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Gerade stelle ich mit Schrecken fest, wie schnell die Zeit davonrennt…

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Meine Lieben!<br />

<strong>Gerade</strong> <strong>stelle</strong> <strong>ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>Schrecken</strong> <strong>fest</strong>,<br />

<strong>wie</strong> <strong>schnell</strong> <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>davonrennt…</strong><br />

Was ist passiert, dass <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> plötzl<strong>ich</strong> so rasend <strong>schnell</strong><br />

vergeht<br />

Dass <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> manchmal <strong>wie</strong>der finde, <strong>wie</strong> <strong>ich</strong> überlege,<br />

<strong>wie</strong> bald mein Jahr in Südafrika schon um sein wird und<br />

was <strong>ich</strong> danach eigentl<strong>ich</strong> machen möchte<br />

Dass so viele Bilder und Eindrücke auf einmal alltägl<strong>ich</strong><br />

geworden sind und andere es wohl niemals sein werden<br />

Bevor <strong>ich</strong> herkam konnte <strong>ich</strong> mir kaum vor<strong>stelle</strong>n, <strong>wie</strong> es<br />

wirkl<strong>ich</strong> sein würde, in Südafrika zu sein. Hier zu arbeiten<br />

und zu leben.<br />

Der Moment der Ausreise war plötzl<strong>ich</strong> einfach da,<br />

<strong>schnell</strong>er als gedacht und nun sitze <strong>ich</strong> hier, der Sommer<br />

neigt s<strong>ich</strong> dem Ende und schreibe immer <strong>wie</strong>der meine<br />

Ber<strong>ich</strong>te. Und auch wenn <strong>ich</strong> versuche, all das zu<br />

schildern, was <strong>ich</strong> erlebe- so weiß <strong>ich</strong> doch, dass <strong>ich</strong>


niemandem ein wirkl<strong>ich</strong>es Bild davon ze<strong>ich</strong>nen kann, <strong>wie</strong><br />

es wirkl<strong>ich</strong> ist.<br />

Wie es ist, wenn jeder zu sehen scheint, dass <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

von hier bin, auch wenn es doch so viele weiße<br />

Südafrikaner ist.<br />

Wie es ist, s<strong>ich</strong> für seine Hautfarbe zu schämen.<br />

Wenn jeder da<strong>mit</strong> gle<strong>ich</strong> ein bestimmtes Bild zu<br />

assoziieren scheint- Du bist Weiß. Du hast Geld.<br />

„Sawubona“ – Haybo, warum spr<strong>ich</strong>st Du unsere<br />

Sprache<br />

Haybo, warum fährst Du <strong>mit</strong> dem Taxi<br />

Haybo, warum hast Du so ein altes Handy<br />

Vieles ist anders und ganz anders schwer, als <strong>ich</strong> es mir<br />

vorgestellt hatte.<br />

Und auf eine Weise wunderschön, <strong>die</strong> m<strong>ich</strong> verzaubert<br />

und in ihren Bann gezogen hat.<br />

Afrika- das ist ein Wort, <strong>mit</strong> dem wir alle unbewusst<br />

bestimmte Bilder verbinden. Bilder von Armut. Bilder von<br />

kleinen Kindern, <strong>die</strong> barfuss über staubige Strassen zur<br />

Schule laufen. Bilder von Frauen, <strong>die</strong> kleine Kinder auf<br />

dem Rücken und große Lasten auf dem Kopf tragen.<br />

Ja- das sind Bilder, <strong>die</strong> mir alltägl<strong>ich</strong> begegnen.<br />

Aber warum denkt niemand an große Einkaufszentren<br />

An Mr. Price- dem südafrikanischen H&M, in dem weiße<br />

und schwarze Südafrikaner ebenso intensiv shoppen, <strong>wie</strong><br />

man es in Deutschland oft sieht<br />

An <strong>die</strong> indische Gesellschaft und Kultur, <strong>die</strong> hier stark und<br />

ausgeprägt ist<br />

Ja, es ist schwer all <strong>die</strong>se Welten gle<strong>ich</strong>zeitig zu sehen.<br />

Ich fühle m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t <strong>wie</strong> in einem Land, sondern <strong>wie</strong> in<br />

vielen parallel existierenden Welten zwischen denen <strong>ich</strong><br />

tägl<strong>ich</strong> hin- und herrutsche und in denen <strong>ich</strong> meinen<br />

eigenen Platz n<strong>ich</strong>t finde.<br />

<strong>Gerade</strong> deswegen war es für m<strong>ich</strong> ein sehr schönes und<br />

besonderes Ereignis, als Mitte Februar endl<strong>ich</strong> der Besuch<br />

meiner Mama und ihres Freundes Ralf bevorstand. Es<br />

waren drei erfüllte und besondere Wochen und es


edeutet mir sehr viel, dass <strong>ich</strong> den beiden mein neues<br />

und so anderes Leben zeigen konnte. Es war ein schönes<br />

Gefühl, ein Stückchen Heimat hier zu haben und zu<br />

wissen, dass <strong>die</strong> beiden vieles selber gesehen haben.<br />

Gerochen haben. Gefühlt haben.<br />

Der Abschied viel mir schwer und wurde gefolgt von der<br />

Freude über den Besuch von Phillips Eltern.<br />

Seitdem ist viel geschehen doch <strong>ich</strong> möchte <strong>die</strong>se Stelle<br />

nutzen, um Danke zu sagen. Es war schön, dass ihr da<br />

wart!<br />

Ethembeni-<br />

Neu und Altbekannt.<br />

Wie schon in meinem letzten Ber<strong>ich</strong>t geschrieben habe<br />

<strong>ich</strong> seit dem Jahreswechsel einen neuen Stundenplan, <strong>mit</strong><br />

dem <strong>ich</strong> sehr glückl<strong>ich</strong> bin.<br />

Inzwischen unterr<strong>ich</strong>te <strong>ich</strong> drei Klassen jeweils ein bis<br />

zwei Stunden <strong>die</strong> Woche in Englisch. Das Unterr<strong>ich</strong>ten


macht mir viel Spaß. Ich glaube, <strong>ich</strong> bin an vielen Punkten<br />

viel gelassener geworden und kann es gut hinnehmen,<br />

wenn einmal alles n<strong>ich</strong>t so gut klappt. Auch hätte <strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>t gedacht, <strong>wie</strong> stark man Erfolge sehen kann. Vor<br />

allem in Grade 4 VI, <strong>die</strong> <strong>ich</strong> inzwischen seit mehr als 5<br />

Monaten unterr<strong>ich</strong>te, bin <strong>ich</strong> oft überrascht, wenn s<strong>ich</strong> <strong>die</strong><br />

Kinder noch an Inhalte aus den ersten Stunden erinnern<br />

können! Leider ist der Unterr<strong>ich</strong>t in der letzten <strong>Zeit</strong> auch<br />

oft sehr problematisch. Die Klasse bekommt stetig neue<br />

Schüler und gehört so inzwischen zu einer der größten<br />

Klassen unserer Schule. Kürzl<strong>ich</strong> wurde sie in den<br />

kleinsten Raum der Schule verlegt. Ich merke, <strong>wie</strong> s<strong>ich</strong><br />

durch den kleineren Raum <strong>die</strong> Stimmung in der Klasse<br />

sehr verändert hat, der Raum ist viel zu klein und wir<br />

können und kaum bewegen, <strong>die</strong> blinden Schüler stoßen<br />

s<strong>ich</strong> bei dem Versuch den Raum zu durchqueren ständig<br />

an Tischen und Stühlen, <strong>die</strong> ohne rechte<br />

Durchgangsmögl<strong>ich</strong>keit eng zusammengequetscht<br />

stehen. Mir war es immer w<strong>ich</strong>tig, viel Gruppenarbeit,<br />

Spiele und visuelle oder durch tasten zu erfassende<br />

Plakate und ähnl<strong>ich</strong>es zu nutzen. Es ist sehr unfair, weil<br />

<strong>die</strong> Klasse, <strong>mit</strong> der wir den Raum tauschen mussten (und<br />

<strong>die</strong> <strong>ich</strong> ebenfalls unterr<strong>ich</strong>te) nur aus 8 Schülern besteht,<br />

so<strong>mit</strong> viel besser in dem kleineren Raum arbeiten könnte.<br />

Leider weiß <strong>ich</strong> jedoch n<strong>ich</strong>t, <strong>wie</strong> <strong>ich</strong> <strong>die</strong>sen Zustand<br />

verändern sollte. Denn <strong>ich</strong> bin eben nur Freiwillige und es<br />

steht mir meiner Meinung nach eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t zu, m<strong>ich</strong><br />

deshalb zu beschweren. Trotzdem hoffe <strong>ich</strong>, bald ein<br />

Gespräch <strong>mit</strong> der Leitung der höheren VI-Klassen zu<br />

führen. Ich mache mir um mehrere Schüler der Klasse<br />

Sorgen, deren Verhalten s<strong>ich</strong> in der letzten <strong>Zeit</strong> deutl<strong>ich</strong><br />

verschlechtert hat. Seit dem neuen Term helfe <strong>ich</strong><br />

ausserdem im Computerunterr<strong>ich</strong>t und in Technik. Die<br />

Lehrerin <strong>die</strong>ses Faches ist blind, sodass sie den<br />

theoretischen und <strong>ich</strong> den praktischen Teil übernehme:<br />

Ze<strong>ich</strong>nen oder kleinere Arbeiten in der Küche.<br />

Nach <strong>wie</strong> vor helfe <strong>ich</strong> in einigen OT-Gruppen , was mir<br />

besonders viel Spaß macht und wirkl<strong>ich</strong> sehr interessant<br />

ist. Oft ist es hilfre<strong>ich</strong>, dass Phillip und <strong>ich</strong> <strong>die</strong> Kinder auch<br />

aus den Hostels und ihrem Alltagsleben kennen und so<br />

neue Aspekte hinzufügen können. Natürl<strong>ich</strong> arbeite <strong>ich</strong><br />

immer noch viel <strong>mit</strong> Lihle. Momentan versuche <strong>ich</strong> <strong>mit</strong><br />

ihm zu üben, seine Matheaufgaben am Computer zu


lösen. Leider noch <strong>mit</strong> mäßigem Erfolg, weil er im<br />

Klassenraum und am Computer oft sehr abgelenkt ist.<br />

Seit kurzem arbeite <strong>ich</strong> ausserdem <strong>mit</strong> Cassim. Er<br />

<strong>wie</strong>derholt zurzeit <strong>die</strong> zweite Klasse, nachdem er auch <strong>die</strong><br />

erste zweimal gemacht hat. Eines seiner Hauptprobleme<br />

ist Mathematik, weshalb <strong>ich</strong> mehrmals wöchentl<strong>ich</strong> <strong>mit</strong><br />

ihm arbeite.<br />

Der Schulterm verflog auch <strong>die</strong>smal <strong>wie</strong> im Fluge und es<br />

ist Ende März, als hier ebenso <strong>wie</strong> in Deutschland <strong>die</strong><br />

Osterferien beginnen.<br />

Anders als sonst, wo <strong>ich</strong> meist ein bisschen wehmütig <strong>die</strong><br />

Schule verließ, war <strong>ich</strong> <strong>die</strong>smal sehr aufgeregt und<br />

nervös, denn für <strong>die</strong>se Ferien sollte alles anders werden.<br />

Nachdem Franzi und <strong>ich</strong> <strong>die</strong> letzten Ferien ja immer im<br />

Aids Center gearbeitet hatten, sollte es für uns nun in ein<br />

anderes Projekt gehen:<br />

Das Indigo Skate Camp<br />

(was ihr noch aus meinen ersten Ber<strong>ich</strong>ten kennen<br />

müsstet…)<br />

Gelächter, Geschrei, Barfüßige Kinder, Ziegen, runde<br />

Hütten, Feuer… <strong>wie</strong>der das typische afrikanische Bild.


Und ja, hier sollten Franzi und <strong>ich</strong> für 2 Wochen leben.<br />

Eingebettet in der malerischen Landschaft des Valley der<br />

tausend Hügel in der Community Isithumba liegt unser<br />

neues Ferienprojekt.<br />

Als <strong>ich</strong> das erste mal <strong>wie</strong>der dort stand und <strong>die</strong> Eindrücke<br />

in m<strong>ich</strong> aufsog, nahm <strong>ich</strong> alles auf einmal noch ganz<br />

anders wahr: hier sollten wir also für 2 Wochen leben und<br />

arbeiten.<br />

Für unsere <strong>Zeit</strong> wurden wir von der Familie<br />

aufgenommen, auf deren Grund und Boden <strong>die</strong> Skate<br />

Rampen gebaut sind. Gelebt wird in mehreren kleinen<br />

blauen Hütten, von denen bis auf eine Ausnahme alle<br />

rund sind. Unsere Hütte teilten wir <strong>mit</strong> der einzigen<br />

Tochter der Familie: Nombuso, 21. Normalerweise schläft<br />

dort einer der älteren Söhne (19) , dessen Namen <strong>ich</strong><br />

leider vergessen habe. In einer anderen Hütte schliefen<br />

<strong>die</strong> Mutter Khosi <strong>mit</strong> einem ihrer Söhne Mphilo (12), dem<br />

Sohn ihres verstorbenen Bruders (Nqobile) und<br />

normalerweise Nombuso. Eine weitere Hütte für den<br />

ältesten Sohn Khangelani (23) und seinen Sohn Lungelo<br />

(3). Lungelos Mutter ist <strong>mit</strong> einem anderem Mann<br />

gegangen und schaut einmal im Monat vorbei, ansonsten<br />

kümmern s<strong>ich</strong> Khosi und Nombuso liebevoll um den<br />

Jüngsten. Es gibt eine Küchenhütte (der Ort, an dem<br />

s<strong>ich</strong> alles trifft und alles passiert) und eine Hütte der<br />

Ahnen. Trotz ihres streng christl<strong>ich</strong>en Glaubens glauben<br />

viele Zulus gle<strong>ich</strong>zeitig an <strong>die</strong> Macht der Ahnen. Die Hütte<br />

der Ahnen liegt genau in der Mitte des Hüttenkomplexes,<br />

in ihr werden Kräuter verbrannt, Gebetet, Gefeiert,<br />

Fleisch gelagert und auch sonst allerlei Gerümpel (vor<br />

allem alte Skateboards) aufbewahrt. Ausserdem noch<br />

einen kleinen Komplex aus 2 Toiletten und einer Dusche.<br />

Von der Toilette aus habe <strong>ich</strong> aufgrund der n<strong>ich</strong>t<br />

verschließbaren Tür den schönsten Ausblick genossen,<br />

der mir jemals auf einer Toilette vergönnt war: von ihr<br />

aus blickt man auf den unbewohnten Teil der Hügel,<br />

braune Erde, Sträucher und unten im Tal der Fluss.


Auch <strong>die</strong> Freiluftdusche hat uns sofort überzeugt:<br />

erfrischend kalt und wenn man spät genug ging unter<br />

afrikanischem Sternenhimmel….<br />

Ja, in <strong>die</strong>ser Umgebung konnte man den Gedanken an<br />

Leid und Schicksalsschläge <strong>schnell</strong> vergessen, wenn n<strong>ich</strong>t<br />

gle<strong>ich</strong>zeitig all das immer so gegenwärtig wäre.<br />

Khosis Mann ist verstorben, ebenso <strong>wie</strong> <strong>die</strong> 2 ihrer vier<br />

Geschwister. Die kleine Frau ist 45 Jahre alt, doch wirkt<br />

sie <strong>schnell</strong> viel älter und vom Leben geze<strong>ich</strong>net.<br />

Am ersten Abend versammelte s<strong>ich</strong> <strong>die</strong> gesamte Familie<br />

in der Küche um uns wilkommen zu heißen, Khosi nimmt<br />

uns in <strong>die</strong> Arme und als wir ihnen als Dankeschön eine<br />

Tüte „deutsche Süßigkeiten“ schenken, strahlt sie uns an.<br />

Ich habe sie gle<strong>ich</strong> in den ersten Sekunden lieb gewonnen<br />

und sie war mir während unserer <strong>Zeit</strong> dort <strong>schnell</strong> <strong>wie</strong><br />

eine Mutter.<br />

Bis auf <strong>die</strong> älteren Geschwister sprach kaum jemand<br />

mehr als ein paar Brocken Englisch, weshalb <strong>ich</strong> oft froh<br />

über unsere paar Brocken Zulu war. Ich weiß n<strong>ich</strong>t, was<br />

in <strong>die</strong>sen Tagen geschehen ist, doch es hat s<strong>ich</strong> ein so<br />

einfaches Verständnis entwickelt, dass wir kaum<br />

zweifelten, was wir einander <strong>mit</strong>teilen wollten.<br />

Manchmal saß <strong>ich</strong> ganz still da und konnte es kaum<br />

fassen, was für ein riesiges Glück mir vergönnt war, all<br />

das zu erleben.<br />

Die Tage im Skatecamp begannen um sechs Uhr: dann<br />

hatte oft schon einer der Männer gegen unsere Tür<br />

gehämmert, denn er hatte Hunger. Ohne zu Zögern<br />

fügten wir uns in unsere Rolle als Mädchen: Kochten,<br />

putzten, schmierten Brote und aßen als letzte,<br />

gemeinsam <strong>mit</strong> Khosi auf einer Bastmatte am Boden,<br />

währen <strong>die</strong> Jungen und Männer auf Bänken an der Wand<br />

saßen.<br />

Wenn wir <strong>mit</strong>tags oder morgens von der Küchenhütte<br />

zurück zu „unserer“ Hütte liefen, begegnete mir immer<br />

<strong>die</strong> gle<strong>ich</strong>e Situation: Der kleine Nqobile, <strong>wie</strong> er auf den<br />

Steinen vor unserer Hütte hockt.<br />

„Eh, Nqobile! Wenzani“ ( He, Nqobile! Was machst Du)<br />

- „Luto“ ( N<strong>ich</strong>ts)<br />

„Unga Dindwa“ (Mensch ärgere d<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t)


Ein Strahlen huscht über<br />

das oft ernste<br />

Kinderges<strong>ich</strong>t. Gemeinsam<br />

gehen wir in <strong>die</strong> Hütte, <strong>die</strong><br />

wir für <strong>die</strong> Tage<br />

zum Spieleraum<br />

umfunktioniert hatten.<br />

Drinnen setzen wir uns auf<br />

den Boden und packen das<br />

von Franzi auf Pappkarton<br />

gemalte „Mensch ärgere<br />

D<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t“ –<br />

Spielfeld aus. Suchen von<br />

draußen verschiedene<br />

Steinchen zusammen und<br />

beginnen zu spielen.<br />

Innerhalb weniger Minuten<br />

ist <strong>die</strong> Hütte voll <strong>mit</strong><br />

Kindern.<br />

Viele Materialien hatten wir<br />

n<strong>ich</strong>t dabei und doch<br />

schafften wir es, aus wenig<br />

viel zu machen. Die Beze<strong>ich</strong>nung „Ferienprojekt“ schien<br />

mir für unsere <strong>Zeit</strong> im Skatecamp sehr passend:<br />

Normalerweise sind <strong>die</strong> Kinder den halben Tag<br />

mindestens in der Schule, es sei denn sie gehen schon auf<br />

<strong>die</strong> weiterführende Schule, zu der eine vier Kilometer<br />

lange Strecke zurückgelegt werden muss.<br />

Erst nach<strong>mit</strong>tags kommen sie dann zum Skatecamp,<br />

schnappen s<strong>ich</strong> ihre Skateboards und skaten den<br />

restl<strong>ich</strong>en Tag. Nun während der Ferien waren natürl<strong>ich</strong><br />

den ganzen Tag und besonders viele Kinder dort, <strong>die</strong><br />

niemals alle gle<strong>ich</strong>zeitig hätten skaten können. So kam es<br />

oft vor, dass uns 20 erwartungsvolle Augenpaare<br />

anblickten, gespannt darauf, was „Thando und Nosipho“<br />

(Franzi und Laura) wohl als nächstes an<strong>stelle</strong>n würden.<br />

Die Tage vergingen <strong>wie</strong> im Flug: Neben unseren<br />

Tätigkeiten als Mitglieder der Familie (Kochen, Putzen,<br />

Kinder Waschen) stand natürl<strong>ich</strong> vor allem unsere Arbeit<br />

<strong>mit</strong> den Kindern im Vordergrund: Glückl<strong>ich</strong>erweise hatten<br />

wir sowohl Malzeug und Kleiderfarbe, so<strong>wie</strong> Materialien<br />

um kleine Perlentierchen zu basteln dabei, als auch eine


Menge Gruppenspiele und Zaubertricks im Schlepptau<br />

(und <strong>die</strong> Mögl<strong>ich</strong>keit den überall herumfliegenden<br />

Tetrapackmüll zu Portemonnaies umzubasteln- Danke<br />

Hanjo!)<br />

Die Gruppe an Kindern <strong>die</strong> zu uns kam wurde jeden Tag<br />

größer und ein besonderes Erlebnis war es, als <strong>die</strong> älteren<br />

Jungs (<strong>die</strong> mindestens gle<strong>ich</strong>alt <strong>mit</strong> uns waren) endl<strong>ich</strong><br />

den in jedem südafrikanischem Haushalt allgegenwärtigen<br />

Fernseher<br />

ausschalteten und s<strong>ich</strong><br />

zu uns auf den Boden<br />

setzten.<br />

Gemeinsam bemalte T-<br />

Shirts oder gebastelte<br />

Perlengekkos wurden<br />

voller Stolz für<br />

mindestens drei Tage<br />

getragen.<br />

Wenn der Tag s<strong>ich</strong> dem<br />

Ende zuneigte nahm uns<br />

oft Khosi an <strong>die</strong> Hand:<br />

eines Abend gingen wir<br />

zum Beispiel zu einer<br />

benachbarten Familie,<br />

<strong>die</strong> gerade in ihre<br />

runden Hütte ums Feuer<br />

herum saß und kochte<br />

Einige der Projektjungs<br />

präsentieren ihre Gekkos<br />

und uns nach kurzem<br />

Gespräch einen kleinen<br />

Sack <strong>mit</strong> mir<br />

unbekannten Kräutern verkaufte. Was es da<strong>mit</strong> auf s<strong>ich</strong><br />

hat erfuhr <strong>ich</strong> erst später, als Khangelani es mir<br />

übersetzen konnte: Ostern steht vor der Tür. Wir würden<br />

traditionelles Zulubier brauen. Im nächsten Moment<br />

stand Khosi <strong>mit</strong> einem Strauch getrockneter und<br />

brennender Kräuter vor uns, deren Dampf wir einatmen<br />

mussten. „Beim traditionellen Bierbrauen“,erklärte<br />

Khangelani , „treten wir <strong>mit</strong> den Geistern der Ahnen in<br />

Kontakt. Da<strong>mit</strong> <strong>die</strong>se uns freundl<strong>ich</strong> gestimmt sind und<br />

uns n<strong>ich</strong>t verletzen können, müssen wir <strong>die</strong>se Kräuter<br />

einatmen!“


Was genau in den Topf über der Feuer<strong>stelle</strong> kam, kann <strong>ich</strong><br />

leider n<strong>ich</strong>t ber<strong>ich</strong>ten, nur, dass es sehr anstrengend ist,<br />

den Brei umzurühren und es mehrere Tage dauert,<br />

während derer das Zulubier immer <strong>wie</strong>der in der Hütte<br />

der Ahnen gelagert wird.<br />

Oft wurden wir abends zu anderen Familien<strong>mit</strong>gliedern<br />

eingeladen oder liefen <strong>mit</strong> Nombuso oder Khangelani<br />

durch <strong>die</strong> Community, zum Beispiel zum Shop. Wann<br />

immer wir irgendwo aufkreuzten standen wir im<br />

Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit, was <strong>mit</strong> vielen<br />

Heiratsanträgen und weiteren Einladungen verbunden<br />

war.<br />

Eine sehr aufregende und ereignisre<strong>ich</strong>e Woche ging zu<br />

Ende, als wir zu einer kurzen Erholung über das<br />

Wochenende nach Hause fuhren.<br />

Am Montagmorgen kam <strong>ich</strong> zurück, leider ohne Franzi,<br />

weil <strong>die</strong>se über das Wochenende krank geworden war<br />

und n<strong>ich</strong>t <strong>wie</strong>der zur Arbeit kommen konnte.<br />

Begleitet haben m<strong>ich</strong>, da es als Mädchen unmögl<strong>ich</strong> ist<br />

alleine durch <strong>die</strong> Gegend zu fahren, Phillip und Sunnyboy<br />

(der nun frisch gebackener Papa ist). Mitgenommen<br />

wurden wir vom <strong>Zeit</strong>ungslieferanten, der uns gemeinsam<br />

<strong>mit</strong> den <strong>Zeit</strong>ungen, <strong>die</strong> er Shop für Shop ablieferte,<br />

schließl<strong>ich</strong> beim Camp „auslieferte“. Es hat s<strong>ich</strong> ein Stück<br />

weit <strong>wie</strong> nach Hause kommen angefühlt, auch wenn <strong>ich</strong><br />

mir zugle<strong>ich</strong> Sorgen machte. Wie würde <strong>die</strong>se zweite<br />

Woche so ganz allein wohl werden<br />

Als <strong>ich</strong> auf das Gelände meiner Familie lief, blickte <strong>ich</strong> auf<br />

einige Männer, <strong>die</strong> eine Gans schlachteten, eine Gruppe<br />

von Frauen und Männern, <strong>die</strong> in einer Runde saß und das<br />

Zulubier trank und einige der Kinder, <strong>die</strong> mir freudig<br />

entgegen sprangen. Keiner hatte so recht geglaubt, dass<br />

<strong>ich</strong> wirkl<strong>ich</strong> <strong>wie</strong>der kommen würde.<br />

„Warum“ fragte <strong>ich</strong>.<br />

„Na weil es Dir vielle<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t gefallen hat. Wir dachten,<br />

du hast uns angelogen“ dass <strong>ich</strong> als Weiße ohne weiteres<br />

zurück kommen würde, hatte keiner gedacht.<br />

Ich lächelte „ Ich bin gerne hier.<br />

Wenn <strong>ich</strong> sage <strong>ich</strong> komme am Montag zurück dann<br />

komme <strong>ich</strong> am Montag zurück. Und wenn <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

zurückkomme, dann sage <strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> komme n<strong>ich</strong>t zurück.“,<br />

erklärte <strong>ich</strong> in brokenhaftem Zulu. Khosi strahlte und


schloss m<strong>ich</strong> in <strong>die</strong> Arme. „Mphilo hat immer gefragt,<br />

wann Nosipho zurück kommt. Er mag d<strong>ich</strong>“<br />

„Und <strong>ich</strong> liebe Euch“<br />

-Mögen und Lieben ist in Zulu dasselbe Wort.<br />

Und so begann meine zweite Woche om Skatecamp. Sie<br />

wurde viel anstrengender und härter, aber auch<br />

intensiver. Ich habe m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t immer s<strong>ich</strong>er gefühlt, als<br />

<strong>ich</strong> plötzl<strong>ich</strong> ganz allein und als einziges Mädchen, weil<br />

Nombuso für einige Tage fort musste, war. Ich wusste<br />

manchmal n<strong>ich</strong>t wo <strong>ich</strong> hin sollte- habe m<strong>ich</strong><br />

nach jemandem gesehnt, der m<strong>ich</strong> in <strong>die</strong>sem Moment<br />

versteht und in derselben Situation ist. Dem <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />

r<strong>ich</strong>tig verständl<strong>ich</strong> machen konnte.<br />

Und dennoch: Die Familie und <strong>die</strong> Kinder nahmen m<strong>ich</strong><br />

liebevoll und offenherzig auf und machten vieles le<strong>ich</strong>ter<br />

für m<strong>ich</strong>. Ich war froh, als <strong>ich</strong> am Ende fürs Erste fahren<br />

und m<strong>ich</strong> erholen konnte. Aber <strong>ich</strong> wusste auch:<br />

„Ngisubuya“ – „Ich komme <strong>wie</strong>der.“<br />

Ich habe gelernt, <strong>wie</strong><br />

es s<strong>ich</strong> anfühlt, nach<br />

einer kaum<br />

geschlafenen Nacht,<br />

wo fremde Geräusche<br />

um <strong>die</strong> Hütte<br />

schle<strong>ich</strong>en, kein Essen<br />

zu haben.<br />

Wie es ist, etwas zu<br />

essen, auch wenn man<br />

es n<strong>ich</strong>t will und einem<br />

davon schlecht wird.<br />

Wie es ist, wenn <strong>die</strong><br />

ganze <strong>Zeit</strong> Ameisen<br />

auf einem herum und<br />

in seinem Essen<br />

krabbeln und man s<strong>ich</strong><br />

dreckiger denn je<br />

fühlt.<br />

Ich habe gelernt<br />

<strong>die</strong>ses Tal zu lieben<br />

und <strong>die</strong> Menschen.


Und einzusehen, dass <strong>ich</strong> hier n<strong>ich</strong>t hingehöre.<br />

Ich bin sehr dankbar für <strong>die</strong>se <strong>Zeit</strong>. Sie war mein<br />

Schlüsselloch durch das <strong>ich</strong> in eine andere Welt blicken<br />

konnte, <strong>die</strong> <strong>ich</strong> wohl nie begreifen werde. Und in ein<br />

anderes Leben, von dem <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t weiß, ob <strong>ich</strong> es leben<br />

könnte.<br />

Ich habe <strong>wie</strong>der neue Freunde gefunden, mehr noch:<br />

Menschen, <strong>die</strong> mir ein Stück weit Familie waren und <strong>die</strong><br />

<strong>ich</strong> sehr lieb gewonnen habe und <strong>ich</strong> bin mir s<strong>ich</strong>er, dass<br />

mein Weg m<strong>ich</strong> auf meinen letzten Monaten noch oft in<br />

das Tal und zu den kleinen Rundhütten führen wird.<br />

Ich denke an sie. Frage m<strong>ich</strong>,<br />

<strong>wie</strong> es ihnen wohl gerade geht<br />

und was sie treiben. Mache mir<br />

Sorgen, weil Lungelos Mutter<br />

kam um ihn zu s<strong>ich</strong> zu holen.<br />

Ebenso <strong>wie</strong> <strong>ich</strong> nach der Schule<br />

oft nur schweren Herzens<br />

gehen kann und m<strong>ich</strong> frage, ob<br />

es den Kindern wohl gerade gut<br />

geht.<br />

Was <strong>ich</strong> da<strong>mit</strong> sagen will, ist,<br />

dass <strong>ich</strong> an jeden Einzelnen<br />

derer, <strong>die</strong> <strong>ich</strong> in Deutschland<br />

zurückgelassen habe so oft und<br />

intensiv denke und mir <strong>mit</strong><br />

ganzer Herzenskraft wünsche,<br />

dass es Euch gut geht!<br />

Und auf einmal kommen so<br />

viele Menschen dazu, an denen<br />

mein Herz hängt.<br />

So viele neue Schicksale, <strong>die</strong> m<strong>ich</strong> berühren.<br />

Bis bald meine Lieben, <strong>ich</strong> denke an Euch.


Eine <strong>fest</strong>e Umarmung,<br />

Eure Laura<br />

Kontakt:<br />

Laura Antosch<br />

c/o Frikkie Adams<br />

P.O. Box 1107<br />

Hillcrest 3650<br />

South Africa<br />

Laura.Antosch@googlemail.com<br />

Spendenkonto:<br />

Kontoinhaber: Weltweite Initiative e.V.<br />

Konto: 861 1300<br />

BLZ: 550 20 500 (Bank für<br />

Sozialwirtschaft)<br />

Betreff: „Spende wise e.V. 80058“<br />

(bitte sonst n<strong>ich</strong>ts in den Betreff<br />

schreiben)<br />

http://phillip.mwm.de<br />

www.weltweite-initiative.de<br />

www.wortwechsel-weltweit.de (endl<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> der ersten Freiwilligenzeitung<br />

unseres Jahrganges)

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