeuten das Üben
von Klein zu Groß und das stetige Wiederholen der Grundlagen. Das ist ein wichtiges
didaktisches Prinzip. Der Weg wird in drei Hauptetappen gegliedert. Diese sind
traditionell überliefert und stellen drei didaktische Prinzipien und insgesamt eine didaktische
Methode dar. Die traditionellen Wegetappen werden „Shu – Ha – Ri“ genannt
(vgl.: W. Lind 1995, S.101; A. Pflüger 1995, S.20; Schlatt 1999, S.165). „Shu“
wird mit „befolgen“ oder „einhalten“ übersetzt und heißt die Einhaltung aller Regeln
und deren duldsame Befolgung ohne Eigenwillen. Hier steht das Erlernen von Techniken
und Bewegungsabläufe im Vordergrund, ohne Verfälschung und genau so, wie
es der Lehrer unterrichtet. Shu ist die erste Wegetappe und wird als Basis der nächsten
Etappen betrachtet. „Ha bedeutet die Ketten der Tradition zu brechen, seine eigene
Entwicklung zu suchen“ (A. Pflüger 1995, S.20). „Ha“ wird mit „zerreißen“ oder
„zerbrechen“ übersetzt. Dies ist die zweite Wegetappe und wird als „Befreiung aus
der Formgefangenheit“ (W. Lind 1995, S.101) oder als die „Auseinandersetzung mit
25
der Problematik und die Befreiung vom System durch Niederreißen der äußeren
Form“ (Schlatt 1999, S.165) bezeichnet. Normen und Konventionen werden hinterfragt,
um dem System eigene Inhalte zu geben. „Ri“ wird mit „trennen“ oder „entfernen“
bezeichnet. Es ist die erlangte Meisterschaft und Reife durch Trennung vom
leitenden System. „Ri bedeutet, sich von all dem Bisherigen zu entfernen und einen
übergeordneten Standpunkt finden“ (A. Pflüger 1995, S.20). Diese Methode und ihre
Prinzipien sind heute noch gültig. Doch der Übergang von der ersten Etappe zur
zweiten Etappe erfolgt meist zu früh. Die grundlegenden Techniken sind erst in der
Grobform entwickelt und nicht genug gefestigt. Das ist der Versportlichung des Karate
anzulasten. Auf diesen Punkt wird genauer eingegangen, wenn die Interviews
ausgewertet werden.
Die didaktischen Prinzipien wurden immer weiterentwickelt. Grundsätzlich gelten die
Richtlinien: vom Leichten zum Schwierigen, vom Bekannten zum Unbekannten, vom
Einfachen zum Komplexen und vom Universellen zum Speziellen. Funakoshi Gichin
entwickelte ein Graduierungssystem zur Sicherstellung der Entwicklung einer soliden
Basis. Das bezieht sich auf Grundtechniken (Kihon), Kata und Kumite (Kampf). Dieses
System ist ein Modulsystem, das in Schülergrade und Meistergrade untergliedert
ist und sich genau an die oben genannten Richtlinien hält. Es stellt gleichzeitig ein
Prüfungssystem dar, um den Schüler Bestätigung seiner erreichten Fertigkeiten und
Fähigkeiten zu geben oder bei Versagen zu verweigern. Da es verschiedene Verbände
gibt, die Shotokan-Karate verbreiten, aber unterschiedliche Zielstellungen verfolgen,
gibt es auch verschiedene Prüfungsordnungen. Alle Prüfungsordnungen sind
nach den didaktischen Prinzipien aufgebaut und stellen eine didaktische Methode
zum Erlernen des Karate dar.
2.5.1) Didaktisches Leitkonzept im DKV
Im Deutschen-Karate-Verband e.V. gelten folgende Prinzipien für das
Shotokan-Karate (vgl. Handbuch des DKV e.V., S.150-168; Endgültige
Fassung vom 18.4.98):
Vorwort zur Prüfungsordnung:
Die Prüfungsordnung gliedert die Trainingsinhalte in der Entwicklung eines Karatekas
vom Anfänger bis zum Meister und die Prüfungskriterien zu den verschiedenen
Schüler- und Meisterprüfungen. Durch langfristiges und beständiges Training soll der
Übende, gleichzeitig mit der körperlichen Ausbildung, den verantwortungsbewussten
Umgang mit Partnern im Karate erlernen. Dazu dienen die Regeln und die Etikette
des Karate-Do, die unverzichtbare Bestandteile des traditionellen Shotokan-Karate
wie auch dieser Prüfungsordnung sind. Die unterschiedlichen Übungsformen von
Grundschule, Partnertraining und Kata bieten dem Karateka eine solide Ausgangsbasis
für das breite Spektrum des Karate. Die Prüfungsordnung ist in vier Gruppen
aufgeteilt. In jeder Gruppe werden besondere Schwerpunkte in der Ausbildung gesetzt.
Es sind dies:
Unterstufe 9. - 7. Kyu
In der Unterstufe erlernt der Prüfling die Grundform der einzelnen Techniken. Den
Abschluss dieser Stufe bildet der 7. Kyu, der den Übergang zur Mittelstufe vorbereiten
soll. Prüfer und Prüfling achten vor allem auf sichere Stände, korrekte Techniken
und Ausholbewegungen. Die aufrechte Haltung des Oberkörpers ist ein wichtiges
Merkmal. Die Prüflinge zum 7. Kyu müssen bereits gute Ansätze von innerer und
äußerer Spannung (Kime) zeigen. Im Kumite und im Kumite aus Kamae (Kampfhal-
26
tung) sind die kontrollierte Ausführung der Techniken und die richtige Distanz beider
Partner besonders zu beachten. In der Kata sind sowohl korrekte Abläufe, die beim
7. Kyu bereits Rhythmus erkennen lassen, als auch ein Verständnis der Hintergründe
der Techniken in der Kata gefordert. Die Selbstverteidigung ist ein natürlicher Bestandteil
des Karate. Das Erlernen der Sportart soll den Karateka zur Selbstbehauptung
und zur Selbstverteidigung befähigen. Dieses Lernziel muss bei der Ausbildung
berücksichtigt werden, wird jedoch nicht als zu prüfender Teil in die Prüfungsordnung
aufgenommen.
Mittelstufe 6. - 4. Kyu
Die Grundtechniken, die jetzt häufig in Kombinationen gezeigt werden, sollen sich
von der Grundform zur Feinform entwickeln. Bei der Ausführung der Kombinationen
ist wichtig, dass sich die Qualität der Einzeltechnik nicht verschlechtern darf. Besonderer
Wert wird auf folgende Merkmale gelegt: Bewegungsrhythmus, bewusster
Hüfteinsatz, Standfestigkeit, Atemtechnik und Kime. Im Kumite und im Kumite aus
Kamae (Kampfhaltung) müssen sich die technischen Fertigkeiten in Bewegungsvielfalt,
Kampfgeist und Kontrolle ausdrücken. Der Respekt vor der Gesundheit des
Partners ist einer der Eckpfeiler des fortgeschrittenen Karatekas! In der Kata soll sich
das fortgeschrittene Können des Prüflings sowohl im Verständnis (Bunkai) als auch
in der Flüssigkeit (Rhythmus) des Vortrages zeigen. Alle bis zu der jeweiligen Graduierung
erlernten Kata gehören mit zum Prüfungsstoff.
Oberstufe 3. - 1. Kyu
Die Grundschule der Oberstufe zeichnet sich durch eine Vielzahl schwieriger Kombinationen
aus. Dabei sind Qualitäten in den Einzeltechniken, Rhythmus in den Verbindungen,
Standfestigkeit und nicht zuletzt Ausdauer zu zeigen. Sie spiegelt den
Fleiß und die Intensität des Trainings wieder. Im Kumite werden sowohl das Jiyu-
Ippon- Kumite (Freier-Einpunkt-Kampf) als auch der Freie Kampf (Jiyu Kumite) geprüft.
Beides stellt höchste Anforderungen an den Prüfling. Nur wer exakte Technik
mit Kampfgeist und Kontrolle paart, erfüllt die hier gesetzten Anforderungen. Sieg
oder Niederlage ist beim Jiyu Kumite nicht prüfungsentscheidend. In Kata und im
Bunkai muss der Prüfling ein fortgeschrittenes Verständnis des Zusammenhangs von
Kata und sinnvollen Anwendungen zeigen können. Alle bis zu der jeweiligen Graduierung
erlernten Kata gehören in der Oberstufe mit zum Prüfungsstoff.
Dan - Grade
Dan sein heißt Vorbild sein! Bezogen auf die innere Reife, die sich auch in den
Techniken ausdrückt, führt der Prüfling seine Ausbildung fort. Erlaubt der Prüfer eine
Graduierung ohne diese Reife, dient dies weder dem Prüfling noch dem Karate. In allen
Prüfungsteilen muss der Prüfling eine vorbildliche Haltung und Ausführung zeigen
können, um sich als Meister gegenüber den Schülern deutlich zu unterscheiden.
Dies drückt sich auch in dem schwindenden Anteil praktischer Prüfungsteile der höheren
Dan-Grade aus. Die folgenden Grundsätze sind bei den Prüfungen der Grundschule
(Kihon) zu beachten: Alle Keri-Techniken (Tritttechniken) werden grundsätzlich
(wenn nichts anderes vorgeschrieben ist) jodan (Kopfhöhe) ausgeführt. Dabei
sind die körperlichen und altersbedingten Gegebenheiten zu berücksichtigen und
dadurch Ausführungen in einer anderen Stufe möglich. Armtechniken werden grundsätzlich
(wenn nichts anderes vorgeschrieben ist) chudan (Oberkörperhöhe) ausgeführt.
27
Methodisch-didaktische Aspekte
Bei der Gestaltung des Trainings sind folgende methodisch-didaktischen Aspekte zu
berücksichtigen:
• Theoretische Inhalte sollen nicht isoliert wissenschaftliche Erkenntnisse enthalten,
sondern direkten Bezug zur Praxis haben, ggf. in praktische Übungen integriert werden.
„Praxis“ bedeutet dabei nicht unmittelbar die eigene Bewegungsdemonstrationsfähigkeit
des/der Lehrenden, sondern Handlungsmodelle zur Planung und Vermittlung
von Bewegungsangeboten sowie das Verhalten in Leitungs- und Betreuungsfunktionen.
• Die inhaltliche Ausrichtung des Trainings soll sich an den Erfahrungen und sportbezogenen
Situationen der Teilnehmenden orientieren. Wünsche und Interessen bei
der Planung und Gestaltung von Inhalten sind zu berücksichtigen, soweit konzeptionelle
Vorgaben dies zulassen.
• Bei der Auswahl der Lehrmethoden sind Grundsätze der Erwachsenenbildung zu
berücksichtigen. Informationsdarbietung und –verarbeitung sollten in einem angemessenen
Verhältnis zueinander stehen und durch Medien und Materialien unterstützt
werden.
2.5.2) Didaktisches Leitkonzept im SRD
Die Prüfungsordnung im Shotokan-ryu-in-Deutschland e.V. sieht
wie folgt aus (vgl.: www.shotokan-demmin.de):
Hintergrund von Prüfungen im Karate-do:
Prüfungen sind sowohl für die Schüler als auch für die Instruktoren da, so dass beide
sehen können, in welche Richtung die Entwicklung geht und welche Korrekturen gegebenenfalls
erforderlich sind. Bei der Vergabe der Graduierung muss das Verhalten
des Prüflings vor, während und nach der Prüfung miteinbezogen werden.
Man darf niemals vergessen, dass die Übung des Karate-do ein Leben lang andauert
und die Prüfung nur ein Teil auf diesem langen Weg darstellt. Der Einzelne sollte soviel
wie er nur kann trainieren. So wird er eines Tages die wahre Bedeutung von Karate-do
verstehen (Nakayama-sensei).
Anforderungen an die Vergabe der Kyu-Grade:
8. Kyu: Der Prüfling kann die einfachsten Techniken äußerlich ausführen
und anwenden.
7./6./5./4. Kyu: Diese Graduierungen erfordern ein gesteigertes Niveau technischer
und mentaler Fähigkeiten, die mit zunehmender Intensität vorgeführt
werden können.
3./2./1. Kyu: Der Prüfling muss nicht nur in der Lage sein die grundlegenden
Techniken effektiv auszuführen, sondern dies muss in einer gestei-
gerten inneren (mentalen) Sicherheit zum Ausdruck kommen.
Anforderungen an die Vergabe von Dan-Graden:
1. Dan: Auf diesem Niveau sollte der Prüfling in der Lage sein die grundlegenden
Techniken fokussiert kraftvoll auszuführen und anzuwenden. Grundlegende Kombinationen
müssen effektiv vorgetragen werden.
2. Dan: Der Prüfling sollte in der Lage sein alle grundlegenden Techniken und Kombinationen
auszuführen und auf die natürlichen Grenzen des eigenen Körpers Rücksicht
zu nehmen und diese auszugleichen.
28
3. Dan: Der Prüfling muss die den Techniken zugrunde liegenden Prinzipien verstanden
haben. Er muss in der Lage sein Techniken in sich verändernden Situationen
auszuführen und anzuwenden.
4. Dan: Der Prüfling sollte die Prinzipien des Körpereinsatzes in der Technik tiefgründig
verstanden haben und in der Lage sein diese zu unterrichten. Es ist erforderlich,
dass eine schriftliche Ausarbeitung zu einem speziellen Unterrichtsthema eingereicht
wird.
5. Dan: Die Forschung auf einem begrenzten Gebiet des Karate-Do sollte abgeschlossen
sein. Der Prüfling muss in der Lage sein, dass Thema zu erklären und zu
demonstrieren.
6. Dan: Aus einem eigenen Beitrag zu physischen und mentalen Aspekten des Karate-Do
sollte ein Nutzen zu Gunsten anderer abzuleiten sein.
7. Dan: Der Einzelne sollte fortgeschrittene Forschungen abgeschlossen haben und
in der Lage sein dies im praktischen Unterricht anzuwenden.
Das sind in grober Form die didaktischen Prinzipien dieser Verbände. Wie sie im
Speziellen umgesetzt werden und wie die Didaktik des Trainers im Unterricht ist kann
an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, denn das ist individuell verschieden. Aber
das Leitkonzept der didaktischen Prinzipien und Methodiken wird von allen angewandt.
Sie sind traditionell überliefert und mit neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen
erweitert worden. Mit der Erweiterung der didaktischen Prinzipien und Methodiken
änderten sich sowohl die Trainingsinhalte als auch die Trainingsmethodik im
Shotokan-Karate. Funakoshi Gichin sagte einst: „Die Zeiten ändern sich, die Welt
ändert sich, und die Kampfkünste müssen sich ebenfalls ändern.“ (R. Jakhel 2002,
S.167).
29
3) Die Weiterentwicklung der klassischen Trainingsmethoden
Bewegung heißt Veränderung. Karate ist Bewegung des Körpers und
des Geistes. Zwangsläufig verändert sich also auch Karate. Im
19./20. Jahrhundert, in Friedenszeiten, wurden dem Karatetraining
Kraftübungen mit und ohne Zusatzgewichte hinzugefügt. Klassische
Trainingsgeräte sind zum Beispiel das Makiwara, Nigiri-Game, Chishi,
Sunakama, Ishisashi oder das Makiage-Kigu (vgl. G. Lind 1998,
S.157-161). Das Nigiri-Game war ursprünglich ein Krug mit kleiner
vorspringender Öffnung. Dadurch konnte man ihn mit den Fingern
umfassen. Der Krug wurde mit Wasser oder Sand gefüllt, um die
Kraft der Finger und Hände zu steigern (siehe Abbildung). Das Chishi ist ein hammerähnliches
Gerät, das früher aus einem Stock und einem Stein bestand. Es dient
zur Stärkung der Greifkraft und der Handgelenke. Man kann es schwingen, heben,
stoßen u.a. Das Sunakama ist ein mit Sand, Kieselsteinen oder Eisenkügelchen gefüllter
Krug mit weiter Öffnung. Der Krug wird nicht angehoben, sondern man stößt
die Fingerspitzen und schlägt mit den Fäusten hinein, um sie abzuhärten. Das Ishisashi
ist ein rechteckiges Gewicht mit einem Griff. Es besteht aus Metall und kann
mit der Hand oder dem Fuß gehalten werden. Hiermit können genau die Muskeln
trainiert werden, die man für bestimmte Schlag- und Tritttechniken benötigt. Das Makiage-Kigu
ist ein Gewicht an einer Seilrolle. Die Greifkraft, die Handgelenke, die Unterarmmuskulatur
und die Schultermuskulatur werden hierbei trainiert. Das Gewicht
wird, mit nach vorn gestreckten Armen, nach unten und oben aufgerollt. Zusätzlich
wurden Hanteln, der Expander und mit Gewichten versehene Sandalen eingesetzt.
Heute werden spezifische Krafttrainingseinheiten durchgeführt, in denen Geräte wie
Gummibänder, Gewichtshandschuhe, Gewichtswesten u.a. eingesetzt werden. Außerdem
stehen Maschinen zur Verfügung, an denen einzelne Muskeln und Muskelgruppen
gezielt trainiert werden können. Die Weiterentwicklung der Kraftgeräte kann
in jedem Fitnesscenter betrachtet werden. Es gibt Geräte, wie den Zugturm, die Multipresse,
das Bankdrücken oder die Beinpresse u. v. m. Der richtige Einsatz dieser
Geräte kann das Karate-Training und die karatespezifischen Fertigkeiten optimieren.
Kraftübungen allein reichten nicht aus, um den Körper zu stählen. Es wurden Abhärtungsübungen
mit Partnern wieder aufgenommen, die „Kote-Kitae“ (G. Lind 1998,
S.162-164) genannt werden. Hierbei stehen sich die Partner in kurzem Abstand gegenüber
und führen gleichzeitig Abwehrtechniken aus. Sie treffen sich am Ende der
Bewegung und härten die jeweilige Körperstelle ab, an der und mit der sie treffen
oder getroffen werden. Weiterhin können auch Schläge und Tritte auf den Körper des
Partners ausgeführt werden, um die Schmerzempfindlichkeit zu verringern bzw. den
Körper abzuhärten. Diese Methoden der Konditionierung werden heute im Shotokan-
Karate kaum noch benutzt. Zusätzlich, zur Aufnahme dieser Methoden, wurde das
Karate durch das Streben der Japaner nach Leistungsvergleich methodisch beeinflusst.
Wie schon festgestellt wurde, entwickelten die japanischen Meister Karate
weiter, indem sie die klassische Methode „des-nur-Kata-Laufens“ neu systematisierten.
Aus der Kata wurden verschiedene Formen des Kämpfens extrahiert, dass japanisch
Kumite genannt wird. Damit wurde der Gedanke entwickelt einzelne Techniken
auszuführen und ein Grundtechniksystem geschaffen, dass japanisch Kihon bezeichnet
wird. Auf die Formen des Kumite und Kihon soll nun im Einzelnen näher
eingegangen werde.
30
3.1) Kumite - Kämpfen
Die heute bekannten Kumite-Arten wurden innerhalb von
5 Jahren, in der Zeit von ca. 1930 bis 1935, in Japan
entwickelt. Kumite ist die Übung des Kampfes mit einem
oder mehreren Partner/n. Wortwörtlich wird es „mit den
Armen umfassen“ oder mit „sich auf jemanden stützen“
übersetzt (vgl. Lind, Arnold und Schömbs 1995, S.37).
Dem reinen Katatraining wurden Kampfübungen
hinzugefügt. Im Kumite soll die technisch zweckmäßige
Sicht der Karatetechnik erfahren werden. Zuerst
entwickelte Funakoshi Gichin das Gohon-Kumite.
„Gohon-Kumite“ bedeutet „Fünf-Schritt-Kampf“. Dabei stehen sich zwei Partner gegenüber.
Der Angreifer wird Tori genannt, der Verteidiger Uke. Tori greift mit einer
Technik fünf mal an, die er vorher anzusagen hat. Uke verteidigt sich fünf Mal mit einer
Abwehrtechnik und kontert mit einer vorher festgelegten Technik nach der fünften
Abwehr. Das ist eine grundlegende Kumite-Form mit Absprache. Sie wird in den
meisten Schulen zuerst gelehrt, um Grundschultechniken mit dem Partner zu üben.
Allgemein dient sie der Entwicklung der richtigen Distanzeinschätzung. Daraufhin
wurde das Kihon-Ippon-Kumite entwickelt. Kihon bedeutet Grundtechnik und Ippon
Ein-Punkt. Zusammengesetzt ergibt das: „Grundtechnik-Ein-Punkt-Kampf“ oder
„Grundtechnik-Ein-Schritt-Kampf“. Tori greift nur einmal an, er macht nur einen
Schritt und sagt die Angriffstechnik vor der Aktion an. Uke verteidigt mit einer Abwehrtechnik
und kontert mit einer Angriffstechnik. In dieser Form werden verschiedene
Ausweichbewegungen mit richtiger Stellung zum Gegner erlernt, um eine Kontertechnik
an eine verletzliche Körperstelle zu setzen und die Abwehrtechnik optimal
auszuführen. Weitere Lerninhalte sind Atmung, Bewegungsrhythmus und Distanzbeherrschung.
Ist die gewählte Distanz für die Abwehr zu lang, so kann der Konter nicht
richtig angebracht werden. Gleichzeitig wird der Rhythmus zwischen Abwehr und
Konter, bezüglich der An- und Entspannung der eingesetzten Muskulatur, trainiert. Ist
der Rhythmus zu lang, so kann Tori eine neue Aktion ausführen. Die Bewegungsaktion
soll mit einer starken Stellung verbunden werden. Insgesamt kann die Effektivität
der Technik erhöht werden. Dazu müssen die Partner ständig konzentriert und aufmerksam
sein, um das Wahrnehmungsvermögen aufrecht zu erhalten und zu steigern.
Das, über die genannten Merkmale, hinausgehende Ziel ist die Entwicklung der
Fähigkeit „den angreifenden Gegner, auf kürzestem Weg, mit einer entscheidenden
Technik zu besiegen“ (vgl. W. Lind et al. 1995, S.55). Die Weiterentwicklung des Kihon-Ippon-Kumite
ist das Jiyu-Ippon-Kumite. Hierbei handelt es sich um den „Freien-
Ein-Punkt-Kampf“ oder „Freien-Ein-Schritt-Kampf“. Grundtechniken werden kämpferisch,
in halbfreier Form, geübt. Beide Partner stehen sich in einer frei gewählten
Kampfhaltung gegenüber. Tori bleibt nach seinem Angriff in der Grundschulhaltung
stehen, er muss jedoch vor seiner Aktion seine Angriffstechnik ansagen. Der Verteidiger
kennt die Angriffstechnik und kann seine Handlungen, Position und Distanz frei
bestimmen. Nach seinem Konter muss Uke in eine Kampfhaltung zurückkehren. „Eine
der wichtigsten Voraussetzungen dazu ist, dass der Schüler in der Lage ist, sich
unter Erhalt seines Gleichgewichts, frei zu bewegen, Distanzen zu beherrschen und
in seinen Techniken, trotz der freien Form, starkes Kime (innere und äußere Spannung)
zu entwickeln“ (vgl. W. Lind et al. 1995, S.103). Ein Ziel dieser Kumite-Form ist
das Erkennen einer Gelegenheit den Kampf zu seinem Vorteil zu entscheiden.
Diese drei Formen des Kämpfens wurden bis zum heutigen Tag weiter systematisiert
(vgl. W. Lind et al. 1995, S.37):
31
Yakusoku-Kumite: Jiyu-Kumite
1 Tanren-Kumite:
- Gohon-Kumite
- Sanbon-Kumite
2 Kihon-Kumite:
- Kihon-Ippon-Kumite
- Goshin-Kumite
- Kakie-Kumite
3 Yakusoku-Jiyu-Kumite:
- Jiyu-Ippon-Kumite
- Kaeshi-Ippon-Kumite
- Okuri-Ippon-Kumite
4 Oyo-Kumite
- Kata-Kumite (Bunkai)
- Happo-Kumite
32
1 Renshu-Kumite:
- Shizen-Kumite
- Tanshiki-Kumite
2 Shobu-Kumite:
- Kyogi-Kumite
- Shiai-Kumite
3 Jissen-Kumite:
- Goshin-Kumite
- Bogu-Kumite
Das Kumitesystem besteht aus zwei großen Klassen. Die erste Klasse ist das Yakusoku-Kumite,
das übersetzt abgesprochenes Kämpfen heißt. Die Absprache gilt für
den Angriff, die Abwehr, die Kontertechnik und auch für die Anzahl der Angriffe. „Yakusoku“
bedeutet „das Versprechen“ (vgl. W. Lind et al. 1995, S.52). Es wird in „Tanren-Kumite
(einfaches Kumite), Kihon-Kumite (Grundschulkumite), Yakusoku-Jiyu-
Kumite (halbfreies Kämpfen) und Oyo-Kumite (Kämpfen in mehrere Richtungen)“ unterteilt
(vgl. W. Lind et al. 1995, S.52). Das oben beschriebene Gohon- und auch
Sanbon-Kumite gehören zur Kategorie des einfachen Kämpfens. Der Unterschied
besteht darin, dass beim Gohon-Kumite fünf Mal (go = fünf) und beim Sanbon-
Kumite nur drei Mal (san = drei) angegriffen wird. Ziele dieser Kampfübungsformen
sind das Erlernen grundschulmäßiger Angriffs-, Abwehr- und Kontertechniken zu
verschiedenen Angriffsstufen. Angriffstufen sind Kopf, Bauch, Unterleib und untere
Gliedmaßen. Im Gohon- und Sanbon-Kumite wird am Anfang entweder zum Kopf
(Jodan) oder zum Bauch (Chudan) angegriffen. Mit fortgeschrittenen Fähigkeiten und
Fertigkeiten können die Übungen zu verschiedenen Angriffsstufen variiert werden.
Außerdem dient das Üben dieser Kumite-Formen dem Erlernen grundschulmäßiger
Bewegungen, also der Grobform von Basistechniken unter Anpassung der Distanz
zum Gegner. Dabei wird in leichten Schritten die Einschätzung der Distanz zum
Gegner in dreifacher Form, während des Angriffs, der Abwehr und des Konter erlernt.
Das Tanren-Kumite eignet sich hervorragend zur Herausbildung grundlegender
Fähigkeiten und Fertigkeiten, um zum freien Kämpfen zu gelangen. In der zweiten
Form des Yakusoku-Kumite, dem Kihon-Kumite, werden fortführende Kampfübungen
des Tanren-Kumite ausgeführt. Die Techniken sind auch hier vorher vereinbart und
werden in der Grundform ausgeführt. Die Distanzen sind vor dem ersten Angriff abzumessen.
Hierzu gehören das Kihon-Ippon-Kumite, das bereits erläutert wurde, das
Goshin-Kumite (Selbstverteidigungskampf) und das Kakie-Kumite (klebende-Hände-
Kampf). Im Goshin-Kumite werden Selbstverteidigungsaspekte aus einer oder mehreren
Katas geübt. Mit fortgeschrittenen Fähigkeiten und Fertigkeiten werden die Übungen
des Goshin-Kumite bis zur realitätsnahen Selbstverteidigung perfektioniert.
Hier wird nur mit einem Partner geübt. Im Kakie-Kumite werden „die Techniken der
Hakenhände“ vermittelt (vgl. W. Lind et al. 1995, S.102). Das beinhaltet ein Nahkampfkonzept
und wird erst von fortgeschrittenen Karatekas trainiert. Das Kihon-
Kumite enthält Konzepte für das Training von Karatetechniken in Bezug auf das Erlernen
des Kämpfens für realistische Selbstverteidigungsbedingungen.
Eine weitere Form ist das Yakusoku-Jiyu-Kumite, das Kämpfen in halbfreier Form.
Die Techniken erfolgen aus freier Bewegung, Distanz und Deckung. Es ist eine fortgeschrittene
Übungsform und stellt die Zwischenstufe des Grundschulkämpfens und
freien Kämpfens dar. Die Übenden müssen in der Lage sein, sich unter Erhalt des
Gleichgewichts, frei zu bewegen, die Distanz zu beherrschen und die Techniken,
trotz freier Form, stark auszuführen. Dadurch wird der Bezug zur praktischen Anwendung
deutlicher. Die Techniken müssen vor dem Ziel gestoppt, aber trotzdem mit
größtmöglichem Krafteinsatz ausgeführt werden. Außerdem lernt der Übende Gelegenheiten
zur Aktion zu erkennen und sofort zu nutzen. Jede Handlung bekommt
nun einen tieferen Sinn des Kämpfens. Es wird das Verhalten für den tatsächlichen
Kampf und für die Selbstverteidigung geschult. Hierzu zählen das oben beschriebene
Jiyu-Ippon-Kumite, das Kaeshi-Ippon-Kumite (Konter-Ein-Punkt-Kampf oder Erwidernder-Einschrittkampf)
und das Okuri-Ippon-Kumite (Kampfübung mit zwei aufeinanderfolgenden
Angriffen). Das Kaeshi-Ippon-Kumite dient der Übung, als Verteidiger
die Angriffsinitiative zu übernehmen und den Angreifer in die Verteidigungsposition
zu zwingen (vgl. Schlatt 1999, S.21). Dabei wird das Distanzgefühl und das Timing
eine Aktion zu vollziehen intensiviert. Noch immer wird die genaue grundschulmäßige
Bewegung betont. Da sich die Partner ständig bewegen liegt ein
Schwerpunkt, dieser Kumite-Form, auf den Fußbewegungen. Dadurch müssen die
Partner ständig ihre Distanz anpassen (vgl. W. Lind et al. 1995, S.122). Tori (Angreifer)
sagt jedoch nur noch die Stufe an, zu der er den Angriff ausführen wird. Seine
Technik ist frei wählbar. Nur wenn er mit einem Fußtritt angreifen will, muss er zusätzlich
die Technik genau bezeichnen. Beim Okuri-Ippon-Kumite führt Tori zwei direkt
aufeinanderfolgende Angriffe aus, „wobei der erste angesagt wird und der direkt
folgende zweite Angriff sich aus Situation und Distanz ergibt“ (vgl. Schlatt 1999,
S.21). Zu den oben genannten Elementen, die diese Kumite-Formen schulen, wird
hier die Reaktion und die Automatisierung der Techniken unter Stress hinzugefügt. In
der Systematisierung der Kumite-Formen ist das Oyo-Kumite als letzte Form des abgesprochenen
Kämpfens angeführt und bedeutet „Kampfanwendung“ (Schlatt 1999,
S.22) oder „Kampf in mehrere Richtungen“ (vgl. W. Lind et al. 1995, S.124). Das
Oyo-Kumite erfordert somit eine andere Art der Orientierung im Raum. Ist der Verteidiger
mit einem Gegner beschäftigt, muss er sich ständig bewusst sein, dass jederzeit
ein anderer Gegner, aus irgendeiner Richtung, angreifen kann. Hierbei soll der
Verteidiger die richtige Bewegung im Raum lernen, um sich in einer Situation gegen
mehrere Angreifer optimal verteidigen zu können. Die Wahrnehmung im Raum und
taktisches Verhalten werden geschult. Hierzu zählen das Kata-Kumite („Bunkai –
Das Üben von einzelnen Katasequenzen mit Partnern“; vgl. Schlatt 1999, S.20) und
das Happo-Kumite („Kampfübung in alle acht Richtungen gegen mehrere Gegner“;
vgl. Schlatt 1999, S.22). Kata-Kumite beinhaltet die Aufgliederung, Analyse und somit
das Studium von Shotokan-Karate, denn die Kata verschlüsseln das System eines
Kampfstils, das für Außenstehende, allein durch die Betrachtung einer Kata,
nicht erkennbar und erfassbar ist. Sie stellen „ein geschlossenes System eines Stils
dar, das für Nichteingeweihte unsichtbar ist.“ (vgl. W. Lind et al. 1995, S.125).
Kata-Kumite ist die Entschlüsselung ihrer kämpferischen Bedeutung. Eine Kata zu
verstehen bedeutet ihre Anwendung im Kampf zu verstehen. Hierbei werden die Angriffe
abgesprochen, um den Abwehr- und Angriffsbewegungen der gewählten Kata
einen Sinn zu geben. Das Happo-Kumite wird ähnlich ausgeführt. Hierbei steht ein
Verteidiger zwischen acht Gegnern, die in einer vorher festgelegten Reihenfolge und
mit vorher festgelegten Techniken angreifen. Die Abwehr und der Konter des Verteidigers
sind ebenfalls festgelegt. Es gilt hierbei den richtigen Zeitpunkt der Abwehr zu
bestimmen und eine exakte Bewegungsform zu wählen, um die Distanz zum Angrei-
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fer zu regeln. Gleichzeitig muss Uke in alle anderen Richtungen reagieren und agieren
können. Er entwickelt die Fähigkeit seine vorher festgelegte Abwehr- und Kontertechnik
optimal wirksam umzusetzen.
Die zweite große Klasse des Kumite ist das Jiyu-Kumite, das freies Kämpfen bedeutet.
Es wird in drei Hauptgruppen untergliedert, die aus dem „Renshu-Kumite (Übungskampf),
dem Shobu-Kumite (Wettkampf) und dem Jissen-Kumite (echter
Kampf)“ bestehen (vgl. W. Lind et al. 1995, S.130). Das freie Handeln gegen einen
Gegner, die Reflexe und die Entscheidung, bezüglich der eigenen möglichen Handlungen,
werden geschult. Voraussetzung, diese Art des Kampfes zu üben, sind eine
gute Grundschule, das Beherrschen verschiedener karatespezifischer Bewegungsformen,
Körperkontrolle, das Halten des Gleichgewichts, das Erkennen der eigenen
Möglichkeiten für eine Handlung, die Kenntnis der eigenen körperlichen und geistigen
Fähigkeiten und die Kontrolle der eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Fähigkeit
zur Regulierung psycho-physischer Handlungskomponenten, speziell auf die
Kampfkunst Shotokan-Karate bezogen, wird damit verändert und spezifisch optimiert.
Ist das Training richtig aufgebaut, wird sie in eine positive Richtung verbessert,
ist das Training schlecht aufgebaut und hat das Ergebnis eines Leistungsabfalls, so
wird sie in eine negative Richtung verändert. Allgemein kann gesagt werden, dass
die individuelle motorische Handlungsfähigkeit physische (stoffliche Energie) und
psychische (informationelle Energie) Voraussetzungen hat (vgl. Prof. Dr. H. Ilg 2000,
Lehrmaterialien Sportpsychologie, Uni-Greifswald). Das kann als subtile Energie beschrieben
werden, der drei Dispositionen zu Grunde liegen. Diese sind die Körper-,
Kompetenz- und Richtungsdisposition. Die Körperdispositionen sind trainierbar und
stellen allgemein die Kondition und Konstitution dar. „Der Begriff Kondition definiert
den physiologischen Energieaspekt für die spezifischen konditionellen Fähigkeiten
Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Beweglichkeit. Sie sind Ausdruck und Ergebnis
der aktiven Energieübertragung im Herz-Kreislauf- und Stoffwechselsystem (Ausdauer)
und in der Skelettmuskulatur (Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit). Der Begriff
Konstitution charakterisiert in einer weiten Begriffsbestimmung die organischen
Funktionssysteme und Körperproportionen, wie zum Beispiel das Stütz-, Muskelsystem,
Herzkreislaufsystem, Atmungssystem, Magen-, Darmsystem, Immun-, Hormon-
und dem Nervensystem“ (Prof. Dr. H. Ilg 2000, Lehrmaterialien Sportpsychologie,
Uni-Greifswald). Kompetenzdispositionen dienen dazu theoretische und praktische
Anforderungen mit guter Qualität und relativ selbstständig zu realisieren. Hierzu werden
die Kognition und die Koordination gezählt. „Die Kognition kennzeichnet alle
psychischen Prozesse, Inhalte und Strukturen, die der Informationsaufnahme, -
bewertung und –speicherung dienen. Kernstück der kognitiven Strukturen ist das
Repräsentationssystem. Es enthält den gesamten Abbild- oder Wissensbestand über
Gegenstände, Ereignisse der Umwelt und über den eigenen Körper (Objekt- oder
Sachwissen). Außerdem das Wissen über die Interaktion mit Gegenständen und
Personen sowie den Umgang mit sich selbst (Verfahrenswissen). Das Instrumentalsystem
gewährleistet sowohl die rein mentalen (intern-kognitiven) als auch alle gnostisch-praktischen
Operationen. Grundlage sind komplex-operative Handlungs-
/Aktionsprogramme und –schemata. Im Zentrum stehen Bewegungsvorstellungen
(OAS)“ (Prof. Dr. H. Ilg 2000, Lehrmaterialien Sportpsychologie, Uni-Greifswald).
„Der Begriff Koordination charakterisiert jene Komponente in der Struktur der Handlungsfähigkeit
und -bereitschaft, die vielfältige, gut koordinierte Bewegungshandlungen
in unterschiedlichen Anforderungssituationen gewährleistet. Konstituierende
Strukturelemente sind koordinative Grundmuster und –funktionen, allgemeine sowie
spezifische koordinative Fähigkeiten und ein disponibles Fertigkeitsrepertoire. Der integrativ-synthetisierende
Zusammenschluss aller Elemente erfolgt im Instrumental-
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system mit Hilfe entsprechender koordinativ-motorischer Aktionsprogramme und –
schemata. Im Zentrum stehen operative Abbildsysteme (OAS)“ (Prof. Dr. H. Ilg 2000,
Lehrmaterialien Sportpsychologie, Uni-Greifswald). Richtungsdispositionen sind Motivation,
Emotion und Volition. Nach Prof. Dr. H. Ilg 2000, Lehrmaterialien Sportpsychologie,
Uni-Greifswald, lassen sich diese Elemente wie folgt definieren: „Der Begriff
Motivation beschreibt Prozesse, Zustände und Strukturen, die im Ergebnis kognitiver
und emotionaler Bewertungen eine handlungsregulierende Wirkung haben. Der
Begriff Motivation bezieht sich auf die Gesamtheit von sinn- bzw. bedeutungsstiftenden
Handlungsargumenten. Motive stellen im Zusammenwirken mit den Bedürfnissen
und Handlungszielen eine psycho-dynamische Determinante in der Handlungsbereitschaft
dar, die Handlung auslöst, aufrechterhält oder auch verhindert. Der Begriff
Emotion meint alle psychischen (neurovegetativen) Erregungszustände bzw.
-muster, die an einer Informationsbewertung – bezogen auf eine Anforderung
und/oder Situation – gebunden sind. Emotionen üben auf die ablaufenden psychophysischen
Prozesse im Sinne einer psychodynamischen Wirkungsgröße eine Art
„Verstärkerfunktion“ aus. Der Begriff Wille (Volition) kennzeichnet die Qualität der
Komponente in der Handlungsstruktur, die Voraussetzung ist, um Anforderungssituationen
besonders beim Auftreten von Hindernissen, Schwierigkeiten oder Konflikten
entsprechend der konkreten Zielvornahme und Aufgabenstellung lösen zu können.
Willensprozesse in bewussten Handlungen haben eine Motivationsbasis des ZNS
und damit zur Aufmerksamkeit. Ausdruck von Willensqualitäten sind Persönlichkeitsmerkmale
wie Selbstkontrolle/Selbstwirksamkeit, Entschlossenheit/Mut und
Durchsetzungsvermögen/Anstrengung in Form von Willensstoßkraft (Mobilisierungs-,
Steigerungsvermögen) und Willenspannkraft (Zielstrebigkeit, Beharrlichkeit, Ausdauer).“
Durch das Üben gelingt es dem Karateka die genannten Komponenten unter
Berücksichtigung der Situationsanforderungen besser einzuschätzen und umzusetzen
(vgl. Prof. Dr. H. Ilg 2000, Lehrmaterialien Sportpsychologie, Uni-Greifswald).
Das Ziel des Trainings ist es, die psycho-physische Handlungsregulation so zu verändern,
dass sie optimal den jeweiligen Anforderungen des Shotokan-Karate entsprechen.
(Das kann an dieser Stelle nicht näher erläutert werden, denn es würde
den Rahmen dieser Arbeit sprengen.) Um das zu erreichen, ist die Übung des Renshu-Kumite,
Shobu-Kumite und des Jissen-Kumite unerlässlich. Das Renshu-Kumite
ist ein Übungskampf, der die Anwendung von grundschulmäßigen Techniken, Kombinationen,
Bewegungen und Handlungsmöglichkeiten mit dem Partner, in abgesprochener
oder freier Form beinhaltet. Beide Partner sollen harmonische Bewegungen
ausführen und dadurch die Situation gefühlsmäßig erfassen lernen. Die beiden
Hauptübungsformen sind dabei das Shizen- und das Tanshiki-Kumite. Shizen-
Kumite ist ein Übungskampf ohne festgelegte Regeln, wobei Greiftechniken, Befreiungstechniken,
Angriffe zu den Gelenken, Angriffe unterhalb der Gürtellinie und zu
gefährlichen Vitalpunkten ausgeführt werden. Um diese Kumite-Form zu üben, muss
die Technik in der Feinform automatisiert und variabel verfügbar sein. Gleichzeitig
muss ein hohes Maß an Kontrolle sowohl psychischer als auch physischer Komponenten
erreicht sein. „In dieser Form des Kampfes werden die Regeln durch die Verantwortung
der Übenden ersetzt“ (W. Lind et al. 1995, S.131). Tanshiki-Kumite ist eine
Form des Renshu-Kumite, bei der die Anzahl der zu übenden Techniken begrenzt
wird, um taktisches Verhalten zu schulen. Das Shobu-Kumite ist eine sehr beliebte
Übungsform, denn hier wird der Wettkampf trainiert. Es gliedert sich in Shiai-Kumite
und Kyogi-Kumite. Shiai-Kumite ist eine Übungsform zur Perfektionierung der Fähigkeiten
und Fertigkeiten, die für den Wettkampf benötigt werden. Hier gibt es ein festes
Reglement, um Verletzungen zu vermeiden. Die Anwendung gefährlicher Techniken
ist verboten und viele Techniken, die im Karate trainiert werden, sind nicht er-
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laubt. Die Anzahl der Techniken ist somit stark reduziert und begrenzt. Ebenso ist die
Trefferfläche eingeschränkt, Kopftreffer sind zum Beispiel untersagt. Halten, Nachtreten,
-schlagen u. a. sind nicht gestattet. Der Kampf wird in dieser Form zu einem
Wettbewerbsspiel (Shobu-Kumite) und verliert den ernsthaften Charakter. Aber es
lassen sich Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln, die der realen Anwendung der
Techniken im Selbstverteidigungsfall entsprechen. Das Kyogi-Kumite ist der Wettkampf
nach festen Regeln, mit Schiedsrichtern und Punkten, um einen Sieger festzustellen.
Das Gewinnen steht im Vordergrund. Diese Kampfform ist im klassischen
Karate verboten, da sie das Ego fördert und so nicht den Gedanken des Weges entspricht.
Karate dient der Überwindung des Selbst und dem Ablegen des Egos. Im
Wettkampf, um den Sieg nach Punkten, wird die Ebene der Selbstüberwindung verlassen
und das Streben nach „höher, schneller, weiter“ verfolgt. Das Ich rückt in den
Vordergrund und das Wetteifern nach Pokalen und Geld wird das Ziel der Übung.
Die Gedanken der Übenden des Shotokan-Karate gehen an diesem Punkt stark
auseinander. Das wird in der Auswertung der Interviews deutlich. Am Ende dieser
Systematisierung steht der echte Kampf, das Jissen-Kumite. Es handelt sich dabei
um die Simulation des echten Kampfes unter reellen Bedingungen. Der Kampf soll
mit einer Aktion entschieden werden. Der Gedanke des „Ikken Hisatsu“, „den Gegner
mit einem Schlag zu stoppen“, ist hier der entscheidende Entschluss, um den Kampf
zu beherrschen. Die Kontrolle der Übenden muss an die Perfektion heranreichen und
ein hohes Maß an Können voraussetzen. Die innere Haltung der Übenden muss
ernste Entschlossenheit, aber auch die Achtung der Gesundheit des Partners vereinen
und repräsentieren. Die innere Haltung muss sich in der äußeren Haltung widerspiegeln.
Die Handlungen der Übenden dürfen keine Abweichung der genannten Elemente
zulassen, um die Achtung vor dem Menschen zu wahren. Funakoshi Gichin
sagte hierzu: „Denke nicht darüber nach, wie du gewinnst, aber denke darüber nach,
wie du nicht verlierst.“ (W. Lind et al. 1995, S.133). Das Verlieren bezieht sich dabei
nicht nur auf den Kampf, sondern vielmehr auf die innere Haltung und Selbstkontrolle
der Übenden. Das Jissen-Kumite wird in Goshin- und Bogu-Kumite gegliedert. Beim
Goshin-Kumite sind alle Angriffs- und Abwehrtechniken in freier Form erlaubt und
fordert ein hohes Maß karate-spezifischen Könnens. Das Bogu-Kumite ist ein Kampf
mit Rüstungsschutz, um stark angreifen und kontern zu können, wodurch Techniken
für reale Anwendungen optimiert werden.
3.1.1) Psychische und Physische Bereitschaft
Die Systematisierung des Kumite ist ein wesentlicher Entwicklungsschritt zur methodischen
Aufbereitung des Trainings, um das Erlernen des freien Kämpfens zu optimieren,
zu erleichtern und zu verkürzen. Das Kumite unterliegt einigen wichtigen
Prinzipien, die im Folgenden genauer betrachtet werden sollen. Sie werde in Körperhaltung
oder physische Bereitschaft (Mi-Gamae) und Geisteshaltung oder psychische
Bereitschaft (Ki-Gamae) unterteilt (vgl. W. Lind et al. 1995, S. 38):
Mi-Gamae – physische Bereitschaft Ki-Gamae – psychische Bereitschaft
Ma-ai - Distanz Kihaku - Kampfgeist
Metsuke - Blick Sen - Initiative
Heiko - Gleichgewicht Yomi - Wahrnehmung
Hyoshi - Rhythmus Zanshin - Geistesgegenwart
Kokyu - Atmung Kikai - Gelegenheit
Waza - Technik
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3.1.1.1) Mi-Gamae – Physische Bereitschaft
Die physische Bereitschaft (Mi-Gamae) ist in verschiedene Komponenten gegliedert
und wie folgt gekennzeichnet:
Ma-ai bedeutet nicht nur Distanz, sondern auch Zeitraum zwischen zwei Dingen,
Bewegungen, Räumen oder Momenten. Das Konzept des Ma-ai beinhaltet die Verbindung
von Raum und Zeit und damit die Kontrolle über alle im Kampf auftretenden
Situationen (vgl. W. Lind et al. 1995). Dabei ist die Einschätzung des räumlichen Abstands
(hier der Abstand der Gegner) eine Fähigkeit, die im Kumite anfangs erlernt
werden muss. Ist der Abstand zu groß, wirkt die Technik nicht in ihrem vollen oder
optimalen Ausmaß. Wenn der Abstand zu gering ist, kann sich die Technik gar nicht
entfalten. Erst der genaue Abstand zum Gegner gewährleistet die Umsetzung einer
erlernten und gefestigten Technik mit optimaler Kraftentfaltung am Gegner (motorisch
betrachtet).
Metsuke bedeutet Blick oder „die Haltung der Augen“ (W. Lind et al. 1995, S.40).
Wohin man die Augen im Kampf richtet ist individuell verschieden. Jedoch soll über
den visuellen Sinn der Gegner wahrgenommen werden, um die Situation optisch zu
erfassen und die Handlung richtig wählen zu können. Im Laufe der Entwicklung eines
Karatekas lernt der Übende in den Augen des Gegners zu lesen. Ein nervöser Blick
verrät die Angespanntheit des Gegners, wagt er nicht seinen Blick in die Augen des
Anderen zu richten hat er Angst. Die psychologischen Fähigkeiten, wie zum Beispiel
die Überwindung von Emotionen wie Angst, Wut und/oder Hass und die Auseinandersetzung
mit scheinbar gefährlichen Situationen drücken sich im Blick aus. Bei
fortgeschrittenen Meistern spricht man von der Ruhe und Sicherheit, die sich in seinen
Augen manifestieren, selbst im Angesicht des Todes. Die Augen zeigen wie weit
er im Verständnis der Kampfkunst und somit seines Lebens vorangeschritten ist.
Wenn er ein Stadium in seinem Training erreicht, zu dem er nach Erkenntnis sucht,
richtet er seinen Blick in sich selbst hinein. Der Karateka sucht dann die wahre Bedeutung
der Kampfkunst in seinem Leben. Die Haltung des Blicks bedeutet, im philosophischen
Sinn, das Erkennen des Gegners durch die Erkenntnis seines Selbst.
Heiko bedeutet Gleichgewicht. Hierbei handelt es sich um den richtigen Umgang und
den Erhalt des Körperschwerpunkts in verschiedenen Lagen des Körpers im Raum.
Dazu sind richtige Körperspannung, -haltung und Atmung notwendig. Das Gleichgewicht
führt zu rechter Körperhaltung, zu einem harmonischen Verhältnis aller Körperteile
zueinander und zu einer sicheren Verschiebung des Körpers im Raum. Das ist
Voraussetzung, um eine Technik zu erlernen und anzuwenden.
Hyoshi bedeutet Rhythmus. Der Begriff ist schwer zu fassen, denn der Rhythmus in
der Kampfkunst hat keinen konkreten Maßstab. Er setzt sich im Groben aus dem
Krafteinsatz, dem Verhältnis von An- und Entspannung und der Bewegungsschnelligkeit
bzw. aus der Bewegung selbst zusammen. In der Kata ist der Rhythmus außerdem
die zeitliche Abfolge der nacheinander auszuführenden Techniken. Im
Kampf gibt es auch einen Rhythmus, doch die Abfolge der Techniken ist unbestimmt.
Deshalb ist der Rhythmus schwer zu fassen. So kommt der Begriff des Rhythmusgefühls
hinzu. Eine Definition des Rhythmusgefühls aufzustellen ist schwierig, denn einerseits
ist es ein Gefühl und psychologisch determiniert, andererseits ist es bewegungsbedingt
und physisch determiniert. Es kann als Fähigkeit zur Wahrnehmung
und Antizipation von der eigenen und der gegnerischen Bewegung beschrieben werden,
mit dem Ziel die eigene Bewegung der gegnerischen anzupassen bzw. in Einklang
zu bringen. Das Ergebnis dessen ist die Möglichkeit eine Technik anzubringen,
die den Kampf beendet. Außerdem gibt es noch die Möglichkeit dem Gegner den eigenen
Kampfrhythmus aufzudrängen, ohne den Rhythmus des Gegners zu beach-
37
ten. Auf Grund dieser Unterscheidung können drei wesentliche Taktiken bezüglich
des Rhythmus im Kampf festgestellt werden. Die ersten beiden Taktiken beziehen
sich auf die Antizipation des Kampfrhythmus des Gegners und sind Abwarten und
Zuvorkommen. Abwarten bedeutet einen Angriff abzuwehren und schließlich zu kontern.
Zuvorkommen bedeutet eine eigene Angriffstechnik anzubringen, kurz bevor
der Gegner zuschlägt oder gleichzeitig anzugreifen. Die dritte Taktik ist das Überrennen
und bedeutet den Kampfrhythmus des Gegners nicht zu beachten, sondern ihm
den eigenen aufzuzwingen. Ein gutes Rhythmusgefühl ist Bedingung einen Kampf
erfolgreich zu bestreiten.
Kokyu bedeutet Atmung und ist das alles verbindende Element im Karate. In Ruhe
ist die Atmung tief und langsam, sie wird grundsätzlich in den Bauch gelenkt. Wird
eine Technik ausgeführt, ist die Ausatmung schneidender und schnell. Ist die Technik
sehr stark, kommt es dabei zu einem Kampfschrei. Diese Form der Ausatmung
unterstützt die Muskelkontraktion und die Spannung für eine Technik. Daraus wird
ersichtlich, dass die Atmung den Rhythmus der Handlung regelt bzw. koordiniert (vgl.
W. Lind et al. 1995, S.43). Deshalb ist sie für das richtige Timing aller karatespezifischen
Bewegungen ein bestimmender Faktor. Erkennt ein Gegner den Atemrhythmus
seines Gegenübers, kann er die angreifbaren Schwachpunkte leichter erfolgreich
angreifen. Während des Einatemzyklus ist man konzentrationsmäßig und körperlich
schwächer als bei der Ausatmung. Deshalb greifen fortgeschrittene Kämpfer
den Gegner in dessen Einatmungsphase an (vgl. W. Lind et al. 1995, S.43).
Waza bedeutet Technik. Die sportliche Technik ist ein „in der Praxis erprobtes, aufgrund
der allgemeinen psycho-physischen Voraussetzungen des Menschen realisierbares
charakteristisches Lösungsverfahren einer in sportlichen Handlungen erwachsenden
Bewegungsaufgabe, das als Bewegungsalgorithmus der jeweiligen Bewegung
immanent ist.“ (Schnabel, Harre und Borde (Hrsg.), S.102). Die Technik ist
das Werkzeug, mit dem etwas Spezielles geschaffen werden kann. Ohne richtiges
Werkzeug kann kein Haus gebaut werden, ohne das richtige Werkzeug kann Karate
nicht ausgeübt werden. Die Technik ist Grundlage für ein Vorankommen in einer
Sportart. Im Karate ist es die Basis zum Verstehen der Elemente Kata, Kihon und
Kumite. Außerdem gewährleistet nur eine richtig erlernte und ausgeführte Technik
den Erhalt der Gesundheit. Wird, um nur ein Beispiel zu nennen, ein schnappender
Fußtritt ständig mit einer ganzen Beinstreckung und gleichzeitig fehlender Muskelkontraktion
ausgeführt, so hat das zur Folge, dass das Kniegelenk stark beansprucht
wird, bis es großen Schaden nimmt oder völlig defekt ist. Die korrekte Ausführung
der Technik, mit all ihren Einzelelementen, gewährleistet in diesem Fall, dass das
Knie gesund und heil bleibt. Werner Lind sagt dazu: „Wenn die Technik stimmt, ist
vieles möglich. Wenn sie nicht stimmt, bleibt alles nur Theorie.“ (W. Lind et al. 1995,
S. 44)
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3.1.1.2) Ki-Gamae - Psychische Bereitschaft
Die Komponenten der psychischen Bereitschaft (Ki-Gamae) sind wie folgt gekennzeichnet:
Kihaku bedeutet Kampfgeist. Kampfgeist stellt im Karate eine psychische Komponente
dar. Er beschreibt den Willen unter Belastungen unerschütterlich zu sein und
die Probleme, innerhalb dieser Situation, mit seinem Repertoire an Lösungsverfahren
zu bewältigen. Man spricht im Karate vom „unerschütterlichen Geist mit dem Ausdruck
des starken Willens“ (vgl. W. Lind et al. 1995, S.45). Der Kampfgeist ist die feste
Entschlossenheit eine Situation bewusst und sicher zu bewältigen. Gleichzeitig
muss der Karateka eine friedliche und ruhige Haltung bewahren. Dadurch werden oft
Konfrontationen vermieden. Kommt es zu einer ernsten Selbstverteidigungssituation
oder auch nur zu einem Übungskampf, ist der Glaube an seine Fähigkeiten und sein
technischen Können von großer Bedeutung, um diese Situationen zu bewältigen.
Das und die Auseinandersetzung mit Leben und Tod, mit der Angst vor dem Getroffen
werden und selber zu treffen drücken sich im Kampfgeist aus. Ein gut entwickelter
Kampfgeist bedeutet gut entwickeltes Selbstvertrauen und ist Voraussetzung des
Kumite.
Sen bedeutet Initiative. Die Initiative in einem Kampf zu übernehmen bedeutet eine
Entscheidung zu treffen. Im Bereich des Übernehmens der Initiative wird im Karate in
zwei Hauptgruppen unterschieden. Diese sind Go no sen (die Initiative in der Verteidigung
übernehmen) und Sen no sen (die Initiative im Angriff übernehmen). Die Initiative
im Angriff zu übernehmen bedarf eines guten Reaktionsvermögens und der geschulten
Antizipation von möglichen gegnerischen Bewegungen. Antizipation bedeutet
in diesem Fall einen Angriff vorherzusehen und ihm kognitiv zuvorzukommen.
Das wird im Japanischen „Sakki“ genannt und beinhaltet „intuitives Sehen“ (japanisch
„Yomi“; vgl. W. Lind et al. 1995, S. 45). Die Ausführung von Sen no sen bedeutet
dem Angreifer keine Chance zu lassen und ihn durch direktes Angreifen oder direktes
Kontern (ohne Abwehr) zu überwältigen. Hier gibt es die Gelegenheit in den
gegnerischen Angriff hineinzugehen. Das ist eine der schwierigsten Möglichkeit die
Initiative zu übernehmen, da besonders die Auseinandersetzungen mit der Angst vor
dem Getroffenwerden, den möglichen Schmerzen, dem Verletztwerden und/oder
dem Tod den Übenden beschäftigen. Die Instinkte der Selbsterhaltung, Fluchtreflexe,
also ganz ursprüngliche Ängste zur Lebenserhaltung, müssen überwunden und ausgeschaltet
werden. Dadurch wird das Anspruchsniveau, des „in-den-Angriff-
Hineingehens“ erfüllt. An dieser Stelle kann das „Fight-and-flight-Syndrom“ genannt
werden. Es bezeichnet eine Notstandssituation, bei der die Gegner physiologisch Adrenalin
und Noradrenalin (Hormone des Nebennierenmarks) freisetzen, um sich auf
eine erhöhte Stresssituation einzustellen, die unmittelbar bevor steht und dem Körper
alles abverlangt. Das erfolgt beim Menschen nicht nur während einer physischen,
sondern auch bei einer psychischen Belastung, als Vorbereitung für eine bevorstehende
physische Anforderung. Das ist nur eine sehr grobe Erklärung, denn eine genauere
biochemische Betrachtung ginge an dieser Stelle zu weit. Go no sen bedeutet,
ganz salopp beschrieben, dass ein Angriff kommt, man sieht ihn und versucht ihn
abzuwehren (vgl. R. G. Hassel 1997). Dazu muss der Angriff richtig vorbereitet erwartet
werden (japanisch Senken, vgl. W. Lind et al. 1995). Die Initiative in der Verteidigung
zu übernehmen bezieht sich auf die Haltung des Verteidigers gegenüber
dem Angriff. Das bedeutet, dass ein Angriff mit einem Angriff gekontert werden kann,
ohne Abwehrbewegung, ohne das Go no sen in Sen no sen umgewandelt wird. Auch
hierbei sind die psychologischen Aspekte und Prozesse wirksam, die im Sen no sen
aktiv sind.
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Go no sen und Sen no sen sind folglich keine Angriffs- oder Verteidigungstechniken,
sondern stellen psychische Haltungen des Einzelnen dar. Die Anwendung der Komponenten
ist individuell verschieden, aber beide Aspekte müssen im Training geübt
werden. Das ist einerseits für die Entwicklung kampfspezifischer Fähigkeiten bedeutsam
und andererseits für die Herausarbeitung der individuellen Stärken wichtig.
Yomi ist das Wahrnehmungsvermögen. Die Wahrnehmung ist besonders wichtig,
um Distanzen richtig einzuschätzen und Rhythmen zu erkennen und umzusetzen.
Somit verbindet Yomi Ma-ai und Hyoshi. Die Wahrnehmung bezieht sich einerseits
auf das Erkennen der „objektiv sichtbaren Anzeichen für eine wahrscheinliche Aktion“,
das als Bedingung für die Antizipation gilt und andererseits auf „das intuitive
Empfinden einer zukünftigen Wirklichkeit, die nicht logisch definierbar ist“, was als
geistige Bewegung bezeichnet wird (vgl. W. Lind et al. 1995, S.46). Die Antizipation,
die Intuition und die wirkliche Bewegung zu erfassen, setzt das Wahrnehmungsvermögen
voraus. Antizipation ist die wahrscheinliche Vorwegnahme gegnerischer Bewegungen,
die an bestimmten physischen Merkmalen und Verhaltensweisen des
Gegners erkannt werden können. Intuition ist das Spüren einer gegnerischen Absicht,
ohne den Gegner optisch wahrnehmen zu müssen. In der Esoterik der Kampfkünste
wird die Intuition oft als sechster Sinn oder übersinnliche Fähigkeit bezeichnet.
Manchmal wird sie als Bauchgefühl beschrieben. Das Gefühl aus dem Bauch
heraus beruht auf Nervenfunktionen, die denen im Gehirn ähnlich sind, denn in der
Bauchregion gibt es hirnähnliche Nervenzellen, die viel größer sind. Es spielen also
neurobiologische Funktionsweisen eine Rolle, die noch genauer untersucht werden
müssen. Hier findet sich eine neue Herangehensweise an die Bestimmung des Begriffs
der Intuition. Der Unterschied der Antizipation zur Intuition ist die sinnliche
Wahrnehmung bestimmter, definierbarer Hinweise und Merkmale von Bewegungsstrukturen,
im Gegensatz zur scheinbar übersinnlichen, erfühlbaren Absicht einer
Person oder eines Gegners, ohne diese/n sinnlich wahrnehmen zu müssen. Die
Wahrnehmung kann danach in drei Bereiche geteilt werden. Gabler kennzeichnet die
Wahrnehmung als selektiven Prozess, eine Auswahl aus einer bestimmten Menge
von Informationen zu treffen (vgl. Gabler, Nitsch und Singer 2000). Die drei Bereiche
bezeichnen die physikalische, physiologische und psychologische Perspektive der
Wahrnehmung. Gabler definiert diese wie folgt: „Die physikalische Perspektive der
Wahrnehmung bezieht sich auf die mittels naturwissenschaftlicher Verfahren objektive
Bestimmung der physikalischen Eigenschaften der Wahrnehmungsgegenstände,
z. B. der Beschaffenheit des Wassers, der Lichtstärke einer Lampe und des Schallpegels.“
(Gabler et al. 2000, S.170) „Die physiologische Perspektive der Wahrnehmung
bezieht sich auf die Aufnahme der Informationen durch das menschliche Sinnessystem
und ihre Weiterleitung zum obersten Teil des Gehirns, der Hirnrinde.“
(Gabler et al. 2000, S.171). „Die psychologische Perspektive der Wahrnehmung bezieht
sich auf die Verarbeitung der Informationen in der Hirnrinde zu bewussten
Wahrnehmungserlebnissen“ (Gabler et al. 2000, S.173). Diese unumstrittenen Definitionen
sind einleuchtend und erklären die Wahrnehmung über die Sinnesorgane, wie
zum Beispiel die Haut, die Augen und das Gehör. Dabei spricht man von „Rezeptorsystemen
oder Analysatoren, die zu spezifischen Informationen und Empfindungen
führen“ (vgl. Gabler et al. 2000, S.171).
Diese Rezeptorsysteme sind der akustische-, visuelle-, taktile-, kinästhetische- und
vestibuläre Analysator. Nach Gabler bildet der akustische Analysator das Hörgefühl,
der visuelle Analysator den optischen Eindruck, der taktile Analysator das Druckgefühl,
der kinästhetische Analysator, als Informationsquelle der Muskeln, Sehnen und
Bänder, das Muskelgefühl und der vestibuläre Analysator das Gleichgewichts- und
Lageempfinden (vgl. Gabler et al. 2000, S.171).
40
Er fasst den Übergang von der physiologischen zur psychologischen Perspektive in
folgender Darstellung zusammen (vgl. Gabler et al. 2000, S.173):
Phänomene
der
Umwelt
Rezeptoren
der
Sinnesorgane
afferenteNervenbahnen
U. Manteufel definiert Wahrnehmung als „aktiven Prozess der gerichteten, ganzheitlichen
Widerspiegelung der unmittelbar auf die Sinnesorgane einwirkenden objektiven
Realität durch den Sportler. Im Ergebnis der Wahrnehmung schafft sich der
Sportler ein subjektives, mehr oder weniger korrekt anschauliches Abbild der Wirklichkeit,
d. h., er gibt den aufgenommenen Informationen einen bestimmten Sinn für
sein Handeln bzw. er bewertet die Sinnesinformationen für seine Übungen“ (vgl.
Gabler et al. 2000, S. 174). Schließlich ist das Wahrnehmungsvermögen in den
Kampfkünsten eine grundlegende Voraussetzung des Handelns.
Zanshin ist die Geistesgegenwart und ein wesentliches Element im Karate, aber
auch in allen anderen asiatischen Kampfsportarten. Zanshin ist weiterhin eine Geisteshaltung,
die Unerschütterlichkeit, Ruhe und Gelassenheit beinhaltet. In einem
Kampf muss der Karateka im Geist unbeweglich bleiben, um alle oben beschriebenen
Elemente erkennen und anwenden zu können. Psychologisch betrachtet kommen
dabei die Begriffe der Aufmerksamkeit und Konzentration hinzu. Allgemein ist
„die Aufmerksamkeit als Oberbegriff für gerichtete und eingegrenzte Wahrnehmung“
definiert (vgl. Gabler et al. 2000). Konzentration ist die fokussierte Aufmerksamkeit
auf einen engen Ausschnitt des Wahrnehmungsfeldes. So konzentriert sich der
Kämpfer auf die Gegenwart, er verliert nicht den Kontakt zum Gegner und bleibt stets
handlungsbereit. Das bedeutet im Karatekampf Wachsamkeit. Zanshin ist auch die
Fähigkeit die konzentrierte Aufmerksamkeit ohne Ablenkung aufrecht zu erhalten und
die Gegenwart in jedem Moment zu erkennen und zu leben. Das bedeutet ohne Gedanken
an die Vergangenheit und ohne Gedanken an die Zukunft jede Handlung
bewusst zu erleben. Hier wird ein wesentlicher Punkt des Zen-Buddhismus klar herausgestellt,
der an dieser Position besonders deutlich im Shotokan-Karate erlebbar
wird. Der Übende konzentriert sich „in die Gegenwart“, um die Situation des Kampfes
zu kontrollieren. „Nach außen hin ist Zanshin von neutralem Ausdruck und strahlt gelassene
Ruhe aus. Doch diese Aufmerksamkeit ist keine fixierende Konzentration,
sondern eine innere Bewegung, die als Haltung geübt werden kann“ (W. Lind et al.
1995, S. 48).
Kikai bedeutet Gelegenheit und beschreibt den richtigen Moment, in dem eine Technik
eingesetzt werden kann. Die Gelegenheit ergibt sich aus Unvorsichtigkeit, Unaufmerksamkeit
oder aus Fehlhandlungen des Gegners, die zum eigenen Vorteil genutzt
werden können. Sie kann nur ausgenutzt werden, wenn die Techniken und das
taktische Verhalten automatisiert sind. Das bedeutet, dass die erlernten Techniken in
motorischer Feinform vorliegen und variabel verfügbar sein müssen. Kikai ist ein Element
des Kämpfens, das erst sehr spät und meistens nur von fortgeschrittenen Karatekas
beherrscht wird. Das automatische Handeln bedeutet die Weglenkung der
Aufmerksamkeit von der Technik, um in der Situation des Kämpfens mit Zanshin
zweckmäßig Handeln zu können. In dieser Stufe des Trainings spricht man im Karate
von intuitivem Erkennen der Situation. Das Denken und bewusste Verarbeiten der
41
Zentralnervensystem
Empfindungen
Wahrnehmungsempfindungen
jeweiligen Kampfsituation muss automatisiert sein. Die kognitiven Prozesse laufen
somit ohne bewusste Kontrolle ab. Um Kikai zu nutzen muss der Karateka intensiv
trainieren und ständige Wachsamkeit, unter allen oben genannten Elementen üben.
Kumite ist ein vielseitiger Übungsprozess, der zur realistischen Anwendung der
Techniken unter höchster Selbstkontrolle in alle Richtungen führen soll. Ein Ziel der
Übenden ist es, die Fähigkeit der Selbstverteidigung zu erlangen und damit Selbstvertrauen
zu entwickeln. Um die Fähigkeit des Kämpfens zur automatischen Anwendung
der Techniken sowie zu deren variablen Verfügbarkeit zu bringen, ist intensives,
gesteuertes und langwieriges Training notwendig. Der Karateka entwickelt eine
technische und zweckmäßige Sicht der Karatetechniken. Um sich auf einen Kampf
vorzubereiten nimmt der Übende eine Kampfhaltung ein, die ihm hilft sich körperlich
und geistig kampfbereit zu machen. Die Kampfhaltung wird Kamae genannt und
dient besonders der konzentrierten Haltung zur Leistungsbereitschaft, mit der inneren
Einstellung jede Technik mit maximaler Wirksamkeit auszuführen. Es bedeutet
die Bereitschaft zum Kämpfen, als ob es um sein Leben ginge, aber immer mit Kontrolle
der zerstörenden Wirkung der Techniken. Die Fähigkeit des Kämpfens wird
langsam entwickelt und vom Kampf gegen einen Gegner zum Kampf gegen mehrere
Gegner im Schwierigkeitsgrad erhöht. Dafür übt der Karateka nicht nur den Kampf in
eine Richtung, sondern in acht Richtungen. Acht steht hierbei, im philosophischen
Sinn, für unendlich und erklärt die Möglichkeit sich in jede Richtung bewegen und
verteidigen zu können. Die Trainingsentwicklung brachte hierzu das Karategramm
hervor. Es ist ein vorgegebenes geometrisches Bewegungsmuster mit den Richtungen
nach vorne, hinten, links, rechts, links hinten, links vorne, rechts hinten und
rechts vorne (vgl. W. Lind et al. 1995, S.50; Okazaki, Stricevic 2003, S. 89, 90, 91):
links vorne /
hidari nanamemae
vorne / mae
Das Karategramm wird zur Schulung von Bewegungsformen mit Partnern bzw. Gegnern
benutzt, aber auch zur grundschulmäßigen Übung der Basistechniken ohne
Gegner, dem Kihon. An dieser Stelle kann eine allgemeine Ansicht zur Entstehung
von Bewegung dargestellt werden, die sich aus den beschriebenen Elementen ableitet:
42
rechts vorne /
migi nanamemae
links / hidari yoko rechts / migi yoko
Mitte
links hinten /
hidari nanameushiro
hinten / ushiro
rechts hinten /
migi nanameushiro
Sportliche Technik (Leitbild)
Orientierungsregulation Ausführungsregulation Kontrollregulation Antriebsregulation
(„inneres Modell“ schaffen) (zu regulierende Organ) (Soll-Ist-Vergleich)
Komplex bewusst Komplex nicht bewusstseinspflichtiger
regulierter Handlungen regulierter (sensomotorische)
Teilhandlungen bzw. Teilbewegungen
3.2) Kihon - Grundschule
Sportliche Bewegung
Die Grundschule ist das Basis- und Grundlagentraining im Shotokan-Karate.
Es stellt den ersten methodischen Lernschritt der
Techniken im Training dar. Die Grundschule wurde erst nach der
Entwicklung des Kumite ins Karate integriert, da erkannt wurde,
dass Techniken verbessert und Schwachpunkte gezielter in
Stärken umgewandelt werden konnten. Heute dient die Grundschule
dem Erlernen der Grundfertigkeiten und Grundtechniken,
der dann die Übungen der Kata und des Kumite folgen. Aus der
Kata wurden Elemente extrahiert und gesondert geübt. Daraus
entwickelte sich langsam eine Systematisierung der Grundtechniken.
Den Anfang der Systematisierung bilden die Stände
(japanisch Dachi) bzw. die Körperstellungen. Die Stände ermöglichen Standfestigkeit,
größtmögliches Gleichgewicht, gewährleisten optimale Beweglichkeit für
spezifische Situationen und beruhen auf Kraft und Beweglichkeit. Nur die Beherrschung
der Stände gewährleistet eine effektive Technik. Hierbei sind verschiedene
Prinzipien wirksam (vgl. Okazaki, Stricevic 2003, S.56/57):
- je tiefer der Körperschwerpunkt, je fester der Stand und umgekehrt;
- je größer die Standfläche, je leichter ist es das Gleichgewicht zu halten;
- je mehr der Oberkörper über dem Körperschwerpunkt liegt, je größer sind das
Gleichgewicht und die Standfestigkeit (ideal: Wirbelsäule gerade und senkrecht
über dem Körperschwerpunkt);
- je größer das Gewicht einer Person, je größer ist die Standfestigkeit;
- Standfestigkeit und Gleichgewicht sind durch Blickkontakt auf einen Punkt leichter
zu erreichen;
- je gerader die Knie sind, desto geringer ist die Standfestigkeit, der Beugungsgrad
des Kniegelenks ist dabei der wesentliche Punkt.
Die Stellungen werden in die Hauptkategorien der natürliche Stellungen (Shizen-tai),
der Grundstellungen (Kihon-dachi) und Kampfstellungen (Kumite-dachi) unterteilt.
Innerhalb dieser Kategorien gibt es weitere Differenzierungen. Die natürlichen Stellungen
werden in drei Gruppen unterteilt, die als geschlossene Fußstellungen (Heisoku
Burui), offene Fußstellungen (Hachiji Burui) und rechtwinklige Stellungen (Renoji
Burui) bezeichnet werden. Die Grundstellungen werden in gespreizte Beinstellungen
(Kiba Burui) und Halbmondstellungen (Hangetsu Burui) gegliedert. Die
Kampfstellungen teilen sich in natürliche Kampfstellungen (Shizen Kumite-dachi) und
Grundkampfstellungen (Kihon Kumite-dachi). Alle Gruppen beinhalten verschiedene
43
Stände. Um darüber ein genaueres Bild darzulegen folgt je eine Abbildungen einer
Stellung, zu jeder Gruppe aus den natürlichen Stellungen und Grundstellungen. (Das
rote Kreuz stellt den Körperschwerpunkt dar, die Schwarzen Kreuze symbolisieren
die Knie, der schwarze Pfeil zeigt die Ausrichtung des Oberkörpers an.):
Natürliche Stellungen:
Grundstellungen:
• Geschlossene Fußstellung mit dem Beispiel Musubi-Dachi
(zwanglose Bereitschaftshaltung)
• Offene Fußstellung mit dem Beispiel Heiko-Dachi (offene
Parallelstellung)
• Rechtwinklige Stellung mit dem Beispiel Renoji-Dachi (L-Stellung)
• Gespreizte Beinstellung mit dem Beispiel Kiba-Dachi (Reiterstellung)
• Halbmondstellung mit dem Beispiel Hangetsu-Dachi (Halbmond-
Stellung)
44
Die Kampfstellungen sind individuell verschieden und bestehen meist aus Grundstellungen
oder natürlichen Stellungen, wobei der Körperschwerpunkt anders verlagert
und die Standfläche verringert wird. Entweder wird der Körperschwerpunkt weiter
gesenkt, um sich auf eine harte Abwehrtechnik vorzubereiten oder leicht gehoben,
um die Bewegungsschnelligkeit zu steigern. Letztere Variante wird von den meisten
Karatekas bevorzugt.
Die natürlichen Stellungen dienen dazu, den Körper über einen längeren Zeitraum
locker und bequem zu halten. Dabei ist die Muskelspannung gering. Die Einteilung
der Stellungen und ihre Untergruppierungen wurden nach der Haltung der Füße vorgenommen
(vgl. Okazaki, Stricevic 2003, S.58). Die Grundstellungen sind die stabilsten
Stellungen im Shotokan-Karate und werden Anfangs als eigene Technik gelernt.
Danach werden sie mit Verteidigungs- und Angriffstechniken im Stand und später in
der Bewegung geübt. Okazaki unterscheidet bei der Verbindung von Technik und
Stand drei Ebenen (vgl. Okazaki, Stricevic 2003, S.68): Die erste Ebene ist die Stellung
vor der Ausführung einer Technik. Die zweite Ebene ist die Stellung während
der Ausführung einer Technik. Die dritte Ebene ist das Einnehmen der Stellung nach
der Ausführung einer Technik. Die richtige Stellung einzunehmen ist von Individuum
zu Individuum unterschiedlich, denn jeder hat andere Voraussetzungen. Grundlegende
Faktoren sind dabei „die Größe des Sportlers, seine Beinlänge, die Stärke und
Ausdauer seiner Beinmuskeln, der Grad seiner Kondition und seine Karatekenntnisse“
(Okazaki, Stricevic 2003, S.69). Die Gruppierung der Grundstellungen wurde
nach der Ausrichtung der Spannung im Kniegelenk vorgenommen. Die Spannung
der Knie ist bei der Gruppe der Kiba Burui an den Außenseiten, bei der Gruppe der
Hangetsu Burui an den Innenseiten (vgl. Okazaki, Stricevic 2003). Kampfstellungen
beinhalten alle im Kampf verwendeten Stellungen. Das können natürliche oder
Grundstellungen sein, aber auch ganz verschiedene, individuell entwickelte Stellungen.
Letztere entstehen aus den gesammelten Erfahrung des Sportlers und seinen
bestimmten Besonderheiten in Hinblick auf Körpermechanismen und Physiologie.
Hier kommt der spezifische Stil der Karatekas zum Ausdruck (vgl. Okazaki, Stricevic
2003).
Kata und Kumite machen deutlich, dass die Bewegung sehr wichtig ist. Nichts ist statisch
und ständig wird das Kämpfen mit Gegnern oder dem Schatten in alle Richtungen
geübt. Um die Bewegung besser zu beherrschen wurden Einzelelemente der
Kata extrahiert und gesondert geübt, wie es auch mit den Stellungen getan wurde.
Die richtige Stellung ist Grundvoraussetzung für die richtige Bewegung. Nun muss
der Begriff der „Körperverschiebung“ (vgl. Okazaki, Stricevic 2003, S.87) genannt
werden. Körperverschiebung beinhaltet einerseits die „Verschiebung des Körpers in
den Stellungen“ (Okazaki, Stricevic 2003, S.87) und andererseits die Verschiebung
des Körpers in der Bewegung von einer Stellung in eine andere. Japanisch wird sie
„Tai sabaki“ genannt. Tai sabaki erfolgt allein oder in Kombination.
Okazaki stellt dabei drei grundlegende Bedeutungen heraus (Okazaki, Stricevic
2003, S.87):
1. „sich um einen wirklichen oder imaginären Gegner herumzubewegen;
2. sich an den Gegner heran- oder von ihm wegzubewegen und
3. sich den optimalen Abstand bei Abwehr- oder Angriffsaktionen zu verschaffen.“
Körperverschiebung wird somit nicht nur im Kihon geübt, sondern auch in der Kata
und im Kumite. Deshalb wird sie folgendermaßen systematisiert:
1. Kihon Tai sabaki
2. Kumite Tai sabaki
3. Kata Tai sabaki
45
Kihon Tai sabaki wird nach dem oben beschriebenen Karategramm geübt, wobei die
ersten zu übenden Bewegungsrichtungen nach vorne und hinten sind. Zu den
Grundtechniken gehören nicht nur Stellungen und Bewegungen, sondern auch Arm-
und Beintechniken. Armtechniken werden in Stoß-, Schlag- und Abwehrtechniken mit
den Armen untergliedert. Stoßtechniken werden japanisch Zuki waza genannt und in
zwei Gruppen unterteilt. Diese sind Einhandstöße (Zuki) und Zweihandstöße (Morote-zuki).
Schlagtechniken werden japanisch Uchi waza genannt und in drei Gruppen
unterteilt. Man unterscheidet „Faustschläge (Kobushi Uchi), Schläge mit der offenen
Hand (Kaisho Uchi) und Ellenbogenschläge (Hiji Uchi)“ (Okazaki, Stricevic 2003,
S.87). Abwehrtechniken werden japanisch Te-ude uke waza genannt. Es gibt weit
mehr Armabwehrtechniken als Stoß- und Tritttechniken zusammen. Es werden zwei
Gruppen unterschieden, denen drei Kategorien zugeordnet sind. Die Gruppen differenziert
man in Einhandblocks (Sekiwan Uke) und Zweihandblocks (Ryowan Uke).
Die Einteilung der Kategorien erfolgt nach den jeweiligen Abwehrstufen und gliedert
sich in obere Stufe (Jodan = Kopf), mittlere Stufe (Chudan = Bauch/Oberkörper) und
untere Stufe (Gedan = Unterleib) (vgl. Okazaki, Stricevic 2003). Weiterhin werden
Abwehrtechniken nach ihren Bewegungsrichtungen unterschieden:
1. von innen nach außen (Gaiho Uke);
2. von außen nach innen (Naiho Uke);
3. von oben nach unten (Otoshi Uke);
4. von unten nach oben (Joho Uke).
Neben den Händen und den Armen sind im Karate auch die Beintechniken von Bedeutung.
Beintechniken sind kraftvoller als Armtechniken und können über eine längere
Distanz eingesetzt werden. Japanisch werden sie Keri Waza genannt und können
in drei Gruppen differenziert werden. Diese sind Tritttechniken, Beinfegetechniken
und Beinabwehrtechniken. Die Gruppe der Tritttechniken (geri) beinhaltet Vorwärtstritte
(Zenpo-geri), Seitwärtstritte (Sokumen-geri) und Rückwärtstritte (Kohogeri)
(vgl. Okazaki, Stricevic 2003). Sie dienen meistens als Angriffstechniken.
Die Gruppe der Beinfegetechniken (Ashi-Barai Waza) beinhaltet direkte Angriffs- oder
Kontertechniken gegen die Füße, Knöchel oder Knie des Gegners, mit dem Ziel
dessen Gleichgewicht zu stören. Sie unterliegen keiner weiteren Ausdifferenzierung.
Die Gruppe der Beinabwehrtechniken (Ashi Uke Waza) wird in drei Kategorien gegliedert,
die nach den zur Abwehr genutzten Körperteilen unterteilt sind (vgl. Okazaki,
Stricevic 2003):
1. untere Beinabwehr/Abwehr mit dem Schienbein (Gedan Ashi Uke)
2. Fersenabwehr (Kakato Uke)
3. Fußabwehr (Ashi Uke).
Die Systematisierung der Grundtechniken führte zur tieferen Untersuchung von
Merkmalen im Kihon. Durch trainingswissenschaftliche Betrachtungen wurde erkannt,
dass folgende Merkmale der Bewegungen im Karate die Qualität der Grundtechniken
bezeichnen und kennzeichnen (vgl. H. Handel 1997, S.199):
1. „Bewegungskoordination,
2. Bewegungsrhythmus,
3. Bewegungskopplung,
4. Bewegungsfluss,
5. Bewegungspräzision,
6. Bewegungskonstanz,
7. Bewegungsumfang,
8. Bewegungsstärke.“
Es werden hier wesentliche koordinative Fähigkeiten genannt, die im Folgenden etwas
genauer betrachtet werden sollen.
46
3.3 ) Koordinative Fähigkeiten
Koordinative Fähigkeiten sind nach Hirtz „relativ verfestigte und generalisierte (verallgemeinerte)
Verlaufsqualitäten spezifischer Bewegungssteuerungs- und Bewegungsregelungsprozesse
sowie Leistungsvoraussetzungen zur Bewältigung dominant
koordinativer Anforderungen“ (Lehrmaterialien Trainingstheorie Grundkurs
SS2000 – Uni-Greifswald; vgl. auch Schnabel et al. (Hrsg.) 1997, S.115). Martin
(1995) beschreibt koordinative Fähigkeiten als informationelle, bewegungssteuernde
Einflussgröße des Leistungszustandes. Weiter sagt Hirtz, dass „koordinative Fähigkeiten
hypothetische Konstrukte sind, von denen angenommen wird, dass sie durch
die Bewegungstätigkeit entstanden sind, dass die Menschen sich in deren Ausprägungsgrad
unterscheiden und durch Übung und Wiederholung verfestigen, somit zu
Leistungsvoraussetzungen für motorische Handlungen werden und einen allgemeinen
Übertragungscharakter besitzen“ (Lehrmaterialien Trainingstheorie Grundkurs
SS2000 – Uni-Greifswald). Ihre Bedeutung fasst Hirtz, bei gut ausgeprägten koordinativen
Fähigkeiten, in folgenden Punkten zusammen (vgl. Lehrmaterialien Trainingstheorie
Grundkurs SS2000 – Uni-Greifswald; Hirtz 1994):
• „Beschleunigung und Effektivierung des Erlernens von Fertigkeiten.
• Erhöhung des Wirkungsgrades der bereits angeeigneten Fertigkeiten und Förderung
ihrer situationsadäquaten Anwendung.
• Sie bestimmen den Ausnutzungsgrad konditioneller Fähigkeiten durch genaue
Krafteinsätze und energiesparende Entspannung.
• Sie bewirken ästhetische Gefühle, Freude und Befriedigung durch die Dynamik
der Rhythmen, das Spiel mit der Geschwindigkeit, durch das vielseitige und variationsreiche
Üben.“
Folgende fundamentale und leistungsbestimmende, koordinative Fähigkeiten werden
im Einzelnen herausgestellt (vgl. Schnabel et al. (Hrsg.) 1997, S. 117):
• Differenzierungsfähigkeit
• Orientierungsfähigkeit
• Gleichgewichtsfähigkeit
• Reaktionsfähigkeit
• Rhythmusfähigkeit
• Kopplungsfähigkeit
• Umstellungsfähigkeit.
Differenzierungsfähigkeit ist eine „relativ verfestigte und verallgemeinerte Verlaufsqualität
der Realisierung genauer und ökonomischer Bewegungen auf Grund einer
feindifferenzierten Aufnahme und Verarbeitung von Informationen“ (Hirtz - Lehrmaterialien
2000). Für die Bewegung spielen kinästhetische Differenzierungen eine bedeutende
Rolle. Hierbei gilt die Definition der Differenzierungsfähigkeit, wobei „vorwiegend
kinästhetische Informationen aus den Muskeln, Bändern und Sehnen feindifferenziert
und verarbeitet werden. Sie sichert eine hohe Genauigkeit und Ökonomie
der Bewegungshandlungen“ (Hirtz – Lehrmaterialien 2000). Die Differenzierungsfähigkeit
spielt eine besondere Rolle in der Kampfkunst des Shotokan-Karate.
Nicht nur, dass Bewegungen genau zeitlich und räumlich auf verschiedene Distanzen
angepasst werden müssen, um präzise Bewegungshandlungen zu realisieren,
sondern auch die genaue Bestimmung der Krafteinsätze sind wesentliche Elemente
im Shotokan-Karate. Jede Technik ist mit größtmöglicher Kraft auszuführen, aber der
Gegner darf nicht getroffen werden. Deshalb ist die Differenzierung besonders wichtig.
Weiterhin werden die Techniken zu verschiedenen Regionen, aus verschiedensten
Bewegungsformen und mit verschiedenen Körperteilen ausgeführt. Die Koordi-
47
nierung der Krafteinsätze (z. B. bei Abwehrtechniken mit dem Arm oder dem Bein,
bei Fußfegetechniken, Stoß- und Tritttechniken a. a.), der Kontraktionsgenauigkeit
der Muskeln (= optimale An- und Entspannung der Muskeln; größtmögliche Muskelkontraktion,
aller für die Technikausführung notwendigen Muskeln, kurz vor dem
Moment des Treffens des Gegners, zur maximalen zerstörerischen Wirksamkeit der
Technik; aber für nur einen Bruchteil einer Sekunde, um den Körper sofort wieder in
den optimalen Zustand zwischen An- und Entspannung zu bringen – für eine optimale
Bereitschaftshaltung, dem Kampf entsprechend), der Einsätze schneller und langsamer
Bewegungen, der Bewegungsweite der Angriffstechniken (z. B.: mit Hüftstreckung
bei der Ausführung eines Trittes, bei größerer Distanz zum Gegner versus ohne
Hüftstreckung bei Ausführung eines Fußtrittes bei geringerer Distanz,…), u. a.
werden im Karate mit Hilfe der Differenzierungsfähigkeit realisiert.
Die Orientierungsfähigkeit bezeiht sich auf den Raum und wird nach Hirtz (Lehrmaterialien
2000) folgendermaßen definiert: „Die räumliche Orientierungsfähigkeit ist eine
relativ verfestigte und verallgemeinerte Verlaufsqualität der Bestimmung und Veränderung
der Lage und Bewegung des Körpers im Raum. Sie sichert die vorrangig
raumorientierte Realisierung von Bewegungshandlungen.“ Daraus wird ersichtlich,
dass die räumliche Orientierungsfähigkeit im Karate eine wichtige Rolle spielt. Bei
der Ausführung einer Kata, dem Üben des Kihon und im Kampf gegen einen oder
mehrere Gegner werden Bewegungshandlungen in verschiedene Richtungen ausgeführt.
Dabei verändern sich die Lage des Körpers und auch seine Bewegung im
Raum. Da Karatetechniken im Kampf den Situationen angepasst werden und sich
die Situationen ständig ändern, spricht man von einer situativen Sportart, bei der optische
Informationen grundlegend für jede Handlung sind. Deshalb erhält die räumliche
Orientierungsfähigkeit, besonders im Kampf gegen mehrere Gegner, eine fundamentale
Bedeutung.
Die Rhythmusfähigkeit gilt ebenfalls als relativ verfestigte und verallgemeinerte Verlaufsqualität.
Sie ist Grundlage für das „Erfassen und Darstellen vorgegebener bzw.
im Bewegungsablauf enthaltener zeitlich-dynamischer Gliederungen. Sie sichert die
ausgeprägt rhythmische Gestaltung der Bewegungshandlungen und ihre zweckmäßige
Gliederung durch Akzentsetzung“, wie es Hirtz 1985 formulierte. Diese Definition
macht deutlich, wie wichtig der Rhythmus im Karate ist. Eine gut ausgebildete
Rhythmusfähigkeit gewährleistet das Erfassen des Rhythmus einer Kata. Dieser
Rhythmus verschlüsselt die Anwendung der Techniken in einer bestimmten Abfolge.
Ein Beispiel dafür ist die Abfolge zweier Techniken, die als „schnell, stark“ gekennzeichnet
ist. Das bedeutet, dass die erste Bewegung schnell und stark ist, aber der
Übergang zur nächsten Technik schnell erfolgen muss. Daraus wird deutlich, dass
die erste Technik wahrscheinlich eine Abwehrtechnik ist, der eine sofortige Kontertechnik
folgt. Es wird auch die Kontraktionsrate der Muskulatur vorgegeben, die in
diesem Fall bei der ersten Technik ca. 70% und bei der zweiten Technik 100% des
Maximums ist. Außerdem erklärt dieser Rhythmus, dass nach dem Konter eine Pause
folgt, der ein neuer Rhythmus anschließt. Jede Kata hat ihren eigenen Rhythmus,
jeder Kampf hat seinen eigenen Rhythmus. Die Rhythmusfähigkeit ist von grundlegender
Bedeutung, um einer Kata einen bestimmten ästhetischen Ausdruck zu verleihen,
um gleichzeitig den kämpferischen Aspekten der Kata gerecht zu werden und
diese für eine realistische Anwendung in einer Selbstverteidigungssituation zu entschlüsseln
und anzuwenden. (Auf die ästhetische Komponente der Kata wird später
eingegangen, da sie im Trainingssystem des Sportkarate eine wesentliche Rolle erhalten
und das Training diesbezüglich verändert hat.)
Eine weitere koordinative Fähigkeit ist die Gleichgewichtsfähigkeit, die ebenfalls eine
wichtige Rolle im Shotokan-Karate einnimmt. Sie ist als „relativ verfestigte und ver-
48
allgemeinerte Verlaufsqualität des Haltens bzw. Wiederherstellens des Körpergleichgewicht“
definiert, die „zur Sicherung zweckmäßiger und schneller Lösungen motorischer
Aufgaben auf kleinen Unterstützungsflächen oder bei labilen Gleichgewichtsverhältnissen“
dient, wie Hirtz 1985 beschreibt. Für das Shotokan-Karate bedeutet
das, dass die Lageveränderungen des Körperschwerpunktes, im Verhältnis zur
Stützfläche des Gleichgewichts und die damit einhergehenden Störungen auf das
Gleichgewicht ständigen Ausgleichs bedürfen, um Bewegungshandlungen erfolgreich
ausführen zu können. Die Gleichgewichtsfähigkeit ist somit eine grundlegende
und fundamentale Fähigkeit im Shotokan-Karate.
Die Reaktionsfähigkeit gehört ebenfalls zu den koordinativen Fähigkeiten. Sie stellt
„relativ verfestigte und verallgemeinerte Verlaufsqualitäten des schnellen und aufgabengemäßen
motorischen Antwortverhaltens auf mehr oder weniger komplizierte
Signale oder vorausgehende Bewegungshandlungen bzw. Situationen“ dar (vgl.
Hirtz, 1985, Unterrichtsmaterialien 2000, Uni-Greifswald). Für das Shotokan-Karate,
besonders im Kumite, ist die Reaktionsfähigkeit von grundlegender Bedeutung. Je
kürzer der Abstand von der Aufnahme eines bestimmten Reizes, seiner Verarbeitung
und der entsprechenden motorischen Antwort ist, je schneller kann der Karateka im
Kampf reagieren. Die Fähigkeit auf bestimmte Reize mit einer richtigen Bewegung zu
reagieren ist zu einem bestimmten Teil trainierbar. Die Trainierbarkeit ist genetisch
begrenzt und in diesem Bereich abhängig von der Muskelfaserstruktur, dem Potential
der Nervenleitbahnen Reize weiterzuleiten, dem Zusammenspiel von Nerven und
Muskeln, der intramuskulären Koordination (Reizleitung innerhalb eines Muskels),
der intermuskulären Koordination (Reizleitungen zwischen mehreren Muskeln) u. a.
Zusätzlich zur Reaktionsfähigkeit im Kampf ist die Antizipationsfähigkeit wichtig. Nur
wenn der Karateka einen Reiz erkennt und ihn richtig zuordnet, kann er die jeweilige
Situation erfolgreich bewältigen. Dabei kann der Begriff des „Erfühlens“ genannt
werden, der umgangssprachlich verwendet wird und hinter dem sich die eben benannten
Fähigkeiten verbergen.
Die Kopplungsfähigkeit ist die Fähigkeit Teilkörperbewegungen und Einzelbewegungen
zu koordinieren. Dabei werden vom zentralen Nervensystem mindestens zwei
Bewegungen gleichzeitig gesteuert und beide Körperseiten miteinander verbunden.
Im Shotokan-Karate ist das bei vielen Bewegungen von Bedeutung. Einerseits werden
in den Grundtechnikübungen viele Einzelbewegungen koordiniert und andererseits
müssen diese koordinierten Einzelbewegungen im Kampf angewandt werden.
Im Kampf, gegen einen oder mehrere Gegner, müssen oft gleichzeitig Abwehr- und
Angriffstechniken ausgeführt werden. Man nennt diese Technikkombinationen Direktkonter.
Die Anwendung der Direktkonter erfordern eine gute Kopplungsfähigkeit
und ein fortgeschrittenes Können. Um sich auf bestimmte Situationen einzustellen ist
die Umstellungsfähigkeit bedeutend. Die Umstellungsfähigkeit ist die Fähigkeit des
Sportlers sich auf plötzlich auftretende Situationsveränderungen umzustellen und
anzupassen. Das hat im Karate große Bedeutung, denn hier gibt es keine starren,
sondern sich ständig verändernde Situationen. Es werden in der Literatur noch weitere
Fähigkeiten benannt, wie zum Beispiel Frequenzfähigkeit, Entspannungsfähigkeit,
Kombinationsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit u. a.
Koordinative Fähigkeiten stellen einen Komplex von Fähigkeiten dar, die in einer
ganzheitlichen Struktur leistungsbestimmenden Charakter tragen. Die Differenzierung
und Benennung der koordinativen Fähigkeiten ist nicht eindeutig bestimmt. Jedoch
werden drei wesentliche, objektiv existierende koordinative Grundfähigkeiten
unterschieden (vgl. Schnabel et al. (Hrsg.) 1997, S.117):
49
1. „Fähigkeit zur präzisen Bewegungsregulation, wobei die Bewegungen genau, geführt
und zyklisch sind. Ein Beispiel währen Ausdauersportarten, wie zum Beispiel
Marathonlauf, Rudern, Schwimmen u. a.
2. Fähigkeit zur Koordination unter Zeitdruck, wobei die Bewegungen schnell und
genau sind. Hierzu zählen Schnellkraftdisziplinen.
3. Fähigkeit zur motorischen Anpassung und Umstellung, mit schnellen, genauen
und variablen Bewegungen, wozu Kampfsport und Sportspiele gezählt werden.“
Aus den Erklärungen zu den koordinativen Fähigkeiten wird deutlich, dass die acht
benannten Merkmale der Bewegung im Shotokan-Karate teilweise ihnen zugeordnet
werden können. Die Bewegungskoordination bezieht sich auf die Koordination aller
Bewegungen innerhalb einer Anforderungssituation. Das sind alle Körperbewegungen
die ausgeführt werden, um eine motorische Handlung zu vollziehen, mit dem Ziel
die Anforderungssituation zu lösen. Wird z. B. ein Karateka angegriffen zählen bei
dem Angreifer alle Bewegungen zur Anforderungssituation, die zum Angriff gehören,
beim Verteidiger alle Bewegungen die dazu dienen den Angriff abzuwehren und
selbst anzugreifen. Dabei können die Positionen von Angreifer und Verteidiger
wechseln. Der Bewegungsrhythmus ist mit der oben aufgeführten Definition der
Rhythmusfähigkeit erklärt.
Durch die Fähigkeit zur Bewegungskopplung wird dem Karateka ermöglicht in und
aus vielen verschiedenen Richtungen Kampfhandlungen mit unterschiedlichen Techniken
zu vollziehen. Er ist in der Lage in verschiedenen Situationen verschiedene
Techniken variabel einzusetzen, zu verbinden bzw. zu koppeln.
Die Ausprägung des Bewegungsflusses der Bewegung des Karatekas ist ein Merkmal
für den Fortschritt und die Qualität im Lernprozess der Techniken. Ein guter Bewegungsfluss
ist besonders bei der Kombination verschiedener Techniken, bei der
Ausführung einer Kata und der Ausführung von Abwehr- und Kontertechniken im
Kampf wichtig. Je besser es einem Karateka gelingt die Techniken in einen Fluss zu
bringen, je höher ist der Grad der Körper- und Technikbeherrschung. Der Bewegungsfluss
innerhalb einer Technik ist dabei die Basis einer sauberen Grundtechnik.
Erst wenn eine Grundtechnik bei der Technikschulung fließend ausgeführt werden
kann, kann sie im Kampf eingesetzt werden. Doch bevor sie im freien Kämpfen benutzt
werden kann, muss sie in abgesprochenen Kampfübungen verfeinert werden.
Nach methodischen Prinzipien, genauer gesagt der Teil-Lern-Methode, wird eine
Technik in Einzelelemente zerlegt und teilweise erlernt. Danach wird die Technik zusammengesetzt
und fließend, an einem Stück geübt. Der Grad des Bewegungsflusses
charakterisiert die Qualität der Ausführung der Techniken. Gleichzeitig ist ein guter
Bewegungsfluss Voraussetzung im Karate die erlernten Techniken im Kampf und
in einer möglichen Selbstverteidigungsposition anwenden zu können. Kampf bezieht
sich hierbei auf Übungs- und Freikämpfe im Training und Wettkampf. Die Selbstverteidigungssituation
bezieht sich auf eine mögliche reale Kampfsituation außerhalb
des Sports, wobei es nötig wird die erlernten Kampftechniken zwecks Selbstverteidigung
zur Anwendung zu bringen.
Bewegungspräzision ist im Karate besonders wichtig. Die Techniken müssen so präzise
wie möglich ausgeführt werden, um die eigene Gesundheit aufrecht zu erhalten.
Werden zum Beispiel Fußtritte ausgeführt, muss auf die Streckung im Kniegelenk
geachtet werden. Wird das Knie dabei durchgestreckt und erfolgt die Muskelkontraktion
der Beine zu spät, wird das Kniegelenk überstreckt. Geschieht das häufig nimmt
das Kniegelenk Schaden. Das macht die Bewegungspräzision für den Gesunderhalt
des Körpers besonders wichtig. Im Kampf müssen die Techniken vor dem Ziel gestoppt
werden. Dazu müssen Distanz und Timing stimmen. Nur mit einer präzisen
Bewegung ist es möglich die Techniken zu kontrollieren. Gleichzeitig ist die präzise
50
Bewegung Voraussetzung, um die Techniken optimal im Kampf anwenden zu können.
Nur die präzise ausgeführte Bewegung kann effektiv eine Wirkung am Gegner
erzielen.
Bewegungskonstanz ist besonders im Lernprozess des Techniktrainings wichtig.
Konstant ausgeführte Bewegungen schleifen sich als Muster ein und gewährleisten
eine Optimierung bzw. Ökonomisierung der Technik, mit einhergehender Anpassung
des Körpers an die Bewegung. In Laboren für angewandte Physiologie des Brooklyn
Centers, der Long Island Universität, wurden über einen Zeitraum von sechs Jahren
physiologische und konditionelle Aspekte des Karatetrainings untersucht. Dabei wurde
festgestellt, dass eine hohe Wiederholungsrate von Techniken die Verbindungen
von Großhirnrinde, Nervenbahnen und willkürlicher Muskeln verbessert werden. Nervenfasern
werden durch hohe Wiederholungsraten stimuliert, wodurch Steuerungsprozesse
des Gehirns verbessert werden (vgl. Okazaki, Stricevic 2003).
Der Bewegungsumfang kennzeichnet den Umfang der Ausführung einer einzigen
Technik oder verknüpfter Technikabfolgen. Je genauer der Umfang an das Idealbild
einer Technik angepasst ist, je ökonomischer ist die Ausführung bei gleichzeitig maximaler
Wirksamkeit der Technik. Im Kampf ist es besonders wichtig so sparsam wie
möglich mit seinen Kräften umzugehen, um den Kampf letztendlich mit einer wirkungsvollen
Technik zu beenden. Je weiter die Bewegungen sind, desto unökonomischer
ist sie, desto mehr Energie muss der Kämpfer aufwenden. Je länger gekämpft
wird, je schwieriger wird es die Leistung aufrecht zu erhalten, die nötig ist, um den
Kampf zu gewinnen. Die Bewegungen müssen deshalb so ökonomisch wie möglich
ausgeführt werden. In der Grundschule lernt der Karateka den Bewegungsumfang
einer Technik so stark zu reduzieren und seinem Körper genau anzupassen, dass er
ohne große Energieverluste eine Technik mit maximaler Wirkung im Kampf exakt
umsetzen und anwenden kann.
Die Bewegungsstärke kennzeichnet die Fähigkeit des Karatekas Muskelspannungen
einzusetzen. Nur eine maximal stark ausgeführte Bewegung gibt dem Karateka die
Chance eine wirkungsvolle Technik im Kampf anzubringen. Die Bewegungsstärke
kennzeichnet ebenfalls die Fähigkeit der gezielten Muskelkontraktion. Wenn alle nötigen
Muskeln am Ende einer Bewegung angespannt werden, nur für den Bruchteil
eines Augenblickes, kann der Karateka eine Wirkung der ausgeführten Technik erzielen.
Durch die kurze Anspannung, mit sofortiger Entspannung, ist es dem Karateka
möglich für eine nachfolgende Technik wieder die maximale Wirksamkeit erzeugen
zu können. Durch die Entspannung, nach der größtmöglichen Anspannung,
kann der Karateka sich sofort weiterbewegen, um nicht getroffen zu werden. Außerdem
ermöglicht ihm die Entspannung wieder eine Bereitschaftshaltung einzunehmen,
um optimal auf eine neue Situation reagieren zu können. Die Bewegungsstärke
wird im Kihon trainiert und verbessert. Gleichzeitig wird durch die kurze Kontraktion,
meist aller Muskeln, am Ende einer Technik, mit ihrer sofortigen Entspannung die
Durchblutung in der Skelettmuskulatur erhöht. Hierbei kommt es zu einer Art Selbstmassage
des Körpers. Die Umsetzung der Bewegungsstärke hat das Ziel die gesamte
Kraft einer Technik an einem Punkt zu bündeln und auf eine kleine Fläche zu übertragen.
Dadurch entsteht eine große Wirkung, die den Gegner niederzwingen soll.
Man spricht von Energiefokus oder Brennpunkt.
Es kann an dieser Stelle festgestellt werden, dass der Schwerpunkt des Kihon-
Trainings die Entwicklung der äußeren Technik, mit dem inneren Verständnis dieser
ist. Dabei werden das richtige Stehen, verschiedene Bewegungsformen, Arm- und
Beintechniken, Angriffs- und Abwehrtechniken, richtiger Hüfteinsatz, korrekte Atmung
zur Technik, An- und Entspannung u. a. bis zur Automatisierung geübt. Es ist im ersten
Verständnis eine Körperschulung, die spezifisch für das Shotokan-Karate grund-
51
legende Voraussetzungen schafft. Dabei konzentriert sich der Übende auf die Technik,
er verdrängt Unnötiges und ist ganz bewusst bei der Übung. Die Konzentration
wird auf das Wesentliche gerichtet. Das weitergehende Verständnis ist die Auseinandersetzung
mit der Technik in den Bereichen Stellungen, Hüfteinsatz, Balance,
Anspannung, Entspannung, Atmung, Konzentration u. a. Es ist eine Art der Geistesschulung,
wie es im Shotokan-Karate genannt wird (vgl. H. Handel 1998). Hierbei
wird der Blick auf das Innere gelenkt, wobei der eigenen Körper erfahrbar, erfühlbar
und erlebbar wird. Das eigene Innere soll erkannt und negative Einflüsse abgestellt
werden. Der Geistesschulung folgt die „Seelenschulung“, als esoterischer Aspekt des
Kihon-Trainings (vgl. H. Handel 1998, S.204). „Seelenschulung“ bedeutet das Endziel
der Technik, das „Nicht-Denken“ zu erreichen. Die Technik wird transzendiert
und der Karateka lernt in sich hineinzuhören.
Eine hohe Form des Kihon-Trainings ist das Üben von Kombinationen. Hier werden
verschiedene Techniken variabel kombiniert, um die erworbenen Fähigkeiten zu
verbessern. Kombinationen werden mit einem bestimmten Rhythmus ausgeführt. Je
nachdem, in welcher Reihenfolge die Techniken liegen, müssen sie schneller oder
langsamer, mit spezifischen Anwendungsmustern im Kampf, ausgeführt werden. Außerdem
können die Kombinationen in verschiedene Richtungen geübt werden. Dabei
erhöht sich die Schwierigkeit der Ausführung der Techniken. Dadurch werden hohe
koordinative Anforderungen an den Karateka gestellt. Das Üben von Grundtechniken,
sowohl in einzelner Form als auch in Kombinationen, stellt eine wichtige Säule
im Shotokan-Karate-Training dar.
Es kann weiterhin das Bewegungstempo genannt werden, das als Schnelligkeit von
Teil-/ Bewegungen in ihrer zeitlichen Ausführung, Geschwindigkeit und Beschleunigung
gekennzeichnet ist.
Was bei diesen Ausführungen deutlich zum Ausdruck kam, ist nicht nur die hohe Anforderung
an die koordinativen, sondern ebenfalls die hohen Anforderungen an die
konditionellen Fähigkeiten.
3.4) Konditionelle Fähigkeiten
Der Deutsche Karate Verband e.V. (DKV) ist ein Verband guter Trainer und vieler
Sportwissenschaftler. Sie haben ein karatespezifisches konditionelles Anforderungsprofil
erstellt, wobei die Definitionen bestimmter Begriffe an Martin angelehnt werden.
Das Anforderungsprofil wird auszugsweise aus der „Rahmentrainingskonzeption für
Kinder und Jugendliche im Leistungssport“ des DKV übernommen. Die Konzeption
wurde vom Sportpädagogen und Träger des 5. Dan im Shotokan-Karate Rudolf Eichert
(2003) erstellt. Die Rahmentrainingskonzeption ist ein Mehrjahresplan (Perspektivplan),
der Jahrespläne und Wochenpläne enthält, die zur Steuerung und Regelung
des Trainings dienen. Es ist ein „idealtypisches Theoriemodell, in dem Eckdaten
der Inhalte und Belastungsanforderungen und deren zeitliche Anordnung global
festgeschrieben sind“ (vgl. R. Eichert 2003, S.3). Kondition ist, allgemein bezeichnet,
eine leistungsbestimmende Komponente und somit eine Leistungsvoraussetzung. In
Anlehnung an H. Ilg (Lehrmaterialien 2000) bezieht sich Kondition auf die physiologischen
Energieaspekte für die spezifischen konditionellen Fähigkeiten Kraft, Ausdauer,
Schnelligkeit und Beweglichkeit. Sie sind Ausdruck und Ergebnis der aktiven Energieübertragung
im Herz-Kreislauf- und Stoffwechselsystem (Ausdauer) und in der
Skelettmuskulatur (Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit). Martin (1995) definiert die
„Kondition als eine Komponente des Leistungszustandes, die primär auf das Zusammenwirken
energetischer Prozesse des Organismus und der Muskulatur basiert“
(vgl. Eichert 2003). Man unterscheidet heute vier Hauptformen der konditionellen Fä-
52
higkeiten. Diese sind Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Beweglichkeit. Jedoch sind
Schnelligkeit und Beweglichkeit Mischformen verschiedener Leistungsvoraussetzungen.
Die Schnelligkeit wird gleichzeitig zu den koordinativen Fähigkeiten gezählt,
denn das präzise Zusammenspiel der Nerven und Muskeln ist hierbei eine wichtige,
leistungsbestimmende Komponente. Die Beweglichkeit ist gleichzeitig von der Konstitution
des Menschen und von den koordinativen Fähigkeiten abhängig. Sie unterliegt
bestimmten genetischen Voraussetzungen, ist zum Teil trainierbar und wird von
der Koordination von Muskeln, Sehnen, Bändern, in Zusammenarbeit mit Nerven und
der Gelenkbeweglichkeit, also der Bewegungsamplitude innerhalb eines Gelenks,
beeinflusst.
Außerdem gibt es zwischen den konditionellen Fähigkeiten viele Mischformen, die in
folgender Tabelle aufgelistet sind (vgl. R. Eichert 2003):
Kraft Schnelligkeit
KONDITION
Ausdauer Beweglichkeit
• Maximalkraft • Reaktionsschnel- • Kurzzeit-, Mittelzeit- • Gelenkbeweglichkeit
• Schnellkraft ligkeit
und Langzeitaus- • Dehnungsfähigkeit
• Kraftausdau- • Kraftschnelligkeit dauer
• Allgemeine Beweger
• Bewegungsschnel- • allgemeine Ausdaulichkeit • Reaktivkraft ligkeiter(Grundlagenaus-
• Spezielle Beweg-
• Spezielle • Schnelligkeitsausdauer)lichkeit Kraft
dauer
• lokale Muskelaus- • Aktive Beweglichkeit
dauer
• Passive Beweglich-
• spezielle Ausdauer
(z. B. karatespezifischeSchnellkraftausdauer)keit
Für das Shotokan-Karate werden folgende Merkmale zusammengefasst:
1. SCHNELLIGKEITSFÄHIGKEIT: Für die Schnelligkeitsfähigkeit braucht der Karateka
Schnellkraft, Beschleunigungsfähigkeit und Reaktionsschnelligkeit.
2. KRAFTFÄHIGKEIT: Für die Kraftfähigkeit benötigt der Karateka Schnellkraft (besonders
in den Bereichen der Startkraft und Explosivkraft), Maximalkraft, Reaktivkraft
(zum Beispiel beim Beinabdruck für Fußtritte oder Bewegungen) und eine
karatespezifische Form der Ganzkörperspannung, das Kime genannt wird (wie
bei der Bewegungsstärke schon ausgeführt wurde).
3. AUSDAUERFÄHIGKEIT: Für die Ausdauerfähigkeit werden Grundlagen- und
Schnellkraftausdauer genannt, die besonders bei der Ausführung von Katas und
im Kampf an Bedeutung gewinnen.
4. BEWEGLICHKEIT: Im Bereich der Beweglichkeit sind die Gelenkbeweglichkeit
und Dehnbarkeit bzw. Flexibilität zu nennen. Fußtritte müssen zum Beispiel zum
Kopf und in alle möglichen Richtungen ausgeführt werden. Das Selbe gilt für alle
anderen Techniken im Shotokan-Karate.
Die vier Hauptformen der konditionellen Fähigkeiten werden im Shotokan-Karate intensiv
trainiert. Einerseits sind sie Grundlage, um spezifisch im Karate-Training voranzukommen,
andererseits werden sie durch das Karate-Training ausgebildet.
Wissenschaftliche Forschungen, über einen Zeitraum von sechs Jahren, in Laboratorien
für angewandte Physiologie des Brooklyn Centers der Long Island Universität,
befassten sich mit Faktoren in Hinblick auf Kondition und mit der benötigten Zeit für
53
die Ausführung von spezifischen Bewegungsmustern. Diese spezifischen Bewegungsmuster
waren festgelegte Katas. Untersucht wurden 100 Probanden zwischen
18 und 45 Jahren, die etwa vier Jahre Erfahrung im Shotokan-Karate hatten. Die
Durchschnittsgröße betrug 171cm, das Durchschnittsgewicht 71kg. Dabei wurden
folgende Messungen vor und nach der Ausführung der Kata vorgenommen (vgl. Okazaki,
Stricevic 2003):
- Blutdruck,
- Elektrokardiogramm (im Ruhezustand und während der Belastung)/ Herzstromkurve,
- Herzfrequenz (Schläge pro Minute),
- Atem-Minutenvolumen (Menge der ein- oder ausgeatmeten Luft pro Minute in Litern),
- Atemfrequenz (Atemzüge pro Minute),
- Atemvolumen (durchschnittliche Luftmenge während eines Ein- und Ausatmungszyklus),
- Vitalkapazität (Luftmenge, die nach einer maximalen Einatmung maximal ausgeatmet
werden kann) und
- die zur Durchführung einer Kata benötigten Zeit.
Ohne an dieser Stelle auf die wissenschaftliche Arbeitsweise der Forschung einzugehen
wurde festgestellt, das Pulswerte von 155 bis 163 Schlägen bei der Durchführung
der Katas auftraten, die nach sportmedizinischen und trainingswissenschaftlichen
Erkenntnissen ein Überschreiten der Schwelle für eine positive kardiovaskuläre
Reaktion darstellen. Ebenfalls erhöhten sich die Blutdruckwerte in einem Bereich der
das kardiovaskuläre System ausreichend anregte, um Konditionseffekte zu erzielen
(vgl. Okazaki, Stricevic 2003).
Die Atemfrequenzen lagen in Ruhe bei 12 und während der Ausführung der Katas
zwischen 22 und 24 Atemzügen. Das Atemvolumen lag im Ruhezustand von 1,088
Litern, während der Ausführung der Katas lag es zwischen 1,504l und 1,656l. Das
Gesamtvolumen in Ruhe betrug ca. 13,056l, während der Ausführung der Katas zwischen
36,112l und 36,444l (vgl. Okazaki, Stricevic 2003). Auch diese Erhöhungen
sind physiologische Kennzeichen, die positive Auswirkungen auf Konditionseffekte
erzielen. Die Messungen der gebrauchten Zeit für die ausgeführten Katas wurden
vorgenommen, um festzustellen, ob das zeitlich vorgegebene Rhythmusmuster des
klassischen Karate eingehalten wurde. Nur wenn die vorgegebenen zeitlichen
Rhythmen exakt ausgeführt werden, kann auch ein exaktes Ergebnis erzielt werden.
Die zeitlichen Vorgaben lagen ursprünglich bei 60 Sekunden. Sie wurden eingehalten,
mit einer durchschnittlichen Abweichung von einer Sekunde (vgl. Okazaki, Stricevic
2003). Kata-Training hat nach wissenschaftlichen Untersuchungen einen positiven
Einfluss auf das kardiovaskuläre System, dient also der Konditions- bzw. Ausdauersteigerung.
Genaue Ausführungen dazu liefern Okazaki und Stricevic (2003).
Ausdauer ist eine konditionelle Fähigkeit, die dazu dient „Widerstandsfähigkeit gegenüber
Ermüdung, die bei sportlichen Belastungen ermüdungsbedingte Leistungsverluste
mindert“, zu gewährleisten (vgl. Schnabel et al. (Hrsg.) 1997, S.151). Eine
gute Ausdauer sichert das Durchhalten einer Dauerbeanspruchung, beschränkt oder
verhindert die ermüdungsbedingten Leistungseinschränkungen und sorgt für eine rasche
Wiederherstellung energetischer Leistungsvoraussetzungen nach der Belastung
(vgl. Eichert 2003). Sie stellt somit eine wesentliche Grundlage für das Shotokan-Karate
dar. Das Ziel des Ausdauertrainings ist es den Energieverbrauch unter
Belastungen zu ökonomisieren. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben,
54
dass sich der Organismus und die energetischen Prozesse an eine dauernde Belastung
anpassen. Je effizienter der Energieverbrauch ist, je höher ist die Ausdauerleistung.
Das ist ein wesentliches Merkmal, das auch im Shotokan-Karate große Bedeutung
hat. Wie schon unter den Punkten Kata, Kumite und Kihon beschrieben ist es
wichtig mit dem wenigsten Aufwand an Energie die größte Wirkung zu erzielen. Die
Ökonomisierung der energetischen Prozesse trägt dazu einen wesentlichen Teil bei.
Auf die sportmedizinischen Aspekte der konditionellen Fähigkeiten soll an dieser
Stelle nicht weiter eingegangen werden, da sie in vielen Werken speziell behandelt
wurden. Für diese Arbeit ist es wichtig die Differenzierung der konditionellen Fähigkeiten
herauszunehmen, um die Entwicklung im Trainingssystem genauer zu betrachten.
Für das Training stellen konditionelle Fähigkeiten eine wesentliche Komponente
dar. Für das Shotokan-Karate ist nicht nur die Ausdauer von großer Bedeutung,
sondern auch die Kraftfähigkeit. „Kraftfähigkeit ist die Fähigkeit Widerstände mit
willkürlicher Muskelkontraktion zu überwinden bzw. äußeren Kräften entgegenzuwirken“
(Schnabel et al. (Hrsg.) 1997, S. 132). Im Shotokan-Karate gibt es verschiedene
zu überwindende Kräfte, wie zum Beispiel die Schwerkraft u. a. Physikalisch ist Kraft
die Ursache von Bewegungen. Andererseits müssen auch die gegnerischen Einflüsse
überwunden werden. Die Kraftfähigkeit ist dafür Grundvoraussetzung. Angriffe
müssen mit Körperkraft abgewehrt und es muss Kraft aufgebracht werden, um einen
Gegenangriff erfolgreich auszuführen. Kraft wird benötigt, um den Widerstand des
Gegners zu brechen bzw. zu überwinden. Gleichzeitig ist dafür Schnelligkeit nötig,
die als die Fähigkeit in kürzester Zeit auf Reize zu reagieren und Informationen zu
verarbeiten gekennzeichnet ist. Ein weiteres Merkmal der Schnelligkeit ist die Ausführung
von Bewegungen bzw. Bewegungshandlungen mit größtmöglicher Bewegungsintensität.
Diese Merkmale lehnen sich an Schnabel, Harre und Borde (1997)
an. Nur mit schnellsten, aber sehr präzisen Bewegungen ist es im Kampf möglich
dem Gegner keine oder nur minimal Zeit zu geben, um auf einen Angriff bzw. einen
Reiz reagieren zu können. Das ist ein wesentliches Trainingsziel im Shotokan-
Karate. Um die genannten Komponenten optimal umsetzen zu können benötigt ein
Karateka die Beweglichkeit. Die Beweglichkeit ist als motorische Fähigkeit des Bewegungsspielraums
der Gelenke bei der Ausführung von Bewegungen oder der Einnahme
bestimmter Haltungen gekennzeichnet (vgl. Schnabel et al. (Hrsg.) 1997). Die
Beweglichkeit kennzeichnet im Weiteren die Flexibilität bzw. die Dehnbarkeit der
Muskeln, Sehnen und Bändern des menschlichen Körpers. Die Ausnutzung der optimalen
Bewegungsamplitude bei der Ausführung einer Technik, besonders im
Kampf, ist grundlegende Voraussetzung, um diese mit größtmöglicher Wirkung umzusetzen.
Dazu sind optimal gedehnte Muskeln nötig, denn nur Muskeln die nicht
verkürzt oder abgeschlafft sind können erfolgreiche Karatetechniken gewährleisten.
Das bezieht sich auf die technische Anwendung von Shotokan-Karate. Ein Fußtritt
zum Kopf kann nur mit einem sicheren Einbeinstand und einer optimalen Dehnfähigkeit
der Muskeln, Sehnen und Bändern ausgeführt werden. Der Fuß des Standbeines
muss dabei komplett am Boden sein, das wiederum nur mit einer optimalen Wadendehnung
realisiert werden kann. Mit einer Wadenverkürzung würde der Hacken
den Boden verlassen, der Stand wäre noch instabiler als er schon mit nur einem Bein
ist. Der Tritt würde dadurch an Kraft verlieren, da die optimale Muskelkontraktion für
einen wirksamen Fußtritt nicht realisiert werden kann. Die Beweglichkeit ist nicht nur
dafür Voraussetzung, sondern dient auch der Prophylaxe von Verletzungen. Gut
ausgebildete Muskeln, Sehnen und Bänder arbeiten effizienter zusammen, da sie mit
Nervenzellen besser vernetzt sind, die gleichzeitig stabiler angelegt werden. Das gezielte
Training der Beweglichkeit verstärkt die Nervenbahnen, wodurch der menschliche
Körper besser auf Reize reagieren kann.
55
Konditionelle und koordinative Fähigkeiten sind wesentliche Elemente im Shotokan-
Karate. Diese Erkenntnisse wurden in das Karate-Trainingssystem integriert und
neue Methoden des Trainings entwickelt. Genaue Methoden zu den konditionellen
und koordinativen Fähigkeiten im Training des Shotokan-Karate werden in der weiteren
Arbeit genannt.
Zusammenfassend können die konditionellen und koordinativen Fähigkeiten folgendermaßen
dargestellt werden, wobei die Grafik keinen Anspruch auf Vollständigkeit
erhebt:
Bedingungen:
Intellektuelle Fähigkeiten
Kraftfähigkeit Schnelligkeitsfähigkeit Ausdauerfähigkeit
Maximalkraftfähigkeit
Schnellkraftfähigkeit
Kraftausdauerfähigkeit
Sportliche Bewegung
• in der Phase der Rehabilitation
• im Freizeit und Breitensport
• im Leistungssport
Spezielle Bewegungsfertigkeit
Sportliche Technik / Bewegungsvorgabemodell
Vorraussetzung: Sportmotorische Fähigkeit
konditionelle / energetisch
determinierte Fähigkeit
Sportmotorische (körperliche)
Fähigkeit
56
koordinative / informell
determinierte Fähigkeit
Psychisch – moralische
Fähigkeiten
Konditionelle Fähigkeit Koordinative Fähigkeit
• Differenzierungsfähigkeit
• Orientierungsfähigkeit
• Gleichgewichtsfähigkeit
• Reaktionsfähigkeit
• Rhythmusfähigkeit
• Kopplungsfähigkeit
• Umstellungsfähigkeit
Im folgenden Kapitel wird untersucht, wie diese Erkenntnisse tatsächlich im Shotokan-Karate-Training
angewandt und umgesetzt werden. Dazu wurde vom Autor ein
Fragebogen konstruiert, der im Interviewverfahren benutzt wurde, um verschiedene
Trainer diesbezüglich zu hinterfragen.
4) Das Interviewverfahren
Das hier gewählte Interviewverfahren soll Einblicke in die Alltagstheorien, das Alltagswissen
und Berufs- bzw. subjektive Theorien der Praktiker (vgl. Roth (Hrsg.)
1996), also der Trainer geben. In Roth (Hrsg., 1996, S.22) wird das folgendermaßen
beschrieben: „In diesen handlungsleitenden ’Mixturen’ verschmelzen alltägliche Erfahrungen,
Routinen, Erfolge, Freuden, Misserfolge und Enttäuschungen mit theoretischen
Überlegungen und Wissensbeständen.“ Das Interviewverfahren ist eine Methode
der wissenschaftlichen Forschung, die als Feldforschung bezeichnet werden
kann, also praxisorientiert ist und eine „alltagstheoretische Fundierung“ darstellt (vgl.
Roth (Hrsg.) 1996, S. 25). Die Trainer wurden unter natürlichen Bedingungen interviewt,
die Daten wurden unter natürlichen Bedingungen erhoben. Die gegebenen
Antworten, also die gesammelten Daten lassen sich scheinbar automatisch auf die
Praxis übertragen. Doch ob alle Aussagen mit der Praxis übereinstimmen wurde
nicht überprüft. Somit ist das verwendete Interviewverfahren eine theoretische Untersuchung
zum Karate-Training. An dieser Stelle soll erklärt werden, dass die Ehrlichkeit
der Trainer nicht in Frage gestellt wird, sondern nur geklärt werden muss, dass
die Untersuchung, auf Grund fehlender praktischer Nachweise, auf eine theoretische
Basis beruht. Der Fragebogen wurde standardisiert und bei jedem Trainer gleich angewandt.
Der erste Schritt, nach der Erstellung des Interviewkonzepts, war das Wissen
der Trainer zu erfassen. Das geschah durch Befragung unter gleichen Bedingungen.
Die Interviews wurden aufgenommen und später schriftlich ausgewertet.
Gleichzeitig ist aber nicht sicher ob die im Interview genannten Trainingsbedingungen
genau so praktisch umgesetzt werden. Es fehlt die Kontrolle der tatsächlichen
Bedingungen. Dazu wäre eine Langzeitstudie nötig. Diese Faktoren bedeuten ein
Validitätsproblem, dass mit einer Einzeluntersuchung nicht gelöst werden kann.
Heuer (1993) schlägt eine Strategie der multiplen Aufgabenreihen vor, die ein „Untersuchungsreihenkonzept
beinhaltet, bei dem die gleiche Forschungsfragestellung
(konstante Problemkomplexität) in verschiedenen Studien evaluiert wird (vgl. Roth
(Hrsg.) 1996, S.24). In Roth wird diese Vorgehensweise folgendermaßen Charakterisiert
(Roth, (Hrsg.) 1996, S.24/25): „…Diese werden so gestaltet, dass die Operationalisierungen
der abhängigen und unabhängigen Variablen möglichst breit über das
Kontinuum zwischen Labor und Feld streuen. Auf der einen Seite finden sich gut
kontrollierbare, aber eher künstliche Merkmalsspezifikationen, auf der anderen Seite
Variablenfestlegungen, die den Rahmenbedingungen der Sportpraxis nahe kommen.
Mit dieser Vorgehensweise können die jeweiligen Stärken der Labor- und Feldforschung
zumindest partiell vereinigt werden: Den Laboruntersuchungen fällt die Aufgabe
zu, Zusammenhänge und Effekte aufzudecken; in Feldstudien werden diese
Resultate aufgegriffen, und es wird geprüft, ob sie sich auch in natürlichen, niedrig
kontrollierten Situationen – im Prinzip – rekonstruieren lassen. Das Konzept der multiplen
Aufgabenreihen ist in der sportwissenschaftlichen Forschung bereits mehrfach
eingesetzt worden (vgl. u.a. Roth, 1989; Hossner, 1995; Szymanski, 1996).“
In der Untersuchung zum „Techniktraining im Spitzensport“, vom Herausgeber Klaus
Roth, wurde das Interviewverfahren gewählt, um „aus der Praxis für die Praxis“, aus
der Sicht erfolgreicher Trainer, ein „Bindeglied zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen
und deren Ausrichtung und Umsetzung im Sport“ zu betrachten (vgl.
Roth (Hrsg.) 1996, S.9). Die Interviewstudie dieser Arbeit lehnt sich, in der Erstellung,
an die Untersuchung zum „Techniktraining im Spitzensport“ an.
Es gibt Trainer, die vielschichtige Situationen des Trainings sicher bewältigen und
über umfassendes Wissen verfügen. Dieses Wissen wurde, für die vorliegende Ar-
57
eit, im Bereich des Shotokan-Karate erhoben, individuell rekonstruiert, zusammengefasst
und zu trainingsmethodischen Prinzipien verdichtet.
In wie weit sind die befragten Trainer Experten? Die befragten Trainer haben eine
Karate-Praxis von 10-23 Jahren. Sie durchliefen verschiedene Ausbildungen und haben
Trainerlizenzen der Karate-B-, Karate-A- oder Instruktor-Shotokan-Karate-
Klasse. Die Ausbildungen sind stark unterschiedlich, worauf an späterer Position
eingegangen wird. Kein Trainer ist Sportwissenschaftler mit abgeschlossenem
Sportstudium. Mit diesen Ausbildungsstadien und der langen praktischen Erfahrung
wird ein Grad an Expertenwissen vorausgesetzt. Unter den Befragten waren der
Landestrainer für Kata Mecklenburg/Vorpommern (3.Dan – Shotokan-Karate, Trainer-Karate-A-Lizenz),
der Präsident der Karate-Union Mecklenburg/Vorpommern (4.
Dan – Shotokan-Karate, Trainer-Karate-B-Lizenz; Zweigstelle des Deutschen-
Karate-Verbandes), der Präsident des Shotokan-Ryu-in-Deutschland e.V., der
gleichzeitig der erfahrenste Trainer, mit 23 Jahren Praxis und Instruktor für klassisches
Shotokan-Karate mit dem 4.Dan ist und zwei weitere Instruktoren mit ca. 12
Jahren praktischer Erfahrung (mit jeweils dem 3.Dan graduiert). Die Höhe des Dan-
Grades und die lange praktische Erfahrung der Trainer bzw. Instruktoren kennzeichnen
sie als Experten. Die Voraussetzung des Wissens dieser Trainer wird hier zum
Gegenstand der Untersuchung gemacht. Das Interviewverfahren hat den Vorteil im
Gespräch den Wissensstand zu ermitteln, wodurch bei Unklarheiten sofort Hinterfragungen
vorgenommen werden können. Es muss aber sichergestellt werden, dass
keine bzw. so wenig wie möglich Redundanz auftritt, aber das Kernthema des Interviews
deutlich herausgestellt wird. Die Position des Fragenden muss hierbei klar
dargestellt sein. Er muss neutral und nicht wertend ein Gespräch führen, wobei eine
subjektive Stellungnahme zum Thema vermieden werden soll. Dadurch kann eine relativ
objektive Position der Untersuchung sichergestellt werden. Die Interviews sind
halbstandardisiert, aber auch fokussiert. Dadurch wird dem Interviewpartner einerseits
die Möglichkeit zum Erzählen gegeben und andererseits gezieltes Nachfragen
ermöglicht, um das Gespräch auf bestimmte Themenkomplexe zu lenken. Diese Impulsgebung
wird als Interviewleitfaden bezeichnet (vgl. Roth (Hrsg.) 1996). Die aufgenommenen
Gespräche wurden anschließend verschriftlicht bzw. in ein Textformat
gebracht und inhaltsanalytisch ausgewertet. Sie werden als Gedächtnisprotokolle in
dieser Arbeit zusammenfassend dargestellt, wobei das Trainerwissen und die jeweiligen
Trainerphilosophien herausgestellt werden. Daran schließt sich das Zusammenfassen
der Aussagen und der Vergleich dieser an, mit dem Versuch der Kategorienbildung
spezifischer gemeinsamer oder entgegengesetzter Aussagen. Die Kategorienbildung
basiert auf sportwissenschaftlichen, im Besonderen auf trainingswissenschaftlichen
Erkenntnissen, im speziellen hier für das Shotokan-Karate, als technisch-individualtaktisch
akzentuierte Sportart. Daraus ergeben sich bestimmte Prinzipien
des Trainings, die durch die intensive Literaturrecherche unterstützt werden.
Die Herausstellung der verschiedenen Prinzipien machen gleichzeitig die Unterschiede
im Training deutlich. Somit ist ein Einblick in die Entwicklung des Trainingssystems
durch die Interviewstudie und den Vergleich mit allen zuvor beschriebenen
Elementen möglich und eine gewisse Validierung der Untersuchung gewährleistet.
Da das Interview speziell für das Shotokan-Karate erstellt wurde und keine anderen
Sportarten analysiert werden, ist die Standardisierung des Konzepts optimal gewährleistet
und eine interindividuelle Vergleichbarkeit gegeben. Dadurch ist eine gewisse
Validierung der Themen und Inhalte des Interviews und der daraus folgenden Ergebnisse
für diesen Bereich sichergestellt.
58
4.1) Fragenerstellung
Das Interview dient dazu mit standardisierten Fragen das Trainerwissen zu erfassen.
Wie schon beschrieben ist, wurden explorative und fokussierte Fragestellungen konstruiert,
um einerseits die Freiheit aus eigener Erfahrung zu erzählen und andererseits
die gezielte Hinterfragung relevanter Themen der Trainingsentwicklungsanalyse
im Shotokan-Karate sicherzustellen und den Rahmen der Untersuchung nicht zu verlassen.
Es wurden verschiedene Bereiche abgetastet, wie zum Beispiel Trainingsziele,
Trainingsinhalt, Trainingsmethoden und die Umsetzung traditioneller Werte im
Training. Es war also ein Anliegen praktische Erfahrungen und Kenntnisse der Trainer
zu sammeln. Weiterhin wurde der Werdegang der Interviewpartner als Sportler
und Trainer erfragt, um die persönlichen Erfahrungen besser nachvollziehen zu können.
Die persönlichen Meinungen der Trainer, ihre Vorgehensweisen, die Art und
Weise ihres Trainings, der Wissenserwerb, die Beispielangaben zu bestimmten Bereichen
u.a. waren wesentliche Kerninhalte der Interviews. Beim Verfahren des Interviewens
musste beachtet werden, dass die Reihenfolge der Fragen nicht festgelegt
werden kann, um die Freiheit der Antworten zuzulassen. Manchmal hat sich die Reihenfolge
der Fragen von selbst ergeben und manchmal mussten die Fragen in ihrer
Anordnung verändert werden, da sich der Zusammenhang im Gespräch neu ergeben
hat. Ja/nein-Antworten wurden vermieden, da es sich nicht um ein Reproduzieren
des Wissens des Fragenden handelte, sondern um ein Hinterfragen des Trainerwissens.
Zu jeder Zeit wurde der „reflexiv-narrative Charakter des Gesprächs“ gewährleistet
(vgl. Roth (Hrsg.) 1996, S.37). Die Interviews wurden im Zeitraum von Februar
bis April 2004 durchgeführt. Sie fanden entweder in den Büros der Befragten, in
Turnhallen oder in Privatwohnungen statt. Im Nachfolgenden wird das Interviewkonzept
dargestellt:
1) Einleitung
� Erzähle ruhig alles ausführlich und alles was Dir zu den Fragen einfällt.
� Lass Dir Zeit zum Überlegen, denn alles was Dir einfällt ist mir wichtig.
2) Persönliches
� Wie sieht Dein Werdegang als Sportler aus? (welche Sportarten, wann, wo, wie,
warum, bei wem begonnen*)
� Wie sieht Dein Werdegang als Trainer aus? (Lizenzen / haupt- oder ehrenamtlich,
Geschlecht der Athleten*)
� Was sind Deine größten Erfolge als Sportler / Trainer?
� Was sind Deine aktuellen Aufgabenfelder?
� Welche Leistungsklasse(n) trainierst Du?
3) Wie würdest Du das Trainingsziel Deiner Gruppe(n) definieren? (Anhand des
Trainingsziels kann definiert werden, ob der traditionelle Gedanke des ursprünglichen
Karate oder ob der moderne Gedanke des Sportkarate als Grundidee des Trainings
gilt.*)
4) Was sind Deine Trainingsinhalte? Auf welche legst Du besonders Wert? (Kata,
Bunkai, Kihon, Kumite*)
5) Zu welchen Anteilen sind bei Dir die Trainingsinhalte im gesamten Jahr enthalten?
6) Wie gehen gewöhnlich Deine Trainingsvorbereitungen von statten?
59
7) Woher nimmst Du Dein Wissen über Karate und den Elementen Kihon, Kata und
Kumite?
8) Gibt es für Dich bei der Gestaltung von Übungsbedingungen eine eigene Systematik,
ein bestimmtes Prinzip oder so etwas wie eine Grundidee, an der/dem Du
Dich bei Deinem Training orientierst? Nenne Übungsbeispiele.
9) Verwendest Du Trainingsmittel? (Wenn ja welche Trainingsmittel in welchen Situationen?*)
10) Arbeitest du mit Sollwertvorgaben? (Wenn ja wie sehen diese aus und wie setzt
du sie mit dem Istwert in Beziehung?*)
11) Wie vermittelst Du das Technikleitbild? Wie sehen Deine Korrekturen aus?
12) Wie sieht allgemein bei Dir eine karatespezifische Trainingseinheit aus?
13) Unterrichtest Du Kata, Kihon, Kumite, Bunkai getrennt oder immer zusammen
oder einiges davon zusammen?
(Wenn gesondert Kata, Kihon und Kumite trainiert wird frage ich weiter mit Nr. 14,
15, 16. Wenn nicht weiter mit Nr.17*)
14) Wie sieht bei Dir eine Trainingseinheit Kihon aus? (Unterschiede Anfänger /
Fortgeschrittene*)
15) Wie sieht bei Dir eine Trainingseinheit Kata aus? (Unterschiede Anfänger / Fortgeschrittene*)
16) Wie sieht bei Dir eine Trainingseinheit Kumite aus? (Unterschiede Anfänger /
Fortgeschrittene*)
17) Welche Inhalte mischt Du bzw. trainierst du zusammen? Wie sieht dabei die jeweilige
Trainingseinheit genau aus? Gibt es bei Dir Unterschiede bei Anfängern /
Fortgeschrittenen? Wenn ja welche?
18) Welche Trainingsmethoden benutzt Du?
19) Was hältst Du von Abhärtungsübungen, sind sie in Dein Training integriert?
(Welche Übungen, wie oft und in welchem Umfang*)
20) Kennst Du die Geschichte des Karate? Wenn ja erzähle sie.
21) Kennst Du die Philosophie des Karate? Wenn ja wie sieht sie aus?
22) Ist die Philosophie auf Asien beschränkt und hier überhaupt aktuell? Hat sie sich
verändert, sollte sie sich verändern oder sollte man sie dem Westen anpassen?
Wie stehst du dazu?
60
23) Gibt es Deiner Meinung nach Traditionen im Karate? Wenn ja welche und sind
diese Traditionen noch lebendig oder aktuell?
24) Sind Deiner Meinung nach Tradition und Philosophie überhaupt notwendig?
Wenn ja oder nein warum ja; warum nein?
25) Finden Philosophie und Traditionen in Deinem Training einen Patz? Wenn ja wo
und wie setzt Du sie um? Bringst Du sie den Schülern nahe?
26) Was gibt Dir Karate?
27) Siehst Du Änderungstendenzen im Karatetraining? Wenn ja wo und wie sehen
diese aus?
28) Kannst Du zum Schluss den Kern Deines Trainings kurz zusammenfassen?
* Die mit „*“ gekennzeichneten Klammern stellen Hinweise für den Interviewer dar.
Anhand der Konstruktion der Fragen ist erkennbar, dass sie in keinem festen Verlauf
hintereinander „abgefragt“ werden müssen. Sie ergeben sich, in ihrer Reihenfolge,
von selbst aus dem Gespräch heraus. Allen Trainern wurden diese Fragen gestellt.
An manchen Stellen war es nötig ergänzende Fragen hinzuzufügen, die sich im Verlaufe
des Interviews ergaben und auf Grund der Möglichkeit von sofortigem Feedback
klärenden Charakter trugen.
Im folgenden Abschnitt folgen nun die Aussagen in zusammengefasster Form der
befragten Trainer, man kann dies als „Gedächtnisprotokolle des Interviewers“ (vgl.
Roth (Hrsg.) 1996, S.40) bezeichnen.
4.2) Gedächtnisprotokolle des Interviewers
Die nun folgenden Gedächtnisprotokolle fassen die Aussagen der befragten Trainer
zusammen, bilden ihre Philosophien ab und zeigen somit ihre individuellen Portraits
bezüglich des Shotokan-Karate. Die Reihenfolge richtet sich nach der Befragungsfolge
der Trainer. Zuerst werden hierbei die Gedächtnisprotokolle der Trainer des
DKV (Deutscher-Karate-Verband e.V.) aufgelistet, denen die Erstellung der Gedächtnisprotokolle
der Instruktoren des SRD (Shotokan-Ryu-in-Deutschland e.V.)
folgt. Dabei muss an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht werden, dass der
DKV die Versportlichung des klassischen Karate verfolgt und der SRD das klassische
Karate verbreitet. Diese Differenzierung ist eine wesentliche Entwicklungsstufe
im Shotokan-Karate, die an späterer Stelle genauer herausgestellt wird.
Die Geschlechts- und Altersverteilung der Übenden sind in allen Gesprächen gleichermaßen
herausgestellt worden. Die prozentuale Verteilung der Geschlechter ist
etwa 70% - 80% männliche und 20% - 30% weibliche Karatekas. Bei den Kindern ist
das Verhältnis ungefähr gleichverteilt, zu 50% weibliche und zu 50% männliche Karatekas.
Das Alter reicht von 5 bis über 60 Jahren und kaum zu mitteln. Jedoch wurde
in den Leistungsklassen, der Trainer des DKV, das Alter von ca. 16 bis 19 Jahren
festgestellt. Die Breitensportgruppen ordnen sich alle in die oben genannten durchschnittlichen
Werte ein.
61
4.2.1) Gedächtnisprotokoll – Ralph Masella
Ralph Masella ist der Präsident der Karate-Union M/V, der
Hauptgeschäftsstelle des DKV in Mecklenburg/Vorpommern,
in Rostock. Mit 28 Jahren fing er Shotokan-Karate an. Zuvor
trainierte er als Kind, bis er zehn Jahre alt war Fußball,
danach 10 Jahre lang den Leistungssport Rudern. Mit dem
Karatesport begann R. Masella, weil es zu DDR-Zeiten
verboten war: „denn alles was verboten war, war interessant“,
wie er sagte. Gleichzeitig faszinierte ihn damals die Mystik der
asiatischen Kampfkunst Karate. Seit 1988 betreibt er Vereins-
sport – Karate, wobei die Vereine anfangs unter anderen Namen getarnt wurden, auf
Grund politischer Verfolgung. Deshalb trainierte Ralph Masella heimlich, im Verborgenen.
Sie übten mit Algeriern und bekamen Unterstützung aus Polen. Es wurde
nach traditionellen Methoden geübt. Die Methode der tausenden Wiederholungen
war die einzige Konditionierungsmethode. Das Hauptaugenmerk lag auf Kihon und
Kata, aber auch im geringen Maße auf Kumite. Schlagpolsterübungen und viele Liegestütze
stärkten den Körper und härteten verschiedene Körperteile ab, wie zum
Beispiel die Knöchel der Faust. „Das Training war damals viel härter, die Einstellung
zum Sport war auch eine ganz andere…“, sagte Ralph Masella, „…aber die Gesundheit
bekam kaum Beachtung.“ Das Training fand in Kellern oder Gärten und weniger
in Turnhallen statt. Da im August 1989 Karate offiziell erlaubt wurde, konnten nun
Hallenzeiten beantragt werden. Ralph Masella übernahm selbst sehr schnell ein
Traineramt, da in den neuen Bundesländern großer Mangel an Karate-Lehrern bestand.
Er ist heute ehrenamtlicher Trainer mit der B-Lizenz. Seine größten Erfolge als
Sportler waren der 3. Platz (Kumite) bei der ersten und letzten DDR-Meisterschaft
(1990) und die Organisation des Fünf-Länder-Turniers, bei dem er außerdem den 2.
Platz in seiner Gewichtsklasse (Kumite) belegte. Des Weiteren nahm er ohne Erfolge
an Turnieren in Polen teil. Als Trainer nennt er als Erfolge die Ausbildung sehr vieler
Karatekas (weit über 1000), zwei Bronzemedaillen bei den Deutschen Meisterschaften
und die Abnahme tausender Gürtelprüfungen im Kyu-Bereich. Seine aktuellen
Aufgabenfelder im Verein sind Organisation und Verwaltung, Finanzgeschichten,
Wettkampf- und Trainingsplanung, Einteilung der Trainer und Trainingsgruppen, eigenes
Training (dreimal pro Woche) und gleichzeitig Präsident der Karate-Union MV.
Seine Trainingsgruppe bezeichnet er als gehobenen Breitensport. Außerdem hat er
eine spezielle Wettkampfgruppe. Das Trainingsziel ist der Wettkampf und sind hierbei
im Speziellen die Landes- und deutschen Meisterschaften. Einer seiner Sportler
in der Wettkampfgruppe ist Bundeskader, für den er das Ziel einer Medaille bei der
DM steckt, mit der Weiterqualifizierung zu den Europa- und Weltmeisterschaften.
Die Trainingsinhalte sind Vorbereitungen auf regelmäßige Gürtelprüfungen, Selbstverteidigung
und Wettkampfkumite. Das Wettkampfkumite ist der Hauptschwerpunkt
des Trainings. Die Verteilung der Trainingsinhalte im Jahr ist durchschnittlich auf
80% Kumite, 10% Prüfung und 10% Selbstverteidigung gewichtet.
Seine Trainingsvorbereitungen beinhalten die Erstellung eines Rahmentrainingsplanes,
wobei er die Erfahrungen der Bundestrainer einbaut. Dieser Plan sieht das
Grundlagentraining an erster Position vor und wird bis zum Grenzerfahrungstraining
weiterentwickelt. Der Kern, der Vorbereitungen des Trainings, beinhaltet hauptsächlich
„wettkampfspezifische Dinge“. Die Rahmentrainingskonzeption ist auf zwei Höhepunkte
ausgerichtet, das sind meistens die Landes- und deutschen Meisterschaften.
Der Trainingsplan wird im Jahr konsequent verfolgt und kaum verändert. Sein
Wissen erhält er zum einen von den Bundestrainern, zum anderen aus seinen eige-
62
Ralph Masella (rechts) bei
Fehlerkorrekturen nach einer
Prüfung
nen Erfahrungen, die er über viele Jahre gesammelt hat und schließlich aus seinen
Beobachtungen bei Wettkämpfen. Dabei ist ihm aufgefallen, dass sich Karate von einer
eher statischen zu einer dynamischen, viel bewegteren und taktischen Sportart
entwickelt hat. Dabei beobachtete er weiter, dass es große Schwierigkeiten in der
Umsetzung wettkampfspezifischer Bewegungsmuster, Taktiken und Beinarbeit gibt.
Doch es ist wichtig, gerade diese Elemente zu entwickeln, da „die Technik nur ein
Abfallprodukt dessen ist, was die Beine vorher vorbereitet haben“, sagte Ralph Masella.
Dem Erlernen der wettkampfspezifischen Fähigkeiten legt er das didaktische
Prinzip „vom Einfachen zum Schweren“ zu Grunde. Hier stehen die Schulung der
koordinativen Fähigkeiten und das Techniktraining im Vordergrund. Hinzu kommt die
Steigerung der Geschwindigkeit, die Schulung des Kampfschreies (Kiai) und der
Körperspannung (Kime). Dazwischen liegt die Ausbildung der Ausdauer- und der
Kraftkomponenten. Für die Entwicklung der Beintechniken sind außerdem das Beweglichkeitstraining
bedeutsam sowie die Steigerung der Haltefähigkeit der Skelettmuskulatur.
Hierfür werden Übungen mit und ohne Trainingsmitteln ausgewählt.
Hauptsächlich wird mit dem eigenen Körper trainiert, wie zum Beispiel durch Liegestütze
zur Kraftentwicklung und Stärkung der Handgelenke, wenn sie auf der Faust
ausgeführt werden. Der Einsatz von Medizinbällen dient dem Schnellkrafttraining,
Pratzen dienen dem Reaktionstraining, Stangenklettern der Entwicklung der Armkraft,
Slalom um Stangen für die Bewegungskoordination, Springseile dem Ausdauertraining
und Matten der Entwicklung der Fähigkeit richtig, unter Minimierung der
Verletzungsgefahr, fallen zu können.
Im Training arbeitet R. Masella mit Sollwertvorgaben im Technikbereich. Dabei steht
das Technikleitbild mit den Idealvorstellungen im Vordergrund. Das ist jedoch, nach
R. Masella, ein „Phantasieprodukt, da es nur im Kopf existiert“. Diese Sollwertvorgaben
werden durch seine Erfahrungen, durch Orientierung an den Besten, durch Videoanalysen
und Zeigen von Lehrvideos und aufgenommenen Wettkämpfen mit dem
Ist-Wert der Sportler verglichen. Er vermittelt das Technikleitbild durch vormachen,
durch Animation zur Beobachtung anderer Sportler und Orientierung an Bundestrainern.
Die Korrekturen bei Fehlern in der Ausführung von Techniken sind nach R.
Masella, „sagen und begründen“. Er erklärt dazu biomechanische Prinzipien der
Techniken und deren Effektivität durch Kraftentwicklung.
Die Trainingseinheiten werden zur Entwicklung der spezifischen Wettkampffähigkeit
wie folgt zusammengesetzt:
� Kata, Kihon und Bunkai werden zusammen trainiert, das dient als Prüfungsvorbereitung
und stellt nicht den Großteil des Trainings dar.
� Kumite wird gesondert trainiert.
Eine Trainingseinheit im Allgemeinen beginnt mit der Erwärmung, leichter Dehnung
und dem 2. Teil der Erwärmung, wobei spezifische Inhalte des Hauptteils in grober
Form eingebaut werden. Es folgt der erste Hauptteil, mit langsamen Bewegungen zur
Technikoptimierung, mit einem Zwischenteil Dehnung. Dann kommt der zweite
Hauptteil mit starken Techniken, dem schließen sich das Cool-down mit leichten Bewegungen
und die Abschlussdehnung an. Jedes Training setzt sich so zusammen.
Die Inhalte sind jedoch abhängig von der Phase, in der man sich im Jahresplan befindet.
Reaktionstraining wird zum Beispiel am Anfang der Trainingseinheiten durchgeführt,
zu dem Zeitpunkt, in dem sie sich in die Jahresplanung einfügt. Da für R.
Masella Kumite das Wichtigste im Training ist, beschreibt er Kata als Technikerwerbesmethode.
Sie ist für den Wettkampf gut und dient dazu den Körper zu trainieren.
Bunkai ist keine „für mich wichtige Geschichte“, sagte er, „es erklärt den Zuschauern,
was die Karatekas vorführen.“ (Anmerkung des Autors: Wenn Kata beim Wettkampf
vorgeführt wird, muss sie danach in Kumite-Form gegen Gegner demonstriert wer-
63
den.) Jedoch sind die vorgeführten Techniken in der Selbstverteidigung gegen Gegner
wenig wirksam. „Kata ist schön und ästhetisch und nur für die Demonstration der
Techniken entwickelt“, betonte R. Masella.
Abhärtungsübungen sind nicht Bestandteil des Trainings, da die Verletzungsgefahr
zu groß ist. Das ist besonders in der Wettkampfphase zu vermeiden. Außerdem ist
nicht nur eine harte Technik, wobei hart abgehärtete Faustknöchel bedeutet, sondern
auch eine schnelle Technik wirksam. R. Masella trainiert deshalb Schnelligkeit und
nicht Abhärtung am Makiwara (Schlagpolster). Zum Schnelligkeitstraining nutzt er
Medizinbälle, Pratzen, Matten, Bänke und Sprints.
Als die Geschichte des Karate hinterfragt wurde kamen zu den Ursprüngen keine
konkreten Aussagen. Das Wissen über die Entwicklung des modernen Sport-Karate
war jedoch umfangreich.
Die Fragen zur Philosophie und Tradition, im Vergleich zur Moderne, wurden gegengefragt:
„Wo fängt Tradition an und was ist Tradition?“ Seiner Meinung nach kämpfen
traditionelle Ansichten und moderne sportliche Ansichten gegeneinander. Die positiven
Seiten der Entwicklung sind die Veränderungen des Shotokan-Karate zum Gesundheitssport
sowie das Einbeziehen der sportmotorischen und biomechanischen
Erkenntnisse in den Trainingsprozess. Probleme des klassischen Karate sind oft im
physiologisch Bereich zu finden, wie zum Beispiel mit den Knien und Gelenken, der
Wirbelsäule und/oder der Hüfte. Aber Traditionen und Philosophie sind im Sportkarate
wichtig. Man darf die Wurzeln und den ursprünglichen Gedanken des Shotokan-
Karate nicht vergessen. Heute zählen Fairness miteinander, Etikette, Kleidung (weißer
Karate-gi), das Gürtelsystem mit den Kyu- und Dan-Graden, die Verbeugungen,
das Prüfungssystem und die Hierarchie.
Karate hat R. Masella persönlich sehr viel gegeben. Es entwickelten sich sein Körper
und sein Geist in eine positive Richtung. Die Fähigkeit zur Selbstverteidigung steigerte
sein Selbstvertrauen und gab ihm innere Stärke. „Es ist eine Fähigkeit die andere
nicht haben.“ Gleichzeitig entwickelten sich seine sozialen Kompetenzen, besonders
im Umgang mit anderen Menschen. Karate bietet ihm eine ständige Weiterentwicklung.
Er sucht die Auseinandersetzung mit der Jugend, um ihnen zu helfen und ihnen
etwas von seiner Erfahrung zu geben. Außerdem haben sich Freundschaften durch
Karate entwickelt, besonders zwischen Ost- und West-Deutschland.
Veränderungen im Karate sieht Ralph Masella im Wettkampfbereich. Die Wettkämpfe
und Karatekas sind auf nationaler und internationaler Ebene viel schneller und dynamischer
geworden. Das Trainingssystem im Sportkarate hat sich immer mehr spezialisiert
und ausdifferenziert, vor allem in der Trennung von Kumite- und Kata-
Training. Die Trainingsmethoden haben sich stark verändert. Das Motto „viel hilft viel“
ist nicht mehr aktuell. Die Methoden werden spezifisch nach den Trainingsinhalten
ausgewählt. Doch im „Kumite-Training wird mit der Dauermethode und vielen Wiederholungen
gearbeitet“, so Ralph Masella.
Letztendlich ist der Kern des Trainings R. Masellas die Jugend zur Leistung im Sport
zu entwickeln, Kinder und Jugendliche zur physischen Leistung zu bringen (was er
als zukünftige Hauptaufgabe kommender Generationen sieht) und die Entwicklung
des Wettkampfkarates voranzubringen. Das sind zusammengefasst die Aussagen
Ralph Masellas.
64
4.2.2) Gedächtnisprotokoll – Jörg Waterstradt
Jörg Waterstradt war, zum Zeitpunkt des Interviews, Landestrainer
für Kata in Mecklenburg/Vorpommern. Er ist Trainer-A des
Deutschen Karate Verbandes und Träger des 3. Dan.
Als Kind begann J. Waterstradt mit dem Leichtathletiktraining im
Bereich Crosslauf und Mittelstrecken. In seiner Lehre bekam er
zum ersten Mal Kontakt mit dem Karate, als verbotene Sportart in
der DDR. In seiner Armeezeit lernte er militärischen Nahkampf
und konnte Karatebücher aus der damaligen BRD kurze Zeit einsehen.
Diese Bücher waren von Albrecht Pflüger, die auch heute noch zu den
Standartwerken im Shotokan-Karate zählen. Er traf heimlich einen sowjetischen Studenten
in Greifswald und trainierte mit ihm und anderen Interessierten, getarnt als
Kraftsportverein. Außerdem stand er in diesen Zeiten mit dem ungarischen Nationaltrainer
in Kontakt, den sie zwei bis drei Mal im Jahr besuchten, um seine Unterweisung
zu suchen. Von ihm lernten sie das Meiste ihres Könnens. Mit der Wende legte
er seinen 1. Dan ab, wozu er ca. 10 Jahre trainierte. J. Waterstradt gründete sein eigens
Dojo (Übungsort) in Greifswald und entwickelte die Kontakte zum Deutschen
Karate Verband so weit, dass dort der Landesleistungsstützpunkt für Karate, mit der
Spezialisierung auf Kata entstand. Das Training zu Zeiten der DDR musste heimlich
stattfinden, wie schon unter 4.2.1 erklärt. Der Hauptschwerpunkt war das Kihon-
Training. Die Grundtechniken wurden tausende Male wiederholt und machten 50%
der gesamten Trainingseinheit aus. „Die Umfänge sind heute nicht mehr zumutbar“,
wie es J. Waterstradt formulierte. Trainiert wurde im Wald, auf Wiesen oder in Räumen,
die getarnt als Kraftsport beantragt wurden. Nach der Wende begann seine Karate-Karriere.
Er war mehrfacher Landesmeister in der Kategorie Kata, hatte internationale
Erfolge, darunter auch erste Plätze bei ungarischen Turnieren und stand im
Halbfinale der Deutschen Meisterschaften. Als Trainer weißt er eine Dominanz im
Bereich Kata in Mecklenburg/Vorpommern auf und einen Europameistertitel in einem
anderen Karate-Verband. Seine aktuellen Aufgabenfelder sind Vorsitzender, Trainer,
Vizepräsident der Karate-Union Mecklenburg/Vorpommern, Landestrainer Kata und
verschiedene Sportbundaktivitäten.
J. Waterstradt unterrichtet zwei Kindergruppen, Anfänger, Fortgeschrittene, Senioren
und im Speziellen die Leistungs- und Wettkampfgruppe. Das Trainingsziel der Leistungsgruppe
ist der Wettkampf im Bereich Kata. Es gibt die beiden Leistungsgruppen
für Kata oder Kumite. Die spezifischen Trainingsinhalte aller Gruppen sind Kihon, Kata
und Kumite. Sie sind prozentual jeweils zu 25% Kihon, 50% Kata und 25% Kumite
auf das Jahr, im Durchschnitt verteilt. Dazu erstellt J. Waterstradt einen Trainingsplan,
der nach Wettkämpfen ausgerichtet ist. An diesen Plan kann er sich aber nur
schwer halten. Sein Wissen bezog er aus eigenem Training, eigenen Erfahrungen,
Büchern, Lehrgängen bei verschiedenen Lehrern des Shotokan-Karate, den Jahresplänen
der Nationaltrainer und aus eigenen Ableitungen verschiedener anderer
Sportarten.
Das Training in seiner Leistungsgruppe besteht aus Kataübungen. Es werden alle 27
Shotokan-Katas im Jahr trainiert. Seine Vorgehensweise im Training sieht zuerst die
Zerlegung der Kata in Einzelelemente vor, die dann als Kihon (Grundtechniken) geübt
werden. Das betrachtet er als ein Grobtraining, dem das Feintraining folgt. Sein
wichtigstes didaktisches Prinzip ist dabei vom Kleinen zum Großen, d. h. erst die
Grundtechnik, dann die zusammengesetzten Grundtechniken als Kata üben. Es wird
auch unter erschwerten Bedingungen geübt, wie zum Beispiel durch das Antreten
vor allen Anderen und Vorführen der Kata. Es werden auch Zeitdruck und Orientie-
65
ungsveränderungen erzeugt. Das beschreibt J. Waterstradt als seine eigene Systematik.
Korrekturen erfolgen über Beobachtungen im Spiegel und durch Videoanalysen.
Die durchschnittliche Trainingseinheit Kata für die Leistungsgruppe beträgt 1,5
Stunden. Davon sind ca. 20 Minuten Erwärmung, mit kleinen Spielen, ausführlicher
Dehnung und Partnerübungen. Der Erwärmung folgen Kata-Abschnitte in Grundtechnikform,
die je nach Trainingsplan segmentiert und aus der zu übenden Kata herausgenommen
sind. Danach werden die Segmente zusammengesetzt und die komplette
Kata geübt. Weiterhin setzt er das Üben ähnliche Katas an, um die speziellen
Fähigkeiten und Fertigkeiten variabel zu trainieren. „In den letzten 10 Minuten werden
Konditionierungsübungen ausgeführt, wie Liegestütze, Klappmesser, u.a., um alle
auszupowern, damit sie geschafft aus dem Training gehen“, wie es J. Waterstradt
formulierte. Es wird auch Bunkai trainiert, als Transformierung der standardisierten
Kata in Selbstverteidigungsform. Bunkai ist im Wettkampfbereich eine neue Komponente
und stellt damit einen neuen Pflichtteil im Training dar. Hierbei gibt es Freiheiten
für die Karateschüler, denn jeder Karateka kann sein eigenes Bunkai entwickeln.
Dabei achtet J. Waterstradt darauf, dass der ursprüngliche Gedanke des Karate: „mit
einem Schlag töten“, erkennbar ist und damit die Selbstverteidigungsinhalte der Kata
herausgestellt werden.
Eine Kategorie im Wettkampfbereich Kata ist die Mannschaftskata. Es laufen drei
Karatekas synchron eine ausgewählte Kata. Die Synchronität wird durch anzählen
der Techniken erzielt und durch Beobachtungen im Spiegel, während der Ausführung
der Kata, verbessert. Er setzt auch ab und zu Musik ein, um einen speziellen Rhythmus
zu trainieren.
Kumite-Training grenzt sich vom Selbstverteidigungstraining ab, denn auf der Strasse
gibt es keine standardisierten Bedingungen wie im Karate-Kumite. Das Wettkampfkumite
wird ebenfalls gesondert trainiert. Wenn in einer Trainingseinheit Kumite
das Hauptthema ist, wird in den letzten 10 Minuten Freikampf geübt, sonst baut
sich das Training wie Kata-Training auf. Allgemein werden im Training Medizinbälle,
der Sandsack, Gummibänder, der Gürtel und Pratzen eingesetzt, jedoch hauptsächlich
mit dem eigenen Körpergewicht trainiert, um Reaktion, Schnelligkeit und Kraft
auszubilden.
J. Waterstradt arbeitet mit Sollwertvorgaben. Diese bezieht er auf die Ausführung der
Techniken in den Katas und ihrer Rhythmen. Diese werden durch Anzählen der
Techniken und Spiegelbeobachtungen und Videoanalysen realisiert und mit dem Istwert
in Verbindung gebracht. Das Technikleitbild vermittelt er dabei durch Vorzeigen
und Zerlegen der Technik in Einzel- und Zwischenschritte. Korrekturen nimmt er
durch Erklären vor.
Wenn Gürtelprüfungen der Karatekas anstehen wird der Rahmentrainingsplan komplett
verlassen. Das Wettkampftraining, also der Trainingsplan mit spezifischer Ausrichtung
auf Wettkämpfe, wird dazu unterbrochen und vollkommen umgestellt. Das
Trainingsprogramm wird nach den spezifischen Inhalten der Prüfungsordnung ausgerichtet.
Nach der Prüfung wird wieder das wettkampfspezifische Training aufgenommen.
Abhärtungsübungen werden zur Konditionierung der Karatekas eingesetzt. Dabei
handelt es sich um Übungen wie Schläge mit der Faust auf den Bauch des Partners,
Liegestütze auf der Faust, Stöcke über verschiedene Knochen rollen, hartes Arbeiten
am Mann, durch z. B. Fallenlassen von Medizinbällen auf die Bauchmuskeln und
Sandsackübungen. Es werden eher weniger Schläge am Makiwara geübt, wenn überhaupt.
Über die Geschichte des Karate wusste J. Waterstradt, dass Karate übersetzt leere
Hand bedeutet, aus Okinawa kommt und von Funakoshi Gichin verbreitet wurde.
66
Sonst gab es keine weiteren Angaben bezüglich der Wurzeln, des Ursprungs und der
geschichtlichen Hintergründe des Shotokan-Karate.
Philosophisch und traditionell betrachtet er Karate als Körper- und Geistesschule, als
Hilfe zur Überwindung des Egos, zur Stärkung des „Inneren“ und als Selbstverteidigungsmöglichkeit.
Sein Motto ist, dass Karate der Verteidigung dient und nicht dem
Angriff. Er nimmt Abstand vom Wettkampfkumite, da es keine reale Basis für eine
Selbstverteidigungssituation bietet. Die Kata ist das eigentliche Schlüsselelement,
um hinter die Selbstverteidigungsprinzipien des Shotokan-Karate zu gelangen.
Er findet, dass Philosophie und Tradition einen immer noch wichtigen Teil des Karate
ausmachen, da man sich selbst kennenlernen kann, ohne anderen zeigen zu müssen,
was man tatsächlich kann. Durch Karate hat J. Waterstradt, nach eigenen Angaben,
große innere Gelassenheit gefunden.
Seinen Beobachtungen nach wird Karate immer wettkampforientierter und ändert
danach seine Trainingsmethoden und Trainingsprinzipien. Heute wird weicher und
weniger trainiert, ohne die dazugehörige Härte und Überwindung von Schmerzen. Es
wird viel weniger Grundschule und Selbstverteidigung geübt und weniger mit Härte
am Mann gearbeitet.
Der Kern seines Trainings ist es Persönlichkeiten zu entwickeln, besonders im Kinder-
und Jugendbereich. Er möchte ihnen eine Freizeitbeschäftigung geben, wobei
sie gleichzeitig den Körper und den Geist trainieren. Außerdem entwickelt sich dadurch
eine Gemeinschaft und Freundschaften werden gefördert. Kinder von der Straße
zu holen und sie mit Karate zu guten Menschen zu erziehen ist der große Kern
seines Trainings.
Das sind die zusammengefassten Aussagen von Jörg Waterstradt.
4.2.3) Gedächtnisprotokoll – Dirk Wedel
Dirk Wedel ist Instruktor im SRD und Trainer im Karate-Do Demmin
e.V.
Instruktor ist eine spezielle Trainerbezeichnung, die mit einer
dreijährigen Ausbildung erworben werden kann. Es ist eine
Trainerklasse, deshalb werden die Begriffe Trainer und Instruktor,
für die Instruktoren des SRD, als Synonyme verwendet.
Er war zum Zeitpunkt des Interviews Träger des 2. Dan, hat aber
kurz danach die Prüfung zum 3. Dan bestanden. Zu DDR-Zeiten
hat er fünf Jahre lang, fünf mal in der Woche gerungen (von der
1. bis zur 5. Klasse). Als er 1983 zur nationalen Volksarmee musste, hatte er die ersten
Kontakte zum Karate. Nach der Armeezeit hat er vier Jahre nichts gemacht, doch
1989 trat er über Arbeitskollegen einem Selbstverteidigungsverein bei. Richtige Trainer
gab es jedoch nicht, deshalb wurde D. Wedel schon als Gelbgurt Übungsleiter.
(Anmerkung des Autors: Gelbgurt ist der erste farbige Gürtel im Shotokan-Karate,
der die erste Stufe des Anfängers charakterisiert, wobei die Technik erst in der Grobform
erlernt wurde.) Zu Spitzenzeiten unterrichtete er ca. 100 Sportler. 1993 wurde er
Übungsleiter Breitensport, 1995 Fachübungsleiter-C im DKV und 2004 Instruktor des
SRD. Der Lizenzerwerb zeigt an, dass der Verband gewechselt wurde. Zuerst war
Dirk Wedel Mitglied im DKV, nun ist er Mitglied und Instruktor im SRD. Die Prüfung
zum ersten Dan legte er nach 10 Jahren intensiven Trainings ab.
D. Wedel ist ehrenamtlicher Trainer und unterrichtet Kinder (Durchschnittsalter: 11
Jahre) im Anfängerbereich und Erwachsene (Durchschnittsalter: 38 Jahre). Er selbst
nahm an verschiedenen Wettkämpfen teil, wie dem Prora-Cup und anderen Mannschaftswettkämpfen.
Seine aktuellen Aufgabenfelder sind Vereinsvorsitzender und
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Trainer des Karate-Do Demmin e. V. Er trainiert keine Leistungssportgruppen sondern
Breitensportler. Seine Aufgabe sieht er darin Karate in den Grundlagen zu vermitteln.
Das Trainingsziel seiner Gruppen sieht er folgendermaßen:
„So wie die Gruppe jetzt besteht, soll sie weiter voranschreiten, keiner soll rausfallen.
Sie sollen den 1. Dan erreichen und dem Karate treu bleiben.“
Die Trainingsinhalte setzen sich aus Kata, Kihon und Kumite (Selbstverteidigung ist
ein Teil des Kumite, wird deshalb nicht gesondert trainiert) zusammen, wobei er versucht
sie zu gleichen Anteilen im Jahr zu verteilen. Seiner Meinung nach ist das eine
Idealvorstellung, die nie ganz realisiert werden kann, auf Grund der individuellen Unterschiede
der Trainierenden in seinen Gruppen und mancher nicht vorhersehbarer
Situationen, die die Trainingsplanung beeinflussen. Die Inhalte betrachtet D. Wedel
als eine Einheit, die nicht getrennt werden dürfen. Deshalb soll nichts davon bevorzugt
trainiert werden. Diese Einheit bildet sich auch in den Mischtrainingsformen,
wobei Kihon und Kata zusammen trainiert werden können, sowie Kata und Kumite.
Seine Trainingseinheiten sehen im Allgemeinen folgendermaßen aus:
• Erwärmung mit allgemeiner Mobilisierung und leichter Vordehnung,
• Wiederholungsphase der vorherigen Trainingseinheit mit Korrekturen,
• Hauptthema (macht ca. 80% der Trainingseinheit aus),
• Kraftteil und
• Abdehnen.
Seine Trainingsvorbereitungen richten sich nach den Schwächen der Schüler und
werden von Trainingseinheit zu Trainingseinheit gestaltet.
Er benutzt oft die Dauermethode für das Karate-Training, aber psychoregulative
Maßnahmen sind auch Bestandteil seiner Methodik. Ängstliche werden mit Erfahrenen
zusammengebracht, besonders wenn das Thema Kumite ist. Wenn starke Ängste
bei Kindern auftreten übt er sogar selbst mit ihnen. Das Training baut er zielgerecht
nach dem Kyu-Prüfungssystem des SRD auf, was D. Wedel als seine eigene
Systematik beschreibt.
Sein Wissen hat er hauptsächlich aus den Instruktorkursen, aber auch aus Lehrgängen
mit verschiedenen japanischen und anderen Meistern.
Im Training setzt er verschiedene Hilfsmittel ein, beispielsweise Gürtel, Gummibänder
und Röntgenfolien. Röntgenfolien scheinen etwas merkwürdig, doch er benutzt
sie für Fauststöße. Die Kinder lernen dabei das sofortige Zurückziehen der Faust und
das richtige An- und Entspannen der Muskulatur. Der Schlag auf die Röntgenfolie
gibt einen lauten Knall, der ein Signal für die eben beschriebenen Komponenten ist.
Der Einsatz der Trainingsmittel ist altersbedingt.
In seinem Training gibt es Sollwertvorgaben, speziell bei den Grundtechniken und
den Katas. Die Sollwertvorgaben richten sich nach dem Technikleitbild, das er erklärt,
dann zeigt, die Phasen der jeweiligen Technik zergliedert. Dann wird aus dem
Stand, aus einer spezifischen Karatestellung und schließlich aus der Bewegung geübt.
Das didaktische Prinzip dafür benennt er mit: „vom Kleinen zum Großen“. Den
Sollwert bringt er durch seine Erfahrung, Erklärungen und durch nochmaliges demonstrieren
mit dem Istwert in Verbindung.
Abhärtungsübungen dürfen ab dem 1. Dan ausgeführt werden, wie zum Beispiel das
Makiwara-Training. Kindern und Jugendlichen ist es nicht erlaubt, da die Knochen
und Gelenke noch nicht vollständig ausgebildet sind. Deshalb dürfen sie auch keine
Liegestütze auf der Faust ausführen. Das Üben am Makiwara wird jedoch weniger
als Abhärtungstraining, sondern mehr als Technikperfektionierungs- und Muskelkontraktionstraining
betrachtet.
68
Die Aussagen zur Geschichte des Karate umfassten die Entwicklung auf Okinawa
und die darauffolgende Verbreitung. Die letztendliche Kernaussage zur geschichtlichen
Entwicklung war, dass Karate zu kommerziell wird und die japanischen Trainer
für einen Lehrgang sehr viel Geld nehmen.
Die Philosophie des Shotokan-Karate beschreibt D. Wedel als die Entwicklung von
der Selbstverteidigung zu einer Weg-Kunst, bei der die Auseinandersetzung mit bewaffneten
Gegnern nicht mehr gegeben ist. Dadurch ändert sich das Sinnbild des
Shotokan-Karate. Traditionen gibt es viele, wie zum Beispiel die Begrüßung, das
Verbeugen, das Hinsetzen, der Karate-gi, die Gürtel und das Gürtelbinden und der
Respekt. Respekt muss am Anfang erzwungen werden, denn dadurch entsteht das
hierarchische System im Shotokan-Karate. Dabei ist es wichtig selbst jedem, auch
dem schlechtesten Anfänger selbst Respekt zu zollen. Untereinander muss Respekt
herrschen, besonders unter den Schwarzgurten, da sie Vorbildfunktionen haben. Es
muss immer einen Abstand zwischen Lehrer und Schüler geben, um den Respekt
aufrecht zu erhalten. Das wird zum Beispiel dadurch symbolisiert, dass die Anfänger
beim Antreten hinten stehen.
Karate hat D. Wedel persönlich körperliche Leistungsfähigkeit, Selbstvertrauen, bessere
Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen gegeben.
Das Shotokan-Karate unterliegt jedoch starken Änderungstendenzen. Einerseits führen
wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie zum Beispiel aus der Biomechanik und
Sportmotorik zu Neuerungen, besonders im gesundheitsorientierten Bereich. Andererseits
entwickelt sich das Karate in der sportlichen, wettkampforientierten Richtung
weiter. Diese Entwicklung lehnt er ab, da die Versportlichung, besonders im Leistungsbereich
große gesundheitliche Risiken birgt. Außerdem ist die Trainerausbildung
wenig karate-spezifisch und nur auf das Wettkampftraining, ohne oder nur mit
wenigen Inhalte/n des klassischen Karate gerichtet. Das Wettkampfkarate ist in der
Ausbildung schneller geworden, aber qualitativ viel schlechter.
Der Kern seines Trainings ist die Erziehung von Kindern zur Gesundheit und die
Entwicklung eines starken Körpers mit starkem Geist. Der Charakter soll sich zum
friedvollen Geist entwickeln, wobei Karate als Lebenssinn entdeckt wird. Letztendlich
soll der Schüler zum Lehrer werden.
Das sind die zusammengefassten Aussagen von Dirk Wedel.
4.2.4) Gedächtnisprotokoll Arnfried Krause
Arnfried Krause ist Instruktor des SRD und Träger des 3. Dan. Er
war immer unsportlich und ging als Kind, auf Grund einer Gelenkkrankheit,
an Krücken. 1992 kam er zum Karate und hatte hier die
ersten sportlichen Betätigungen. Seine Motivation waren Filme,
die Mystik ostasiatischer Kampfkünste und das Neue. Außerdem
wollte er gesund werden. Als sein Meister starb wurde er Trainer
im Karate-Do Demmin e.V. Er nahm an der Trainer-C-Ausbildung
des DKV teil, wechselte später zum SRD und absolvierte dort die
Instruktorausbildung. Vor einigen Jahren lernte er Meister Sàfàr
aus Ungarn kennen, der ein dreijähriges Vollzeittraining zum Instruktor in den USA
absolviert hatte, unter Meister Okazaki aus Japan. Meister Sàfàr ist träger des 8. Dan
im Shotokan-Karate und weist 45 Jahre Kampfkunsterfahrung auf. Sensei (Meister)
Sàfàr hat bei den wissenschaftlichen Studien zum Karate der Universität von Long
Island mitgewirkt. Das Instruktorprogramm absolvierte A. Krause unter Sensei Sàfàr,
die ein Ergebnis der Studien der Universität von Long Island ist und die Ausbildung
69
im Shotokan-Karate nach wissenschaftlichen Standards strukturiert. Die Ausbildungsinhalte
werden an späterer Stelle genauer ausgeführt.
A. Krause betrachtet vier Teile im Karate Do. Der erste Teil ist Budo, der Weg des
Krieges. Dazu gehören Aspekte wie Selbstdisziplin, Respekt und Konzentration. Der
zweite Teil ist die Selbstverteidigung. Der dritte Teil sind die Körperertüchtigung und
das Gesundheitstraining. Der vierte Aspekt bedeutet das Sporttreiben, als legitimer
Teil des Karate in Form von Wettkämpfen. Jedoch darf der Wettkampf kein Trainingsinhalt
des Shotokan-Karate sein. Die Wettkampfvorbereitung entsteht aus dem
Training selbst heraus. Wettkämpfe können aber als Motivationsfaktor dienen und als
Selbsttest in Stresssituationen. Sein Wissen zum Shotokan-Karate bezog er aus Büchern,
Erfahrungen, Videos, Instruktorausbildung, Lehrgängen und Erklärungen anderer
Lehrer.
Das Training sollte immer im Ausdauerbereich stattfinden. Freies Kämpfen wird erst
ab Braungurt, also ab Erreichen der Oberstufe im Schülerbereich geübt.
A. Krause unterrichtet fortgeschrittene jugendliche und erwachsene Karatekas ab
Blaugurt (5. Kyu). Das Training ist dreimal pro Woche und hat einen Umfang von 1,5
Stunden pro Einheit. Seine größten Erfolge drückt er wie folgt aus: „Wenn man nach
Jahren merkt, dass sich jemand als Mensch verändert, durch langes Karate-
Training.“ Gering schätzt er das Gewinnen von Meisterschaften ein, denn diejenigen,
die Meisterschaften gewinnen sind meistens am schnellsten vom klassischen Karate
weg. „Das ist eine menschliche Enttäuschung, Sportkarate ist Form ohne Inhalt“,
sagte A. Krause.
Das Trainingsziel ist immer die Vorbereitung auf die nächste Graduierung. Die Trainingsinhalte
ergeben sich aus den Prüfungsprogrammen und sind Kihon, Kata und
Kumite. Sie werden als Einheit betrachtet. Dabei legt das Kihon die grundlegenden
Prinzipien des Shotokan-Karate, Kata bedeutet die Perfektionierung der Techniken
und Kumite ist die Umsetzung der Kata in kämpferischer Anwendung. Die Einheit ergibt
sich aus den Elementen Reaktion, Timing, Distanz, Kontrolle u. a. Karate ist
physikalischer geworden, mit mehr Schockschlägen. Es entfernt sich immer mehr
von weichen Bewegungen, Hebeln und Würfen. Eine besondere Bedeutung kommt
der Analyse der Elemente der Techniken zu, mit einer richtigen Umsetzung dieser
durch Stände und Bewegungen. Hierzu sind zum Beispiel der Hüfteinsatz in den Bewegungen
des Kihon und der Kata sowie das Punkttraining im Kumite zu nennen.
Diese bilden letztendlich eine Einheit für eine wirksame Technik.
Seine Trainingsvorbereitungen bestehen aus dem Erstellen von Plänen, die spezifisch
nach Themen geordnet sind. Zum Beispiel wird beim Fußtechniktraining der
spezifische Tritt in Phasen und seine Elemente gegliedert. Diese könnten folgende
sein:
• Gewichtsverlagerung,
• Schwerpunktfindung,
• Standbeinkräftigung,
• Knieanzug (Muskelanalyse und Kräftigung der entsprechenden Muskeln),
• Schnapp- oder Stoßbewegungen,
• Partnerübungen und
• Reaktionstraining.
Den Rahmen seiner Planung bildet immer die nächste Gürtelprüfung.
Die Übungsbedingungen systematisiert er nach Belastungsschwerpunkten, Hilfsmittelübungen,
Planungen, nach dem didaktischen Prinzip: „vom Kleinen zum Großen“
und der Steuerung von Trainingseffekten über Belastungszahlen. Er benutzt Röntgenfilme,
Pratzen, Gürtel und Hindernisse, wie z. B. Bänke als Hilfsmittel im Training.
70
Sollwerte benutzt er vor allem beim Erlernen von Techniken und Katas. Die Sollwertvorgaben
werden durch Erfahrungswerte, didaktischen Prinzipien und der Arbeit mit
Themenschwerpunkten mit dem Istwert in Verbindung gebracht und vermittelt. Zur
Fehlerkorrektur wird das äußere Bild der Technik mit dem Sollwert dieser Technik
verglichen. Dazu wird zum Beispiel die Videoanalyse benutzt, aber es werden auch
Erklärungen, Erläuterungen und Beschreibungen eingesetzt.
Eine Trainingseinheit setzt sich im Allgemeinen aus der Erwärmung im Bereich der
Mobilisierung des Körpers, der Nacherwärmung mit Karatetechniken (meist Wiederholung
der Techniken der letzten Trainingseinheit oder Einleitungstechniken für den
Hauptteil), dem Hauptteil (Kihon, Kumite oder Kata) und schließlich der Abwärmung
und Dehnung zusammen. Allgemein nutzt er im Training die Dauermethode als
Hauptmethode, die Intervallmethode und das Fahrtspiel werden ebenfalls eingesetzt.
Erwachsene üben am Makiwara, um das richtige Kime einer Technik zu trainieren.
Das ist gleichzeitig eine Übung zur Abhärtung bestimmter Körperstellen, aber nicht
der Hauptgrund des Makiwara-Trainings. Zur Konditionierung und Gewöhnung an
Schläge werden diese auch auf den Bauch des Partners ausgeführt. Grundsätzlich
nutzt A. Krause eher Kräftigungs- statt Abhärtungsübungen.
Sein Geschichtswissen ist sehr umfangreich und umfasst sowohl chinesische, okinawanische
und japanische Bereiche. Er selbst bezeichnet sich als „modernen Traditionalisten,
der modernes Karate-Do übt“.
Die philosophischen Gedanken liegen seiner Meinung nach im sich „Leermachen“,
im sich „Freimachen“, ohne Gedanken zu sein. Karate-Do ist dabei ein Kreis, bei
dem man vom 9. Kyu zum 1. Kyu geht, dann den 1. Dan ablegt und bis zum 9. Dan
voranschreitet, um letztlich den Kreis wieder zu schließen. Der 10. Dan bedeutet in
die Leere zurückzukehren, er wird mit dem Tod erworben. Karate-Do wird zur
Selbsterfahrung an den körperlichen und psychischen Leistungsgrenzen. Selbstüberwindung,
Selbstdisziplin, Charakter, Aufrichtigkeit, Selbstkontrolle, lebenslange
Veränderungen, Training und Leben als Einheit, Bemühen, Ehrlichkeit, sein was man
vorgibt zu sein, Höflichkeit und Respekt sind universelle Werte, die als philosophischer
Charakter des Shotokan-Karate überall Gültigkeit besitzen. Dazu müssen die
Traditionen eingehalten werden, wie Etikette, Bereitschaft, Konzentration, Verbeugen
u. a. Sie sind notwendig, um geistige Werte zu erlangen und im alltäglichen Leben
stärker hervorzugehen. Die Menschlichkeit wird gefestigt und Frieden kann gestiftet
werden. Man kann seinen Platz im Leben und in der Gesellschaft finden. Dazu muss
die Etikette ständig gewahrt bleiben.
Persönlich hat ihm Shotokan-Karate Selbstdisziplin, komplette Genesung der Gelenkerkrankung,
also Gesundheit und damit eine gute Lebensqualität gegeben.
Änderungstendenzen sieht er in einem Qualitätsverlust des Karate durch die Entwicklung
des Sportkarate, wobei das Kime verloren geht und die Effektivität der Kata
sinkt. Allgemein entwickelt sich Karate zum Gesundheitssport.
Der Kern seines Trainings ist es Kata, Kihon und Kumite als Ganzes zu verbinden.
Die Entwicklung der perfekten Technik ist ein Ziel des Trainings. Es stellt den Weg
zum Ideal dar.
Das sind die zusammengefassten Aussagen von Arnfried Krause.
71
4.2.5) Gedächtnisprotokoll – Jörg Kohl
Jörg Kohl war zum Zeitpunkt des Interviews 48 Jahre
alt, Träger des 4. Dan im Shotokan-Karate, Chief-
Instructor und Präsident des SRD. Er weist eine
23jährige Karate-Erfahrung auf. Mit 12 Jahren
begann er den Judo-Sport, betrieb es im Leistungsbereich
und absolvierte ca. 600 Wettkämpfe. Mit 25
Jahren begann er das Karate-Training. Über
Trainingspartner im Judo bekam er die ersten
Kontakte zum Karate. Da das Ausüben der
Kampfkunst Karate verfolgt wurde, übte er im
Verborgenen, unter dem Deckmantel des Kraftsports. Sein erster Trainer war ein Autodidakt,
der sein Wissen aus Büchern und Erfahrungswerten nahm. Anfangs orientierten
sie sich an tschechischen und ungarischen Karatekas. Glücklicherweise hatte
er heimliche Kontakte zu Meistern aus Westberlin, da er selbst in Berlin lebte. Als die
Grenzen geöffnet wurden war er deshalb schon Braungurt. 1990 legte er die Prüfung
zum 1. Dan bei Meister Ochi ab. Er wurde Mitglied im DKV, der mit der Wende auch
in die neuen Bundesländer Einzug hielt. Jörg Kohl war als erster Ostdeutscher dritter
beim Shotokan-Cup. Er nahm an vielen internationalen Turnieren teil. Zu Zeiten der
DDR war Sensei Kohl relativ populär, denn er nahm an Vorführungen für Fernsehveranstaltungen,
wie zum Beispiel bei „Ein Kessel Buntes“ und verschiedenen Kindersendungen
teil. Er trat zu diesen Zeiten mit einer Samurai-Show auf. Deshalb
konnte er noch zu Ostzeiten an Messungen der Humboldt-Universität in Berlin bezüglich
Karate-Techniken teilnehmen. Es wurden Reaktionszeiten, Kraft und Geschwindigkeiten
gemessen. 1990/91 war er Mitbegründer eines Karate-Vereins in
Berlin, der sich von 10 Mitgliedern zu einem 1000 Mann starken Karate-Verein entwickelte.
Über den DKV wurde J. Kohl Landestrainer des Landes Brandenburg. Mit
seinen Schülern nahm er an vielen Turnieren teil, wobei auf Anhieb sehr gute Platzierungen
erreicht wurden. Bei Teilnahmen an Weltmeisterschaften und Welt-Cups in
Ungarn belegten sie dritte, vierte und siebte Plätze. In Berlin räumte er mit seiner
Mannschaft alles ab, was zu gewinnen war, sowohl im Bereich des Kumite als auch
in den Kategorien Kata-Einzel und Mannschaftskata. Sensei Jörg Kohl gibt fünf Trainingseinheiten
am Tag und unterrichtet alle Altersgruppen. Er trainiert Anfänger,
Fortgeschrittene und Meister. Seine fortgeschrittenste Gruppe besteht aus Dan-
Trägern. Sie hat zweimal in der Woche Training. Sensei Jörg Kohl trainiert selbst jeden
Morgen Karate. Bei diesem Training sind oft seine Schüler der Meisterklasse
dabei, um mit gezieltem Training gewünschte Trainingsanpassungen und Fortschritte
zu erreichen.
Innerhalb dieser Gruppe und allgemein in allen Gruppen, die er unterrichtet, sind die
Trainingsziele unterschiedlich. Sensei Jörg Kohl richtet sich bei der Definition der
Trainingsziele nach den Motivationen der Schüler. Dabei unterscheidet er in vier
Hauptmotivgruppen:
• Budo-Gedanke (Jemand, der nach den Wurzeln der japanischen Kampfkünste
sucht und sich den philosophischen Hintergründen zuwendet, sich mit dem Samuraigeist
beschäftigt und etwas über den Weg des Kriegers (Bushido) erfahren
möchte, folgt diesem Motiv.);
• Sport als Zeitvertreib (Jemand, der sich in seiner Freizeit sportlich betätigen
möchte und aus Zeitvertreib Karate betreibt, folgt diesem Motiv.);
• Wettkampf (Jemand der am sportlichen Leistungsvergleich interessiert ist und
sich mit Techniken des Karate messen möchte, übt aus dieser Motivation.) und
72
• körperliche Ertüchtigung (Jemand, der seinen Körper trainieren möchte, einerseits
um gesund zu bleiben und andererseits um sich zu kräftigen, ohne Budo-
Gedanke oder Wettkampfstreben, übt aus dieser Motivation.).
Zur Umsetzung der Ziele im Training ist es wichtig die einzelnen Personen nach den
spezifischen Elementen wie Motorik, Reaktionsvermögen, Kraftfähigkeit, Beweglichkeit
u.a. zu analysieren. Danach wird das Training aufgebaut und umgesetzt. Besonders
wichtig ist das methodisch, didaktische Herangehen an die Schüler, denn dieses
stellt sich im Training als bedeutender Motivationsfaktor heraus. Ein anderer Motivationspunkt
ist das Prüfungssystem mit den Gürtelprüfungen. Um eine Prüfung zu
bestehen ist zielgerichtetes Training nötig. Sensei Jörg Kohl erstellt deshalb grundsätzlich
eine Jahresplanung mit spezifischen Trainingsplänen. Dazu bildet er eine
Rahmenkonzeption, die lang- und kurzfristige Zielstellungen verfolgt. Die Trainingsplankonzeption
richtet er nach Themen aus. Ein Thema beansprucht dabei ca. 10-12
Stunden. Das zu bearbeitende Thema nimmt so viel Zeit in Anspruch, bis die zu erzielenden
Fortschritte in der Praxis erkennbar sind. Sind die 10-12 Stunden vorbei
wird mit einem neuen Thema von vorne begonnen. Sensei Jörg Kohl gibt dazu folgendes
Beispiel:
• Thema Heian Shodan: erste 10 Stunden: Reaktionskraft des vorderen Beines
• Thema Heian Shodan: zweite 10 Stunden: Reaktionskraft des hinteren Beines
• u.s.w.
So ist jedes Training über das Jahr verteilt und den Graduierungen entsprechend
aufgebaut. Eine Trainingseinheit ist spezifisch nach der vorgegebenen Zeit zusammengestellt,
wobei die Schwarzgurtgruppe grundsätzlich 1,5 Stunden trainiert. Die
Trainingseinheiten sind immer gleich aufgebaut, nur der Hauptteil ist stets anders.
Die Erwärmung, mit allgemeiner Mobilisierung und leichter Vordehnung, das Kräftigungstraining
und das Abwärmen verlaufen nach einem ritualisierten, standardmäßigen
Programm. Der genaue Aufbau ist folgender:
• Erwärmung mit: Mobilisierung (10 Minuten), kurzer Erwärmungsphase (2-3 Minuten)
und Erwärmungshauptteil, wobei Techniken in lockerer Form ausgeführt
werden, die im Hauptteil Thema sind oder von der vorherigen Stunde wiederholt
werden (5-7 Minuten);
• Hauptteil mit: Bearbeitung des Themas, wobei grundsätzlich Elemente der Vorstunde
wiederholt werden; langsames Beginnen der Übungen; Steigerung der
Belastung, bezogen auf spezifische Themeninhalte in der Stunde; stets bewusster
Umgang mit dem Körper, was besonders in der Verantwortung des Trainers
liegt;
• Kraftteil mit spezifischen Kräftigungsübungen, wie zum Beispiel Liegestütze (Erwachsene
auch auf den Fäusten) unter Beachtung der physischen und psychischen
Zustände der Schüler;
• Gymnastik;
• Atemtechniken und
• Schluss.
Dabei gibt es zwar die Trennung der Elemente Kata, Kihon und Kumite, man darf sie
aber nicht bevorzugt oder isoliert trainieren, denn alle Themen beinhalten diese drei
Elemente. Grundsätzlich wird, nach der eigenen Systematik Sensei Jörg Kohls, mit
Kihon begonnen, dem dann entweder das Element Kata oder Kumite folgt. Kihon hat
deshalb immer Bezug auf das nachfolgende Element.
Das Wissen über Karate hat er aus seinen Erfahrungen extrahiert, von Meistern, bei
denen er Lehrgänge besucht hat gewonnen, besonders aus der Instruktorausbildung
erhalten, durch Eigenengagement erworben und aus Büchern und Videos erfahren.
Wichtig dabei war das Erkennen der wissenschaftlichen Grundlagen im Karatetrai-
73
ning, wie biomechanische Prinzipien (newtonsche Gesetze, Schwerkraft,…), Physik,
Methodik und Didaktik. Deshalb nutzt Sensei J. Kohl Trainingsmittel, denn sie dienen
dazu: „Informationen visuell besser wahrzunehmen, damit sie vom Gehirn nochmals
verarbeitet werden. Das stärkt die Technik bis zur Automatisierung“, sagte Sensei
Kohl. Trainingsmittel sind der Gürtel, Menschen selbst, Hände, Pratzen, Röntgenfolien,
Zeitungspapier, Bretter für Bruchtests u.a. Genauso wichtig, wie der Einsatz bestimmter
Trainingsmittel zum Erlernen der Techniken, ist die Methode jemandem eine
Technik beizubringen. J. Kohl stellt hier die Frage heraus: „Was passiert bei dem
Schüler, wenn ich etwas vorzeige? Es findet eine Bildprojektion statt, wobei der
Schüler, durch Kopieren der Bewegungen des Lehrers, etwas lernt.“ Sensei J. Kohl
zeigt deshalb zuerst die Bewegung und zerpflückt sie dann in Einzelelemente. Diese
Teilmethode wird genutzt, um alle Einzelelemente Stück für Stück zusammenzusetzen.
Ist das Thema das Erlernen einer Armtechnik, dann wird die Technik nur mit
den Armen, im Stand ausgeführt. Es folgt die Bewegung und das Zusammensetzen
der Armtechnik mit der Bewegung, nach den Merkmalen der spezifischen Technik.
Dabei sind zum Beispiel der korrekte Hüfteinsatz, die Rumpfbewegung, der Bein-
und Armeinsatz sowie die korrekte Muskelarbeit zu beachtende Elemente. Korrekturen
nimmt er durch Erklärungen, Beschreibungen und Demonstrationen vor, was
Sensei J. Kohl als visuelle und akustische Hinweise bzw. Informationen bezeichnet.
Außerdem gibt er taktile Hinweise, wie zum Beispiel durch Vordrücken der Hüfte, zur
Seite drücken des Beines oder durch Hindrehen der Füße eines Schülers in die korrekte
Position. Das Grundprinzip dabei ist, dass der Lehrer nicht mittrainieren darf,
weil er die Verantwortung für die Gesundheit der Schüler hat und den Trainingsprozess
ständig beeinflussen muss. Den Sollwert einer Technik setzt er durch Beachtung
der körperlichen Gegebenheiten der Schüler, Hilfsmittel, Videoanalysen und
Übungen vor dem Spiegel mit dem Istwert in Verbindung.
Auch Abhärtungsübungen sind Bestandteil des Trainings. Sie dienen einerseits der
Konditionierung des Körpers, zur Erlangung psychischer Stabilität und andererseits
dem Entwickeln einer korrekten Technik. Konditionierung bedeutet Kräftigung der
Muskulatur und Entwicklung einer karatespezifischen Ausdauer, die es ermöglicht
Widerstände über einen längeren Zeitraum entgegenzuwirken, ohne schnell müde zu
werden. Psychische Stabilität bedeutet unter Stresssituationen konzentriert zu bleiben.
Im Kumite zum Beispiel muss man, auch wenn man einen Schlag abbekommt,
weiterkämpfen, ohne seine Deckung fallen zu lassen. Das kann man nur, wenn man
trotz des Schmerzes keine psychische Lücke bzw. kein psychisches Loch zulässt.
Sobald man ein psychisches Loch öffnet, kann der Gegner eindringen und eine entscheidende
Technik anbringen, denn gleichzeitig öffnet man ein physisches Loch.
Das kann beispielsweise eine Öffnung in der Deckung sein. Es heißt also einen
Schmerz psychisch auszuhalten, um ein psychisches und somit ein physisches Loch
zu vermeiden.
Eine korrekte Technik kann nur mit dem korrekten Einsatz der Muskulatur ausgeführt
werden. Das Verhältnis von An- und Entspannung ist dabei von grundlegender Bedeutung.
Das kann am Makiwara unter richtiger Anleitung trainiert werden. Das Resultat
des Makiwara-Trainings ist einerseits die Entwicklung einer korrekten Technik
und andererseits das Abhärten bestimmter Körperteile, mit denen an das Makiwara
geschlagen wird. Sensei J. Kohl sieht das Abhärten nicht als Hauptinhalt des Makiwara-Trainings,
sondern die Entwicklung der korrekten Technik.
Abhärtungsübung ist ein weitläufiger Begriff, der das Wissen voraussetzt, wofür die
spezifischen Übungen genutzt werden. Dabei spielt die Grenzsetzung innerhalb der
Übung eine besonders wichtige Rolle zum Erhalt der Gesundheit. Das Geschichtswissen
Sensei J. Kohls ist sehr umfangreich, besonders im Bereich der Entwicklung
74
des Shotokan-Karate unter Funakoshi Gichin. Wichtig war ihm die Ausdifferenzierung
und Unterscheidung von Budo, Karate, Karate-Do und Karate als Sport herauszustellen.
Budo beschreibt den Weg der Kriegskünste, aus denen sich Karate-Do, in
der Neuzeit entwickelt hat. Die sich weiterentwickelnde Zivilisation hat die Fähigkeit
aus allem etwas für sich herauszuziehen. So kam die Zusammenlegung der Werte
des Budo und der okinawanischen Selbstverteidigung Karate. „Du entscheidest über
Selbsterkenntnis in allen Bereichen, so auch über Geist, Psyche, Körper und Bewegung.
Der Urzweck des Karate muss dabei immer erhalten bleiben, das ist die Verteidigung
gegen Waffen“, sagte Sensei J. Kohl. Daraus ergeben sich nach ihm bestimmte
Werte im Karate-Do (Dojokun):
• „Charakter – er bestimmt Dein Leben“;
• „Aufrichtigkeit“;
• „Bemühen“;
• „Höflichkeit“ und
• „Selbstkontrolle.“
Durch Beachtung dieser Werte und deren Umsetzung im Training entsteht Balance
von Körper und Geist. Es entwickelt sich Offenheit für den Alltag. Im Karate gibt es
viele Traditionen. Es fängt mit dem Karate-gi an, geht weiter über die Verbeugungen,
Meditation, Respekt voreinander, Umgangsformen, Höflichkeit, Konzentration und
zeigt sich in der Haltung des Karatekas. „Sie sind notwendig, denn Menschen leben
nach Glaubenssätzen, die eine gewisse Transparenz entwickeln, Identifikationsmerkmale
bilden und dadurch Gleichheit und Leistungsfähigkeit erzeugen. Sie dienen
letztendlich dazu, dass die Gemeinschaft zusammenwächst“, sagte Sensei J.
Kohl bezüglich der Frage nach der Notwendigkeit von Traditionen im Shotokan-
Karate. Die Traditionen entwickeln sich mit der Zivilisation. So entsteht das Sportkarate,
deren Ziele sich deutlich von den Zielen des klassischen Karate-Do unterscheiden.
Besonders die Bedeutung der Wettkämpfe ist verschieden. Deshalb sind die
Schwerpunkte der Trainerausbildungen verschieden akzentuiert. „Karate ist mein
Lebenselixier, dessen Lehre 1:1 ins Leben übertragbar ist“, betonte Sensei J. Kohl.
Das ist für ihn die Bedeutung von Shotokan-Karate. „Der Kern meines Trainings ist
es, sich als Mensch zu verbessern, sich zu bemühen, Selbstkontrolle und Konzentration
zu erlangen. Der Kern ist der Mensch als Ganzes“, fasste er zum Schluss zusammen.
4.3) Ableitungen der Trainer- bzw. Alltagstheorien
Die in den Gedächtnisprotokollen zusammengefassten Aussagen sollen in diesem
Abschnitt gemittelt und als Kategorien und allgemeine, alltagstheoretische Prinzipien
dargestellt werden. Die Grundlage dafür ist die systematische Analyse sportwissenschaftlicher
Elemente im und des Trainings. Die umfangreiche Literaturrecherche ist
deshalb hilfreich und unerlässlich. Da die Untersuchung keine quantitative Datenerhebung
ist, stellt sich die Auswertung nicht in Form von Maßzahlen und Berechnungen
dar. Es ist ein inhaltlicher und themenorientierter Vergleich der Traineraussagen
mit sportwissenschaftlichen Erkenntnissen. Die aus den Aussagen der Trainer extrahierten
Hauptkategorien sind Trainingsziele, Trainingsplanung, Trainingsmethoden,
Technikleitbild, Trainingsinhalte und Trainerwissen.
75
4.3.1) Trainingsziele
In allen Traineraussagen werden Trainingsziele definiert. Diese sind zwischen den
Verbänden stark divergent. Während das Trainingsziel der Lehrer des DKV grundsätzlich
der Wettkampf und somit das sportliche Leistungsstreben ist, ist das Trainingsziel
der Instruktoren des SRD individuell definiert und versucht die Breite der
verschiedenen Motive der Übenden abzudecken. Dabei sind die Zwischenziele stets
Gürtelprüfungen und den Zusammenhalt der Gruppe zu festigen.
Hierbei wird ein wesentlicher Unterschied innerhalb des Trainings und somit in der
Entwicklung des Shotokan-Karate deutlich.
Im sportlich betriebenen Karate, wie es im DKV gelehrt wird, ist der Wettkampf das
Ziel der Ausbildung. Im klassischen, traditionellen Karate-Do, wie es im SRD betrieben
wird, stellt der Wettkampf nur ein Mittel zum Erlernen des Karate dar.
In den Aussagen der Trainer des DKV wird deutlich herausgestellt, dass das Gewinnen
von Wettkämpfen, auf nationaler und internationaler Ebene, den Sinn und das
Ziel des Trainings darstellt. In den Aussagen der Instruktoren des SRD wird deutlich,
dass Wettkämpfe dazu dienen seine erworbenen Fähigkeiten unter bestimmten Regeln
anzuwenden, um annähernde Perfektion der Technik zu entwickeln. Sie dienen
der Überwindung des Egos und nicht dem Gewinnen von Pokalen. Hierbei differenzieren
sich zwei verschiedene Ansichten heraus. Die Charakterwerte, besonders in
der Überwindung des Egos und dem Ablegen des Gewinnstrebens und der Ruhmsuche,
erhalten verschiedene Bedeutung. Das Ego steht im sportlich betriebenen Karate
an einer äußerst hohen Position, während es im klassisch betriebenen Karate-Do
überwunden werden soll. Den Gegensatz bilden einerseits das Gewinnen von Medaillen
als Spiegel des Charakters und andererseits das Ablegen des Gewinnstrebens,
um den menschlichen Charakter zu vervollkommnen.
In folgender Tabelle werden die Ziele zusammengefasst:
Sportlich betriebenes Karate Klassisch betriebenes Karate
allgemeine Ziele
� Wettkampf
� Leistungsstreben
� Sportliche Ziele
Herausbildung
kampfsportler
leistungsstarker Wett-
Auswahl spezifischer Kaderathleten, die
für den internationalen Wettkampf weiterentwickelt
werden
Herausbildung
techniken
spezieller Wettkampf-
Entwicklung wettkampfspezifischer Kompetenz,
jedoch ohne Techniken zu trainieren,
die nicht wettkampftauglich sind
76
allgemeine Ziele
� Gruppenzusammenhalt
� Charakterbildung
� Soziale Ziele
Aus den Trainingszielen werden verschiedene Pläne abgeleitet:
Herausbildung kompetenter Karatemeister
und –Lehrer
Beachtung gesundheitlicher und motivationaler
Zustände der Übenden und dessen
Weiterentwicklung
Herausbildung einer Kompetenz, um
auch im Alltag leicht voranzukommen,
durch breites Training
Entwicklung von Kompetenz im klassischen
Karate, ohne Verlust der geschichtlichen
Wurzeln mit dem Training
aller klassischen Technik
4.3.2) Trainingsplanung
Die Trainingsplanung ist ebenfalls ein gemittelter Begriff. Alle Trainer haben festgestellt,
dass nur ein Erfolg im Training erreicht werden kann, wenn es geplant ist.
Dazu wird stets eine Rahmenkonzeption erstellt, die als Richtlinie und Anhaltspunkt
gilt. Der Aufbau der Pläne ist, nach den Aussagen der Trainer des DKV, auf Wettkampfhöhepunkten
ausgerichtet. Meistens sind es die Landesmeisterschaften und
deutschen Meisterschaften, also zwei Höhepunkte im Jahr. Die Nationalkader des
DKV haben die Hauptziele: „Deutsche Meisterschaft, Europameisterschaft und
Weltmeisterschaft“ (Eichert 2003, S.127). Dazu werden genaue Periodisierungen in
der Trainingsplanung vorgenommen. Das Grundschema ist eine langfristige Planung
und die Festlegung „von Perioden mit unterschiedlichen Trainingsinhalten und –
belastungen“ (vgl. Eichert 2003, S.127).
Die Periodisierung erfolgt in drei Etappen, die als allgemeine- und spezielle Vorbereitungsperiode
und Wettkampfperiode bezeichnet werden. Sie sind in weitere Einzelperioden
strukturiert. Nach Eichert (2003, S.127/128) ergeben sich daraus folgende
Ableitungen: „In der allgemeinen Vorbereitungsperiode liegt das Hauptaugenmerk
auf der Entwicklung der konditionellen Voraussetzungen für ein schnellkraftorientiertes
Training. Dies sind die Grundlagenausdauer und die Kraft.“ Im oberen Leistungsbereich
muss ein gezieltes Muskelaufbautraining, mit anschließendem Krafttraining
an Geräten, durchgeführt werden. Danach folgt ein zielgruppenorientiertes Schnellkraft-
oder intramuskuläres Maximalkrafttraining. „Im Techniktraining werden neue
Techniken (Bewegungsabläufe) oder Technikverbindungen erlernt und vorhandene
Techniken/Katas auf der Grundlage der vorherigen Wettkampfanalyse verbessert.“
Die Technikausführung soll locker und locker-schnell sein. Es ist für den Erhalt der
Grundschnelligkeit notwendig Bewegungen auch mit maximaler Schnelligkeit auszuführen.
Die spezielle Vorbereitungsperiode beinhaltet die Weiterentwicklung der
Schnelligkeit, besonders im Bereich der Beschleunigung und Explosivität. Dabei ist
nach Eichert (2003, S.127) folgender Grundsatz zu beachten: „Je höher das Niveau
und mit zunehmender Dauer der Periode, desto größer ist der Anteil der sportartspezifischen
Schnelligkeits- und Schnellkraftübungen.“ Der zentrale Inhalt ist die Entwicklung
maximaler Bewegungsschnelligkeit der Techniken. In der Wettkampfperiode
wird karatespezifische Wettkampfausdauer entwickelt und das individuelle Wettkampfverhalten
optimiert. Das Hauptziel ist die Stabilisierung und Automatisierung
des Wettkampfverhaltens. Der letzte Abschnitt, vor einem Wettkampfhöhepunkt, wird
als unmittelbare Wettkampfperiode bezeichnet, wobei die Höchstleistung herausgebildet
wird. Das konditionelle Niveau muss dazu stabilisiert und die Technik und Taktik
für den Wettkampf vervollkommnet werden. „Ziel ist Ausprägung der komplexen
sportlichen Leistung“ (Eichert 2003, S.128). Eine andere Aufgabe ist die psychische
Stabilisierung der Wettkämpfer durch Motivierung, Mobilisierung, Festigung des
Selbstvertrauens u.a. Nach dem Höhepunkt folgt die Übergangsperiode mit aktiver
Erholung.
Die Periodisierung ist in Makro- und Mikrozyklen strukturiert. Makrozyklen umfassen
lange Zeiträume von z. B. Monaten und/oder Jahren. Mikrozyklen können Wochentrainingspläne
oder einzelne Trainingseinheiten sein. Sie richten sich nach der „Anzahl,
dem Zeitpunkt und der Dauer der Trainingseinheit(en), dem Belastungsumfang
und der Belastungsintensität sowie nach den genauen Trainingsinhalten“ (Eichert
2003, S.129). Der aktuelle Trainingsplan des Jahres 2004 der Nationalkader des
DKV befindet sich im Anhang.
Die Trainingsplanung der Trainer im SRD ist nicht nach Wettkampfhöhepunkten organisiert.
Sie strukturieren das Training nach zu erreichenden Stufen, in Form von
77
Gürtelprüfungen. Dazu werden spezifische Elemente des Karate-Trainings in ein Gesamtkonzept
gebracht. Folgender Plan ist dafür sehr anschaulich:
Trainingsplan März 2004, von Jörg Kohl für Kata Empi
Tag/Dat. Zeit Aufgaben
e.T. Abl. ZKD KKD/KD
RK
Stell.
78
KV
v.B.
KV
h.B
Ke.
R
Ke.
Hv
Ke.
Wdg.
R
Ke.
Wdg. V Rhyt. Appl.
1. Mo. x
2. Di. x
3. Mi. x
4. Do. x
5. Fr. x
6. Sa.
7. So.
8. Mo. x
9. Di. x
10. Mi. x
11. Do. x
12. Fr. x
13. Sa.
14. So.
15. Mo. x
16. Di. x
17. Mi. x x
18. Do. x x
19. Fr. x x
20. Sa.
21. So.
22. Mo. x
23. Di. x
24. Mi. x
25. Do. x
26. Fr. x
27. Sa.
28. So.
29. Mo. x
30. Di. x
31. Mi. x
Abl.: = Ablauf Rhyt. = Rhythmus
ZKD = ZKD trainieren e.T. = einzelne Technik üben (Kihon)
KKD/KD = KKD/KD trainieren
RK Stell. = Reaktionskraft in den Stellungen
KV v.B. = Körperverschiebung vordere Bein
KV h.B. = Körperverschiebung hintere Bein
KV h.B. = Körperverschiebung hintere Bein
Ke.R = Krafterzeugung durch Rotation
Ke.Hv. = Krafterzeugung durch Hüftvibration
Ke.Wdg.R. = Krafterzeugung Körperverschiebung Wdg. + Rotation
Ke.Wdg.
V. = Krafterzeugung Körperverschiebung Wdg. + Vibration
Appl. = Applikation
Dieser Plan ist eine Vorlage, nach dem, für jeden Karateka, individuelle Veränderungen
vorgenommen werden können. Der oben aufgeführte Trainingsplan ist ein Makrozyklus
über einen Monat, der Mikrozyklen einzelner Wochen und Tage einschließt.
Sie können im SRD individuell unterschiedlich aussehen. Der hier vorliegende Zyklus
ist individuell von Sensei Jörg Kohl entwickelt und dieser Arbeit, mit freundlicher Genehmigung,
zur Verfügung gestellt worden.
Allgemein wurde festgestellt, dass der Aufbau der Trainingseinheiten grundlegend
gleich ist. Dieser sieht wie folgt aus:
1. Erwärmung mit einer Dauer von ca. 15-20 Minuten und der Zielstellung das Herz-
Kreislaufsystem zu aktivieren, das Organ- und Muskelsystem auf die bevorstehende
Belastung einzustimmen und Verletzungen, durch physische und psychische
Vorbereitung vorzubeugen. Die langsame Steigerung der Belastung ohne
Belastungsspitzen, nicht in den Bereich des Kraft- oder Ausdauertraining geraten
und besonders die Muskulatur vorbereiten, die im Hauptteil des Trainings besonders
beansprucht werden sind dabei zu beachtende Prinzipien.
2. Hauptteil mit einer Dauer von ca. 45-60 Minuten. Der Trainingsteil ist themenspezifisch
und beinhaltet eine zielorientierte Methodenwahl des Trainers. Die Wahl
richtet sich nach den Kriterien der Zielgruppe, den ausgewählten Lerninhalten
und den Schwerpunktsetzungen, der Unterscheidung von Schwächen und Stärken
der Sportler, den Fehlerkorrekturen, der Belastungsstruktur, den Organisationsformen,
dem Einsatz von Trainingsmitteln, Gefahrenquellen u.a. (vgl. Eichert
2003).
3. Schlussteil mit einer Dauer von 10-15 Minuten. Hierbei kann es einen Ausdauer-
oder Kraftteil geben, Spielformen, Auslaufen und lockeres Dehnen. Man spricht
hier von Cool-Down, dem Abwärmen. Es ist ein Ausgleich zum Hauptteil.
Der Unterschied zwischen dem sportlich betriebenen- und dem klassisch betriebenen
Karate besteht nicht nur in den Zielen, den Trainingsformen und Technikausführungen,
sonder auch in den Inhalten der Erwärmung und dem Schlussteil.
Während im sportlich betriebenen Karate eine intensive Dehnung in der Erwärmung
stattfindet und im Schlussteil nur leichtes Lockern folgt, ist das im klassisch betrieben
Karate genau anders herum. Die Begründung des klassischen Karate ist, dass die
Muskeln am Anfang des Trainings nicht optimal vorbereitet sind, um in die intensive
Dehnung zu gehen. Am Ende des Hauptteils ist es notwendig die Muskeln intensiv
zu dehnen, damit ihre optimale Funktionsweise gewährleistet bleibt. Außerdem sind
sie erst dann dazu bereit. Allgemein können die Unterkategorien Rahmentrainingsplanung,
Makrozyklus, Mikrozyklus, Periodisierung und Zyklisierung festgestellt werden.
Den verschiedenen Trainingsplänen liegen auch spezifische Trainingsmethoden zu
Grunde. Diese werden im nächsten Abschnitt deutlich herausgestellt.
4.3.3) Trainingsmethoden
Trainingsmethoden bringen in die Vielfalt möglicher Kombinationen der Belastung eine
zweckmäßige Ordnung (vgl. Schnabel et al. (Hrsg.) 1997). Die Hauptmethode im
Shotokan-Karate-Training ist die Dauermethode. Sie ist eine Methode des Ausdauertrainings,
dient der Ausbildung und Stabilisierung der Grundlagenausdauer und „besteht
in der ununterbrochenen, längeren Dauerbelastung in einer Trainingseinheit“
(vgl. Schnabel et al. (Hrsg.) 1997, S.258). Die Belastungsintensität ist konstant und
variiert von gering bis mittel (extensiv). Die Belastungsdauer kann sich über mehrere
Stunden ziehen, wobei die Energiebereitstellung im Muskel- und Herz-
Kreislaufsystem aerob ist. Aerob heißt Verbrennung von Energieträgern durch Sau-
79
erstoff. Dadurch werden die Energieerzeugung und der Energieverbrauch sowie die
Muskelarbeit im gesamten Belastungsprozess ökonomisiert. Das ist ein physiologischer
Anpassungsprozess, der nur durch planmäßiges und konstantes Training erreicht
werden kann. Die aerobe Leistungsfähigkeit steigt und der Fettstoffwechsel
wird verbessert (vgl. Schnabel et al. (Hrsg.) 1997). Ist die Belastungsintensität hoch
(intensiv), umfasst die Belastungsdauer ca. 45 Minuten. Dabei ist die Energiebereitstellung
im Muskel- und Herzkreislaufsystem aerob-anaerob. Anaerob bedeutet Energiebereitstellung
ohne Sauerstoff. Hierbei passt sich der Körper im Bereich der
Grundlagen-, Kraft- und Langzeitausdauer an. Nach Schnabel et al. (Hrsg., 1997)
entwickelt sich eine Belastungsverträglichkeit für intensive Anforderungen, aerobe
Kapazitäten steigen und der aerobe-anaerobe Funktionsbereich wird erhöht. Außerdem
werden der Glykogenstoffwechsel und die Durchhalte- und Konzentrationsfähigkeit
verbessert. Wenn die Intensität wechselt, der trainingswirksame Bereich aber
nicht verlassen wird, ist die physiologische Wirkung wie bei einer konstanten Dauerbelastung.
Ein Vorteil dieser Form der Dauermethode ist das Training der Umstellungsfähigkeit,
die im Shotokan-Karate eine große Bedeutung hat, wie bereits herausgestellt
wurde. Die Erholungsfähigkeit wird bei allen eben aufgeführten Formen
der Dauermethode verbessert. Sie war eine klassische Trainingsmethode, die auch
heute noch Anwendung findet. Die Umsetzung der Methode im Training hat sich jedoch,
mit der Entwicklung und Ausdifferenzierung der Trainingsinhalte, in den verschiedenen
Bereichen des Shotokan-Karate-Trainings spezifiziert.
Die Belastungsstruktur im Training des DKV wird speziell auf bestimmte Perioden
des Trainings erstellt. Hierzu werden die Wiederholungsmethode und die intensive
Intervallmethode benutzt (vgl. Eichert 2003). Nach Eichert (2003) ist die Wiederholungsmethode
durch eine vollständige Erholung nach einer kurzen, maximalen Belastung
gekennzeichnet (6-10 Sekunden). Weiterhin sagt er, „dass die Erholung auf
der vollständigen Wiederherstellung des Kreatinphosphatspeichers basiert.“ Die
Pause wird durch aktive Erholung gestaltet, wie zum Beispiel mit Dehn- und/oder Lockerungsübungen
und hat einen Zeitraum von 1-3 Minuten. Sie ist spezifisch dem
Schnelligkeits- und Schnellkrafttraining angepasst. Die Schnellkraftausdauer wird im
Leistungsbereich des DKV mit der intensiven Intervallmethode und der Wiederholungsmethode
trainiert. Die intensive Intervallmethode beinhaltet hohe Intensitäten,
die aber nicht maximal sind und einen Wechsel zwischen relativ kurzen Belastungs-
und Entlastungsphasen. Die Erholung ist unvollständig. Die Belastungsdauer kann
bis 60 Sekunden betragen, wobei die energetische Arbeitsweise aerob-anaerob ist.
Hierbei entstehen unter anderem eine Laktatverträglichkeit und eine Herzvolumenvergrößerung.
Laktat ist ein Endprodukt bei der Energiegewinnung ohne Sauerstoff
(anaerob) und ein biochemisch, leistungsmindernder Faktor. Eichert (2003, S.128)
stellt dabei für das Karate-Training folgende Struktur fest: „Hierbei gilt zu beachten,
dass im Karatetraining die maximale Belastung intervallartig über längere Zeit in Serien
trainiert wird, beispielsweise alle 3 Sekunden eine explosive Technik auf die
Pratze und dies über eine festgelegte Zeit (1-5min).“
Es werden auch die nun folgenden Trainingsmethoden im DKV für die Ausbildung
karate-spezifischer Fähigkeiten verwendet:
• Die Kontrastmethode dient besonders der Verbesserung koordinativer Fähigkeiten
und der Schnellkraft. Der Kontrast entsteht durch einen systematischen
Wechsel der Widerstände innerhalb einer Trainingseinheit (vgl. Schnabel et al.
(Hrsg.) 1997). Eichert (2003, S.111) gibt dazu folgendes Beispiel: „- eine Technik
langsam ausführen – diese Technik explosiv und kraftvoll ausführen; eine Technik
unter „normalen“ Bedingungen ausführen – diese Technik mit einer Gewichtsweste
ausführen.“
80
• Die Methode der dynamisch-konzentrischen Kontraktion (überwindende Arbeitsweise
der Muskulatur) und die Pyramidenmethode dienen der Entwicklung der
Maximal- und Schnellkraft. Hierbei soll einerseits das Energiepotential, durch
Vergrößerung des Muskelquerschnitts erhöht und andererseits die Innervationsfähigkeit,
durch Optimierung der intramuskulären Koordination, verbessert werden
(vgl. Eichert 2003).
• Die Methode der isometrischen Muskelkontraktion beinhaltet statische Anspannung
der Skelettmuskulatur gegen einen festen Widerstand, wobei der Muskel
kontrahiert aber nicht verkürzt wird.
• Zur Ausdauerschulung wird, wie beschrieben, die Dauermethode mit verschiedenen
Variationen eingesetzt. Das sind zum Beispiel: die Tempowechselmethode
mit planmäßigen Variationen der Intensität, wobei unterschiedliche Stoffwechselprozesse
gleichzeitig trainiert werden und das Fahrtspiel, als Variation der Tempowechselmethode,
wobei die Intensität von niedrig bis hoch variiert und meistens
vom Sportler selbst verändert wird (vgl. Eichert 2003).
• Methoden zur Entwicklung der Beweglichkeit im Bereich des Dehnens sind:
a) passiv-statisches Dehnen mit den Formen der „sanft gehaltenen Dehnung
(‚easy stretch’)“, wobei die Dehnung nur leicht gehalten wird und der „intensiv
gehaltenen Dehnung (‚development stretch’)“, wobei die Dehnung nach dem
easy stretch erhöht und nochmals gehalten wird (vgl. Eichert 2003, S.123);
b) aktiv-statisches Dehnen, wobei der zu dehnende Muskel aktiv durch seinen
Antagonisten in die Dehnposition gebracht wird (vgl. Eichert 2003);
c) aktiv-dynamisches Dehnen wird zum Beispiel durch Schwungbewegungen erreicht,
die in den Bereich der Dehnung der Muskulatur reichen, wie zum Beispiel
das Vor-Hochschwingen des gestreckten Beines;
d) Anspannungs-Entspannungs-Dehnen, wobei nach dem Erreichen der Dehnstellung
die gedehnte Muskulatur isometrisch angespannt und für einige Sekunden
in der Position gehalten wird (vgl. Eichert 2003).
Die hier aufgeführte Ausdifferenzierung der Trainingsmethoden im Shotokan-Karate
deutet die kennzeichnende Entwicklung innerhalb des Trainingssystems klar an. Für
spezifische Elemente des Karate werden spezifische Methoden der Sportwissenschaft
verwendet. Diese Methoden werden auch im Training des klassischen Karate-
Do verwendet, jedoch mit dem Unterschied der Zielstellung, was bereits festgestellt
wurde. Als Unterkategorien können sie als Methoden des Konditions- und als Methoden
des Koordinationstrainings festgehalten werden.
Das sind nicht die einzigen Methoden, die im Trainingsprozess Anwendung finden.
So wird beispielsweise der Trainingsaufbau nach den oben beschriebenen Prinzipien
methodisch vollzogen. Weitere Unterkategorien bilden die Methode der Trainingsplanung
und die Methode des Aufbaus einer Übungsstunde.
In den Interviews wurde der Einsatz von Hilfsmitteln, die Vermittlung des Technikleitbildes,
Fehlerkorrekturen, aber auch didaktische Elemente im Training hinterfragt.
Die Antworten waren annähernd gleich. Daraus kann die methodische Gestaltung
des technischen Lernprozesses, als weitere Unterkategorie abgeleitet werden.
Ein Element der methodischen Gestaltung des technischen Lernprozesses ist die Art
der Informationsgestaltung. Verallgemeinert werden die Aussagen diesbezüglich auf
verbal, visuell, taktil und kinästhetisch zusammengefasst.
Das Techniktraining wird allgemein in Vorbereitungsphase (Fähigkeitsorientiert);
Technikaneignungs-, -erwerbs- oder -erlernphase; Vervollkommnungs-, Perfektionierungs-,
Anwendungs- und Festigungsphase; Automatisierungs-, Anwendungs-,
Gestaltungs-, Stabilisierungsphase und Phase der variablen Verfügbarkeit der Tech-
81
nik gegliedert. Das wird als Phasencharakter des motorischen Lernens bezeichnet
(vgl. Hirtz, Vorlesungsmaterialien Uni-Greifswald 2000).
Es können drei Hauptphasen extrahiert werden. Die erste Phase ist das Erlernen und
Festigen von Techniken. Dazu werden Vereinfachungsstrategien bezüglich der Parameter
eingesetzt. Beispielsweise wird die Programmlänge verkürzt. Speziell im
Shotokan-Karate werden Techniken in Einzelbewegungen zergliedert, um durch das
Üben der spezifischen Phasenstruktur das Erlernen der Technik zu erleichtern. Dazu
werden serielle und funktionale Übungsreihen erstellt. Ein Beispiel für eine serielle
Übungsreihe ist die Zergliederung eines Fußtrittes, der im Shotokan-Karate als Maegeri
(schnappender Fußtritt nach vorne) bezeichnet wird:
1) „Anzugbewegung,
2) Anzugbewegung und Tritt,
3) Anzugbewegung, Tritt und Zurückschnappen,
4) Gesamtbewegung.“ (Eichert 2003, S.23)
Ein Beispiel für eine funktionale Übungsreihe ist hierfür (vgl. Eichert 2003):
1) aus einer Stellung mit angezogenem Trittbein gegen eine Pratze treten,
2) Treten gegen einen Wiederstand oder ein Ziel (Bsp. Pratze oder Bauch des Partners)
und Zurückschnappen,
3) Anzugbewegung, Tritt gegen einen Wiederstand oder ein Ziel (Bsp. Pratze oder
Bauch des Partners) und Zurückschnappen,
4) Gesamtbewegung.
Katas werden in bestimmte Sequenzen zerlegt, die erst einzeln und dann als Gesamtform
trainiert werden.
Eine andere Vereinfachungsstrategie ist die Verringerung der Programmbreite.
Hierfür ist das Erlernen einer Kata beispielhaft. Zuerst wird die Kata demonstriert.
Dann wird sie in Einzelsequenzen gegliedert. Diese Einzelsequenzen stellen bereits
eine Verringerung der Programmbreite dar. Weiterhin können zuerst nur die Armtechniken,
dann die Beinbewegungen geübt und schließlich beides verbunden werden.
Das ist eine weitere Möglichkeit der Reduzierung der Programmbreite. Armtechniken
und Beinbewegungen müssen letztendlich synchronisiert werden. Zum
Schluss wird die Kata in der Zielform geübt. Diese Methoden werden häufig benutzt
und stellen eine wesentliche Vereinfachung beim Erlernen von karate-spezifischen
Techniken dar. Ursprünglich fand diese Methode keine Anwendung, sie wurde erst
im Zuge der wissenschaftlichen Analyse des Karatetrainings und der Elemente des
Shotokan-Karate in das Trainingskonzept aufgenommen. Es werden auch Parameter
wie Bewegungsschnelligkeit, –stärke u.a. reduziert und Rhythmusanzählungen, Orientierungsvorgaben
und andere bewegungserleichternde Elemente genutzt. Diese
methodischen Prinzipien finden sowohl im sportlich- als auch im klassisch betriebenen
Karate Anwendung. Der Unterschied besteht darin, dass die Ausführungsformen
der Techniken im sportlich betriebenen Karate wettkampfspezifisch sind und den Bedeutungen
der klassischen Anwendung nicht gerecht werden. Es werden eher
Schlag- und Tritttechniken geübt und weniger Abwehrtechniken. Das steht im Gegensatz
zur Idee des klassisch betriebenen Karate.
Die zweite Phase ist das Stabilisieren und Automatisieren der Techniken durch
Kombination und Variation. Zur Automatisierung müssen die karate-spezifischen Programme
durch hohe Wiederholungszahlen der Techniken eingeschliffen und die
Aufmerksamkeit vom Technikablauf weggelenkt werden. Letzteres kann durch den
Einsatz von Mehrfachaufgaben erreicht werden. Zur Stabilisierung muss die Aufmerksamkeit
auf bestimmte Technikmerkmale gerichtet werden, um sie bewusst
wahrzunehmen und spezifisch darauf einzuwirken. Dazu werden Situationen variiert
und Belastungen erhöht, denn unter großer Belastung soll die Technik stabil sein, um
82
sie anwenden zu können. Zu Zeiten der Anwendung von Karate als Selbstverteidigung
gegen Schwerter und andere Waffen und selbst im 19. Jahrhundert waren diese
Methoden nicht so ausdifferenziert. Heute werden dafür Teilbewegungen, verschiedene
Übungskombinationen (spiegelbildliches Laufen von Kata, Stellungsvariationen
u.a.), Übung unter veränderter Wahrnehmung (geschlossenen Augen u.a.),
Übung unter psychischer Belastung (Wettkampftraining,…), Üben mit veränderten
Parametern, mit Zusatzgeräten (Gewichtsweste, Hand- und Fußgewichte, Kraftgeräte)
und Übungen unter veränderten Umweltbedingungen (Sandsack, Makiwara, Pratze,
wackeliger Untergrund, Matten, Hindernisse u.a.) in das Training integriert (vgl.
Eichert 2003).
Die dritte Phase wird in der Analyse des Shotokan-Karate-Trainings als Gestalten
und Ergänzen bezeichnet. Im sportlich betriebenen Karate bedeutet das „die individuelle
Ausformung und Ergänzung des konditionellen und technisch-taktischen und
psychischen Leistungsvermögens“ (vgl. Eichert 2003, S.38). Die individuellen Spezialtechniken
und Bewegungsmuster müssen vervollkommnet und ergänzt werden, um
der Dynamik des Wettkampfsports gerecht zu werden. Deshalb formuliert Eichert
(2003) das Hauptziel als Herausbildung der maximalen Bewegungsschnelligkeit im
Kumite. Für die Kata-Spezialisten ist es besonders wichtig die äußere Form und somit
die Ästhetik der Bewegung zu perfektionieren. Im Gegensatz dazu ist im klassisch
betrieben Karate weder die Spezialisierung von Einzeltechniken noch die Herausbildung
von Ästhetik das Ziel dieser Lernphase. Das Gestalten und Ergänzen der
Karate-Techniken ist ein Element erreichter Meisterschaft. Erst wenn die Technik in
der überlieferten Form gemeistert wurde, was durch das Bestehen von Dan-
Prüfungen nachgewiesen werden muss, kann ein Karateka dem Stil seine eigene Interpretation
hinzufügen. Geschieht das zu früh, wird Karate verwässert und seiner
ursprünglichen Form entgrenzt und entfremdet. Die Entwicklung zum sportlich betriebenen
Karate stellt, nach Meinung der Meister und Lehrer des klassischen Karate,
eine verwässerte und entgrenzte Entwicklung im Shotokan-Karate dar. Im Ursprungsland
Okinawa wird dieses System vollkommen abgelehnt. Im philosophischen
Sinn wird hier das Prinzip des oben beschriebenen Shu – Ha – Ri umgesetzt.
Doch es werden noch andere Methoden eingesetzt. Im Sportkarate sind es beispielsweise
spezielle Methoden für die Wettkampfvorbereitung. Zum einen sind das
wettkampfnahe Trainingsmethoden, wobei die Schulung von Situationsentscheidungen
und die Entwicklung von Handlungskompetenz thematisiert sind und zum anderen
wettkampfadäquate Trainingsmethoden, zur unmittelbaren Wettkampfvorbereitung.
Dazu werden psychologische und physiologische Belastungen erzeugt, wie sie
im Wettkampf annähernd auftreten können. Psychologisches Training geschieht zum
Beispiel in Form von sehr harten Trainingseinheiten, die in der Belastungsstruktur bis
an die Leistungsgrenzen der Karatekas und darüber hinausgehen. Weiterhin sind
Meditation und ideomotorisches Training ein wesentlicher Bestandteil des modernen
klassischen Karate-Trainings geworden. Durch Meditation wird innere Ruhe und Bereitschaft
erzeugt. Somit bereitet sich der Karateka auf das Training vor. Ideomotorisches
Training ist Training durch Vorstellung. Bei jeder Technikausführung soll sich
der Karateka vorstellen, dass er gegen einen oder mehrere Gegner kämpft. Außerdem
soll der Karateka sich durch Vorstellungen, zum Beispiel einer Kata, der Techniken
und deren Funktionieren bewusst werden. Dabei werden Meditation und ideomotorisches
Training verbunden. Das sind nur zwei Beispiele des psychologischen
Trainings.
Die Unterkategorie Fehlerkorrektur dient dazu Fehler, Fehlerursache und Korrektur
dem Übenden einsichtig zu machen. Maßnahmen zur Korrektur können nach Eichert
(2003, S.46) folgendermaßen systematisiert werden:
83
� „Verbale Informationsgebung;
� Demonstrationen (visuelle Korrektur);
� Gegenüberstellung der falschen und richtigen Bewegung;
� Bewegung führen;
� Orientierungshilfen geben;
� Bewegungen übertreiben;
� Fehlerhafte (Teil-)Bewegungen isoliert üben lassen und
� Bewegungshilfen geben und Übungsbedingungen schaffen, die der richtigen
Ausführung der Technik dienen.“
Weitere Möglichkeiten sind:
� Einsatz von Hilfsmitteln wie Spiegel,
� Videoanalysen zur Sichtbarmachung der Fehler,
� Motivieren zur Beobachtung fortgeschrittener Schüler und Meister,
� Rhythmushilfen, wie zum Beispiel verbale Hinweise durch Zählen,
� u.a.
In den Interviews wurden allgemeine didaktische Prinzipien genannt, die das Karate-
Training erleichtern. Deshalb werden sie an dieser Stelle zu den Methoden gezählt.
Im Einzelnen sind sie in folgenden Leitsätzen zusammengefasst: „vom Leichten zum
Schwierigen, vom Bekannten zum Unbekannten, vom Einfachen zum Komplexen
und vom Universellen zum Speziellen.“ Im Abschnitt 2.5 Didaktische Prinzipien wurden
sie genauer ausgeführt.
Mit dieser genaueren Betrachtung der Methoden kristallisiert sich die Bedeutung des
Technikleitbildes heraus.
4.3.4) Technikleitbild
Das Technikleitbild ist eine wichtige Komponente im Shotokan-Karate. Ohne eine
korrekte Technik ist ihre Wirksamkeit nicht gegeben. Es wird durch Demonstrieren
und Erklären vermittelt. In den Interviews, mit den Gesprächspartnern des SRD, stellte
sich weiterhin heraus, dass sie physische Individualitäten und biomechanische
und physikalische Prinzipien zur Vermittlung des Leitbildes der Technik beachten.
Diese Prinzipien beruhen einerseits auf Beobachtungen von karate-spezifischen Bewegungsparametern
und andererseits auf systematisch analysierte wissenschaftliche
Erkenntnisse der Gebiete Physik, Sportmotorik und Biomechanik. Beobachtungen
wurden nicht nur im Training und bei Wettkämpfen gemacht, sondern auch durch
analytische Auswertungen von Videomitschnitten und durch Übungen vor Spiegeln.
Durch die bereits beschriebene Studie der Universität von Long Island und durch andere
europäische Studien, vor allem im Bereich des Wettkampfkarate, konnten spezifische
Elemente von Bewegungen im Shotokan-Karate festgestellt werden. Eines
dieser Elemente ist die Phasenstruktur von Bewegungsabläufen. Eichert stellt in seiner
Rahmentrainingskonzeption die Funktionsphasentypen nach Göhner (1979) heraus
(Eichert 2003, S.50):
1. „Vorbereitende Hilfsfunktionsphasen sind Phasen zum Erreichen bestimmter
Ortsstellen, bestimmter Lagen, bestimmter Positionen oder bestimmter Bewegungszustände.“
2. „Hauptfunktionsphasen sind Phasen, die nur auf die gestellte Bewegungsaufgabe
Bezug nehmen, nicht aber auf andere Funktionsphasen. In unserem Fall sind das
jene funktionalen Teilbewegungen, in denen das Hauptbewegungsziel erreicht
wird.“
84
3. „Unterstützende Hilfsfunktionsphasen sind Phasen zur Verwendung weiterer Bewegerteile,
beispielsweise das Zurückziehen des Armes während des Tritts beim
Mae-geri.“
4. „Überleitende Hilfsfunktionsphasen sind Phasen, die eine Übersteuerung der
Zielsituation verhindern oder den Anschluss an nachfolgende Operationen ermöglichen
sollen.“
In der Allgemeinen Bewegungslehre von Loosch (1999) werden fünf Funktionsphasen
nach Göhner herausgestellt. Diese sind die einleitende Funktionsphase, überleitende
Funktionsphase, Hauptfunktionsphase, aussteuernde Funktionsphase und
amortisierende Funktionsphase. Die ersten vier Phasen sind wie die oberen gekennzeichnet.
Die amortisierende Phase ist eine Körperstabilisierungsphase, wobei zum
Beispiel der eigene Körper, als Abschluss einer Bewegung, abgefangen wird.
Funktionsphasen charakterisieren die Herausstellung von Geschehensabschnitten
eines Bewegungsablaufes, wobei allen Ausführungen innerhalb dieses Bewegungsablaufes
bestimmte Funktionen zugeordnet werden. Diese Systematik ist nicht nur
für die Vermittlung des Technikleitbildes, sondern auch für Fehlerkorrekturen und die
Fehlererkennung grundlegend.
Um Bewegungsmerkmale genauer zu erkennen und zu erläutern, muss die Struktur
des Körpers betrachtet werden. In einer einfachen anatomischen Darstellung besteht
der Körper aus dem „Schulter-Brustgürtel an dem die Arme befestigt sind und dem
Beckengürtel mit dem die Beine verbunden sind“ (Eichert 2003, S.51). Die Wirbelsäule,
auf der der Kopf als zentrales Steuerorgan sitzt, verbindet die beiden Gürtel.
Diese können vorwärts, rückwärts, seitwärts, gedreht und gekippt werden (vgl. Eichert
2003). Während die Bewegung des Schulter-Brustgürtels durch die Brust- und
obere Rückenmuskulatur bewirkt wird, ist die Bauch- und untere Rückenmuskulatur
für die Bewegung des Beckengürtels zuständig.
Karatetechniken sind Ganzkörperbewegungen, mit dem Ziel maximale Endgeschwindigkeit
der Extremität, mit der ein Schlag, Tritt oder Block ausgeführt wird, zu
erreichen (vgl. Eichert 2003). Dazu werden Teilbewegungsimpulse summiert. Diese
Impulse stellen deshalb ein Merkmal der Bewegung dar. Teilimpulse sind zum Beispiel
Armstreckung, Beinstreckung, Hüftrotation oder –vibration und Oberkörperbewegung.
Eicherts Analysen zufolge werden alle Teilimpulse im Karate sofort maximal
beschleunigt. Dazu ist die zeitliche Abfolge der Teilimpulse leistungsbestimmend.
Beispielsweise ist bei einem geraden Fauststoß (Choku-Zuki) aus der Vorwärtsstellung
(Zenkutsu-Dachi) folgender Ablauf zu beachten (vgl. Eichert 2003):
1. Beinstreckung über die Beinstreckermuskulatur,
2. Eindrehen der Hüfte durch die unteren schrägen Bauchmuskeln und die Adduktoren
des vorderen Beines,
3. Eindrehen des Oberkörpers durch die obere Rückenmuskulatur und
4. Armstreckung und Fauststoß durch die Armstreckmuskulatur.
Daraus wurde geschlussfolgert, dass beim geraden Fauststoß nach vorne zwei übergeordnete
Bewegungsimpulse leistungsbestimmend sind. Diese sind Beinstreckung
mit Eindrehen der Hüfte, wodurch die Hüfte nach vorne gedreht wird und Eindrehen
des Oberkörpers mit Fauststoß. Doch neben den Bewegungsimpulsen ist eine
optimale Vordehnung der Muskulatur zu nennen. Mit ihr entsteht eine Vorspannung,
womit ein höherer Kraftstoß und eine größere Beschleunigung erzeugt werden.
Allgemein ist bei der Analyse der Bewegungen im Karate festgestellt worden,
dass der zentrale Bewegungspunkt die Hüfte ist. Die Kraft bei Karatetechniken soll
aus der Körpermitte kommen, wobei die Kraftübertragung immer über die Hüfte erfolgt.
Das bedeutet spezielle Übungen zur Kräftigung der Bauch-, Rücken-, Hüftbeu-
85
ge- und Streckmuskulatur im Training einzusetzen. Die Hüfte führt dabei entweder
Kipp-, Rotations- und/oder Vibrationsbewegungen aus.
Die eben erläuterten Merkmale charakterisieren verschiedene Beschreibungsebenen
von Bewegung. Die Unterkategorie „quantitative Bewegungsmerkmale“ fasst diese
Ebenen zusammen und stellt gleichzeitig weitere heraus. Im Einzelnen können dazu
physikalische Größen genannt werden. Sie beschreiben Knotenpunkte der Bewegung,
Orts- und Zeitparameter, Winkel und Kräfte in translatorischen und rotatorischen
Phasen (vgl. Loosch 1999, S.75). Sportwissenschaftlich lassen sich nach
Loosch (1999) zwei Hauptelemente der quantitativen Bewegungsmerkmale herausstellen:
a) kinematische Merkmale mit raum-zeitlichen Parametern translatorischer und rotatorischer
Bewegungen und
b) dynamische Merkmale mit Kräften in translatorischer und rotatorischer Bewegungen.
Die Größen werden wie folgt systematisiert (vgl. Loosch 1999):
• Raum: Ortspunkte (Koordinaten), Weg (Strecke), Winkel
• Zeit: Zeitpunkt, Zeitdauer, Frequenz
• translatorisch: Weg, Geschwindigkeit, Beschleunigung (dynamisches Merkmal:
Masse, Kraft, Kraftimpuls, dynamisches Grundgesetz, Impulssatz, Impulserhaltungssatz,
potentielle Energie, kinetische Energie)
• rotatorisch: Winkel, Winkelgeschwindigkeit, Winkelbeschleunigung (dynamisches
Merkmal: Drehmoment, Drehimpuls, Massenträgheitsmoment, Drehimpulserhaltung,
dynamisches Grundgesetz, Rotationsenergie, Bahngeschwindigkeit, Zentrifugalkraft)
An dieser Stelle wird nicht näher auf die Prinzipien eingegangen, da der Rahmen der
Arbeit die Trainingsentwicklung im Allgemeinen ist.
In den Interviews der Instruktoren des SRD wurden Hochmuths biomechanische
Prinzipien (vgl. Loosch 1999) als wesentliches Merkmal der Techniken im Shotokan-
Karate erwähnt:
1) Das Prinzip des optimalen Beschleunigungsweges besteht darin, diesen so zu
wählen, dass eine maximale Endgeschwindigkeit erreicht wird. Dazu wird im
Sport der Beschleunigungsweg durch eine bestimmte Technik verlängert. Ist der
Beschleunigungsweg zu lang sinkt die Beschleunigungsleistung. Der Weg muss
also optimal gewählt werden. Das Optimum wird durch die Biomechanik des
menschlichen Körpers bestimmt. Der geschnappte Fußtritt nach vorne (Mae-geri)
ist dafür ein gutes Beispiel. Das Knie muss hierbei so hoch gezogen werden, bis
der Fuß des hochziehenden Beines auf Kniehöhe des Standbeines ist. Nun beginnt
die Schnappbewegung des Unterschenkels, bis zum Einrasten durch Muskelkontraktion.
Wird das Knie höher oder tiefer gezogen, sinkt die Beschleunigungsleistung
und der Fußtritt verliert an Wirksamkeit. Das Ziehen bis auf Kniehöhe
ist individuell verschieden.
2) Das Prinzip der Anfangskraft besagt, „dass bei einer Sprung- oder Streckbewegung
vom starren Widerlager eine kurze kräftige Bewegung entgegen der Hauptbewegungsrichtung
einen Leistungsvorteil mit sich bringt, allerdings nur dann,
wenn sich eine sofortige Bewegungsumkehr anschließt“ (Loosch 1999, S.86).
Dabei ist der Kraftimpuls bei einer Bewegung mit Auftakt größer als bei der gleichen
Bewegung ohne Auftakt. Eine schnelle Auftaktbewegung erzeugt eine Anfangskraft
während der Abbremsphase, die jedoch nur für Bruchteile einer Sekunde
zur Verfügung steht. Der Umkehrpunkt nach dem Abbremsen muss exakt
erfasst werden, um die Auftaktbewegung zur Kraftsteigerung zu nutzen. Es muss
ein genaues Timing erzielt werden, wobei die Bodenreaktionskraft ausgenutzt
86
wird. Im Kumite kann das einen Vorteil bedeuten, wenn der Angreifer ganz kurz
seinen Körperschwerpunkt senkt, leicht auf den hinteren verlagert und sofort in
die Vorwärts- und/oder Aufwärtsbewegung wechselt. Die Kraft kann dadurch vergrößert
werden. Für Fußtritte und Faustschläge ist das eine gute Möglichkeit die
Anfangskraft zu erhöhen. Außerdem ist das ein taktisches Moment, denn die angedeutete
Rückwärtsbewegung kann beim Gegner eine falsche Antizipation hervorrufen.
Es entsteht möglicherweise eine Fehleinschätzung und dadurch eine
Fehlhandlung, die zum eigenen Vorteil genutzt werden kann.
3) Das Prinzip der optimalen Tendenz des Beschleunigungsverlaufes beinhaltet „die
Optimierung des Beschleunigungs-Zeit-Verlaufs in Abhängigkeit vom Ziel der
Bewegung“ (Loosch 1999, S.88). Das bedeutet zum Beispiel für einen Faustschlag
die größte Beschleunigung an den Anfang der Bewegung zu setzen, um
die Zeit für den Schlag zu minimieren.
4) Das Prinzip der zeitlichen Koordination von Einzelimpulsen beinhaltet die zeitlich
genaue Abstimmung von Bewegungsabschnitten, um eine optimale Kopplung ihrer
Kraftimpulse zu erreichen. Das wird beispielsweise in obiger Beschreibung der
Funktionsphasen einer Karatetechnik deutlich.
5) Das Prinzip der Gegenwirkung besagt, „dass jede Bewegung eines Körperteils
(u.a. im freien Fall oder Flug) eine Gegenbewegung anderer Körperteile zur Folge
hat“ (Loosch 1999, S.89). Verdreht ein Sportler zum Beispiel den Oberkörper,
wird die gegensinnige Bewegung des Unterkörpers ausgelöst. Schlägt man zum
Beispiel die rechte Faust nach vorne, wird der linke Arm zurückgezogen.
6) Das Prinzip der Impulserhaltung ist besonders bei Drehbewegungen von Bedeutung.
Diese können durch Öffnen und Schließen in ihrer Geschwindigkeit beeinflusst
werden. Werden Körperteile an die Drehachse gebracht, wird die Geschwindigkeit
erhöht. Werden dagegen Körperteile von der Drehachse abgespreizt,
verringert sich die Geschwindigkeit. Führt ein Karateka zum Beispiel einen
gedrehten Rückwärtsfußtritt (Ushiro-geri) durch, ist seine Bewegung dadurch
schneller, indem er die Arme an den Körper zieht. Somit steigt gleichzeitig seine
Schlagkraft, die durch Masse x Beschleunigung (F=m*a) berechnet wird.
Diese Prinzipien stehen im Zusammenhang mit den newtonschen Axiomen. Axiome
sind verallgemeinerte Erfahrungen und logisch unableitbare Grundsätze, die keinen
Beweis bedürfen und unmittelbar einleuchten.
1. Axiom: Trägheitsgesetz: Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder
der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, solange er nicht durch äußere Kräfte
gezwungen wird, seinen Bewegungszustand zu ändern.
2. Axiom: Dynamisches Grundgesetz der Mechanik: Die Änderung des Bewegungszustandes
ist der einwirkenden Kraft proportional und geschieht längs derjenigen
Linie, in der die Kraft wirkt (F=m*a).
3. Axiom: actio = reactio: Die von zwei Körpern aufeinander ausgeübten Wirkungen
(Kräfte oder Momente) sind stets gleich groß und von entgegengesetzter Richtung.
4. Axiom: Superpositionsprinzip der Kräfte: Jede Bewegung (Kraft) ist in von einander
unabhängige Teilbewegungen (Teilkräfte) zerlegbar.
Alle hier genannten Prinzipien finden im modernen Karate-Training Anwendung und
stellen Ausbildungsinhalte der Instruktorenklasse dar.
Jede Bewegung im Shotokan-Karate wurde hiernach strukturiert. Dadurch konnten
wesentliche Erkenntnisse in Bezug auf die Lern- und Trainingsmethoden festgestellt
werden. Die Anwendung der Prinzipien ökonomisiert den Lernprozess und perfektioniert
die Techniken bezüglich der Wirksamkeit und Optimierung ihres Leitbildes.
87
Qualitative Merkmale wurden in den Punkten 3.2 und 3.2.1 benannt und genauer erläutert.
Deshalb wird an dieser Stelle nicht mehr darauf eingegangen.
Das Technikleitbild stellt also eine Synthese zwischen individuellen Eigenschaften
der Athleten und biomechanischen Prinzipien dar. Dazu werden Ist- und Sollwertanalysen
vorgenommen, die bereits beschrieben wurden.
Die Bedeutung der Biomechanik kann in folgender allgemeiner Grafik kurz charakterisiert
werden:
Biomechanische Prinzipien
Konstruktionsprinzipien
des menschlichen
Körpers
4.3.5) Trainingsinhalte
Funktionsprinzipien
des menschlichen
Körpers
aus biologischen Besonderheiten des
menschlichen Bewegungsapparates abgeleitete
biomechanische Prinzipien
Trainingsinhalte sind die karate-spezifischen Elemente Kata, Kihon und Kumite. Sie
lassen sich einzeln trainieren, aber bilden im klassischen Shotokan-Karate eine Einheit.
In der hoch spezialisierten Sport- und Wettkampfform des Shotokan-Karate
werden sie stark getrennt und unterliegen der Transformation in wettkampffähige
Technikvarianten. Dazu wird Kihon zur Technikaneignung benutzt. Kata und Kumite
bilden die spezifischen Wettkampfformen. Die in den Trainingsmethoden beschriebenen
Prinzipien finden dabei ihre charakteristischen Anwendungen.
Besonders muss hier das Prinzip der Bildung der Ganzheitlichkeit von Körper und
Psyche durch das Training einerseits und das Befolgen der Dojokun andererseits
genannt werden (siehe Gedächtnisprotokoll Sensei Jörg Kohl). Das ist ein wesentliches
Ziel des Trainings im SRD. Die Trainingsinhalte liefern dafür eine Basis. Sie
können nur vervollkommnet und darauf kann nur aufgebaut werden, wenn ihre Elemente
als Einheit begriffen und die bisher erläuterten Prinzipien beachtet werden.
Die Geschichte lehrt, dass Kumite aus Katas extrahiert und daraus wiederum die
Grundschule (Kihon) entwickelt wurde.
Aus dem Entwicklungsgrad der karate-spezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten der
Athleten wird der genaue Trainingsinhalt, innerhalb der Trainingsplanung, für Makro-
und Mikrozyklen erstellt. Er ergibt sich aus allen bisher benannten Fakten und Erläuterungen.
Um das alles tatsächlich umsetzen zu können, müssen die Trainer diese
speziellen Kompetenzen aufweisen, die sich teilweise im Trainerwissen widerspiegeln.
88
bewegungskreterische
Prinzipien zielgerichteter
sportlicher Bewegungen
auf mechanische
Gesetzmäßigkeiten
beruhend
4.3.6) Trainerwissen
Das Wissen der Interviewpartner speist sich aus ihren gesammelten Erfahrungen,
dem Training bei fortgeschritteneren Meistern, aus dem Dialog mit anderen Trainern,
aus Fachliteratur und Fachvideos, aus Eigenengagement, Selbstreflexion und aus
den durchlaufenen Trainerausbildungen.
Es stellt sich heraus, dass das Fachwissen der Interviewpartner unterschiedlich ausgeprägt
ist. Es lässt sich in die Bereiche Wettkampfsport und klassisches Karate-Do
unterteilen. Während die Trainer des DKV eher im ersteren Bereich
fortgeschritten sind, liegt die Hauptgewichtung der Ausbildung der
Trainer des SRD im zweitgenannten Bereich. Die Trainer des SRD
betonten den großen Nutzen der ca. dreijährigen Instruktorenausbildung,
die Sensei L. B. Sàfàr gab (siehe Abbildung rechts).
Die durch die Universität von Long Island wissenschaftlich überprüfte
und verbesserte Instruktorenausbildung hat folgende theoretische
und praktische Inhalte:
Themen für die theoretischen Arbeiten
Nr. Thema Bezug Einheiten
1 Was ist Karate-Do? K-G 1
2 Systematik der Karatetechniken K-T 1
3 Der Unterschied zwischen Sport und Karate-Do K-G 1
4 Der Wert des Karate für die körperliche Entwicklung P-G 1
5 Körperteile, die im Karate-Do benutzt werden K-T 1
6 Karate und Kinesologie K-O 1
7 Stellungen im Karate-Do K-T 2
8 Krafterzeugung durch Körperrotation im Karate K-O 1
9 Krafterzeugung durch Körperverschiebung im Karate K-O 1
10 Krafterzeugung durch Körpervibration im Karate K-O 1
11 Die Gegenkraft in Karatetechniken K-O 1
12 Stoßtechniken (Zuki-waza) K-T 2
13 Körperexpansion und -kontraktion im Karate K-O 1
14 Fußtechniken (Keri-waza) K-T 2
15 Die Geschichte des Karate-Do P-H 1
16 Historische Unterschiede zwischen Sport und Kampfkunst P-H 1
17 Die wechselseitige Beeinflussung von orientalischer Kultur
und Kampkünsten
P-H 1
18 Schlagtechniken (Uchi-waza) K-T 2
19 Kumite K-T 2
20 Blocktechniken (Uke-waza) K-T 2
21 Motivation und Wege zu deren Verstärkung P-P 1
22 Karate und Persönlichkeit P-P 1
23 Karatetraining und geistige Konzentration P-P 1
24 Karatetraining und Umgebung P-P 1
25 Der psychologische Zustand und seine Auswirkungen auf
die Technik
P-P 1
26 Psychologischer Zustand und Reflexhandlungen P-P 1
89
27 Der ideale psychologische Zustand für Schüler während des
Gruppenunterrichts
P-P 1
28 Techniken zur Gleichgewichtsbrechung K-T 2
29 Gelenk- und Muskelbewegungen in wichtigen Fußtechniken K-O 1
30 Gelenk- und Muskelbewegungen in wichtigen Handtechniken
K-O 1
31 Stellungen und die Prinzipien der Dynamik K-O 1
32 Die Erklärung der Körperverschiebung aus den Prinzipien
der Dynamik
K-O 1
33 Karate und Selbstverteidigung K-T 1
34 Gesundheitsfürsorge für den Karateka H-S 1
35 Die Verhinderung und Behandlung von Verletzungen H-S 1
36 Kata K-T 2
37 Der Unterschied zwischen technikorientiertem und körper- P-G 1
orientiertem Training
38 Die Vorbereitung von Trainingsplänen K-T 1
39 Das Schiedsrichten bei Karatewettkämpfen K-T 1
40 Prüfungen im Karate K-T 1
41 Eigenes Thema 3
Erläuterungen:
K-G Einführung in das Karate
K-T Karatetechniken
K-O Kinesologie (=Lehre von der Muskelbewegung)
P-G Einführung in die Körpererziehung
P-H Geschichte der Körpererziehung
P-P Psychologie der Körpererziehung
H-S Gesundheitsfürsorge
Praktische Themen
Nr. Grundlagen Kata Kumite
1. Einführung Heian 1 – 5 Sanbon- & Gohon-Kumite
2. Körperteile, die im Karate
benutzt werden
Heian 1 u. 2 Rückblick
3. Stellungen im Karate Heian 3 u. 4 Ippon-Kumite
4. Krafterzeugung durch Körperrotation
im Karate
Rückblick & Chinte Rückblick
5. Krafterzeugung durch Körperverschiebung
im Karate
Rückblick Rückblick
6. Krafterzeugung durch Kör- Heian 5 u. Tekki 1 Ippon-Kumite (Handtechpervibration
im Karate
niken)
7. Körperexpansion- u. –kontraktion
Rückblick & Tekki 2 Rückblick
8. Stoßtechniken (Zuki-waza) Bassai Dai & Hangetsu Ippon-Kumite (Fußtechniken)
10. Fußtechniken (Keri-waza) Kanku-Dai & Jion Jiyu-Ippon-Kumite
11. Blocktechniken (Uke-waza) Rückblick Rückblick
12. Techniken zur Gleichge- Gankaku & Jitte Jiyu-Ippon-Kumite (Handwichtsbrechungtechniken)
13. Wurftechniken Rückblick Rückblick
14. Ausweichtechniken Empi & Sochin Jiyu-Ippon-Kumite (Fußtechniken)
90
15. Kombinationstechniken (offensiv)
Rückblick Rückblick
16. Kombinationstechniken (defensiv)
Unsu & Chinte Jiyu-Kumite
17. Selbstverteidigung im Stehen
Rückblick Rückblick
18. Selbstverteidigung im Sit- Bassai & Kanku-Sho Jiyu-Kumite (Handtechnizen
(am Boden)
ken)
19. Selbstverteidigung im Sitzen
(Stuhl)
Rückblick Rückblick
20. Selbstverteidigung gegen Nijushiho Jiyu-Kumite (Fußtechni-
bewaffnete Angreifer
ken)
21. Selbstverteidigung gegen
mehrere Angreifer
Heian 1-5 & Chinte Rückblick
22. Selbstverteidigung in be- Rückblick Jiyu-Kumite (Gleichgesonderen
Situationen
wichtsbrechung)
23. Kihon-Unterricht Bassai-Sho Jiyu-Kumite (offensiv)
24. Kata-Unterricht Rückblick Rückblick
25. Kumite-Unterricht Rückblick Jiyu-Kumite (defensiv)
26. Leitung von Unterrichtsstunden,
Weiterbildungen u.
Lehrgängen
27. Organisation u. Durchführung
von Vorführungen
28. Schiedsrichten (Kata-
Wettbewerbe)
29. Schiedsrichten (Kumite-
Wettbewerbe)
Rückblick Rückblick
Rückblick Tekki 1-3 Jiyu-Kumite Taktik & Strategie
Rückblick Shorin-Kata Rückblick
Rückblick Shorei-Kata Jiyu-Kumite (Psychologie)
Die Themenschwerpunkte wurden von Arnfried Krause zur Verfügung gestellt. Sie
zeigen die ausführliche Ausbildung in allen Shotokan-Karate-spezifischen Inhalten.
Zu den theoretischen Themen müssen Arbeiten im Umfang von je ca. 500 Worten
geschrieben werden. Prüfungen und von den Teilnehmern zu gebende Lehrstunden
sind hierbei mit inbegriffen. Zur Instruktorenausbildung werden Schwarzgurtträger ab
2. Dan zugelassen.
Die Ausbildung der Trainer des DKV besteht aus der Gliederung in Übungsleiter- und
Trainerebenen. Grundlage bildet der Übungsleiter Breitensport, worauf die Fachübungsleiter-C-Lizenzen
mit weiteren Spezifizierungen folgen, die in folgender Grafik
veranschaulicht werden:
Breitensport
Fachübungsleiter-B
Karate- Lehrer/in
Fachübungsleiter/in-C
Fachübungsleiter-B
Frauen Selbstbehauptung
/ Selbstverteidigung
91
Fachübungsleiter-B
Gesundheitstraining
Die Ausbildung zu den Spezialisierungen als Fachübungsleiter-B ist auch mit der
Leistungssportspezialisierung des/der Trainer/in-C möglich. Die Trainer/in-C-Lizenz
ist Voraussetzung für den Erwerb der Trainer/in-B-Liznez, mit der Spezialisierung in
den Bereichen Kata und Kumite. Daran kann die Ausbildung zum Trainer-A erfolgen,
ebenfalls mit den Spezialisierungen in Kata und Kumite. Um Bundestrainer zu werden
ist die A-Lizenzierung Grundvoraussetzung. Die höchste Stufe ist ein erfolgreich
abgeschlossenes sportwissenschaftliches Universitätsstudium mit der Spezialisierung
im Bereich Karate.
Folgende Themen sind Inhalte der Fachübungsleiter/in-C-Lizenzausbildung:
I. Organisation / Recht: 13 UE
• Struktur der Lizenzausbildung im DSB / DKV (2 UE)
• Struktur und Aufgaben der Sportorganisationen (2 UE)
• Sport und Umwelt (2 UE)
• Rechtsfragen I: Vereinsrecht, Aufsichts-/Haftpflicht (3 UE)
• Rechtsfragen II: Notwehrrecht (2 UE)
• Planung von Karateveranstaltungen (2 UE)
II. Sportbiologie: 18 UE
• Anatomische Grundlagen (3 UE)
• Physiologische Grundlagen (3 UE)
• Anpassungsvorgänge des Organismus (2 UE)
• Sportverletzungen und Sportschäden (3 UE)
• Körperliche Entwicklung, Belastungs- u. Leistungsfähigkeit (2 UE)
• Aufwärmtraining (2 UE)
• Funktionelle Dehnung und Kräftigung (3 UE)
III. Sportpädagogik / Sportpsychologie: 28 UE
• Ethische Ansprüche im Karate (2 UE)
• Gruppenpädagogik und Führungsstile (4 UE)
• Allgemeine und karatespezifische Vermittlungsmethodik (8 UE)
• Lehren und Lernen im Karate (8 UE)
• Entwicklungspsychologische Grundlagen (6 UE)
IV. Allgemeine Trainingslehre: 14 UE
• Trainingsprinzipien (4 UE)
• Konditionelle und koordinative Fähigkeiten am Beispiel ausgewählter Praxisinhalte
(10 UE)
V. Spezifika des Karate-Do: 17 UE
• Geschichte und Philosophie des Karate (3 UE)
• Kriterien des Karate (4 UE)
• Spektren der Karate-Grundtechniken (6 UE)
• Spezifika verschiedener Stilrichtungen (4 UE)
VI. Breitensport im Karate: 30 UE
• Aufbau und Inhalte eines Anfängerkurses (6 UE)
• Kihon im Breitensport (4 UE)
• Kata im Breitensport (6 UE)
• Kumite im Breitensport (6 UE)
• Selbstverteidigungen (2 UE)
• Karate mit Kindern (2 UE)
• Karate mit Älteren (2 UE)
• Trainingsplanungen im Breitensport (4 UE)
92
Darauf aufbauend ergeben sich nachstehende Inhalte der Trainer/in-C-Ausbildung:
I. Sportpolitik / Organisation: 13 UE
• Struktur der Lizenzausbildung im DSB / DKV (2 UE)
• Struktur und Aufgaben der Sportorganisationen (2 UE)
• Sport und Umwelt (2 UE)
• Rechtsfragen I: Vereinsrecht, Aufsichts-/Haftpflicht (3 UE)
• Rechtsfragen II: Notwehrrecht (2 UE)
• Planung von Karateveranstaltungen (2 UE)
II. Sportbiologie: 18 UE
• Anatomische Grundlagen (3 UE)
• Physiologische Grundlagen (3 UE)
• Anpassungsvorgänge des Organismus (2 UE)
• Sportverletzungen und Sportschäden (3 UE)
• Körperliche Entwicklung, Belastungs- u. Leistungsfähigkeit (2 UE)
• Aufwärmtraining (2 UE)
• Funktionelle Dehnung und Kräftigung (3 UE)
III. Sportpädagogik / Sportpsychologie: 28 UE
• Ethische Ansprüche im Karate (2 UE)
• Gruppenpädagogik und Führungsstile (4 UE)
• Allgemeine und karatespezifische Vermittlungsmethodik (8 UE)
• Lehren und Lernen im Karate (8 UE)
• Entwicklungspsychologische Grundlagen (6 UE)
IV. Allgemeine Trainingslehre: 14 UE
• Trainingsprinzipien (4 UE)
• Konditionelle und koordinative Fähigkeiten am Beispiel ausgewählter Praxisinhalte
(10 UE)
V. Spezifika des Karate-Do: 17 UE
• Geschichte und Philosophie des Karate (3 UE)
• Kriterien des Karate (4 UE)
• Spektrum der Karate-Grundtechniken (6 UE)
• Spezifika verschiedener Stilrichtungen (4 UE)
VI. Wettkampsport im Karate: 30 UE
• Wettkampfreglement des DKV (6 UE)
• Kata im Grundlagentraining (6 UE)
• Kumite im Grundlagentraining (6 UE)
• Wettkampf-Karate mit Kindern und Jugendlichen (6 UE)
• Trainingsplanung im Leistungssport (6 UE)
Die Trainer-B-Ausbildung schließt mit folgenden Inhalten an:
I. Sportpolitik / Organisation: 2 UE
• Leistungssportförderung auf Landesebene (2 UE)
II. Sportbiologie: 14 UE
• Sportmedizinische Betreuung (4 UE)
• Physiotherapeutische Maßnahmen (4 UE)
• Wettkampfgerechte Ernährung (2 UE)
• Ethische und medizinische Fragen des Doping (2 UE)
• Verletzungen im Karate-Leistungssport (2 UE)
93
III. Sportpädagogik / Sportpsychologie: 12 UE
• Rolle und Funktion des/der Trainer/in (2 UE)
• Maßnahmen zur Regulation psychischer Beanspruchung (4 UE)
• Entspannungsverfahren im Wettkampf-Karate (4 UE)
• Pädagogische und psychologische Betreuung im Kinder-/Jugendtraining
(2 UE)
IV. Allgemeine Trainingslehre: 14 UE
• Training der motorischen Grundeigenschaften (6 UE)
• Trainingsplanung im Leistungssport (4 UE)
• Biomechanische Grundlagen im Karate (4 UE)
V. Leistungsport im Karate: 18 UE
• Kata- und Kumite-Wettkampftaktik (3 UE)
• Kumite-Methodik im Aufbautraining (6 UE)
• Kata-Methodik im Aufbautraining (6 UE)
• Talentsichtung und -auswahl (3 UE)
Die Trainer-A-Ausbildung beinhaltet folgende Themen und Schwerpunkte:
I. Sportpolitik / Organisation: 2 UE
• Leistungssportförderung auf Bundesebene (2 UE)
II. Sportbiologie: 12 UE
• Physiologische Parameter der Leistungssteuerung (4 UE)
• Funktionell-anatomische Bewegungsanalyse (4 UE)
• Sportschadens- und -verletzungsprophylaxe (4 UE)
III. Sportpädagogik / Sportpsychologie: 14 UE
• Führungsverhalten und -methoden (4 UE)
• Stressmanagement (5 UE)
• Mentales Training (5 UE)
IV. Allgemeine Trainingslehre: 32 UE
• Konditionelle Fähigkeiten im Leistungstraining (6 UE)
• Koordinative Fähigkeiten im Leistungstraining (6 UE)
• Biomechanische Bewegungsanalyse (6 UE)
• Allgemeine und karatespezifische Leistungsdiagnostik (4 UE)
• Periodisierung und Trainingsplanung (8 UE)
• Wettkampfsteuerung (2 UE)
V. Leistungsport im Karate: 30 UE
• Kata-Methodik im Leistungstraining (6 UE)
• Kumite-Methodik im Leistungstraining (6 UE)
• Erstellung von Rahmentrainingsplänen Kata (4 UE)
• Erstellung von Rahmentrainingsplänen Kumite (4 UE)
• Taktik und Strategie im Leistungs-Karate (6 UE)
• Talentförderung (4 UE)
UE = Unterrichtseinheit, eine UE=45 Minuten
Die Ausbildungsinhalte der verschiedenen Lizenzebenen wurden dem Handbuch des
Deutschen Karate Verbandes e.V. 2002, 7. Auflage, vgl. S.233-257 entnommen.
Auf die spezifischen Inhalte der Fachübungsleiter-B-Lizenzen wird nicht näher eingegangen.
Wichtig festzuhalten ist, dass diese weiteren Fokussierungen und Spezialisierungen
auf der Ebene der Versportlichung starke Veränderungen im Trainingssystem
des Shotokan-Karate darstellen.
Im klassisch betriebenen Karate-Do sind diese Elemente integriert und werden als
Einheit vermittelt. Die Ausdifferenzierung der Elemente führt zur Herausbildung
94
hochspezialisierter Experten in den spezifischen Bereichen, wodurch ein Verlust der
Ganzheit und somit des ursprünglichen Inhalts des Shotokan-Karates entsteht.
Aus Erfahrungen des Autors, der verschiedene Ausbildungen des DKV durchlaufen
hat, muss festgestellt werden, dass die oben genannten Inhalte nur Richtlinien darstellen,
die in diesem Umfang, nicht realisiert wurden. Diese Erfahrung wird von anderen
Trainern und Übungsleitern des DKV bestätigt. Daraus ergibt sich die Kritik,
dass die Ausbildung innerhalb des DKV eher quantitativ ist, um womöglich eine große
Anzahl von Übungsleitern und Trainern aufzuweisen. Die Sicherung und Umsetzung
einer qualitativ hochwertigen Ausbildung war nicht gegeben. Dieser Kritikpunkt
ist eine theoretische Annahme, die einer genaueren Untersuchung bedarf. Es könnten
auch Einzelerfahrungen sein, die nicht der Regel entsprechen. Für eine Annahme
dieser Theorie spricht, dass die vom Autor besuchten Ausbildungen auch von
vielen anderen Übungsleitern und Trainern besucht wurden. Durch Berichte anderer
Trainer über spezielle Ausbildungen kann diese Aussage gefestigt werden. So wurde
zum Beispiel die Trainer-B-Ausbildung, des Jahres 2003, auf drei Sonnabende reduziert,
wobei nur wenige der oben genannten Rahmeninhalte gelehrt bzw. angeschnitten
wurden. Das bekräftigen auch die Aussagen des A-Trainers J. Waterstradt, der
nur wenig wissenschaftliche Erläuterungen, vor allem auf die Spezifik des Shotokan-
Karates bezogen, nennen konnte und die Ausbildungsinhalte nicht in das Training
übertrug (siehe 4.2.2).
In wie weit die Ausbildungsinhalte der Instruktorenklasse des SRD umgesetzt werden
kann an dieser Stelle nicht festgestellt werden. Die Erfahrungen des Autors, der
am Trainingsprozess und bei einem speziellen Instruktortraining teilgenommen hat
sowie die Interviewanalyse sprechen jedoch für eine nahezu vollkommene Umsetzung
der genannten Inhalte.
Das Trainerwissen ist ein wesentlicher Anhaltspunkt, der die Entwicklung im Trainingssystem
auf praktischer Ebene teilweise widerspiegelt. Es kann partiell festgestellt
werden, dass Theorie und Praxis, innerhalb der vorgegebenen Ausbildungsmuster,
nicht in diesem Umfang realisiert werden. Diese Aussage betrifft hauptsächlich
den hoch spezialisierten Bereich der Lizenzausbildung des DKV.
Der Stellenwert der Ausbildung wurde von den Trainern des DKV eher niedrig eingeschätzt.
Die praktischen Erfahrungen und die Orientierung an den Konzeptionen der
Bundestrainer ist eine bedeutendere Quelle des Wissenserwerbs.
Der Stellenwert der Ausbildung wurde von den Trainern des SRD als besonders
hoch charakterisiert. Ebenso wichtig sind die praktischen Erfahrungen und das Training
mit und unter erfahreneren Karate-Meistern sowie der Dialog mit ihnen.
Das Trainerwissen stellt eine wesentliche und grundlegende Komponente in der
Entwicklung des Trainingssystems dar.
Zusammenfassend lasen sich aus allen Ableitungen, Vergleichen und Schilderungen
grundlegende und allgemeine Hauptkategorien und spezifische Unterkategorien gemittelt
darstellen. Somit ergibt sich folgende Übersicht (siehe nächste Seite):
95
4.3.7) Kategoriendarstellung
In folgender Tabelle werden die festgestellten allgemeinen Kategorien zusammenfassend
dargestellt:
Hauptkatego-
rien
Unterkategorien
Trainingsziele
- Wettkampf
- Leistungssport
- Motive
- Körperbildung
- Geistesbildung
- Charakterbildung
- Kompetenzentwicklung
4.3.8) Prinzipienerstellung
Trainingsplanung
- Trainingsvorbereitung
- Rahmenkonzeption
- Periodisierung
- Zyklisierung
- Makrozyklus
- Mikrozyklus
Trainingsmethoden
- Allgemeine
Prinzipien
- Informationsgestaltung
- methodische
Gestaltung
- Methoden der
Kondition &
Koordination
- Trainingsmittel
- Techniktraining
- Technikaneignungstraining
- Stabilisierungstraining
- Anwendungstraining
- Variationstraining
- PsychologischesTraining
- Fehlerkorrektur
- Didaktische
Prinzipien
96
Technikleitbild
- allgemeine
Prinzipien
- Funktionsphasen
- Qualitative
Bewegungsmerkmale
- Quantitative
Bewegungsmerkmale
- Bewegungsanalyse
- Sollwert
- Istwert
Trainingsinhalte
- Strukturierung
- Systematisierung
- Spezialisierung
- Ganzheitlichkeit
- Zielabhängigkeit
Trainerwissen
- sportartspezifische
Literatur
- sportartspezifische
Videos
- eigene Erfahrungen
- andere
Trainer,
Lehrer,
Meister
- Ausbildung
- Sportler,
Athleten
Aus den Erläuterungen und Analysen der Interviews, im Zusammenhang mit sportwissenschaftlichen
Erkenntnissen und den geschichtlich, traditionellen, philosophischen
und klassischen Werten lassen sich allgemeine Prinzipien ableiten. Sie stellen
entscheidende Grundsätze innerhalb des Shotokan-Karate-Trainings dar und kennzeichnen
eine Überschneidung von theoretischen, sportwissenschaftlichen Erkenntnissen
mit praktischen, sportlichen Anwendungen. Man kann sie als „Praxisregeln“
bezeichnen (vgl. Roth (Hrsg.) 1996, S.85).
1. Prinzip der Trainingsplanung: Alle Trainer erstellen nach verschiedenen Mustern
Trainingspläne. Im Vergleich zu den Anfängen des Shotokan-Karate-Trainings
ist das eine wesentliche Veränderung innerhalb des Trainingssystems. Hierzu gilt die
Aussage, dass nur ein planmäßig gesteuertes und kontinuierlich durchgeführtes
Training Anpassungen und gewünschte Effekte erzielt.
2. Prinzip der Komplexität (in Anlehnung an Roth (Hrsg.) 1996, S.86): Das Training
stellt sich nicht mehr als die Ausführung der Kata dar, wie es bis zum 20. Jahrhundert
üblich war, sondern als interdisziplinäres Tätigkeitsfeld sowohl für Trainer als
auch für Athleten. Die bereits durchgeführte Fähigkeits- und Fertigkeitsanalyse ist
hierzu nur ein Beispiel. Trainer und Athleten setzen sich mit psychologischen, soziologischen,
pädagogischen, physiologischen, physikalischen, biomechanischen, philosophischen,
traditionellen, allgemein sportwissenschaftlichen, methodischen, didaktischen,
motivationalen, biologischen, entwicklungspsychologischen u.a. Elementen
im Trainingssystem des Shotokan-Karate auseinander. Aber nicht nur dies macht
das Prinzip der Komplexität aus, sondern auch die Bewegungs- und Kombinationsvielfalt
der Shotokan-Karate-Techniken. Die letztlich angestrebte automatisierte und
variationsfähige Anwendung der Techniken unter realen Bedingungen stellt eine hohe
Komplexität des Trainings und der psycho-physischen Verarbeitungsebene dar.
3. Prinzip der Funktionalität (in Anlehnung an Roth (Hrsg.) 1996, S.87): Das Training
und alle bisher beschriebenen Elemente und Prinzipien unterliegen dem Funktionsprinzip.
Die Spezialisierung im sportlich betriebenen Karate und auch das erweiterte
klassisch betriebene Shotokan-Karate haben das deutlich herausgestellt. Im
Wettkampf sind nur Techniken erfolgreich, die nach Wettkampfanalysen und wettkampfspezifischem
Training unter Wettkampfbedingungen Punkte in gestellten Situationen
erzielen. Dabei stellt sich die Ausdifferenzierung in den Bereichen Kumite und
Kata besonders deutlich heraus. Es werden Techniken so verändert, dass sie im
Wettkampf einsetzbar sind. Abwehrbewegungen stehen im Hintergrund und Angriffstechniken
werden hoch funktional und spezialisiert trainiert. Die alten philosophischen
und traditionellen Ansichten sind nach westlichem Standart eher mythisch und
esoterisch. Deshalb sind sie im modernen Sportkarate vollkommen überflüssig (vgl.
R. Jakhel 2002). Es kristallisiert sich das Prinzip der Funktionalität von Techniken im
Wettkampf und somit auch die Funktionalität des Trainingsprozesses heraus. Im
klassisch betrieben Shotokan-Karate ist die Funktionalität in der Weiterentwicklung
der Systematisierung innerhalb des Trainings sichtbar. Es werden hierzu Analysen
vorgenommen und wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, wie zum Beispiel
von der Universität Long Island, um Wege zu finden Karate im klassischen Sinne
leichter und schneller „beizubringen“ bzw. zu unterrichten. Es soll dabei keinen
Verlust der philosophischen und traditionellen Werte, Wurzeln und Ursprünge geben.
Die Funktionalität von Karate, Mensch und Umwelt bildet schließlich das ganzheitliche
Ziel, wie es auch im SRD formuliert wird. Funktionalität wird durch Analysen,
Technikleitbilder, Fehlerkorrekturen, Technikoptimierungen, Anwendung verschiedener
Übungsformen und Methodiken und durch Anpassung an Entwicklungsprozesse
und moderne Erkenntnisse gewährleistet.
4. Prinzip der Spezialisierung: Sowohl im sportlich betriebenen Karate als auch im
klassisch betriebenen Karate findet das Prinzip der Spezialisierung Anwendung. Die
Spezialisierung im Bereich des sportlich betriebenen Karate wurde schon mehrmals
beschrieben. Durch die ständigen Analysen, besonders von Wettkämpfen, werden
Veränderungen im Trainingsprozess vorgenommen, um die Anwendung spezieller
Techniken bzw. von Spezialtechniken zu optimieren und zu perfektionieren. Die Spezialisierung
von Trainingsverfahren, besonders im Bereich der Vermittlung von Techniken,
stellt eine Charakteristik des klassisch betriebenen Shotokan-Karates dar. Es
kann festgestellt werden, dass Spezialisierung einerseits in der Umwandlung von
Techniken für den Wettkampfgebrauch und den damit verbundenen Trainingsverfahren
stattfindet und andererseits in der Synthese zwischen klassischen Trainingsmethoden
und –inhalten mit modernen sportwissenschaftlichen Erkenntnissen liegt.
Letzteres beschreibt eine Spezialisierung des Trainingssystems durch Systematisierung
relevanter Inhalte.
97
5. Prinzip der Qualität: Hier stellen sich verschiedene Bedeutungen des Begriffes
Qualität in Bezug auf Shotokan-Karate dar. Zum einen bedeutet es die optimale Ausführung
von Techniken mit dem sportlichen Ziel einen Punkt im Wettkampf zu landen
oder mit dem realistischen Ziel Selbstverteidigungssituationen sicher zu bewältigen.
Das bedeutet die Ausführung einer qualitativ hochwertigen Technik unter „Qualitätsdruck“
(vgl. Roth (Hrsg.) 1996, S.98). Zum anderen beschreibt Qualität das Merkmal
der Ausbildung von Athleten und Trainern und somit des Trainingsprozesses und der
damit verbundenen Trainingsvorbereitungen. Es müssen Qualitätsmerkmale für das
sportlich, wettkampfbetriebene und das klassisch betriebene Karate festgestellt werden.
Wettkampftechniken wurden aus den spezifischen klassischen Techniken entwickelt.
Beide Kategorienklassen folgen den gleichen biomechanischen und motorischen
Prinzipien, unterscheiden sich aber in ihrer Umsetzung und Anwendung.
6. Prinzip der Quantität: Dieses Prinzip beschreibt auf einer Ebene die Entwicklung
des Sport- und Wettkampfkarate zum Massensport, wobei der Verlust von korrekter
Form und Qualität der Technik hingenommen wird. Das stellten auch R. Masella und
J. Waterstradt im Interview deutlich heraus. Der DKV deklariert für das Jahr 2004 ca.
110000 Mitglieder. Da das Bestreben des Sport- und Wettkampfkarate die Teilnahme
an den olympischen Spielen ist, müssen viele Menschen hinter der Organisation stehen.
Deshalb wird ein Qualitätsverlust in Kauf genommen und das klassische Technikprinzip
rationalisiert, umstrukturiert und ökonomisiert (vgl. Jakhel 2002). Die Qualität
des kämpferischen Inhalts der Kata weicht einer Angleichung der Kata an Ausführungsmöglichkeiten
der Athleten, dem Ästhetikprinzip und wechselt zum Prinzip der
Quantität. Die Fähigkeit viele Shotokan-Karate-Techniken variabel einsetzen zu können
weicht der Entwicklung von 2-3 Spezialtechniken unter standardisierten Bedingungen.
Das sind vor allem die Bedingungen des Wettkampfes. Der Wettkampf wird
auf wenige Techniken reduziert, wodurch es eine Reduktion von Situationen gibt.
Außerdem werden die Spezialtechniken standardmäßig unter Wettkampfanalysen
trainiert. Die Qualität der Fähigkeit der Anwendung von Techniken unter realen Bedingungen
weicht der Quantität von Technikausführungen im Wettkampf. Die Wettkampftechniken
sind qualitativ hochwertig, jedoch nur unter den Merkmalen der
Techniken für den Wettkampf. Die Ausdifferenzierung innerhalb des Systems des
Shotokan-Karate wird an diesem Prinzip gut verdeutlicht.
7. Prinzip der Versportlichung: Aus den oben beschriebenen Kategorien und Prinzipien
kann das Prinzip der Versportlichung im Trainingssystem des Shotokan-
Karate abgeleitet werden. Sport bedeutet so viel wie Zeitvertreib und Belustigung. Da
der Leistungssport eine wichtige Komponente ist, vor allem um Karate olympisch zu
machen, muss er trainiert werden. Doch von den 110000 Mitgliedern im DKV betreibt
der geringste Prozentsatz Leistungssport. Die breite Masse der im DKV organisierten
Mitglieder übt Karate als Freizeit- und Breitensport, wovon viele selbstverständlich
auch das klassisches Karate-Do trainieren. Aber die Methoden richten sich nach den
wenigen Leistungssportlern. In den Aussagen der Trainer des DKV und aus der gesichteten
wissenschaftlichen Literatur verschiedener Sportkaratetrainer wird deutlich
herausgestellt, dass sie sich in ihren Trainingsvorbereitungen und praktischen Umsetzungen
an den Richtlinien der Bundestrainer orientieren. Die Bundestrainer üben
nach den sportlichen Aspekten und Analysen, besonders im Bereich der Techniken
im Kumite und der Ästhetik der Kata. Die klassischen Prinzipien werden wegrationalisiert,
wie bereits festgestellt wurde. Hinzu kommen die Wettkampfrichtlinien nach
den Prinzipien des DSB und anderen sportlichen Einrichtungen, um „salonfähig“ für
die olympischen Spiele zu werden. Es entstehen neue sportliche Regeln, die als
98
Wertemaßstäbe für den Wettkampf benutzt werden können. Die Prinzipien des Leistungsstrebens,
des „Höher, Schneller, Weiter“, des Siegstrebens und der „Ruhmsuche“
rücken in den Vordergrund und werden Hauptmotive im Training. Die ursprünglichen
Gedanken der Charaktervervollkommnung, der Überwindung seiner Selbst
und der oben beschriebenen klassischen, traditionellen und philosophischen Werte
werden abgelehnt und dem westlichen Standardverständnis angepasst. Das Prinzip
der Versportlichung von Shotokan-Karate bedeutet einen Verlust klassischer Inhalte
und eine Transformation spezifischer Techniken in wettkampffähige Technikvarianten
mit anderen sportiven Philosophien. Das stellt eine starke Veränderung innerhalb
des Trainingssystems dar. Der Begründer des modernen Karate, Funakoshi Gichin,
der es als Friedensbotschaft nach Japan brachte, betonte immer folgendes:
”Das höchste Ziel im Karate-Do ist nicht der Sieg oder
die Niederlage, sondern die Perfektion des
menschlichen Charakters!”
(Kalligrafie und Gedicht von Funakoshi Gichin; Quelle: Schlatt 1999, S.213)
8. Prinzip der Modernisierung: Die Versportlichung bewirkt gleichzeitig eine Modernisierung
im Trainingsprozess und in der Systematik des klassischen Shotokan-
Karate. Aber Modernisierung findet auch im Trainingsprozess des klassischen Shotokan-Karate
selbst statt. Durch die Synthese von wissenschaftlichen Erkenntnissen
und traditionellen Mustern wird die Qualität des Trainings in diesem System verbessert.
Dafür sind die oben genannten Ausbildungsthemen der Instruktorenklasse ein
hervorragendes Beispiel. Das stellt einen wesentlichen Veränderungsprozess im
Trainingssystem des Shotokan-Karate dar.
9. Prinzip der Individualisierung (in Anlehnung an Roth (Hrsg.) 1996, S.89): Im
Sport und in der Gesellschaft ist die Individualisierung ein wesentliches Merkmal des
sozialen Wandels. Im Shotokan-Karate muss mit Partnern geübt werden, aber jeder
nach seinen eigenen psychischen und physischen Grenzen. Es wird individuell trainiert,
besonders im Wettkampfkarate. Wie bereits festgestellt wurde, entwickeln
Wettkampfsportler Techniken nach ihren individuellen Gegebenheiten weiter. Im
klassisch betriebenen Karate formt sich nach langen Jahren des Trainings ein individueller
Stil. Individualisierung ist ein wesentlicher Punkt im Sport. Aus der Geschichte
des Shotokan-Karate ist ableitbar, dass schon immer individuell, von Lehrer zu
Schüler, Karate weitergegeben und gelehrt wurde. Diese Entwicklung stoppt teilweise
beim sportlichen Massentraining (Bsp.: Großlehrgänge mit vielen hundert Teilnehmern
unter berühmten Sportkaratemeistern, die beachtliche Erfolge bei internati-
99
onalen Meisterschaften erlangt haben). Dort kann nicht auf individuelle Bedürfnisse
und Gegebenheiten eingegangen werden. Aber jeder dieser Sportler übt individuell
weiter. Möglicherweise stellt das ein Merkmal des Qualitätsverlustes dar.
10. Prinzip der Ganzheitlichkeit: Hierbei wird die Ganzheit von Mensch und Umwelt
durch Shotokan-Karate-Training bestimmt. Durch körperliches Training, mit dem Bewusstsein
der charakterlichen Werte und Inhalte des Karate-Do, aber auch durch das
Umsetzten der wettkampfspezifischen Werte und Regeln, können soziale Fähigkeiten
verbessert, Selbstbewusstsein gesteigert und der Umgang mit der Umwelt erleichtert
werden. Die Einheit der Elemente Kata, Kumite und Kihon stehen im Zusammenhang
mit der Einheit von Karate und Leben. Das ist das Prinzip im klassisch
betriebenen Karate-Do. So wie die genannten Einzelelemente zu einem Ganzen zusammengefügt
werden, so wird auch die Persönlichkeit des Übenden durch Karatetraining
für sich selbst, die Gesellschaft und die Umwelt im Allgemein entwickelt und
zusammengefügt.
11. Prinzip der Kontinuität: „Wahres Karate ist wie heißes Wasser, das abkühlt,
wenn du es nicht ständig wärmst“ (Schlatt 1999, S.180). Nur kontinuierliches, ständiges
und dauerhaftes Training bringt Erfolge und Fortschritte im Sport. Das gilt selbstverständlich
auch für das Shotokan-Karate. So wie Wasser das schnell abkühlt, vergisst
der Athlet Techniken, Abfolgen oder sinkt im Fähigkeitsniveau, wie zum Beispiel
im Kumite, wenn er nicht beständig trainiert und sich dessen erinnert, was er gelernt
hat. Trainingserfolge können nur erreicht werden, wenn planmäßig und regelmäßig
geübt wird.
12. Prinzip der Einsicht (in Anlehnung an Roth (Hrsg.) 1996, S.91): Im Shotokan-
Karate spielt die Einsicht eine wesentliche Rolle. Einsichten müssen mit Fehlerkorrekturen
bei Athleten hervorgerufen werden. Der Athlet muss einsichtig üben und so
seine Fehler erkennen. Der Trainer muss einsichtig sein, wenn er Fehler macht oder
ein Athlet nicht so gut ist, wie er geglaubt hat. Es muss Einsichten bezüglich des
Trainingssystems und der Trainingsmethoden geben, um eine positive Entwicklung
nicht zu blockieren. Einsichten entstehen durch Übertreibungen und das Begehen
von Fehlern. Selbst wenn es oft zu spät ist, um einen begangenen Fehler rückgängig
zu machen, zum Beispiel wenn die Gesundheit angegriffen ist und Wirbelsäulenschäden
die Folge sind, können durch Einsichten diese Fehler bei nachfolgenden
Generationen vermieden werden. Einsichten und das Eingestehen der Richtigkeit
oder der Falschheit des Übens bedeuten zu seinen Schwächen und Fehlern zu stehen
und diese öffentlich, wenigstens im Rahmen des Trainings, zu zeigen. Einsichten
bieten Möglichkeiten neue Funktionsweisen, Prinzipien und Ansätze für das Training
zu entdecken. Einsichten sind sowohl im sportlich als auch im klassisch betriebenen
Karate von großer Bedeutung. Einerseits um sich gegenseitig zu erkennen
und zu respektieren und andererseits um sich selbst zu erkennen und die spezifischen
Elemente und Merkmale des betriebenen Karates zu extrahieren, zu analysieren
und gegebenenfalls zu ändern. Das betrifft sowohl die technischen Elemente mit
ihren Merkmalen und Methoden als auch sportphilosophische oder klassisch traditionelle
Ansichten. Hierfür ist Kommunikation die wesentliche Grundlage.
13. Prinzip der Kohärenz: Die Inhalte des Trainings müssen sowohl mit der Theorie
als auch mit dem gesetzten Ziel übereinstimmen. Das Technikleitbild muss im Zusammenhang
mit der Funktion der Technik stehen, der Istwert muss der Stufe der
aktuellen Trainingsplanung entsprechen und in Zusammenhang mit Sollwertvorga-
100
en gebracht werden können. Der Zusammenhang Grundlagen, Training und Individualität
muss gegeben sein. In Anlehnung an E.-J. Hossner, der in den Ausführungen
zum Techniktraining im Spitzensport (vgl. Roth (Hrsg.) 1996, S.98) das ähnliche
Prinzip der Kongruenz beschreibt, kann festgestellt werden, dass wirksames Training
„eine hohe Übereinstimmung zwischen der Innensicht des Sportlers, der subjektiven
Außensicht des Trainer sowie der objektiven Außensicht des analysierenden Biomechanikers“
voraussetzt. Es muss also ein ständiger Bezug zwischen allen Elementen
gegeben sein. Gesundheit, Leistung, Wirkungsweise, Abhärtung, Trainingsprinzipien
u.a. müssen in Beziehung stehen und die scheinbaren Widersprüchlichkeiten, von
beispielsweise Abhärtung und Gesundheit im Trainingsprozess, in einen sinnvollen
Zusammenhang gebracht werden. Dieses Prinzip gewährleistet teilweise die Ganzheitlichkeit
im und des Shotokan-Karate-Training/s. Es stellt ein inter- und intradisziplinäres
Bindeglied dar.
14. Prinzip der optimalen Aufmerksamkeitslenkung (in Anlehnung an Roth
(Hrsg.) 1996, S.96): Aufmerksamkeit ist im Shotokan-Karate eine wesentliche psychische
Komponente. Das im Abschnitt 3.1.1.2 „Ki-Gamae - Psychische Bereitschaft“
beschriebene Zanshin ist hierfür eine Bekräftigung. Die Bedeutung der Aufmerksamkeit
wurde schon ausführlich behandelt. Hierzu kann noch ein Zitat des Begründers
des modernen Karate Funakoshi Gichins genannt werden: „Unheil entsteht durch
Nachlässigkeit“ (Schlatt 1999, S.180). Die Schulung der Aufmerksamkeit im Training
ist gleichzeitig Schulung der Aufmerksamkeit im Leben. Während die Aufmerksamkeit
im Techniklernprozess auf alle Kleinigkeiten gelenkt wird, wird sie am Ende des
Techniktrainings von diesen weg auf die Umgebung gelenkt. Der Trainer muss mit
seiner Aufmerksamkeit ständig beim Lern- und Trainingsprozess sein, um seinen
Beitrag zum Gelingen einer optimalen Entwicklung des Athleten zu leisten. Im Leben
und im Wettkampf geschieht Unglück immer durch Unachtsamkeit. Die geschichtlichen
Wurzeln lehren, dass derjenige das Leben im Kampf verloren hat, der seine
Aufmerksamkeit verloren hat. Das gleiche gilt heute als ein Teilaspekt für Sieg oder
Niederlage im Wettkampf.
15. Prinzip des Do: Dieses Prinzip beschreibt die Entwicklung des gesamten Trainingssystems
im Karate. Do bedeutet Weg und jeder Weg beginnt mit einem Schritt.
Da es viele Menschen mit unterschiedlichsten Ansichten gibt, werden auch die verschiedensten
Wege beschritten. Die Bedeutung des klassischen Karate ist aus der
Geschichte überliefert. Viele Werte dienen der Vervollkommnung des menschlichen
Charakters und somit der Menschen selbst. Die Entwicklung der Menschheit, die Befriedungen
und das damit einhergehende neue Verständnis seiner selbst führt letztendlich
zu Veränderungen in allen Bereichen des Lebens. Die Selbstverteidigungsformen
entwickelten sich zu Charaktervervollkommnungsformen weiter. Deshalb
wurden sie als Kampf- oder Weg-Künste bezeichnet. Deren Inhalte sind seit vielen
Jahrhunderten überliefert und geben eine Botschaft der Vergangenheit weiter. Wie in
der Arbeit herausgestellt wurde, konnten in diese Kampfkünste, wie zum Beispiel ins
Shotokan-Karate, neue Formen des Trainings integriert und alte umstrittene, gesundheitsgefährdende
Methoden entfernt werden. Es differenzierten sich neue Bewegungsmuster
heraus. Es entstand beispielsweise das Sport- und Wettkampfkarate.
Auch das ist ein Prinzip des Weges. Jeder nimmt sich etwas aus dem Ganzen,
fügt einen eigenen Beitrag hinzu, um letztendlich der Welt ein wenig von sich zu hinterlassen.
Der Weg hat viele Abzweige. Einer dieser Abzweige führt zum Sport, ein
anderer zum klassischen Karate. Jeder nimmt den, den er für den richtigen hält.
5) Zusammenfassung
101
Diese Arbeit stellt einen Einblick in die Entwicklung des Trainingssystems des Shotokan-Karate
dar. Den Hintergrund des Shotokan-Karate bildet die Verteidigung des
Lebens unterdrückter Okinawanern. Durch die Befriedung des Landes folgte die Verbindung
von kämpferischen Körperbewegungen mit geistigen und philosophischen
Werten. Daraus bildeten sich Traditionen mit ritualisierten Gesten und Handlungen
heraus, wodurch ein Selbstverteidigungssystem in eine Kampfkunst verwandelt wurde.
Mit der anschließenden Verbreitung dieser Kampfkunst als Friedensbotschaft
wurde eine Entwicklung eingeleitet, die neue Bewegungsformen und neue Ansichten
in das Trainingssystem des Shotokan-Karate brachte. Über Japan kam es nach Europa
und somit auch nach Deutschland. Im Zuge der wissenschaftlichen Auseinandersetzung
mit dieser neuen Sportart wurden klassische Trainingsmethoden, asiatische
Philosophien und Traditionen, Technikausführungen und Lehrmethoden untersucht.
Da es große Divergenzen bezüglich der Werte und Ansichten zwischen asiatischen
und westlichen Nationen gibt, konnte Shotokan-Karate nur schwer so übernommen
werden, wie es in Japan gelehrt wurde. Eine japanische Eigenart war es
keine Fragen zu stellen. Die nicht verständlichen Aspekte wurden durch jahrelange
Übung intuitiv erfasst. Deshalb stellt Shotokan-Karate mit der Bezeichnung Do eine
Weg-Kunst dar. Das ist für analytisch, wissenschaftlich orientierte Menschen nur
schwer greifbar. Shotokan-Karate musste dem westlichen Verständnis angepasst
werden. Eine Ebene dieses Verständnisses bildete der Wettkampf bzw. Leistungsvergleich.
Die Anfänge der Wettkampfentwicklung wurden in Japan begründet und in
den westlichen Nationen fortgeführt. Um einen effektiveren und ökonomischeren
Lerneffekt der komplizierten Karatebewegungen zu erzielen, analysierten und systematisierten
verschiedenen Sportler und Wissenschaftler das Shotokan-Karate und
stellten eine reduziertere und rationalisiertere Variante des klassischen Karate heraus.
Die Versportlichung vollzog sich rasch und bildete schnell ein selbstständiges
Karate-Wettkampfsystem mit dem Anspruch als Shotokan-Karate bezeichnet zu
werden. Der Lernprozess der Techniken wurde verkürzt, unnütze Techniken weggelassen,
eine eigene „Sportphilosophie“ hinzugefügt und der Selbstverteidigungscharakter
in eine aggressive Sportkampfform transformiert. Doch auch das klassische
Karate fand Anhänger, welche die asiatischen Prinzipien und Vorstellungen annahmen,
aber das Trainingssystem erweiterten. Die Studie der Universität von Long Island
stellt hierfür ein hervorragendes Beispiel dar. Sportwissenschaftliche Erkenntnisse
verbesserten in beiden Karatebereichen das Trainingssystem, boten und bieten
noch immer Möglichkeiten der Überprüfung bestehender Systematisierungen und
Methoden und gewährleisten Entwicklungsprozesse innerhalb des Shotokan-Karate.
Das bestätigt die Interviewstudie, anhand derer festgestellt werden konnte, dass sich
Shotokan-Karate auf hauptsächlich zwei Ebenen weiterentwickelt hat. Die eine Ebene
ist das sportlich betriebene Karate, das in den Ansichten fast vollkommen kontrovers
zur zweiten Ebene steht. Diese ist das klassisch betriebene Shotokan-Karate.
Die Inhalte der Trainerausbildungen, die Trainingsziele, die Ansichten bezüglich der
geistigen Werte, die Technikausführungen, die Gesundheitsaspekte, die Mentalität
der Art zu kämpfen, Vorstellungen und Bedürfnisse bezüglich der Kampfkunst Karate
werden unterschiedlich entwickelt und angepasst. Modern sind beide Varianten. Die
traditionelle, klassische Variante, die als Kampfkunst und die wettkampforientierter
Variante, die als Kampfsport bezeichnet wird definieren durch verschiedene Systematisierungsansätze
die Entwicklung innerhalb des Shotokan-Karate-Trainingssystems.
Ein Leitsatz des Sportkarate besagt, dass es wie Eiskunstlaufen ist. Es
zählen der dramaturgische Ausdruck und die Technik. Klassisches Karate vertritt die
102
Ansicht, das Karate Kampf mit sich selbst und gegen Angreifer ist. Es zählen das
Überleben und die Wirkung, das Aussehen aber nichts.
In der Arbeit kommt besonders der Unterschied in den Ausbildungen der Trainerklassen
zur Geltung. Alle genannten Themen präsentieren Erkenntnisse und hoch
spezifizierte Inhalte als Teilglieder der Gesamtlehre des Shotokan-Karate-Systems.
Die praktische Realisierung und völlige Beachtung aller themenrelevanter Inhalte der
Trainerausbildungen ist schwer umsetzbar. Die Aussagen der Trainer bekräftigen
das. Sie repräsentieren das, was Shotokan-Karate heute ist und morgen sein wird.
Ihr Wissen, ihre Fähigkeiten als Athlet und als Trainer, ihre Ausbildungen und alle
bisher genannten Faktoren, Merkmale und Prinzipien begründen die Weiterentwicklung
des Shotokan-Karate, hauptsächlich durch das Wirken und Bemühen der Trainer.
Realistische und, so weit es möglich ist, objektive Selbsteinschätzungen sind
dabei grundlegender Bestandteil, denn nur eine ehrliche Einschätzung und die Fähigkeit
nicht nur geradeaus zu schauen gewährleisten eine positive Entwicklung. Aus
den wissenschaftlichen Betrachtungen, Analysen und Erkenntnissen und den alltagsorientierten
und praktischen Aussagen der interviewten Trainer konnten Kategorien
erstellt werden, die festgestellte Grundsätze systematisierend darstellen. Daraus
wurden Prinzipien abgeleitet, die letztendlich Entwicklungen im Shotokan-Karate
verallgemeinert charakterisieren.
Die Rahmenhypothese, dass es im Trainingssystem des Shotokan-Karate starke
Veränderungen gibt, kann definitiv verifiziert werden. Die tiefergehende hypothetische
Annahme, dass das Shotokan-Karate als Spezialisierung und Transformierung
von Techniken zum Wettkampfsport einerseits und als Erweiterung des klassischen
Trainingssystems mit modernen sportwissenschaftlichen Erkenntnissen andererseits,
in zwei Hauptrichtungen gesplittet wurde, kann ebenfalls als wahr angenommen werden.
So schließt der Rahmen dieser Arbeit mit zwei Zitaten zweier Wegbegründer des
modernen Shotokan-Karate, welche die Grundgedanken zusammenfassen und Lösungen
vieler Probleme anbieten:
„Das richtige Training der dem Karate zugrundeliegenden Prinzipien wird es dem Karate-Ka
ermöglichen, sich nötigenfalls außerhalb des Dojo zu verteidigen oder an einem
Shiai teilzunehmen. Wenn die grundlegenden Prinzipien korrekt sind, macht es
keinen Unterschied, was der Karate-Ka tut. Grundlagen sind Grundlagen, und diese
werden zu allen Zeiten unter allen Umständen von Nutzen sein.“ (Diese Worte sind
von Nakayama Masatoshi Sensei und aus R. Hassel 1997, S.106 übernommen.)
Funakoshi Gichin, Begründer des modernen Karate-Do (Schlatt 1999, S.197):
„Hatsuun jindo – Lass die Wolken zieh’n und gehe deinen Weg!“
103
Anhang
Stichwortverzeichnis
Ausspracheregeln (vgl. Schlatt 1999):
ch - ähnlich tsch, wie in Klatschen
e - ähnlich ä, wie in besser
ei - ähnlich ee, wie in See
h - ein Laut, der zwischen h und ch liegt, wie in Fach
j - ähnlich dsch, wie in Job
r - Zungen-r,
s - ähnlich ss, wie in Hass
sh - ähnlich sch, wie in Schwert
y - ähnlich j, wie in Jagd
z - ähnlich s, wie in Sand
• u wird in vielen Fällen kaum betont bzw. gar nicht ausgesprochen. (z.B. Shuto,
gesprochen: "Schto")
• ae, ei, ue werden getrennt gesprochen. (z.B. Mae-Geri, gesprochen: "Ma-e-
Geri")
Begriffe (vgl. Schlatt 1999):
Budo - der Weg des Krieges, Oberbegriff für Kampfkünste
Dachi - Stand, Stellung
Dai - Groß
Dan - Meistergrad
Do - Weg, Lehre, Suche, Erfahrung
Dojo - Trainingsort, Ort des Weges
Futanren - Unzulängliches Training
Gi - Karateanzug
Hanmi - Abgedrehte/r Hüfte/Oberkörper
Hara - Bauch, energetisches Zentrum des Menschen, Schwerpunkt, Körpermitte
Hiki-Te - Zurückziehen der Faust an die Hüfte
Honbu Dojo - Zentraldojo
Jiyu - Frei
Kamae - Bereitschaftshaltung, Kampfstellung, vorbereitende Haltung
Kara - Hülle, Schale, Leer
Karate-Do - Der Weg der leeren Hand
Karateka - Karatebetreibende(r)
104
Keiko - Das Alte, die Vergangenheit überdenken. Bezeichnung für das
Üben im Sinne des Budo bzw. der alten traditionellen Künste. Es
umfasst die drei wichtigsten Komponenten Ki, Shin und Waza.
Das Ziel ist es, durch die Übung zu reifen.
Ki - Vitale/innere Energie
Kiai - Kampfschrei
Kihaku - Kampfgeist, geistige Energie
Kikioji - Angst vor dem Ruf des Gegners
Kime - schockartiges Anspannen sämtlicher Muskeln am Ende einer
Technik, physische und psychische Energiekonzentration
Kohai - der Spätere, fortgeschrittene jüngere Schüler
Kokyu - Atmung, Atem
Kote-Kitae - Abhärtung des Körpers
Kyoshi - Lehrer, Experteninstruktor der Budo-Schule
Kyu - Schülergrad, Farbgurte
Kyudan - Gürtelrangsystem
Makiwara - Schlagpolster
Mikuzure - Angst vor dem Aussehen des Gegners
Mushin - Nicht denken, unbewußt
Obi - Gürtel
Omote - fundamental, grundlegend, die obere, offensichtliche Seite der
Kampfkunst
Okuden - Stufe der technischen Verfeinerung
Renshi - Meisterschaft des Selbst
Ryu - Stilrichtung
Sempai - der Vorgänger, fortgeschrittener älterer Schüler
Sensei - Lehrer, Meister
Shin - Geist, Herz
Shisei - Haltung (physisch und psychisch)
Shihan/Hanshi - Großmeister, geistige Meisterschaft des Budo
Shitei - Vorschrift
Shizentai - Grundstellung, Normalstellung, natürliche Haltung
Sho - Klein
Shoto - Künstlername Funakoshi Gichin = Pinienrauschen
Shotokan - Karate-Stilrichtung Funakoshi Gichins, kan = Haus
Shu-Ha-Ri - Die drei Wegstufen vom Schüler zum Meister
Tachikata - Standform, Stellung, Grundstellung
Tameshiwari - Bruchtest
Tode - Technik aus China, alte Bezeichnung des ursprünglichen Karate
Tokui - Stärke
105
Wa - Innere Harmonie
Yomi - Vorausahnen
Zanshin - Wachsamkeit, Bereitschaft, Geistesgegenwart
Angriffsstufen & Richtungen:
Chu - Mitte
Happo, Kuruma - in alle Richtungen
Hidari - links
Mae - nach vorne
Mawashi - kreisförmig, im Halbkreis
Migi - rechts
Omote - darüber
Soto - äußere, außen
Uchi - innere, innen
Ura - Rückseite, entgegengesetzt, darunter
Ushiro - nach hinten
Yoko, Hen - zur Seite, seitlich
Kommandos:
Hajime
- Beginn, Anfangen, Los
Kamaete - Körperhaltung einnehmen
Mokuso - Meditation
Mokuso Yame - Meditation Ende
Naore - Rührt Euch! Gut
Oss - Ja, Okay, Verstanden, Grußwort zum Gegenüber, ...
Otagai ni Rei - Gruß zu den Mitübenden
Rei - Höflichkeit, Gruß
Ritsu - Aufstehen, Stehen
Ritsu Rei - Gruß im Stehen
Seiza - Abknien in den Kniesitz
Sensei ni Rei - Gruß zum Meister
Shomen - Front, Vorderseite
Shomen ni Rei - Gruß nach vorne
Yame - Halt, Stop, Ende
Yoi - Vorbereitung, Achtung
Za-Rei - Gruß im Kniesitz
106
Begriffe aus dem Bereich Kata:
Kata - Form, formale Übung, Kampf gegen imaginäre Gegner
Bunkai - Analyse von Katas in Anwendung mit Partnern
Enbusen - Schrittdiagramm der Kata
Sentei-Kata - Aus einer vorgegebenen Katagruppe auszuwählende Kata
Shitei-Kata - Pflichtkata
Tokui-Kata - Freie, persönliche, starke Kata; Kürkata
Begriffe aus dem Bereich Kihon:
Kihon - Grundlage, Grundschule, Grundtechniken
Keri-Waza - Beintechniken
Oi-Komi - hineintreiben, Technik mit ganzem Schritt
Okuri-Ashi - Gleitschritt, vorderer Fuß bewegt sich zuerst
Suri-Ashi - Gleitschritt (Oberbegriff)
Te-Waza - Handtechniken
Tobi-Waza - Sprungtechniken
Tsuki - Fauststoß
Tsuki-Waza - Fauststoßtechniken
Ude-Waza - Armtechniken
Uke-waza - Blocktechniken
Waza - Technik
Yori-Ashi - Gleitschritt, hinterer Fuß bewegt sich zuerst
Begriffe aus dem Bereich Kumite:
Kumite - Partnerübung
Bogu-Kumite - Vollkontaktform mit Schutzkleidung
Deai - dem Angriff mit eigenem Angriff zuvorkommen
Gohon-Kumite - Fünfschrittkampf
Happo-Kumite - Kampfübung in alle Richtungen
Jiyu-Ippon-Kumite - freier Einschrittkampf
Jiyu-Kamae - Individuelle Freikampfhaltung
Jiyu-Kumite - Freikampf
Kaeshi-Ippon-Kumite - erwidernder Einschrittkampf
Kata-Kumite - gleichbedeutend mit Bunkai, der Anwendung der Kata mit
dem Partner
Kihon-Ippon-Kumite - grundschulmäßig ausgeführter Einschrittkampf
107
Kime-Waza - Kontertechnik als entscheidende Technik
Kogeki - Angriff, Angreifer
Maai - Korrekte Distanz der Technik zum Ziel
Okuri-Ippon-Kumite - Kampf mit direkt folgendem zweiten Angriff
Randori - spielerisches Üben des Freikampfes
Sabaki - den Körper geschickt drehen, ausweichen, bewegen
Sanbon-Kumite - Dreischrittkampf
Shiai-Kumite - Wettkampf
Shobu-Kumite - Partnerübung, bei der es um Punkte geht
Suki - Ausnutzen einer Chance
Sun-Dome - Abstoppen der Technik kurz vor dem Ziel
Tai-Sabaki - Ausweichen und Kontern
Tori - Angreifer
Uke - Abwehr, Verteidiger
Anmerkung:
Der Trainingsplan 2004 des DKV lag als Acrobat Reader-Datei vor und konnte nicht
in ein passendes Word-Format transkribiert werden. Deshalb ist er ohne Seitenzahl
am Ende der Arbeit hinzugefügt worden.
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Lehrmaterialien Trainingstheorie – Grundkurs SS2000 – Uni-Greifswald; Dozent:
Prof. Dr. P. Hirtz.
Lehrmaterialien Sportpsychologie – Grundkurs 2000 – Uni-Greifswald; Prof. Dr. H.
Ilg.
Format- und Zitierungsvorlagen: www.dvs-sportwissenschaft.de
Bilderverzeichnis
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Der Tiger wurde für Funakoshi Gichins Veröffentlichungen gemalt und
als Symbol für das Shotokan-Karate übernommen. Die Schriftzeichen
sind japanisch und werden von oben nach unten gelesen:
Sho; To; Kan; Kara; Te; Do
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S. 44/45 www.club-association.ch/ckam/Descrtech.htm
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S. 72 www.shotokan-demmin.de
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S. 107 Schriftzeichen: Schlatt 1999, S.20/21
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