Über Christoph Marthalers Inszenierung von Shakespeares "Was ihr wollt" am Schauspielhaus Zürich 2001.
LMU München - Hauptseminar Theaterwissenschaft "Inszenierungsanalyse" - 2004/05
LMU München - Hauptseminar Theaterwissenschaft "Inszenierungsanalyse" - 2004/05
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ersoffen sind, oder gerade ertrinken.“ 19 Wie meistens bei Anna Viebrock ist auch<br />
dieses Bühnenbild abgeschlossen: Wer durch eine der Türen abgeht, tritt kurz darauf<br />
durch eine andere ein; milchige und kleine Fenster erlauben keine Aussicht. Eine<br />
mögliche Außenwelt wird weder durch sprachliche noch andere Mittel definiert oder<br />
zumindest angedeutet. 20 Einzig die Einbeziehung des Zuschauerraums, durch die<br />
Spiegelung im Bühnenbild und Antonios Auftritt erweitert das Bühnenhaus. Das<br />
ges<strong>am</strong>te Oval des Theaters ist die dargestellte Welt und das Motorenst<strong>am</strong>pfen bzw.<br />
Summen der Propeller belebt das Schiff an sich. Es erscheint als großer Organismus,<br />
welcher sich Publikum und Darsteller einverleibt hat. Die Wahl eines Bühnenbildes,<br />
das die Anwesenden zu einer Bordgemeinschaft macht, setzt Maßstäbe für die ganze<br />
<strong>Inszenierung</strong>. Das gemeins<strong>am</strong>e Erleben <strong>von</strong> Theater wird über die Zurschaustellung<br />
eines abgeschlossenen Kunstwerks gesetzt. D<strong>am</strong>it teilt Marthaler mit vielen<br />
zeitgenössischen Regisseuren, wie Andreas Kriegenburg oder Johan Simons, die<br />
grundsätzliche Auffassung <strong>von</strong> Theater als gemeins<strong>am</strong>en Erlebnisort <strong>von</strong><br />
Schauspielern und Zuschauern. Erst im Vollzug vervollständigt sich das Kunstwerk.<br />
2.2 A Closer Look: Öffentlichkeit und Heimlichtuerei<br />
Durch die Präsenz aller Darsteller auf der Bühne ist ein gewisser Grad an Öffentlichkeit<br />
andauernd gegeben. Die Figuren haben die Möglichkeit, einander zu beobachten und<br />
sich für die anderen in Szene zu setzen.<br />
Dieses Illyrien ist eine sehr sehr selts<strong>am</strong>e Welt, eine skurrile Welt.<br />
Das ist schon beim Lesen. Und die spielen sich alle etwas vor.<br />
Ich glaube, die wissen auch alle Bescheid übereinander,<br />
untereinander. Aber die spielen sich was vor, und das ist das<br />
Schöne. Das ist Spiel. und das ist bei Shakespeare natürlich<br />
grandios. Man weiß nie wer weiß was über den andern. Sie<br />
spielen. Und das ist ganz ganz toll und das ist wunderbar. 21<br />
Privatheit ist nur als Heimlichtuerei oder Sch<strong>am</strong>losigkeit möglich. D<strong>am</strong>it ist auch die<br />
Rolle des Zuschauers als alleiniger Voyeur intimer Szenen hinfällig: die Zuschauer sind<br />
19 Berger, „Trinkend ertrinken“.<br />
Der erfolgreiche Kinofilm Titanic <strong>von</strong> J<strong>am</strong>es C<strong>am</strong>eron erschien übrigens 1997. Im Februar 2001 wurde<br />
diesem Film in Berlin die „Goldene K<strong>am</strong>era“ verliehen. Die <strong>Inszenierung</strong> fällt also noch seine<br />
unmittelbare Rezeptionsphase.<br />
20 Das Wellenrauschen in der Videoaufnahme habe ich nicht berücksichtigt.<br />
21 Auszug aus einem Interview mit <strong>Christoph</strong> Marthaler, in: Rasender Stillstand (Videoquelle).<br />
8