Gleitend zur Impulserhaltung - Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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PdN-PhiS 1/58. Jg. 2009
Gleitend zur Impulserhaltung
Versuche mit dem Luftkissengleiter
A. Sperber, F. Fiedler, W. Heuper u. Th. Trefzger
1 ❙ Wie macht man
die Impulserhaltung erlebbar?
● Dies war eine Kernfrage bei der Entwicklung
eines Schülerlabors zur vektoriellen
Mechanik im Rahmen einer Staatsexamensarbeit
[1]. Meist wird die Impulserhaltung
über Stöße auf der Luftkissenfahrbahn
oder mehrdimensional mit Stößen auf dem
Luftkissentisch veranschaulicht.
Auf der Luftkissenfahrbahn können sowohl
elastische als auch inelastische Stöße zwischen
Gleitern unterschiedlicher Masse
durchgeführt werden. Die Geschwindigkeit
der Gleiter vor und nach dem Stoß wird
zum Beispiel mit Cassy 1 und zwei Lichtschranken
bestimmt. Über den Zusammenhang
p = mv wird mithilfe der gewogenen
Masse des Gleiters der Impuls bestimmt.
Diese Experimentieranordnung erlaubt,
ein für Schulverhältnisse sehr genaues
Nachmessen der Impulserhaltung, hat
aber den Nachteil, dass der Vektorcharakter
des Impulses nur durch das Vorzeichen
der Komponente parallel zur Fahrbahn repräsentiert
wird.
Veranschaulicht man den Impuls durch Stöße
auf dem Luftkissentisch, so wird zwar
der Vektorcharakter berücksichtigt, dafür
ist aber die Auswertung des Versuches erschwert.
Eine Möglichkeit der Auswertung
besteht darin, zunächst einen Stoß zwischen
zwei Pucks, deren Masse zuvor bestimmt
wurde, auf Video aufzunehmen
und dann mit einem entsprechenden Auswertungsprogramm
(im Schülerlabor wurde
VIMPS [2,1] verwendet) die Messwerte
zu ermitteln. Der Vorteil des etwas komplexeren
Versuches besteht darin, dass an
einem Stoß sowohl die einzelnen Impulskomponenten
sowie der Gesamtimpuls
untersucht werden können.
1 Cassy steht für Computer Assisted Science SYstem und ist eine
kaskadierbare Messwerterfassung von Leybold für den USB-
Port oder die serielle Schnittstelle. [5]
Abb. 1: Luftkissengleiter
Bei den bisher beschriebenen Versuchen
können die Schülerinnen und Schüler die
Stoßphysik nicht „am eigenen Leibe“ erfahren.
Um dies zu ermöglichen, wurden zwei
Luftkissengleiter gebaut und im Schülerlabor
auf ihre Einsatzfähigkeit hin getestet.
Unter Luftkissengleitern werden hierbei
nicht die kleinen Gleiter für die Luftkissenfahrbahn
verstanden, sondern große Gleiter,
auf denen jeweils eine Person sitzen
kann (siehe Abb. 1). Es wurden zwei Gleiter
gebaut, so dass sich die Möglichkeit des
physikalischen „Autoscooterspielens“ ergibt
und die Schülerinnen und Schüler die Impulserhaltung
unmittelbar spüren können.
Eine Bauanleitung für solche Luftkissengleiter
befindet sich in Kasten 1. Der Gleiter
funktioniert so, dass durch zwei Gebläse ein
Überdruck zwischen der Grundplatte und
der mit entsprechenden Löchern versehenen
Teichfolie erzeugt wird. Wie bei den
oben beschriebenen Versuchen auf Luftkis-
Praxis-Magazin 33
senfahrbahn und Luftkissentisch kann die
Reibung aufgrund der strömenden Luft vernachlässigt
werden.
2 ❙ Einsatz im Unterricht
● Luftkissengleiter sind vielseitig im Unterricht
einsetzbar. Im Folgenden werden Versuche
zu verschiedenen Themenbereichen
vorgestellt:
• Trägheit
Zurückgreifend auf eine Idee von Heuper
[3] werden die Schülerinnen und
Schüler zur Illustration der Trägheit angehalten,
unterschiedlich stark beladene
Gleiter mit den Füßen zu stoppen.
Aus der Beobachtung, dass es wesentlich
schwerer ist, einen stärker beladenen
Gleiter zu stoppen, können die Experimentierenden
leicht Rückschlüsse
auf die Trägheit ziehen. Ferner besteht
die Möglichkeit, an dieser Stelle, wie
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Praxis-Magazin PdN-PhiS 1/58. Jg. 2009
Abb. 2: Tauziehen
vom Karlsruher Physikkurs [4] gefordert,
den Impuls als Wucht zu veranschaulichen
und darzustellen, da er sowohl
mit der Masse als auch mit der Geschwindigkeit
des Gleiters zunimmt.
• Reibung
Ein sehr einfacher Versuch widmet sich
der Reibungsthematik, indem ein Schüler
oder eine Schülerin gebeten wird,
den Gleiter einmal unangeschaltet und
einmal angeschaltet zu bewegen. Weil
die Batterie sehr schwer ist, wird hierbei
schnell deutlich, dass der Gleiter ohne
angeschaltetes Gebläse kaum bewegt
werden kann. Dies kann leicht auf die
Reibung zurück geführt werden.
• Rückstoßprinzip
Bei diesem Versuch sitzt ein Schüler auf
dem Gleiter, und ein anderer wirft ihm
einen Ball zu, dessen Fangen nach dem
Rückstoßprinzip eine Bewegung des
Gleiters nach sich zieht. Diesen Versuch
entwickelten die Schülerinnen und
Schüler eigenständig in der Pause des
Schülerlabors mit Bällen, die für einen
anderen Versuch vor Ort waren. Als besonders
gut geeignet erwiesen sich
Volleybälle.
• Tauziehen
Eine weitere Experimentengruppe ist
das Tauziehen. Hierzu werden zwei
Gleiter benötigt, auf denen je eine Person
Platz nimmt. Die beiden Gleitenden
halten jeweils ein Tauende fest (siehe
Abbildung 2) und ziehen zunächst beide
am Tau. Dies hat zur Folge, dass sich
beide aufeinander zu bewegen. Zieht
hingegen nur eine Person am Tau, hat
dies den gleichen Effekt. Sehr schön veranschaulicht
wird das Grundprinzip actio
gleich reactio, wenn man statt eines
Taus eine lange Feder verwendet, die
dann im Versuch gleichmäßig gedehnt
wird. Der kritische Punkt am Versuch ist
die Belastbarkeit der Feder, da leicht
vergleichsweise große Kräfte auftreten.
• Stöße
Das Ziel beim Durchführen von Stößen
ist, die Impulserhaltung zu veranschaulichen.
Der Impuls vor dem Stoß ist der
des fahrenden Gleiters, nach dem Stoß
die Summe der Impulse der beiden
Gleiter, da nur selten ein Gleiter nach
dem Stoß ruht. Wiederum tritt der Vektorcharakter
des Impulses zu Tage.
Wenn ein Gleiter nach dem Stoß „zurück“
fährt, kann dies als negative Impulskomponente
gedeutet werden.
Beim Durchführen von Stößen kann das
Problem auftreten, dass sich die beiden
Gleiter ineinander verhaken. Dies kann
zwei Ursachen haben: Entweder ist die
Massendifferenz zwischen den beiden
Gleitern so groß, so dass die Gleiterplatten
einen unterschiedlichen Abstand
zum Boden haben. Alternativ kann das
daran liegen, dass die stoßenden Gleiter
eine zu hohe Relativgeschwindigkeit haben.
Arbeitet man also mit langsamen
Gleitern und signifikanter, aber nicht zu
großer Beladungsdifferenz, so kann
man gut Stöße beobachten.
• Zerfallsprozesse
Das Rückstoßprinzip kann unter Nutzung
zweier Gleiter dazu dienen, Zerfallsprozesse
zu simulieren. Beispielsweise
kann man einen ruhenden Kern
mit einem beladenen und das stoßende
Teilchen mit einem leichteren Gleiter
identifizieren. Der Kern emittiert
dann beispielsweise einen Volleyball.
Diese Versuchsreihe wurde an einem
Gymnasium durchgeführt und fand
dort ebenfalls regen Zuspruch.
• Wechselwirkung durch Teilchenaustausch
In der Teilchenphysik werden Wechselwirkungen
durch den Austausch virtueller
Teilchen beschrieben. Dieses
Prinzip kann erfahrbar gemacht werden,
wenn sich zwei Personen, die jeweils
auf einem Gleiter sitzen, einen
Ball hin und her zuwerfen und sich dadurch
voneinander entfernen. Dieser
Versuch wurde in einem Physik-Leistungskurs
und im Rahmen eines Vortrags
für Oberstufenschüler zur Veranschaulichung
durchgeführt und war bei
den Schülern sehr beliebt.
3 ❙ Erfahrungen
● Es muss bei allen Versuchen darauf geachtet
werden, relativ mittig auf dem (auf
der Batterie liegenden) Brett zu sitzen, damit
das Gewicht ungefähr im Zentrum des
Gleiters liegt, ansonsten droht die Person
mit dem Brett umzukippen. Das Gewicht
des Fahrenden kann bis zu 100 kg betragen,
stärker beladene Tests wurden nicht durchgeführt.
Generell sollte man vor den eigentlichen
Versuchen etwas Zeit einplanen,
in der die Schülerinnen und Schüler ihre Balance
beim Gleiten finden können.
Im Schülerlabor war die Begeisterung über
die Luftkissengleiter so groß, dass jede Pause
zum Gleiten genutzt wurde. Auch bei anderen
Veranstaltungen wurden die Gleiter
vom Publikum stark frequentiert, so dass
ein Nachbau dieser Gleiter zur Motivation
der Schülerinnen und Schüler empfehlenswert
erscheint.
Literatur
[1] A. Sperber: Entwicklung und Aufbau eines Schülerlabors
zur vektoriellen Mechanik. Staatsexamensarbeit,
Johannes Gutenberg-Universität
Mainz, 2007.
[2] L.-P. May: Analyse realer Bewegungsvorgänge
im Physikunterricht: Zum Einsatz eines Videomessund
-präsentationssystems mit Anwendungsbeispielen
aus Physik und Sport. Examensarbeit, Johannes
Gutenberg-Universität Mainz, 2001.
[3] W. Heuper: Bauanleitung für einen Luftkissengleiter
(Tragfähigkeit über 100 kg), in A. Sperber:
Entwicklung und Aufbau eines Schülerlabors zur
vektoriellen Mechanik. Staatsexamensarbeit, Johannes
Gutenberg-Universität Mainz, 2007. S.137.
[4] F. Herrmann: Der Karlsruher Physikkurs Teil 1:
Energie, Impuls, Entropie, Aulis 2006.
[5] M. Hund: CASSY Lab-Handbuch, Leybold, 2002.
[6] E. Valadares: Spaß mit Physik - Kreative Experimente
für Schule und Freizeit, Aulis, Köln 2006.
Anschrift der Verfasserin
Anke Sperber, Am Gonsenheimer Spieß 19,
55122 Mainz, E-Mail: anke_sperber@gmx.de
PdN-PhiS 1/58. Jg. 2009
Bauanleitung für einen Luftkissengleiter
Die Grundidee zum Bau der Luftkissengleiter ist Valadares [6] entnommen.
In abgewandelter Form von Heuper [3] diente sie als Vorlage für die im Rahmen
einer Examensarbeit [1] entstandenen Gleiter. Allerdings wurden die Luftkissengleiter
gezielt etwas robuster gebaut um später Stöße damit durchführen
zu können.
Materialien
Siebdruckplatte/ Spanplatte Durchmesser 1 m, etwa 16 mm stark
Teichfolie Durchmesser etwa 1,20 m
Plastikscheibe (Durchmesser etwa 25 cm) (z. B. Plastikteller, flach, ca. 25 cm
Durchmesser, oder ausgeschnittener Boden eines Plastikeimers; es geht aber
auch ein Holzbrett, das man mit der Stichsäge rund schneidet und dessen
Kanten man etwas abrundet)
Schlossschraube M6 mit großer Unterlegscheibe und passender Mutter
Karosserieband/ Gewebeband
2 Gebläse für 12 Volt (zum Beispiel Campingartikel zum Aufpumpen von Luftmatratzen)
Autobatterie
Tacker mit Nadeln (nicht unbedingt nötig)
kleine Holzstücke zum Befestigen der Autobatterie
Bauanleitung
In die Siebdruckplatte werden drei Löcher gebohrt: In der Mitte eines für die
Schlossschraube (Durchmesser 6,5 mm) und daneben in einem Abstand von
etwa 25 cm gemessen von der Mitte des Gleiters zwei für die Gebläse (Lochdurchmesser
entsprechend der Größe des Gebläseluftaustrittes).
Die Teichfolie muss so geschnitten werden, dass sie möglichst gleichmäßig
etwa 2 cm übersteht, damit sie später mit dem Karosserieband und den Tackernadeln
an der Oberseite des Gleiters befestigt werden kann. In der Mitte
der Teichfolie wird die Plastikscheibe befestigt. Diese sorgt dafür, dass sich
beim Einblasen ein ringförmiger Wulst bildet; sie muss gut befestigt sein, damit
die Folie in der Mitte nicht ausreißt. In die Teichfolie werden Löcher in zwei
konzentrischen Kreisen geschnitten. Der erste Lochkreis im Abstand von etwa
5 cm von der Plastikscheibe besteht aus Löchern mit 3 cm Durchmesser, der
zweite im Abstand von 12 cm aus 7 cm großen Löchern. Für eine schematische
Darstellung der Anordnung siehe Abb. A. Die Folie wird nun so befestigt,
dass die Austrittslöcher der Gebläse mittig zwischen zwei Löchern der Folie
liegen. Die Folie wird auf der Oberseite umgeschlagen, mit dem Karosserieband
an der Oberseite fest geklebt und zusätzlich noch an der Holzplatte angetackert.
Nun wird die Plastikscheibe durchbohrt und mit der Schlossschraube
in der Mitte der Unterseite (Folienseite) angebracht. Die Batterie
wird mittig auf die Oberseite gestellt und mit den Gebläsen verbunden. Hierzu
werden die Kontakte an die beiden Metallklammern gelötet und diese mit
der Batterie verbunden. Nun wird die eine Holzplatte mittig auf dem Gleiter
befestigt. Damit die Batterie bei Stößen nicht verrutscht, werden kleine Holzstücke
als Umgrenzung und Stütze angebracht. Zusätzlich wird ein Brett auf
die Batterie gelegt, auf dem die gleitende Person sitzen kann.
Kasten 1: Bauanleitung für den Luftkissengleiter
19 cm
Plastikscheibe
r = 12,5 cm
Abb. A: Gleiter von unten schematisch
Abb. B: Gleiter ohne Batterie
Abb. C: Gleiter von unten
28 cm
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Bauanleitung
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Praxis-Magazin PdN-PhiS 1/58. Jg. 2009
Gleitend zur Impulserhaltung – Versuche mit dem Luftkissengleiter
A. Sperber, F. Fiedler, W. Heuper u. Th. Trefzger
Im Artikel wird eine Bauanleitung für Luftkissengleiter gegeben, auf denen
eine Person sitzen kann. Mit ihnen können Schülerinnen und Schüler selbst
Stöße durchführen und damit die Impulserhaltung nachvollziehen. Darüber
hinaus werden Anwendungsmöglichkeiten der Luftkissengleiter zu den
Themen Reibung, Trägheit, Zerfallsprozesse, Rückstoßprinzip und Tauziehen
präsentiert sowie Erfahrungen hierzu aus dem Schülerlabor.
PdN-PhiS x/58, S. xx