Frankfurt in Takt Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt
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<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> <strong>Takt</strong><br />
Magaz<strong>in</strong> der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
Schwerpunktthema<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
10. Jahrgang, Nr. 2 W<strong>in</strong>tersemester 2010/2011<br />
www.hfmdk-frankfurt.de
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<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Inhalt<br />
Schwerpunktthema<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
2 Editorial<br />
Kulturcampus für die Kunst von morgen<br />
4 Der „kognitiven Explosion“ kann sich ke<strong>in</strong>er entziehen<br />
E<strong>in</strong> Interview mit den Professoren Dr. Maria Spychiger,<br />
He<strong>in</strong>er Goebbels und Bernhard Wetz<br />
10 Das Andere stärkt das Eigene<br />
Von Gerhard Koch<br />
14 Der Musiker als tanzender Derwisch<br />
Von Ra<strong>in</strong>er Römer<br />
18 Experimentierfeld für die künstlerische Moderne<br />
Das <strong>Frankfurt</strong> LAB<br />
Von Sab<strong>in</strong>e Stenzel<br />
22 Wenn der Schlachthof zur Kulisse wird<br />
– visualisierte Musik als „Transduktion“<br />
Tjark Ihmels und Gerhard Müller-Hornbach im Interview<br />
24 Mit dem Mut zum Tabu-Bruch<br />
Von Gerhard Mantel<br />
26 Nur Interdiszipl<strong>in</strong>äres hat e<strong>in</strong>e Chance: „Tanz der Künste“<br />
Von Julian Kle<strong>in</strong><br />
29 Der Körper ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />
Der Studiengang „Choreographie und Performance“<br />
Von Gerald Siegmund<br />
32 E<strong>in</strong> Austausch, der wach hält und Mut macht<br />
Das Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiatenwerk<br />
Von Wolfgang Eimer<br />
34 Sublimierter Streit – zur Soziologie der Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
Von Tilman Allert<br />
38 Die Hochschule als Brutstätte für Neugier und Wachheit<br />
Claudia Doderer im Interview über das Musiktheater<br />
„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“<br />
Statements zur Frage<br />
„Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
16 Sibylle Cada<br />
19 Yurgen Schoora<br />
23 Hubert Buchberger<br />
25 Christoph Schmidt<br />
28 Till Krabbe<br />
31 Dieter Heitkamp<br />
33 Jörg Heyer<br />
33 Ralph Abele<strong>in</strong><br />
37 Werner Jank<br />
39 Christopher Brandt<br />
40 Mart<strong>in</strong>a Peter-Bolaender<br />
45 Udo Samel<br />
46 Hedwig Fassbender<br />
Freunde und Förderer<br />
41 Förderprojekte 2010 der Gesellschaft der Freunde und Förderer<br />
der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> e.V.<br />
42 <strong>Frankfurt</strong>s Oberbürgermeister<strong>in</strong> gratuliert zur Wiederwahl<br />
Persönliches<br />
44 „Man darf sich nicht hypnotisieren lassen von dem,<br />
was man vermeiden will“<br />
E<strong>in</strong> Interview mit Helmut Lachenmann<br />
47 Systemübergreifend mit südländischem Flair<br />
Laura Ruiz Ferreres hat an der <strong>HfMDK</strong> e<strong>in</strong>e Professur für<br />
Klar<strong>in</strong>ette angetreten<br />
47 Experte für historisches Oboespiel<br />
Benoit Laurent ist seit dem Sommersemester Professor<br />
an der <strong>HfMDK</strong><br />
48 Das Trio Atanassov siegte „beim 2. Internationalen<br />
Commerzbank-Kammermusikpreis“<br />
48 Impressum
2<br />
Editorial<br />
Kulturcampus für die Kunst von morgen<br />
Liebe Angehörige und Freunde unserer Hochschule,<br />
Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>in</strong> dieser Ausgabe von „<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong>“ stellen wir die Frage nach<br />
dem Stellenwert der Interdiszipl<strong>in</strong>arität <strong>in</strong> der Ausbildung unserer<br />
Studierenden. Die Antworten unserer Autoren s<strong>in</strong>d so vielfältig wie<br />
unsere Hochschule, und das ist gut so. Wir wollen ke<strong>in</strong>e abgeklär-<br />
ten Wahrheiten publizieren, sondern zur Diskussion und zum<br />
Nachdenken über unsere Hauptaufgabe anregen: die Ausbildung<br />
des künstlerischen Nachwuchses. Und so danke ich an dieser Stelle<br />
allen, die mit ihren Beiträgen mitgeholfen haben, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes<br />
und facettenreiches Bild unserer Hochschule zu zeichnen.<br />
Die Notwendigkeit <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Arbeitens stellt ke<strong>in</strong> Beitrag<br />
dieses Heftes <strong>in</strong> Frage. Doch die Texte offenbaren, wie unterschied-<br />
lich deren Autor<strong>in</strong>nen und Autoren <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten<br />
def<strong>in</strong>ieren: die e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> eher engem Rahmen, <strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>e solide<br />
handwerkliche Ausbildung <strong>in</strong> den Mittelpunkt stellen und z.B. die<br />
Beschäftigung e<strong>in</strong>es Musikers mit Musiktheorie schon als <strong>in</strong>terdis-<br />
zipl<strong>in</strong>äre Ausbildung begreifen. Andere fassen ihre Vorstellung<br />
weiter und fordern die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Welten jenseits<br />
des eigenen Faches, um die Beunruhigungen zu ermöglichen, die<br />
schöpferische Künstler brauchen. Wie viel von dieser Unruhe <strong>in</strong> der<br />
künstlerischen Ausbildung notwendig ist, darüber diskutieren wir<br />
seit langem auf vielen Ebenen und werden dies weiter tun.<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Ausführlich gehen wir <strong>in</strong> diesem Heft auf e<strong>in</strong> großes <strong>in</strong>terdiszipli-<br />
näres Projekt e<strong>in</strong>, das die Hochschule seit fast zwei Jahren<br />
vorbereitet: die Uraufführung des Musiktheaters „Mond.F<strong>in</strong>sternis.<br />
Asphalt“ am 22. Oktober 2010 im Bockenheimer Depot. Durch die<br />
Entwicklungen der letzten Wochen kommt dem genannten<br />
Aufführungsort nun e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung zu: Die Landesre-<br />
gierung und die Stadt <strong>Frankfurt</strong> haben Ende August geme<strong>in</strong>sam<br />
beschlossen, das alte Gelände der Johann Wolfgang Goethe-Uni-<br />
versität rund um das Bockenheimer Depot <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Kulturcampus zu<br />
verwandeln und der <strong>HfMDK</strong> an diesem Ort e<strong>in</strong>en kompletten<br />
Neubau zu ermöglichen. <strong>Frankfurt</strong> bekommt somit e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartiges<br />
kulturelles Zentrum: In unmittelbarer Nachbarschaft zur neuen<br />
Hochschule werden auch das Ensemble Modern, die Junge<br />
Deutsche Philharmonie, die Motion Bank der The Forsythe Company<br />
und die Hessische Theaterakademie ihren Sitz an den Campus<br />
Bockenheim verlegen. Auch das <strong>Frankfurt</strong> LAB, an dem neben den<br />
bereits genannten Institutionen auch das Künstlerhaus Mousonturm<br />
partizipiert, wird von der Schmidtstraße auf das Gelände am Depot<br />
umziehen. Mit dem Senckenberg Forschungs<strong>in</strong>stitut und Naturmu-<br />
seum ist e<strong>in</strong>e weitere kulturell-wissenschaftliche Institution von<br />
<strong>in</strong>ternationaler Bedeutung schon jetzt an diesem Ort präsent, die<br />
sich als Teil des neu entstehenden Kulturcampus` begreift. So<br />
entsteht auf dem Kulturcampus Bockenheim rund um die <strong>HfMDK</strong><br />
e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartiger Ausbildungs-, Veranstaltungs- und Produktionsort<br />
für die Kunst von morgen, der europaweit ohne Vorbild ist.
Das politische Ja zum Kulturcampus Bockenheim ist sicherlich die<br />
wichtigste Entscheidung über die Zukunft unserer Hochschule, die<br />
<strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten getroffen wurde. Unser Dank gilt vor<br />
allem der <strong>Frankfurt</strong>er Oberbürgermeister<strong>in</strong> Dr. Petra Roth und dem<br />
ehemaligen F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister des Landes Hessens, Karlhe<strong>in</strong>z Weimar,<br />
die mit dieser Entscheidung der <strong>HfMDK</strong> zu e<strong>in</strong>er großartigen<br />
Perspektive an e<strong>in</strong>em geradezu idealen Standort verholfen haben.<br />
Die Entwicklung der <strong>HfMDK</strong> bleibt also dynamisch und lebendig;<br />
mit ihr geht es gut voran. Verfolgen Sie mit uns, wie unsere<br />
Hochschule mit wachsender Vernetzung <strong>in</strong> Stadt und Land weiter<br />
an Bedeutung gew<strong>in</strong>nt.<br />
Thomas Rietschel<br />
Bockenheimer Depot | <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
Uraufführung: Freitag 22.Oktober 20 Uhr<br />
Weitere Term<strong>in</strong>e: Samstag 23. Oktober<br />
und Sonntag 24. Oktober jeweils 20 Uhr<br />
3
4 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Der „kognitiven Explosion“<br />
kann sich ke<strong>in</strong>er entziehen<br />
E<strong>in</strong> Interview mit den Professoren Dr. Maria Spychiger,<br />
He<strong>in</strong>er Goebbels und Bernhard Wetz<br />
E<strong>in</strong> Pianist, e<strong>in</strong>e Musikpädagog<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Theaterwissenschaftler im<br />
Gespräch – das ist Interdiszipl<strong>in</strong>arität pur. Zugleich aber auch e<strong>in</strong><br />
scharfkantiges Kommunikationsdreieck im geme<strong>in</strong>samen Erörtern<br />
der Frage, wann das kreative Mite<strong>in</strong>ander zwischen Diszipl<strong>in</strong>en<br />
ungeahnte Früchte trägt und wann es Gefahr läuft, aktionistisch<br />
vom „Kerngeschäft“ abzulenken. Wenige Frageimpulse reichten aus,<br />
um die drei Interviewpartner mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> e<strong>in</strong> konträr verlaufendes<br />
Gespräch über Chancen und Risiken von praktizierter Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
<strong>in</strong> der künstlerischen Ausbildung zu br<strong>in</strong>gen. Es offenbarte<br />
die Unterschiedlichkeit der Perspektiven, aber auch die geme<strong>in</strong>same<br />
E<strong>in</strong>sicht, dass Interdiszipl<strong>in</strong>arität weit mehr ist als nur e<strong>in</strong><br />
temporärer Modebegriff, sondern eher e<strong>in</strong>e künstlerische Haltung<br />
und immer mehr e<strong>in</strong>e pragmatische Notwendigkeit. Der Diskussion<br />
stellten sich Klavierprofessor und Instrumentaldidaktiker Bernhard<br />
Wetz (zugleich Ausbildungsdirektor für Instrumental- und Gesangspädagogik<br />
im Fachbereich 1 der <strong>HfMDK</strong>), die wissenschaftliche<br />
Musikpädagog<strong>in</strong> Prof. Dr. Maria Spychiger (Fachbereich 2) und<br />
He<strong>in</strong>er Goebbels. Der Professor für Angewandte Theaterwissenschaft<br />
<strong>in</strong> Gießen ist Präsident der Hessischen Theaterakademie und<br />
zugleich praktizierender Künstler als Komponist und Regisseur. Die<br />
Hessische Theaterakademie hat ihren Sitz an der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong><br />
am Ma<strong>in</strong> und ist mit ihr durch zahlreiche Kooperationen eng<br />
verbunden.<br />
Die Pflege der<br />
künstlerischen Ursubstanz<br />
darf weder zeitlich<br />
noch <strong>in</strong>haltlich<br />
bee<strong>in</strong>trächtigt werden.<br />
Bernhard Wetz<br />
Von l<strong>in</strong>ks nach rechts:<br />
Besteht auf e<strong>in</strong>e solide „Ursubstanz“:<br />
Klavierprofessor Bernhard Wetz.<br />
Beschreibt die Entwicklung der letzten Jahre<br />
als e<strong>in</strong>e „kognitive Explosion“:<br />
die wissenschaftliche Pädagogik-Professor<strong>in</strong><br />
Dr. Maria Spychiger.<br />
Möchte Studierende auf die Komplexität ihres<br />
späteren Berufslebens angemessen<br />
vorbereiten: der Komponist und Regisseur<br />
Prof. He<strong>in</strong>er Goebbels.<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> Welchen Stellenwert räumen Sie Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
<strong>in</strong> Ihrer Arbeit mit Studierenden e<strong>in</strong> – ist sie Pflicht oder Kür?<br />
Prof. Bernhard Wetz Me<strong>in</strong>er Überzeugung nach ist Musizieren per se<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Fühlen, Denken und Handeln. Die Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
beg<strong>in</strong>nt da, wo der Musiker sich beim Musizieren e<strong>in</strong>er Vielschichtigkeit<br />
bewusst wird und sie zu vernetzen versteht. In dem<br />
Moment, wenn er e<strong>in</strong> Werk spielt, muss er neben der technischen<br />
Präzision e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong>, zum Beispiel für harmonische Vorgänge<br />
und Spannungsverläufe, haben für das Hören bei sich selbst, aber<br />
auch gerade dafür, was beim Hörer (und Zuschauer) ankommt. Es<br />
erfordert das Geschick des Lehrenden, für alle Diszipl<strong>in</strong>en wie<br />
Klang, Syntax, Hermeneutik und weitere Parameter, die beim<br />
Musizieren gefragt s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e Sensibilität und Möglichkeiten für<br />
deren Umsetzung zu schaffen. Dies zu vermitteln, ist vorrangig,<br />
bevor wir den Kreis um sekundäre Diszipl<strong>in</strong>en wie Bewegungslehre<br />
und Bühnenpräsenz vernetzend erweitern. Die Sicherung und<br />
Pflege der künstlerischen Ursubstanz darf weder zeitlich noch<br />
<strong>in</strong>haltlich bee<strong>in</strong>trächtigt werden. Pflicht ist Interdiszipl<strong>in</strong>arität auf<br />
jeden Fall dort, wo es um den <strong>in</strong>neren Kern des Musizierens geht,<br />
und Kür kann sie se<strong>in</strong>, wenn man den Kreis <strong>in</strong> der Ausbildung<br />
weiter zieht: Life Skills und äußere Umstände des Berufsbildes mit<br />
e<strong>in</strong>bezieht und vernetzt.<br />
Prof. Dr. Maria Spychiger Man kann natürlich jede Diszipl<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
Subdiszipl<strong>in</strong>en aufteilen und dann von Interdiszipl<strong>in</strong>arität sprechen.<br />
Aber damit unterlaufen Sie den Begriff. Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist die<br />
Zusammenarbeit verschiedener Diszipl<strong>in</strong>en und vor allem Ausdruck<br />
e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Entwicklung, der sich ke<strong>in</strong>er mehr entziehen<br />
kann. Projektarbeit ist heute per se <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är. Vor zehn<br />
Jahren habe ich für die Pädagogische Hochschule Bern e<strong>in</strong><br />
Forschungsprogramm für Interdiszipl<strong>in</strong>arität geschrieben und da<br />
bereits wahrgenommen, dass deren Zunahme stark und unausweichlich<br />
ist. Aus der Rückschau ist nur umso deutlicher zu sehen,<br />
wie <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Jahrzehntes Interdiszipl<strong>in</strong>arität zu e<strong>in</strong>er<br />
Selbstverständlichkeit geworden ist. Die Medien, das Internet und
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
die Mobilität spielen dabei e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle: Durch sie<br />
können wir über alle fachlichen Grenzen h<strong>in</strong>weg kommunizieren<br />
und uns Informationen beschaffen. Wir haben noch gar nicht<br />
begriffen, was das für e<strong>in</strong>e Veränderung gebracht hat, und im<br />
gleichen Atemzug aber auch neue Anstrengung, neue Professionali-<br />
tät erfordert. Für das Studium angehender Schulmusiker bedeutet<br />
dies: Sie müssen mehr leisten, mehr können, weil die Spezialisie-<br />
rung, also die Diszipl<strong>in</strong>arität, sich parallel dazu auch immer noch<br />
höher entwickelt. Das ist sehr wichtig zu sehen. Ich würde das<br />
Phänomen <strong>in</strong>sgesamt als e<strong>in</strong>e „kognitive Explosion“ beschreiben.<br />
Prof. He<strong>in</strong>er Goebbels Ich glaube, dass das Zusammenstoßen von<br />
Diszipl<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der künstlerischen Erfahrung des Zuschauers/<br />
Zuhörers e<strong>in</strong>es der ganz wichtigen Momente ist, die uns irritieren<br />
und erschüttern, aber auch frei machen. Es s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Auffüh-<br />
rungen genau jene Augenblicke, <strong>in</strong> denen wir uns nicht mehr sicher<br />
s<strong>in</strong>d, ob wir gerade e<strong>in</strong> Konzert, e<strong>in</strong>e Tanzperformance, e<strong>in</strong>en<br />
Literaturabend oder e<strong>in</strong>e Theateraufführung erleben. Ich b<strong>in</strong><br />
überzeugt, dass diese Momente auch am meisten <strong>in</strong> uns auslösen.<br />
Sie, Herr Wetz, machen es sich aber sehr e<strong>in</strong>fach, wenn Sie sagen,<br />
das Musizieren sei per se <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är. Es hilft uns nicht weiter,<br />
wenn wir den Begriff so weit fassen. Gerade <strong>in</strong> der Musik f<strong>in</strong>den wir<br />
doch viele, die sich vor der Zeitgenossenschaft zurückziehen.<br />
Wetz Ich freue mich, dass me<strong>in</strong>e Behauptung als Provokation<br />
ankam, weil sie stets die Diskussion um die leicht für selbstver-<br />
ständlich gehaltenen künstlerischen Werte wieder <strong>in</strong> Gang setzt. Ich<br />
sehe e<strong>in</strong>e extreme Gefahr, dass die Pflege dessen, was die<br />
Ursubstanz des künstlerischen Handelns ausmacht, durch die<br />
Stilisierung von Eventkultur und Projektarbeit zu kurz kommt.<br />
Goebbels Ich b<strong>in</strong> durchaus Ihrer Me<strong>in</strong>ung, dass man künstlerische<br />
Ausbildung nicht stauchen kann – sie braucht ihre Zeit. Ich glaube<br />
aber auch, dass Studierende zu e<strong>in</strong>er sehr komplexen Ausbildung<br />
fähig s<strong>in</strong>d. Das zeigt me<strong>in</strong>e Erfahrung im Umgang mit jungen<br />
Dirigenten oder Solisten, die <strong>in</strong> der musikalischen „Ursubstanz“,<br />
wie Sie es nennen, sehr entwickelt s<strong>in</strong>d, und sich dennoch plötzlich<br />
entscheiden Orchestermanager zu werden oder zu schreiben oder<br />
sich um die Vermittlung von Musik zu kümmern. Ich glaube, der<br />
e<strong>in</strong>zelne Künstler ist extrem belastbar <strong>in</strong> dem guten Willen, se<strong>in</strong>en<br />
Horizont ständig zu erweitern. Die Angst, man könne den Stu-<br />
denten zu viel abverlangen, weil dabei etwas von der musikalischen<br />
Intensität verloren gehen könnte, halte ich für völlig unbegründet.<br />
Das Allerwichtigste <strong>in</strong> der Ausbildung ist, die Studierenden auf jene<br />
Komplexität vorzubereiten, die auf sie im Berufsleben real zukommt.<br />
Außerdem müssen wir uns immer wieder klar machen, dass wir die<br />
Studierenden dazu ermächtigen sollten, sich e<strong>in</strong>em zeitgenös-<br />
sischen Kunstbegriff zu stellen. Die künstlerische Erfahrung des<br />
Publikums wird heute ganz anders verhandelt als noch vor 20<br />
Jahren. Darauf müssen die jungen Künstler vorbereitet se<strong>in</strong>, damit<br />
sie nicht <strong>in</strong> zehn Jahren auf der Bühne immer noch alberne Gesten<br />
aufführen, die nur noch für Opern aus dem 19. Jahrhundert gelten,<br />
mit denen man aber ke<strong>in</strong>en Nono oder Zimmermann aufführen<br />
kann. Bei der darstellenden Kunst haben sich die Kriterien radikal<br />
verändert, aber der Wandel ist auch <strong>in</strong> der Instrumentalmusik<br />
spürbar.<br />
5
6 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Wetz Wir bef<strong>in</strong>den uns gar nicht im Widerspruch. Ich reklamiere nur<br />
e<strong>in</strong>e Hierarchie von <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Ebenen, an deren erster Stelle<br />
e<strong>in</strong>e Grundsubstanz erarbeitet werden muss, ohne die nachher alles<br />
andere leere Hülle ist.<br />
Goebbels Sie haben e<strong>in</strong>en Begriff von vorher und nachher, gegen<br />
den ich mich wehre. Ich glaube, dass das K<strong>in</strong>d, das mit fünf Jahren<br />
anfängt Klavier zu spielen, nicht vor den anderen D<strong>in</strong>gen zu<br />
schützen ist, damit aus ihm e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Solist wird. Vielmehr glaube<br />
ich: Je früher e<strong>in</strong>e Öffnung stattf<strong>in</strong>det, desto komplexer und reicher<br />
ist der Mensch, der daraus entsteht.<br />
FiT S<strong>in</strong>d Sie glücklich mit der rasanten Entwicklung von <strong>in</strong>terdiszi-<br />
pl<strong>in</strong>ärer Vernetzung, die eben schon zur Sprache kam?<br />
Spychiger Ich stelle mir <strong>in</strong> dieser Diskussion die Frage: Wieviel<br />
Freiheit und Raum haben die Lernenden, um an die Potenziale<br />
heranzukommen, die sie haben? Ist es wirklich nur e<strong>in</strong> Ausdruck<br />
von Qualität und Freiheit, wenn jeder so mobil und so schnell ist,<br />
wie es heute üblich ist? Viele Menschen spüren dabei auch gewisse<br />
Zwänge, kommen unter Druck und stoßen an Leistungsgrenzen.<br />
Wer mit der Mobilität und den neuen Kommunikationsmöglich-<br />
keiten, die wir vor 15 Jahren noch als Befreiung erlebten, nicht<br />
Schritt hält, gehört eben nicht mehr zur modernen Gesellschaft.<br />
Das ist etwas, was ich mit Sorge beobachte.<br />
Goebbels Ich möchte den Begriff der „Freiheit“ noch e<strong>in</strong>mal<br />
aufgreifen: In unserem Institut für Angewandte Theaterwissenschaft<br />
<strong>in</strong> Gießen, wo ich unterrichte, haben wir den großen Vorteil, dass<br />
die Studierenden nicht dermaßen zielgerichtet zu uns kommen wie<br />
hier an die Hochschule. Sie wissen def<strong>in</strong>itiv nur, dass sie sich für<br />
darstellende Kunst <strong>in</strong>teressieren, haben sich aber noch für ke<strong>in</strong><br />
festes Handwerk zu deren Ausübung entschieden. Was wir unseren<br />
Studierenden anbieten können, ist e<strong>in</strong>e große Breite an Möglich-<br />
keiten, so dass sie im Laufe ihres Studiums merken, wo sie<br />
h<strong>in</strong>wollen. Als Lehrender versuche ich dabei nicht, ihnen me<strong>in</strong>e<br />
Ästhetik aufzuzw<strong>in</strong>gen; ich habe dabei ke<strong>in</strong> Idealbild vor Augen.<br />
Vielmehr versuche ich, ihnen zu e<strong>in</strong>er eigenen Ästhetik zu verhelfen,<br />
von der ich noch gar nicht weiß, wie sie morgen aussieht. Das ist<br />
natürlich e<strong>in</strong> Spezialfall, der nicht ohne weiteres auf die Ausbildung<br />
der hiesigen Hochschule übertragbar ist. Ich frage mich aber<br />
dennoch, ob Studiengänge, die von e<strong>in</strong>er starken Diszipl<strong>in</strong> her<br />
def<strong>in</strong>iert s<strong>in</strong>d wie zum Beispiel der Instrumentalunterricht, nicht<br />
auch e<strong>in</strong> Quäntchen von dieser Chance, die eigene Ästhetik zu<br />
f<strong>in</strong>den, bieten sollten?<br />
Wetz Sie haben die unterschiedlichen Voraussetzungen richtig<br />
formuliert: In unseren Studiengängen fängt ja die Professionalisie-<br />
rung dessen an, was die Studierenden bereits auf e<strong>in</strong>em be-<br />
stimmten Niveau mitbr<strong>in</strong>gen, weil sie schon jahrelang Instrumental-<br />
unterricht gehabt haben, bevor sie sich zur Aufnahmeprüfung<br />
melden. Die didaktische Studienkonzeption hat künstlerische Werte<br />
und deren Berufsanwendung als Ziel. Dennoch bieten wir e<strong>in</strong>en<br />
großen Freiraum, die persönliche Ästhetik zu f<strong>in</strong>den, kurz gesagt:<br />
sie zu eigenen Interpretationen anzuregen.<br />
FiT Wie kann der Lehrende dieser Aufgabe gerecht werden?<br />
Spychiger Mir bedeutet der Konstruktivismus sehr viel: Als Art und<br />
Weise des Lernens geht er davon aus, dass hier der Studierende ist<br />
und da die Diszipl<strong>in</strong> und der Studierende selbsttätig und möglichst<br />
selbstbestimmt se<strong>in</strong>e Beziehung zu diesem Gegenstand auf se<strong>in</strong>e<br />
eigene Weise herstellt. Die Lehrenden s<strong>in</strong>d Begleiter, Ermöglicher<br />
und Anleger dieser Prozesse.<br />
von l<strong>in</strong>ks nach rechts:<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>är geht es bei den „Tagen der Schulmusik“ zu,<br />
an denen Künstler ihre Arbeit <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong>er<br />
Schulklassen vorstellen. Im Bild: e<strong>in</strong> Tanz- und Musikprojekt<br />
an der M<strong>in</strong>na-Specht-Schule <strong>in</strong> Schwanheim.<br />
E<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Flaggschiff unter der Regie der<br />
Hochschule: das „Schulprojekt Response“, hier e<strong>in</strong><br />
Motiv aus den Abschlusskonzerten der jüngsten Staffel im<br />
Kle<strong>in</strong>en Saal der Hochschule.<br />
Orchesterprojekte gehören an der <strong>HfMDK</strong> zum<br />
Kerngeschäft der Ausbildung angehender Orchestermusiker.
Interdiszipl<strong>in</strong>arität, seriös<br />
betrieben, orientiert sich<br />
nicht an e<strong>in</strong>em Pr<strong>in</strong>zip,<br />
sondern an Kontexten und<br />
deren Veränderungen.<br />
Maria Spychiger<br />
Wetz Ich verstehe mich als Anwalt der Diszipl<strong>in</strong>en, die def<strong>in</strong>ierbar<br />
s<strong>in</strong>d, und ich möchte e<strong>in</strong> Katalysator dieser konkreten Arbeitskrite-<br />
rien se<strong>in</strong>. An der Frage, wo die Studierenden beruflich h<strong>in</strong>gehen<br />
wollen, orientiert sich ja, welche Fächer nötig s<strong>in</strong>d. Um diese<br />
beizeiten im Studium zu verzahnen, ist Interdiszipl<strong>in</strong>arität von<br />
didaktisch außerordentlicher Bedeutung. Daran werden wir im Zuge<br />
der Modularisierung der Studiengänge noch <strong>in</strong>tensiv zu arbeiten<br />
und immer wieder zu korrigieren haben.<br />
FiT Ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Verzahnung e<strong>in</strong>e Mode-Ersche<strong>in</strong>ung oder e<strong>in</strong><br />
Ausdruck stetiger Weiterentwicklung?<br />
Spychiger Ich b<strong>in</strong> überzeugt, dass es ke<strong>in</strong> Zurück mehr gibt. Die<br />
Welt ist dermaßen komplex geworden, dass wir die gesellschaft-<br />
lichen, ökologischen und ökonomischen Probleme, die wir haben,<br />
nur lösen können, wenn Logistik, Politik und Wirtschaft, eben alle<br />
Kräfte der Gesellschaft, geme<strong>in</strong>sam Probleme lösen und Aufgaben<br />
stellen. In der amerikanischen Gesellschaft s<strong>in</strong>d die marktwirt-<br />
schaftlichen Zwänge auch für Künstler und Lehrer viel weiter<br />
fortgeschritten als bei uns. Ich habe dort Kollegen kennengelernt,<br />
die musizieren und daneben zum Beispiel noch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Werbea-<br />
gentur betreiben – solch e<strong>in</strong>e Zweigleisigkeit im Beruf ist dort völlig<br />
normal, um sich die Existenz zu sichern.<br />
Goebbels Ich glaube, dass die Entscheidung für e<strong>in</strong> Berufsbild, nach<br />
dem Studierende ihre Ausbildungsstätte wählen, viel zu früh<br />
getroffen wird. Der Musiker, der sozusagen als „muttersprachlicher<br />
Instrumentalist“ aufgewachsen ist, mag e<strong>in</strong>e Ausnahme se<strong>in</strong>. Aber<br />
selbst der könnte sich vielleicht zwei Jahre nach se<strong>in</strong>em Diplom<br />
entscheiden, Mediz<strong>in</strong>er zu werden. Ich selbst habe nach e<strong>in</strong>em<br />
Studium <strong>in</strong> Soziologie hier <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> e<strong>in</strong> Schulmusikstudium<br />
angeschlossen, weil ich spürte, dass es das breitest angelegte<br />
Musikstudium überhaupt ist. Ich habe zehn Jahre gebraucht, um zu<br />
wissen, was mich am meisten <strong>in</strong>teressiert. Diese Chance der<br />
ausgiebigen Entscheidungsf<strong>in</strong>dung müssen wir den Studierenden<br />
mit anbieten.<br />
Wetz Ich glaube auch, dass Studierende sich nicht auf das sture<br />
Absolvieren der Studienordnung beschränken sollten. Wir denken<br />
im Fachbereich 1 darüber nach, die Berufsentscheidung der<br />
Studierenden weiter nach h<strong>in</strong>ten zu verlagern. Es ist falsch, das<br />
7
8 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Ausloten der Fähigkeiten und deren Entwicklung bei den Studieren-<br />
den dadurch zu früh zu beschneiden, <strong>in</strong>dem sie schon während<br />
des Bachelor-Studiums e<strong>in</strong>e zu endgültige Entscheidung fällen<br />
müssen. Klar ist aber auch, dass man sich als Künstler außerkünst-<br />
lerischen Life Skills und Sekundärbed<strong>in</strong>gungen stellen muss.<br />
Der Künstler von heute muss sich organisieren und marktgerecht<br />
handeln können, Know how für se<strong>in</strong> eigenes Management erwerben<br />
und damit vertraut werden, mit Institutionen zu verhandeln.<br />
Spychiger Was Sie gerade ansprechen, s<strong>in</strong>d wirkliche Diszipl<strong>in</strong>en,<br />
nicht nur so genannte Life Skills. Derlei Fähigkeiten s<strong>in</strong>d heutzutage<br />
nicht mehr nur <strong>in</strong>tuitiv zu erlernen – für alles gibt es Kurse und<br />
Sem<strong>in</strong>are. Der, der sie besucht hat, gew<strong>in</strong>nt, und der andere<br />
verliert.<br />
Wetz Das ist richtig. Aber der Künstler muss den Gew<strong>in</strong>n auch durch<br />
künstlerische Substanz halten können und nicht – aufgrund<br />
mangelnder Pflege der Ursubstanz e<strong>in</strong>es Tages als leere Hülle<br />
enttarnt – dann im freien Fall abstürzen.<br />
Goebbels Ich halte Ihre Theorie von der Ursubstanz für e<strong>in</strong>en<br />
Aberglauben. Wir müssen den Studierenden vor allem helfen, dass<br />
sie aus sich selbst etwas machen, denn dann kommen sie am<br />
weitesten. Der Begriff Ursubstanz suggeriert doch, dass es e<strong>in</strong>e<br />
Schlüsselformel gäbe, die gefunden und erkannt werden muss.<br />
Wetz Mit Ursubstanz me<strong>in</strong>e ich schlicht primäre, geradezu lebens-<br />
sichernde handwerkliche und geistige Instrumentalfertigkeiten, also<br />
den künstlerischen Boden so primär wie die Selbstverständlichkeit,<br />
dass e<strong>in</strong> Germanist ke<strong>in</strong> Analphabet ist.<br />
FiT Wer def<strong>in</strong>iert denn das Ideal e<strong>in</strong>er Ausbildung – die Kunst alle<strong>in</strong><br />
oder die Bedürfnisse des Marktes?<br />
Wetz Ich b<strong>in</strong> überzeugt davon, dass e<strong>in</strong>e staatliche Hochschule die<br />
Aufgabe hat, bestimmte Werte und Wertvorstellungen zu def<strong>in</strong>ieren<br />
und /oder zu erhalten und sie auch weiterzubewegen. Auf jeden<br />
Fall sollte sie sich nicht nur an den Bedürfnissen des Marktes<br />
orientieren. Im Gegenüber mit me<strong>in</strong>en Studierenden habe ich als<br />
Lehrender die Aufgabe, ihn künstlerisch maximal zu entwickeln,<br />
dabei se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuellen Fähigkeiten, Mentalität und Zielwünsche<br />
stets mit e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />
Goebbels Dies aber bitte auf der Ebene des zeitgenössischen<br />
Kunstbegriffes! Es muss auch den Raum geben, die eigene<br />
künstlerische Praxis zu reflektieren. Es ist nämlich auch unsere<br />
Aufgabe, für e<strong>in</strong>e künstlerische Zukunft e<strong>in</strong>zutreten, von der<br />
wir heute noch nicht wissen, wie sie aussehen wird, weder im<br />
Schauspiel noch <strong>in</strong> der Musik noch im Tanz.<br />
FiT Sehen Sie dort Gefahren lauern, wo Interdiszipl<strong>in</strong>arität <strong>in</strong> der<br />
Lehre e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle spielt?<br />
Es ist unsere Aufgabe,<br />
für e<strong>in</strong>e künstlerische Zukunft<br />
e<strong>in</strong>zutreten, von der wir<br />
heute noch nicht wissen, wie<br />
sie aussehen wird.<br />
He<strong>in</strong>er Goebbels<br />
Goebbels Das werden wir dann sehen, wenn es Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
wirklich gibt. In dieser Form sehe ich sie ja noch kaum. Wir haben<br />
es <strong>in</strong> vielen Bereichen sehr stark mit e<strong>in</strong>er handwerklichen Vermitt-<br />
lung zu tun. E<strong>in</strong>e andere Ausbildung, die solche normierenden<br />
handwerklichen Ausbildungsprozesse reduziert oder sie bewusst<br />
mit anderen Künsten konfrontiert, f<strong>in</strong>den wir kaum. Nach den<br />
jetzigen Kriterien s<strong>in</strong>d die Spielräume weder bei der Schauspiel-<br />
noch <strong>in</strong> der Tanzausbildung groß genug dafür. Es ist ja durchaus<br />
auch so, dass die Lehrenden selbst unter diesen Zwängen leiden.<br />
Spychiger Ich glaube, dass wir vieles, was an Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
bereits gelebte Praxis ist, nicht e<strong>in</strong>mal als solche wahrnehmen. Die<br />
Hochschule ist doch schon viel <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer geworden. Ich<br />
denke an die Initiativen <strong>in</strong> die Gesellschaft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, zum Beispiel die<br />
„Tage der Schulmusik“, wo Künstler mit ihren verschiedenen<br />
Diszipl<strong>in</strong>en <strong>in</strong> die Schule gehen. Das „Schulprojekt Response“ ist<br />
geradezu e<strong>in</strong> Flaggschiff der Interdiszipl<strong>in</strong>arität. Es br<strong>in</strong>gt Neue<br />
Musik <strong>in</strong> Bereiche, wo sie noch nicht zuhause ist, verb<strong>in</strong>det sie mit<br />
Pädagogik, den Heranwachsenden, Schulen, der Gesellschaft und<br />
arbeitet mit den Menschen an diesen Orten zusammen. Und das<br />
Impressionen der szenischen<br />
Abende der<br />
<strong>HfMDK</strong>-Gesangsabteilung<br />
im Juli 2010
Weiterbildungsprojekt „Primacanta – jedem K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Stimme“<br />
ist bester Beweis dafür, wie sich die Hochschule jenseits ihrer<br />
eigenen vier Wände für pädagogische Nachhaltigkeit e<strong>in</strong>setzt<br />
und damit auch auf die Politik e<strong>in</strong>lässt, die Zusammenarbeit mit<br />
Stiftungen sucht und viel Entdeckergeist beweist.<br />
FiT Wie könnte denn die Hochschulausbildung noch <strong>in</strong>terdiszipli-<br />
närer werden?<br />
Goebbels Das Handwerkliche, das wir für unverzichtbar halten,<br />
muss kritisch daraufh<strong>in</strong> untersucht werden, <strong>in</strong>wieweit es<br />
„ideologisch“ e<strong>in</strong>gefärbt ist, weil an e<strong>in</strong>e Ästhetik gebunden, die<br />
vergänglich ist und die wir vielleicht schon h<strong>in</strong>ter uns haben.<br />
Ke<strong>in</strong>e Technik ist neutral. Wir stehen mit unseren Ausbildungs-<br />
gängen ja am Ende e<strong>in</strong>er langen Kette von Institutionalisierungen<br />
und beziehen unser „Handwerk“ letztlich auf e<strong>in</strong>e ästhetische<br />
Praxis, die zum Teil 100, 150 oder 200 Jahre alt ist. Ich hoffe,<br />
dass das nicht so bleibt und dass die Hochschule auch der Ort<br />
e<strong>in</strong>er ästhetischen Forschung se<strong>in</strong> kann – auf die Zukunft der<br />
Künste gerichtet. Auf lange Sicht glaube ich, dass junge Künstler<br />
am ehesten dann e<strong>in</strong>e berufliche Perspektive haben, wenn sie<br />
aufgeschlossen, flexibel und auf verschiedenen Terra<strong>in</strong>s sub-<br />
stanziell kompetent s<strong>in</strong>d.<br />
Wetz Schon lange trage ich die Vision mit mir, auf neue Weise<br />
alte Didaktiken umzusetzen; nämlich auch im „<strong>in</strong>neren Kern“ der<br />
Ausbildung alle Bereiche zu vernetzen, quasi Kestenberg <strong>in</strong> Teilen<br />
wieder rückgängig zu machen. Ich könnte mir, am Beispiel des<br />
Instrumentalunterrichts betrachtet, vorstellen, dass die Fächer<br />
Musiklehre, Formenlehre, Gehörbildung, Stilkunde, Ästhetik sowie<br />
Methodik des Lernens und Lehrens eng mit dem Hauptfachunter-<br />
richt verknüpft werden und analytischer, wissenschaftlicher oder<br />
praxisnaher Teil der künstlerischen <strong>in</strong>dividuellen Arbeit e<strong>in</strong>zelner<br />
Studierender werden. Dazu gehört auch die <strong>in</strong>haltlich verzahnte<br />
Arbeit im künstlerischen Bereich zwischen Dirigenten, Kammer-<br />
musiklehrern und Hauptfachdozenten plus die Integration gerade<br />
genannter Diszipl<strong>in</strong>en.<br />
Spychiger Ich möchte so lehren können, dass me<strong>in</strong>e Studierenden<br />
bereits im Studium für sich e<strong>in</strong> Meta-Konzept von Diszipl<strong>in</strong>arität<br />
und Interdiszipl<strong>in</strong>arität entwickeln, damit sie nicht nur künstlerisch<br />
kompetent s<strong>in</strong>d, sondern auch pädagogisch, didaktisch, sozial und<br />
logistisch. Bei aller Öffnung h<strong>in</strong> zu anderen Diszipl<strong>in</strong>en glaube ich<br />
ebenso an e<strong>in</strong> diszipl<strong>in</strong>äres Zeichensystem der Musik, das def<strong>in</strong>iert<br />
werden kann und Maßstäbe setzt. Unerwartete Blüten treibt<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität im S<strong>in</strong>ne des fachübergreifenden Wissens da, wo<br />
technische Möglichkeiten die „Ursubstanz“ e<strong>in</strong>fach ersetzen: Ich<br />
er<strong>in</strong>nere mich an e<strong>in</strong>en Lehrerstudenten <strong>in</strong> der Schweiz, der zu<br />
se<strong>in</strong>er sehr guten Abschlussarbeit e<strong>in</strong>e CD mit Musikstücken<br />
ablieferte, die er selbst komponiert und gesungen hatte. Er konnte<br />
aber nicht richtig s<strong>in</strong>gen, er traf kaum die Töne. Aber er wusste die<br />
Software zu bedienen, die diese Fehler alle korrigierte. Der soll<br />
heute Jugendliche anleiten, ihnen Musik beibr<strong>in</strong>gen? Man hat da<br />
se<strong>in</strong>e Zweifel. Trotzdem b<strong>in</strong> ich überzeugt: Interdiszipl<strong>in</strong>arität, seriös<br />
betrieben, orientiert sich nicht an e<strong>in</strong>em Pr<strong>in</strong>zip, sondern an<br />
Kontexten und deren Veränderungen. Und sie stellt an die Beteilig-<br />
ten hohe Ansprüche: Wer sich zwischen den Diszipl<strong>in</strong>en bewegt, ist<br />
nicht von der eigenen Diszipl<strong>in</strong>arität entlastet. Aber er muss das<br />
Interesse entwickeln, sich mit anderen zu e<strong>in</strong>igen, sie zu verstehen<br />
und ihnen entgegenzukommen, gerade auch dann, wenn es solche<br />
s<strong>in</strong>d, mit denen man sich nicht so gern an e<strong>in</strong>en Tisch setzt.<br />
Ausgeübte Interdiszipl<strong>in</strong>arität befähigt uns Menschen erst wirklich,<br />
mit Differenz zu leben. bjh<br />
9
10 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Das Andere stärkt das Eigene<br />
Ohne <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Vernetzung bleiben Musik wie musikalische (Aus-)Bildung Stückwerk<br />
Von Gerhard R. Koch, bis 2003 Musikredakteur<br />
der <strong>Frankfurt</strong>er Allgeme<strong>in</strong>en Zeitung<br />
Vor e<strong>in</strong>igen Jahren erzählte e<strong>in</strong> renommierter Musikwissenschaftler<br />
e<strong>in</strong>er großen deutschen Universität: Er habe e<strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>ar über die<br />
Messen Joseph Haydns angekündigt – und sich gewundert, wie<br />
wenige Anmeldungen e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>gen. Bei den Studierenden stieß er auf<br />
folgende Gründe für das Des<strong>in</strong>teresse: Haydn möge ja e<strong>in</strong> bedeutender<br />
Komponist se<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e historische Rolle für die Entwicklung<br />
von S<strong>in</strong>fonie und Streichquartett unbestritten. Doch se<strong>in</strong>e Messen<br />
seien wenig bekannt, also vermutlich eher Nebenwerke, mit denen<br />
man sich nicht unbed<strong>in</strong>gt beschäftigen müsse. Se<strong>in</strong> Argument,<br />
gerade mit dem Unvertrauten solle man sich befassen, zumal es<br />
gerade bei großen Künstlern schwer, ja bisweilen unstatthaft sei,<br />
Zentrales und angeblich Peripheres sauber separieren zu wollen,<br />
fruchtete kaum. Dann hieß es, der Messe-Text sei schließlich<br />
late<strong>in</strong>isch; man habe zwar die obligaten Grundkenntnisse, aber das<br />
Ganze sei doch mühsam. Se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wand, das Messe-Late<strong>in</strong> sei nicht<br />
übermäßig kompliziert, zudem gebe es gute Übersetzungen, verf<strong>in</strong>g<br />
ebenfalls nicht. Massiver war der andere Vorbehalt: Mit den<br />
christlichen Inhalten, um die es <strong>in</strong> der Messe g<strong>in</strong>g, habe man nichts<br />
mehr im S<strong>in</strong>n. Darauf der Professor: Er sei völlig areligiös; gleichwohl<br />
sei nun e<strong>in</strong>mal die Geschichte der europäischen, eurozentrischen<br />
Hochkultur, also auch der Musik sogar noch bis <strong>in</strong>s 19.<br />
Jahrhundert durch christliche Themen bestimmt. Bei jeder<br />
Kirchenbesichtigung, jedem Museumsbesuch würde man darauf<br />
stoßen. Antwort: Aus Kirchen oder Museen mache man sich auch<br />
nichts.<br />
Die Erzählung, offenkundig aus der Enttäuschung heraus satirisch<br />
überspitzt, provoziert natürlich Widerspruch. Selbstverständlich<br />
gibt es andere Blicke auf die Kunst als den oft engen, ja kunstfremden<br />
des wissenschaftlichen Historikers. Musik- und Theaterstudien<br />
s<strong>in</strong>d eher praxisorientiert. Vor allem aber: Das „christliche Abendland“,<br />
der Werte-Kanon des deutschen Bildungsbürgertums s<strong>in</strong>d im<br />
21. Jahrhundert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er multikulturellen Gesellschaft nicht mehr<br />
Maß aller D<strong>in</strong>ge. Schon wer aus christlich-orthodoxen, jüdischen,<br />
muslimischen oder buddhistischen Traditionen kommt, br<strong>in</strong>gt ganz<br />
andere Perspektiven, auch auf Kunst, mit. Ganz abgesehen von<br />
zunehmend liberal-freigeistigen wie atheistischen Tendenzen.<br />
Insofern ist das erwähnte Beispiel selber schon historisch, ja<br />
anachronistisch. In ihrer Gesamtheit haben sie e<strong>in</strong>en heilsamen<br />
Effekt: Der, nicht zuletzt deutsche, Glaube an hehre „Kunstreligion“,<br />
Konzert oder Theater als Gottesdienst-Ersatz, der Kult des „Erhabenen“<br />
ist im Schw<strong>in</strong>den, und auch die „Meisterwerke“ der Klassik<br />
s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>em Entmythologisierungs-Prozess unterworfen. Liest man<br />
ältere Texte etwa über Beethoven, so ist kaum mehr nachvollziehbar,<br />
wer oder was damit geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> sollte. Dass der Zug zur<br />
Versachlichung durch den neokonservativen Trend zu „Größe“,<br />
„Würde“, „Weihe“ – wie ihn etwa der Dirigent Christian Thielemann<br />
repräsentiert – konterkariert wird, versteht sich.<br />
von oben nach unten:<br />
E<strong>in</strong> Stummfilm-Projekt mit Filmmusik im Kle<strong>in</strong>en Saal der <strong>HfMDK</strong>.<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>äre Performance im Rahmen des ersten<br />
Symposions „THE ARTIST`S BODY“ im Herbst 2009. Foto: Udo Hesse<br />
E<strong>in</strong> prom<strong>in</strong>entes Beispiel spartenübergreifender Bühnenpräsentation:<br />
Aloys Kontarsky als Begleitpianist zu e<strong>in</strong>em Stummfilm. Im H<strong>in</strong>tergrund<br />
die Projektion e<strong>in</strong>er Collage aus F. W. Murnaus „Nosferatu – E<strong>in</strong>e<br />
Symphonie des Grauens“, produziert vom Schweizer Fernsehen DRS.<br />
Leistung als Gebot der Stunde<br />
Gleichwohl heißt „Leistung“ das Gebot der Stunde: Das Normative<br />
der Feier des Kunstwerkes ist zur Norm der Aufführungs-Perfektion<br />
mutiert. Dieses Rad zurückdrehen zu wollen, ist so unmöglich wie<br />
uns<strong>in</strong>nig: Ke<strong>in</strong>e Hochschule würde es sich heute leisten wollen oder<br />
auch können, technische Standards zugunsten om<strong>in</strong>öser „Tiefe“<br />
oder „persönlicher Aussage“ h<strong>in</strong>tanzustellen. Neu ist die Entwicklung<br />
natürlich nicht, denn auch früher galt zuverlässiges Funktionieren<br />
des Apparates als wesentliches Kriterium. Und ke<strong>in</strong>eswegs<br />
zufällig haben die gerne geschmähten „Achtundsechziger“ die<br />
Exponenten professioneller Selbstgenügsamkeit als „Fachidioten“<br />
kritisiert, die über ihrem Expertentum den Rest der Welt – künstlerisch<br />
aber auch politisch – vergaßen.
Nun wiederholt sich Geschichte nicht so e<strong>in</strong>fach – und so, wie es<br />
nicht nur „L<strong>in</strong>ke“ s<strong>in</strong>d, die me<strong>in</strong>en, man müsse dem Turbo-<br />
Kapitalismus Zügel anlegen, so mehren sich auch <strong>in</strong> der Kultur<br />
mahnende Stimmen: man dürfe im Zuge von Bachelor- und<br />
Master-Programmen nicht um der Ausbildungsgradl<strong>in</strong>igkeit willen<br />
das Moment der verschulenden Verfachlichung nicht weiter<br />
forcieren. Im Gegenteil gelte es, alte Werte nicht <strong>in</strong> Vergessenheit<br />
geraten zu lassen, dies aber nicht im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es nur nostalgischen<br />
„Zurück zum Humboldtschen Bildungsideal“, sondern gerade<br />
im H<strong>in</strong>blick auf die aktuelle Situation – sowohl der historischen<br />
Kunst als auch der avancierten Produktion.<br />
11
12 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Lohnende Parallel-Erfahrungen<br />
Unter beiden Gesichtspunkten führt letztlich ke<strong>in</strong> Weg an <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Konzepten vorbei. Und dies sogar im quasi B<strong>in</strong>nenbereich.<br />
Erlebt man mitunter, wie begrenzt die Repertoirekenntnis<br />
etwa von Pianisten ist, so fragt man sich, wie tief sie <strong>in</strong> manche<br />
Werke e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen vermögen, wenn deren übergreifender Kontext<br />
ihnen verschlossen ist. Natürlich lässt sich e<strong>in</strong> Chop<strong>in</strong>-Nocturne<br />
auch nur „nach Noten“ spielen. Hat man aber e<strong>in</strong>e Bell<strong>in</strong>i-Opernarie<br />
gehört, so wird das Klavierstück <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en auratischen belcanto-<br />
Raum transzendieren, <strong>in</strong> dem dann auch das „Pianistische“<br />
aufgehoben sche<strong>in</strong>t. Oder: Lassen sich bei Schumann Klavierwerk,<br />
Lied und Literatur wirklich getrennt erfahren, werden nicht vielmehr<br />
Instrument wie Stimme durch He<strong>in</strong>e, E.T.A. Hoffmann und Eichendorff<br />
erst synthetisiert? Das Wort von der „Poesie der Musik“<br />
ist durchaus wörtlich zu nehmen. Und wie sehr gew<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>ige<br />
Schubert-Lieder an schier physisch beklemmender, „haptischer“<br />
Intensität, hört und sieht man sie <strong>in</strong> unmittelbarer Nachbarschaft zu<br />
den Malern Turner und Goya. Natürlich können und dürfen solche<br />
Analogien h<strong>in</strong>gebungsvolles Üben und Proben nicht ersetzen; wohl<br />
aber bewirken derlei Parallel-Erfahrungen potenzierende Rückkoppelungen<br />
für das eigene S<strong>in</strong>gen und Spielen.<br />
Bewusstse<strong>in</strong> unerhörter Vielfalt<br />
Analog zum e<strong>in</strong>stigen universitären studium generale sollten auch<br />
an den Musikhochschulen spartenübergreifende Initiativen <strong>in</strong><br />
Theorie wie Praxis gefördert werden. Bedenkt man, wie extrem<br />
vielschichtig <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht Phänomene wie Barock oder<br />
Romantik, auch Impressionismus oder Expressionismus kodiert<br />
s<strong>in</strong>d, so wäre selbst <strong>in</strong>nerhalb der immanenten Ausbildung für die<br />
musikalische Praxis der ästhetische Fächerkanon viel weiter zu<br />
öffnen; wobei es natürlich auf die kreative Aufgeschlossenheit von<br />
Lehrenden wie Lernenden ankommt. Zudem sollte e<strong>in</strong> möglichst<br />
guter Musiker auch e<strong>in</strong> möglichst umfassender Musiker se<strong>in</strong>. Das<br />
soll nicht heißen, dass jeder von allem e<strong>in</strong> bisschen kennen oder<br />
können soll; wohl aber geht es um das Bewusstse<strong>in</strong> der unerhörten<br />
Vielfalt des kl<strong>in</strong>genden Universums.<br />
Dazu gehört nicht m<strong>in</strong>der die sowohl romantische als auch<br />
avantgardistische Utopie von der E<strong>in</strong>heit der Künste: dass es im<br />
Grunde nur e<strong>in</strong>e Kunst gibt, die sich <strong>in</strong> Bildender Kunst, Literatur,<br />
Musik, Theater, Architektur, Tanz, Foto, Film und Performance<br />
manifestiert. Der Begriff „Gesamtkunstwerk“ ist denn auch wörtlich<br />
zu nehmen – und dies nicht nur im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er überwölbenden<br />
bis überwältigenden Totale, bei der e<strong>in</strong>em Hören und Sehen, wenn<br />
An<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Konzepten<br />
führt<br />
ke<strong>in</strong> Weg<br />
vorbei.<br />
Gerhard Koch<br />
nicht sogar das Denken vergeht, sondern auch „dekonstruktivistisch“<br />
als Aufspaltung <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>zelnen medialen Elemente. Das<br />
dialektische Widerspiel von E<strong>in</strong>zelnem und Ganzem ist ästhetisches<br />
wie soziales Modell zugleich. Wer sich der Kunst verschreibt, sollte<br />
sich dem nicht verschließen.<br />
Kunst-Kritiker, im weitesten S<strong>in</strong>ne, und produzierende Künstler<br />
stehen für konträre Sphären, agieren gleichwohl beide im Spannungsfeld<br />
der Kunst, die als ästhetische Moderne vollends multipel<br />
geworden ist. Und so wie etwa e<strong>in</strong>e Sänger<strong>in</strong>, die zu Sprache,<br />
Schauspiel, Tanz ke<strong>in</strong>erlei Zugang hat, bei allen Koloratur-Höhen<br />
begrenzt bleiben wird, so dürfte e<strong>in</strong> Komponist ohne jeglichen<br />
S<strong>in</strong>n fürs Visuelle, zum<strong>in</strong>dest akustische Raum-Visionen trotz hoher<br />
Autonomie-Qualitäten kompositorisch eher e<strong>in</strong>silbig bleiben. Wer<br />
heute über Kunst schreibt, kann sich dieser Vernetzung erst recht<br />
nicht entziehen: Ohne Ausstellungen, K<strong>in</strong>o, Tanz und Theoriebildung<br />
wird er <strong>in</strong> öde fachidiotischer Bodenständigkeit verharren,<br />
mag er sich <strong>in</strong> Klassik und Romantik auch gut auskennen.<br />
Trägheit versus Aufbruch<br />
Den dr<strong>in</strong>gend nötigen Aufbruchsbewegungen steht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelles<br />
wie kollektives Trägheitsmoment entgegen: Ke<strong>in</strong>e Zeit! heißt<br />
es bei den Studierenden, die auf Examen, Wettbewerb oder<br />
Vorspiel h<strong>in</strong>arbeiten – ke<strong>in</strong>e Zeit, ke<strong>in</strong>e Mittel bei den Institutionen.<br />
Dass die verschiedenartigen Hochschulen, Theater, Museen,<br />
Funkhäuser, K<strong>in</strong>os, Bibliotheken, private wie öffentliche Veranstalter<br />
oder Geldgeber, Kulturämter wie Stiftungen, Staat, Land und Stadt<br />
produktiv kooperieren, kommt zwar ab und an vor. Doch die Regel<br />
ist eher der Isolationismus von Personen wie Apparaten. Von<br />
Kommunikation, Interaktion ist zwar viel die Rede – die Wirklichkeit<br />
sieht meist anders aus.<br />
So mag denn am Ende e<strong>in</strong>e Art Utopie stehen – <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er<br />
selbstverständlich nahezu unirdischen Film-Produktion, bei der<br />
Literaten, Regisseure, Schauspieler, Architekten, Lichtkünstler,<br />
Schauspieler, Kameraleute, Komponisten, Musiker, Computer-Virtuosen<br />
zusammenwirken, um geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>maliges Ganzes zu<br />
schaffen: Kunst. Die Musikhochschule als futuristische Hybrid-Variante<br />
e<strong>in</strong>es selbstverständlich kommerzfreien Filmstudios wäre e<strong>in</strong><br />
wahrhaft verlockendes Projekt. Dass es bislang noch nicht realisiert<br />
wurde, spricht ke<strong>in</strong>esfalls dagegen.
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l<strong>in</strong>ks:<br />
Für ihn ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten purer Alltag: Schlagzeugprofessor<br />
Ra<strong>in</strong>er Römer ist zugleich Mitglied des Ensemble Modern.<br />
oben:<br />
Szene aus „Landschaft mit entfernten Verwandten“ von He<strong>in</strong>er Goebbels.<br />
Foto: Wonge Bergmann<br />
Bild Seite 15 unten:<br />
Tanzende Derwische <strong>in</strong> He<strong>in</strong>er Goebbels’<br />
„Landschaft mit entfernten Verwandten“. Foto: Wonge Bergmann<br />
Der Musiker als<br />
tanzender Derwisch<br />
Zeitgenössische Produktionen stellen<br />
Musiker im Ensemble Modern täglich vor<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Herausforderungen<br />
Von Ra<strong>in</strong>er Römer, Professor für Schlagzeug an der <strong>HfMDK</strong><br />
<strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> und seit 1985 Schlagzeuger des Ensemble Modern<br />
Auf die Frage, ob Interdiszipl<strong>in</strong>arität nun Pflicht oder Kür sei,<br />
antworte ich aus eigener Erfahrung mit stoischer E<strong>in</strong>deutigkeit:<br />
weder noch, sondern schlichtweg Standard. Den bildenden<br />
Künstler, der Musik macht, den sprechenden Musiker, den spielenden<br />
Tänzer, den komponierenden Informatiker, all das gibt es<br />
schon längst und <strong>in</strong> höchst diffizilen Ersche<strong>in</strong>ungsformen. Ich<br />
möchte hier aber über Erfahrungen aus me<strong>in</strong>er Arbeitssituation vor<br />
allem als Mitglied des Ensemble Modern berichten und dazu e<strong>in</strong>ige<br />
Überlegungen anstellen.<br />
E<strong>in</strong> entscheidender Aspekt <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Arbeit ist für mich, ob<br />
ich e<strong>in</strong>erseits nur me<strong>in</strong>en Ort verändere, also Installation, Theaterraum,<br />
öffentlichen Raum nutze oder ob die Parameter der Umgebung<br />
mich verändern. Will sagen: Bewege ich mich auf der Bühne<br />
oder werde ich bewegt? Spreche, spiele, tanze oder s<strong>in</strong>ge ich? B<strong>in</strong><br />
ich alle<strong>in</strong> oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe, stelle ich etwas dar oder fungiere<br />
ich im Ensemble? B<strong>in</strong> ich Partner e<strong>in</strong>es Tonbandes oder B<strong>in</strong>deglied<br />
real prozessierter Klänge? Dazu gehört auch die Frage, <strong>in</strong>wieweit<br />
ich mich von me<strong>in</strong>er gewohnten Spielhaltung entferne oder auch<br />
nicht. Das fängt bei der Platzierung im Raum an und geht weit über<br />
die klangliche Manipulation der von mir geschaffenen Klänge<br />
h<strong>in</strong>aus: Spiele ich me<strong>in</strong> Instrument im „klassischen S<strong>in</strong>ne“ oder<br />
reagiere ich auf die mir gestellten Anforderungen? So stellte uns
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Musiker beispielsweise die Produktion „Eislermaterial“ (He<strong>in</strong>er<br />
Goebbels, 1998) vor die Aufgabe, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em die Bühne füllenden,<br />
nach vorne offenen Rechteck zu sitzen, wobei die beiden Pianisten<br />
sich mit dem Rücken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Metern Distanz zue<strong>in</strong>ander<br />
befanden und wir dann lernten, ohne Dirigent zu spielen. Der<br />
besondere Klang dieser Aufstellung und die ungewöhnliche<br />
Positionierung im Bühnenraum bewirkten e<strong>in</strong> spannungsreiches<br />
szenisches Kont<strong>in</strong>uum.<br />
Musiker als tanzende Derwische<br />
Also ab wann beg<strong>in</strong>nt das Interdiszipl<strong>in</strong>äre, wo verändere ich mich?<br />
Welches ist me<strong>in</strong> Ausgangspunkt? In e<strong>in</strong>er Szene der Goebbels-<br />
Produktion „Landschaft mit entfernten Verwandten“ (2002)<br />
drehten sich e<strong>in</strong>ige Musiker von uns <strong>in</strong> Derwisch-Kostümen über<br />
zehn M<strong>in</strong>uten auf der Bühne. Ich habe mich immer gefragt, warum<br />
diese Szene so gut funktionierte, obwohl man weiß, dass es sich da<br />
um Mitglieder des Ensemble Modern, also Musiker, und lediglich<br />
e<strong>in</strong>en Schauspieler (David Bennent) handelte. Die Tatsache, dass<br />
man nach Erlernen der Grundbewegung sich ganz der eigenen<br />
E<strong>in</strong>stellung, die man als Musiker entwickelt, h<strong>in</strong>geben konnte und<br />
man so nicht Gefahr lief, pe<strong>in</strong>lich, ungeschickt oder entfremdet zu<br />
wirken, war e<strong>in</strong> mutmachendes Erleben. Der gleichmäßige E<strong>in</strong>druck<br />
der Aktion erzeugte <strong>in</strong> der Illusion e<strong>in</strong> überzeugendes Ganzes,<br />
welches Bilder entstehen ließ, die e<strong>in</strong>e Parameter-Erweiterung des<br />
eigenen Handelns auf der Bühne ermöglichte. Wichtig dabei war,<br />
dass die Performer immer die gleiche konzentrierte Haltung<br />
bewahrten, ähnlich wie bei e<strong>in</strong>em Soloauftritt mit dem eigenem<br />
Instrument. Dazu wurde e<strong>in</strong>e Musik improvisiert, die <strong>in</strong> Proben<br />
entwickelt, aber durch extreme Verdichtung und Kondensierung auf<br />
e<strong>in</strong>en Kern gebracht wurde, der Unbestimmtheit oder Beliebigkeit<br />
nicht zuließ.<br />
Die Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern, Schauspielern,<br />
Regisseuren, Choreographen, Videokünstlern, Tänzern und<br />
Musikern der verschiedensten Stile wie Elektronik, Pop, Jazz sowie<br />
Filmmusik br<strong>in</strong>gt immer wieder neue Erlebnisse des Musizierens<br />
hervor und verlangt e<strong>in</strong>e ständige Neubetrachtung des Arbeitspro-<br />
zesses. Teilweise entwickelt man Material <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samen oder<br />
parallelen Arbeitsprozessen, br<strong>in</strong>gt Kompositionen und Improvisati-<br />
onen e<strong>in</strong> und ersche<strong>in</strong>t eventuell als sprechender, sich bewegender<br />
oder s<strong>in</strong>gender Performer.<br />
Umgekehrt erstaunt es auch immer wieder, wenn Laien performativ<br />
e<strong>in</strong>gesetzt werden und e<strong>in</strong>e verblüffend tiefe Wirkung erzielen,<br />
<strong>in</strong>dem sie ihre eigenen Erzählstrukturen, wie auch immer geartet,<br />
auf die Bühne br<strong>in</strong>gen. Die Konzentration und Authentizität s<strong>in</strong>d<br />
dabei auschlaggebend für das Gel<strong>in</strong>gen.<br />
Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
Ke<strong>in</strong>e Privatsphäre auf der Bühne<br />
Im Grunde ist schon die Frage, ob ich alle<strong>in</strong>e oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe<br />
musiziere, mit <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Ideen durchsetzt. Wie verhalte ich<br />
mich, wenn ich auf der Bühne sitze und Teil e<strong>in</strong>er Installation b<strong>in</strong>, <strong>in</strong><br />
der e<strong>in</strong>e zwölf mal zwei Meter große Le<strong>in</strong>wand erhöht h<strong>in</strong>ter dem<br />
Ensemble hängt, die computeranimierte Texturen zeigt und mich als<br />
ausführender Musiker eigentlich „unsichtbar“ macht, aber eben<br />
nicht „unhörbar“ (Ryuichi Sakamoto/Alva Noto, Ensemble Modern,<br />
UTP 2007)? Übrigens gibt es das Unsichtbare gar nicht; selbst die<br />
kle<strong>in</strong>sten Regungen werden aus der Zuschauerperspektive wahrgenommen.<br />
Es gibt auf der Bühne ke<strong>in</strong>e Privatsphäre.<br />
E<strong>in</strong> Theaterraum funktioniert anders als e<strong>in</strong> Konzertsaal, e<strong>in</strong>e<br />
Industriehalle anders als e<strong>in</strong>e open-air-Situation, und die Arbeit <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Studio unterscheidet sich sowieso von allem anderen. Die<br />
eigentlichen Hürden bei Modifikationen der Spielsituation s<strong>in</strong>d die<br />
Platzierung im Raum, das Spielen mit Click-Tracks, die akustische<br />
Situation sowie die solistische oder die dem Ensemblespiel eigene<br />
Ausrichtung. E<strong>in</strong>e Adaption an die Umstände ist hier unweigerlich<br />
vonnöten und fordert immer wieder e<strong>in</strong>e flexible Haltung <strong>in</strong> der<br />
Ausführung.<br />
Mit „Panic Button“ im Anschlag<br />
Schmunzeln musste ich, als ich hörte, dass es bei e<strong>in</strong>er Produktion<br />
der kanadischen Company „cirque de soleil“ für jeden im Raum<br />
verteilten, über Kopfhörer untere<strong>in</strong>ander sich hörenden Musiker<br />
e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Kasten mit e<strong>in</strong>em Knopf gab: Es war der „Panic<br />
Button“, den die Musiker auslösen könnten, um so schnell über e<strong>in</strong><br />
ausgehendes Pult-Licht oder e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>setzenden Schw<strong>in</strong>delanfall<br />
<strong>in</strong>formieren zu können.<br />
Statements<br />
„Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
im Studium<br />
– Pflicht oder Kür?“<br />
lautet die Frage, die wir Lehrenden aller drei Fachbereiche der<br />
15<br />
<strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> gestellt haben. Die Antworten<br />
rangieren zwischen e<strong>in</strong>er Aversion gegen den viel strapazierten<br />
Begriff und fragloser Sympathie für diese Idee des Arbeitens.<br />
Ra<strong>in</strong>er Römers Aufsatz ist e<strong>in</strong>e belegreiche Antwort <strong>in</strong> großer<br />
Ausführlichkeit, dem <strong>in</strong> der Statement-Serie kürzere Antworten<br />
se<strong>in</strong>er Kollegen folgen.
16 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Mittlerweile ist die Computertechnologie so weit vorangeschritten,<br />
dass alle erdenklichen Anordnungen umgesetzt werden können: von<br />
46 verschiedenen Click Tracks bis h<strong>in</strong> zu Arbeitsweisen, die die<br />
Phänomene der Digitalisierung und deren Verfügbarkeit und<br />
Modifikation als Performer untersuchen. Die Herstellung von<br />
verschiedensten Zeitebenen mittels Videokunst ist selbstverständ-<br />
lich geworden.<br />
Koord<strong>in</strong>ation ist das A und O<br />
Was bedeutet das nun für den Instrumentalisten? Zunächst<br />
erfordern die verschiedenen Formate auch verschiedene Probenpro-<br />
zesse. Schon die kle<strong>in</strong>ste Modifikation der Konzert- bzw. Auffüh-<br />
rungssituation kann bedeuten, dass man Licht, Ton und Bühne<br />
koord<strong>in</strong>ieren muss und jeweils eigene Proben und Aufbauzeiten<br />
Statement<br />
Sibylle Cada,<br />
Professor<strong>in</strong> für Klavier, Methodik und Didaktik,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Ich antworte mit zehn Thesen zu pr<strong>in</strong>zipieller wie<br />
pragmatischer Interdiszipl<strong>in</strong>arität:<br />
• Künstlerisches Handeln ist <strong>in</strong> sich selbst <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />
• Dies gilt gleichermaßen für pädagogisches Handeln<br />
• Jede Beziehung zwischen Menschen (hier: Lernende und<br />
Lehrende) ist <strong>in</strong> sich <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />
• Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist die Voraussetzung für e<strong>in</strong><br />
mehrdimensionales Verstehen des eigenen Handelns<br />
• Oder: Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist Voraussetzung für e<strong>in</strong>e<br />
reflektierte Selbstvergewisserung<br />
• Interdiszipl<strong>in</strong>arität ermöglicht entwicklungsorientierte<br />
Perspektivwechsel<br />
• E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Ausgestaltung des Studiums<br />
vermittelt mehr als Ausbildung – sie <strong>in</strong>itiiert darüber<br />
h<strong>in</strong>aus nachhaltige Bildungsprozesse<br />
• Interdiszipl<strong>in</strong>arität nutzt alle Wissens- und Könnens-<br />
Ressourcen <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb der Institution<br />
• Interdiszipl<strong>in</strong>arität braucht etablierte Organisations- und<br />
förderliche Kommunikationsstrukturen<br />
• Konstruktive Kommunikation allerd<strong>in</strong>gs gel<strong>in</strong>gt nur bei<br />
gegenseitiger Wertschätzung, bei echter Akzeptanz von<br />
unterschiedlichen persönlichen Profilen und bei Offenheit<br />
gegenüber <strong>in</strong>dividuellen Erfahrungen anderer.<br />
benötigt, die abgestimmt werden müssen. Die Arbeitsstrukturen<br />
können erheblich vone<strong>in</strong>ander abweichen, und Instrumentalisten<br />
s<strong>in</strong>d häufig überrascht über die Veränderung der Probensituation,<br />
weil sie nicht überblicken, was parallel auf anderen Ebenen<br />
erarbeitet wird. Weiterh<strong>in</strong> erfordern unsere Projekte von Musikern<br />
eigene logistische Kompetenzen wie Fragen rund um Projektmanagement,<br />
Ton, Bühne, Licht, Transport, Technik, Öffentlichkeitsarbeit<br />
und Cater<strong>in</strong>g.<br />
E<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichsten Erfahrungen diesbezüglich ist die<br />
Produktion „Schwarz auf Weiß“ (He<strong>in</strong>er Goebbels, 1996), <strong>in</strong> der<br />
18 Musiker als Protagonisten <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten. Ich er<strong>in</strong>nere<br />
mich, dass wir niemals e<strong>in</strong>e klar def<strong>in</strong>ierte Haltung, Ausdruck,<br />
Motivation oder Idee erfüllen sollten. Vielmehr g<strong>in</strong>g es um e<strong>in</strong>e<br />
durch Aufmerksamkeit generierte Spannung, die es dem Regisseur<br />
ermöglichte, durch e<strong>in</strong>e wie auch immer geartete Platzierung der<br />
Musiker (sei es über Bänke steigend, Leitern aufbauend, im<br />
Bühnenraum verteilt oder über große Distanzen h<strong>in</strong>weg spielend),<br />
Musiktheater zu schaffen, das Bilder transportierte, die weit über<br />
den von uns Musikern auf der Bühne entwickelten E<strong>in</strong>druck<br />
h<strong>in</strong>ausgehen sollten.<br />
Auch die Hochschule wird <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer<br />
Auch als <strong>HfMDK</strong>-Professor sehe ich, wie die Lehre auf steigende<br />
Anforderungen der Künstler reagiert: Das multi- und <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />
Lehrangebot wächst erfreulicherweise, angefangen von<br />
Musikspezifischer Bewegungslehre bis h<strong>in</strong> zu Kooperationsprojekten<br />
zwischen den Abteilungen Theater, Tanz und Musik. In<br />
diesem Zusammenhang wird für mich die Idee vom Musiker<br />
<strong>in</strong>teressant, der nicht nur Interpret, sondern zugleich Komponist<br />
und Improvisator ist. Dieses Ideal ist ja nicht neu, wenngleich klar<br />
ist, dass es nicht jeder auf allen Ebenen immer zu höchster<br />
Reife br<strong>in</strong>gen kann. Die Gepflogenheit der Kadenz im klassischen<br />
Konzert ersche<strong>in</strong>t mir als e<strong>in</strong> schon früher H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong><br />
Selbstverständnis, das den Interpreten zugleich als eigenen<br />
Tonschöpfer versteht. Auch aus der Alten Musik weiß man, dass<br />
Komponisten immer davon ausgegangen s<strong>in</strong>d, dass die Musiker<br />
wussten, was wie zu spielen, verzieren und zu begleiten ist, man<br />
sich also auf e<strong>in</strong>en musikalischen Sprachgebrauch e<strong>in</strong>igen konnte.<br />
Im Idealfall verb<strong>in</strong>den sich solche Fähigkeiten zu e<strong>in</strong>em Ganzen,<br />
und das Wissen um das Andere verstärkt die eigene Präsenz.<br />
Hilfreich ist für jeden Musiker die Ausbildung im Umgang mit der<br />
Stimme, dem Körper und natürlich dem Instrument <strong>in</strong> all se<strong>in</strong>en<br />
Facetten. Sicherlich war es mehr als nur e<strong>in</strong> Zufall, dass an der<br />
<strong>Frankfurt</strong>er Hochschule die Institute für zeitgenössische Musik<br />
(I z M) und Historische Interpretationspraxis (HIP) zur selben Zeit<br />
gegründet wurden. Rück- und Ausblick schließen sich nämlich<br />
nicht aus, sondern ergänzen sich und schaffen neue Wege zu<br />
kreativer Arbeit.
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
17
18 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
Experimentierfeld für die künstlerische Moderne<br />
Das <strong>Frankfurt</strong> LAB bietet Künstlern Arbeitsmöglichkeiten ohne räumliche und zeitliche Zwänge<br />
Von Sab<strong>in</strong>e Stenzel, Projektleiter<strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> LAB, und Andrea Wolter,<br />
Musikwissenschaftler<strong>in</strong><br />
Im Oktober 2009 wurde das „<strong>Frankfurt</strong> LAB – Das Musik-, Theaterund<br />
Tanzlabor der Moderne für <strong>Frankfurt</strong> Rhe<strong>in</strong>Ma<strong>in</strong>“ auf dem Gelände<br />
der „Kommunikationsfabrik“ im <strong>Frankfurt</strong>er Gallusviertel <strong>in</strong>s Leben<br />
gerufen. Diese Initiative ist das jüngste Beispiel für e<strong>in</strong> multi- und<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Mite<strong>in</strong>ander, an dem auch die <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am<br />
Ma<strong>in</strong> maßgeblich beteiligt ist.<br />
Der Standort ist, wenn man so will, durchaus symptomatisch:<br />
Denn während vom „Gallus“ der morbide Charme des ehemaligen<br />
Industrie- und Arbeiterviertels zwischen den Fassaden moderner<br />
Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche ausgeht, behauptet<br />
sich dort zugleich das produktive ideelle Potenzial, das diese Mischung<br />
für Kreative so anziehend macht. Agenturen, Clubs, freie Theaterensembles<br />
und auch die Forsythe Company s<strong>in</strong>d bereits <strong>in</strong> die Kommunikationsfabrik<br />
e<strong>in</strong>gezogen und machen sie zu dem, was ihr Name<br />
eigentlich sagt: zu e<strong>in</strong>em Ort der Begegnung, des Austausches und<br />
der ständigen Bewegung.<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Die Anfänge<br />
Bis 2009 befand sich dort, <strong>in</strong> der Schmidtstraße 12, die Außenspielstätte<br />
des Schauspiels <strong>Frankfurt</strong>, dann drohte ihr die Schließung.<br />
Dass sie für die Kunst erhalten blieb, ist fünf <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> bzw. Hessen<br />
angesiedelten Institutionen zu verdanken, die sich, den ständigen<br />
Mangel an geeigneten Proben- und Aufführungsorten für <strong>in</strong> offener<br />
Produktionsweise entstehende künstlerische Projekte vor Augen, für
echts:<br />
Tänzer der Abteilung Zeitgenössischer und Klassischer<br />
Tanz beim Tag der offenen Tür im <strong>Frankfurt</strong> LAB.<br />
l<strong>in</strong>ke Seite oben:<br />
Schauspielstudierende bei Proben im <strong>Frankfurt</strong> LAB.<br />
deren Erhaltung engagierten. Dieter Buroch (Künstlerhaus<br />
Mousonturm), Roland Diry (Ensemble Modern), He<strong>in</strong>er Goebbels<br />
(Hessische Theaterakademie), Stefan Mumme bzw. William<br />
Forsythe (The Forsythe Company) und Thomas Rietschel (Hochschule<br />
für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong>)<br />
gründeten geme<strong>in</strong>sam den Vere<strong>in</strong> „<strong>Frankfurt</strong> LAB – Das Musik-,<br />
Theater- und Tanzlabor der Moderne für <strong>Frankfurt</strong> Rhe<strong>in</strong>Ma<strong>in</strong>“, der<br />
die Räume nun nutzt. Das <strong>Frankfurt</strong> LAB setzt auf e<strong>in</strong>e Bündelung<br />
der kreativen Energie und wissenschaftlichen Kompetenz der<br />
fünf <strong>in</strong>ternational renommierten Kultur<strong>in</strong>stitutionen und vere<strong>in</strong>t <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>em Konzept künstlerische Kapazitäten aus den Bereichen<br />
Tanz, Musik, Performance und Theater.<br />
Der „kulturfonds frankfurt rhe<strong>in</strong>ma<strong>in</strong>“, die Stiftung Polytechnische<br />
Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> und die BHF-BANK-Stiftung<br />
fördern das multidiszipl<strong>in</strong>äre Projekt geme<strong>in</strong>schaftlich für vier Jahre<br />
mit 1,5 Mio. Euro. E<strong>in</strong>e Entscheidung im S<strong>in</strong>ne des allgeme<strong>in</strong> zu<br />
befürchtenden Kürzungstrends war die Förderzusage gewiss<br />
nicht, dafür aber e<strong>in</strong>e solche, die künstlerische Notwendigkeiten<br />
umso klarer im Blick hat. Auf der Habenseite steht die nationale<br />
und <strong>in</strong>ternationale Ausstrahlung e<strong>in</strong>es Kulturprojekts, das <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er schlüssigen Konzeption und künstlerischen Konsequenz<br />
deutschlandweit wohl e<strong>in</strong>zigartig ist und das kulturelle Potenzial<br />
der Rhe<strong>in</strong>-Ma<strong>in</strong>-Region stärkt und sichtbar unterstreicht.<br />
Künstlerisches Versuchslabor<br />
E<strong>in</strong> künstlerisches „Labor der Moderne“ soll das <strong>Frankfurt</strong> LAB<br />
se<strong>in</strong>, also e<strong>in</strong> Raum für Experimente, die sich <strong>in</strong>nerhalb der<br />
organisatorischen und räumlichen Strukturen von Theatern kaum<br />
verwirklichen lassen. Neue Darstellungs- und Kommunikationsformen<br />
sollen entwickelt werden – spontan, flexibel und auf<br />
momentane Situationen reagierend. Für Kunst<strong>in</strong>teressierte heißt<br />
das: e<strong>in</strong> Haus, das ke<strong>in</strong>en festgelegten Spielplan, aber stattdessen<br />
die Möglichkeit kurzfristiger Entscheidungen für öffentliche<br />
Präsentationen bietet – e<strong>in</strong>es, das die Öffentlichkeit dazu e<strong>in</strong>lädt,<br />
sich mit der Arbeit der im <strong>Frankfurt</strong> LAB agierenden Künstler<br />
kritisch ause<strong>in</strong>anderzusetzen. Dies könnte bedeuten: Nicht nur das<br />
Ergebnis, sondern auch der künstlerische Prozess als ästhetische<br />
Erfahrung – für die Künstler selbst und für das Publikum – steht im<br />
Vordergrund. Die neue Konstellation, die hier geschaffen wird, greift<br />
tief <strong>in</strong>s traditionelle Verhältnis von Künstler und Betrachter, von<br />
Kunstproduktion und -rezeption e<strong>in</strong>, ja sie stellt die Selbstverständlichkeit<br />
dieses etablierten Gefüges gar <strong>in</strong> Frage. Und da hier<br />
Kunstproduktion, künstlerische Ausbildung und Kunst-Erleben e<strong>in</strong>e<br />
enge Verb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>gehen, eröffnen sie auch dem kunsttheoretischen<br />
Diskurs neue Perspektiven. In der Konzentration von<br />
Schwerpunktthema EXZELLENZ und ELITE<br />
Statement<br />
Yurgen Schoora,<br />
Professor für Physiodrama,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
An dem Begriff Interdiszipl<strong>in</strong>arität f<strong>in</strong>de ich den Aspekt „<strong>in</strong>ter“<br />
sehr wichtig: Es geht nicht um e<strong>in</strong> A + B, sondern darum,<br />
was Menschen aus unterschiedlichen Diszipl<strong>in</strong>en als<br />
professionalisierende und praktische Bereicherung für ihr<br />
„eigenes“ Gebiet mitnehmen.<br />
19
Produktion, Ausbildung und Forschung, von künstlerischer Praxis,<br />
theoretischer Reflexion und Rezeption an e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Ort<br />
geht das <strong>Frankfurt</strong> LAB noch über ähnliche Ansätze anderer Instituti-<br />
onen – wie z. B. den des Festspielhauses Hellerau (Dresden) – h<strong>in</strong>aus.<br />
Dass sich das <strong>Frankfurt</strong> LAB auf die Erfahrungen der beteiligten<br />
Institutionen mit <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Projekten wie etwa der „Motion<br />
Bank“, e<strong>in</strong>e Kooperation der Forsythe Company mit der <strong>HfMDK</strong>,<br />
stützen kann, gereicht dem Projekt zum Vorteil. Außerdem etabliert es<br />
die Region <strong>Frankfurt</strong> Rhe<strong>in</strong>-Ma<strong>in</strong> im <strong>in</strong>ternationalen Maßstab <strong>in</strong><br />
vorderster Reihe unter den Impulsgebern für die zeitgenössische<br />
performative Kunst.<br />
Offene Türen im <strong>Frankfurt</strong> LAB 2010<br />
Beim Tag der offenen Tür am 1. Mai 2010 konnte die Öffentlichkeit die<br />
bereits fertig ausgebauten und mit der notwendigen Technik verse-<br />
henen Räume des <strong>Frankfurt</strong> LAB <strong>in</strong> Augensche<strong>in</strong> nehmen: die<br />
Produktionshalle mit imposanten 650 m 2 Größe und die 230 m 2 große<br />
Probenhalle, außerdem Büros für die Projekt- und die technische<br />
Leitung, Künstlergarderoben, Lager, Werkstätten und Foyer. Dort war<br />
e<strong>in</strong> experimentelles Programm zu erleben, <strong>in</strong> dem moderierte Proben,<br />
Profitra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs und Installationen E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die Vorhaben und<br />
Produktionsprozesse gaben, die hier im Gange und auch künftig zu<br />
erwarten s<strong>in</strong>d.<br />
Bereits im Dezember 2009 haben die Akteure <strong>in</strong> der Schmidtstraße 12<br />
die Probenarbeit aufgenommen. 31 Stücke wurden seitdem hier<br />
produziert, neunzehnmal war das Fachpublikum zu offenen Proben<br />
Begegnung mit dem Verfremdeten:<br />
Besucher vor e<strong>in</strong>er Video-Le<strong>in</strong>wand beim<br />
Tag der offenen Tür im <strong>Frankfurt</strong> LAB.<br />
e<strong>in</strong>geladen, um E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die besondere Arbeitsweise des <strong>Frankfurt</strong><br />
LAB zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
Daneben <strong>in</strong>itiierten die Kooperationspartner 13 Aufführungsabende<br />
mit Produktionen <strong>in</strong>ternational bedeutender Ensembles. „Rosas danst<br />
Rosas“ mit der Company der belgischen Choreograf<strong>in</strong> Anne Teresa<br />
De Keersmaker gehörte ebenso dazu wie das Kooperationsprojekt<br />
“NaturPassagen”, <strong>in</strong> dem die Bett<strong>in</strong>aschule, das Ensemble Modern<br />
und die Forsythe Company mit der ALTANA Kulturstiftung und der<br />
Polytechnischen Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> die Ergebnisse ihres<br />
e<strong>in</strong>jährigen Education-Projektes präsentierten.<br />
So wurden beide Hallen von Anfang an kont<strong>in</strong>uierlich genutzt, und<br />
auch für die Spielzeit 2010/11 gibt es bereits feste Aufführungster-<br />
m<strong>in</strong>e. Im Januar und Februar 2011 wird das LAB Hauptveranstaltungs-<br />
ort der „<strong>Frankfurt</strong>er Positionen 2011“ und damit Proben- und Auffüh-<br />
rungsort für e<strong>in</strong>e Reihe von spartenübergreifenden Werkaufträgen aus<br />
den Bereichen zeitgenössische Musik, Theater, Hörspiel, Bildende<br />
Kunst und Tanz se<strong>in</strong>.<br />
Perspektiven und reichlich Ideen<br />
Das Projekt <strong>Frankfurt</strong> LAB wird zunächst für vier Jahre gefördert.<br />
Die Förderung durch den Kulturfonds, die Stiftung Polytechnische<br />
Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> und die Stiftung der BHF-BANK<br />
sichert neben der technischen Grundausstattung die Miete für die<br />
Räume. Die Projekte, die hier entstehen sollen, müssen die LAB-<br />
Akteure selbst f<strong>in</strong>anzieren. An <strong>in</strong>teressanten Ideen mangelt es dabei<br />
nicht.<br />
Wie sich Chancen und Risiken des Experiments entwickelt und<br />
gegebenenfalls verändert haben, soll während des Förderzeitraums un-<br />
tersucht werden: Auch die Analyse gehört zur Konzeption des Projekts.<br />
Der Wunsch aller Beteiligten ist, dass das Laboratorium so lange <strong>in</strong> der<br />
Schmidtstraße 12 bleibt, bis die geplanten neuen Räumlichkeiten auf<br />
dem Kulturcampus Bockenheim fertiggestellt s<strong>in</strong>d. Dort soll das<br />
Projekt dann dauerhaft beheimatet se<strong>in</strong>.<br />
Tanzproben im <strong>Frankfurt</strong> LAB:<br />
„And So What!“ – e<strong>in</strong> Jugendprojekt<br />
von Tanzlabor_21 und der hr-Bigband.<br />
Foto: Mart<strong>in</strong> Rottenkolber
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
„Fehlerkultur und Instrumentallernen“ lautet e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres<br />
Sem<strong>in</strong>ar, das die wissenschaftliche Musikpädagog<strong>in</strong><br />
Prof. Dr. Maria Spychiger im aktuellen W<strong>in</strong>tersemester 2010/2011<br />
geme<strong>in</strong>sam mit Prof. Sibylle Cada, Dozent<strong>in</strong> für Klavier,<br />
Methodik und Didaktik, für Studierende der Fachbereiche 1 und<br />
2 anbietet. Lehramtsstudierende und angehende Instrumentalpädagogen<br />
lernen und forschen dabei geme<strong>in</strong>sam zum Thema<br />
Fehlerkultur. Dabei handelt es sich um e<strong>in</strong> <strong>in</strong>novatives erziehungswissenschaftliches<br />
Thema, welches für das Musiklernen aktuell<br />
<strong>in</strong> der Entwicklung ist: das Lernen am Instrument und der Umgang<br />
mit Fehlern mit dem Ziel des Aufbaus e<strong>in</strong>er Fehlerkultur. Die<br />
Studierenden erhalten E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die lernpsychologischen Erkenntnisse<br />
zum Thema Fehlerkultur (durch Prof. Spychiger), und<br />
sie erhalten Anleitung zur entsprechenden fachlichen Praxis am<br />
Instrument (durch Prof. Cada) – <strong>in</strong> diesem Fall am Klavier.<br />
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Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
Aus Fehlern lernen<br />
– <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Sem<strong>in</strong>ar im W<strong>in</strong>tersemester<br />
E<strong>in</strong> Unternehmen der AXA Gruppe<br />
Die meisten E<strong>in</strong>heiten der Veranstaltung erfolgen im Teamteach<strong>in</strong>g<br />
der beiden Sem<strong>in</strong>arleiter<strong>in</strong>nen mit wechselnden Schwerpunkten<br />
(Theorie und/oder Praxis), immer aber mit Blick auf deren<br />
Verb<strong>in</strong>dung. Die Studierenden arbeiten an ihren eigenen Stücken,<br />
nach Möglichkeit meistens <strong>in</strong> Anwesenheit und unter aktiver<br />
Mitarbeit der Gruppe. Es kommt dabei nicht darauf an, wie weit<br />
man im Klavierspiel fortgeschritten ist, und es können auch<br />
Studierende am Sem<strong>in</strong>ar teilnehmen, die nicht spielen.<br />
Das Sem<strong>in</strong>ar f<strong>in</strong>det alle 14 Tage montags von 9.30–13 Uhr<br />
im Raum A 206 statt.<br />
Veranstaltungsbeg<strong>in</strong>n ist der 11. Oktober 2010.<br />
21
22 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Wenn der Schlachthof zur Kulisse wird<br />
– visualisierte Musik als „Transduktion“<br />
Komponisten und Mediengestalter erlebten e<strong>in</strong> spannendes Mite<strong>in</strong>ander mit zwei Aufführungen<br />
<strong>in</strong> der Wiesbadener Wartburg – Tjark Ihmels und Gerhard Müller-Hornbach erzählen<br />
Wer den Mut hat, e<strong>in</strong>en kreativen Weg e<strong>in</strong>zuschlagen, dessen<br />
Ende nicht absehbar ist, wird meistens belohnt. So jedenfalls<br />
erlebten es im vergangenen Semester junge Künstler gänzlich<br />
verschiedener Diszipl<strong>in</strong>en: Studierende der Kompositionsklasse<br />
von Prof. Gerhard Müller-Hornbach trafen auf Studierende des<br />
Instituts für Mediengestaltung an der Fachhochschule Ma<strong>in</strong>z,<br />
um geme<strong>in</strong>sam Bild und Klang, Video und Komposition zu e<strong>in</strong>er<br />
dramaturgisch schlüssigen Aufführung zu verschmelzen. Die<br />
Zusammenarbeit gipfelte <strong>in</strong> zwei Aufführungen <strong>in</strong> der Wartburg<br />
<strong>in</strong> Wiesbaden. Gerhard Müller-Hornbach und se<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zer Kollege<br />
Tjark Ihmels, Professor für Interaktive Gestaltung, beschreiben<br />
die spannende Begegnung der drei Ma<strong>in</strong>zer und sechs <strong>Frankfurt</strong>er<br />
Studierenden im Rahmen des <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Semesterprojektes<br />
„visualisierte Musik“.<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> Was war die Grundidee Ihres geme<strong>in</strong>samen<br />
Projektes?<br />
Prof. Gerhard Müller-Hornbach Auf die Idee e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit<br />
brachte uns 2008 erstmals Ernst-August Klötzke, der neben se<strong>in</strong>em<br />
Lehrauftrag an der <strong>HfMDK</strong> auch an der Fachhochschule <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z<br />
lehrt und die Musiktheater-Werkstatt am Staatstheater Wiesbaden<br />
leitet. Unser Vorhaben bestand dar<strong>in</strong>, Studierende verschiedener<br />
Fachrichtungen für e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Ganzes zu begeistern.<br />
Unter dem Leitmotiv „Transduktion“ s<strong>in</strong>d Kompositionen und Videosequenzen<br />
entstanden, die von enger gegenseitiger Absprache<br />
<strong>in</strong>spiriert waren und <strong>in</strong> den Aufführungen zeitgleich abliefen.<br />
FiT Das kl<strong>in</strong>gt nach e<strong>in</strong>em Projekt für Filmmusik.<br />
Prof. Tjark Ihmels: So ähnlich mag das anfänglich für die Studierenden<br />
geklungen haben – nämlich e<strong>in</strong> Musikvideo zu drehen. Doch<br />
die Ma<strong>in</strong>zer Studierenden haben schnell gemerkt, dass die<br />
Zusammenarbeit gänzlich anderes Arbeiten erforderte, als sie es<br />
vom Studium gewohnt s<strong>in</strong>d. Vor allem die Tatsache, dass am<br />
Ende des Projektes zwei Aufführungen stehen würden, hat me<strong>in</strong>e<br />
Studierenden enorm unter Druck gesetzt, weil sie dies aus ihren<br />
Projektarbeiten so nicht kennen.<br />
FiT Wor<strong>in</strong> lagen die Herausforderungen, beide Diszipl<strong>in</strong>en zusammenzubr<strong>in</strong>gen?<br />
Müller-Hornbach Die Komponisten mussten beispielsweise e<strong>in</strong>en<br />
Weg f<strong>in</strong>den, den Ma<strong>in</strong>zer Studierenden ihr musikalisches Konzept<br />
so zu vermitteln, dass es auch für Notenunkundige verständlich<br />
wurde. Da half es eben nicht, ihnen schlicht die Partitur vor die<br />
Nase zu halten. Sie mussten ihre Ideen plastisch verdeutlichen.<br />
Ihmels Me<strong>in</strong>e Studierenden lernten dabei Notationsprogramme<br />
kennen, die ihnen halfen zu erahnen, was sie musikalisch erwartet.<br />
Müller-Hornbach Bei den Kompositionsstudierenden konnte ich<br />
beobachten, dass es für sie e<strong>in</strong>e Herausforderung war, dass der<br />
Entstehungsprozess <strong>in</strong> der Komb<strong>in</strong>ation von Musik und Bild für<br />
sie nicht m<strong>in</strong>utiös planbar war. Das Unplanbare bekam damit e<strong>in</strong>e<br />
pädagogische Qualität, die dem Ergebnis zugute kam. Das hat<br />
ihnen Mut gemacht, sich auch zukünftig <strong>in</strong> solche Abenteuer zu<br />
stürzen.<br />
FiT Und wie g<strong>in</strong>gen die Medienkünstler mit dieser Ungewissheit<br />
um?<br />
Ihmels: Das Unplanbare schaffte uns erstmal e<strong>in</strong>e Beruhigung. Dass<br />
es diesmal aber nicht darum g<strong>in</strong>g, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Film e<strong>in</strong>e festgefügte<br />
Geschichte zu erzählen, wirkte auf die Studierenden wie e<strong>in</strong>e<br />
Erschütterung, mit der sie umgehen mussten. Allerd<strong>in</strong>gs blieben<br />
die Inhalte nicht im luftleeren Raum: Es zeichnete sich ab, dass es<br />
<strong>in</strong> der Musik wie <strong>in</strong> den Bildern um Begriffe wie Ohnmacht,<br />
Allmacht und Tod gehen sollte.<br />
FiT Welche Filmsequenzen s<strong>in</strong>d dabei entstanden?<br />
Ihmels Die wohl e<strong>in</strong>drücklichste ist die Szene von e<strong>in</strong>em Schlachthof,<br />
wo e<strong>in</strong> Pferd vor laufender Kamera getötet und dann vom Hof<br />
gezogen wird.<br />
FiT Diese Szene dürfte bei Komponisten für Verunsicherung gesorgt<br />
haben, oder?<br />
Müller-Hornbach Allerd<strong>in</strong>gs. Die Musik, die dazu lief, stammte von<br />
Dong Hee-Hii Kim. Sie stand der Vorstellung, dass ihre Komposition<br />
zu diesen krassen Bildern ablaufen sollte, anfangs recht zwiespältig<br />
gegenüber. In der Aufführung zeigte sich aber, dass beides<br />
übere<strong>in</strong>andergelegt e<strong>in</strong>e bee<strong>in</strong>druckende Wirkung ergab. Übrigens<br />
auch e<strong>in</strong>e schwierige Situation für die ausführenden Musiker: In<br />
den Proben konnten sie teilweise gar nicht mehr konzentriert<br />
spielen, weil sie gleichzeitig die Bilder verarbeiten mussten. Nach<br />
dem ersten Probedurchlauf entstand e<strong>in</strong>e lebhafte Diskussion<br />
darüber. Letztlich jedoch fühlten sich alle bereichert durch diese<br />
Erfahrung. Neu war für die Musiker auch, dass sie, oft mitten <strong>in</strong> der<br />
Projektionsfläche musizierend, selbst e<strong>in</strong> Teil der visuellen Inszenierung<br />
waren.<br />
FiT Welche Überraschungen gab es <strong>in</strong> den Aufführungen?<br />
Ihmels Die Tatsache, dass drei Studierende für acht im E<strong>in</strong>satz<br />
bef<strong>in</strong>dliche Projektoren an verschiedenen Stellen des Raumes<br />
verantwortlich waren, lässt die Herausforderung erahnen.<br />
E<strong>in</strong>e geradezu unerträgliche Spannung legte sich während der<br />
ersten von zwei Aufführungen gleichermaßen auf Publikum<br />
und Aufführende, als Dong Hee-Hii Kims Musik früher zu Ende
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2 23<br />
g<strong>in</strong>g als die Filmsequenz vom Schlachthof und das getötete Pferd<br />
<strong>in</strong> beklemmender Stille herausgezogen wurde. Viele haben mir<br />
erzählt, dass sie <strong>in</strong> diesem Moment wirklich <strong>in</strong>nerlich zu kämpfen<br />
hatten. Da wirkte der anschließende Applaus geradezu wie e<strong>in</strong>e<br />
Befreiung.<br />
FiT Was s<strong>in</strong>d die wichtigsten Erfahrungen, die Sie und die Studie-<br />
renden aus dem Projekt gewonnen haben?<br />
Ihmels Uns ist klar geworden, dass gegenseitiges Vertrauen e<strong>in</strong><br />
Zentralbegriff für derlei experimentelle Projekte ist. Es macht Mut<br />
und motiviert für die eigene Arbeit, wenn man sieht, dass Künstler<br />
anderer Diszipl<strong>in</strong>en ähnlich experimentierfreudig s<strong>in</strong>d.<br />
Müller-Hornbach Wertvoll fand ich zunächst, dass sich die Kompo-<br />
nisten mit der S<strong>in</strong>neswahrnehmung des Sehens ause<strong>in</strong>andersetzen<br />
mussten, und zwar auf der Ebene von „professionellen Sehern“,<br />
wenn man das so sagen kann. Das war per se e<strong>in</strong> großer<br />
Perspektivgew<strong>in</strong>n. Ansonsten hat das Projekt – jetzt schon erkenn-<br />
bar – <strong>in</strong> den nächsten Projekten der Komponisten, die teilgenom-<br />
men haben, Spuren h<strong>in</strong>terlassen. Die hier erlebten und durchlit-<br />
tenen Verunsicherungen s<strong>in</strong>d produktiv geworden und haben ihnen<br />
Mut gemacht. Selbst Dong Hee-Hii Kim, die Komponist<strong>in</strong> zur<br />
Sequenz der Pferdeschlachtung, hat sich e<strong>in</strong> erneutes Videoprojekt<br />
vorgenommen. bjh<br />
Statement<br />
Hubert Buchberger,<br />
Professor für Streicher-Kammermusik,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten ist für uns Kammermusiker e<strong>in</strong>e pure<br />
Selbstverständlichkeit: Das harmonische Hören ist unverzichtbare<br />
Basis für e<strong>in</strong>e gute Ensemble<strong>in</strong>tonation, das analytische<br />
Verständnis für die kompositorischen Strukturen und die<br />
Kenntnis der relevanten Quellen s<strong>in</strong>d Voraussetzungen s<strong>in</strong>nvoller<br />
Interpretation, das Bewusstse<strong>in</strong> für den historischen Ort<br />
e<strong>in</strong>es musikalischen Kunstwerkes ist maßgeblich für die<br />
stilistische Orientierung und für die Frage, welche Aspekte des<br />
Komponierten besonders akzentuiert werden sollen. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus ist Kammermusik Kommunikation, und die im kammermusikalischen<br />
Alltag auftretenden Parameter des künstlerischen<br />
Mite<strong>in</strong>anders s<strong>in</strong>d oft genug Paradebeispiele für gruppendynamische<br />
Prozesse. Dies alles ist im kammermusikalischen<br />
Arbeitsprozess auf e<strong>in</strong>e komplexe Weise mite<strong>in</strong>ander verknüpft<br />
und führt dazu, dass wir Kammermusiker uns neben unserer<br />
unmittelbaren Tätigkeit als Musiker oft auch als Musiktheoretiker,<br />
Wissenschaftler oder Psychologen erleben.
24 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Mit dem Mut zum Tabu-Bruch<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität und Instrumentalpädagogik<br />
Von Gerhard Mantel, Prof. em. für Violoncello an der <strong>HfMDK</strong><br />
Lernen ist Verknüpfen, Vergleichen und E<strong>in</strong>prägen. Da zum Verglei-<br />
chen immer m<strong>in</strong>destens zwei Gegenstände (zwei E<strong>in</strong>drücke,<br />
Aspekte, Methoden etc.) erforderlich s<strong>in</strong>d, stellt sich nicht die<br />
Frage, ob Interdiszipl<strong>in</strong>arität als „Pflicht oder Kür“ anzusehen sei,<br />
so als ob es im Ermessen des Lernenden oder Lehrenden stünde,<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität zu akzeptieren oder zu ignorieren. E<strong>in</strong>e gewisse<br />
„Interdiszipl<strong>in</strong>arität“, wenn man den Begriff etwas weiter fasst, ist<br />
vielmehr e<strong>in</strong> Aspekt jedes erfolgreichen Lernprozesses.<br />
Andererseits bedarf es e<strong>in</strong>es geistigen, ja sogar emotionalen<br />
Aufwands, um künstlerisch wirksame Methoden von anderen<br />
Instrumenten, anderen pädagogischen Feldern <strong>in</strong> analoge Bezie-<br />
hung zu setzen zur eigenen Arbeit. Wie kl<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> bestimmter<br />
Flöten-Ansatz auf e<strong>in</strong>em Cello? Wie kann e<strong>in</strong> Pianist e<strong>in</strong> Crescendo<br />
des Streichers simulieren? Wie macht e<strong>in</strong> Cembalist e<strong>in</strong>en Akzent?<br />
Wie imitiere ich als Streicher die klare Anschlags-Artikulation e<strong>in</strong>es<br />
Tasten<strong>in</strong>struments? Kann ich e<strong>in</strong>e Übemethode von e<strong>in</strong>em anderen<br />
Instrument übernehmen? Warum berührt mich der Vortrag e<strong>in</strong>es<br />
Sängers, das Spiel des „fremden“ Instrumentalisten?<br />
Solche Fragen müssen allerd<strong>in</strong>gs zuerst e<strong>in</strong>mal gestellt werden.<br />
Von dem bedeutenden britischen Mathematiker Georg Cantor<br />
stammt der Satz: „In mathematics the art of propos<strong>in</strong>g a question<br />
must be held of higher value than solv<strong>in</strong>g it“. Diesen Satz können<br />
wir ohne weiteres für unsere Kunst übernehmen. Fragen und die<br />
vielleicht zunächst nur vorläufigen Antworten br<strong>in</strong>gen übergeord-<br />
nete E<strong>in</strong>sichten, erweitern unser methodisches Arsenal und<br />
fördern darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Haltung, die man „Forschendes Üben“<br />
nennen kann.<br />
Nun tauchen allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Praxis allerlei Widerstände gegen<br />
e<strong>in</strong> solches Ideal <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Fragestellung auf: Da wir<br />
Musiker meistens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System von Fehlervermeidung soziali-<br />
siert wurden, verfallen wir oft e<strong>in</strong>er gefährlichen „Richtig falsch“-<br />
Dichotomie. Dies führt leicht dazu, dass mancher sich auf e<strong>in</strong>er<br />
verme<strong>in</strong>tlich sicheren Position häuslich e<strong>in</strong>richtet und tunlichst<br />
alles abwehrt, was diese Sicherheit stören könnte. Ungewohnte<br />
Gedanken, unorthodoxe E<strong>in</strong>stellungen, Tabu-Brüche, fremd<br />
ersche<strong>in</strong>ende Methoden, ja sogar ganz neue Lernziele können alle<strong>in</strong><br />
schon durch ihre „Neuheit“ als Bedrohung empfunden werden.<br />
Dem ist entgegen zu halten: Die Entwicklung e<strong>in</strong>es Musikers<br />
braucht die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit neuen Ideen, um Authentizität<br />
zu erwerben. Merke: Nicht alles, was anders ist, ist falsch! Das<br />
Neuartige, das anfangs Fremde fügt neue Blickw<strong>in</strong>kel h<strong>in</strong>zu, liefert<br />
neue Werkzeuge für unsere künstlerische Werkstatt.<br />
Wir betrachten uns als Künstler. Eigenartigerweise liegt im<br />
landläufigen Begriff der „Kunst“ selbst e<strong>in</strong> Keim des Widerstands<br />
gegen Interdiszipl<strong>in</strong>arität: Kunst soll ja idealerweise immer<br />
e<strong>in</strong>zigartig, <strong>in</strong>dividuell schöpferisch se<strong>in</strong>. Doch müssen wir uns<br />
fragen: Gibt es nicht auch übergeordnete, allgeme<strong>in</strong> gültige,<br />
überpersönliche ästhetische Regeln, aus denen verb<strong>in</strong>dliche<br />
Kriterien entstehen?<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität unterstützt das Auff<strong>in</strong>den solcher allgeme<strong>in</strong><br />
verb<strong>in</strong>dlicher Regeln. Sie ermöglichen es uns, Informationen als<br />
Transfermöglichkeit zu verwenden und nicht nur als „kasuistische“<br />
E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>formationen zu speichern. So muss es doch e<strong>in</strong>en Grund<br />
haben, warum Version „a“ besser ist als Version „b“! Zu wissen,<br />
warum e<strong>in</strong> F<strong>in</strong>gersatz, e<strong>in</strong> Ausdruck, e<strong>in</strong> dynamischer Prozess<br />
besser ist, ist wichtiger, als nur zu me<strong>in</strong>en, dass er besser ist.<br />
Und selbst dort, wo solche Widerstände überw<strong>in</strong>dbar ersche<strong>in</strong>en,
taucht schon die nächste Hürde auf, die kreative Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
verh<strong>in</strong>dern kann: das organisatorische System der Hochschule<br />
selbst. Es ist ja unbestritten, dass e<strong>in</strong>e Hochschule organisierbar<br />
se<strong>in</strong> muss. Dozenten werden nach Stunden (M<strong>in</strong>uten) bezahlt.<br />
Semester, Stundenpläne, Prüfungen müssen e<strong>in</strong>gehalten werden.<br />
Wirkliche künstlerische Lernprozesse h<strong>in</strong>gegen verlaufen erratisch,<br />
ja chaotisch. Authentisches Lernen braucht auch Fehler, sogar<br />
Misserfolge – und deren konstruktive Verarbeitung.<br />
Aber auch <strong>in</strong>nerhalb der Hochschule selbst existiert noch e<strong>in</strong><br />
weiteres Feld, auf welchem Interdiszipl<strong>in</strong>arität noch mehr gedeihen<br />
sollte, nämlich die sogenannten „Nebenfächer“. Sie dürfen nicht als<br />
unabhängige parallele Leistungen def<strong>in</strong>iert und gewertet werden,<br />
sondern müssen die Gesamtentwicklung des jungen Musikers<br />
„<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är“ bereichern. In der Praxis heißt dies: Sie müssen<br />
stärker auf das Hauptfach bezogen se<strong>in</strong>!<br />
Wenn man <strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>aren die geme<strong>in</strong>same Freude von Lehrenden<br />
und Lernenden an der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />
fremden Instrumenten, unbekannter Literatur, anderen Ansätzen<br />
erlebt, dann kann man eigentlich nur hoffen, dass Interdiszipl<strong>in</strong>ari-<br />
tät sich immer mehr zu e<strong>in</strong>em selbstverständlichen Arbeitsmodus<br />
der Hochschule entwickelt. Die legendäre Geigenpädagog<strong>in</strong><br />
Dorothy Delay schickte ihre Schüler zu Cellisten, Sängern, Orga-<br />
nisten, und der berühmte amerikanische Tubist Floyd Cooley<br />
verdankt se<strong>in</strong>en Erfolg nach eigener Aussage unter anderem se<strong>in</strong>em<br />
Unterricht bei – Rostropowitsch!<br />
Es schält sich so die eigenartige Forderung heraus, <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />
„Freiheit“ zu organisieren, was ja fast e<strong>in</strong> Widerspruch <strong>in</strong> sich ist.<br />
Und doch wäre es denk- und machbar, dass <strong>in</strong>nerhalb des Deputats<br />
e<strong>in</strong>es Dozenten e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Teil für übergeordnete Aktivitäten<br />
bereitgestellt wird, als da s<strong>in</strong>d (e<strong>in</strong>ige s<strong>in</strong>d bei uns erfreulicherweise<br />
im Ansatz schon Usus!):<br />
• Kollegengespräche über methodische Themen,<br />
fachbezogen und fachübergreifend<br />
• Geme<strong>in</strong>same Interpretationsvergleiche<br />
• Kollegengespräche über Entwicklung und spezielle<br />
Schwierigkeiten e<strong>in</strong>zelner Studenten, nicht nur bei Prüfungen<br />
• Hospitationen bei Dozenten des eigenen und e<strong>in</strong>es<br />
anderen Instruments<br />
• Im Gespräch mit Kollegen und Studenten kritisch<br />
aufgearbeitete Vorspiele<br />
• Gezielte, themengebundene Gastsem<strong>in</strong>are und Kongresse<br />
Die Hochschule steht damit vor e<strong>in</strong>er hochgradig <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Aufgabe!<br />
Statement<br />
Christoph Schmidt,<br />
Dekan Fachbereich 1, Professor für Kontrabass,<br />
25<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Für uns Instrumentalisten ist die Konfrontation mit e<strong>in</strong>er<br />
gewissen <strong>in</strong>ternen diszipl<strong>in</strong>ären Vielfalt unausweichlich. Die<br />
Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen <strong>in</strong> den Orchestern analysieren,<br />
arrangieren, komponieren, publizieren, dirigieren, produzieren,<br />
therapieren, veranstalten Konzertreihen und vieles andere<br />
mehr. Damit leisten sie neben der Orchestertätigkeit e<strong>in</strong>en<br />
wesentlichen Beitrag zu unserem Kulturleben.<br />
Aber viele Musiker sche<strong>in</strong>en durch die Komplexität der<br />
beruflichen Anforderungen, durch die notwendige Offenheit,<br />
Aufmerksamkeit und Diszipl<strong>in</strong> geradezu prädest<strong>in</strong>iert zu se<strong>in</strong>,<br />
auch <strong>in</strong> vielen anderen Bereichen außerhalb der Musik fundierte<br />
Kenntnisse und Fähigkeiten zu erlangen.<br />
Ich habe unzählige Orchestermusiker kennengelernt, die auf<br />
professionellem Niveau forschen, schreiben, malen, sammeln,<br />
organisieren, konstruieren, restaurieren, programmieren,<br />
Flugzeuge fliegen, sich politisch und sozial engagieren,<br />
Nachwuchs fördern und oft auch bemerkenswerte sportliche<br />
Leistungen vollbr<strong>in</strong>gen.<br />
Diese außermusikalischen Erfahrungen und zahlreichen<br />
wechselseitigen Bezüge bieten immer wieder neue Ansätze für<br />
e<strong>in</strong>e menschliche und künstlerische Weiterentwicklung.
26 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Nur Interdiszipl<strong>in</strong>äres hat e<strong>in</strong>e Chance: „Tanz der Künste“<br />
Der Projektfonds fördert studentische Projekte mit fächerübergreifender Konzeption<br />
Von Julian Kle<strong>in</strong>, Lehrbeauftragter für Projektleitung und Performance<br />
Im Fonds „Tanz der Künste“ stehen jährlich bis zu 20.000 Euro zur<br />
Verfügung, um die sich Studierende mit Projekten bei e<strong>in</strong>er Jury<br />
bewerben können. Die e<strong>in</strong>zige Bed<strong>in</strong>gung lautet: Interdiszipl<strong>in</strong>arität.<br />
Was wird erwartet? Zunächst: Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist mehr als bloße<br />
Zusammenarbeit über Fächergrenzen h<strong>in</strong>weg. H<strong>in</strong>zukommen muss<br />
e<strong>in</strong> Methodentransfer oder e<strong>in</strong>e Methodenreflexion, m<strong>in</strong>destens<br />
aber e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Gegenstand des Interesses. Wenn aus der<br />
Erfahrung der Beschränktheit der eigenen diszipl<strong>in</strong>ären Perspektive<br />
konzeptionelle Kraft gewonnen werden kann, dann hat Interdiszipli-<br />
narität ihre Bestimmung erreicht. Letztlich muss jedes Projekt für<br />
sich def<strong>in</strong>ieren und begründen, wie es se<strong>in</strong>e Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
versteht.<br />
rechts:<br />
Szene aus dem vom Tanz der<br />
Künste geförderten Projekt<br />
„Claroscuro“, e<strong>in</strong>em<br />
Tanzprojekt von<br />
Paula Rosolen (im Bild).<br />
Foto: Jörg Baumann<br />
Bild Seite 27:<br />
Szene aus „Le corps à corps“<br />
mit Paula Rosolen<br />
und Michael Gambacurta.<br />
Die Projekte haben dies bisher auf verschiedene Arten erfüllt:<br />
„Gegenüber – e<strong>in</strong>e Spekulation“ zum Beispiel setzte sich musika-<br />
lisch und räumlich mit e<strong>in</strong>er literarischen Vorlage ause<strong>in</strong>ander.<br />
„Le Corps à Corps“ untersuchte Bewegungsformen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Stück von Georges Aperghis. „Ceci n‘est pas une salle de concert“<br />
befragte experimentell die Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es Klavierkonzerts.<br />
„Ophelias Teich“ beschäftigte sich mit der Geschichte und<br />
Architektur des IG Farben-Gebäudes der Goethe-Universität.<br />
„SoundMoveSound“ entwickelte e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teraktive Elektronik für die<br />
Übersetzung von Körperbewegungen <strong>in</strong> Klang. „Claroscuro“<br />
verschrieb sich der Recherche nach Phänomenen des Alterns,<br />
und „Intravenös“ begab sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e umfassende Recherche nach<br />
Wahrnehmungsformen im Alltag, <strong>in</strong> den Künsten, diversen<br />
Wissenschaften und pathologischen Zuständen.<br />
Immer im W<strong>in</strong>tersemester kommen alle Interessierte im Sem<strong>in</strong>ar für<br />
Projektentwicklung zusammen. Dessen erster Teil ist der Phase „von<br />
der Idee zum Konzept“ gewidmet. Manche br<strong>in</strong>gen dazu bereits<br />
konkrete Pläne mit, andere wollen sich Projekten anschließen oder<br />
ihre Idee erst weiterentwickeln. Oft lernen sich Teams auch vorher<br />
<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Kursen und Sem<strong>in</strong>aren kennen, etwa <strong>in</strong> „Körper<br />
im Theater“ oder den Performance Workshops.<br />
Feedback von der Jury<br />
Im Sem<strong>in</strong>ar werden Projektideen gefunden, diskutiert, entwickelt<br />
und auch ausprobiert. Wichtige Entscheidungen, die im Verlauf des<br />
Projekts zu treffen s<strong>in</strong>d, werden auf ihre Abhängigkeiten h<strong>in</strong><br />
untersucht. Wo s<strong>in</strong>d Schwerpunkte, was s<strong>in</strong>d unabänderliche<br />
Randbed<strong>in</strong>gungen? Wie müssten die Ideen konsequenterweise<br />
umgesetzt werden? Wie wird aus den abhängigen Möglichkeiten<br />
e<strong>in</strong> rundes Konzept? Ist e<strong>in</strong>e Idee im Stadium der Konzeption<br />
angekommen, stellt sich die Frage, wie dieses Konzept verständlich<br />
kommuniziert und verschriftlicht werden kann. Am Ende stehen<br />
organisatorische Themen wie der Zeit- und F<strong>in</strong>anzplan sowie die
formalen Anforderungen e<strong>in</strong>es Förderantrags, der als Ergebnis des<br />
Workshops entsteht. Die „Tanz der Künste“-Jury begutachtet die<br />
Projekte, fordert vielleicht e<strong>in</strong>e Überarbeitung e<strong>in</strong>, bewilligt e<strong>in</strong>en<br />
Teil oder die ganze Summe oder rät zu e<strong>in</strong>er höheren Kalkulation,<br />
wenn sie der Me<strong>in</strong>ung ist, dass diese zu bescheiden ausgefallen sei.<br />
E<strong>in</strong>e Sprechstunde steht für künstlerische und <strong>in</strong>terne Fragen zur<br />
Verfügung, die nicht für die große Runde des Sem<strong>in</strong>ars bestimmt<br />
s<strong>in</strong>d. Die Projektanträge werden jeweils zum Ende des Jahres<br />
e<strong>in</strong>gereicht. Die im Januar bewilligten Projekte sollen dann bis zum<br />
Ende des nächsten W<strong>in</strong>tersemesters produziert werden.<br />
Kompaktförderung möglich<br />
Neben der Projektförderung ist auch e<strong>in</strong>e Kompaktförderung<br />
möglich, die für kle<strong>in</strong>ere Unterstützungen <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Projekte<br />
gedacht ist. Wenn Studierende für e<strong>in</strong> Vorhaben weniger als<br />
300 Euro beantragen möchten, ist dies jederzeit nach e<strong>in</strong>er<br />
Beratung <strong>in</strong> der „Tanz der Künste“-Sprechstunde möglich. Zu<br />
e<strong>in</strong>er schriftlichen Kurzbewerbung soll e<strong>in</strong>e Empfehlung e<strong>in</strong>es<br />
Dozenten beigelegt werden. Auf dieser Grundlage entscheidet dann<br />
e<strong>in</strong>e Kommission aus Dozenten kurzfristig über die Bewilligung.<br />
Außerdem wird jedes Jahr e<strong>in</strong> „Patchwork“-Projekt angeboten.<br />
Unter diesem Begriff verbirgt sich jeweils e<strong>in</strong>e Inszenierung,<br />
<strong>in</strong> deren Rahmen unabhängige Beiträge verschiedener Größe und<br />
Länge e<strong>in</strong>gebettet werden können: Hier können sowohl kle<strong>in</strong>ere<br />
Versuche als auch größere eigene Vorhaben aufgeführt werden.<br />
Im letzten Jahr war dies e<strong>in</strong>e Performance <strong>in</strong> der <strong>Frankfurt</strong>er<br />
U-Bahn mit dem Titel „sub date“. Für November 2010 ist e<strong>in</strong> Projekt<br />
zum Thema „bad news“ geplant.<br />
Austausch zwischen den Projekten<br />
Im zweiten Teil des Sem<strong>in</strong>ars, e<strong>in</strong>em monatlichen Treffen im<br />
Sommersemester, geht es um die Leitung der Projekte „vom<br />
Konzept zur Premiere“. Dieses Sem<strong>in</strong>ar ist auch für andere<br />
Interessierte offen. Das Programm wird jeweils an die Bedürfnisse<br />
der Teilnehmer angepasst. Die Projektteams sollen sich gegenseitig<br />
beraten und mit hilfreichen kritischen Fragen auf Probleme und<br />
Lösungen aufmerksam machen. Bei aller Unterschiedlichkeit<br />
können sich manche Herausforderungen durchaus gleichen, und<br />
es kann leichter se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Problemlösung für e<strong>in</strong> fremdes Projekt<br />
vorzuschlagen und dadurch auch für das eigene Vorhaben manches<br />
klarer zu sehen. Oft gewünscht werden Themen, die alle Projekte<br />
betreffen, zum Beispiel Teamarbeit, Produktionsplanung, Öffentlich-<br />
keitsarbeit, aber auch rechtliche Fragen, zusätzliche F<strong>in</strong>anzierung<br />
(Sponsor<strong>in</strong>g), Dokumentation oder Möglichkeiten, das Projekt auch<br />
anderen Veranstaltern anzubieten. Mit dem Sem<strong>in</strong>ar verbunden ist<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Beratung der Projekte, <strong>in</strong> der besondere Probleme<br />
und auch <strong>in</strong>haltlich-künstlerische Fragen weiter besprochen werden<br />
können. Jedes Projekt bekommt außerdem die Möglichkeit, sich<br />
e<strong>in</strong>en Mentor zu suchen, der gegen e<strong>in</strong>e Aufwandsentschädigung<br />
weiteren fachlichen Rat geben und das Projekt begleiten soll.<br />
Neben der Betreuung für die Projekte werden auch Kurzworkshops<br />
zu verschiedenen Themen angeboten, die ebenfalls allen Studieren-<br />
den offen stehen. Im W<strong>in</strong>tersemester 2010/2011 werden solche<br />
zu den Themen Pressearbeit (Gabriele Müller, Mousonturm,<br />
und Sylvia Dennerle, <strong>HfMDK</strong>), Fundrais<strong>in</strong>g (Kar<strong>in</strong> Heyl, Crespo<br />
Foundation, und Beate Eichenberg, <strong>HfMDK</strong>) sowie Dramaturgie<br />
(Philipp Schulte, ATW Giessen) angeboten.<br />
Eigene Kompetenz im Dialog<br />
Doch warum ist die Interdiszipl<strong>in</strong>arität <strong>in</strong> der künstlerischen<br />
Ausbildung überhaupt wichtig? Sollte die Hochschule nicht erst<br />
e<strong>in</strong>mal die „eigenen“ Fächer lehren, bevor die Studierenden sich<br />
mit anderen Diszipl<strong>in</strong>en beschäftigen? Dieser E<strong>in</strong>wand ist durchaus<br />
berechtigt. Doch es gibt zwei Überlegungen hierzu: Erstens: Die<br />
Kompetenzen und Möglichkeiten der eigenen Diszipl<strong>in</strong> lassen sich<br />
am e<strong>in</strong>drucksvollsten im Dialog mit anderen Fächern erleben, seien<br />
diese künstlerisch, wissenschaftlich oder außerhalb des Systems<br />
akademischer Diszipl<strong>in</strong>en, also „transdiszipl<strong>in</strong>är“. Zweitens:<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist nicht e<strong>in</strong>e Tätigkeit, die man tun oder lassen<br />
kann, sondern e<strong>in</strong>e Arbeitsweise, die ihrerseits gelernt, geübt und<br />
stetig weiterentwickelt werden muss. Daher ist die Interdiszipl<strong>in</strong>ari-<br />
tät e<strong>in</strong>e eigene Fachrichtung, die studiert und gelehrt werden muss.<br />
Die veränderten Anforderungen an e<strong>in</strong>e praxisnahe Ausbildung,<br />
die heute geforderte Vielseitigkeit von Berufskünstlern sowie die<br />
Tendenz, dass nicht mehr alle künstlerischen Karrieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
Stadt- oder Staatstheater münden, schaffen neue Erfordernisse<br />
<strong>in</strong> der künstlerischen Ausbildung. Der traditionelle Fachkünstler<br />
verändert sich immer mehr zu e<strong>in</strong>em vielseitigeren, selbständigeren<br />
Performer. Angesichts dessen ist die Forderung berechtigt, dass<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Arbeitsweisen zu e<strong>in</strong>er umfassenden<br />
künstlerischen Ausbildung, die ihren Namen verdient, im Kern<br />
dazu gehören.<br />
Kontakt: hfmdk@juliankle<strong>in</strong>.de<br />
Projektkoord<strong>in</strong>ation: tanzderkuenste@gmail.com<br />
Weitere Informationen unter:<br />
http://www.hfmdk-frankfurt.<strong>in</strong>fo/projekte-forschung<br />
27
28 <strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong>10/1 <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Auf der Suche nach<br />
e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />
Arbeitssprache<br />
E<strong>in</strong> Erfahrungsbericht aus e<strong>in</strong>em aktuellen<br />
„Tanz der Künste“- Projekt<br />
Szene aus<br />
„Just Before After”<br />
Im Sommer 2010 lief die erste Preview zum Projekt „Just Before<br />
After“ (AT) - e<strong>in</strong>er Neukomposition zu Sarah Kanes Text „4.48<br />
Psychosis“, die im <strong>Frankfurt</strong> LAB mit dem ensemble Interface und<br />
e<strong>in</strong>er Puppenspieler<strong>in</strong> aufgeführt wurde. Das Projekt, das vom Fonds<br />
Tanz der Künste, der Gesellschaft der Freunde und Förderer sowie<br />
der HTA gefördert wurde, strebte dabei nicht nur e<strong>in</strong>e hochschul<strong>in</strong>terne,<br />
sondern auch e<strong>in</strong>e hochschulübergreifende Vernetzung<br />
verschiedener Studienbereiche an, nämlich Dramaturgie (HMT<br />
Leipzig), Puppenspiel (HfS Berl<strong>in</strong>), Bühnenbild (Akademie der Bildenden<br />
Künste Wien) und Film (HfG Offenbach).<br />
Von Jagoda Szmytka (Komposition) und Laura L<strong>in</strong>nenbaum (Regie)<br />
Wie umfassend kann der Begriff der Interdiszipl<strong>in</strong>arität gefasst<br />
werden? Ist er bloß das Zusammenwirken verschiedener Methoden<br />
oder Fachbereiche? Das Zusammenwirken von Komposition und<br />
Puppenspiel, von Regie, Tanz und Bühnenbild oder auch von Wort<br />
und Körper, von Mensch und Instrument, Stimme und Wort?<br />
Ambivalenz erwünscht<br />
Entgegen e<strong>in</strong>em psychologischen Interpretationsansatz des<br />
verwendeten Textes „4.48 Psychosis“ sollte bei unserem Projekt<br />
„Just Before After“ die re<strong>in</strong>e Materialität des Textes <strong>in</strong>s Zentrum<br />
gerückt werden. Mit dem <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Zusammenwirken der<br />
Künste Tanz, Komposition, Puppenspiel und Bühne wollten wir e<strong>in</strong>e<br />
Form f<strong>in</strong>den, die die prozesshafte Autonomie der Mittel gegen jede<br />
Vere<strong>in</strong>nahmung durch e<strong>in</strong>e subjektivistische Sicht des Textes<br />
behauptet. Dabei geht es eben nicht darum, Puppenspiel, Musik,<br />
Tanz etc. mite<strong>in</strong>ander zu verschmelzen, sondern darum, die<br />
Ambivalenz zwischen diesen Feldern aufrecht zu erhalten und sie<br />
<strong>in</strong> Interaktion zu br<strong>in</strong>gen, damit im Dazwischen etwas entstehen<br />
kann. – It‘s about cross<strong>in</strong>g, not melt<strong>in</strong>g the borders. – Unbestritten<br />
ist, dass es sich letztlich immer auch um e<strong>in</strong>e künstliche Trennung<br />
zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen handelt, denn<br />
Musik ist schwer ohne Körper und Puppenspiel schwer ohne Klang<br />
zu denken. Aber gerade die Verschiedenartigkeit der Herangehensweisen,<br />
beg<strong>in</strong>nend <strong>in</strong> der Art der Kommunikation bzw. der Notwendigkeit,<br />
während der Arbeit überhaupt zu kommunizieren, ist es,<br />
was das Aufe<strong>in</strong>andertreffen so reizvoll macht. Die mit e<strong>in</strong>em<br />
solchen Projekt verbundene Suche nach e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />
Arbeitssprache wird somit zum Versuch, e<strong>in</strong>en Raum zu f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong><br />
dem jeder weiterh<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e eigene Sprache sprechen kann. Mehr<br />
noch: Im Aufe<strong>in</strong>andertreffen verschiedener Methoden und Richtungen<br />
ersche<strong>in</strong>t es so notwendig wie noch nie, die eigene<br />
zunächst zu def<strong>in</strong>ieren und von den anderen abzugrenzen. Wie<br />
antwortet e<strong>in</strong> leeres Notenblatt, wenn ich es beschreibe? E<strong>in</strong> Stück<br />
Holz, wenn ich es bearbeite? E<strong>in</strong>e Performer<strong>in</strong>, wenn ich ihr etwas<br />
vorgebe? Diese Erkenntnis mag profan kl<strong>in</strong>gen, aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Prozess, <strong>in</strong> dem es darum g<strong>in</strong>g, die l<strong>in</strong>guistische, baustoffliche,<br />
klangliche, bildhafte Materialität e<strong>in</strong>es Textes für die Bühne<br />
weiterzudenken und nicht an e<strong>in</strong>e Figurenpsychologie oder<br />
Narration zu verlieren, war es gerade die Reibefläche, die sich<br />
zwischen dem verschiedenen handwerklichen Umgang mit e<strong>in</strong> und<br />
demselben Gegenstand ergab, welche uns oft am weitesten<br />
vorantrieb. Mit der Methode des anderen konfrontiert zu se<strong>in</strong>,<br />
zw<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en, sich nicht im eigenen Muster zu verlieren – e<strong>in</strong>fach<br />
loszulaufen –, sondern jeden Schritt bewusst zu setzen. Durch<br />
Kanes Text kann man eben nicht e<strong>in</strong>fach l<strong>in</strong>ear laufen. Man stolpert<br />
oder spr<strong>in</strong>gt von e<strong>in</strong>er Stelle zur anderen und bleibt zwischen all<br />
den Brüchen und Falten immer <strong>in</strong> Bewegung.<br />
Statement<br />
Till Krabbe,<br />
Professor für Szenische Darstellung und Sprecherziehung,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Weder Pflicht noch Kür! Für mich ist Neugier das viel treffendere<br />
Wort. Wo wir uns auf die Suche danach begeben,<br />
wie unterschiedliche Diszipl<strong>in</strong>en sich gegenseitig bereichern<br />
können, ist immer Neugier die Triebfeder. Durch Neugier<br />
entsteht Neues und Aufregendes – besonders <strong>in</strong> jeder Form<br />
der künstlerischen (Zusammen-)Arbeit. Theater <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />
vielfältigen Ausdrucksformen ist lebendiges und mitunter auch<br />
„undiszipl<strong>in</strong>iertes“ Beispiel dafür.
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Der Körper ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />
<strong>HfMDK</strong> und Justus-Liebig-Universität Gießen bieten geme<strong>in</strong>sam den <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Studiengang „Choreographie und Performance“ an<br />
Von Prof. Dr. Gerald Siegmund, Leiter des Studiengangs<br />
„Choreographie und Performance“<br />
Im Dunkel des Probenraums im <strong>Frankfurt</strong> LAB bewegt sich e<strong>in</strong>e<br />
Tänzer<strong>in</strong> anmutig vor den Augen der Zuschauer, während h<strong>in</strong>ter ihr<br />
sieben auf den Kopf gestellte Plasmaschirme e<strong>in</strong> schwaches Licht<br />
abgeben, das ihre Silhouette hervorhebt. Wenig später werden,<br />
über e<strong>in</strong> Computerprogramm gesteuert, im wechselnden Rhythmus<br />
Aufnahmen von Menschen darauf zu sehen se<strong>in</strong>, die versuchen,<br />
e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Geschichte mit Gesten nachzuerzählen. Die Gesten s<strong>in</strong>d<br />
nach e<strong>in</strong>iger Zeit für die Zuschauer wirklich lesbar. Und doch s<strong>in</strong>d<br />
sie als körperliche Hervorbr<strong>in</strong>gung nicht auf ihre Bedeutung zu<br />
reduzieren. Nicht nur, dass jeder und jede der Gefilmten andere<br />
Gesten für die gleiche Geschichte f<strong>in</strong>det: Die <strong>in</strong>dividuellen Körper<br />
kommunizieren auch anderes – Haltungen und Spannungen,<br />
Formen und Beschaffenheiten, die ihre jeweilige Ausführung der<br />
Gesten unverwechselbar und besonders machen. Die Konfrontation<br />
von Körpern und ihren Bildern, von Sprache und Gesten, die<br />
L<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dheimer <strong>in</strong> ihrem Abschlussprojekt „Wie sie, wenn sie“ im<br />
Studiengang „Choreographie und Performance“ (CuP) <strong>in</strong> Gang<br />
Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
29<br />
setzt, ermöglicht e<strong>in</strong> Spiel mit verschiedenen Materialitäten,<br />
Zeitebenen und Räumen. Die Zuschauer müssen sich zwischen dem<br />
Gesehenen und Gehörten auf eigene Faust h<strong>in</strong>- und herbewegen,<br />
bis ihr Blick zu tanzen beg<strong>in</strong>nt.<br />
Der Master-Studiengang „Choreographie und Performance“ (CuP),<br />
der im Oktober 2008 die ersten Studierenden aufgenommen hat,<br />
ist <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Studiengang. Zum<br />
e<strong>in</strong>en bewegen sich die Projekte der Studierenden, wie das von<br />
L<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dheimer, zwischen Video<strong>in</strong>stallation, Tanz, Theater und<br />
Performance und damit zwischen den Künsten. Zweitens ist der<br />
Studiengang e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsstudiengang der Tanzabteilung der<br />
<strong>HfMDK</strong> <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> und dem Institut für Angewandte Theaterwissenschaft<br />
der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er siedelt sich<br />
damit zwischen den Institutionen an. Drittens schließlich verb<strong>in</strong>det<br />
er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Curriculum Theorie und Praxis. Er erwartet von den<br />
Studierenden gleichermaßen die Fähigkeit zu konzeptionellem und<br />
abstraktem Denken als auch die Lust und die Fertigkeit, eigene<br />
Ideen auf der Bühne auszuprobieren und szenisch umzusetzen.<br />
Szene aus „Wie sie, wenn sie“, der Abschlussarbeit für<br />
den Masterstudiengang Choreograpie und Performance von<br />
L<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dheimer im <strong>Frankfurt</strong> LAB.
30 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
CuP<br />
Der Studiengang Choreographie und Performance (CuP)<br />
wurde als Kooperationsstudiengang der Justus-Liebig-<br />
Universität Gießen (JLU) und der Hochschule für Musik und<br />
Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> (<strong>HfMDK</strong>) von<br />
Prof. He<strong>in</strong>er Goebbels und Prof. Dieter Heitkamp entwickelt.<br />
Angesiedelt ist er am Institut für Angewandte Theater-<br />
wissenschaft <strong>in</strong> Gießen. Bis Ende 2010 wird er noch von<br />
Tanzlabor_21, e<strong>in</strong>em Projekt der Kulturstiftung des Bundes,<br />
im Rahmen des Tanzplans Deutschland f<strong>in</strong>anziert. Für das<br />
kommende Jahr hat die JLU die F<strong>in</strong>anzierung übernommen.<br />
Ob der Studiengang über die bewilligten drei Jahre h<strong>in</strong>aus<br />
weitergeführt werden wird, steht zurzeit noch nicht fest.<br />
Fest steht aber, dass er schon jetzt e<strong>in</strong>e wichtige Rolle im<br />
Konzert der drei Tanzstudiengänge <strong>in</strong> der Region spielt.<br />
Wer sich um e<strong>in</strong>en Studienplatz bei CuP bewirbt, ist nicht <strong>in</strong><br />
erster L<strong>in</strong>ie an der Perfektionierung von Tanztechniken oder<br />
an der Vermittlung tanzpädagogischer Konzepte <strong>in</strong>teressiert.<br />
CuP bietet vielmehr e<strong>in</strong> die Tanz- und Aufführungspraxis<br />
reflektierendes Studium, das die Frage nach der Aktualität<br />
von Tanz und se<strong>in</strong>er Umsetzung auf der Bühne immer wieder<br />
neu und anders stellen muss. Dass der Studiengang zwischen<br />
den Hochschulen angesiedelt ist, bietet für die Studierenden<br />
die Chance, die Lehrangebote beider Institutionen zu nutzen<br />
und sich auf ihre Studienleistungen anrechnen zu lassen. Dies<br />
erlaubt verschiedene und differenzierte Ausrichtungen und<br />
Schwerpunktsetzungen <strong>in</strong>nerhalb des Lehrplans, die den<br />
eigenen Interessen der Studierenden gerecht werden können.<br />
Zwischen den Künsten<br />
Seit se<strong>in</strong>er Entwicklung an den oberitalienischen Fürstenhöfen war<br />
der Tanz als Kunstform e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Phänomen. So g<strong>in</strong>gen<br />
<strong>in</strong>s Hofballett der französischen und englischen Könige im 16. und<br />
17. Jahrhundert ebenso Dialoge e<strong>in</strong> wie aufwendig gestaltete<br />
Bühnenmasch<strong>in</strong>en, musikalische Darbietungen und getanzte<br />
Figuren, die allesamt Teile e<strong>in</strong>er Handlung waren. Erst die Purifikati-<br />
onen der Modernen seit der Wende zum 20. Jahrhundert haben<br />
den Tanz auf se<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tlich eigentlichen, der Kunstform<br />
spezifischen Mittel zu reduzieren versucht. Dabei spielte es ke<strong>in</strong>e<br />
Rolle, ob es sich um den freien Tanz e<strong>in</strong>er Isadora Duncan, den<br />
absoluten Tanz e<strong>in</strong>er Mary Wigman, George Balanch<strong>in</strong>es Revolution<br />
des klassischen Balletts oder Merce Cunn<strong>in</strong>ghams von Zufallspr<strong>in</strong>-<br />
zipien geleitete Arbeiten handelte. Tanz durfte nicht mehr se<strong>in</strong> als<br />
die Bewegung von Körpern <strong>in</strong> Raum und Zeit. Dagegen steht e<strong>in</strong>e<br />
andere Traditionsl<strong>in</strong>ie der Moderne, die neben der Revuetänzer<strong>in</strong><br />
Loie Fuller und ihren Experimenten mit elektrischem Licht auch<br />
Oskar Schlemmers raumplastische Figuren und die Gesamtkunst-<br />
werke des Ballets Russes be<strong>in</strong>haltet. Doch sowohl Waslaw Nij<strong>in</strong>sky<br />
als auch Isadora Duncan haben sich für ihre revolutionären Bewe-<br />
gungssprachen bei der bildenden Kunst bedient. Griechische<br />
Vasenbilder und ägyptische Reliefs standen Pate für ihre die Kon-<br />
ventionen sprengenden Bewegungskonzepte. Nimmt man diese<br />
E<strong>in</strong>sicht ernst, so folgt daraus, dass der Körper e<strong>in</strong> kulturelles<br />
Konstrukt ist, dessen physiologische Möglichkeiten immer im Dialog<br />
mit der kulturellen Sphäre erfahrbar werden und Bedeutung erlan-<br />
gen. E<strong>in</strong> solches Körperverständnis, das auf Essenzialismen verzich-<br />
tet, macht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten geradezu notwendig.<br />
Ist der Körper selbst das Resultat gesellschaftlicher Diskurse und<br />
Praktiken, so existiert er nie ohne Bilder, Texte und technische<br />
Apparate, die ihn durch Repräsentationsmuster unterschiedlicher<br />
Art hervorbr<strong>in</strong>gen und darstellen.<br />
Für die Arbeit am Master-Studiengang „Choreographie und Perfor-<br />
mance“ bedeutet das, jene medial erzeugten Repräsentationen des<br />
Körpers zu untersuchen. Der Körper selbst ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är. Tanz als<br />
Bühnenform ist daher nicht von Entwicklungen <strong>in</strong> der bildenden<br />
Kunst, dem Theater oder der Musik isoliert zu betrachten. Bild, Text,<br />
Klang, Raum und Licht s<strong>in</strong>d ebenso Mittel, die den Studierenden zur<br />
Verfügung stehen, um über den Körper nachzudenken, wie die<br />
Bewegung selbst. Auch wenn, wie <strong>in</strong> L<strong>in</strong>dheimers Projekt, über weite<br />
Strecken nicht getanzt wird, bleibt der Körper und dessen Potenzial<br />
zur Bewegung doch das Zentrum ihres Interesses. Vor diesem<br />
H<strong>in</strong>tergrund entstehen Stücke, die nicht mehr, wie <strong>in</strong> der Moderne,<br />
aufs Absolute zielen, sondern sich als körperliche Interventionen <strong>in</strong><br />
aktuelle gesellschaftliche Diskurse und tanzrelevante Fragestellungen<br />
verstehen. In diesem S<strong>in</strong>ne ist Choreographie auch immer als soziale<br />
Choreographie zu verstehen, die die körperlichen Verhaltensmuster<br />
der Menschen <strong>in</strong> gesellschaftlichen Kontexten zu ihrem Gegenstand<br />
macht.<br />
Zwischen Theorie und Praxis<br />
Vielleicht die größte <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Herausforderung für den<br />
Studiengang ist die Brücke, die er zwischen Theorie und Praxis<br />
schlägt. Auch die Theorie ist e<strong>in</strong>e Praxis, e<strong>in</strong>e Praxis des Denkens, die<br />
regelmäßig ausgeführt und geübt werden muss. Das unterscheidet<br />
sie also nicht von der praktischen Arbeit im Studio oder auf der<br />
Probebühne, die ebenfalls des Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bedarf. Vom Denker und<br />
Forscher zum Macher und Choreographen zu werden, bedeutet,<br />
traditionelle Grenzen der Diszipl<strong>in</strong>en und der Tätigkeitsfelder h<strong>in</strong>ter<br />
sich zu lassen. Beides zusammen zu lernen, ermöglicht es den<br />
Studierenden, die Selbstverständlichkeiten des e<strong>in</strong>en Feldes durch<br />
das andere Feld <strong>in</strong> Frage zu stellen. Aufführungskonventionen können<br />
ebenso wie habitualisierte Wahrnehmungsweisen als solche erkannt<br />
und <strong>in</strong> Frage gestellt werden. Im Vorfeld nicht zu wissen, wie das<br />
Stück, an dem man gerade arbeitet, aussehen wird, sondern immer<br />
wieder andere Formen zu f<strong>in</strong>den, die sich aus den eigenen Fragen an<br />
den Tanz ergeben, machen aus der künstlerischen Praxis e<strong>in</strong>e Art<br />
Forschung an den Möglichkeiten von Tanz und Theater. Praxis ist <strong>in</strong><br />
diesem S<strong>in</strong>ne theoretisierbar, während sich umgekehrt die Theorie<br />
aufgrund praktischer Ause<strong>in</strong>andersetzungen verändern wird. E<strong>in</strong>e<br />
solche Grenzüberschreitung bietet die Chance, genauer zu wissen,
was man warum tut. Künstlerische Entscheidungen werden so<br />
nicht nur begründbar und kommunizierbar, sondern sie können<br />
aufgrund von differenziertem historischem wie theoretischem<br />
Wissen auch anders getroffen werden.<br />
Blick auf Nachbardiszipl<strong>in</strong>en<br />
Etwa die Hälfte der Studienleistungen besteht aus wissen-<br />
schaftlichen Sem<strong>in</strong>aren zur historischen und zeitgenössischen<br />
Ästhetik, zu kulturwissenschaftlichen und philosophischen<br />
Körperkonzepten sowie zu theater- und tanzwissenschaftlichen<br />
Analysemethoden. Auch hierbei weitet sich der Blick auf die<br />
Nachbardiszipl<strong>in</strong>en. So haben wir uns im Rahmen e<strong>in</strong>es<br />
Sem<strong>in</strong>ars zum M<strong>in</strong>imalismus <strong>in</strong> der Kunst mit den Entwürfen<br />
bildender Künstler der 1960er Jahre ause<strong>in</strong>andergesetzt und<br />
dar<strong>in</strong> Fragen entdeckt, die nicht nur damals e<strong>in</strong>e Reihe von<br />
Tänzern und Tänzer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>spiriert haben, sondern auch im<br />
zeitgenössischen Tanz wieder neu gestellt werden. Die andere<br />
Hälfte ihrer Leistungen müssen die Studierenden mit prak-<br />
tischer Arbeit erbr<strong>in</strong>gen. Diese besteht sowohl aus regelmä-<br />
ßigem Körpertra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, das entweder von der Tanzabteilung der<br />
<strong>HfMDK</strong> oder dem vom Tanzlabor_21 organisierten Profitra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
angeboten wird, als auch aus Workshops mit Gastprofessoren<br />
und Gastprofessor<strong>in</strong>nen, die mit den Studierenden an ihren<br />
Ansätzen arbeiten.<br />
Eigene Projekte der Studierenden<br />
E<strong>in</strong>e dritte Säule s<strong>in</strong>d die eigenen Projekte der Studierenden.<br />
Bereits zum zweiten Mal konnte der Studiengang auf der<br />
Studiobühne des Mousonturms die „CuP-Pieces“ zeigen,<br />
jeweils vier Projekte von Studierenden im ersten Jahr, die ganz<br />
unterschiedliche Ansätze verfolgten. Auch die drei Abschluss-<br />
arbeiten des ersten Jahrgangs, die diesen Sommer im <strong>Frankfurt</strong><br />
LAB erarbeitet und gezeigt wurden, könnten unterschiedlicher<br />
nicht se<strong>in</strong>. Während L<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dheimer das Verhältnis von<br />
Sprache und Geste untersucht, begibt sich Paula Rosolen <strong>in</strong><br />
„Die Farce der Suche“ auf die Spuren der aus Deutschland nach<br />
Argent<strong>in</strong>ien emigrierten Tänzer<strong>in</strong> und Choreograph<strong>in</strong> Renate<br />
Schottelius. Aus historischen Dokumenten, Bildern und<br />
Interviews mit ihren Zeitgenossen versucht Rosolen die<br />
Übertragungsl<strong>in</strong>ien von Schottelius’ Schaffen nachzuzeichnen.<br />
Sebastian Schulz h<strong>in</strong>terfragt <strong>in</strong> „dance at a distance“ die<br />
Gleichsetzung von Tanz und Weiblichkeit <strong>in</strong> unserer Kultur,<br />
<strong>in</strong>dem er weiblich konnotierte Bewegungs- und Ausdrucksmu-<br />
ster <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Wiederholungen je verschieden rahmt,<br />
um damit unseren Blick auf das, was weiblich genannt wird, zu<br />
verändern.<br />
Allen geme<strong>in</strong>sam ist jedoch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Denken, das<br />
die Aufmerksamkeit von der re<strong>in</strong>en Bewegung ab- und auf<br />
gesellschaftliche Fragen h<strong>in</strong>lenkt.<br />
Szene aus Uri Terkenichs Arbeit<br />
„Material Movement“.<br />
Statement<br />
Dieter Heitkamp,<br />
Professor für Tanz, Direktor des Ausbildungsbereiches<br />
31<br />
Zeitgenössischer und Klassischer Tanz,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Die Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“ möchte ich mit<br />
e<strong>in</strong>em entschiedenen Ja beantworten. Ja zur Förderung <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Denkens und Handelns. Es müssen dr<strong>in</strong>gend mehr<br />
Angebote geschaffen werden, die Neugier auf das Fremde wecken,<br />
die beim Annähern helfen und motivierend wirken, ungewohnte<br />
Räume zu betreten. Ebenso muss bei der Entwicklung neuer<br />
Curricula Raum für <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Projektarbeit geschaffen<br />
werden. Die Begegnung mit anderen Künstlern, die Konfrontation<br />
mit unterschiedlichen Arbeits- und Denkweisen, Begrifflichkeiten,<br />
Strukturen und Fragestellungen kann zwar verunsichernd wirken,<br />
ermöglicht aber gleichzeitig wichtige neue Lernerfahrungen und<br />
Erlebnisse. Die Zusammenarbeit <strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Projekten<br />
verhilft den Teilnehmern auch zu e<strong>in</strong>er differenzierteren Wahrnehmung<br />
des eigenen Schaffens. Sie eröffnet ihnen weitere Perspektiven<br />
und Ressourcen. Geme<strong>in</strong>same Lernprozesse sollten als<br />
Bereicherung gesehen werden und nicht als Störfaktoren. Die<br />
<strong>HfMDK</strong> bietet <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es dichten Netzwerks dank spannender,<br />
kompetenter Partner viele Möglichkeiten, um Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
zu erproben und zu praktizieren. Es gibt bereits viele Angebote, die<br />
noch weiter entwickelt werden sollten, um so zur Profilierung<br />
der <strong>HfMDK</strong> als e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>novativen, künstlerischen Bildungs- und<br />
Forschungsstätte beizutragen.
32 <strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
E<strong>in</strong> Austausch, der wach<br />
hält und Mut macht<br />
Das Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiatenwerk br<strong>in</strong>gt Wissenschaftler<br />
unterschiedlicher Diszipl<strong>in</strong>en an e<strong>in</strong>en Tisch<br />
Von Dr. Wolfgang Eimer, Bereichsleiter Wissenschaft und Technik <strong>in</strong> der<br />
Stiftung Polytechnische Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
Die zunehmend komplexen Herausforderungen <strong>in</strong> Wissenschaft und<br />
Gesellschaft erfordern e<strong>in</strong> stärkeres Zusammenwirken von ganz<br />
unterschiedlichen Fachdiszipl<strong>in</strong>en. Nicht nur die Kooperation von<br />
Teilgebieten <strong>in</strong> den Naturwissenschaften ist damit geme<strong>in</strong>t.<br />
Vielmehr müssen auch die Naturwissenschaften mit den Geistesund<br />
Gesellschaftswissenschaften zusammenarbeiten, genauso<br />
wie Impulse aus der Kunst und Musik <strong>in</strong> bestimmte Fragestellungen<br />
e<strong>in</strong>fließen. Für e<strong>in</strong>e erfolgreiche <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Forschung werden<br />
motivierte und hochqualifizierte Wissenschaftler gebraucht, die <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Team zusammenarbeiten können. Es<br />
fordert von Wissenschaftlern die Bereitschaft, sich fremdem<br />
Denken zu öffnen und die konstruktive Kommunikation über die<br />
Fachdiszipl<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>aus zu erlernen.<br />
Junge Wissenschaftler möglichst früh <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne zusammen<br />
zu br<strong>in</strong>gen, ist das Ziel der Stiftung Polytechnische Gesellschaft.<br />
Daher ist das Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiatenwerk von Beg<strong>in</strong>n an<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är ausgerichtet. In dem Programm werden Studierende,<br />
Doktoranden und junge Nachwuchswissenschaftler aus ganz<br />
unterschiedlichen Fachdiszipl<strong>in</strong>en gefördert. In der ersten Generation<br />
wurden 2008 Naturwissenschaftler, Erziehungswissenschaftler,<br />
Historiker, angehende Ingenieure, aber auch Musikpädagogen und<br />
Musikwissenschaftler aufgenommen. Unser Anspruch ist es, die<br />
jungen Menschen dazu zu bewegen, über den Tellerrand des<br />
eigenen Faches h<strong>in</strong>auszuschauen. Die Gespräche untere<strong>in</strong>ander,<br />
die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Studien- und Forschungsgebieten<br />
der anderen Stipendiaten und die e<strong>in</strong>fachen Fragen des Fachfremden<br />
sollen dazu anregen, eigenes Tun zu reflektieren sowie<br />
neue Impulse für sich selbst und für die eigene Arbeit aufzunehmen.<br />
Funktioniert das? Diese Frage lässt sich aus den bisherigen<br />
Erfahrungen mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>deutigen Ja beantworten.<br />
R<strong>in</strong>gen um Def<strong>in</strong>itionen und Methoden<br />
Schon während der Kennenlernphase auf dem E<strong>in</strong>führungssem<strong>in</strong>ar,<br />
wo die Unterschiede im Theorieverständnis und <strong>in</strong> der Kommunikation<br />
der Wissenskulturen rasch erkannt wurden, kam von den<br />
Stipendiaten die Idee, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Kolloquium auszurichten.<br />
Gesagt, getan: Zum W<strong>in</strong>tersemester 2009/2010 fanden die<br />
ersten Veranstaltungen an der <strong>HfMDK</strong> statt. Die <strong>in</strong>terne Vortragsund<br />
Diskussionsreihe startete mit der Frage „Trans- oder Interdiszipl<strong>in</strong>arität?“,<br />
um e<strong>in</strong>e begriffliche Annäherung an den aktuellen<br />
Stand diszipl<strong>in</strong>übergreifender Forschung zu erlangen. Die Stipendiaten<br />
wollten e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Basis für ihr weiteres Tun f<strong>in</strong>den.<br />
Zu diesem Zeitpunkt wurde noch viel um Begriffe, Def<strong>in</strong>itionen und<br />
Methoden gerungen. Nach fünf weiteren Veranstaltungen war dann<br />
e<strong>in</strong> deutlicher Fortschritt <strong>in</strong> der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Kommunikation<br />
zu erkennen. Fachspezifische Positionen und Denkmuster wurden<br />
erkannt und respektiert. Zum Abschluss der Reihe setzten sich die<br />
Stipendiaten mit dem Thema Klimawandel ause<strong>in</strong>ander. Die<br />
E<strong>in</strong>führung lieferte e<strong>in</strong>e Naturwissenschaftler<strong>in</strong> unter dem Titel<br />
„Manche mögen´s heiß – was der Klimawandel für unsere Umwelt<br />
bedeutet“. Es schloss sich e<strong>in</strong>e spannende und lebhafte Diskussion<br />
an, <strong>in</strong> der nicht nur um die Bewertung der Gefahren aus der Sicht<br />
der Naturwissenschaften gerungen wurde. Auch die möglichen<br />
Auswirkungen des Klimawandels auf das Zusammenleben<br />
von Menschen und Gesellschaften aus unterschiedlichen Perspektiven<br />
diskutierten die Teilnehmer. Es entwickelte sich e<strong>in</strong> wahrhaft<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Austausch. Doch nicht nur die Diskussion<br />
zwischen den Fachdiszipl<strong>in</strong>en wird gepflegt: Gespräche der<br />
Stipendiaten schon am Rande der Sem<strong>in</strong>are <strong>in</strong> der Ma<strong>in</strong>Campus<br />
Akademie s<strong>in</strong>d der Ausgangspunkt für überschaubare geme<strong>in</strong>same<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Projekte gewesen.
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiaten<br />
bei e<strong>in</strong>er lebhaften<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Diskussion.<br />
Mit dabei die<br />
<strong>HfMDK</strong>-Studierenden<br />
Krist<strong>in</strong>a Wömmel (h<strong>in</strong>ten l<strong>in</strong>ks)<br />
und Bianca Hellberg (rechts).<br />
Impulse für den „musikalischen Enthusiasmus“<br />
Im kommenden Semester wird das Interdiszipl<strong>in</strong>äre Kolloquium von<br />
der zweiten Generation fortgeführt. Mit der Psychologie, den<br />
Gesellschaftswissenschaften und der bildenden Kunst wird der<br />
Fächerkanon ausgeweitet. Der Impuls, e<strong>in</strong>e Kultur der <strong>in</strong>terdiszipli-<br />
nären Kommunikation im Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiatenwerk zu<br />
entwickeln, ist von jetzt allen 53 Stipendiaten aufgenommen<br />
worden. Das Aufe<strong>in</strong>andertreffen von fachspezifischer Theoriespra-<br />
che, Methoden und Orientierungen wird bei jeder Begegnung als<br />
Herausforderung und gleichzeitig als besondere Chance gesehen.<br />
Krist<strong>in</strong> Wömmel promoviert an der <strong>HfMDK</strong> über den musikalischen<br />
Enthusiasmus. Sie profitiert sehr von den Begegnungen mit ihren<br />
Mitstipendiaten: „Es kommt automatisch zu Vergleichen und daraus<br />
resultierenden Unterschieden, die mich dazu anregen, me<strong>in</strong>e eigene<br />
Arbeit immer wieder neu zu reflektieren. Dabei ergeben sich stetig<br />
Fragen wie: Wo gibt es <strong>in</strong>haltlich reizvolle Überschneidungen mit<br />
anderen Diszipl<strong>in</strong>en? Wie spezifisch ist das, was ich herausf<strong>in</strong>den<br />
will? Was br<strong>in</strong>gen me<strong>in</strong>e Erkenntnisse für die Gesellschaft? Die<br />
letzte Frage ergreift mich immer wieder besonders, wenn ich etwas<br />
von den bedeutenden Forschungszielen me<strong>in</strong>er naturwissenschaft-<br />
lich ausgerichteten Mitstipendiaten erfahre wie beispielsweise der<br />
Entwicklung von neuer Antibiotika oder der spezifischen<br />
Erforschung der menschlichen Zellteilung. Das hält mich wach<br />
und stärkt mich <strong>in</strong> den D<strong>in</strong>gen, denen ich nachgehe.“<br />
Dar<strong>in</strong> geübt zu se<strong>in</strong>, den Blickw<strong>in</strong>kel über die eigenen diszipl<strong>in</strong>ären<br />
Zäune h<strong>in</strong>aus zu öffnen, bereitet die Stipendiaten hoffentlich darauf<br />
vor, sich <strong>in</strong> der Zukunft leichter komplexen Problemfeldern von<br />
Wissenschaft und Gesellschaft zu stellen, um sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>terdis-<br />
zipl<strong>in</strong>ären Team umfassend zu beschreiben und zu bearbeiten.<br />
Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
Statement<br />
Jörg Heyer,<br />
Professor für Bratsche,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität muss Pflicht und Kür se<strong>in</strong>. Pflicht ist die<br />
notwendige Zusammenarbeit der Lehrenden, Kür ist das<br />
Vergnügen und der persönliche Gew<strong>in</strong>n aller Beteiligten<br />
– gleich ob Lehrender oder Lernender. Wir lernen alle, und<br />
das ist auch notwendig, Stillstand wäre Rückschritt. Wenn<br />
ich auf mehr als 30 Jahre Hochschularbeit zurückblicke, kann<br />
ich mit Freude die positiven Veränderungen zum Stichwort<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität konstatieren, aber ich sehe auch noch<br />
Bereiche <strong>in</strong> ihren e<strong>in</strong>gefahrenen und möglicherweise schon<br />
verkrusteten Strukturen. Ich würde mir zum Thema Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
e<strong>in</strong> regelmäßiges Symposium – auch im Austausch<br />
mit anderen Hochschulen – wünschen, das Anregungen zur<br />
Veränderung vermitteln könnte.<br />
Statement<br />
Ralph Abele<strong>in</strong>,<br />
Professor für Schulpraktisches Klavierspiel,<br />
Ensemblearbeit und Arrangieren,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Musiker, <strong>in</strong>sbesondere Musiklehrer, wenden ihre im Studium<br />
erlernten Kompetenzen meistens nicht isoliert an, sondern<br />
setzen bei ihrer Arbeit verschiedene Fertigkeiten gleichzeitig<br />
e<strong>in</strong>. Deshalb sollte auch das Studium Angebote bieten, <strong>in</strong> der<br />
e<strong>in</strong>e solche Verschränkung von Kompetenzen thematisiert und<br />
praktiziert wird. Interdiszipl<strong>in</strong>äre Zusammenarbeit fördert<br />
außerdem die gegenseitige Wahrnehmung im Lehrenden-<br />
Kollegium und hilft, die Rolle des eigenen Faches im gesamten<br />
Kontext immer wieder neu zu begreifen.<br />
33
34 <strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Sublimierter Streit<br />
– zur Soziologie<br />
der Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
Von Tilman Allert, Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der<br />
Johann Wolfgang Goethe-Universität <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
Die Idee der Interdiszipl<strong>in</strong>arität stammt aus dem wissenschaftlichen<br />
Raum. Sie bezieht sich dort auf e<strong>in</strong>e Selbstreflexion derjenigen, die<br />
den unvermeidlichen Weg der Spezialisierung und kognitiven<br />
Differenzierung gegangen s<strong>in</strong>d, die sich im Horizont e<strong>in</strong>es mühsam<br />
erstrittenen und stets fragilen Argumentationsraums nach fachspezifischen<br />
Standards, nach Konventionen der methodisch kontrollierten<br />
Problembehandlung e<strong>in</strong>gerichtet haben, die dabei jedoch<br />
von e<strong>in</strong>er Art Unbehagen erfasst s<strong>in</strong>d, das eigene Instrumentarium<br />
der Erkenntnisbildung reiche irgendwie nicht aus. So entsteht<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität zunächst als Reaktion auf e<strong>in</strong>e Insuffizienz-Erfahrung<br />
des eigenen Tuns, reflektiert die Begrenztheit der erworbenen<br />
Kompetenzen. Die Maxime der Interdiszipl<strong>in</strong>arität folgt e<strong>in</strong>er<br />
Sehnsucht, e<strong>in</strong>er Mischung aus ungebremster Neugier und<br />
Ernüchterung. Wo Wissenschaft betrieben wird, entsteht e<strong>in</strong><br />
paradoxes und hoch ambivalentes Gemisch aus Autonomieansprüchen<br />
e<strong>in</strong>erseits und zugleich Kooperationswünschen andererseits.<br />
Wissenschaftspolitisch wird diese für das B<strong>in</strong>nenverhältnis<br />
grundlegende Ambivalenz verselbständigt zu e<strong>in</strong>er schicken<br />
Maxime, nicht selten zu e<strong>in</strong>er Organisationszumutung. Ke<strong>in</strong> Projekt,<br />
ke<strong>in</strong> Antrag, ke<strong>in</strong> Vorhaben ohne irgende<strong>in</strong>e Anmerkung zur<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität, so stellt sich die Situation seit jeher <strong>in</strong> den<br />
Universitäten dar, zunehmend auch im Bereich künstlerischen<br />
Handelns sowie der Musik- und Kunsthochschulen. Häufig wird<br />
dabei die soziale Seite übersehen, die im Alltag der Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
aufsche<strong>in</strong>t und den Beteiligten häufig genug das Leben schwer<br />
macht: Interdiszipl<strong>in</strong>är zu arbeiten ist zunächst e<strong>in</strong>e Handlungszumutung,<br />
ist Belastung, soziologisch e<strong>in</strong> Streit. Streiten unterliegt<br />
jenseits der Hoffnung auf e<strong>in</strong>en kognitiven Gew<strong>in</strong>n, e<strong>in</strong>er sozialen<br />
Logik des spannungsreichen Austauschs, an dessen Beg<strong>in</strong>n die<br />
Kompetenzabgabe steht. Dar<strong>in</strong>, <strong>in</strong> der Abgabe und <strong>in</strong> dem Sich-E<strong>in</strong>lassen<br />
auf die Ungewissheit des Ausgangs, liegt das Geheimnis<br />
jeder Kooperation. Im Bereich e<strong>in</strong>er systematisch auf Kooperation<br />
angelegten Tätigkeit wie <strong>in</strong> den verschiedenen Sparten der<br />
künstlerischen Darbietung ist das e<strong>in</strong> alter Hut. Kooperation ist<br />
konstitutiv für das Künstlertum, <strong>in</strong> den performanzorientierten<br />
Diszipl<strong>in</strong>en an Musikhochschulen ist die Handlungszumutung, die<br />
mit ihr verbunden ist, versteckt bzw. sublimiert durch das, was die<br />
Komposition, Texte, Dramaturgie, Regie und Choreographie vorgibt.<br />
Kooperation ist schon schwierig genug; wer Musik, Tanz oder
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Ramon John,<br />
Tänzer der ZuKT-Abteilung<br />
der <strong>HfMDK</strong>.<br />
Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
Foto: Dietmar Janeck<br />
Schauspielerei studiert, hat sich auf diese Implikation längst<br />
e<strong>in</strong>gestellt. Das gilt für die Studierenden ebenso wie für die<br />
Lehrenden. Noch die Selbstverliebtheit der Solo-Karriere weiß um<br />
den Abstimmungsbedarf, um das kooperative Arrangieren e<strong>in</strong>es<br />
Resonanzraumes für die eigene Interpretation. Für diesen seit<br />
Jahrhunderten selbstverständlichen Alltag kooperativer Tätigkeiten<br />
im Bereich von Musik und darstellender Kunst sollten wir den<br />
Begriff Interdiszipl<strong>in</strong>arität nicht verwenden – wer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ensem-<br />
ble spielt, der kooperiert, und das ist bekanntlich schon schwierig<br />
genug.<br />
Provozierte Wahrnehmungsgewohnheiten<br />
Allerd<strong>in</strong>gs liefert die Handlungszumutung, die schon <strong>in</strong> jeder<br />
aufführungsbezogenen Kooperation schlummert, e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis auf<br />
die Komplexitäten, die entstehen, wenn Interdiszipl<strong>in</strong>arität prakti-<br />
ziert wird. Man sieht sofort: Es handelt sich um e<strong>in</strong>e gesteigerte<br />
Form der Kooperation, <strong>in</strong>tensiviert h<strong>in</strong>gegen das soziale Problem<br />
der Kompetenzabgabe und der E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Begrenztheit des<br />
eigenen Vermögens. Mit Hilfe der Soziologie lassen sich e<strong>in</strong>ige<br />
begriffliche Erläuterungen e<strong>in</strong>führen, die Ausdrucksgestalten<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Arbeit zu unterscheiden erlauben. In dieser Skizze<br />
genügt dafür die Unterscheidung von Ideen, Motiven und Konstella-<br />
tionen. Von der Ideen-Seite ist die Sache e<strong>in</strong>fach, Begründungen<br />
für Interdiszipl<strong>in</strong>arität gehen e<strong>in</strong>em leicht von der Zunge. Mit ihr<br />
verb<strong>in</strong>det sich, ganz allgeme<strong>in</strong> betrachtet, das Ziel der Komplexi-<br />
tätserhöhung <strong>in</strong> der Produktion und Rezeption ästhetischer Gebilde.<br />
Tanz, Musik, Schauspielerei und Ballett verlieren ihr angestammtes<br />
Herstellungs- und Darbietungsprivileg und tauchen, komplex<br />
komb<strong>in</strong>iert, nebene<strong>in</strong>ander auf, vermischen sich und provozieren<br />
Wahrnehmungsgewohnheiten des spartengewohnten Zuhörers<br />
bzw. Zuschauers. Wer sich <strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Projekten trifft, hat<br />
e<strong>in</strong>e Erwartung an produktive Dissonanz- oder auch Konsonanzer-<br />
lebnisse, an Erfahrungsgew<strong>in</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em handwerklichen S<strong>in</strong>ne, an<br />
die überraschende Lektüre des eigenen musikalischen, darstelle-<br />
rischen oder tänzerischen Entwurfs, die die neuen Nachbarn von<br />
nebenan versprechen.<br />
Im Moment der Aufführung<br />
verschw<strong>in</strong>det die Frage nach<br />
dem Wie ihrer Entstehung:<br />
Stimmigkeit im Ausdruck und<br />
Expansion des ästhetischen<br />
Wahrnehmungsraums bleiben<br />
die Kriterien des Gel<strong>in</strong>gens.<br />
Tilman Allert<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität als Handlungszumutung<br />
Soweit die Ebene der Ideen. Auf der Seite der Motive wird die<br />
Sache schon schwieriger. Auch die Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist, sozial<br />
betrachtet, e<strong>in</strong>e Handlungszumutung, wie sie für die Kooperation<br />
typisch ist, aber doch folgenreicher. Schließlich geht es um e<strong>in</strong>e<br />
35
36 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Bereitschaft, auf den diszipl<strong>in</strong>ären Stolz zu verzichten. Interdiszipli-<br />
narität komb<strong>in</strong>iert Alle<strong>in</strong>vertretungsansprüche und ist von daher<br />
streitanfällig, kann dabei jedoch auf Moderatoren oder Streit-<br />
schlichter nicht zurückgreifen. Selbsterzeugter Streit sowie<br />
selbsterzeugte Versöhnung liegen dem Kommunikationsgeschehen<br />
zugrunde und stürzen die Beteiligten <strong>in</strong> das Abenteuer situativer<br />
Aufgabe von Kompositions- oder Darbietungs-Hoheitsrechten. Geht<br />
man nun drittens der Frage nach, welche Ausdrucksgestalten des<br />
Mite<strong>in</strong>anders unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />
entstehen, so lassen sich folgende Konstellationen unterscheiden:<br />
Man kann sich mit den besten Motiven zur Zusammenarbeit<br />
entschließen, im Ergebnis entsteht e<strong>in</strong>e ästhetische Qualität, <strong>in</strong> der<br />
die Diszipl<strong>in</strong>en über e<strong>in</strong>e wechselseitige Indifferenz nicht h<strong>in</strong>aus-<br />
kommen. Interdiszipl<strong>in</strong>arität ergibt sich hierbei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong><br />
beschreibenden S<strong>in</strong>ne: Leute, die vorher nichts mite<strong>in</strong>ander zu tun<br />
hatten, treffen sich projektbezogen, arbeiten an e<strong>in</strong>er Aufführung;<br />
e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nlich wahrnehmbares Resultat stellt sich h<strong>in</strong>gegen nicht e<strong>in</strong>.<br />
E<strong>in</strong>e Steigerung dieser Konstellation liegt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prozess vor, den<br />
man latente Obstruktion nennen könnte. Man arbeitet <strong>in</strong>terdiszipli-<br />
när, aber zum Zwecke der Demonstration eigener Spartendomi-<br />
nanz. Die Interdiszipl<strong>in</strong>arität verkommt hierbei zu e<strong>in</strong>em Statusge-<br />
rangel mit wechselseitiger Blockade. Von diesen beiden Ausdrucks-<br />
formen lässt sich e<strong>in</strong>e dritte unterscheiden, bei der die<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität e<strong>in</strong>e Art ästhetische Parallelaktion zu erzeugen<br />
vermag. Zuhörer bzw. Zuschauer werden mit der begleitenden<br />
Präsenz von Sparten konfrontiert, es läuft gleichsam e<strong>in</strong> zweiter<br />
Opernsänger als „Bühnen-<br />
Allrounder“: Szenischer Abend<br />
der <strong>HfMDK</strong>-Gesangsklasse im<br />
Juli 2010.<br />
Film, e<strong>in</strong> zweites Stück, und ästhetisch wird zu e<strong>in</strong>em Zapp<strong>in</strong>g<br />
e<strong>in</strong>geladen, das Überraschung mit Wahrnehmungsgew<strong>in</strong>n ver-<br />
knüpft. Schließlich entsteht erst <strong>in</strong> dem vierten Typus von Interdiszi-<br />
pl<strong>in</strong>arität das Ergebnis, das die wechselseitige Anstrengung<br />
rechtfertigt: e<strong>in</strong>e Assimilation und produktive Konfliktivität, e<strong>in</strong><br />
Streit, der ästhetisch erfolgreich sublimiert wird, der e<strong>in</strong>e Expansion<br />
von Lesarten der Wahrnehmung e<strong>in</strong>leitet, die sowohl für die<br />
Entwicklung der Künste und der an ihr arbeitenden Berufe als auch<br />
für die Rezeptionsgewohnheiten des Publikums Neues hat entste-<br />
hen lassen.<br />
E<strong>in</strong> Streit mit Kompetenzstolz<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität stellt sich mit anderen Worten dar als e<strong>in</strong>e<br />
komplexe Form der Kooperation, die stets e<strong>in</strong>er ästhetischen Idee<br />
als Begründung bedarf. In sozialer H<strong>in</strong>sicht liegt ihr e<strong>in</strong> Streit<br />
zugrunde, den zu artikulieren und gegen die Aspirationen des<br />
eigenen Kompetenzstolzes auszuhalten, allen Beteiligten abverlangt<br />
wird. Im Ergebnis lässt sie e<strong>in</strong>e Vielfalt von Konstellationen<br />
entstehen, die nicht zw<strong>in</strong>gend und schon gar nicht dadurch, dass<br />
e<strong>in</strong> paar Leute me<strong>in</strong>en, man müsse mal etwas zusammen machen,<br />
dem angestrebten Ziel nahekommen. Indifferenz, Obstruktion,<br />
Parallelität und Assimilation s<strong>in</strong>d hier als mögliche Ergebnisse von<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität entworfen. Selbstsuggestionen begleiten die<br />
Zusammenarbeit als latente Potenziale des Missl<strong>in</strong>gens. Fragt man<br />
nach den Voraussetzungen des Gel<strong>in</strong>gens, so mag wiederum der<br />
Blick auf die Wissenschaften hilfreich se<strong>in</strong>, ohne dass damit
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
behauptet werden soll, dass der wissenschaftliche Raum für<br />
gel<strong>in</strong>gende Interdiszipl<strong>in</strong>arität besonders prädest<strong>in</strong>iert sei. Wer sich<br />
darum bemüht, es im Horizont des eigenen diszipl<strong>in</strong>är kontrollierten<br />
Vermögens e<strong>in</strong>mal mit den Nachbarn, neu h<strong>in</strong>zugezogenen oder<br />
schon lange vertrauten, zu versuchen, der sollte über die Fähigkeit<br />
der Paraphrase verfügen. Das eigene Tun aus der Perspektive<br />
anderer zu paraphrasieren, die handwerklichen Kundigkeiten,<br />
ästhetischen Traditionen und Vorlieben der Nachbarn <strong>in</strong> die<br />
Gewohnheiten der eigenen Diszipl<strong>in</strong> zu übersetzen, das gehört zu<br />
den Voraussetzungen gel<strong>in</strong>gender Interdiszipl<strong>in</strong>arität. Insofern<br />
haben wir es bei dem, was da tagtäglich allen Beteiligten, Leh-<br />
renden wie Studierenden, als lässige Parole daherkommt, mit e<strong>in</strong>em<br />
ästhetisch sublimierten Übersetzungsstreit zu tun. Sich ihm<br />
auszusetzen, ist e<strong>in</strong>e Herausforderung und alles andere als e<strong>in</strong>e<br />
Frage von Term<strong>in</strong>absprachen. Und nach dem Streit, nach dem<br />
Projekt braucht die Diszipl<strong>in</strong>, jede Diszipl<strong>in</strong>, ihre Zeit zur Reflexion<br />
und zur Überprüfung des Abenteuers, auf das man sich e<strong>in</strong>gelassen<br />
hat. Wie Streit und Versöhnung, so liegen Interdiszipl<strong>in</strong>arität und<br />
diszipl<strong>in</strong>ärer Eigens<strong>in</strong>n auf den Ebenen e<strong>in</strong>es Kont<strong>in</strong>uums, das <strong>in</strong><br />
der Ausbildung sichtbar zu machen und für die Studierenden im<br />
H<strong>in</strong>blick auf das Abenteuer, aber auch im H<strong>in</strong>blick auf die legitimen<br />
Wünsche der Selbstschonung bereitzustellen wäre.<br />
Statement<br />
Werner Jank,<br />
Professor für Musikpädagogik,<br />
„Endstation Mutti“: Studierende<br />
der Schauspielabteilung als<br />
Protagonisten e<strong>in</strong>es szenischen<br />
Gesangsabends.<br />
37<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Musizieren ist von sich aus immer schon <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är, gerade<br />
auch aus musikpädagogischer Sicht: Das Lernen und Lehren<br />
von Musik bezieht beispielsweise immer den Körper e<strong>in</strong> – es ist<br />
mit Bewegung verbunden. Letztlich ist Musik mit allen anderen<br />
Künsten verschwistert, und darüber h<strong>in</strong>aus mit ihrem kulturellen<br />
und gesellschaftlichen Umfeld. Wer Musiklernen nur auf das<br />
Musikalische im engen S<strong>in</strong>n begrenzt, amputiert die Vielfalt und<br />
die vielfältigen Bedeutungen der Musik.
38<br />
Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium <strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Die Hochschule<br />
als Brutstätte für Neugier und Wachheit<br />
Claudia Doderer schildert E<strong>in</strong>drücke vom Entstehungsprozess der aktuellen <strong>HfMDK</strong>-Musiktheaterproduktion<br />
„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“ und erklärt, was die Arbeit an e<strong>in</strong>er Hochschule so lebendig macht.<br />
Am 22. Oktober f<strong>in</strong>det die Uraufführung des zeitgenössischen<br />
Musiktheaters „Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“ statt, e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />
Produktion des Instituts für zeitgenössische Musik mit den<br />
Fachbereichen der <strong>HfMDK</strong>, die im Bockenheimer Depot zu sehen<br />
se<strong>in</strong> wird. Dr. Julia Cloot sprach während der Produktionsphase mit<br />
der Bühnenbildner<strong>in</strong> und Regisseur<strong>in</strong> Claudia Doderer, die für das<br />
Raumkonzept und die Ausstattung des Musiktheaters verantwortlich<br />
zeichnet. E<strong>in</strong>e ausführliche Beschreibung des <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
Projektes ist auf Seite 2 des Veranstaltungskalenders nachzulesen.<br />
„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“<br />
und se<strong>in</strong>e Entstehung:<br />
Konzeptionsgespräch mit<br />
(von l<strong>in</strong>ks) Mart<strong>in</strong>a Stütz,<br />
Dramaturg<strong>in</strong>,<br />
Laura L<strong>in</strong>nenbaum,<br />
Regisseur<strong>in</strong>,<br />
Maren Gabriel,<br />
Kostümassistent<strong>in</strong>,<br />
Katr<strong>in</strong> Brechmann,<br />
Produktionsassistent<strong>in</strong>,<br />
und Johanna Greulich,<br />
Sänger<strong>in</strong>.<br />
Dr. Julia Cloot Was ist für Sie das Besondere an diesem Stoff, e<strong>in</strong>er<br />
japanischen Kurzgeschichte, <strong>in</strong> der es kaum äußere Handlung gibt?<br />
Claudia Doderer Vielleicht die Spannung zwischen Nähe und Ferne,<br />
die das Verhältnis der beiden Protagonisten zue<strong>in</strong>ander kennzeichnet.<br />
Dann spielt für mich auch e<strong>in</strong>e Rolle, dass die Geschichte e<strong>in</strong>en<br />
anderen kulturellen Horizont hat. Und die Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit der puren Emotion; deswegen haben sich die KomponistInnen<br />
unter den ihnen zur Wahl gestellten Geschichten von Akutagawa<br />
vielleicht auch gerade diese ausgesucht. Der Anstoß zu etwas<br />
Neuem erfolgt immer aus e<strong>in</strong>er tiefen <strong>in</strong>neren Bewegung heraus.<br />
Cloot Wie wird denn aus vier e<strong>in</strong>zelnen Musiktheaterarbeiten e<strong>in</strong><br />
runder Abend?
Claudia Doderer<br />
verantwortet das Raumkonzept<br />
und die Ausstattung von<br />
„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“<br />
Foto: Thomas Dashuber<br />
Doderer Die Herausforderung an dem Projekt ist, dass es sich<br />
viermal um e<strong>in</strong>- und dieselbe Geschichte handelt. Jede/r der vier<br />
KomponistInnen musste e<strong>in</strong>en eigenen Zugang f<strong>in</strong>den, sich<br />
<strong>in</strong>dividuell profilieren. Me<strong>in</strong>e Haltung dabei war, e<strong>in</strong>erseits ganz viel,<br />
andererseits aber auch ganz wenig e<strong>in</strong>zugreifen. Im Übrigen ist für<br />
mich die musikalische Gestaltung das Wichtige, nicht die zugrunde<br />
liegende Geschichte. Die eigene künstlerische Haltung zum Stoff ist<br />
für mich <strong>in</strong>teressant. Die Dramaturgie ergibt sich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Arbeit<br />
direkt aus dem Verhältnis der Musik zum Raum. In ke<strong>in</strong>er anderen<br />
Gattung steht das Wechselspiel von Zeit und Raum so im Zentrum<br />
wie <strong>in</strong> der Oper. Dieses Verhältnis spielt <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em künstlerischen<br />
Zugriff immer e<strong>in</strong>e übergeordnete Rolle.<br />
Cloot Sehen Sie e<strong>in</strong>en grundsätzlichen Unterschied zwischen Ihren<br />
anderen Arbeiten und diesem Musiktheater-Projekt?<br />
Statement<br />
Christopher Brandt,<br />
Professor für Gitarre,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Das Attribut der „Interdiszipl<strong>in</strong>arität“ wird – gerade im<br />
kulturellen Bereich – immer gerne verwendet, um Weltläufigkeit,<br />
kommunikative Kompetenz und umfassende Vernetztheit<br />
zu suggerieren, ohne dass im E<strong>in</strong>zelfall geklärt wird, was es mit<br />
diesem Begriff eigentlich auf sich hat. Gerade im musikalischen<br />
Bereich wird dann entweder behauptet, Musik sei per<br />
se <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är (was – da ja auf jede Diszipl<strong>in</strong> anwendbar –<br />
den Begriff vollkommen entwertet); oder jede künstlerische<br />
Darreichungsform, <strong>in</strong> der Musik e<strong>in</strong>e Rolle spielt (Liederabend,<br />
Lesung mit Musik, Tanztheater, Oper, Schauspiel, Festakt mit<br />
musikalischer Untermalung, Film etc.) wird mit diesem Begriff<br />
geschmückt. Aus eigener Erfahrung würde ich behaupten, dass<br />
die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiches <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres<br />
Arbeiten immer noch größtmögliche Professionalität auf<br />
dem jeweils eigenen Fachgebiet ist – dem sollte auch e<strong>in</strong>e<br />
akademische Ausbildung Rechnung tragen.<br />
39<br />
Doderer In der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Stoff ist die Arbeit mit<br />
den StudentInnen gar nicht soviel anders. Vielleicht ist das<br />
Bewusstse<strong>in</strong>, genau zu wissen, was man will, bei jungen Komponisten<br />
noch nicht ganz so ausgeprägt. Sie haben noch ke<strong>in</strong>e<br />
praktische Erfahrung, aber sie wissen genau, wonach sie suchen.<br />
Daran habe ich selbst e<strong>in</strong> großes Interesse: Die künstlerische Suche<br />
stellt für mich e<strong>in</strong>en Wert an sich dar. Deswegen freue ich mich<br />
auch darüber, mit Laura L<strong>in</strong>nenbaum e<strong>in</strong>en jungen, wachen Geist<br />
für die Regie dabei zu haben, weil sie me<strong>in</strong>en unverstellten Blick auf<br />
die Arbeit teilt. Es s<strong>in</strong>d vier junge Leute, die extrem hart arbeiten<br />
und gleichzeitig noch sehr offen s<strong>in</strong>d. Wie schützt man diese Offenheit<br />
und sorgt gleichzeitig für die professionelle Umsetzung? Diese<br />
Spannung über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum zu halten, ist für mich das<br />
Schwierigste und das Schönste zugleich.<br />
Cloot Was kennzeichnet e<strong>in</strong>e im Team entwickelte künstlerische<br />
Arbeit?<br />
Doderer Die D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d von Anfang an noch <strong>in</strong> der Entwicklung. Ich<br />
werde nicht vor e<strong>in</strong>e fertige Partitur gesetzt. Deswegen b<strong>in</strong> ich<br />
immer an der unmittelbaren Zusammenarbeit mit zeitgenössischen<br />
Komponisten <strong>in</strong>teressiert. An e<strong>in</strong>er Hochschule f<strong>in</strong>det diese quasi<br />
noch <strong>in</strong> potenzierter Form statt, weil es sich um die künftige und im<br />
besten Falle noch offenste Künstlergeneration handelt. Es gibt ja<br />
durchaus e<strong>in</strong>en Markt auch für experimentelle Produktionen. Die<br />
Widerstände s<strong>in</strong>d zwar groß, und der E<strong>in</strong>fluss auf den Musikbetrieb<br />
ist zäh, aber ich glaube, dass experimentelle Produktionen Zukunft<br />
haben. Bei der Münchner Biennale gilt zum Beispiel die Prämisse,<br />
schon <strong>in</strong> der Konzeptionsphase geme<strong>in</strong>sam anzufangen. Früher war<br />
das gar nicht so viel anders: Die Aufführungspraxis Händels und<br />
Mozarts folgte beispielsweise <strong>in</strong> der Zusammenarbeit mit den<br />
Sängern oder den Librettisten viel mehr dem „work <strong>in</strong> progress“-<br />
Gedanken als die Oper des 19. und erst recht das Regietheater des<br />
20. Jahrhunderts.
40 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Cloot Was würden Sie jungen KomponistInnen mit auf den Weg<br />
geben?<br />
Doderer Sie sollten versuchen, die Waage zu halten zwischen der<br />
Konzentration auf sich selbst und e<strong>in</strong>er Öffnung nach außen. Das<br />
gegenseitige Interesse könnte noch größer se<strong>in</strong>. Ich selbst setze<br />
dabei auf Fragen und e<strong>in</strong>e diskursive Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den<br />
Themen. Neugier und Wachheit könnte man an e<strong>in</strong>er Hochschule<br />
noch viel mehr fördern und fordern. Wie ist me<strong>in</strong>e Position, wo<br />
stehe ich selbst? Die jungen KomponistInnen reden gar nicht so viel<br />
mite<strong>in</strong>ander, sie streiten auch nicht.<br />
Cloot Was f<strong>in</strong>den Sie <strong>in</strong> der künstlerischen Arbeit besonders<br />
wichtig?<br />
Doderer Auf praktische Erfahrung zurückgreifen zu können, ohne <strong>in</strong><br />
Rout<strong>in</strong>e zu verfallen – dazwischen muss man die Waage halten.<br />
Rout<strong>in</strong>e ist etwas, wovon man sich immer wieder abstößt. Es geht<br />
immer um die Balance zwischen Standbe<strong>in</strong> und Spielbe<strong>in</strong>.<br />
Cloot Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit mit Beat Furrer?<br />
Doderer Zwischen uns ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> grundsätzliches Vertrauen<br />
spürbar, weil jeder die Arbeit des anderen kennt und schätzt.<br />
Cloot Haben Sie manchmal am Erfolg des Projektes gezweifelt?<br />
Doderer Bei jeder Arbeit kommt der Punkt, an dem man denkt, man<br />
könnte es nicht zu Ende br<strong>in</strong>gen. Das Jahr der Vorarbeit hatte ja<br />
e<strong>in</strong>e unglaubliche Struktur, die e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsschritte waren klar<br />
festgelegt: zuerst das Konzept, dann die Umsetzung vom Kopf <strong>in</strong><br />
die Praxis, schließlich die Schulung am realen Raum. Raumproportionen<br />
und Hördistanzen müssen erst erprobt, die experimentelle<br />
Anordnung etabliert werden. Wie es schließlich wird, wie spannungsvoll<br />
die Stücke sich gegenüberstehen, muss man erst <strong>in</strong> der<br />
Arbeit sehen und hören. Unsicherheitsfaktoren bleiben darüber<br />
h<strong>in</strong>aus die Ausführenden selbst, also die GesangsstudentInnen und<br />
die InstrumentalistInnen.<br />
Cloot Was könnte e<strong>in</strong>e Nachwirkung des Projektes se<strong>in</strong>?<br />
Doderer Die Präsenz des Zeitgenössischen und die zeitgemäße<br />
Entwicklung neuer Formen müssten <strong>in</strong> den Opernhäusern und <strong>in</strong><br />
den Hochschulen viel mehr wertgeschätzt werden. Auf ke<strong>in</strong>en Fall<br />
dürfen beide nur Pflichtübungen se<strong>in</strong>. Das f<strong>in</strong>de ich so schön an der<br />
Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hochschulprojekt: Es muss dabei nichts Marktgängiges<br />
herauskommen. Ich selbst verstehe mich ja auch nicht als<br />
„marktgerechte“ Zuarbeiter<strong>in</strong>. Wie die Leute sich <strong>in</strong> der Hochschule<br />
<strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> begegnen und wie sie mite<strong>in</strong>ander kommunizieren, das<br />
wirkt immer sehr lebendig auf mich.<br />
Cloot Was kennzeichnet e<strong>in</strong>e Hochschule im Unterschied zu<br />
anderen Kultur<strong>in</strong>stitutionen? Ist die Infrastruktur, über die e<strong>in</strong><br />
Theater, nicht aber e<strong>in</strong>e Hochschule verfügt, e<strong>in</strong> Problem?<br />
Doderer Bei Produktionen dieser Art läuft es sowieso nicht ab wie<br />
am Theater, sondern eher wie bei e<strong>in</strong>em Festival. Man muss sich<br />
behelfen und beschränken, was aber nicht das Schlechteste ist. Die<br />
Arbeit an e<strong>in</strong>er Hochschule ist unglaublich privilegiert, weil man<br />
weitgehend das produzieren kann, was man möchte. Wo kann man<br />
noch etwas machen, ohne dass der Ausgang schon garantiert se<strong>in</strong><br />
muss? Die puren Künste ohne Ausrichtung auf den Markt gelten zu<br />
lassen, gestattet fast nur die Hochschule. Die Opernhäuser<br />
wünschen sich zwar auch mehr Lebendigkeit, aber lassen sie auch<br />
kaum zu. E<strong>in</strong> starker Impuls g<strong>in</strong>g für mich immer von den Arbeiten<br />
der Fluxus-Künstler aus. Extreme Erfahrungen s<strong>in</strong>d dabei ganz<br />
wichtig. Das ist übrigens e<strong>in</strong> gesamtgesellschaftliches Problem und<br />
e<strong>in</strong> Problem <strong>in</strong> allen Künsten: Die konkrete Erfahrung ist immer<br />
noch das, was dem Menschen am meisten beibr<strong>in</strong>gt und was ihm<br />
das höchste Glücksgefühl gibt.<br />
Aufzeichnung: Dr. Julia Cloot<br />
Statement<br />
Dr. Mart<strong>in</strong>a<br />
Peter-Bolaender,<br />
Professor<strong>in</strong> für Körperbildung und Bewegungslehre,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Die Körper- und Bewegungslehre <strong>in</strong> der Künstlerischen<br />
Ausbildung ist e<strong>in</strong>e fruchtbare Schnittmenge verschiedener<br />
Diszipl<strong>in</strong>en: erlebte Anatomie, erforschte Physiologie, Philosophie<br />
der östlichen und westlichen Atem- und Bewegungslehren,<br />
Üben <strong>in</strong> der Tradition asiatischer Bewegungskünste,<br />
Entfaltung von Potenzialen <strong>in</strong> der Tanz- und Theaterimprovisation.<br />
Durch die Integration von erlebtem und am eigenen Leib<br />
erforschtem Wissen entstehen und entfalten sich lebendige<br />
Neugier an zeitgenössischen künstlerischen Prozessen und<br />
e<strong>in</strong>e hohe Körperpräsenz für die Bühnenarbeit.
Förderprojekte 2010 der Gesellschaft der Freunde<br />
und Förderer der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> e.V.<br />
Nachdem die Gesellschaft der Freunde und Förderer im zurückliegenden<br />
Jahr Hochschulprojekte mit rund 160.000 Euro gefördert<br />
hat, legen die Freunde und Förderer im Jahr 2010 noch e<strong>in</strong>s drauf.<br />
Das Fördervolumen erhöht sich um weitere 30.000 Euro auf<br />
190.000 Euro.<br />
Zu den mehrjährigen Förderprojekten der GFF zählen:<br />
• Starterstipendien für zehn begabte Studienanfänger<br />
• DAAD-Stipendien für ausländische Studierende<br />
• Die Gastprofessur im Ausbildungsbereich Schauspiel, im<br />
Jahr 2010 mit Udo Samel<br />
• Die Arbeitsphase e<strong>in</strong>es renommierten Dirigenten mit dem<br />
Hochschulorchester, Gastdirigent 2010 war Krzysztof Penderecki<br />
• Die Orchestrierung der Konzertexam<strong>in</strong>a<br />
Förderprojekte 2010:<br />
• „Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt.“, zeitgenössisches Musiktheater<br />
mit drei Vorstellungen im Bockenheimer Depot vom<br />
22.–24. Oktober 2010<br />
• „Maritime Rites“, zwei Konzerte im öffentlichen Raum,<br />
im Juni 2010 an den <strong>Frankfurt</strong>er Ma<strong>in</strong>ufern<br />
• Das Opernprojekt „Zaide“ mit Aufführungen beim Zeltfestival<br />
Merzig und <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong>-Höchst<br />
• THE ARTIST’S BODY 2 – e<strong>in</strong> Körperkongress als Angebot für alle<br />
Erstsemester am 15. und 16. Oktober 2010. Thema: Körper und<br />
Körperwahrnehmung mit Fokus auf Präsenz und Bühnenpräsenz<br />
• Gesangsworkshop mit Kammersänger Kurt Moll für zehn<br />
hervorragende Studierende der oberen Semester, April 2010<br />
• Barcelona International Dance Exchange 2010 mit<br />
vier Stipendiaten des Masterstudiengangs Zeitgenössische<br />
Tanzpädagogik, März 2010<br />
• Ankauf e<strong>in</strong>es barocken Piccolo-Cellos<br />
• Mentales Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für Sänger<strong>in</strong>nen und Sänger als dreitägiger<br />
Workshop, November 2010<br />
• „Just.Before.After“– Studentisches Projekt im <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />
„Tanz der Künste“, August 2010.<br />
Freunde und Förderer<br />
41<br />
Zwei Kontrafagotte im Duo:<br />
E<strong>in</strong>es davon hat die<br />
Gesellschaft der Freunde und Förderer<br />
f<strong>in</strong>anziert.
42 Freunde und Förderer<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Den Jahresbericht 2009<br />
der Freunde und Förderer<br />
schicken wir Ihnen gerne zu.<br />
Sie können ihn telefonisch<br />
oder per E-Mail bestellen:<br />
Tel: 069-154 007 137<br />
oder <strong>in</strong>fo@hfmdk-freunde.de<br />
oben:<br />
<strong>Frankfurt</strong>s Oberbürgermeister<strong>in</strong><br />
Petra Roth im Gespräch<br />
mit Clemens Börsig (l<strong>in</strong>ks) und<br />
Thomas Rietschel.<br />
unten:<br />
Gesangse<strong>in</strong>lage der Schauspielklasse<br />
bei der künstlerischen Feier<br />
des Fördervere<strong>in</strong>s im Kle<strong>in</strong>en Saal<br />
der <strong>HfMDK</strong>.<br />
Die Gesellschaft der Freunde und Förderer verfolgt drei Förderschwerpunkte:<br />
Sie unterstützt die hochklassige Ausbildung der<br />
Studierenden zu anerkannten, erfolgreichen Künstlern, zum Beispiel<br />
mit dem Ankauf besonderer Instrumente, der F<strong>in</strong>anzierung von<br />
Meisterkursen und Workshops oder von Abschlussprojekten der<br />
Studierenden. Gefördert werden außerdem künstlerische Projekte<br />
mit großer Ausstrahlung wie das aktuelle zeitgenössische Musiktheater<br />
„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt.“ (Uraufführung am 22.10. im<br />
Bockenheimer Depot). Dritter Förderschwerpunkt ist der Ausbau des<br />
Stipendienprogramms für Studierende der Hochschule für Musik<br />
und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong>.<br />
<strong>Frankfurt</strong>s Oberbürgermeister<strong>in</strong> gratuliert zur Wiederwahl<br />
Am 10. Mai bestätigten die Freunde und Förderer mit ihrer Wiederwahl<br />
Dr. Clemens Börsig (Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen<br />
Bank), Wolfgang Kirsch (Vorstandsvorsitzender der DZ BANK) und<br />
den Präsidenten der <strong>HfMDK</strong> Thomas Rietschel für weitere drei Jahre<br />
als Vorsitzende der Gesellschaft der Freunde und Förderer (GFF) der<br />
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
e.V. <strong>Frankfurt</strong>s Oberbürgermeister<strong>in</strong> Petra Roth, Mitbegründer<strong>in</strong> der<br />
GFF, gratulierte und würdigte zum Auftakt der anschließenden<br />
künstlerischen Feier des Fördervere<strong>in</strong>s das erfolgreiche Wirken der<br />
Freunde und Förderer seit 2007.<br />
3. Runde für das Starterstipendium<br />
Zum dritten Mal vergibt die Gesellschaft der Freunde und Förderer<br />
der <strong>HfMDK</strong> fünf Starterstipendien an Studierende, die bei ihren<br />
Aufnahmeprüfungen zum W<strong>in</strong>tersemester 2010/2011 besonders gut<br />
abgeschnitten haben. Neu <strong>in</strong>s Stipendienprogramm aufgenommen<br />
wurden die Lehramtsstudierenden N<strong>in</strong>a Strauch und Clarissa<br />
Wagner, Carol<strong>in</strong> Millner (Regie), Anne Siebrasse (Saxophon) und<br />
Péter István Kett (Trompete). Die Studierenden erhalten 200 Euro im<br />
Monat über zwölf Monate. Mit dem Starterstipendium fördern die<br />
Freunde und Förderer junge, herausragende Talente und erleichtern<br />
ihnen den Studienstart <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong>. Die DZ BANK Stiftung, die con<br />
moto foundation und weitere Freunde und Förderer haben auch <strong>in</strong><br />
der dritten Förderrunde wieder mehrere Stipendien übernommen.
GFF<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2 10/1 Schwerpunktthema EXZELLENZ und ELITE<br />
43<br />
Gesellschaft der Freunde<br />
und Förderer der<br />
Hochschule für Musik<br />
und Darstellende Kunst<br />
<strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
Seit 2007 gibt es die Gesellschaft der Freunde und Förderer der<br />
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am<br />
Ma<strong>in</strong> e.V. Die Freunde und Förderer engagieren sich für optimale<br />
Studienbed<strong>in</strong>gungen und mehr Spielraum für junge begabte<br />
und leidenschaftliche Künstler<strong>in</strong>nen und Künstler.<br />
Sie fördern große Opernproduktionen, Stipendien für talentierte<br />
Studienanfänger oder für ausländische Studierende, hochklassige<br />
Abschlusskonzerte, Gastprofessuren, Arbeitsphasen mit renom-<br />
mierten Dirigenten, Mentaltra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs, Instrumental-, Tanz- und<br />
Gesangsworkshops, den Kauf besonderer Instrumente und mehr.<br />
Als Mitglied im Fördervere<strong>in</strong> genießen Sie viele exklusive Angebote.<br />
Vor allem aber haben Sie teil an der Entwicklung der Hochschule<br />
für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />
der besten Hochschulen für Musik, Theater und Tanz im nationalen<br />
und <strong>in</strong>ternationalen Vergleich. Werden auch Sie Freund und<br />
Förderer – wir freuen uns auf Sie!<br />
Kontakt<br />
Beate Eichenberg<br />
Telefon 069 154 007 137<br />
<strong>in</strong>fo@hfmdk-freunde.de<br />
www.hfmdk-freunde.de<br />
Spendenkonto Nr. 80 65 070<br />
bei der Deutschen Bank <strong>Frankfurt</strong>,<br />
Bankleitzahl 500 700 24
Man darf sich nicht hypnotisieren lassen von<br />
dem, was man vermeiden will<br />
Interview mit Helmut Lachenmann<br />
Mit Helmut Lachenmann arbeitete im Sommersemester e<strong>in</strong>er der<br />
prägendsten Protagonisten der zeitgenössischen Musik e<strong>in</strong>e Woche<br />
lang mit Studierenden der <strong>HfMDK</strong> und der Internationalen Ensem-<br />
ble Modern Akademie. In Workshops und Konzerten lernten die<br />
Studierenden die spieltechnischen Besonderheiten e<strong>in</strong>iger Werke<br />
dieses streitbaren zeitgenössischen Komponisten kennen, aber auch<br />
dessen tiefe Verwurzelung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ständigen Suche nach dem<br />
Unvertrauten, das das Altgewohnte <strong>in</strong> Frage stellt. Dr. Julia Cloot,<br />
Leiter<strong>in</strong> des Instituts für zeitgenössische Musik an der <strong>HfMDK</strong>, und<br />
Christiane Engelbrecht, Geschäftsführer<strong>in</strong> der Internatiolnalen<br />
Ensemble Modern Akademie, hatten <strong>in</strong> dieser Workshop-Woche die<br />
Gelegenheit, Helmut Lachenmann näher zu befragen.<br />
Christiane Engelbrecht Wir bef<strong>in</strong>den uns im Rahmen der Workshops<br />
mit den Studierenden von Helmut Lachenmann aus gesehen<br />
gewissermaßen <strong>in</strong> der Enkelgeneration. Mir ist aufgefallen, dass <strong>in</strong><br />
den Workshops e<strong>in</strong>e sehr lockere Stimmung ohne Ehrfurcht<br />
herrscht, e<strong>in</strong> fruchtbarer Umgangston, dass es wenig Ablehnung<br />
gibt.<br />
Helmut Lachenmann Wenn Musiker sich solistisch präsentieren<br />
können, so wie <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er „Toccat<strong>in</strong>a“ oder <strong>in</strong> „Pression“, s<strong>in</strong>d sie bei<br />
ungewohnten Spieltechniken natürlich ganz anders motivierbar, als<br />
wenn sie mit dem ihnen Zugemuteten – oder auch ihnen Zugetrauten<br />
– nachher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Orchester sitzen, wo die kollektive<br />
Begeisterung noch längst nicht garantiert ist. Das war schon immer<br />
so. Es gibt e<strong>in</strong>e technische Herausforderung und e<strong>in</strong>e ästhetische.<br />
Man muss das vone<strong>in</strong>ander trennen. Das e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d die spieltechnischen<br />
Probleme. Es gibt da e<strong>in</strong>e „déformation professionelle“,<br />
e<strong>in</strong>e im Studium erworbene Vorprägung der Bewegungsreflexe.<br />
Wenn die, wie auch immer, irritiert wird, fühlen sich die Musiker<br />
e<strong>in</strong>es Orchesters oft professionell überfordert durch empfundene<br />
„Unterforderung“. E<strong>in</strong> Musiker, der se<strong>in</strong> Instrument <strong>in</strong> die Hand<br />
nimmt, will darauf so spielen, wie er es sich <strong>in</strong> der Beschäftigung<br />
mit Bach, Mozart und Schubert erarbeitet hat. Nach <strong>in</strong>tensivem<br />
Studium und Selbstf<strong>in</strong>dung als Künstler will er nicht plötzlich<br />
wieder dasitzen wie e<strong>in</strong> Anfänger. Der ästhetische Konflikt dagegen<br />
lässt sich gleichsam verdrängen durch e<strong>in</strong>e Art mehr oder weniger<br />
aufgeschlossene Toleranz.<br />
Julia Cloot Es wird ja viel vom Pluralismus der Gegenwartsmusik<br />
gesprochen, <strong>in</strong> der eigentlich alles möglich ist und es „das Neue“<br />
gar nicht mehr gibt.<br />
Lachenmann Der Begriff des Neuen muss e<strong>in</strong>fach noch e<strong>in</strong>mal<br />
reflektiert werden. Neu heißt ja nicht, weiße Flecken auf der
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Landkarte der Klänge zu füllen. Neu ist der komponierte Kontext,<br />
der selbst das Vertraute <strong>in</strong> e<strong>in</strong> unvertrautes Licht rückt. Der Begriff<br />
des Neuen provoziert heute nicht mehr so wie früher. Wo er mit<br />
<strong>in</strong>strumentaler Verfremdung gleichgesetzt wird, höre ich immer<br />
wieder den Vorwurf, die Musik<strong>in</strong>strumente würden dabei misshan-<br />
delt. Aber auch dieses Missverständnis ließ sich <strong>in</strong>zwischen,<br />
zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Musik, weitgehend aufklären. Manchmal sage<br />
ich: Das Instrument hat sich richtig gefreut, mal anders angepackt<br />
zu werden. Inzwischen hat sich die Kommunikation zwischen<br />
Komponisten und Orchester weitgehend versachlicht. Ich glaube,<br />
ich kann von diesem beidseitigen Lernprozess der letzten 50 Jahre<br />
e<strong>in</strong> Lied s<strong>in</strong>gen.<br />
Engelbrecht Welche Vorschläge haben Sie für die aktuelle<br />
Hochschulausbildung?<br />
Lachenmann Für jedes Instrumentalfach sollte es e<strong>in</strong> mehrsemestri-<br />
ges Sem<strong>in</strong>ar geben: „Praktische Literaturkunde Neue Musik“ – so,<br />
wie wir das zu me<strong>in</strong>er Zeit <strong>in</strong> Stuttgart, für die Cellisten dort zum<br />
Beispiel mit Werner Taube, gemacht haben. Dort sollte jeder<br />
Cellostudent sich e<strong>in</strong>mal die Cellostücke op. 11 von Anton Webern<br />
vornehmen und/oder wahlweise Werke wie zum Beispiel die<br />
„Chaconne“ von He<strong>in</strong>z Holliger, die Cellostudien und die „Sonate“<br />
von Bernd Alois Zimmermann, Nicolaus A. Hubers „der Ausrufer<br />
steigt <strong>in</strong>s Innere“, das Cello/Klavierstück von Earle Brown, me<strong>in</strong>e<br />
„Pression“ usw. Jeder Studierende sollte se<strong>in</strong> Instrument zum<strong>in</strong>dest<br />
mit e<strong>in</strong>em dieser Stücke e<strong>in</strong>mal angefasst haben. Ich habe<br />
se<strong>in</strong>erzeit analysiert, auch über den stilistischen Kontext gespro-<br />
chen, Taube hat praktisch demonstriert und die E<strong>in</strong>studierungen,<br />
wie ansatzweise auch immer, geleitet. Im Senat gab es aller-<br />
d<strong>in</strong>gs Bedenken. „Unsere Studenten müssen sich auf Orchesterauf-<br />
gaben und aufs Probespiel vorbereiten“, hieß es, „und sich dort<br />
gegen die Konkurrenz durchsetzen können.“<br />
Persönliches<br />
Cloot Dabei wird ja häufig verkannt, dass e<strong>in</strong> Überangebot <strong>in</strong> der<br />
Musikerausbildung herrscht und bei weitem nicht alle Studierenden<br />
Orchesterstellen bekommen. Viele arbeiten <strong>in</strong> freien Projekten oder<br />
Ensembles, und dafür müssen sie Erfahrungen mit Neuer und Alter<br />
Musik gesammelt haben.<br />
Lachenmann Richtig. Wenn e<strong>in</strong> Orchestermusiker, der Stockhausen<br />
spielen soll, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Noten schaut wie die Katze <strong>in</strong>s Bilderbuch,<br />
dann hat man ihn unvollständig ausgebildet.<br />
Engelbrecht S<strong>in</strong>d die Studierenden vielleicht weiter als ihre ausbil-<br />
denden Institutionen, weil sie den heutigen Musikmarkt vielfältiger<br />
wahrnehmen? Wenn wir als Beispiel unseren Masterstudiengang<br />
Internationale Ensemble Modern Akademie nehmen: Wir arbeiten<br />
mit ihnen an e<strong>in</strong>er Art Kanon der Neuen Musik, so wie Sie das<br />
eben vorgeschlagen haben. Bei der Gründung der IEMA fragten<br />
sich die Mitglieder des Ensemble Modern: Gibt der Markt jedes<br />
Jahr überhaupt so viele junge Leute her? Inzwischen bewerben sich<br />
weltweit jedes Jahr 130 bis 140 MusikerInnen. Und die meisten<br />
von ihnen streben ke<strong>in</strong>e feste Orchesteranstellung an.<br />
Lachenmann Es hat sich schon e<strong>in</strong>iges getan <strong>in</strong> den Hochschulen.<br />
Natürlich lassen sich Studierende über das h<strong>in</strong>aus motivieren, was<br />
Statement<br />
Udo Samel,<br />
Honorarprofessor für Schauspiel,<br />
45<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Das Wort ist gruselig und ord<strong>in</strong>är. Wenn mit „Diszipl<strong>in</strong>en“ die<br />
Fächer geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> sollen, dann gehört für mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />
künstlerisch ausbildende Hochschule unbed<strong>in</strong>gt das geme<strong>in</strong>same<br />
Konzert aller Diszipl<strong>in</strong>en. Also Musiker, Schauspieler,<br />
Sänger und Tänzer sollten sich geme<strong>in</strong>sam die zeitgenössische<br />
Kunst anschauen und geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong>s Museum gehen.<br />
E<strong>in</strong> fächerübergreifendes Konzert ist die e<strong>in</strong>zige Chance, dem<br />
immer mehr um sich greifenden Profitdenken entgegenzutreten.
46 Persönliches<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
ältere Lehrer, die sich nicht auch noch belehren lassen wollen,<br />
ihnen von sich aus zu bieten haben. Aber auf die Frage e<strong>in</strong>es<br />
ergrauten Orchestercellisten: „Warum muss ich so etwas spielen?“<br />
hat Stockhausen e<strong>in</strong>st geantwortet: „Damit Sie jung bleiben.“ E<strong>in</strong><br />
Appell an die Lernfähigkeit auch der älteren Generation kann doch<br />
nicht schaden. Manchmal s<strong>in</strong>d ältere Leute viel jünger als Studie-<br />
rende, die sich an ihre standardisierte Ausbildung klammern.<br />
Jedenfalls: Wenn die Beschäftigung damit für Studierende<br />
verpflichtend se<strong>in</strong> soll, sollte man erst e<strong>in</strong>mal def<strong>in</strong>ieren, was Neue<br />
Musik ist. Wenn man das nicht tut, können sich die Schlaumeier<br />
leicht aus der Affäre ziehen. Es ist auch klar, dass die Instrumental-<br />
lehrer, die sich für die Neue Musik e<strong>in</strong>setzen, ihre Kollegen damit<br />
e<strong>in</strong> bisschen nervös machen.<br />
Cloot In <strong>Frankfurt</strong> haben Sie auch Kompositionsstudierende<br />
unterrichtet. Welche Ratschläge würden Sie jungen Leuten geben,<br />
ihren eigenen Weg zu f<strong>in</strong>den? Kann man da überhaupt noch etwas<br />
steuern?<br />
Lachenmann Junge Komponisten sollten sich darüber <strong>in</strong>formieren,<br />
was im 20. Jahrhundert komponiert wurde. Ich empfehle ihnen,<br />
unvertraute Partituren auszugsweise abzuschreiben, zu exzerpie-<br />
ren, damit sie ihre Berührungsängste verlieren. Aber das ist<br />
vielleicht etwas altväterisch gedacht.<br />
„Anyth<strong>in</strong>g goes“ stimmt schon, aber nicht „anyth<strong>in</strong>g“ ist Kunst, die<br />
dabei herauskommt. Es ist hilflos zu denken, man müsse beim<br />
Komponieren mit aller Gewalt die Spielpraxis strapazieren. Viel<br />
aufregender ist es, zwei Töne so nebene<strong>in</strong>ander zu stellen, dass<br />
etwas Neues dadurch entsteht. Zum Beispiel bei Nono: Da höre ich<br />
e<strong>in</strong>e Qu<strong>in</strong>te, die plötzlich e<strong>in</strong>en unendlich weiten <strong>in</strong>neren Raum<br />
öffnet, der nichts zu tun hat mit dem Qu<strong>in</strong>ten-Anfang der Neunten<br />
von Beethoven. Da muss der Begriff „neu“ noch e<strong>in</strong>mal mit<br />
anderen Attributen aufgeladen werden, anders def<strong>in</strong>iert werden als<br />
nur „bislang unbekannt“. Und man darf sich nicht hypnotisieren<br />
lassen von dem, was man vermeiden will.<br />
Engelbrecht Sie werden nach wie vor sehr häufig e<strong>in</strong>geladen, Ihre<br />
Werke ausübenden Künstlern oder Orchestern zu erläutern.<br />
Offenbar gibt es doch e<strong>in</strong>e Notwendigkeit, die Aufführungspraxis<br />
Neuer Musik zu vermitteln und zu zeigen. Wer übernimmt diese<br />
Aufgabe <strong>in</strong> 20 oder 30 Jahren beispielsweise bei Ihren Stücken?<br />
Lachenmann Die Aufführungspraxis ist eigentlich nur e<strong>in</strong> Teil der<br />
Problematik zwischen Komponist und Ausführenden. Es geht ja<br />
nicht weniger um die ästhetische Akzeptanz. Immerh<strong>in</strong> ersche<strong>in</strong>t<br />
demnächst e<strong>in</strong>e CD-ROM zu den Spieltechniken me<strong>in</strong>er Werke, auf<br />
der man zum Beispiel sieht, wie e<strong>in</strong> Streicher beim tonlosen<br />
Streichen auf dem Steg oder beim Flautato-Spiel am Griff-F<strong>in</strong>ger<br />
den Bogen halten muss, aber auch, wie das notiert ist. Außerdem<br />
hört man das erwartete Klang-Resultat. Die <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Musik<br />
vorkommenden Spieltechniken s<strong>in</strong>d standardisierter als bei<br />
anderen Komponisten. Ich hätte dort am liebsten auch gezeigt,<br />
wie man es nicht machen soll und wie es schlecht kl<strong>in</strong>gt.<br />
Bei Orchesterproben stehe ich manchmal mit e<strong>in</strong>er Geige vor der<br />
Streichergruppe und mache es vor. Die „Affenmethode“ spart<br />
kostbare Probenzeit.<br />
Cloot Bei unseren Workshops haben Sie mit den Studierenden<br />
an Details sorgfältig gefeilt. Es geht aber ja nicht nur darum, e<strong>in</strong>e<br />
Folge von musikalischen E<strong>in</strong>zelereignissen und Spielaktionen<br />
korrekt auszuführen, sondern: Der Fluss muss erhalten bleiben<br />
– darauf haben Sie mehrfach h<strong>in</strong>gewiesen.<br />
Lachenmann Es muss nach aller E<strong>in</strong>übung der spieltechnischen<br />
Aktionen wieder e<strong>in</strong> musikalisch lebendiger Gestus werden. Vor<br />
allem die Wechsel zwischen verschiedenen Spielweisen - das s<strong>in</strong>d<br />
geradezu choreografische Herausforderungen. Der legendäre<br />
Schlagzeuger Christoph Caskel hat me<strong>in</strong> Stück „Intérieur I“ vor der<br />
Uraufführung nie im Tempo durchgespielt. Er hat die Aktionen und<br />
damit verbundenen Körperhaltungen quasi <strong>in</strong> Zeitlupe zelebriert,<br />
um die Musik gleichsam <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e körperlichen Reflexe zu bekommen.<br />
Das war wie e<strong>in</strong>e Art Tai Chi. Bei der Generalprobe hat er<br />
nur das Instrumentarium mit pedantischer Sorgfalt aufgestellt und<br />
das Stück dann erst im Konzert mit Schwung und souveräner<br />
Präzision gespielt. Musik muss zugleich präzis und lebendig se<strong>in</strong>,<br />
darf nicht bloß annäherungsweise daherbuchstabiert werden.<br />
Aufzeichnung: Dr. Julia Cloot und Christiane Engelbrecht<br />
Statement<br />
Hedwig Fassbender,<br />
Professor<strong>in</strong> für Gesang, Dekan<strong>in</strong> für Darstellende Kunst,<br />
zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />
Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist e<strong>in</strong> Wort, das wir <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />
stark strapaziert haben; so, als wenn Interdiszipl<strong>in</strong>arität etwas<br />
sei, das wir als Hochschule neu erf<strong>in</strong>den müssten. Dabei ist es<br />
schon immer e<strong>in</strong>e Besonderheit der deutschen Drei-Sparten-<br />
Theater gewesen, <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är mite<strong>in</strong>ander auf der Bühne zu<br />
stehen. Vor allem <strong>in</strong> der klassischen Operette waren alle<br />
Bühnenberufe vere<strong>in</strong>t, zum<strong>in</strong>dest bis zur Weg-Rationalisierung<br />
vieler Ballett-Kompanien. Ich würde mir wünschen, dass wir<br />
<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten wieder als selbstverständlich<br />
empf<strong>in</strong>den, weil es die gegenseitige Wertschätzung fördert,<br />
wenn wir e<strong>in</strong>ander besser begreifen. Dass es <strong>in</strong> den dichten<br />
Bachelor-Studiengängen wenige Möglichkeiten dafür gibt,<br />
sollte uns nicht völlig aufgeben lassen.
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Systemübergreifend<br />
mit südländischem Flair<br />
Laura Ruiz Ferreres hat an der <strong>HfMDK</strong> e<strong>in</strong>e Professur für<br />
Klar<strong>in</strong>ette angetreten<br />
Die neue Professor<strong>in</strong> für Klar<strong>in</strong>ette an der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am<br />
Ma<strong>in</strong> war bis zur vergangenen Spielzeit 1. Solo-Klar<strong>in</strong>ettist<strong>in</strong> im<br />
Orchester der Komischen Oper Berl<strong>in</strong> und unterrichtet seit 2007<br />
ihre eigene Klar<strong>in</strong>ettenklasse an der Universität der Künste Berl<strong>in</strong>.<br />
1979 <strong>in</strong> Spanien geboren, gilt sie als e<strong>in</strong>e der talentiertesten<br />
Klar<strong>in</strong>ettist<strong>in</strong>nen ihrer Generation. Sie ist e<strong>in</strong>e der wenigen<br />
Künstler<strong>in</strong>nen, die beide Systeme – Französisch und Deutsch –<br />
brillant beherrscht. Laura Ruiz Ferreres ist mehrfache Preisträger<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong>ternationaler Wettbewerbe und konzertiert regelmäßig als<br />
Solist<strong>in</strong>, Kammermusiker<strong>in</strong> und Orchestermusiker<strong>in</strong> mit den<br />
bedeutendsten Ensembles und Dirigenten unserer Zeit.<br />
Ihre eigenen Erwartungen an ihre Arbeit an der <strong>HfMDK</strong> s<strong>in</strong>d für<br />
sie selbstverständlich sehr hoch. Dabei ist sie absolut motiviert,<br />
e<strong>in</strong>e führende Klasse <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> aufzubauen.<br />
Über ihre künstlerischen und pädagogischen Schwerpunkte äußert<br />
sie selbst :<br />
„Das Hauptziel ist natürlich die Vorbereitung me<strong>in</strong>er Studierenden<br />
auf die Berufswelt mit den Schwerpunkten auf e<strong>in</strong>er soliden<br />
technischen Entwicklung sowie der Ausbildung e<strong>in</strong>er reifen<br />
musikalischen Persönlichkeit.<br />
Die Studierenden sollten e<strong>in</strong>e sehr breit gefächerte Ausbildung<br />
absolvieren, so dass sie sich mit den verschiedensten Stilen<br />
identifizieren und diese auch <strong>in</strong>terpretieren können.<br />
Neue Musik sollte unbed<strong>in</strong>gt zum Alltag e<strong>in</strong>es Klar<strong>in</strong>ettisten<br />
gehören. Nicht nur, weil Neue Musik die Zukunft überhaupt<br />
repräsentiert, sondern auch, weil sie den größten Teil unseres<br />
Repertoires ausmacht.<br />
Weil ich beide – das französische wie auch das deutsche – Klari-<br />
nettensysteme studiert habe, fühle ich mich sehr privilegiert und<br />
b<strong>in</strong> daher <strong>in</strong> der Lage, beide Systeme zu unterrichten. Ich b<strong>in</strong><br />
überzeugt, dass das Zusammenleben beider Systeme <strong>in</strong> unserer<br />
neuen Klasse sehr positiv se<strong>in</strong> wird. Die permanente Analyse und<br />
Auswertung der unterschiedlichen klanglichen und technischen<br />
Möglichkeiten kann e<strong>in</strong> großer Vorteil für alle Studierenden<br />
bedeuten.“<br />
Experte für<br />
historisches Oboespiel<br />
Benoit Laurent ist seit dem Sommersemester<br />
Professor an der <strong>HfMDK</strong><br />
Von Prof. Michael Schneider<br />
Benoit Laurent unterrichtet seit dem Sommersemster 2010 als<br />
Professor für Historische Oboe an der <strong>HfMDK</strong>. Er studierte<br />
zunächst Blockflöte und moderne Oboe <strong>in</strong> Belgien, wandte sich<br />
dann dem historischen Oboenspiel zu und absolvierte e<strong>in</strong> Studium<br />
<strong>in</strong> Würzburg. 2008 gewann er als erster Oboist e<strong>in</strong>en Preis im<br />
renommierten Wettbewerb Musica Antiqua Brugge. Regelmäßig<br />
konzertiert er mit führenden Ensembles der Alte Musik-Szene wie<br />
Concerto Köln, Amsterdam Baroque Orchestra, Orchestre des<br />
Champs Elysées, B’rock, Il Gardell<strong>in</strong>o und anderen. Benoit Laurent<br />
unterrichtet leidenschalftlich gern. Gerade auch die Vermittlung<br />
aufführungspraktischer Erkenntnisse an “moderne” Instrumentalisten<br />
ist ihm e<strong>in</strong> besonderes Anliegen. Er erweitert <strong>in</strong> idealer<br />
Weise das Team der Lehrenden <strong>in</strong> der Abteilung Historische<br />
Interpretations-Praxis<br />
47
48 Persönliches<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />
Das Trio Atanassov siegte<br />
In der <strong>HfMDK</strong> traten zehn hochkarätige Kammermusikensembles beim<br />
2. Internationalen Commerzbank-Kammermusikpreis gegene<strong>in</strong>ander an.<br />
Das „Trio Atanassov“ mit Perceval Gilles (Viol<strong>in</strong>e), Sarah Sultan<br />
(Violoncello) und Pierre-Kaloyann Atanassov (Klavier) ist erster<br />
Preisträger des 2. Internationalen Commerzbank-Kammermusikpreises,<br />
der im September <strong>in</strong> der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
ausgetragen wurde. Die jungen Franzosen erhielten damit e<strong>in</strong><br />
Preisgeld <strong>in</strong> Höhe von 15.000 Euro. Mit e<strong>in</strong>em Konzert des<br />
Siegertrios im Mozart Saal der Alten Oper <strong>Frankfurt</strong> g<strong>in</strong>g der<br />
Wettbewerb im Rahmen des Auftakt-Festival 2010 zu Ende. Auf<br />
den zweiten Platz wählte die Jury das „Trio Rafale“ mit Daniel<br />
Meller (Viol<strong>in</strong>e). Flur<strong>in</strong> Counz (Violoncello) und Maki Wiederkehr<br />
(Klavier). Platz drei vergaben sie an das „Trio Imàge“ mit Gergana<br />
Gergova (Viol<strong>in</strong>e), Thomas Kaufmann (Violoncello) und Pavl<strong>in</strong><br />
Nechev (Klavier). Insgesamt zehn Ensembles aus sechs verschie-<br />
Impressum<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> – Magaz<strong>in</strong> der Hochschule für Musik<br />
und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
Eschersheimer Landstraße 29–39, 60322 <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong>,<br />
www.hfmdk-frankfurt.de<br />
Herausgeber Thomas Rietschel, Präsident der <strong>HfMDK</strong><br />
Idee und Konzept Dr. Sylvia Dennerle,<br />
sylvia.dennerle@hfmdk-frankfurt.de; Telefon 069/154 007 170<br />
Redaktion Björn Hadem (bjh), bhadem@arcor.de<br />
Autoren Ralph Abele<strong>in</strong>, Tilman Allert, Christopher Brandt,<br />
Hubert Buchberger, Sibylle Cada, Dr. Julia Cloot, Beate Eichenberg,<br />
Dr. Wolfgang Eimer, Christiane Engelbrecht, Björn Hadem (bjh),<br />
Dieter Heitkamp, Jörg Heyer, Werner Jank, Julian Kle<strong>in</strong>,<br />
Gerhard Koch, Laura L<strong>in</strong>nenbaum, Gerhard Mantel,<br />
Dr. Mart<strong>in</strong>a Peter-Bolaender, Thomas Rietschel, Ra<strong>in</strong>er Römer,<br />
Udo Samel, Christoph Schmidt, Klaus Schuhwerk, Yurgen Schoora,<br />
Dr. Gerald Siegmund, Sab<strong>in</strong>e Stenzel, Jagoda Szmytka<br />
l<strong>in</strong>ks:<br />
Das „Trio Atanassov“ siegte beim<br />
2. Internationen Commerzbank-Kammermusikpreis.<br />
rechts oben:<br />
Feedback nach der Juryentscheidung:<br />
Michael Sanderl<strong>in</strong>g im Gespräch<br />
mit Teilnehmern des Wettbewerbes.<br />
rechts:<br />
Die Jury mit (von l<strong>in</strong>ks)<br />
Hartmut Rohde, Julia Fischer,<br />
Michael Sanderl<strong>in</strong>g, Angelika Merkle<br />
und Johannes Moser.<br />
denen Nationen hatten sich <strong>in</strong> den Semif<strong>in</strong>al- und F<strong>in</strong>alrunden im<br />
Kle<strong>in</strong>en Saal der Hochschule dem musikalischen Wettstreit gestellt.<br />
Neben dem Klaviertrio war <strong>in</strong> diesem Jahr auch das <strong>in</strong>nerhalb der<br />
klassischen Kammermusikliteratur eher seltenere Genre Klavierquartett<br />
zu hören. Die diesjährige Jury des zweiten Internationalen<br />
Commerzbank Kammermusikpreises, der im Jahr 2008 zum ersten<br />
Mal stattgefunden hatte, tagte unter dem Vorsitz des <strong>HfMDK</strong>-<br />
Violoncello-Professors Michael Sanderl<strong>in</strong>g. Ebenfalls Mitglieder der<br />
Jury waren Julia Fischer (Viol<strong>in</strong>e), Hartmut Rohde (Viola), Johannes<br />
Moser (Violoncello) und Angelika Merkle (<strong>HfMDK</strong>-Professor<strong>in</strong><br />
für Klavier-Kammermusik). Als Special Juror ergänzte der Pianist<br />
Christian Zacharias bei der F<strong>in</strong>alentscheidungdie Jury.<br />
Titelmotiv Probe zu „Visualisierte Musik“ <strong>in</strong> der Wartburg <strong>in</strong> Wiesbaden<br />
Fotos Björn Hadem (40), Wonge Bergmann, Thomas Dashuber,<br />
Udo Hesse, Dietmar Janeck, Priska Ketterer, Mart<strong>in</strong> Rottenkolber<br />
Layout Opak Werbeagentur GmbH,<br />
Münchener Str. 45, 60329 <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
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Ersche<strong>in</strong>ungsweise jeweils zu Beg<strong>in</strong>n des Semesters<br />
Druck VARIO PLUS Druck GmbH,<br />
Fl<strong>in</strong>schstr. 61, 60388 <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />
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Konto 200 138 090, BLZ 500 502 01, Fraspa 1822<br />
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