17. Juli 1932, vor 80 Jahren: Auf „Altonaer Blutsonntag ... - habiru.de
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<strong>17.</strong> <strong>Juli</strong> <strong>1932</strong>, <strong>vor</strong> <strong>80</strong> <strong>Jahren</strong>: <strong>Auf</strong> <strong>„Altonaer</strong> <strong>Blutsonntag</strong>“ folgte <strong>de</strong>r „Preußenschlag“<br />
Der letzte Sommer <strong>de</strong>r Weimarer Republik war geprägt von blutigen Saalkämpfen und<br />
Straßenschlachten zwischen Kommunisten und Nazis, bei <strong>de</strong>nen hun<strong>de</strong>rte Menschen verletzt<br />
wur<strong>de</strong>n und zu To<strong>de</strong> kamen. Ein Ereignis sticht in dieser Zeit beson<strong>de</strong>rs heraus: Der sogenannte<br />
Altonaer <strong>Blutsonntag</strong>, <strong>de</strong>r sich dieser Tage zum <strong>80</strong>. Mal jährt. Ein geeigneter Anlass, die<br />
Ereignisse von jenem Tag noch einmal genauer zu betrachten.<br />
In meiner Familie ist ein Ereignis überliefert, welches nicht nur die Geschicke <strong>de</strong>r Familie-<br />
son<strong>de</strong>rn auch die Deutschlands maßgeblich beeinflusst hat. Mein Großvater Ferdinand Raeschke,<br />
genannt „Ferry“, war 12 Jahre alt- als er am Sonntag, <strong>de</strong>n 17 <strong>Juli</strong> <strong>1932</strong>, nachmittags vom Sport<br />
nach Hause ging, in die Kleine Marienstraße in Hamburg-Altona und dort seine Mutter, meine<br />
Uroma Anna Raeschke, erschossen <strong>vor</strong>fand. Sie war gera<strong>de</strong> 33 Jahre alt. Neben meiner Ur-Oma<br />
wur<strong>de</strong>n an diesem Tag 17 weitere Personen erschossen. Es gab Straßenkämpfe nach einem<br />
Marsch <strong>de</strong>r SA, Hitlers Sturmabteilung, <strong>de</strong>r paramilitärischen Kampfgruppe <strong>de</strong>r NSDAP.<br />
Offensichtlich wur<strong>de</strong>n alle Getöteten, bis auf die ersten bei<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>r SA angehörten, von<br />
Einsatzkräften <strong>de</strong>r Polizei erschossen. Meine Ur-Oma war unbeteiligt und unpolitisch. Sie<br />
befand sich in ihrer Wohnung im 3. Stock, bei <strong>de</strong>r Vorbereitung zum Aben<strong>de</strong>ssen, mit einem<br />
Stück Brot im Mund, als sie augenscheinlich Unruhen auf <strong>de</strong>r Straße unten bemerkte, zum<br />
Fenster ging und dabei die Gardine berührte. Schon im nächsten Augenblick muss sie eine<br />
Polizeikugel getroffen haben, sie starb wenig später an einem Kopfschuss.<br />
Der Tag wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Nazis in <strong>de</strong>ren Terminologie als <strong>„Altonaer</strong> <strong>Blutsonntag</strong>“ bezeichnet,<br />
ähnlich <strong>de</strong>m späteren „Bromberger <strong>Blutsonntag</strong>“, und drei Tage später für <strong>de</strong>n sogenannten<br />
„Preußenschlag“ benutzt, bei <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Freistaat Preußen einem Reichskommissar unterstellt<br />
wur<strong>de</strong> und die bisherige Regierung abgelöst wur<strong>de</strong>, weil sie angeblich die öffentliche Ordnung<br />
nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Damit war auch die Preußische Polizei unter <strong>de</strong>r<br />
Verfügungsgewalt <strong>de</strong>r Reichsregierung und so als potenziellen Gegner für Hitlers absolute<br />
Machtübernahme effektiv ausgeschaltet. Wie konnte es so weit kommen?<br />
Am <strong>17.</strong> <strong>Juli</strong> <strong>1932</strong> gab es einen Protestmarsch <strong>de</strong>r SA, die auch Braunhem<strong>de</strong>n genannt wur<strong>de</strong>n,<br />
durch Altona. Die Stadt Altona gehörte damals zu Preußen und lag außerhalb <strong>de</strong>r Stadtgrenzen<br />
Hamburgs, dies än<strong>de</strong>rte sich erst 1938 mit <strong>de</strong>r Eingemeindung durch das Groß-Hamburg-Gesetz.<br />
Nach <strong>de</strong>r <strong>Auf</strong>hebung <strong>de</strong>s von Reichskanzler Heinrich Brüning erlassen<strong>de</strong>n Verbotes <strong>de</strong>r SA<br />
durch <strong>de</strong>n neuen Reichskanzler Franz von Papen marschierten diese wie<strong>de</strong>r durch Deutschlands<br />
Straßen und verbreiteten allein schon durch ihre Präsenz Angst und Schrecken. Weniger als zwei<br />
Wochen <strong>vor</strong> <strong>de</strong>r nächten Reichstagswahl in Deutschland, wählte man wohl aus Provokation<br />
gezielt eine Route durch die Altonaer Innenstadt, einer politisch eher linken Gegend, auch als<br />
„rotes Altona“ bekannt, <strong>vor</strong> allem, weil es eine Arbeitersiedlung war.<br />
Eigentlich hätte es <strong>de</strong>r SPD-Regierung Preußens oblegen, <strong>de</strong>m <strong>Auf</strong>marsch <strong>Auf</strong>lagen zu machen<br />
o<strong>de</strong>r eine geeignete Polizeipräsenz zu gewährleisten. Doch dies geschah nicht. Warum haben die<br />
politisch Verantwortlichen von Politik und Polizei trotz <strong>de</strong>s Sicherheitsrisikos, das aus <strong>de</strong>m
e<strong>vor</strong>stehen<strong>de</strong>n Marsch abzusehen war, viel zu wenige Polizisten abgestellt und sich auf<br />
Wahlkampfreise o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Urlaub begeben? Waren sie <strong>de</strong>r Ansicht, die paramilitärischen<br />
Kräfte <strong>de</strong>r NSDAP wür<strong>de</strong>n schon selbst für Ordnung sorgen? O<strong>de</strong>r wollten bestimmte Kräfte ein<br />
Dekret untergraben, das kurz zu<strong>vor</strong> von <strong>de</strong>r SPD erlassen wur<strong>de</strong>, wonach die Partei beschlossen<br />
hatte, sich nicht mit <strong>de</strong>n zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n polizeilichen Mitteln gegen SA-<strong>Auf</strong>märsche<br />
zu wehren, um einen Bürgerkrieg zu verhin<strong>de</strong>rn? Die Polizei stand auf je<strong>de</strong>m Fall in jener Zeit<br />
<strong>de</strong>r Weimarer Republik unter starkem sozial<strong>de</strong>mokratischem Einfluss.<br />
Anfangs war <strong>de</strong>r Marsch friedlich, tausen<strong>de</strong> Braunhem<strong>de</strong>n kamen aus ganz Nord<strong>de</strong>utschland<br />
nach Altona. Später, gegen <strong>17.</strong>00 Uhr an diesem Samstag, stellten sich dann in <strong>de</strong>r Tat<br />
bürgerkriegsähnliche Zustän<strong>de</strong> ein. Während <strong>de</strong>s Marsches, anscheinend wie auf Kommando<br />
(Zeugen berichteten von einer an eine Wand geschmissenen Flasche) rückten die Nazis<br />
koordiniert aus ihrer Marschformation aus und verprügelten wahllos Anwesen<strong>de</strong> am Seitenrand,<br />
die sich daraufhin wehrten. Dann fielen Schüsse, zwei <strong>de</strong>r SA-Männer lagen erschossen auf <strong>de</strong>r<br />
Straße. Eine eiligst dazu gekommene Polizeieinheit teilte <strong>de</strong>n Marsch und trieb die Braunhem<strong>de</strong>n<br />
weg, um dann mittels zu wenigen, aber übereifriger und unerfahrener Männer, die sich auf <strong>de</strong>r<br />
Straße verbarrikadierten, sofort auf alles zu schießen, was sich bewegte. Das erste Opfer war<br />
meine Ur-Oma. Am En<strong>de</strong> waren 15 weitere Zivilisten tot, viele Unbeteiligte, größtenteils sogar<br />
vollkommen unpolitisch. Die Polizei sagte, sie sei beschossen wor<strong>de</strong>n, durch vermeintliche<br />
Heckenschützen. Es gab mutmaßlich gar keine Heckenschützen, da nur Opfer gefun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n,<br />
die von Polizeikugeln durchlöchert waren. Die Polizei hatte we<strong>de</strong>r Tote noch Verletzte zu<br />
beklagen. Man fand keine Waffen, und obwohl es über 100 Verhaftungen gab, konnte kein Täter<br />
ein<strong>de</strong>utig i<strong>de</strong>ntifiziert wer<strong>de</strong>n. Alle Verhafteten wur<strong>de</strong>n mangels Beweisen wie<strong>de</strong>r entlassen.<br />
Was war dort wirklich passiert? Eine riesige, inszenierte Schmierenkomödie?<br />
Tage später erfolgte <strong>de</strong>r so genannte Preußenschlag. Schon am 14. <strong>Juli</strong><strong>1932</strong> hatte sich<br />
Reichskanzler Franz von Papen eine vom Reichspräsi<strong>de</strong>nten Paul von Hin<strong>de</strong>nburg<br />
unterschriebene, undatierte Notverordnung besorgt, die er am 20.07.<strong>1932</strong> umsetzte, in <strong>de</strong>m er die<br />
amtieren<strong>de</strong> Regierung <strong>de</strong>s Freistaat Preußens absetzte und mit <strong>de</strong>r Reichswehr das<br />
Innenministerium, das Berliner Polizeipräsidium und die Zentrale <strong>de</strong>r Schutzpolizei umstellen<br />
ließ. Angeblich, weil die „öffentliche Sicherheit in Preußen nicht mehr gewährleistet schien“.<br />
Der <strong>Blutsonntag</strong> lieferte <strong>de</strong>n noch fehlen<strong>de</strong>n Anlass für diesen kleinen Staatsstreich, letztlich<br />
wur<strong>de</strong> die preußische Polizei entmachtet und <strong>de</strong>m Deutschen Reich unterstellt. Die 90.000 Mann<br />
starke Polizei Preußens war damit auch als potenzieller Wi<strong>de</strong>rsacher gegen die spätere<br />
Reichsübernahme durch Adolf Hitler ausgeschaltet. Ein Zufall, ein zwangläufiges Ergebnis <strong>de</strong>r<br />
Ereignisse, o<strong>de</strong>r so von <strong>vor</strong>n herein gewollt?<br />
Nach<strong>de</strong>m Deutschland durch die Nazis usurpiert war, klagte ein nun willfähriges Rechtssystem<br />
willkürlich 10 Männer an und verurteilte vier von ihnen zum To<strong>de</strong>. Kommunisten natürlich, die<br />
schuld gewesen sein sollen an <strong>de</strong>m <strong>Auf</strong>stand. Ein Urteil, welches nur möglich war, weil man <strong>vor</strong><br />
Gericht an<strong>de</strong>rslauten<strong>de</strong>, entlasten<strong>de</strong>, glaubwürdige Zeugenaussagen nicht berücksichtigte. Diese<br />
vier hießen: Bruno Tesch. Walter Möller. Karl Wolff. August Lütgens. Es waren die ersten<br />
Toten, die das Naziregime hinterließ. Die schlussendlichen, weiteren, schrecklichen Folgen sind<br />
bekannt: Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Naziterrors und <strong>de</strong>r Schreckensherrschaft Hitlers und <strong>de</strong>m 2. Weltkrieg<br />
waren min<strong>de</strong>stens 55 Millionen Menschen in Europa tot.
Für mich beson<strong>de</strong>rs Geschichtsträchtig: Dank <strong>de</strong>r akribischen Recherche <strong>de</strong>s französischen<br />
Historikers Léon Schirmann, <strong>de</strong>r Einblick in die Prozessakten im Lan<strong>de</strong>sarchiv Schleswig nahm,<br />
hat das Landgericht Hamburg 1992 die To<strong>de</strong>surteile gegen die vier angeblichen Täter wie<strong>de</strong>r<br />
aufgehoben. Eine späte Genugtuung. Eine <strong>Auf</strong>arbeitung <strong>de</strong>r Geschehnisse <strong>de</strong>s Tages, also <strong>de</strong>r<br />
Umstän<strong>de</strong>, wie es zu <strong>de</strong>n 18 Toten kam, ist bis heute nicht erfolgt. Immerhin ereignete sich das<br />
noch in <strong>de</strong>n letzten Wochen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratisch legitimierten Weimarer Republik, noch <strong>vor</strong> Hitlers<br />
endgültiger Machtübernahme 1933. Sofern tatsächlich sinistere Absichten und damit nie<strong>de</strong>re<br />
Motive hinter <strong>de</strong>n Ereignissen gesteckt haben, wäre es Mord, und Mord verjährt ja bekanntlich<br />
nicht, auch wenn wahrscheinlich heute alle Akteure von damals tot sein dürften.<br />
In Hamburg soll in <strong>de</strong>r 2. Jahreshälfte 2012 das neue Polizeimuseum eröffnen. Da bis heute eine<br />
formale Entschuldigung an die Familien und Nachkommen <strong>de</strong>r Opfer durch die Stadt Hamburg<br />
o<strong>de</strong>r die Polizei Hamburg aussteht, stellt sich die Frage: Wird man dort die Ereignisse<br />
thematisieren, gar eine Entschuldigung liefern?<br />
Die Ereignisse <strong>de</strong>s Tages wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Literatur bereits aufgearbeitet. Es gibt zwei Filme zum<br />
Thema, <strong>de</strong>r eine heißt: „Das Beil von Wandsbek“, nach einem gleichnamigem Buch von Arnold<br />
Zweig. Der an<strong>de</strong>re ist eine <strong>de</strong>utsche Fernsehdrama-Produktion aus <strong>de</strong>m Jahr 1982.<br />
Der oben erwähnte Historiker Schirmann hat zwei Bücher zum Thema veröffentlicht, <strong>„Altonaer</strong><br />
<strong>Blutsonntag</strong>“ sowie „Justizmanipulationen“. Diese sind zwar vergriffen, sind aber in Hamburger<br />
Bibliotheken und auch im Stadtteilarchiv Ottensen <strong>vor</strong>han<strong>de</strong>n.<br />
Außer<strong>de</strong>m ist <strong>vor</strong> zwei <strong>Jahren</strong> <strong>de</strong>r Roman „<strong>Blutsonntag</strong>“ von Robert Brack erschienen. In<br />
diesem wer<strong>de</strong>n die Ereignisse als historischer Bezug für eine fiktive Story gebraucht. Klara, die<br />
Hauptprotagonistin, arbeitet für eine kommunistische Postille. Sie hatte kurz zu<strong>vor</strong> ein Tonband-<br />
<strong>Auf</strong>nahme-Gerät erhalten und zieht damit durch die Straßen, um Stimmen zum sogenannten<br />
<strong>„Altonaer</strong> <strong>Blutsonntag</strong>“ aufzunehmen, Zeugenaussagen, weil sie ahnt, dass hier was vertuscht<br />
wer<strong>de</strong>n soll. Was sich im Laufe ihrer Ermittlungen, von <strong>de</strong>nen niemand, auch in ihrer eigenen<br />
Redaktion, etwas hören will, mehr und mehr bestätigt.<br />
Brillant: Brack arbeitet die von ihm recherchierten echten Zeugenaussagen akribisch in diese<br />
virtuellen Tonbandnachrichten ein. Dass einige Aussagen politisch motiviert gewesen zu sein<br />
scheinen, wird erst in <strong>de</strong>r Gesamtübersicht klar- ebenso, dass schon damals niemand echtes<br />
<strong>Auf</strong>klärungsinteresse hatte. Warum nicht? Und, dass <strong>de</strong>r Anführer einer wesentlich an <strong>de</strong>r<br />
Eskalation beteiligten Polizeieinheit ein überzeugter Nazi war- in <strong>de</strong>r Gesamtkonstellation ein<br />
überaus dubioser Umstand.<br />
Könnte es sein, dass <strong>de</strong>r <strong>Blutsonntag</strong> bewusst inszeniert wur<strong>de</strong>, um politischen Zielen zu dienen?<br />
Ist das eine gewagte Theorie? Nein. Die Geschichte zeigt etwas an<strong>de</strong>res. Es gehörte durchaus zu<br />
<strong>de</strong>n Praktiken <strong>de</strong>r Nazis, mittels inszenierter Anlässe Politik zu machen. Etwa geht eine Vielzahl<br />
von Historikern weltweit davon aus, dass <strong>de</strong>r Reichstagsbrand nicht nur politisch<br />
instrumentalisiert wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn dabei auch nachgeholfen wur<strong>de</strong>, um die Ermächtigungsgesetze<br />
und Verfolgung politischer Gegner durchzusetzen. Ohne Frage ist auch <strong>de</strong>r Überfall auf <strong>de</strong>n<br />
Sen<strong>de</strong>r Gleiwitz ein tiefenpolitisches Ereignis, im <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utsche SS-Soldaten in polnischen<br />
Uniformen „unter falscher Flagge“ <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Sen<strong>de</strong>r angriffen und ein polnischer
Gefangener als Beweis für diesen Angriff tot hinterlassen wur<strong>de</strong>. So wur<strong>de</strong> ein<br />
Kriegsanlassgrund gefälscht, in <strong>de</strong>m man <strong>de</strong>r Weltöffentlichkeit einen polnischen Angriff<br />
suggerierte. Das Schema <strong>de</strong>s <strong>Blutsonntag</strong>s erinnert von <strong>de</strong>r <strong>Auf</strong>machung her schon an <strong>de</strong>n<br />
Reichstagsbrand o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Angriff auf <strong>de</strong>n Sen<strong>de</strong>r Gleiwitz.<br />
Meinen Großvater wur<strong>de</strong> durch die Umstän<strong>de</strong> nachhaltig geprägt. Als Halbwaise musste er sich<br />
sprichwörtlich alleine durch das Leben schlagen- und so wur<strong>de</strong> er erst erfolgreicher Amateur-<br />
und nach <strong>de</strong>m Krieg ebenso erfolgreicher Profiboxer.<br />
Als Amateurboxer wur<strong>de</strong> er 1941 Deutscher Meister und 1942 in Ungarn Europameister im<br />
Weltergewicht, ein Titel, <strong>de</strong>r ihm nach <strong>de</strong>m Krieg aberkannt wur<strong>de</strong>, weil in <strong>de</strong>r Kriegszeit nicht<br />
alle Län<strong>de</strong>r Europas teilnahmen. Anschließend kam er in eine Sportlerdivision, die an <strong>de</strong>r<br />
Ostfront kämpfte. Dort erlitt er einen Oberarmdurchschuss, <strong>de</strong>r seine Amateurboxerkarriere<br />
been<strong>de</strong>te, aber wahrscheinlich sein Leben rettete, da er wie<strong>de</strong>r nach Hause kam. Außer<strong>de</strong>m<br />
wur<strong>de</strong> die Wohnung <strong>de</strong>r Familie in Hamburg bei einem Fliegerangriff ausgebombt. Wie man<br />
sieht, musste mein Großvater durch das Naziregime viele Tiefschläge verkraften.<br />
Er ließ dich jedoch Zeit seines Lebens nicht unterkriegen. Schon im September 1945 bestritt er<br />
seinen ersten Profiboxkampf gegen Jo Neff. Seine Bilanz als Profiboxer: 39 Siege, davon 10<br />
durch K.O., 12 Unentschie<strong>de</strong>n, bei nur 6 Nie<strong>de</strong>rlagen. Später eröffnete er in Hamburg St. Pauli,<br />
Ecke Seilerstraße, Detlev-Bremer-Straße eine Kneipe, erst unter <strong>de</strong>m Namen „Cap Der Guten<br />
Hoffnung“, später unter „Bei Ferry“ bekannt, und hat dort viele, viele Jahre lang unter an<strong>de</strong>rem<br />
auch sehr bekannte Sportler bewirtet.<br />
Mein Großvater starb am 16. Juni 1987 in seinem Altersitz in Buchholz in <strong>de</strong>r Nordhei<strong>de</strong> im<br />
Kreise seiner Familie. Der Altonaer <strong>Blutsonntag</strong> sollte nicht vergessen wer<strong>de</strong>n. Das ist <strong>de</strong>r<br />
Wunsch unserer Familie.<br />
Dirk Gerhardt, Han<strong>de</strong>loh, <strong>Juli</strong> 2012<br />
Zu <strong>de</strong>n Opfern <strong>de</strong>s <strong>17.</strong> <strong>Juli</strong> gehörten<br />
Die zivilen Opfer:<br />
Emil Fühler, 72, Rentner<br />
Emil Fydrich, 29, Seemann<br />
Walter Gehrke, 21, Bote<br />
Erwin Gess, 23, Arbeiter
Adolf Hagen, 35, Maurer<br />
Walter Jackisch, 46, Tischler<br />
Franz Kalinowski, 48, Arbeiter<br />
Emil Kerpl, 57, Anstreicher<br />
Willi Miersch, 25, Melker<br />
Hermann Ragotzki, 48, Arbeiter<br />
Anna Raeschke, 33, Hausfrau<br />
Karl Rasch, 28, Arbeiter<br />
Hans Schmitz, 79, Rentner<br />
Erna Sommer, 19, Dienstmädchen<br />
Helene Winkler, 44, Hausfrau<br />
Emma Würz, 33, Hausfrau<br />
Die SA-Angehörigen:<br />
Peter Büddig, 24, Seemann<br />
Heinrich Koch, 28, Kellner<br />
Robert Brack: <strong>Blutsonntag</strong><br />
Verlag: Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, (2010)<br />
ISBN-10: 3894017287<br />
ISBN-13: 978-3894017286