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Über Christoph Marthalers Inszenierung von Shakespeares "Was ihr wollt" am Schauspielhaus Zürich 2001.

LMU München - Hauptseminar Theaterwissenschaft "Inszenierungsanalyse" - 2004/05

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Eine reine, deskriptive Strukturanalyse mit dem Schwerpunkt auf Einzelereignissen bei<br />

klarer Trennung der Zeichensysteme würde in diesem Fall keinerlei Mehrwert zu der<br />

Existenz der Videoaufnahme erzeugen. Der Versuch einer „objektiven Analyse“ wäre<br />

unvollständig und sinnlos. 5 Einzelbeschreibungen blieben in Ermangelung klarer<br />

Referenzen semantisch im Unbestimmbaren. 6 Erst mit der Vernetzung des Ges<strong>am</strong>teindrucks,<br />

des Wissens um vorher und nachher sowie der Berücksichtigung der<br />

Gleichzeitigkeit aller Zeichensysteme und des Zufalls der Aufführung wird Bedeutung<br />

erahnbar.<br />

Gerade die Vagheit einer unhintergehbaren Darstellung bedingt<br />

einen unendlichen, nie abschließbaren Darstellungsprozess.<br />

Einer aus differenten Wahrnehmungsurteilen resultierenden,<br />

semantischen Mehrdeutigkeit korrespondiert eine pragmatische<br />

Unbestimmtheit des Zeichens selbst, das stets nach einem Mehr<br />

an Deutung verlangt. 7<br />

Im Sinne dieses hermeneutischen Zirkels lohnt es sich, nicht linear zu denken und<br />

über den Ges<strong>am</strong>teindruck auf die einzelnen Komponenten der <strong>Inszenierung</strong> einzugehen<br />

und umgekehrt. Dabei ist die Einbeziehung lebensweltlicher Themen<br />

unumgänglich:<br />

Dem zum sozialen Kontext (der in seinem Innern den Referenten<br />

des Kunstwerkes birgt) gehörenden Rezipienten kommt die<br />

Aufgabe zu, die Zeichen aus dem Kunstwerk herauszulösen.<br />

Daraus folgt sowohl, dass das Herauslösen des Signifikanten<br />

notwendigerweise <strong>von</strong> einer Hypothese über seine Dimension<br />

und seinen Sinn determiniert wird, als auch, dass es unter<br />

Einbeziehung des sozialen Kontextes und der Hypothese über<br />

die Signifikate geschieht. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass<br />

der Rezipient gleichzeitig zwei entgegengesetzte Prozesse<br />

vollzieht: 1. ausgehend <strong>von</strong> der Zerlegung in Signifikanten sucht<br />

er ein mögliches Signifikat; 2. ausgehend <strong>von</strong> den durch eine<br />

Interpretation vorgegebenen Signifikaten sucht er für diese einen<br />

Hinweis oder eine Bestätigung in den Signifikanten. 8<br />

Es fällt schnell auf, dass es in dieser <strong>Inszenierung</strong> nicht darum gehen kann, eine<br />

Geschichte zu erzählen. Der Entwicklung der Figurenbiografie und kausalen sowie<br />

psychologischen Vorgängen wird kaum Bedeutung beigemessen. So scheinen die<br />

Figuren in den Bühnenraum hineingeworfen und noch nicht zur Gänze angekommen<br />

zu sein. Sie sprechen <strong>ihr</strong>e Texte aus einer verborgenen Not oder Gewohnheit heraus<br />

5 Vgl. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 3, S. 109.<br />

6 Vgl. Balme, Einführung in die Theaterwissenschaft, S. 96 über den Mangel an semantischer Kohärenz<br />

bei zeitgenössischen <strong>Inszenierung</strong>en.<br />

7 Meyer, Intermedialität, S. 163.<br />

8 Pavis, Semiotik der Theaterrezeption, S. 20.<br />

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