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Frankfurt in Takt Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt

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<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> <strong>Takt</strong><br />

Magaz<strong>in</strong> der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

Schwerpunktthema<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

10. Jahrgang, Nr. 2 W<strong>in</strong>tersemester 2010/2011<br />

www.hfmdk-frankfurt.de


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<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Inhalt<br />

Schwerpunktthema<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

2 Editorial<br />

Kulturcampus für die Kunst von morgen<br />

4 Der „kognitiven Explosion“ kann sich ke<strong>in</strong>er entziehen<br />

E<strong>in</strong> Interview mit den Professoren Dr. Maria Spychiger,<br />

He<strong>in</strong>er Goebbels und Bernhard Wetz<br />

10 Das Andere stärkt das Eigene<br />

Von Gerhard Koch<br />

14 Der Musiker als tanzender Derwisch<br />

Von Ra<strong>in</strong>er Römer<br />

18 Experimentierfeld für die künstlerische Moderne<br />

Das <strong>Frankfurt</strong> LAB<br />

Von Sab<strong>in</strong>e Stenzel<br />

22 Wenn der Schlachthof zur Kulisse wird<br />

– visualisierte Musik als „Transduktion“<br />

Tjark Ihmels und Gerhard Müller-Hornbach im Interview<br />

24 Mit dem Mut zum Tabu-Bruch<br />

Von Gerhard Mantel<br />

26 Nur Interdiszipl<strong>in</strong>äres hat e<strong>in</strong>e Chance: „Tanz der Künste“<br />

Von Julian Kle<strong>in</strong><br />

29 Der Körper ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />

Der Studiengang „Choreographie und Performance“<br />

Von Gerald Siegmund<br />

32 E<strong>in</strong> Austausch, der wach hält und Mut macht<br />

Das Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiatenwerk<br />

Von Wolfgang Eimer<br />

34 Sublimierter Streit – zur Soziologie der Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

Von Tilman Allert<br />

38 Die Hochschule als Brutstätte für Neugier und Wachheit<br />

Claudia Doderer im Interview über das Musiktheater<br />

„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“<br />

Statements zur Frage<br />

„Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

16 Sibylle Cada<br />

19 Yurgen Schoora<br />

23 Hubert Buchberger<br />

25 Christoph Schmidt<br />

28 Till Krabbe<br />

31 Dieter Heitkamp<br />

33 Jörg Heyer<br />

33 Ralph Abele<strong>in</strong><br />

37 Werner Jank<br />

39 Christopher Brandt<br />

40 Mart<strong>in</strong>a Peter-Bolaender<br />

45 Udo Samel<br />

46 Hedwig Fassbender<br />

Freunde und Förderer<br />

41 Förderprojekte 2010 der Gesellschaft der Freunde und Förderer<br />

der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> e.V.<br />

42 <strong>Frankfurt</strong>s Oberbürgermeister<strong>in</strong> gratuliert zur Wiederwahl<br />

Persönliches<br />

44 „Man darf sich nicht hypnotisieren lassen von dem,<br />

was man vermeiden will“<br />

E<strong>in</strong> Interview mit Helmut Lachenmann<br />

47 Systemübergreifend mit südländischem Flair<br />

Laura Ruiz Ferreres hat an der <strong>HfMDK</strong> e<strong>in</strong>e Professur für<br />

Klar<strong>in</strong>ette angetreten<br />

47 Experte für historisches Oboespiel<br />

Benoit Laurent ist seit dem Sommersemester Professor<br />

an der <strong>HfMDK</strong><br />

48 Das Trio Atanassov siegte „beim 2. Internationalen<br />

Commerzbank-Kammermusikpreis“<br />

48 Impressum


2<br />

Editorial<br />

Kulturcampus für die Kunst von morgen<br />

Liebe Angehörige und Freunde unserer Hochschule,<br />

Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>in</strong> dieser Ausgabe von „<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong>“ stellen wir die Frage nach<br />

dem Stellenwert der Interdiszipl<strong>in</strong>arität <strong>in</strong> der Ausbildung unserer<br />

Studierenden. Die Antworten unserer Autoren s<strong>in</strong>d so vielfältig wie<br />

unsere Hochschule, und das ist gut so. Wir wollen ke<strong>in</strong>e abgeklär-<br />

ten Wahrheiten publizieren, sondern zur Diskussion und zum<br />

Nachdenken über unsere Hauptaufgabe anregen: die Ausbildung<br />

des künstlerischen Nachwuchses. Und so danke ich an dieser Stelle<br />

allen, die mit ihren Beiträgen mitgeholfen haben, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressantes<br />

und facettenreiches Bild unserer Hochschule zu zeichnen.<br />

Die Notwendigkeit <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Arbeitens stellt ke<strong>in</strong> Beitrag<br />

dieses Heftes <strong>in</strong> Frage. Doch die Texte offenbaren, wie unterschied-<br />

lich deren Autor<strong>in</strong>nen und Autoren <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten<br />

def<strong>in</strong>ieren: die e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> eher engem Rahmen, <strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>e solide<br />

handwerkliche Ausbildung <strong>in</strong> den Mittelpunkt stellen und z.B. die<br />

Beschäftigung e<strong>in</strong>es Musikers mit Musiktheorie schon als <strong>in</strong>terdis-<br />

zipl<strong>in</strong>äre Ausbildung begreifen. Andere fassen ihre Vorstellung<br />

weiter und fordern die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Welten jenseits<br />

des eigenen Faches, um die Beunruhigungen zu ermöglichen, die<br />

schöpferische Künstler brauchen. Wie viel von dieser Unruhe <strong>in</strong> der<br />

künstlerischen Ausbildung notwendig ist, darüber diskutieren wir<br />

seit langem auf vielen Ebenen und werden dies weiter tun.<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Ausführlich gehen wir <strong>in</strong> diesem Heft auf e<strong>in</strong> großes <strong>in</strong>terdiszipli-<br />

näres Projekt e<strong>in</strong>, das die Hochschule seit fast zwei Jahren<br />

vorbereitet: die Uraufführung des Musiktheaters „Mond.F<strong>in</strong>sternis.<br />

Asphalt“ am 22. Oktober 2010 im Bockenheimer Depot. Durch die<br />

Entwicklungen der letzten Wochen kommt dem genannten<br />

Aufführungsort nun e<strong>in</strong>e besondere Bedeutung zu: Die Landesre-<br />

gierung und die Stadt <strong>Frankfurt</strong> haben Ende August geme<strong>in</strong>sam<br />

beschlossen, das alte Gelände der Johann Wolfgang Goethe-Uni-<br />

versität rund um das Bockenheimer Depot <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Kulturcampus zu<br />

verwandeln und der <strong>HfMDK</strong> an diesem Ort e<strong>in</strong>en kompletten<br />

Neubau zu ermöglichen. <strong>Frankfurt</strong> bekommt somit e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartiges<br />

kulturelles Zentrum: In unmittelbarer Nachbarschaft zur neuen<br />

Hochschule werden auch das Ensemble Modern, die Junge<br />

Deutsche Philharmonie, die Motion Bank der The Forsythe Company<br />

und die Hessische Theaterakademie ihren Sitz an den Campus<br />

Bockenheim verlegen. Auch das <strong>Frankfurt</strong> LAB, an dem neben den<br />

bereits genannten Institutionen auch das Künstlerhaus Mousonturm<br />

partizipiert, wird von der Schmidtstraße auf das Gelände am Depot<br />

umziehen. Mit dem Senckenberg Forschungs<strong>in</strong>stitut und Naturmu-<br />

seum ist e<strong>in</strong>e weitere kulturell-wissenschaftliche Institution von<br />

<strong>in</strong>ternationaler Bedeutung schon jetzt an diesem Ort präsent, die<br />

sich als Teil des neu entstehenden Kulturcampus` begreift. So<br />

entsteht auf dem Kulturcampus Bockenheim rund um die <strong>HfMDK</strong><br />

e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartiger Ausbildungs-, Veranstaltungs- und Produktionsort<br />

für die Kunst von morgen, der europaweit ohne Vorbild ist.


Das politische Ja zum Kulturcampus Bockenheim ist sicherlich die<br />

wichtigste Entscheidung über die Zukunft unserer Hochschule, die<br />

<strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten getroffen wurde. Unser Dank gilt vor<br />

allem der <strong>Frankfurt</strong>er Oberbürgermeister<strong>in</strong> Dr. Petra Roth und dem<br />

ehemaligen F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister des Landes Hessens, Karlhe<strong>in</strong>z Weimar,<br />

die mit dieser Entscheidung der <strong>HfMDK</strong> zu e<strong>in</strong>er großartigen<br />

Perspektive an e<strong>in</strong>em geradezu idealen Standort verholfen haben.<br />

Die Entwicklung der <strong>HfMDK</strong> bleibt also dynamisch und lebendig;<br />

mit ihr geht es gut voran. Verfolgen Sie mit uns, wie unsere<br />

Hochschule mit wachsender Vernetzung <strong>in</strong> Stadt und Land weiter<br />

an Bedeutung gew<strong>in</strong>nt.<br />

Thomas Rietschel<br />

Bockenheimer Depot | <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

Uraufführung: Freitag 22.Oktober 20 Uhr<br />

Weitere Term<strong>in</strong>e: Samstag 23. Oktober<br />

und Sonntag 24. Oktober jeweils 20 Uhr<br />

3


4 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Der „kognitiven Explosion“<br />

kann sich ke<strong>in</strong>er entziehen<br />

E<strong>in</strong> Interview mit den Professoren Dr. Maria Spychiger,<br />

He<strong>in</strong>er Goebbels und Bernhard Wetz<br />

E<strong>in</strong> Pianist, e<strong>in</strong>e Musikpädagog<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Theaterwissenschaftler im<br />

Gespräch – das ist Interdiszipl<strong>in</strong>arität pur. Zugleich aber auch e<strong>in</strong><br />

scharfkantiges Kommunikationsdreieck im geme<strong>in</strong>samen Erörtern<br />

der Frage, wann das kreative Mite<strong>in</strong>ander zwischen Diszipl<strong>in</strong>en<br />

ungeahnte Früchte trägt und wann es Gefahr läuft, aktionistisch<br />

vom „Kerngeschäft“ abzulenken. Wenige Frageimpulse reichten aus,<br />

um die drei Interviewpartner mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> e<strong>in</strong> konträr verlaufendes<br />

Gespräch über Chancen und Risiken von praktizierter Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

<strong>in</strong> der künstlerischen Ausbildung zu br<strong>in</strong>gen. Es offenbarte<br />

die Unterschiedlichkeit der Perspektiven, aber auch die geme<strong>in</strong>same<br />

E<strong>in</strong>sicht, dass Interdiszipl<strong>in</strong>arität weit mehr ist als nur e<strong>in</strong><br />

temporärer Modebegriff, sondern eher e<strong>in</strong>e künstlerische Haltung<br />

und immer mehr e<strong>in</strong>e pragmatische Notwendigkeit. Der Diskussion<br />

stellten sich Klavierprofessor und Instrumentaldidaktiker Bernhard<br />

Wetz (zugleich Ausbildungsdirektor für Instrumental- und Gesangspädagogik<br />

im Fachbereich 1 der <strong>HfMDK</strong>), die wissenschaftliche<br />

Musikpädagog<strong>in</strong> Prof. Dr. Maria Spychiger (Fachbereich 2) und<br />

He<strong>in</strong>er Goebbels. Der Professor für Angewandte Theaterwissenschaft<br />

<strong>in</strong> Gießen ist Präsident der Hessischen Theaterakademie und<br />

zugleich praktizierender Künstler als Komponist und Regisseur. Die<br />

Hessische Theaterakademie hat ihren Sitz an der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong><br />

am Ma<strong>in</strong> und ist mit ihr durch zahlreiche Kooperationen eng<br />

verbunden.<br />

Die Pflege der<br />

künstlerischen Ursubstanz<br />

darf weder zeitlich<br />

noch <strong>in</strong>haltlich<br />

bee<strong>in</strong>trächtigt werden.<br />

Bernhard Wetz<br />

Von l<strong>in</strong>ks nach rechts:<br />

Besteht auf e<strong>in</strong>e solide „Ursubstanz“:<br />

Klavierprofessor Bernhard Wetz.<br />

Beschreibt die Entwicklung der letzten Jahre<br />

als e<strong>in</strong>e „kognitive Explosion“:<br />

die wissenschaftliche Pädagogik-Professor<strong>in</strong><br />

Dr. Maria Spychiger.<br />

Möchte Studierende auf die Komplexität ihres<br />

späteren Berufslebens angemessen<br />

vorbereiten: der Komponist und Regisseur<br />

Prof. He<strong>in</strong>er Goebbels.<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> Welchen Stellenwert räumen Sie Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

<strong>in</strong> Ihrer Arbeit mit Studierenden e<strong>in</strong> – ist sie Pflicht oder Kür?<br />

Prof. Bernhard Wetz Me<strong>in</strong>er Überzeugung nach ist Musizieren per se<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Fühlen, Denken und Handeln. Die Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

beg<strong>in</strong>nt da, wo der Musiker sich beim Musizieren e<strong>in</strong>er Vielschichtigkeit<br />

bewusst wird und sie zu vernetzen versteht. In dem<br />

Moment, wenn er e<strong>in</strong> Werk spielt, muss er neben der technischen<br />

Präzision e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong>, zum Beispiel für harmonische Vorgänge<br />

und Spannungsverläufe, haben für das Hören bei sich selbst, aber<br />

auch gerade dafür, was beim Hörer (und Zuschauer) ankommt. Es<br />

erfordert das Geschick des Lehrenden, für alle Diszipl<strong>in</strong>en wie<br />

Klang, Syntax, Hermeneutik und weitere Parameter, die beim<br />

Musizieren gefragt s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e Sensibilität und Möglichkeiten für<br />

deren Umsetzung zu schaffen. Dies zu vermitteln, ist vorrangig,<br />

bevor wir den Kreis um sekundäre Diszipl<strong>in</strong>en wie Bewegungslehre<br />

und Bühnenpräsenz vernetzend erweitern. Die Sicherung und<br />

Pflege der künstlerischen Ursubstanz darf weder zeitlich noch<br />

<strong>in</strong>haltlich bee<strong>in</strong>trächtigt werden. Pflicht ist Interdiszipl<strong>in</strong>arität auf<br />

jeden Fall dort, wo es um den <strong>in</strong>neren Kern des Musizierens geht,<br />

und Kür kann sie se<strong>in</strong>, wenn man den Kreis <strong>in</strong> der Ausbildung<br />

weiter zieht: Life Skills und äußere Umstände des Berufsbildes mit<br />

e<strong>in</strong>bezieht und vernetzt.<br />

Prof. Dr. Maria Spychiger Man kann natürlich jede Diszipl<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Subdiszipl<strong>in</strong>en aufteilen und dann von Interdiszipl<strong>in</strong>arität sprechen.<br />

Aber damit unterlaufen Sie den Begriff. Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist die<br />

Zusammenarbeit verschiedener Diszipl<strong>in</strong>en und vor allem Ausdruck<br />

e<strong>in</strong>er gesellschaftlichen Entwicklung, der sich ke<strong>in</strong>er mehr entziehen<br />

kann. Projektarbeit ist heute per se <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är. Vor zehn<br />

Jahren habe ich für die Pädagogische Hochschule Bern e<strong>in</strong><br />

Forschungsprogramm für Interdiszipl<strong>in</strong>arität geschrieben und da<br />

bereits wahrgenommen, dass deren Zunahme stark und unausweichlich<br />

ist. Aus der Rückschau ist nur umso deutlicher zu sehen,<br />

wie <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Jahrzehntes Interdiszipl<strong>in</strong>arität zu e<strong>in</strong>er<br />

Selbstverständlichkeit geworden ist. Die Medien, das Internet und


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

die Mobilität spielen dabei e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle: Durch sie<br />

können wir über alle fachlichen Grenzen h<strong>in</strong>weg kommunizieren<br />

und uns Informationen beschaffen. Wir haben noch gar nicht<br />

begriffen, was das für e<strong>in</strong>e Veränderung gebracht hat, und im<br />

gleichen Atemzug aber auch neue Anstrengung, neue Professionali-<br />

tät erfordert. Für das Studium angehender Schulmusiker bedeutet<br />

dies: Sie müssen mehr leisten, mehr können, weil die Spezialisie-<br />

rung, also die Diszipl<strong>in</strong>arität, sich parallel dazu auch immer noch<br />

höher entwickelt. Das ist sehr wichtig zu sehen. Ich würde das<br />

Phänomen <strong>in</strong>sgesamt als e<strong>in</strong>e „kognitive Explosion“ beschreiben.<br />

Prof. He<strong>in</strong>er Goebbels Ich glaube, dass das Zusammenstoßen von<br />

Diszipl<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der künstlerischen Erfahrung des Zuschauers/<br />

Zuhörers e<strong>in</strong>es der ganz wichtigen Momente ist, die uns irritieren<br />

und erschüttern, aber auch frei machen. Es s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Auffüh-<br />

rungen genau jene Augenblicke, <strong>in</strong> denen wir uns nicht mehr sicher<br />

s<strong>in</strong>d, ob wir gerade e<strong>in</strong> Konzert, e<strong>in</strong>e Tanzperformance, e<strong>in</strong>en<br />

Literaturabend oder e<strong>in</strong>e Theateraufführung erleben. Ich b<strong>in</strong><br />

überzeugt, dass diese Momente auch am meisten <strong>in</strong> uns auslösen.<br />

Sie, Herr Wetz, machen es sich aber sehr e<strong>in</strong>fach, wenn Sie sagen,<br />

das Musizieren sei per se <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är. Es hilft uns nicht weiter,<br />

wenn wir den Begriff so weit fassen. Gerade <strong>in</strong> der Musik f<strong>in</strong>den wir<br />

doch viele, die sich vor der Zeitgenossenschaft zurückziehen.<br />

Wetz Ich freue mich, dass me<strong>in</strong>e Behauptung als Provokation<br />

ankam, weil sie stets die Diskussion um die leicht für selbstver-<br />

ständlich gehaltenen künstlerischen Werte wieder <strong>in</strong> Gang setzt. Ich<br />

sehe e<strong>in</strong>e extreme Gefahr, dass die Pflege dessen, was die<br />

Ursubstanz des künstlerischen Handelns ausmacht, durch die<br />

Stilisierung von Eventkultur und Projektarbeit zu kurz kommt.<br />

Goebbels Ich b<strong>in</strong> durchaus Ihrer Me<strong>in</strong>ung, dass man künstlerische<br />

Ausbildung nicht stauchen kann – sie braucht ihre Zeit. Ich glaube<br />

aber auch, dass Studierende zu e<strong>in</strong>er sehr komplexen Ausbildung<br />

fähig s<strong>in</strong>d. Das zeigt me<strong>in</strong>e Erfahrung im Umgang mit jungen<br />

Dirigenten oder Solisten, die <strong>in</strong> der musikalischen „Ursubstanz“,<br />

wie Sie es nennen, sehr entwickelt s<strong>in</strong>d, und sich dennoch plötzlich<br />

entscheiden Orchestermanager zu werden oder zu schreiben oder<br />

sich um die Vermittlung von Musik zu kümmern. Ich glaube, der<br />

e<strong>in</strong>zelne Künstler ist extrem belastbar <strong>in</strong> dem guten Willen, se<strong>in</strong>en<br />

Horizont ständig zu erweitern. Die Angst, man könne den Stu-<br />

denten zu viel abverlangen, weil dabei etwas von der musikalischen<br />

Intensität verloren gehen könnte, halte ich für völlig unbegründet.<br />

Das Allerwichtigste <strong>in</strong> der Ausbildung ist, die Studierenden auf jene<br />

Komplexität vorzubereiten, die auf sie im Berufsleben real zukommt.<br />

Außerdem müssen wir uns immer wieder klar machen, dass wir die<br />

Studierenden dazu ermächtigen sollten, sich e<strong>in</strong>em zeitgenös-<br />

sischen Kunstbegriff zu stellen. Die künstlerische Erfahrung des<br />

Publikums wird heute ganz anders verhandelt als noch vor 20<br />

Jahren. Darauf müssen die jungen Künstler vorbereitet se<strong>in</strong>, damit<br />

sie nicht <strong>in</strong> zehn Jahren auf der Bühne immer noch alberne Gesten<br />

aufführen, die nur noch für Opern aus dem 19. Jahrhundert gelten,<br />

mit denen man aber ke<strong>in</strong>en Nono oder Zimmermann aufführen<br />

kann. Bei der darstellenden Kunst haben sich die Kriterien radikal<br />

verändert, aber der Wandel ist auch <strong>in</strong> der Instrumentalmusik<br />

spürbar.<br />

5


6 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Wetz Wir bef<strong>in</strong>den uns gar nicht im Widerspruch. Ich reklamiere nur<br />

e<strong>in</strong>e Hierarchie von <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Ebenen, an deren erster Stelle<br />

e<strong>in</strong>e Grundsubstanz erarbeitet werden muss, ohne die nachher alles<br />

andere leere Hülle ist.<br />

Goebbels Sie haben e<strong>in</strong>en Begriff von vorher und nachher, gegen<br />

den ich mich wehre. Ich glaube, dass das K<strong>in</strong>d, das mit fünf Jahren<br />

anfängt Klavier zu spielen, nicht vor den anderen D<strong>in</strong>gen zu<br />

schützen ist, damit aus ihm e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Solist wird. Vielmehr glaube<br />

ich: Je früher e<strong>in</strong>e Öffnung stattf<strong>in</strong>det, desto komplexer und reicher<br />

ist der Mensch, der daraus entsteht.<br />

FiT S<strong>in</strong>d Sie glücklich mit der rasanten Entwicklung von <strong>in</strong>terdiszi-<br />

pl<strong>in</strong>ärer Vernetzung, die eben schon zur Sprache kam?<br />

Spychiger Ich stelle mir <strong>in</strong> dieser Diskussion die Frage: Wieviel<br />

Freiheit und Raum haben die Lernenden, um an die Potenziale<br />

heranzukommen, die sie haben? Ist es wirklich nur e<strong>in</strong> Ausdruck<br />

von Qualität und Freiheit, wenn jeder so mobil und so schnell ist,<br />

wie es heute üblich ist? Viele Menschen spüren dabei auch gewisse<br />

Zwänge, kommen unter Druck und stoßen an Leistungsgrenzen.<br />

Wer mit der Mobilität und den neuen Kommunikationsmöglich-<br />

keiten, die wir vor 15 Jahren noch als Befreiung erlebten, nicht<br />

Schritt hält, gehört eben nicht mehr zur modernen Gesellschaft.<br />

Das ist etwas, was ich mit Sorge beobachte.<br />

Goebbels Ich möchte den Begriff der „Freiheit“ noch e<strong>in</strong>mal<br />

aufgreifen: In unserem Institut für Angewandte Theaterwissenschaft<br />

<strong>in</strong> Gießen, wo ich unterrichte, haben wir den großen Vorteil, dass<br />

die Studierenden nicht dermaßen zielgerichtet zu uns kommen wie<br />

hier an die Hochschule. Sie wissen def<strong>in</strong>itiv nur, dass sie sich für<br />

darstellende Kunst <strong>in</strong>teressieren, haben sich aber noch für ke<strong>in</strong><br />

festes Handwerk zu deren Ausübung entschieden. Was wir unseren<br />

Studierenden anbieten können, ist e<strong>in</strong>e große Breite an Möglich-<br />

keiten, so dass sie im Laufe ihres Studiums merken, wo sie<br />

h<strong>in</strong>wollen. Als Lehrender versuche ich dabei nicht, ihnen me<strong>in</strong>e<br />

Ästhetik aufzuzw<strong>in</strong>gen; ich habe dabei ke<strong>in</strong> Idealbild vor Augen.<br />

Vielmehr versuche ich, ihnen zu e<strong>in</strong>er eigenen Ästhetik zu verhelfen,<br />

von der ich noch gar nicht weiß, wie sie morgen aussieht. Das ist<br />

natürlich e<strong>in</strong> Spezialfall, der nicht ohne weiteres auf die Ausbildung<br />

der hiesigen Hochschule übertragbar ist. Ich frage mich aber<br />

dennoch, ob Studiengänge, die von e<strong>in</strong>er starken Diszipl<strong>in</strong> her<br />

def<strong>in</strong>iert s<strong>in</strong>d wie zum Beispiel der Instrumentalunterricht, nicht<br />

auch e<strong>in</strong> Quäntchen von dieser Chance, die eigene Ästhetik zu<br />

f<strong>in</strong>den, bieten sollten?<br />

Wetz Sie haben die unterschiedlichen Voraussetzungen richtig<br />

formuliert: In unseren Studiengängen fängt ja die Professionalisie-<br />

rung dessen an, was die Studierenden bereits auf e<strong>in</strong>em be-<br />

stimmten Niveau mitbr<strong>in</strong>gen, weil sie schon jahrelang Instrumental-<br />

unterricht gehabt haben, bevor sie sich zur Aufnahmeprüfung<br />

melden. Die didaktische Studienkonzeption hat künstlerische Werte<br />

und deren Berufsanwendung als Ziel. Dennoch bieten wir e<strong>in</strong>en<br />

großen Freiraum, die persönliche Ästhetik zu f<strong>in</strong>den, kurz gesagt:<br />

sie zu eigenen Interpretationen anzuregen.<br />

FiT Wie kann der Lehrende dieser Aufgabe gerecht werden?<br />

Spychiger Mir bedeutet der Konstruktivismus sehr viel: Als Art und<br />

Weise des Lernens geht er davon aus, dass hier der Studierende ist<br />

und da die Diszipl<strong>in</strong> und der Studierende selbsttätig und möglichst<br />

selbstbestimmt se<strong>in</strong>e Beziehung zu diesem Gegenstand auf se<strong>in</strong>e<br />

eigene Weise herstellt. Die Lehrenden s<strong>in</strong>d Begleiter, Ermöglicher<br />

und Anleger dieser Prozesse.<br />

von l<strong>in</strong>ks nach rechts:<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>är geht es bei den „Tagen der Schulmusik“ zu,<br />

an denen Künstler ihre Arbeit <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Schulklassen vorstellen. Im Bild: e<strong>in</strong> Tanz- und Musikprojekt<br />

an der M<strong>in</strong>na-Specht-Schule <strong>in</strong> Schwanheim.<br />

E<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Flaggschiff unter der Regie der<br />

Hochschule: das „Schulprojekt Response“, hier e<strong>in</strong><br />

Motiv aus den Abschlusskonzerten der jüngsten Staffel im<br />

Kle<strong>in</strong>en Saal der Hochschule.<br />

Orchesterprojekte gehören an der <strong>HfMDK</strong> zum<br />

Kerngeschäft der Ausbildung angehender Orchestermusiker.


Interdiszipl<strong>in</strong>arität, seriös<br />

betrieben, orientiert sich<br />

nicht an e<strong>in</strong>em Pr<strong>in</strong>zip,<br />

sondern an Kontexten und<br />

deren Veränderungen.<br />

Maria Spychiger<br />

Wetz Ich verstehe mich als Anwalt der Diszipl<strong>in</strong>en, die def<strong>in</strong>ierbar<br />

s<strong>in</strong>d, und ich möchte e<strong>in</strong> Katalysator dieser konkreten Arbeitskrite-<br />

rien se<strong>in</strong>. An der Frage, wo die Studierenden beruflich h<strong>in</strong>gehen<br />

wollen, orientiert sich ja, welche Fächer nötig s<strong>in</strong>d. Um diese<br />

beizeiten im Studium zu verzahnen, ist Interdiszipl<strong>in</strong>arität von<br />

didaktisch außerordentlicher Bedeutung. Daran werden wir im Zuge<br />

der Modularisierung der Studiengänge noch <strong>in</strong>tensiv zu arbeiten<br />

und immer wieder zu korrigieren haben.<br />

FiT Ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Verzahnung e<strong>in</strong>e Mode-Ersche<strong>in</strong>ung oder e<strong>in</strong><br />

Ausdruck stetiger Weiterentwicklung?<br />

Spychiger Ich b<strong>in</strong> überzeugt, dass es ke<strong>in</strong> Zurück mehr gibt. Die<br />

Welt ist dermaßen komplex geworden, dass wir die gesellschaft-<br />

lichen, ökologischen und ökonomischen Probleme, die wir haben,<br />

nur lösen können, wenn Logistik, Politik und Wirtschaft, eben alle<br />

Kräfte der Gesellschaft, geme<strong>in</strong>sam Probleme lösen und Aufgaben<br />

stellen. In der amerikanischen Gesellschaft s<strong>in</strong>d die marktwirt-<br />

schaftlichen Zwänge auch für Künstler und Lehrer viel weiter<br />

fortgeschritten als bei uns. Ich habe dort Kollegen kennengelernt,<br />

die musizieren und daneben zum Beispiel noch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Werbea-<br />

gentur betreiben – solch e<strong>in</strong>e Zweigleisigkeit im Beruf ist dort völlig<br />

normal, um sich die Existenz zu sichern.<br />

Goebbels Ich glaube, dass die Entscheidung für e<strong>in</strong> Berufsbild, nach<br />

dem Studierende ihre Ausbildungsstätte wählen, viel zu früh<br />

getroffen wird. Der Musiker, der sozusagen als „muttersprachlicher<br />

Instrumentalist“ aufgewachsen ist, mag e<strong>in</strong>e Ausnahme se<strong>in</strong>. Aber<br />

selbst der könnte sich vielleicht zwei Jahre nach se<strong>in</strong>em Diplom<br />

entscheiden, Mediz<strong>in</strong>er zu werden. Ich selbst habe nach e<strong>in</strong>em<br />

Studium <strong>in</strong> Soziologie hier <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> e<strong>in</strong> Schulmusikstudium<br />

angeschlossen, weil ich spürte, dass es das breitest angelegte<br />

Musikstudium überhaupt ist. Ich habe zehn Jahre gebraucht, um zu<br />

wissen, was mich am meisten <strong>in</strong>teressiert. Diese Chance der<br />

ausgiebigen Entscheidungsf<strong>in</strong>dung müssen wir den Studierenden<br />

mit anbieten.<br />

Wetz Ich glaube auch, dass Studierende sich nicht auf das sture<br />

Absolvieren der Studienordnung beschränken sollten. Wir denken<br />

im Fachbereich 1 darüber nach, die Berufsentscheidung der<br />

Studierenden weiter nach h<strong>in</strong>ten zu verlagern. Es ist falsch, das<br />

7


8 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Ausloten der Fähigkeiten und deren Entwicklung bei den Studieren-<br />

den dadurch zu früh zu beschneiden, <strong>in</strong>dem sie schon während<br />

des Bachelor-Studiums e<strong>in</strong>e zu endgültige Entscheidung fällen<br />

müssen. Klar ist aber auch, dass man sich als Künstler außerkünst-<br />

lerischen Life Skills und Sekundärbed<strong>in</strong>gungen stellen muss.<br />

Der Künstler von heute muss sich organisieren und marktgerecht<br />

handeln können, Know how für se<strong>in</strong> eigenes Management erwerben<br />

und damit vertraut werden, mit Institutionen zu verhandeln.<br />

Spychiger Was Sie gerade ansprechen, s<strong>in</strong>d wirkliche Diszipl<strong>in</strong>en,<br />

nicht nur so genannte Life Skills. Derlei Fähigkeiten s<strong>in</strong>d heutzutage<br />

nicht mehr nur <strong>in</strong>tuitiv zu erlernen – für alles gibt es Kurse und<br />

Sem<strong>in</strong>are. Der, der sie besucht hat, gew<strong>in</strong>nt, und der andere<br />

verliert.<br />

Wetz Das ist richtig. Aber der Künstler muss den Gew<strong>in</strong>n auch durch<br />

künstlerische Substanz halten können und nicht – aufgrund<br />

mangelnder Pflege der Ursubstanz e<strong>in</strong>es Tages als leere Hülle<br />

enttarnt – dann im freien Fall abstürzen.<br />

Goebbels Ich halte Ihre Theorie von der Ursubstanz für e<strong>in</strong>en<br />

Aberglauben. Wir müssen den Studierenden vor allem helfen, dass<br />

sie aus sich selbst etwas machen, denn dann kommen sie am<br />

weitesten. Der Begriff Ursubstanz suggeriert doch, dass es e<strong>in</strong>e<br />

Schlüsselformel gäbe, die gefunden und erkannt werden muss.<br />

Wetz Mit Ursubstanz me<strong>in</strong>e ich schlicht primäre, geradezu lebens-<br />

sichernde handwerkliche und geistige Instrumentalfertigkeiten, also<br />

den künstlerischen Boden so primär wie die Selbstverständlichkeit,<br />

dass e<strong>in</strong> Germanist ke<strong>in</strong> Analphabet ist.<br />

FiT Wer def<strong>in</strong>iert denn das Ideal e<strong>in</strong>er Ausbildung – die Kunst alle<strong>in</strong><br />

oder die Bedürfnisse des Marktes?<br />

Wetz Ich b<strong>in</strong> überzeugt davon, dass e<strong>in</strong>e staatliche Hochschule die<br />

Aufgabe hat, bestimmte Werte und Wertvorstellungen zu def<strong>in</strong>ieren<br />

und /oder zu erhalten und sie auch weiterzubewegen. Auf jeden<br />

Fall sollte sie sich nicht nur an den Bedürfnissen des Marktes<br />

orientieren. Im Gegenüber mit me<strong>in</strong>en Studierenden habe ich als<br />

Lehrender die Aufgabe, ihn künstlerisch maximal zu entwickeln,<br />

dabei se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuellen Fähigkeiten, Mentalität und Zielwünsche<br />

stets mit e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />

Goebbels Dies aber bitte auf der Ebene des zeitgenössischen<br />

Kunstbegriffes! Es muss auch den Raum geben, die eigene<br />

künstlerische Praxis zu reflektieren. Es ist nämlich auch unsere<br />

Aufgabe, für e<strong>in</strong>e künstlerische Zukunft e<strong>in</strong>zutreten, von der<br />

wir heute noch nicht wissen, wie sie aussehen wird, weder im<br />

Schauspiel noch <strong>in</strong> der Musik noch im Tanz.<br />

FiT Sehen Sie dort Gefahren lauern, wo Interdiszipl<strong>in</strong>arität <strong>in</strong> der<br />

Lehre e<strong>in</strong>e entscheidende Rolle spielt?<br />

Es ist unsere Aufgabe,<br />

für e<strong>in</strong>e künstlerische Zukunft<br />

e<strong>in</strong>zutreten, von der wir<br />

heute noch nicht wissen, wie<br />

sie aussehen wird.<br />

He<strong>in</strong>er Goebbels<br />

Goebbels Das werden wir dann sehen, wenn es Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

wirklich gibt. In dieser Form sehe ich sie ja noch kaum. Wir haben<br />

es <strong>in</strong> vielen Bereichen sehr stark mit e<strong>in</strong>er handwerklichen Vermitt-<br />

lung zu tun. E<strong>in</strong>e andere Ausbildung, die solche normierenden<br />

handwerklichen Ausbildungsprozesse reduziert oder sie bewusst<br />

mit anderen Künsten konfrontiert, f<strong>in</strong>den wir kaum. Nach den<br />

jetzigen Kriterien s<strong>in</strong>d die Spielräume weder bei der Schauspiel-<br />

noch <strong>in</strong> der Tanzausbildung groß genug dafür. Es ist ja durchaus<br />

auch so, dass die Lehrenden selbst unter diesen Zwängen leiden.<br />

Spychiger Ich glaube, dass wir vieles, was an Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

bereits gelebte Praxis ist, nicht e<strong>in</strong>mal als solche wahrnehmen. Die<br />

Hochschule ist doch schon viel <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer geworden. Ich<br />

denke an die Initiativen <strong>in</strong> die Gesellschaft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, zum Beispiel die<br />

„Tage der Schulmusik“, wo Künstler mit ihren verschiedenen<br />

Diszipl<strong>in</strong>en <strong>in</strong> die Schule gehen. Das „Schulprojekt Response“ ist<br />

geradezu e<strong>in</strong> Flaggschiff der Interdiszipl<strong>in</strong>arität. Es br<strong>in</strong>gt Neue<br />

Musik <strong>in</strong> Bereiche, wo sie noch nicht zuhause ist, verb<strong>in</strong>det sie mit<br />

Pädagogik, den Heranwachsenden, Schulen, der Gesellschaft und<br />

arbeitet mit den Menschen an diesen Orten zusammen. Und das<br />

Impressionen der szenischen<br />

Abende der<br />

<strong>HfMDK</strong>-Gesangsabteilung<br />

im Juli 2010


Weiterbildungsprojekt „Primacanta – jedem K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Stimme“<br />

ist bester Beweis dafür, wie sich die Hochschule jenseits ihrer<br />

eigenen vier Wände für pädagogische Nachhaltigkeit e<strong>in</strong>setzt<br />

und damit auch auf die Politik e<strong>in</strong>lässt, die Zusammenarbeit mit<br />

Stiftungen sucht und viel Entdeckergeist beweist.<br />

FiT Wie könnte denn die Hochschulausbildung noch <strong>in</strong>terdiszipli-<br />

närer werden?<br />

Goebbels Das Handwerkliche, das wir für unverzichtbar halten,<br />

muss kritisch daraufh<strong>in</strong> untersucht werden, <strong>in</strong>wieweit es<br />

„ideologisch“ e<strong>in</strong>gefärbt ist, weil an e<strong>in</strong>e Ästhetik gebunden, die<br />

vergänglich ist und die wir vielleicht schon h<strong>in</strong>ter uns haben.<br />

Ke<strong>in</strong>e Technik ist neutral. Wir stehen mit unseren Ausbildungs-<br />

gängen ja am Ende e<strong>in</strong>er langen Kette von Institutionalisierungen<br />

und beziehen unser „Handwerk“ letztlich auf e<strong>in</strong>e ästhetische<br />

Praxis, die zum Teil 100, 150 oder 200 Jahre alt ist. Ich hoffe,<br />

dass das nicht so bleibt und dass die Hochschule auch der Ort<br />

e<strong>in</strong>er ästhetischen Forschung se<strong>in</strong> kann – auf die Zukunft der<br />

Künste gerichtet. Auf lange Sicht glaube ich, dass junge Künstler<br />

am ehesten dann e<strong>in</strong>e berufliche Perspektive haben, wenn sie<br />

aufgeschlossen, flexibel und auf verschiedenen Terra<strong>in</strong>s sub-<br />

stanziell kompetent s<strong>in</strong>d.<br />

Wetz Schon lange trage ich die Vision mit mir, auf neue Weise<br />

alte Didaktiken umzusetzen; nämlich auch im „<strong>in</strong>neren Kern“ der<br />

Ausbildung alle Bereiche zu vernetzen, quasi Kestenberg <strong>in</strong> Teilen<br />

wieder rückgängig zu machen. Ich könnte mir, am Beispiel des<br />

Instrumentalunterrichts betrachtet, vorstellen, dass die Fächer<br />

Musiklehre, Formenlehre, Gehörbildung, Stilkunde, Ästhetik sowie<br />

Methodik des Lernens und Lehrens eng mit dem Hauptfachunter-<br />

richt verknüpft werden und analytischer, wissenschaftlicher oder<br />

praxisnaher Teil der künstlerischen <strong>in</strong>dividuellen Arbeit e<strong>in</strong>zelner<br />

Studierender werden. Dazu gehört auch die <strong>in</strong>haltlich verzahnte<br />

Arbeit im künstlerischen Bereich zwischen Dirigenten, Kammer-<br />

musiklehrern und Hauptfachdozenten plus die Integration gerade<br />

genannter Diszipl<strong>in</strong>en.<br />

Spychiger Ich möchte so lehren können, dass me<strong>in</strong>e Studierenden<br />

bereits im Studium für sich e<strong>in</strong> Meta-Konzept von Diszipl<strong>in</strong>arität<br />

und Interdiszipl<strong>in</strong>arität entwickeln, damit sie nicht nur künstlerisch<br />

kompetent s<strong>in</strong>d, sondern auch pädagogisch, didaktisch, sozial und<br />

logistisch. Bei aller Öffnung h<strong>in</strong> zu anderen Diszipl<strong>in</strong>en glaube ich<br />

ebenso an e<strong>in</strong> diszipl<strong>in</strong>äres Zeichensystem der Musik, das def<strong>in</strong>iert<br />

werden kann und Maßstäbe setzt. Unerwartete Blüten treibt<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität im S<strong>in</strong>ne des fachübergreifenden Wissens da, wo<br />

technische Möglichkeiten die „Ursubstanz“ e<strong>in</strong>fach ersetzen: Ich<br />

er<strong>in</strong>nere mich an e<strong>in</strong>en Lehrerstudenten <strong>in</strong> der Schweiz, der zu<br />

se<strong>in</strong>er sehr guten Abschlussarbeit e<strong>in</strong>e CD mit Musikstücken<br />

ablieferte, die er selbst komponiert und gesungen hatte. Er konnte<br />

aber nicht richtig s<strong>in</strong>gen, er traf kaum die Töne. Aber er wusste die<br />

Software zu bedienen, die diese Fehler alle korrigierte. Der soll<br />

heute Jugendliche anleiten, ihnen Musik beibr<strong>in</strong>gen? Man hat da<br />

se<strong>in</strong>e Zweifel. Trotzdem b<strong>in</strong> ich überzeugt: Interdiszipl<strong>in</strong>arität, seriös<br />

betrieben, orientiert sich nicht an e<strong>in</strong>em Pr<strong>in</strong>zip, sondern an<br />

Kontexten und deren Veränderungen. Und sie stellt an die Beteilig-<br />

ten hohe Ansprüche: Wer sich zwischen den Diszipl<strong>in</strong>en bewegt, ist<br />

nicht von der eigenen Diszipl<strong>in</strong>arität entlastet. Aber er muss das<br />

Interesse entwickeln, sich mit anderen zu e<strong>in</strong>igen, sie zu verstehen<br />

und ihnen entgegenzukommen, gerade auch dann, wenn es solche<br />

s<strong>in</strong>d, mit denen man sich nicht so gern an e<strong>in</strong>en Tisch setzt.<br />

Ausgeübte Interdiszipl<strong>in</strong>arität befähigt uns Menschen erst wirklich,<br />

mit Differenz zu leben. bjh<br />

9


10 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Das Andere stärkt das Eigene<br />

Ohne <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Vernetzung bleiben Musik wie musikalische (Aus-)Bildung Stückwerk<br />

Von Gerhard R. Koch, bis 2003 Musikredakteur<br />

der <strong>Frankfurt</strong>er Allgeme<strong>in</strong>en Zeitung<br />

Vor e<strong>in</strong>igen Jahren erzählte e<strong>in</strong> renommierter Musikwissenschaftler<br />

e<strong>in</strong>er großen deutschen Universität: Er habe e<strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>ar über die<br />

Messen Joseph Haydns angekündigt – und sich gewundert, wie<br />

wenige Anmeldungen e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>gen. Bei den Studierenden stieß er auf<br />

folgende Gründe für das Des<strong>in</strong>teresse: Haydn möge ja e<strong>in</strong> bedeutender<br />

Komponist se<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e historische Rolle für die Entwicklung<br />

von S<strong>in</strong>fonie und Streichquartett unbestritten. Doch se<strong>in</strong>e Messen<br />

seien wenig bekannt, also vermutlich eher Nebenwerke, mit denen<br />

man sich nicht unbed<strong>in</strong>gt beschäftigen müsse. Se<strong>in</strong> Argument,<br />

gerade mit dem Unvertrauten solle man sich befassen, zumal es<br />

gerade bei großen Künstlern schwer, ja bisweilen unstatthaft sei,<br />

Zentrales und angeblich Peripheres sauber separieren zu wollen,<br />

fruchtete kaum. Dann hieß es, der Messe-Text sei schließlich<br />

late<strong>in</strong>isch; man habe zwar die obligaten Grundkenntnisse, aber das<br />

Ganze sei doch mühsam. Se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wand, das Messe-Late<strong>in</strong> sei nicht<br />

übermäßig kompliziert, zudem gebe es gute Übersetzungen, verf<strong>in</strong>g<br />

ebenfalls nicht. Massiver war der andere Vorbehalt: Mit den<br />

christlichen Inhalten, um die es <strong>in</strong> der Messe g<strong>in</strong>g, habe man nichts<br />

mehr im S<strong>in</strong>n. Darauf der Professor: Er sei völlig areligiös; gleichwohl<br />

sei nun e<strong>in</strong>mal die Geschichte der europäischen, eurozentrischen<br />

Hochkultur, also auch der Musik sogar noch bis <strong>in</strong>s 19.<br />

Jahrhundert durch christliche Themen bestimmt. Bei jeder<br />

Kirchenbesichtigung, jedem Museumsbesuch würde man darauf<br />

stoßen. Antwort: Aus Kirchen oder Museen mache man sich auch<br />

nichts.<br />

Die Erzählung, offenkundig aus der Enttäuschung heraus satirisch<br />

überspitzt, provoziert natürlich Widerspruch. Selbstverständlich<br />

gibt es andere Blicke auf die Kunst als den oft engen, ja kunstfremden<br />

des wissenschaftlichen Historikers. Musik- und Theaterstudien<br />

s<strong>in</strong>d eher praxisorientiert. Vor allem aber: Das „christliche Abendland“,<br />

der Werte-Kanon des deutschen Bildungsbürgertums s<strong>in</strong>d im<br />

21. Jahrhundert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er multikulturellen Gesellschaft nicht mehr<br />

Maß aller D<strong>in</strong>ge. Schon wer aus christlich-orthodoxen, jüdischen,<br />

muslimischen oder buddhistischen Traditionen kommt, br<strong>in</strong>gt ganz<br />

andere Perspektiven, auch auf Kunst, mit. Ganz abgesehen von<br />

zunehmend liberal-freigeistigen wie atheistischen Tendenzen.<br />

Insofern ist das erwähnte Beispiel selber schon historisch, ja<br />

anachronistisch. In ihrer Gesamtheit haben sie e<strong>in</strong>en heilsamen<br />

Effekt: Der, nicht zuletzt deutsche, Glaube an hehre „Kunstreligion“,<br />

Konzert oder Theater als Gottesdienst-Ersatz, der Kult des „Erhabenen“<br />

ist im Schw<strong>in</strong>den, und auch die „Meisterwerke“ der Klassik<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>em Entmythologisierungs-Prozess unterworfen. Liest man<br />

ältere Texte etwa über Beethoven, so ist kaum mehr nachvollziehbar,<br />

wer oder was damit geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> sollte. Dass der Zug zur<br />

Versachlichung durch den neokonservativen Trend zu „Größe“,<br />

„Würde“, „Weihe“ – wie ihn etwa der Dirigent Christian Thielemann<br />

repräsentiert – konterkariert wird, versteht sich.<br />

von oben nach unten:<br />

E<strong>in</strong> Stummfilm-Projekt mit Filmmusik im Kle<strong>in</strong>en Saal der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>äre Performance im Rahmen des ersten<br />

Symposions „THE ARTIST`S BODY“ im Herbst 2009. Foto: Udo Hesse<br />

E<strong>in</strong> prom<strong>in</strong>entes Beispiel spartenübergreifender Bühnenpräsentation:<br />

Aloys Kontarsky als Begleitpianist zu e<strong>in</strong>em Stummfilm. Im H<strong>in</strong>tergrund<br />

die Projektion e<strong>in</strong>er Collage aus F. W. Murnaus „Nosferatu – E<strong>in</strong>e<br />

Symphonie des Grauens“, produziert vom Schweizer Fernsehen DRS.<br />

Leistung als Gebot der Stunde<br />

Gleichwohl heißt „Leistung“ das Gebot der Stunde: Das Normative<br />

der Feier des Kunstwerkes ist zur Norm der Aufführungs-Perfektion<br />

mutiert. Dieses Rad zurückdrehen zu wollen, ist so unmöglich wie<br />

uns<strong>in</strong>nig: Ke<strong>in</strong>e Hochschule würde es sich heute leisten wollen oder<br />

auch können, technische Standards zugunsten om<strong>in</strong>öser „Tiefe“<br />

oder „persönlicher Aussage“ h<strong>in</strong>tanzustellen. Neu ist die Entwicklung<br />

natürlich nicht, denn auch früher galt zuverlässiges Funktionieren<br />

des Apparates als wesentliches Kriterium. Und ke<strong>in</strong>eswegs<br />

zufällig haben die gerne geschmähten „Achtundsechziger“ die<br />

Exponenten professioneller Selbstgenügsamkeit als „Fachidioten“<br />

kritisiert, die über ihrem Expertentum den Rest der Welt – künstlerisch<br />

aber auch politisch – vergaßen.


Nun wiederholt sich Geschichte nicht so e<strong>in</strong>fach – und so, wie es<br />

nicht nur „L<strong>in</strong>ke“ s<strong>in</strong>d, die me<strong>in</strong>en, man müsse dem Turbo-<br />

Kapitalismus Zügel anlegen, so mehren sich auch <strong>in</strong> der Kultur<br />

mahnende Stimmen: man dürfe im Zuge von Bachelor- und<br />

Master-Programmen nicht um der Ausbildungsgradl<strong>in</strong>igkeit willen<br />

das Moment der verschulenden Verfachlichung nicht weiter<br />

forcieren. Im Gegenteil gelte es, alte Werte nicht <strong>in</strong> Vergessenheit<br />

geraten zu lassen, dies aber nicht im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es nur nostalgischen<br />

„Zurück zum Humboldtschen Bildungsideal“, sondern gerade<br />

im H<strong>in</strong>blick auf die aktuelle Situation – sowohl der historischen<br />

Kunst als auch der avancierten Produktion.<br />

11


12 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Lohnende Parallel-Erfahrungen<br />

Unter beiden Gesichtspunkten führt letztlich ke<strong>in</strong> Weg an <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />

Konzepten vorbei. Und dies sogar im quasi B<strong>in</strong>nenbereich.<br />

Erlebt man mitunter, wie begrenzt die Repertoirekenntnis<br />

etwa von Pianisten ist, so fragt man sich, wie tief sie <strong>in</strong> manche<br />

Werke e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen vermögen, wenn deren übergreifender Kontext<br />

ihnen verschlossen ist. Natürlich lässt sich e<strong>in</strong> Chop<strong>in</strong>-Nocturne<br />

auch nur „nach Noten“ spielen. Hat man aber e<strong>in</strong>e Bell<strong>in</strong>i-Opernarie<br />

gehört, so wird das Klavierstück <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en auratischen belcanto-<br />

Raum transzendieren, <strong>in</strong> dem dann auch das „Pianistische“<br />

aufgehoben sche<strong>in</strong>t. Oder: Lassen sich bei Schumann Klavierwerk,<br />

Lied und Literatur wirklich getrennt erfahren, werden nicht vielmehr<br />

Instrument wie Stimme durch He<strong>in</strong>e, E.T.A. Hoffmann und Eichendorff<br />

erst synthetisiert? Das Wort von der „Poesie der Musik“<br />

ist durchaus wörtlich zu nehmen. Und wie sehr gew<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>ige<br />

Schubert-Lieder an schier physisch beklemmender, „haptischer“<br />

Intensität, hört und sieht man sie <strong>in</strong> unmittelbarer Nachbarschaft zu<br />

den Malern Turner und Goya. Natürlich können und dürfen solche<br />

Analogien h<strong>in</strong>gebungsvolles Üben und Proben nicht ersetzen; wohl<br />

aber bewirken derlei Parallel-Erfahrungen potenzierende Rückkoppelungen<br />

für das eigene S<strong>in</strong>gen und Spielen.<br />

Bewusstse<strong>in</strong> unerhörter Vielfalt<br />

Analog zum e<strong>in</strong>stigen universitären studium generale sollten auch<br />

an den Musikhochschulen spartenübergreifende Initiativen <strong>in</strong><br />

Theorie wie Praxis gefördert werden. Bedenkt man, wie extrem<br />

vielschichtig <strong>in</strong> jeder H<strong>in</strong>sicht Phänomene wie Barock oder<br />

Romantik, auch Impressionismus oder Expressionismus kodiert<br />

s<strong>in</strong>d, so wäre selbst <strong>in</strong>nerhalb der immanenten Ausbildung für die<br />

musikalische Praxis der ästhetische Fächerkanon viel weiter zu<br />

öffnen; wobei es natürlich auf die kreative Aufgeschlossenheit von<br />

Lehrenden wie Lernenden ankommt. Zudem sollte e<strong>in</strong> möglichst<br />

guter Musiker auch e<strong>in</strong> möglichst umfassender Musiker se<strong>in</strong>. Das<br />

soll nicht heißen, dass jeder von allem e<strong>in</strong> bisschen kennen oder<br />

können soll; wohl aber geht es um das Bewusstse<strong>in</strong> der unerhörten<br />

Vielfalt des kl<strong>in</strong>genden Universums.<br />

Dazu gehört nicht m<strong>in</strong>der die sowohl romantische als auch<br />

avantgardistische Utopie von der E<strong>in</strong>heit der Künste: dass es im<br />

Grunde nur e<strong>in</strong>e Kunst gibt, die sich <strong>in</strong> Bildender Kunst, Literatur,<br />

Musik, Theater, Architektur, Tanz, Foto, Film und Performance<br />

manifestiert. Der Begriff „Gesamtkunstwerk“ ist denn auch wörtlich<br />

zu nehmen – und dies nicht nur im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er überwölbenden<br />

bis überwältigenden Totale, bei der e<strong>in</strong>em Hören und Sehen, wenn<br />

An<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />

Konzepten<br />

führt<br />

ke<strong>in</strong> Weg<br />

vorbei.<br />

Gerhard Koch<br />

nicht sogar das Denken vergeht, sondern auch „dekonstruktivistisch“<br />

als Aufspaltung <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>zelnen medialen Elemente. Das<br />

dialektische Widerspiel von E<strong>in</strong>zelnem und Ganzem ist ästhetisches<br />

wie soziales Modell zugleich. Wer sich der Kunst verschreibt, sollte<br />

sich dem nicht verschließen.<br />

Kunst-Kritiker, im weitesten S<strong>in</strong>ne, und produzierende Künstler<br />

stehen für konträre Sphären, agieren gleichwohl beide im Spannungsfeld<br />

der Kunst, die als ästhetische Moderne vollends multipel<br />

geworden ist. Und so wie etwa e<strong>in</strong>e Sänger<strong>in</strong>, die zu Sprache,<br />

Schauspiel, Tanz ke<strong>in</strong>erlei Zugang hat, bei allen Koloratur-Höhen<br />

begrenzt bleiben wird, so dürfte e<strong>in</strong> Komponist ohne jeglichen<br />

S<strong>in</strong>n fürs Visuelle, zum<strong>in</strong>dest akustische Raum-Visionen trotz hoher<br />

Autonomie-Qualitäten kompositorisch eher e<strong>in</strong>silbig bleiben. Wer<br />

heute über Kunst schreibt, kann sich dieser Vernetzung erst recht<br />

nicht entziehen: Ohne Ausstellungen, K<strong>in</strong>o, Tanz und Theoriebildung<br />

wird er <strong>in</strong> öde fachidiotischer Bodenständigkeit verharren,<br />

mag er sich <strong>in</strong> Klassik und Romantik auch gut auskennen.<br />

Trägheit versus Aufbruch<br />

Den dr<strong>in</strong>gend nötigen Aufbruchsbewegungen steht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelles<br />

wie kollektives Trägheitsmoment entgegen: Ke<strong>in</strong>e Zeit! heißt<br />

es bei den Studierenden, die auf Examen, Wettbewerb oder<br />

Vorspiel h<strong>in</strong>arbeiten – ke<strong>in</strong>e Zeit, ke<strong>in</strong>e Mittel bei den Institutionen.<br />

Dass die verschiedenartigen Hochschulen, Theater, Museen,<br />

Funkhäuser, K<strong>in</strong>os, Bibliotheken, private wie öffentliche Veranstalter<br />

oder Geldgeber, Kulturämter wie Stiftungen, Staat, Land und Stadt<br />

produktiv kooperieren, kommt zwar ab und an vor. Doch die Regel<br />

ist eher der Isolationismus von Personen wie Apparaten. Von<br />

Kommunikation, Interaktion ist zwar viel die Rede – die Wirklichkeit<br />

sieht meist anders aus.<br />

So mag denn am Ende e<strong>in</strong>e Art Utopie stehen – <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er<br />

selbstverständlich nahezu unirdischen Film-Produktion, bei der<br />

Literaten, Regisseure, Schauspieler, Architekten, Lichtkünstler,<br />

Schauspieler, Kameraleute, Komponisten, Musiker, Computer-Virtuosen<br />

zusammenwirken, um geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>maliges Ganzes zu<br />

schaffen: Kunst. Die Musikhochschule als futuristische Hybrid-Variante<br />

e<strong>in</strong>es selbstverständlich kommerzfreien Filmstudios wäre e<strong>in</strong><br />

wahrhaft verlockendes Projekt. Dass es bislang noch nicht realisiert<br />

wurde, spricht ke<strong>in</strong>esfalls dagegen.


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Für ihn ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten purer Alltag: Schlagzeugprofessor<br />

Ra<strong>in</strong>er Römer ist zugleich Mitglied des Ensemble Modern.<br />

oben:<br />

Szene aus „Landschaft mit entfernten Verwandten“ von He<strong>in</strong>er Goebbels.<br />

Foto: Wonge Bergmann<br />

Bild Seite 15 unten:<br />

Tanzende Derwische <strong>in</strong> He<strong>in</strong>er Goebbels’<br />

„Landschaft mit entfernten Verwandten“. Foto: Wonge Bergmann<br />

Der Musiker als<br />

tanzender Derwisch<br />

Zeitgenössische Produktionen stellen<br />

Musiker im Ensemble Modern täglich vor<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Herausforderungen<br />

Von Ra<strong>in</strong>er Römer, Professor für Schlagzeug an der <strong>HfMDK</strong><br />

<strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> und seit 1985 Schlagzeuger des Ensemble Modern<br />

Auf die Frage, ob Interdiszipl<strong>in</strong>arität nun Pflicht oder Kür sei,<br />

antworte ich aus eigener Erfahrung mit stoischer E<strong>in</strong>deutigkeit:<br />

weder noch, sondern schlichtweg Standard. Den bildenden<br />

Künstler, der Musik macht, den sprechenden Musiker, den spielenden<br />

Tänzer, den komponierenden Informatiker, all das gibt es<br />

schon längst und <strong>in</strong> höchst diffizilen Ersche<strong>in</strong>ungsformen. Ich<br />

möchte hier aber über Erfahrungen aus me<strong>in</strong>er Arbeitssituation vor<br />

allem als Mitglied des Ensemble Modern berichten und dazu e<strong>in</strong>ige<br />

Überlegungen anstellen.<br />

E<strong>in</strong> entscheidender Aspekt <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Arbeit ist für mich, ob<br />

ich e<strong>in</strong>erseits nur me<strong>in</strong>en Ort verändere, also Installation, Theaterraum,<br />

öffentlichen Raum nutze oder ob die Parameter der Umgebung<br />

mich verändern. Will sagen: Bewege ich mich auf der Bühne<br />

oder werde ich bewegt? Spreche, spiele, tanze oder s<strong>in</strong>ge ich? B<strong>in</strong><br />

ich alle<strong>in</strong> oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe, stelle ich etwas dar oder fungiere<br />

ich im Ensemble? B<strong>in</strong> ich Partner e<strong>in</strong>es Tonbandes oder B<strong>in</strong>deglied<br />

real prozessierter Klänge? Dazu gehört auch die Frage, <strong>in</strong>wieweit<br />

ich mich von me<strong>in</strong>er gewohnten Spielhaltung entferne oder auch<br />

nicht. Das fängt bei der Platzierung im Raum an und geht weit über<br />

die klangliche Manipulation der von mir geschaffenen Klänge<br />

h<strong>in</strong>aus: Spiele ich me<strong>in</strong> Instrument im „klassischen S<strong>in</strong>ne“ oder<br />

reagiere ich auf die mir gestellten Anforderungen? So stellte uns


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Musiker beispielsweise die Produktion „Eislermaterial“ (He<strong>in</strong>er<br />

Goebbels, 1998) vor die Aufgabe, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em die Bühne füllenden,<br />

nach vorne offenen Rechteck zu sitzen, wobei die beiden Pianisten<br />

sich mit dem Rücken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Metern Distanz zue<strong>in</strong>ander<br />

befanden und wir dann lernten, ohne Dirigent zu spielen. Der<br />

besondere Klang dieser Aufstellung und die ungewöhnliche<br />

Positionierung im Bühnenraum bewirkten e<strong>in</strong> spannungsreiches<br />

szenisches Kont<strong>in</strong>uum.<br />

Musiker als tanzende Derwische<br />

Also ab wann beg<strong>in</strong>nt das Interdiszipl<strong>in</strong>äre, wo verändere ich mich?<br />

Welches ist me<strong>in</strong> Ausgangspunkt? In e<strong>in</strong>er Szene der Goebbels-<br />

Produktion „Landschaft mit entfernten Verwandten“ (2002)<br />

drehten sich e<strong>in</strong>ige Musiker von uns <strong>in</strong> Derwisch-Kostümen über<br />

zehn M<strong>in</strong>uten auf der Bühne. Ich habe mich immer gefragt, warum<br />

diese Szene so gut funktionierte, obwohl man weiß, dass es sich da<br />

um Mitglieder des Ensemble Modern, also Musiker, und lediglich<br />

e<strong>in</strong>en Schauspieler (David Bennent) handelte. Die Tatsache, dass<br />

man nach Erlernen der Grundbewegung sich ganz der eigenen<br />

E<strong>in</strong>stellung, die man als Musiker entwickelt, h<strong>in</strong>geben konnte und<br />

man so nicht Gefahr lief, pe<strong>in</strong>lich, ungeschickt oder entfremdet zu<br />

wirken, war e<strong>in</strong> mutmachendes Erleben. Der gleichmäßige E<strong>in</strong>druck<br />

der Aktion erzeugte <strong>in</strong> der Illusion e<strong>in</strong> überzeugendes Ganzes,<br />

welches Bilder entstehen ließ, die e<strong>in</strong>e Parameter-Erweiterung des<br />

eigenen Handelns auf der Bühne ermöglichte. Wichtig dabei war,<br />

dass die Performer immer die gleiche konzentrierte Haltung<br />

bewahrten, ähnlich wie bei e<strong>in</strong>em Soloauftritt mit dem eigenem<br />

Instrument. Dazu wurde e<strong>in</strong>e Musik improvisiert, die <strong>in</strong> Proben<br />

entwickelt, aber durch extreme Verdichtung und Kondensierung auf<br />

e<strong>in</strong>en Kern gebracht wurde, der Unbestimmtheit oder Beliebigkeit<br />

nicht zuließ.<br />

Die Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern, Schauspielern,<br />

Regisseuren, Choreographen, Videokünstlern, Tänzern und<br />

Musikern der verschiedensten Stile wie Elektronik, Pop, Jazz sowie<br />

Filmmusik br<strong>in</strong>gt immer wieder neue Erlebnisse des Musizierens<br />

hervor und verlangt e<strong>in</strong>e ständige Neubetrachtung des Arbeitspro-<br />

zesses. Teilweise entwickelt man Material <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samen oder<br />

parallelen Arbeitsprozessen, br<strong>in</strong>gt Kompositionen und Improvisati-<br />

onen e<strong>in</strong> und ersche<strong>in</strong>t eventuell als sprechender, sich bewegender<br />

oder s<strong>in</strong>gender Performer.<br />

Umgekehrt erstaunt es auch immer wieder, wenn Laien performativ<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden und e<strong>in</strong>e verblüffend tiefe Wirkung erzielen,<br />

<strong>in</strong>dem sie ihre eigenen Erzählstrukturen, wie auch immer geartet,<br />

auf die Bühne br<strong>in</strong>gen. Die Konzentration und Authentizität s<strong>in</strong>d<br />

dabei auschlaggebend für das Gel<strong>in</strong>gen.<br />

Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

Ke<strong>in</strong>e Privatsphäre auf der Bühne<br />

Im Grunde ist schon die Frage, ob ich alle<strong>in</strong>e oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe<br />

musiziere, mit <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Ideen durchsetzt. Wie verhalte ich<br />

mich, wenn ich auf der Bühne sitze und Teil e<strong>in</strong>er Installation b<strong>in</strong>, <strong>in</strong><br />

der e<strong>in</strong>e zwölf mal zwei Meter große Le<strong>in</strong>wand erhöht h<strong>in</strong>ter dem<br />

Ensemble hängt, die computeranimierte Texturen zeigt und mich als<br />

ausführender Musiker eigentlich „unsichtbar“ macht, aber eben<br />

nicht „unhörbar“ (Ryuichi Sakamoto/Alva Noto, Ensemble Modern,<br />

UTP 2007)? Übrigens gibt es das Unsichtbare gar nicht; selbst die<br />

kle<strong>in</strong>sten Regungen werden aus der Zuschauerperspektive wahrgenommen.<br />

Es gibt auf der Bühne ke<strong>in</strong>e Privatsphäre.<br />

E<strong>in</strong> Theaterraum funktioniert anders als e<strong>in</strong> Konzertsaal, e<strong>in</strong>e<br />

Industriehalle anders als e<strong>in</strong>e open-air-Situation, und die Arbeit <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Studio unterscheidet sich sowieso von allem anderen. Die<br />

eigentlichen Hürden bei Modifikationen der Spielsituation s<strong>in</strong>d die<br />

Platzierung im Raum, das Spielen mit Click-Tracks, die akustische<br />

Situation sowie die solistische oder die dem Ensemblespiel eigene<br />

Ausrichtung. E<strong>in</strong>e Adaption an die Umstände ist hier unweigerlich<br />

vonnöten und fordert immer wieder e<strong>in</strong>e flexible Haltung <strong>in</strong> der<br />

Ausführung.<br />

Mit „Panic Button“ im Anschlag<br />

Schmunzeln musste ich, als ich hörte, dass es bei e<strong>in</strong>er Produktion<br />

der kanadischen Company „cirque de soleil“ für jeden im Raum<br />

verteilten, über Kopfhörer untere<strong>in</strong>ander sich hörenden Musiker<br />

e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Kasten mit e<strong>in</strong>em Knopf gab: Es war der „Panic<br />

Button“, den die Musiker auslösen könnten, um so schnell über e<strong>in</strong><br />

ausgehendes Pult-Licht oder e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>setzenden Schw<strong>in</strong>delanfall<br />

<strong>in</strong>formieren zu können.<br />

Statements<br />

„Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

im Studium<br />

– Pflicht oder Kür?“<br />

lautet die Frage, die wir Lehrenden aller drei Fachbereiche der<br />

15<br />

<strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> gestellt haben. Die Antworten<br />

rangieren zwischen e<strong>in</strong>er Aversion gegen den viel strapazierten<br />

Begriff und fragloser Sympathie für diese Idee des Arbeitens.<br />

Ra<strong>in</strong>er Römers Aufsatz ist e<strong>in</strong>e belegreiche Antwort <strong>in</strong> großer<br />

Ausführlichkeit, dem <strong>in</strong> der Statement-Serie kürzere Antworten<br />

se<strong>in</strong>er Kollegen folgen.


16 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Mittlerweile ist die Computertechnologie so weit vorangeschritten,<br />

dass alle erdenklichen Anordnungen umgesetzt werden können: von<br />

46 verschiedenen Click Tracks bis h<strong>in</strong> zu Arbeitsweisen, die die<br />

Phänomene der Digitalisierung und deren Verfügbarkeit und<br />

Modifikation als Performer untersuchen. Die Herstellung von<br />

verschiedensten Zeitebenen mittels Videokunst ist selbstverständ-<br />

lich geworden.<br />

Koord<strong>in</strong>ation ist das A und O<br />

Was bedeutet das nun für den Instrumentalisten? Zunächst<br />

erfordern die verschiedenen Formate auch verschiedene Probenpro-<br />

zesse. Schon die kle<strong>in</strong>ste Modifikation der Konzert- bzw. Auffüh-<br />

rungssituation kann bedeuten, dass man Licht, Ton und Bühne<br />

koord<strong>in</strong>ieren muss und jeweils eigene Proben und Aufbauzeiten<br />

Statement<br />

Sibylle Cada,<br />

Professor<strong>in</strong> für Klavier, Methodik und Didaktik,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Ich antworte mit zehn Thesen zu pr<strong>in</strong>zipieller wie<br />

pragmatischer Interdiszipl<strong>in</strong>arität:<br />

• Künstlerisches Handeln ist <strong>in</strong> sich selbst <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />

• Dies gilt gleichermaßen für pädagogisches Handeln<br />

• Jede Beziehung zwischen Menschen (hier: Lernende und<br />

Lehrende) ist <strong>in</strong> sich <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />

• Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist die Voraussetzung für e<strong>in</strong><br />

mehrdimensionales Verstehen des eigenen Handelns<br />

• Oder: Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist Voraussetzung für e<strong>in</strong>e<br />

reflektierte Selbstvergewisserung<br />

• Interdiszipl<strong>in</strong>arität ermöglicht entwicklungsorientierte<br />

Perspektivwechsel<br />

• E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Ausgestaltung des Studiums<br />

vermittelt mehr als Ausbildung – sie <strong>in</strong>itiiert darüber<br />

h<strong>in</strong>aus nachhaltige Bildungsprozesse<br />

• Interdiszipl<strong>in</strong>arität nutzt alle Wissens- und Könnens-<br />

Ressourcen <strong>in</strong>nerhalb und außerhalb der Institution<br />

• Interdiszipl<strong>in</strong>arität braucht etablierte Organisations- und<br />

förderliche Kommunikationsstrukturen<br />

• Konstruktive Kommunikation allerd<strong>in</strong>gs gel<strong>in</strong>gt nur bei<br />

gegenseitiger Wertschätzung, bei echter Akzeptanz von<br />

unterschiedlichen persönlichen Profilen und bei Offenheit<br />

gegenüber <strong>in</strong>dividuellen Erfahrungen anderer.<br />

benötigt, die abgestimmt werden müssen. Die Arbeitsstrukturen<br />

können erheblich vone<strong>in</strong>ander abweichen, und Instrumentalisten<br />

s<strong>in</strong>d häufig überrascht über die Veränderung der Probensituation,<br />

weil sie nicht überblicken, was parallel auf anderen Ebenen<br />

erarbeitet wird. Weiterh<strong>in</strong> erfordern unsere Projekte von Musikern<br />

eigene logistische Kompetenzen wie Fragen rund um Projektmanagement,<br />

Ton, Bühne, Licht, Transport, Technik, Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Cater<strong>in</strong>g.<br />

E<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichsten Erfahrungen diesbezüglich ist die<br />

Produktion „Schwarz auf Weiß“ (He<strong>in</strong>er Goebbels, 1996), <strong>in</strong> der<br />

18 Musiker als Protagonisten <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten. Ich er<strong>in</strong>nere<br />

mich, dass wir niemals e<strong>in</strong>e klar def<strong>in</strong>ierte Haltung, Ausdruck,<br />

Motivation oder Idee erfüllen sollten. Vielmehr g<strong>in</strong>g es um e<strong>in</strong>e<br />

durch Aufmerksamkeit generierte Spannung, die es dem Regisseur<br />

ermöglichte, durch e<strong>in</strong>e wie auch immer geartete Platzierung der<br />

Musiker (sei es über Bänke steigend, Leitern aufbauend, im<br />

Bühnenraum verteilt oder über große Distanzen h<strong>in</strong>weg spielend),<br />

Musiktheater zu schaffen, das Bilder transportierte, die weit über<br />

den von uns Musikern auf der Bühne entwickelten E<strong>in</strong>druck<br />

h<strong>in</strong>ausgehen sollten.<br />

Auch die Hochschule wird <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer<br />

Auch als <strong>HfMDK</strong>-Professor sehe ich, wie die Lehre auf steigende<br />

Anforderungen der Künstler reagiert: Das multi- und <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />

Lehrangebot wächst erfreulicherweise, angefangen von<br />

Musikspezifischer Bewegungslehre bis h<strong>in</strong> zu Kooperationsprojekten<br />

zwischen den Abteilungen Theater, Tanz und Musik. In<br />

diesem Zusammenhang wird für mich die Idee vom Musiker<br />

<strong>in</strong>teressant, der nicht nur Interpret, sondern zugleich Komponist<br />

und Improvisator ist. Dieses Ideal ist ja nicht neu, wenngleich klar<br />

ist, dass es nicht jeder auf allen Ebenen immer zu höchster<br />

Reife br<strong>in</strong>gen kann. Die Gepflogenheit der Kadenz im klassischen<br />

Konzert ersche<strong>in</strong>t mir als e<strong>in</strong> schon früher H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong><br />

Selbstverständnis, das den Interpreten zugleich als eigenen<br />

Tonschöpfer versteht. Auch aus der Alten Musik weiß man, dass<br />

Komponisten immer davon ausgegangen s<strong>in</strong>d, dass die Musiker<br />

wussten, was wie zu spielen, verzieren und zu begleiten ist, man<br />

sich also auf e<strong>in</strong>en musikalischen Sprachgebrauch e<strong>in</strong>igen konnte.<br />

Im Idealfall verb<strong>in</strong>den sich solche Fähigkeiten zu e<strong>in</strong>em Ganzen,<br />

und das Wissen um das Andere verstärkt die eigene Präsenz.<br />

Hilfreich ist für jeden Musiker die Ausbildung im Umgang mit der<br />

Stimme, dem Körper und natürlich dem Instrument <strong>in</strong> all se<strong>in</strong>en<br />

Facetten. Sicherlich war es mehr als nur e<strong>in</strong> Zufall, dass an der<br />

<strong>Frankfurt</strong>er Hochschule die Institute für zeitgenössische Musik<br />

(I z M) und Historische Interpretationspraxis (HIP) zur selben Zeit<br />

gegründet wurden. Rück- und Ausblick schließen sich nämlich<br />

nicht aus, sondern ergänzen sich und schaffen neue Wege zu<br />

kreativer Arbeit.


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

17


18 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

Experimentierfeld für die künstlerische Moderne<br />

Das <strong>Frankfurt</strong> LAB bietet Künstlern Arbeitsmöglichkeiten ohne räumliche und zeitliche Zwänge<br />

Von Sab<strong>in</strong>e Stenzel, Projektleiter<strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> LAB, und Andrea Wolter,<br />

Musikwissenschaftler<strong>in</strong><br />

Im Oktober 2009 wurde das „<strong>Frankfurt</strong> LAB – Das Musik-, Theaterund<br />

Tanzlabor der Moderne für <strong>Frankfurt</strong> Rhe<strong>in</strong>Ma<strong>in</strong>“ auf dem Gelände<br />

der „Kommunikationsfabrik“ im <strong>Frankfurt</strong>er Gallusviertel <strong>in</strong>s Leben<br />

gerufen. Diese Initiative ist das jüngste Beispiel für e<strong>in</strong> multi- und<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Mite<strong>in</strong>ander, an dem auch die <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am<br />

Ma<strong>in</strong> maßgeblich beteiligt ist.<br />

Der Standort ist, wenn man so will, durchaus symptomatisch:<br />

Denn während vom „Gallus“ der morbide Charme des ehemaligen<br />

Industrie- und Arbeiterviertels zwischen den Fassaden moderner<br />

Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche ausgeht, behauptet<br />

sich dort zugleich das produktive ideelle Potenzial, das diese Mischung<br />

für Kreative so anziehend macht. Agenturen, Clubs, freie Theaterensembles<br />

und auch die Forsythe Company s<strong>in</strong>d bereits <strong>in</strong> die Kommunikationsfabrik<br />

e<strong>in</strong>gezogen und machen sie zu dem, was ihr Name<br />

eigentlich sagt: zu e<strong>in</strong>em Ort der Begegnung, des Austausches und<br />

der ständigen Bewegung.<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Die Anfänge<br />

Bis 2009 befand sich dort, <strong>in</strong> der Schmidtstraße 12, die Außenspielstätte<br />

des Schauspiels <strong>Frankfurt</strong>, dann drohte ihr die Schließung.<br />

Dass sie für die Kunst erhalten blieb, ist fünf <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> bzw. Hessen<br />

angesiedelten Institutionen zu verdanken, die sich, den ständigen<br />

Mangel an geeigneten Proben- und Aufführungsorten für <strong>in</strong> offener<br />

Produktionsweise entstehende künstlerische Projekte vor Augen, für


echts:<br />

Tänzer der Abteilung Zeitgenössischer und Klassischer<br />

Tanz beim Tag der offenen Tür im <strong>Frankfurt</strong> LAB.<br />

l<strong>in</strong>ke Seite oben:<br />

Schauspielstudierende bei Proben im <strong>Frankfurt</strong> LAB.<br />

deren Erhaltung engagierten. Dieter Buroch (Künstlerhaus<br />

Mousonturm), Roland Diry (Ensemble Modern), He<strong>in</strong>er Goebbels<br />

(Hessische Theaterakademie), Stefan Mumme bzw. William<br />

Forsythe (The Forsythe Company) und Thomas Rietschel (Hochschule<br />

für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong>)<br />

gründeten geme<strong>in</strong>sam den Vere<strong>in</strong> „<strong>Frankfurt</strong> LAB – Das Musik-,<br />

Theater- und Tanzlabor der Moderne für <strong>Frankfurt</strong> Rhe<strong>in</strong>Ma<strong>in</strong>“, der<br />

die Räume nun nutzt. Das <strong>Frankfurt</strong> LAB setzt auf e<strong>in</strong>e Bündelung<br />

der kreativen Energie und wissenschaftlichen Kompetenz der<br />

fünf <strong>in</strong>ternational renommierten Kultur<strong>in</strong>stitutionen und vere<strong>in</strong>t <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Konzept künstlerische Kapazitäten aus den Bereichen<br />

Tanz, Musik, Performance und Theater.<br />

Der „kulturfonds frankfurt rhe<strong>in</strong>ma<strong>in</strong>“, die Stiftung Polytechnische<br />

Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> und die BHF-BANK-Stiftung<br />

fördern das multidiszipl<strong>in</strong>äre Projekt geme<strong>in</strong>schaftlich für vier Jahre<br />

mit 1,5 Mio. Euro. E<strong>in</strong>e Entscheidung im S<strong>in</strong>ne des allgeme<strong>in</strong> zu<br />

befürchtenden Kürzungstrends war die Förderzusage gewiss<br />

nicht, dafür aber e<strong>in</strong>e solche, die künstlerische Notwendigkeiten<br />

umso klarer im Blick hat. Auf der Habenseite steht die nationale<br />

und <strong>in</strong>ternationale Ausstrahlung e<strong>in</strong>es Kulturprojekts, das <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er schlüssigen Konzeption und künstlerischen Konsequenz<br />

deutschlandweit wohl e<strong>in</strong>zigartig ist und das kulturelle Potenzial<br />

der Rhe<strong>in</strong>-Ma<strong>in</strong>-Region stärkt und sichtbar unterstreicht.<br />

Künstlerisches Versuchslabor<br />

E<strong>in</strong> künstlerisches „Labor der Moderne“ soll das <strong>Frankfurt</strong> LAB<br />

se<strong>in</strong>, also e<strong>in</strong> Raum für Experimente, die sich <strong>in</strong>nerhalb der<br />

organisatorischen und räumlichen Strukturen von Theatern kaum<br />

verwirklichen lassen. Neue Darstellungs- und Kommunikationsformen<br />

sollen entwickelt werden – spontan, flexibel und auf<br />

momentane Situationen reagierend. Für Kunst<strong>in</strong>teressierte heißt<br />

das: e<strong>in</strong> Haus, das ke<strong>in</strong>en festgelegten Spielplan, aber stattdessen<br />

die Möglichkeit kurzfristiger Entscheidungen für öffentliche<br />

Präsentationen bietet – e<strong>in</strong>es, das die Öffentlichkeit dazu e<strong>in</strong>lädt,<br />

sich mit der Arbeit der im <strong>Frankfurt</strong> LAB agierenden Künstler<br />

kritisch ause<strong>in</strong>anderzusetzen. Dies könnte bedeuten: Nicht nur das<br />

Ergebnis, sondern auch der künstlerische Prozess als ästhetische<br />

Erfahrung – für die Künstler selbst und für das Publikum – steht im<br />

Vordergrund. Die neue Konstellation, die hier geschaffen wird, greift<br />

tief <strong>in</strong>s traditionelle Verhältnis von Künstler und Betrachter, von<br />

Kunstproduktion und -rezeption e<strong>in</strong>, ja sie stellt die Selbstverständlichkeit<br />

dieses etablierten Gefüges gar <strong>in</strong> Frage. Und da hier<br />

Kunstproduktion, künstlerische Ausbildung und Kunst-Erleben e<strong>in</strong>e<br />

enge Verb<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>gehen, eröffnen sie auch dem kunsttheoretischen<br />

Diskurs neue Perspektiven. In der Konzentration von<br />

Schwerpunktthema EXZELLENZ und ELITE<br />

Statement<br />

Yurgen Schoora,<br />

Professor für Physiodrama,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

An dem Begriff Interdiszipl<strong>in</strong>arität f<strong>in</strong>de ich den Aspekt „<strong>in</strong>ter“<br />

sehr wichtig: Es geht nicht um e<strong>in</strong> A + B, sondern darum,<br />

was Menschen aus unterschiedlichen Diszipl<strong>in</strong>en als<br />

professionalisierende und praktische Bereicherung für ihr<br />

„eigenes“ Gebiet mitnehmen.<br />

19


Produktion, Ausbildung und Forschung, von künstlerischer Praxis,<br />

theoretischer Reflexion und Rezeption an e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Ort<br />

geht das <strong>Frankfurt</strong> LAB noch über ähnliche Ansätze anderer Instituti-<br />

onen – wie z. B. den des Festspielhauses Hellerau (Dresden) – h<strong>in</strong>aus.<br />

Dass sich das <strong>Frankfurt</strong> LAB auf die Erfahrungen der beteiligten<br />

Institutionen mit <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Projekten wie etwa der „Motion<br />

Bank“, e<strong>in</strong>e Kooperation der Forsythe Company mit der <strong>HfMDK</strong>,<br />

stützen kann, gereicht dem Projekt zum Vorteil. Außerdem etabliert es<br />

die Region <strong>Frankfurt</strong> Rhe<strong>in</strong>-Ma<strong>in</strong> im <strong>in</strong>ternationalen Maßstab <strong>in</strong><br />

vorderster Reihe unter den Impulsgebern für die zeitgenössische<br />

performative Kunst.<br />

Offene Türen im <strong>Frankfurt</strong> LAB 2010<br />

Beim Tag der offenen Tür am 1. Mai 2010 konnte die Öffentlichkeit die<br />

bereits fertig ausgebauten und mit der notwendigen Technik verse-<br />

henen Räume des <strong>Frankfurt</strong> LAB <strong>in</strong> Augensche<strong>in</strong> nehmen: die<br />

Produktionshalle mit imposanten 650 m 2 Größe und die 230 m 2 große<br />

Probenhalle, außerdem Büros für die Projekt- und die technische<br />

Leitung, Künstlergarderoben, Lager, Werkstätten und Foyer. Dort war<br />

e<strong>in</strong> experimentelles Programm zu erleben, <strong>in</strong> dem moderierte Proben,<br />

Profitra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs und Installationen E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die Vorhaben und<br />

Produktionsprozesse gaben, die hier im Gange und auch künftig zu<br />

erwarten s<strong>in</strong>d.<br />

Bereits im Dezember 2009 haben die Akteure <strong>in</strong> der Schmidtstraße 12<br />

die Probenarbeit aufgenommen. 31 Stücke wurden seitdem hier<br />

produziert, neunzehnmal war das Fachpublikum zu offenen Proben<br />

Begegnung mit dem Verfremdeten:<br />

Besucher vor e<strong>in</strong>er Video-Le<strong>in</strong>wand beim<br />

Tag der offenen Tür im <strong>Frankfurt</strong> LAB.<br />

e<strong>in</strong>geladen, um E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> die besondere Arbeitsweise des <strong>Frankfurt</strong><br />

LAB zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

Daneben <strong>in</strong>itiierten die Kooperationspartner 13 Aufführungsabende<br />

mit Produktionen <strong>in</strong>ternational bedeutender Ensembles. „Rosas danst<br />

Rosas“ mit der Company der belgischen Choreograf<strong>in</strong> Anne Teresa<br />

De Keersmaker gehörte ebenso dazu wie das Kooperationsprojekt<br />

“NaturPassagen”, <strong>in</strong> dem die Bett<strong>in</strong>aschule, das Ensemble Modern<br />

und die Forsythe Company mit der ALTANA Kulturstiftung und der<br />

Polytechnischen Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> die Ergebnisse ihres<br />

e<strong>in</strong>jährigen Education-Projektes präsentierten.<br />

So wurden beide Hallen von Anfang an kont<strong>in</strong>uierlich genutzt, und<br />

auch für die Spielzeit 2010/11 gibt es bereits feste Aufführungster-<br />

m<strong>in</strong>e. Im Januar und Februar 2011 wird das LAB Hauptveranstaltungs-<br />

ort der „<strong>Frankfurt</strong>er Positionen 2011“ und damit Proben- und Auffüh-<br />

rungsort für e<strong>in</strong>e Reihe von spartenübergreifenden Werkaufträgen aus<br />

den Bereichen zeitgenössische Musik, Theater, Hörspiel, Bildende<br />

Kunst und Tanz se<strong>in</strong>.<br />

Perspektiven und reichlich Ideen<br />

Das Projekt <strong>Frankfurt</strong> LAB wird zunächst für vier Jahre gefördert.<br />

Die Förderung durch den Kulturfonds, die Stiftung Polytechnische<br />

Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> und die Stiftung der BHF-BANK<br />

sichert neben der technischen Grundausstattung die Miete für die<br />

Räume. Die Projekte, die hier entstehen sollen, müssen die LAB-<br />

Akteure selbst f<strong>in</strong>anzieren. An <strong>in</strong>teressanten Ideen mangelt es dabei<br />

nicht.<br />

Wie sich Chancen und Risiken des Experiments entwickelt und<br />

gegebenenfalls verändert haben, soll während des Förderzeitraums un-<br />

tersucht werden: Auch die Analyse gehört zur Konzeption des Projekts.<br />

Der Wunsch aller Beteiligten ist, dass das Laboratorium so lange <strong>in</strong> der<br />

Schmidtstraße 12 bleibt, bis die geplanten neuen Räumlichkeiten auf<br />

dem Kulturcampus Bockenheim fertiggestellt s<strong>in</strong>d. Dort soll das<br />

Projekt dann dauerhaft beheimatet se<strong>in</strong>.<br />

Tanzproben im <strong>Frankfurt</strong> LAB:<br />

„And So What!“ – e<strong>in</strong> Jugendprojekt<br />

von Tanzlabor_21 und der hr-Bigband.<br />

Foto: Mart<strong>in</strong> Rottenkolber


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

„Fehlerkultur und Instrumentallernen“ lautet e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres<br />

Sem<strong>in</strong>ar, das die wissenschaftliche Musikpädagog<strong>in</strong><br />

Prof. Dr. Maria Spychiger im aktuellen W<strong>in</strong>tersemester 2010/2011<br />

geme<strong>in</strong>sam mit Prof. Sibylle Cada, Dozent<strong>in</strong> für Klavier,<br />

Methodik und Didaktik, für Studierende der Fachbereiche 1 und<br />

2 anbietet. Lehramtsstudierende und angehende Instrumentalpädagogen<br />

lernen und forschen dabei geme<strong>in</strong>sam zum Thema<br />

Fehlerkultur. Dabei handelt es sich um e<strong>in</strong> <strong>in</strong>novatives erziehungswissenschaftliches<br />

Thema, welches für das Musiklernen aktuell<br />

<strong>in</strong> der Entwicklung ist: das Lernen am Instrument und der Umgang<br />

mit Fehlern mit dem Ziel des Aufbaus e<strong>in</strong>er Fehlerkultur. Die<br />

Studierenden erhalten E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die lernpsychologischen Erkenntnisse<br />

zum Thema Fehlerkultur (durch Prof. Spychiger), und<br />

sie erhalten Anleitung zur entsprechenden fachlichen Praxis am<br />

Instrument (durch Prof. Cada) – <strong>in</strong> diesem Fall am Klavier.<br />

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Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

Aus Fehlern lernen<br />

– <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Sem<strong>in</strong>ar im W<strong>in</strong>tersemester<br />

E<strong>in</strong> Unternehmen der AXA Gruppe<br />

Die meisten E<strong>in</strong>heiten der Veranstaltung erfolgen im Teamteach<strong>in</strong>g<br />

der beiden Sem<strong>in</strong>arleiter<strong>in</strong>nen mit wechselnden Schwerpunkten<br />

(Theorie und/oder Praxis), immer aber mit Blick auf deren<br />

Verb<strong>in</strong>dung. Die Studierenden arbeiten an ihren eigenen Stücken,<br />

nach Möglichkeit meistens <strong>in</strong> Anwesenheit und unter aktiver<br />

Mitarbeit der Gruppe. Es kommt dabei nicht darauf an, wie weit<br />

man im Klavierspiel fortgeschritten ist, und es können auch<br />

Studierende am Sem<strong>in</strong>ar teilnehmen, die nicht spielen.<br />

Das Sem<strong>in</strong>ar f<strong>in</strong>det alle 14 Tage montags von 9.30–13 Uhr<br />

im Raum A 206 statt.<br />

Veranstaltungsbeg<strong>in</strong>n ist der 11. Oktober 2010.<br />

21


22 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Wenn der Schlachthof zur Kulisse wird<br />

– visualisierte Musik als „Transduktion“<br />

Komponisten und Mediengestalter erlebten e<strong>in</strong> spannendes Mite<strong>in</strong>ander mit zwei Aufführungen<br />

<strong>in</strong> der Wiesbadener Wartburg – Tjark Ihmels und Gerhard Müller-Hornbach erzählen<br />

Wer den Mut hat, e<strong>in</strong>en kreativen Weg e<strong>in</strong>zuschlagen, dessen<br />

Ende nicht absehbar ist, wird meistens belohnt. So jedenfalls<br />

erlebten es im vergangenen Semester junge Künstler gänzlich<br />

verschiedener Diszipl<strong>in</strong>en: Studierende der Kompositionsklasse<br />

von Prof. Gerhard Müller-Hornbach trafen auf Studierende des<br />

Instituts für Mediengestaltung an der Fachhochschule Ma<strong>in</strong>z,<br />

um geme<strong>in</strong>sam Bild und Klang, Video und Komposition zu e<strong>in</strong>er<br />

dramaturgisch schlüssigen Aufführung zu verschmelzen. Die<br />

Zusammenarbeit gipfelte <strong>in</strong> zwei Aufführungen <strong>in</strong> der Wartburg<br />

<strong>in</strong> Wiesbaden. Gerhard Müller-Hornbach und se<strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>zer Kollege<br />

Tjark Ihmels, Professor für Interaktive Gestaltung, beschreiben<br />

die spannende Begegnung der drei Ma<strong>in</strong>zer und sechs <strong>Frankfurt</strong>er<br />

Studierenden im Rahmen des <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Semesterprojektes<br />

„visualisierte Musik“.<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> Was war die Grundidee Ihres geme<strong>in</strong>samen<br />

Projektes?<br />

Prof. Gerhard Müller-Hornbach Auf die Idee e<strong>in</strong>er Zusammenarbeit<br />

brachte uns 2008 erstmals Ernst-August Klötzke, der neben se<strong>in</strong>em<br />

Lehrauftrag an der <strong>HfMDK</strong> auch an der Fachhochschule <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z<br />

lehrt und die Musiktheater-Werkstatt am Staatstheater Wiesbaden<br />

leitet. Unser Vorhaben bestand dar<strong>in</strong>, Studierende verschiedener<br />

Fachrichtungen für e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Ganzes zu begeistern.<br />

Unter dem Leitmotiv „Transduktion“ s<strong>in</strong>d Kompositionen und Videosequenzen<br />

entstanden, die von enger gegenseitiger Absprache<br />

<strong>in</strong>spiriert waren und <strong>in</strong> den Aufführungen zeitgleich abliefen.<br />

FiT Das kl<strong>in</strong>gt nach e<strong>in</strong>em Projekt für Filmmusik.<br />

Prof. Tjark Ihmels: So ähnlich mag das anfänglich für die Studierenden<br />

geklungen haben – nämlich e<strong>in</strong> Musikvideo zu drehen. Doch<br />

die Ma<strong>in</strong>zer Studierenden haben schnell gemerkt, dass die<br />

Zusammenarbeit gänzlich anderes Arbeiten erforderte, als sie es<br />

vom Studium gewohnt s<strong>in</strong>d. Vor allem die Tatsache, dass am<br />

Ende des Projektes zwei Aufführungen stehen würden, hat me<strong>in</strong>e<br />

Studierenden enorm unter Druck gesetzt, weil sie dies aus ihren<br />

Projektarbeiten so nicht kennen.<br />

FiT Wor<strong>in</strong> lagen die Herausforderungen, beide Diszipl<strong>in</strong>en zusammenzubr<strong>in</strong>gen?<br />

Müller-Hornbach Die Komponisten mussten beispielsweise e<strong>in</strong>en<br />

Weg f<strong>in</strong>den, den Ma<strong>in</strong>zer Studierenden ihr musikalisches Konzept<br />

so zu vermitteln, dass es auch für Notenunkundige verständlich<br />

wurde. Da half es eben nicht, ihnen schlicht die Partitur vor die<br />

Nase zu halten. Sie mussten ihre Ideen plastisch verdeutlichen.<br />

Ihmels Me<strong>in</strong>e Studierenden lernten dabei Notationsprogramme<br />

kennen, die ihnen halfen zu erahnen, was sie musikalisch erwartet.<br />

Müller-Hornbach Bei den Kompositionsstudierenden konnte ich<br />

beobachten, dass es für sie e<strong>in</strong>e Herausforderung war, dass der<br />

Entstehungsprozess <strong>in</strong> der Komb<strong>in</strong>ation von Musik und Bild für<br />

sie nicht m<strong>in</strong>utiös planbar war. Das Unplanbare bekam damit e<strong>in</strong>e<br />

pädagogische Qualität, die dem Ergebnis zugute kam. Das hat<br />

ihnen Mut gemacht, sich auch zukünftig <strong>in</strong> solche Abenteuer zu<br />

stürzen.<br />

FiT Und wie g<strong>in</strong>gen die Medienkünstler mit dieser Ungewissheit<br />

um?<br />

Ihmels: Das Unplanbare schaffte uns erstmal e<strong>in</strong>e Beruhigung. Dass<br />

es diesmal aber nicht darum g<strong>in</strong>g, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Film e<strong>in</strong>e festgefügte<br />

Geschichte zu erzählen, wirkte auf die Studierenden wie e<strong>in</strong>e<br />

Erschütterung, mit der sie umgehen mussten. Allerd<strong>in</strong>gs blieben<br />

die Inhalte nicht im luftleeren Raum: Es zeichnete sich ab, dass es<br />

<strong>in</strong> der Musik wie <strong>in</strong> den Bildern um Begriffe wie Ohnmacht,<br />

Allmacht und Tod gehen sollte.<br />

FiT Welche Filmsequenzen s<strong>in</strong>d dabei entstanden?<br />

Ihmels Die wohl e<strong>in</strong>drücklichste ist die Szene von e<strong>in</strong>em Schlachthof,<br />

wo e<strong>in</strong> Pferd vor laufender Kamera getötet und dann vom Hof<br />

gezogen wird.<br />

FiT Diese Szene dürfte bei Komponisten für Verunsicherung gesorgt<br />

haben, oder?<br />

Müller-Hornbach Allerd<strong>in</strong>gs. Die Musik, die dazu lief, stammte von<br />

Dong Hee-Hii Kim. Sie stand der Vorstellung, dass ihre Komposition<br />

zu diesen krassen Bildern ablaufen sollte, anfangs recht zwiespältig<br />

gegenüber. In der Aufführung zeigte sich aber, dass beides<br />

übere<strong>in</strong>andergelegt e<strong>in</strong>e bee<strong>in</strong>druckende Wirkung ergab. Übrigens<br />

auch e<strong>in</strong>e schwierige Situation für die ausführenden Musiker: In<br />

den Proben konnten sie teilweise gar nicht mehr konzentriert<br />

spielen, weil sie gleichzeitig die Bilder verarbeiten mussten. Nach<br />

dem ersten Probedurchlauf entstand e<strong>in</strong>e lebhafte Diskussion<br />

darüber. Letztlich jedoch fühlten sich alle bereichert durch diese<br />

Erfahrung. Neu war für die Musiker auch, dass sie, oft mitten <strong>in</strong> der<br />

Projektionsfläche musizierend, selbst e<strong>in</strong> Teil der visuellen Inszenierung<br />

waren.<br />

FiT Welche Überraschungen gab es <strong>in</strong> den Aufführungen?<br />

Ihmels Die Tatsache, dass drei Studierende für acht im E<strong>in</strong>satz<br />

bef<strong>in</strong>dliche Projektoren an verschiedenen Stellen des Raumes<br />

verantwortlich waren, lässt die Herausforderung erahnen.<br />

E<strong>in</strong>e geradezu unerträgliche Spannung legte sich während der<br />

ersten von zwei Aufführungen gleichermaßen auf Publikum<br />

und Aufführende, als Dong Hee-Hii Kims Musik früher zu Ende


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2 23<br />

g<strong>in</strong>g als die Filmsequenz vom Schlachthof und das getötete Pferd<br />

<strong>in</strong> beklemmender Stille herausgezogen wurde. Viele haben mir<br />

erzählt, dass sie <strong>in</strong> diesem Moment wirklich <strong>in</strong>nerlich zu kämpfen<br />

hatten. Da wirkte der anschließende Applaus geradezu wie e<strong>in</strong>e<br />

Befreiung.<br />

FiT Was s<strong>in</strong>d die wichtigsten Erfahrungen, die Sie und die Studie-<br />

renden aus dem Projekt gewonnen haben?<br />

Ihmels Uns ist klar geworden, dass gegenseitiges Vertrauen e<strong>in</strong><br />

Zentralbegriff für derlei experimentelle Projekte ist. Es macht Mut<br />

und motiviert für die eigene Arbeit, wenn man sieht, dass Künstler<br />

anderer Diszipl<strong>in</strong>en ähnlich experimentierfreudig s<strong>in</strong>d.<br />

Müller-Hornbach Wertvoll fand ich zunächst, dass sich die Kompo-<br />

nisten mit der S<strong>in</strong>neswahrnehmung des Sehens ause<strong>in</strong>andersetzen<br />

mussten, und zwar auf der Ebene von „professionellen Sehern“,<br />

wenn man das so sagen kann. Das war per se e<strong>in</strong> großer<br />

Perspektivgew<strong>in</strong>n. Ansonsten hat das Projekt – jetzt schon erkenn-<br />

bar – <strong>in</strong> den nächsten Projekten der Komponisten, die teilgenom-<br />

men haben, Spuren h<strong>in</strong>terlassen. Die hier erlebten und durchlit-<br />

tenen Verunsicherungen s<strong>in</strong>d produktiv geworden und haben ihnen<br />

Mut gemacht. Selbst Dong Hee-Hii Kim, die Komponist<strong>in</strong> zur<br />

Sequenz der Pferdeschlachtung, hat sich e<strong>in</strong> erneutes Videoprojekt<br />

vorgenommen. bjh<br />

Statement<br />

Hubert Buchberger,<br />

Professor für Streicher-Kammermusik,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten ist für uns Kammermusiker e<strong>in</strong>e pure<br />

Selbstverständlichkeit: Das harmonische Hören ist unverzichtbare<br />

Basis für e<strong>in</strong>e gute Ensemble<strong>in</strong>tonation, das analytische<br />

Verständnis für die kompositorischen Strukturen und die<br />

Kenntnis der relevanten Quellen s<strong>in</strong>d Voraussetzungen s<strong>in</strong>nvoller<br />

Interpretation, das Bewusstse<strong>in</strong> für den historischen Ort<br />

e<strong>in</strong>es musikalischen Kunstwerkes ist maßgeblich für die<br />

stilistische Orientierung und für die Frage, welche Aspekte des<br />

Komponierten besonders akzentuiert werden sollen. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus ist Kammermusik Kommunikation, und die im kammermusikalischen<br />

Alltag auftretenden Parameter des künstlerischen<br />

Mite<strong>in</strong>anders s<strong>in</strong>d oft genug Paradebeispiele für gruppendynamische<br />

Prozesse. Dies alles ist im kammermusikalischen<br />

Arbeitsprozess auf e<strong>in</strong>e komplexe Weise mite<strong>in</strong>ander verknüpft<br />

und führt dazu, dass wir Kammermusiker uns neben unserer<br />

unmittelbaren Tätigkeit als Musiker oft auch als Musiktheoretiker,<br />

Wissenschaftler oder Psychologen erleben.


24 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Mit dem Mut zum Tabu-Bruch<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität und Instrumentalpädagogik<br />

Von Gerhard Mantel, Prof. em. für Violoncello an der <strong>HfMDK</strong><br />

Lernen ist Verknüpfen, Vergleichen und E<strong>in</strong>prägen. Da zum Verglei-<br />

chen immer m<strong>in</strong>destens zwei Gegenstände (zwei E<strong>in</strong>drücke,<br />

Aspekte, Methoden etc.) erforderlich s<strong>in</strong>d, stellt sich nicht die<br />

Frage, ob Interdiszipl<strong>in</strong>arität als „Pflicht oder Kür“ anzusehen sei,<br />

so als ob es im Ermessen des Lernenden oder Lehrenden stünde,<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität zu akzeptieren oder zu ignorieren. E<strong>in</strong>e gewisse<br />

„Interdiszipl<strong>in</strong>arität“, wenn man den Begriff etwas weiter fasst, ist<br />

vielmehr e<strong>in</strong> Aspekt jedes erfolgreichen Lernprozesses.<br />

Andererseits bedarf es e<strong>in</strong>es geistigen, ja sogar emotionalen<br />

Aufwands, um künstlerisch wirksame Methoden von anderen<br />

Instrumenten, anderen pädagogischen Feldern <strong>in</strong> analoge Bezie-<br />

hung zu setzen zur eigenen Arbeit. Wie kl<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> bestimmter<br />

Flöten-Ansatz auf e<strong>in</strong>em Cello? Wie kann e<strong>in</strong> Pianist e<strong>in</strong> Crescendo<br />

des Streichers simulieren? Wie macht e<strong>in</strong> Cembalist e<strong>in</strong>en Akzent?<br />

Wie imitiere ich als Streicher die klare Anschlags-Artikulation e<strong>in</strong>es<br />

Tasten<strong>in</strong>struments? Kann ich e<strong>in</strong>e Übemethode von e<strong>in</strong>em anderen<br />

Instrument übernehmen? Warum berührt mich der Vortrag e<strong>in</strong>es<br />

Sängers, das Spiel des „fremden“ Instrumentalisten?<br />

Solche Fragen müssen allerd<strong>in</strong>gs zuerst e<strong>in</strong>mal gestellt werden.<br />

Von dem bedeutenden britischen Mathematiker Georg Cantor<br />

stammt der Satz: „In mathematics the art of propos<strong>in</strong>g a question<br />

must be held of higher value than solv<strong>in</strong>g it“. Diesen Satz können<br />

wir ohne weiteres für unsere Kunst übernehmen. Fragen und die<br />

vielleicht zunächst nur vorläufigen Antworten br<strong>in</strong>gen übergeord-<br />

nete E<strong>in</strong>sichten, erweitern unser methodisches Arsenal und<br />

fördern darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Haltung, die man „Forschendes Üben“<br />

nennen kann.<br />

Nun tauchen allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Praxis allerlei Widerstände gegen<br />

e<strong>in</strong> solches Ideal <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Fragestellung auf: Da wir<br />

Musiker meistens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System von Fehlervermeidung soziali-<br />

siert wurden, verfallen wir oft e<strong>in</strong>er gefährlichen „Richtig falsch“-<br />

Dichotomie. Dies führt leicht dazu, dass mancher sich auf e<strong>in</strong>er<br />

verme<strong>in</strong>tlich sicheren Position häuslich e<strong>in</strong>richtet und tunlichst<br />

alles abwehrt, was diese Sicherheit stören könnte. Ungewohnte<br />

Gedanken, unorthodoxe E<strong>in</strong>stellungen, Tabu-Brüche, fremd<br />

ersche<strong>in</strong>ende Methoden, ja sogar ganz neue Lernziele können alle<strong>in</strong><br />

schon durch ihre „Neuheit“ als Bedrohung empfunden werden.<br />

Dem ist entgegen zu halten: Die Entwicklung e<strong>in</strong>es Musikers<br />

braucht die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit neuen Ideen, um Authentizität<br />

zu erwerben. Merke: Nicht alles, was anders ist, ist falsch! Das<br />

Neuartige, das anfangs Fremde fügt neue Blickw<strong>in</strong>kel h<strong>in</strong>zu, liefert<br />

neue Werkzeuge für unsere künstlerische Werkstatt.<br />

Wir betrachten uns als Künstler. Eigenartigerweise liegt im<br />

landläufigen Begriff der „Kunst“ selbst e<strong>in</strong> Keim des Widerstands<br />

gegen Interdiszipl<strong>in</strong>arität: Kunst soll ja idealerweise immer<br />

e<strong>in</strong>zigartig, <strong>in</strong>dividuell schöpferisch se<strong>in</strong>. Doch müssen wir uns<br />

fragen: Gibt es nicht auch übergeordnete, allgeme<strong>in</strong> gültige,<br />

überpersönliche ästhetische Regeln, aus denen verb<strong>in</strong>dliche<br />

Kriterien entstehen?<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität unterstützt das Auff<strong>in</strong>den solcher allgeme<strong>in</strong><br />

verb<strong>in</strong>dlicher Regeln. Sie ermöglichen es uns, Informationen als<br />

Transfermöglichkeit zu verwenden und nicht nur als „kasuistische“<br />

E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>formationen zu speichern. So muss es doch e<strong>in</strong>en Grund<br />

haben, warum Version „a“ besser ist als Version „b“! Zu wissen,<br />

warum e<strong>in</strong> F<strong>in</strong>gersatz, e<strong>in</strong> Ausdruck, e<strong>in</strong> dynamischer Prozess<br />

besser ist, ist wichtiger, als nur zu me<strong>in</strong>en, dass er besser ist.<br />

Und selbst dort, wo solche Widerstände überw<strong>in</strong>dbar ersche<strong>in</strong>en,


taucht schon die nächste Hürde auf, die kreative Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

verh<strong>in</strong>dern kann: das organisatorische System der Hochschule<br />

selbst. Es ist ja unbestritten, dass e<strong>in</strong>e Hochschule organisierbar<br />

se<strong>in</strong> muss. Dozenten werden nach Stunden (M<strong>in</strong>uten) bezahlt.<br />

Semester, Stundenpläne, Prüfungen müssen e<strong>in</strong>gehalten werden.<br />

Wirkliche künstlerische Lernprozesse h<strong>in</strong>gegen verlaufen erratisch,<br />

ja chaotisch. Authentisches Lernen braucht auch Fehler, sogar<br />

Misserfolge – und deren konstruktive Verarbeitung.<br />

Aber auch <strong>in</strong>nerhalb der Hochschule selbst existiert noch e<strong>in</strong><br />

weiteres Feld, auf welchem Interdiszipl<strong>in</strong>arität noch mehr gedeihen<br />

sollte, nämlich die sogenannten „Nebenfächer“. Sie dürfen nicht als<br />

unabhängige parallele Leistungen def<strong>in</strong>iert und gewertet werden,<br />

sondern müssen die Gesamtentwicklung des jungen Musikers<br />

„<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är“ bereichern. In der Praxis heißt dies: Sie müssen<br />

stärker auf das Hauptfach bezogen se<strong>in</strong>!<br />

Wenn man <strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>aren die geme<strong>in</strong>same Freude von Lehrenden<br />

und Lernenden an der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />

fremden Instrumenten, unbekannter Literatur, anderen Ansätzen<br />

erlebt, dann kann man eigentlich nur hoffen, dass Interdiszipl<strong>in</strong>ari-<br />

tät sich immer mehr zu e<strong>in</strong>em selbstverständlichen Arbeitsmodus<br />

der Hochschule entwickelt. Die legendäre Geigenpädagog<strong>in</strong><br />

Dorothy Delay schickte ihre Schüler zu Cellisten, Sängern, Orga-<br />

nisten, und der berühmte amerikanische Tubist Floyd Cooley<br />

verdankt se<strong>in</strong>en Erfolg nach eigener Aussage unter anderem se<strong>in</strong>em<br />

Unterricht bei – Rostropowitsch!<br />

Es schält sich so die eigenartige Forderung heraus, <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre<br />

„Freiheit“ zu organisieren, was ja fast e<strong>in</strong> Widerspruch <strong>in</strong> sich ist.<br />

Und doch wäre es denk- und machbar, dass <strong>in</strong>nerhalb des Deputats<br />

e<strong>in</strong>es Dozenten e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Teil für übergeordnete Aktivitäten<br />

bereitgestellt wird, als da s<strong>in</strong>d (e<strong>in</strong>ige s<strong>in</strong>d bei uns erfreulicherweise<br />

im Ansatz schon Usus!):<br />

• Kollegengespräche über methodische Themen,<br />

fachbezogen und fachübergreifend<br />

• Geme<strong>in</strong>same Interpretationsvergleiche<br />

• Kollegengespräche über Entwicklung und spezielle<br />

Schwierigkeiten e<strong>in</strong>zelner Studenten, nicht nur bei Prüfungen<br />

• Hospitationen bei Dozenten des eigenen und e<strong>in</strong>es<br />

anderen Instruments<br />

• Im Gespräch mit Kollegen und Studenten kritisch<br />

aufgearbeitete Vorspiele<br />

• Gezielte, themengebundene Gastsem<strong>in</strong>are und Kongresse<br />

Die Hochschule steht damit vor e<strong>in</strong>er hochgradig <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />

Aufgabe!<br />

Statement<br />

Christoph Schmidt,<br />

Dekan Fachbereich 1, Professor für Kontrabass,<br />

25<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Für uns Instrumentalisten ist die Konfrontation mit e<strong>in</strong>er<br />

gewissen <strong>in</strong>ternen diszipl<strong>in</strong>ären Vielfalt unausweichlich. Die<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen <strong>in</strong> den Orchestern analysieren,<br />

arrangieren, komponieren, publizieren, dirigieren, produzieren,<br />

therapieren, veranstalten Konzertreihen und vieles andere<br />

mehr. Damit leisten sie neben der Orchestertätigkeit e<strong>in</strong>en<br />

wesentlichen Beitrag zu unserem Kulturleben.<br />

Aber viele Musiker sche<strong>in</strong>en durch die Komplexität der<br />

beruflichen Anforderungen, durch die notwendige Offenheit,<br />

Aufmerksamkeit und Diszipl<strong>in</strong> geradezu prädest<strong>in</strong>iert zu se<strong>in</strong>,<br />

auch <strong>in</strong> vielen anderen Bereichen außerhalb der Musik fundierte<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten zu erlangen.<br />

Ich habe unzählige Orchestermusiker kennengelernt, die auf<br />

professionellem Niveau forschen, schreiben, malen, sammeln,<br />

organisieren, konstruieren, restaurieren, programmieren,<br />

Flugzeuge fliegen, sich politisch und sozial engagieren,<br />

Nachwuchs fördern und oft auch bemerkenswerte sportliche<br />

Leistungen vollbr<strong>in</strong>gen.<br />

Diese außermusikalischen Erfahrungen und zahlreichen<br />

wechselseitigen Bezüge bieten immer wieder neue Ansätze für<br />

e<strong>in</strong>e menschliche und künstlerische Weiterentwicklung.


26 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Nur Interdiszipl<strong>in</strong>äres hat e<strong>in</strong>e Chance: „Tanz der Künste“<br />

Der Projektfonds fördert studentische Projekte mit fächerübergreifender Konzeption<br />

Von Julian Kle<strong>in</strong>, Lehrbeauftragter für Projektleitung und Performance<br />

Im Fonds „Tanz der Künste“ stehen jährlich bis zu 20.000 Euro zur<br />

Verfügung, um die sich Studierende mit Projekten bei e<strong>in</strong>er Jury<br />

bewerben können. Die e<strong>in</strong>zige Bed<strong>in</strong>gung lautet: Interdiszipl<strong>in</strong>arität.<br />

Was wird erwartet? Zunächst: Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist mehr als bloße<br />

Zusammenarbeit über Fächergrenzen h<strong>in</strong>weg. H<strong>in</strong>zukommen muss<br />

e<strong>in</strong> Methodentransfer oder e<strong>in</strong>e Methodenreflexion, m<strong>in</strong>destens<br />

aber e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Gegenstand des Interesses. Wenn aus der<br />

Erfahrung der Beschränktheit der eigenen diszipl<strong>in</strong>ären Perspektive<br />

konzeptionelle Kraft gewonnen werden kann, dann hat Interdiszipli-<br />

narität ihre Bestimmung erreicht. Letztlich muss jedes Projekt für<br />

sich def<strong>in</strong>ieren und begründen, wie es se<strong>in</strong>e Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

versteht.<br />

rechts:<br />

Szene aus dem vom Tanz der<br />

Künste geförderten Projekt<br />

„Claroscuro“, e<strong>in</strong>em<br />

Tanzprojekt von<br />

Paula Rosolen (im Bild).<br />

Foto: Jörg Baumann<br />

Bild Seite 27:<br />

Szene aus „Le corps à corps“<br />

mit Paula Rosolen<br />

und Michael Gambacurta.<br />

Die Projekte haben dies bisher auf verschiedene Arten erfüllt:<br />

„Gegenüber – e<strong>in</strong>e Spekulation“ zum Beispiel setzte sich musika-<br />

lisch und räumlich mit e<strong>in</strong>er literarischen Vorlage ause<strong>in</strong>ander.<br />

„Le Corps à Corps“ untersuchte Bewegungsformen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Stück von Georges Aperghis. „Ceci n‘est pas une salle de concert“<br />

befragte experimentell die Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>es Klavierkonzerts.<br />

„Ophelias Teich“ beschäftigte sich mit der Geschichte und<br />

Architektur des IG Farben-Gebäudes der Goethe-Universität.<br />

„SoundMoveSound“ entwickelte e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teraktive Elektronik für die<br />

Übersetzung von Körperbewegungen <strong>in</strong> Klang. „Claroscuro“<br />

verschrieb sich der Recherche nach Phänomenen des Alterns,<br />

und „Intravenös“ begab sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e umfassende Recherche nach<br />

Wahrnehmungsformen im Alltag, <strong>in</strong> den Künsten, diversen<br />

Wissenschaften und pathologischen Zuständen.<br />

Immer im W<strong>in</strong>tersemester kommen alle Interessierte im Sem<strong>in</strong>ar für<br />

Projektentwicklung zusammen. Dessen erster Teil ist der Phase „von<br />

der Idee zum Konzept“ gewidmet. Manche br<strong>in</strong>gen dazu bereits<br />

konkrete Pläne mit, andere wollen sich Projekten anschließen oder<br />

ihre Idee erst weiterentwickeln. Oft lernen sich Teams auch vorher<br />

<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Kursen und Sem<strong>in</strong>aren kennen, etwa <strong>in</strong> „Körper<br />

im Theater“ oder den Performance Workshops.<br />

Feedback von der Jury<br />

Im Sem<strong>in</strong>ar werden Projektideen gefunden, diskutiert, entwickelt<br />

und auch ausprobiert. Wichtige Entscheidungen, die im Verlauf des<br />

Projekts zu treffen s<strong>in</strong>d, werden auf ihre Abhängigkeiten h<strong>in</strong><br />

untersucht. Wo s<strong>in</strong>d Schwerpunkte, was s<strong>in</strong>d unabänderliche<br />

Randbed<strong>in</strong>gungen? Wie müssten die Ideen konsequenterweise<br />

umgesetzt werden? Wie wird aus den abhängigen Möglichkeiten<br />

e<strong>in</strong> rundes Konzept? Ist e<strong>in</strong>e Idee im Stadium der Konzeption<br />

angekommen, stellt sich die Frage, wie dieses Konzept verständlich<br />

kommuniziert und verschriftlicht werden kann. Am Ende stehen<br />

organisatorische Themen wie der Zeit- und F<strong>in</strong>anzplan sowie die


formalen Anforderungen e<strong>in</strong>es Förderantrags, der als Ergebnis des<br />

Workshops entsteht. Die „Tanz der Künste“-Jury begutachtet die<br />

Projekte, fordert vielleicht e<strong>in</strong>e Überarbeitung e<strong>in</strong>, bewilligt e<strong>in</strong>en<br />

Teil oder die ganze Summe oder rät zu e<strong>in</strong>er höheren Kalkulation,<br />

wenn sie der Me<strong>in</strong>ung ist, dass diese zu bescheiden ausgefallen sei.<br />

E<strong>in</strong>e Sprechstunde steht für künstlerische und <strong>in</strong>terne Fragen zur<br />

Verfügung, die nicht für die große Runde des Sem<strong>in</strong>ars bestimmt<br />

s<strong>in</strong>d. Die Projektanträge werden jeweils zum Ende des Jahres<br />

e<strong>in</strong>gereicht. Die im Januar bewilligten Projekte sollen dann bis zum<br />

Ende des nächsten W<strong>in</strong>tersemesters produziert werden.<br />

Kompaktförderung möglich<br />

Neben der Projektförderung ist auch e<strong>in</strong>e Kompaktförderung<br />

möglich, die für kle<strong>in</strong>ere Unterstützungen <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Projekte<br />

gedacht ist. Wenn Studierende für e<strong>in</strong> Vorhaben weniger als<br />

300 Euro beantragen möchten, ist dies jederzeit nach e<strong>in</strong>er<br />

Beratung <strong>in</strong> der „Tanz der Künste“-Sprechstunde möglich. Zu<br />

e<strong>in</strong>er schriftlichen Kurzbewerbung soll e<strong>in</strong>e Empfehlung e<strong>in</strong>es<br />

Dozenten beigelegt werden. Auf dieser Grundlage entscheidet dann<br />

e<strong>in</strong>e Kommission aus Dozenten kurzfristig über die Bewilligung.<br />

Außerdem wird jedes Jahr e<strong>in</strong> „Patchwork“-Projekt angeboten.<br />

Unter diesem Begriff verbirgt sich jeweils e<strong>in</strong>e Inszenierung,<br />

<strong>in</strong> deren Rahmen unabhängige Beiträge verschiedener Größe und<br />

Länge e<strong>in</strong>gebettet werden können: Hier können sowohl kle<strong>in</strong>ere<br />

Versuche als auch größere eigene Vorhaben aufgeführt werden.<br />

Im letzten Jahr war dies e<strong>in</strong>e Performance <strong>in</strong> der <strong>Frankfurt</strong>er<br />

U-Bahn mit dem Titel „sub date“. Für November 2010 ist e<strong>in</strong> Projekt<br />

zum Thema „bad news“ geplant.<br />

Austausch zwischen den Projekten<br />

Im zweiten Teil des Sem<strong>in</strong>ars, e<strong>in</strong>em monatlichen Treffen im<br />

Sommersemester, geht es um die Leitung der Projekte „vom<br />

Konzept zur Premiere“. Dieses Sem<strong>in</strong>ar ist auch für andere<br />

Interessierte offen. Das Programm wird jeweils an die Bedürfnisse<br />

der Teilnehmer angepasst. Die Projektteams sollen sich gegenseitig<br />

beraten und mit hilfreichen kritischen Fragen auf Probleme und<br />

Lösungen aufmerksam machen. Bei aller Unterschiedlichkeit<br />

können sich manche Herausforderungen durchaus gleichen, und<br />

es kann leichter se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Problemlösung für e<strong>in</strong> fremdes Projekt<br />

vorzuschlagen und dadurch auch für das eigene Vorhaben manches<br />

klarer zu sehen. Oft gewünscht werden Themen, die alle Projekte<br />

betreffen, zum Beispiel Teamarbeit, Produktionsplanung, Öffentlich-<br />

keitsarbeit, aber auch rechtliche Fragen, zusätzliche F<strong>in</strong>anzierung<br />

(Sponsor<strong>in</strong>g), Dokumentation oder Möglichkeiten, das Projekt auch<br />

anderen Veranstaltern anzubieten. Mit dem Sem<strong>in</strong>ar verbunden ist<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Beratung der Projekte, <strong>in</strong> der besondere Probleme<br />

und auch <strong>in</strong>haltlich-künstlerische Fragen weiter besprochen werden<br />

können. Jedes Projekt bekommt außerdem die Möglichkeit, sich<br />

e<strong>in</strong>en Mentor zu suchen, der gegen e<strong>in</strong>e Aufwandsentschädigung<br />

weiteren fachlichen Rat geben und das Projekt begleiten soll.<br />

Neben der Betreuung für die Projekte werden auch Kurzworkshops<br />

zu verschiedenen Themen angeboten, die ebenfalls allen Studieren-<br />

den offen stehen. Im W<strong>in</strong>tersemester 2010/2011 werden solche<br />

zu den Themen Pressearbeit (Gabriele Müller, Mousonturm,<br />

und Sylvia Dennerle, <strong>HfMDK</strong>), Fundrais<strong>in</strong>g (Kar<strong>in</strong> Heyl, Crespo<br />

Foundation, und Beate Eichenberg, <strong>HfMDK</strong>) sowie Dramaturgie<br />

(Philipp Schulte, ATW Giessen) angeboten.<br />

Eigene Kompetenz im Dialog<br />

Doch warum ist die Interdiszipl<strong>in</strong>arität <strong>in</strong> der künstlerischen<br />

Ausbildung überhaupt wichtig? Sollte die Hochschule nicht erst<br />

e<strong>in</strong>mal die „eigenen“ Fächer lehren, bevor die Studierenden sich<br />

mit anderen Diszipl<strong>in</strong>en beschäftigen? Dieser E<strong>in</strong>wand ist durchaus<br />

berechtigt. Doch es gibt zwei Überlegungen hierzu: Erstens: Die<br />

Kompetenzen und Möglichkeiten der eigenen Diszipl<strong>in</strong> lassen sich<br />

am e<strong>in</strong>drucksvollsten im Dialog mit anderen Fächern erleben, seien<br />

diese künstlerisch, wissenschaftlich oder außerhalb des Systems<br />

akademischer Diszipl<strong>in</strong>en, also „transdiszipl<strong>in</strong>är“. Zweitens:<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist nicht e<strong>in</strong>e Tätigkeit, die man tun oder lassen<br />

kann, sondern e<strong>in</strong>e Arbeitsweise, die ihrerseits gelernt, geübt und<br />

stetig weiterentwickelt werden muss. Daher ist die Interdiszipl<strong>in</strong>ari-<br />

tät e<strong>in</strong>e eigene Fachrichtung, die studiert und gelehrt werden muss.<br />

Die veränderten Anforderungen an e<strong>in</strong>e praxisnahe Ausbildung,<br />

die heute geforderte Vielseitigkeit von Berufskünstlern sowie die<br />

Tendenz, dass nicht mehr alle künstlerischen Karrieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Stadt- oder Staatstheater münden, schaffen neue Erfordernisse<br />

<strong>in</strong> der künstlerischen Ausbildung. Der traditionelle Fachkünstler<br />

verändert sich immer mehr zu e<strong>in</strong>em vielseitigeren, selbständigeren<br />

Performer. Angesichts dessen ist die Forderung berechtigt, dass<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Arbeitsweisen zu e<strong>in</strong>er umfassenden<br />

künstlerischen Ausbildung, die ihren Namen verdient, im Kern<br />

dazu gehören.<br />

Kontakt: hfmdk@juliankle<strong>in</strong>.de<br />

Projektkoord<strong>in</strong>ation: tanzderkuenste@gmail.com<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.hfmdk-frankfurt.<strong>in</strong>fo/projekte-forschung<br />

27


28 <strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong>10/1 <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Auf der Suche nach<br />

e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />

Arbeitssprache<br />

E<strong>in</strong> Erfahrungsbericht aus e<strong>in</strong>em aktuellen<br />

„Tanz der Künste“- Projekt<br />

Szene aus<br />

„Just Before After”<br />

Im Sommer 2010 lief die erste Preview zum Projekt „Just Before<br />

After“ (AT) - e<strong>in</strong>er Neukomposition zu Sarah Kanes Text „4.48<br />

Psychosis“, die im <strong>Frankfurt</strong> LAB mit dem ensemble Interface und<br />

e<strong>in</strong>er Puppenspieler<strong>in</strong> aufgeführt wurde. Das Projekt, das vom Fonds<br />

Tanz der Künste, der Gesellschaft der Freunde und Förderer sowie<br />

der HTA gefördert wurde, strebte dabei nicht nur e<strong>in</strong>e hochschul<strong>in</strong>terne,<br />

sondern auch e<strong>in</strong>e hochschulübergreifende Vernetzung<br />

verschiedener Studienbereiche an, nämlich Dramaturgie (HMT<br />

Leipzig), Puppenspiel (HfS Berl<strong>in</strong>), Bühnenbild (Akademie der Bildenden<br />

Künste Wien) und Film (HfG Offenbach).<br />

Von Jagoda Szmytka (Komposition) und Laura L<strong>in</strong>nenbaum (Regie)<br />

Wie umfassend kann der Begriff der Interdiszipl<strong>in</strong>arität gefasst<br />

werden? Ist er bloß das Zusammenwirken verschiedener Methoden<br />

oder Fachbereiche? Das Zusammenwirken von Komposition und<br />

Puppenspiel, von Regie, Tanz und Bühnenbild oder auch von Wort<br />

und Körper, von Mensch und Instrument, Stimme und Wort?<br />

Ambivalenz erwünscht<br />

Entgegen e<strong>in</strong>em psychologischen Interpretationsansatz des<br />

verwendeten Textes „4.48 Psychosis“ sollte bei unserem Projekt<br />

„Just Before After“ die re<strong>in</strong>e Materialität des Textes <strong>in</strong>s Zentrum<br />

gerückt werden. Mit dem <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Zusammenwirken der<br />

Künste Tanz, Komposition, Puppenspiel und Bühne wollten wir e<strong>in</strong>e<br />

Form f<strong>in</strong>den, die die prozesshafte Autonomie der Mittel gegen jede<br />

Vere<strong>in</strong>nahmung durch e<strong>in</strong>e subjektivistische Sicht des Textes<br />

behauptet. Dabei geht es eben nicht darum, Puppenspiel, Musik,<br />

Tanz etc. mite<strong>in</strong>ander zu verschmelzen, sondern darum, die<br />

Ambivalenz zwischen diesen Feldern aufrecht zu erhalten und sie<br />

<strong>in</strong> Interaktion zu br<strong>in</strong>gen, damit im Dazwischen etwas entstehen<br />

kann. – It‘s about cross<strong>in</strong>g, not melt<strong>in</strong>g the borders. – Unbestritten<br />

ist, dass es sich letztlich immer auch um e<strong>in</strong>e künstliche Trennung<br />

zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen handelt, denn<br />

Musik ist schwer ohne Körper und Puppenspiel schwer ohne Klang<br />

zu denken. Aber gerade die Verschiedenartigkeit der Herangehensweisen,<br />

beg<strong>in</strong>nend <strong>in</strong> der Art der Kommunikation bzw. der Notwendigkeit,<br />

während der Arbeit überhaupt zu kommunizieren, ist es,<br />

was das Aufe<strong>in</strong>andertreffen so reizvoll macht. Die mit e<strong>in</strong>em<br />

solchen Projekt verbundene Suche nach e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />

Arbeitssprache wird somit zum Versuch, e<strong>in</strong>en Raum zu f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong><br />

dem jeder weiterh<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e eigene Sprache sprechen kann. Mehr<br />

noch: Im Aufe<strong>in</strong>andertreffen verschiedener Methoden und Richtungen<br />

ersche<strong>in</strong>t es so notwendig wie noch nie, die eigene<br />

zunächst zu def<strong>in</strong>ieren und von den anderen abzugrenzen. Wie<br />

antwortet e<strong>in</strong> leeres Notenblatt, wenn ich es beschreibe? E<strong>in</strong> Stück<br />

Holz, wenn ich es bearbeite? E<strong>in</strong>e Performer<strong>in</strong>, wenn ich ihr etwas<br />

vorgebe? Diese Erkenntnis mag profan kl<strong>in</strong>gen, aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Prozess, <strong>in</strong> dem es darum g<strong>in</strong>g, die l<strong>in</strong>guistische, baustoffliche,<br />

klangliche, bildhafte Materialität e<strong>in</strong>es Textes für die Bühne<br />

weiterzudenken und nicht an e<strong>in</strong>e Figurenpsychologie oder<br />

Narration zu verlieren, war es gerade die Reibefläche, die sich<br />

zwischen dem verschiedenen handwerklichen Umgang mit e<strong>in</strong> und<br />

demselben Gegenstand ergab, welche uns oft am weitesten<br />

vorantrieb. Mit der Methode des anderen konfrontiert zu se<strong>in</strong>,<br />

zw<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en, sich nicht im eigenen Muster zu verlieren – e<strong>in</strong>fach<br />

loszulaufen –, sondern jeden Schritt bewusst zu setzen. Durch<br />

Kanes Text kann man eben nicht e<strong>in</strong>fach l<strong>in</strong>ear laufen. Man stolpert<br />

oder spr<strong>in</strong>gt von e<strong>in</strong>er Stelle zur anderen und bleibt zwischen all<br />

den Brüchen und Falten immer <strong>in</strong> Bewegung.<br />

Statement<br />

Till Krabbe,<br />

Professor für Szenische Darstellung und Sprecherziehung,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Weder Pflicht noch Kür! Für mich ist Neugier das viel treffendere<br />

Wort. Wo wir uns auf die Suche danach begeben,<br />

wie unterschiedliche Diszipl<strong>in</strong>en sich gegenseitig bereichern<br />

können, ist immer Neugier die Triebfeder. Durch Neugier<br />

entsteht Neues und Aufregendes – besonders <strong>in</strong> jeder Form<br />

der künstlerischen (Zusammen-)Arbeit. Theater <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

vielfältigen Ausdrucksformen ist lebendiges und mitunter auch<br />

„undiszipl<strong>in</strong>iertes“ Beispiel dafür.


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Der Körper ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />

<strong>HfMDK</strong> und Justus-Liebig-Universität Gießen bieten geme<strong>in</strong>sam den <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />

Studiengang „Choreographie und Performance“ an<br />

Von Prof. Dr. Gerald Siegmund, Leiter des Studiengangs<br />

„Choreographie und Performance“<br />

Im Dunkel des Probenraums im <strong>Frankfurt</strong> LAB bewegt sich e<strong>in</strong>e<br />

Tänzer<strong>in</strong> anmutig vor den Augen der Zuschauer, während h<strong>in</strong>ter ihr<br />

sieben auf den Kopf gestellte Plasmaschirme e<strong>in</strong> schwaches Licht<br />

abgeben, das ihre Silhouette hervorhebt. Wenig später werden,<br />

über e<strong>in</strong> Computerprogramm gesteuert, im wechselnden Rhythmus<br />

Aufnahmen von Menschen darauf zu sehen se<strong>in</strong>, die versuchen,<br />

e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Geschichte mit Gesten nachzuerzählen. Die Gesten s<strong>in</strong>d<br />

nach e<strong>in</strong>iger Zeit für die Zuschauer wirklich lesbar. Und doch s<strong>in</strong>d<br />

sie als körperliche Hervorbr<strong>in</strong>gung nicht auf ihre Bedeutung zu<br />

reduzieren. Nicht nur, dass jeder und jede der Gefilmten andere<br />

Gesten für die gleiche Geschichte f<strong>in</strong>det: Die <strong>in</strong>dividuellen Körper<br />

kommunizieren auch anderes – Haltungen und Spannungen,<br />

Formen und Beschaffenheiten, die ihre jeweilige Ausführung der<br />

Gesten unverwechselbar und besonders machen. Die Konfrontation<br />

von Körpern und ihren Bildern, von Sprache und Gesten, die<br />

L<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dheimer <strong>in</strong> ihrem Abschlussprojekt „Wie sie, wenn sie“ im<br />

Studiengang „Choreographie und Performance“ (CuP) <strong>in</strong> Gang<br />

Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

29<br />

setzt, ermöglicht e<strong>in</strong> Spiel mit verschiedenen Materialitäten,<br />

Zeitebenen und Räumen. Die Zuschauer müssen sich zwischen dem<br />

Gesehenen und Gehörten auf eigene Faust h<strong>in</strong>- und herbewegen,<br />

bis ihr Blick zu tanzen beg<strong>in</strong>nt.<br />

Der Master-Studiengang „Choreographie und Performance“ (CuP),<br />

der im Oktober 2008 die ersten Studierenden aufgenommen hat,<br />

ist <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Studiengang. Zum<br />

e<strong>in</strong>en bewegen sich die Projekte der Studierenden, wie das von<br />

L<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dheimer, zwischen Video<strong>in</strong>stallation, Tanz, Theater und<br />

Performance und damit zwischen den Künsten. Zweitens ist der<br />

Studiengang e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsstudiengang der Tanzabteilung der<br />

<strong>HfMDK</strong> <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> und dem Institut für Angewandte Theaterwissenschaft<br />

der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er siedelt sich<br />

damit zwischen den Institutionen an. Drittens schließlich verb<strong>in</strong>det<br />

er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Curriculum Theorie und Praxis. Er erwartet von den<br />

Studierenden gleichermaßen die Fähigkeit zu konzeptionellem und<br />

abstraktem Denken als auch die Lust und die Fertigkeit, eigene<br />

Ideen auf der Bühne auszuprobieren und szenisch umzusetzen.<br />

Szene aus „Wie sie, wenn sie“, der Abschlussarbeit für<br />

den Masterstudiengang Choreograpie und Performance von<br />

L<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dheimer im <strong>Frankfurt</strong> LAB.


30 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

CuP<br />

Der Studiengang Choreographie und Performance (CuP)<br />

wurde als Kooperationsstudiengang der Justus-Liebig-<br />

Universität Gießen (JLU) und der Hochschule für Musik und<br />

Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> (<strong>HfMDK</strong>) von<br />

Prof. He<strong>in</strong>er Goebbels und Prof. Dieter Heitkamp entwickelt.<br />

Angesiedelt ist er am Institut für Angewandte Theater-<br />

wissenschaft <strong>in</strong> Gießen. Bis Ende 2010 wird er noch von<br />

Tanzlabor_21, e<strong>in</strong>em Projekt der Kulturstiftung des Bundes,<br />

im Rahmen des Tanzplans Deutschland f<strong>in</strong>anziert. Für das<br />

kommende Jahr hat die JLU die F<strong>in</strong>anzierung übernommen.<br />

Ob der Studiengang über die bewilligten drei Jahre h<strong>in</strong>aus<br />

weitergeführt werden wird, steht zurzeit noch nicht fest.<br />

Fest steht aber, dass er schon jetzt e<strong>in</strong>e wichtige Rolle im<br />

Konzert der drei Tanzstudiengänge <strong>in</strong> der Region spielt.<br />

Wer sich um e<strong>in</strong>en Studienplatz bei CuP bewirbt, ist nicht <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie an der Perfektionierung von Tanztechniken oder<br />

an der Vermittlung tanzpädagogischer Konzepte <strong>in</strong>teressiert.<br />

CuP bietet vielmehr e<strong>in</strong> die Tanz- und Aufführungspraxis<br />

reflektierendes Studium, das die Frage nach der Aktualität<br />

von Tanz und se<strong>in</strong>er Umsetzung auf der Bühne immer wieder<br />

neu und anders stellen muss. Dass der Studiengang zwischen<br />

den Hochschulen angesiedelt ist, bietet für die Studierenden<br />

die Chance, die Lehrangebote beider Institutionen zu nutzen<br />

und sich auf ihre Studienleistungen anrechnen zu lassen. Dies<br />

erlaubt verschiedene und differenzierte Ausrichtungen und<br />

Schwerpunktsetzungen <strong>in</strong>nerhalb des Lehrplans, die den<br />

eigenen Interessen der Studierenden gerecht werden können.<br />

Zwischen den Künsten<br />

Seit se<strong>in</strong>er Entwicklung an den oberitalienischen Fürstenhöfen war<br />

der Tanz als Kunstform e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Phänomen. So g<strong>in</strong>gen<br />

<strong>in</strong>s Hofballett der französischen und englischen Könige im 16. und<br />

17. Jahrhundert ebenso Dialoge e<strong>in</strong> wie aufwendig gestaltete<br />

Bühnenmasch<strong>in</strong>en, musikalische Darbietungen und getanzte<br />

Figuren, die allesamt Teile e<strong>in</strong>er Handlung waren. Erst die Purifikati-<br />

onen der Modernen seit der Wende zum 20. Jahrhundert haben<br />

den Tanz auf se<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tlich eigentlichen, der Kunstform<br />

spezifischen Mittel zu reduzieren versucht. Dabei spielte es ke<strong>in</strong>e<br />

Rolle, ob es sich um den freien Tanz e<strong>in</strong>er Isadora Duncan, den<br />

absoluten Tanz e<strong>in</strong>er Mary Wigman, George Balanch<strong>in</strong>es Revolution<br />

des klassischen Balletts oder Merce Cunn<strong>in</strong>ghams von Zufallspr<strong>in</strong>-<br />

zipien geleitete Arbeiten handelte. Tanz durfte nicht mehr se<strong>in</strong> als<br />

die Bewegung von Körpern <strong>in</strong> Raum und Zeit. Dagegen steht e<strong>in</strong>e<br />

andere Traditionsl<strong>in</strong>ie der Moderne, die neben der Revuetänzer<strong>in</strong><br />

Loie Fuller und ihren Experimenten mit elektrischem Licht auch<br />

Oskar Schlemmers raumplastische Figuren und die Gesamtkunst-<br />

werke des Ballets Russes be<strong>in</strong>haltet. Doch sowohl Waslaw Nij<strong>in</strong>sky<br />

als auch Isadora Duncan haben sich für ihre revolutionären Bewe-<br />

gungssprachen bei der bildenden Kunst bedient. Griechische<br />

Vasenbilder und ägyptische Reliefs standen Pate für ihre die Kon-<br />

ventionen sprengenden Bewegungskonzepte. Nimmt man diese<br />

E<strong>in</strong>sicht ernst, so folgt daraus, dass der Körper e<strong>in</strong> kulturelles<br />

Konstrukt ist, dessen physiologische Möglichkeiten immer im Dialog<br />

mit der kulturellen Sphäre erfahrbar werden und Bedeutung erlan-<br />

gen. E<strong>in</strong> solches Körperverständnis, das auf Essenzialismen verzich-<br />

tet, macht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten geradezu notwendig.<br />

Ist der Körper selbst das Resultat gesellschaftlicher Diskurse und<br />

Praktiken, so existiert er nie ohne Bilder, Texte und technische<br />

Apparate, die ihn durch Repräsentationsmuster unterschiedlicher<br />

Art hervorbr<strong>in</strong>gen und darstellen.<br />

Für die Arbeit am Master-Studiengang „Choreographie und Perfor-<br />

mance“ bedeutet das, jene medial erzeugten Repräsentationen des<br />

Körpers zu untersuchen. Der Körper selbst ist <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är. Tanz als<br />

Bühnenform ist daher nicht von Entwicklungen <strong>in</strong> der bildenden<br />

Kunst, dem Theater oder der Musik isoliert zu betrachten. Bild, Text,<br />

Klang, Raum und Licht s<strong>in</strong>d ebenso Mittel, die den Studierenden zur<br />

Verfügung stehen, um über den Körper nachzudenken, wie die<br />

Bewegung selbst. Auch wenn, wie <strong>in</strong> L<strong>in</strong>dheimers Projekt, über weite<br />

Strecken nicht getanzt wird, bleibt der Körper und dessen Potenzial<br />

zur Bewegung doch das Zentrum ihres Interesses. Vor diesem<br />

H<strong>in</strong>tergrund entstehen Stücke, die nicht mehr, wie <strong>in</strong> der Moderne,<br />

aufs Absolute zielen, sondern sich als körperliche Interventionen <strong>in</strong><br />

aktuelle gesellschaftliche Diskurse und tanzrelevante Fragestellungen<br />

verstehen. In diesem S<strong>in</strong>ne ist Choreographie auch immer als soziale<br />

Choreographie zu verstehen, die die körperlichen Verhaltensmuster<br />

der Menschen <strong>in</strong> gesellschaftlichen Kontexten zu ihrem Gegenstand<br />

macht.<br />

Zwischen Theorie und Praxis<br />

Vielleicht die größte <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Herausforderung für den<br />

Studiengang ist die Brücke, die er zwischen Theorie und Praxis<br />

schlägt. Auch die Theorie ist e<strong>in</strong>e Praxis, e<strong>in</strong>e Praxis des Denkens, die<br />

regelmäßig ausgeführt und geübt werden muss. Das unterscheidet<br />

sie also nicht von der praktischen Arbeit im Studio oder auf der<br />

Probebühne, die ebenfalls des Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs bedarf. Vom Denker und<br />

Forscher zum Macher und Choreographen zu werden, bedeutet,<br />

traditionelle Grenzen der Diszipl<strong>in</strong>en und der Tätigkeitsfelder h<strong>in</strong>ter<br />

sich zu lassen. Beides zusammen zu lernen, ermöglicht es den<br />

Studierenden, die Selbstverständlichkeiten des e<strong>in</strong>en Feldes durch<br />

das andere Feld <strong>in</strong> Frage zu stellen. Aufführungskonventionen können<br />

ebenso wie habitualisierte Wahrnehmungsweisen als solche erkannt<br />

und <strong>in</strong> Frage gestellt werden. Im Vorfeld nicht zu wissen, wie das<br />

Stück, an dem man gerade arbeitet, aussehen wird, sondern immer<br />

wieder andere Formen zu f<strong>in</strong>den, die sich aus den eigenen Fragen an<br />

den Tanz ergeben, machen aus der künstlerischen Praxis e<strong>in</strong>e Art<br />

Forschung an den Möglichkeiten von Tanz und Theater. Praxis ist <strong>in</strong><br />

diesem S<strong>in</strong>ne theoretisierbar, während sich umgekehrt die Theorie<br />

aufgrund praktischer Ause<strong>in</strong>andersetzungen verändern wird. E<strong>in</strong>e<br />

solche Grenzüberschreitung bietet die Chance, genauer zu wissen,


was man warum tut. Künstlerische Entscheidungen werden so<br />

nicht nur begründbar und kommunizierbar, sondern sie können<br />

aufgrund von differenziertem historischem wie theoretischem<br />

Wissen auch anders getroffen werden.<br />

Blick auf Nachbardiszipl<strong>in</strong>en<br />

Etwa die Hälfte der Studienleistungen besteht aus wissen-<br />

schaftlichen Sem<strong>in</strong>aren zur historischen und zeitgenössischen<br />

Ästhetik, zu kulturwissenschaftlichen und philosophischen<br />

Körperkonzepten sowie zu theater- und tanzwissenschaftlichen<br />

Analysemethoden. Auch hierbei weitet sich der Blick auf die<br />

Nachbardiszipl<strong>in</strong>en. So haben wir uns im Rahmen e<strong>in</strong>es<br />

Sem<strong>in</strong>ars zum M<strong>in</strong>imalismus <strong>in</strong> der Kunst mit den Entwürfen<br />

bildender Künstler der 1960er Jahre ause<strong>in</strong>andergesetzt und<br />

dar<strong>in</strong> Fragen entdeckt, die nicht nur damals e<strong>in</strong>e Reihe von<br />

Tänzern und Tänzer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>spiriert haben, sondern auch im<br />

zeitgenössischen Tanz wieder neu gestellt werden. Die andere<br />

Hälfte ihrer Leistungen müssen die Studierenden mit prak-<br />

tischer Arbeit erbr<strong>in</strong>gen. Diese besteht sowohl aus regelmä-<br />

ßigem Körpertra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, das entweder von der Tanzabteilung der<br />

<strong>HfMDK</strong> oder dem vom Tanzlabor_21 organisierten Profitra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

angeboten wird, als auch aus Workshops mit Gastprofessoren<br />

und Gastprofessor<strong>in</strong>nen, die mit den Studierenden an ihren<br />

Ansätzen arbeiten.<br />

Eigene Projekte der Studierenden<br />

E<strong>in</strong>e dritte Säule s<strong>in</strong>d die eigenen Projekte der Studierenden.<br />

Bereits zum zweiten Mal konnte der Studiengang auf der<br />

Studiobühne des Mousonturms die „CuP-Pieces“ zeigen,<br />

jeweils vier Projekte von Studierenden im ersten Jahr, die ganz<br />

unterschiedliche Ansätze verfolgten. Auch die drei Abschluss-<br />

arbeiten des ersten Jahrgangs, die diesen Sommer im <strong>Frankfurt</strong><br />

LAB erarbeitet und gezeigt wurden, könnten unterschiedlicher<br />

nicht se<strong>in</strong>. Während L<strong>in</strong>a L<strong>in</strong>dheimer das Verhältnis von<br />

Sprache und Geste untersucht, begibt sich Paula Rosolen <strong>in</strong><br />

„Die Farce der Suche“ auf die Spuren der aus Deutschland nach<br />

Argent<strong>in</strong>ien emigrierten Tänzer<strong>in</strong> und Choreograph<strong>in</strong> Renate<br />

Schottelius. Aus historischen Dokumenten, Bildern und<br />

Interviews mit ihren Zeitgenossen versucht Rosolen die<br />

Übertragungsl<strong>in</strong>ien von Schottelius’ Schaffen nachzuzeichnen.<br />

Sebastian Schulz h<strong>in</strong>terfragt <strong>in</strong> „dance at a distance“ die<br />

Gleichsetzung von Tanz und Weiblichkeit <strong>in</strong> unserer Kultur,<br />

<strong>in</strong>dem er weiblich konnotierte Bewegungs- und Ausdrucksmu-<br />

ster <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe von Wiederholungen je verschieden rahmt,<br />

um damit unseren Blick auf das, was weiblich genannt wird, zu<br />

verändern.<br />

Allen geme<strong>in</strong>sam ist jedoch e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Denken, das<br />

die Aufmerksamkeit von der re<strong>in</strong>en Bewegung ab- und auf<br />

gesellschaftliche Fragen h<strong>in</strong>lenkt.<br />

Szene aus Uri Terkenichs Arbeit<br />

„Material Movement“.<br />

Statement<br />

Dieter Heitkamp,<br />

Professor für Tanz, Direktor des Ausbildungsbereiches<br />

31<br />

Zeitgenössischer und Klassischer Tanz,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Die Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“ möchte ich mit<br />

e<strong>in</strong>em entschiedenen Ja beantworten. Ja zur Förderung <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />

Denkens und Handelns. Es müssen dr<strong>in</strong>gend mehr<br />

Angebote geschaffen werden, die Neugier auf das Fremde wecken,<br />

die beim Annähern helfen und motivierend wirken, ungewohnte<br />

Räume zu betreten. Ebenso muss bei der Entwicklung neuer<br />

Curricula Raum für <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Projektarbeit geschaffen<br />

werden. Die Begegnung mit anderen Künstlern, die Konfrontation<br />

mit unterschiedlichen Arbeits- und Denkweisen, Begrifflichkeiten,<br />

Strukturen und Fragestellungen kann zwar verunsichernd wirken,<br />

ermöglicht aber gleichzeitig wichtige neue Lernerfahrungen und<br />

Erlebnisse. Die Zusammenarbeit <strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Projekten<br />

verhilft den Teilnehmern auch zu e<strong>in</strong>er differenzierteren Wahrnehmung<br />

des eigenen Schaffens. Sie eröffnet ihnen weitere Perspektiven<br />

und Ressourcen. Geme<strong>in</strong>same Lernprozesse sollten als<br />

Bereicherung gesehen werden und nicht als Störfaktoren. Die<br />

<strong>HfMDK</strong> bietet <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es dichten Netzwerks dank spannender,<br />

kompetenter Partner viele Möglichkeiten, um Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

zu erproben und zu praktizieren. Es gibt bereits viele Angebote, die<br />

noch weiter entwickelt werden sollten, um so zur Profilierung<br />

der <strong>HfMDK</strong> als e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>novativen, künstlerischen Bildungs- und<br />

Forschungsstätte beizutragen.


32 <strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

E<strong>in</strong> Austausch, der wach<br />

hält und Mut macht<br />

Das Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiatenwerk br<strong>in</strong>gt Wissenschaftler<br />

unterschiedlicher Diszipl<strong>in</strong>en an e<strong>in</strong>en Tisch<br />

Von Dr. Wolfgang Eimer, Bereichsleiter Wissenschaft und Technik <strong>in</strong> der<br />

Stiftung Polytechnische Gesellschaft <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

Die zunehmend komplexen Herausforderungen <strong>in</strong> Wissenschaft und<br />

Gesellschaft erfordern e<strong>in</strong> stärkeres Zusammenwirken von ganz<br />

unterschiedlichen Fachdiszipl<strong>in</strong>en. Nicht nur die Kooperation von<br />

Teilgebieten <strong>in</strong> den Naturwissenschaften ist damit geme<strong>in</strong>t.<br />

Vielmehr müssen auch die Naturwissenschaften mit den Geistesund<br />

Gesellschaftswissenschaften zusammenarbeiten, genauso<br />

wie Impulse aus der Kunst und Musik <strong>in</strong> bestimmte Fragestellungen<br />

e<strong>in</strong>fließen. Für e<strong>in</strong>e erfolgreiche <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Forschung werden<br />

motivierte und hochqualifizierte Wissenschaftler gebraucht, die <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Team zusammenarbeiten können. Es<br />

fordert von Wissenschaftlern die Bereitschaft, sich fremdem<br />

Denken zu öffnen und die konstruktive Kommunikation über die<br />

Fachdiszipl<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>aus zu erlernen.<br />

Junge Wissenschaftler möglichst früh <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne zusammen<br />

zu br<strong>in</strong>gen, ist das Ziel der Stiftung Polytechnische Gesellschaft.<br />

Daher ist das Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiatenwerk von Beg<strong>in</strong>n an<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är ausgerichtet. In dem Programm werden Studierende,<br />

Doktoranden und junge Nachwuchswissenschaftler aus ganz<br />

unterschiedlichen Fachdiszipl<strong>in</strong>en gefördert. In der ersten Generation<br />

wurden 2008 Naturwissenschaftler, Erziehungswissenschaftler,<br />

Historiker, angehende Ingenieure, aber auch Musikpädagogen und<br />

Musikwissenschaftler aufgenommen. Unser Anspruch ist es, die<br />

jungen Menschen dazu zu bewegen, über den Tellerrand des<br />

eigenen Faches h<strong>in</strong>auszuschauen. Die Gespräche untere<strong>in</strong>ander,<br />

die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Studien- und Forschungsgebieten<br />

der anderen Stipendiaten und die e<strong>in</strong>fachen Fragen des Fachfremden<br />

sollen dazu anregen, eigenes Tun zu reflektieren sowie<br />

neue Impulse für sich selbst und für die eigene Arbeit aufzunehmen.<br />

Funktioniert das? Diese Frage lässt sich aus den bisherigen<br />

Erfahrungen mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>deutigen Ja beantworten.<br />

R<strong>in</strong>gen um Def<strong>in</strong>itionen und Methoden<br />

Schon während der Kennenlernphase auf dem E<strong>in</strong>führungssem<strong>in</strong>ar,<br />

wo die Unterschiede im Theorieverständnis und <strong>in</strong> der Kommunikation<br />

der Wissenskulturen rasch erkannt wurden, kam von den<br />

Stipendiaten die Idee, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Kolloquium auszurichten.<br />

Gesagt, getan: Zum W<strong>in</strong>tersemester 2009/2010 fanden die<br />

ersten Veranstaltungen an der <strong>HfMDK</strong> statt. Die <strong>in</strong>terne Vortragsund<br />

Diskussionsreihe startete mit der Frage „Trans- oder Interdiszipl<strong>in</strong>arität?“,<br />

um e<strong>in</strong>e begriffliche Annäherung an den aktuellen<br />

Stand diszipl<strong>in</strong>übergreifender Forschung zu erlangen. Die Stipendiaten<br />

wollten e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Basis für ihr weiteres Tun f<strong>in</strong>den.<br />

Zu diesem Zeitpunkt wurde noch viel um Begriffe, Def<strong>in</strong>itionen und<br />

Methoden gerungen. Nach fünf weiteren Veranstaltungen war dann<br />

e<strong>in</strong> deutlicher Fortschritt <strong>in</strong> der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Kommunikation<br />

zu erkennen. Fachspezifische Positionen und Denkmuster wurden<br />

erkannt und respektiert. Zum Abschluss der Reihe setzten sich die<br />

Stipendiaten mit dem Thema Klimawandel ause<strong>in</strong>ander. Die<br />

E<strong>in</strong>führung lieferte e<strong>in</strong>e Naturwissenschaftler<strong>in</strong> unter dem Titel<br />

„Manche mögen´s heiß – was der Klimawandel für unsere Umwelt<br />

bedeutet“. Es schloss sich e<strong>in</strong>e spannende und lebhafte Diskussion<br />

an, <strong>in</strong> der nicht nur um die Bewertung der Gefahren aus der Sicht<br />

der Naturwissenschaften gerungen wurde. Auch die möglichen<br />

Auswirkungen des Klimawandels auf das Zusammenleben<br />

von Menschen und Gesellschaften aus unterschiedlichen Perspektiven<br />

diskutierten die Teilnehmer. Es entwickelte sich e<strong>in</strong> wahrhaft<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Austausch. Doch nicht nur die Diskussion<br />

zwischen den Fachdiszipl<strong>in</strong>en wird gepflegt: Gespräche der<br />

Stipendiaten schon am Rande der Sem<strong>in</strong>are <strong>in</strong> der Ma<strong>in</strong>Campus<br />

Akademie s<strong>in</strong>d der Ausgangspunkt für überschaubare geme<strong>in</strong>same<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Projekte gewesen.


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiaten<br />

bei e<strong>in</strong>er lebhaften<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Diskussion.<br />

Mit dabei die<br />

<strong>HfMDK</strong>-Studierenden<br />

Krist<strong>in</strong>a Wömmel (h<strong>in</strong>ten l<strong>in</strong>ks)<br />

und Bianca Hellberg (rechts).<br />

Impulse für den „musikalischen Enthusiasmus“<br />

Im kommenden Semester wird das Interdiszipl<strong>in</strong>äre Kolloquium von<br />

der zweiten Generation fortgeführt. Mit der Psychologie, den<br />

Gesellschaftswissenschaften und der bildenden Kunst wird der<br />

Fächerkanon ausgeweitet. Der Impuls, e<strong>in</strong>e Kultur der <strong>in</strong>terdiszipli-<br />

nären Kommunikation im Ma<strong>in</strong>Campus-Stipendiatenwerk zu<br />

entwickeln, ist von jetzt allen 53 Stipendiaten aufgenommen<br />

worden. Das Aufe<strong>in</strong>andertreffen von fachspezifischer Theoriespra-<br />

che, Methoden und Orientierungen wird bei jeder Begegnung als<br />

Herausforderung und gleichzeitig als besondere Chance gesehen.<br />

Krist<strong>in</strong> Wömmel promoviert an der <strong>HfMDK</strong> über den musikalischen<br />

Enthusiasmus. Sie profitiert sehr von den Begegnungen mit ihren<br />

Mitstipendiaten: „Es kommt automatisch zu Vergleichen und daraus<br />

resultierenden Unterschieden, die mich dazu anregen, me<strong>in</strong>e eigene<br />

Arbeit immer wieder neu zu reflektieren. Dabei ergeben sich stetig<br />

Fragen wie: Wo gibt es <strong>in</strong>haltlich reizvolle Überschneidungen mit<br />

anderen Diszipl<strong>in</strong>en? Wie spezifisch ist das, was ich herausf<strong>in</strong>den<br />

will? Was br<strong>in</strong>gen me<strong>in</strong>e Erkenntnisse für die Gesellschaft? Die<br />

letzte Frage ergreift mich immer wieder besonders, wenn ich etwas<br />

von den bedeutenden Forschungszielen me<strong>in</strong>er naturwissenschaft-<br />

lich ausgerichteten Mitstipendiaten erfahre wie beispielsweise der<br />

Entwicklung von neuer Antibiotika oder der spezifischen<br />

Erforschung der menschlichen Zellteilung. Das hält mich wach<br />

und stärkt mich <strong>in</strong> den D<strong>in</strong>gen, denen ich nachgehe.“<br />

Dar<strong>in</strong> geübt zu se<strong>in</strong>, den Blickw<strong>in</strong>kel über die eigenen diszipl<strong>in</strong>ären<br />

Zäune h<strong>in</strong>aus zu öffnen, bereitet die Stipendiaten hoffentlich darauf<br />

vor, sich <strong>in</strong> der Zukunft leichter komplexen Problemfeldern von<br />

Wissenschaft und Gesellschaft zu stellen, um sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>terdis-<br />

zipl<strong>in</strong>ären Team umfassend zu beschreiben und zu bearbeiten.<br />

Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

Statement<br />

Jörg Heyer,<br />

Professor für Bratsche,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität muss Pflicht und Kür se<strong>in</strong>. Pflicht ist die<br />

notwendige Zusammenarbeit der Lehrenden, Kür ist das<br />

Vergnügen und der persönliche Gew<strong>in</strong>n aller Beteiligten<br />

– gleich ob Lehrender oder Lernender. Wir lernen alle, und<br />

das ist auch notwendig, Stillstand wäre Rückschritt. Wenn<br />

ich auf mehr als 30 Jahre Hochschularbeit zurückblicke, kann<br />

ich mit Freude die positiven Veränderungen zum Stichwort<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität konstatieren, aber ich sehe auch noch<br />

Bereiche <strong>in</strong> ihren e<strong>in</strong>gefahrenen und möglicherweise schon<br />

verkrusteten Strukturen. Ich würde mir zum Thema Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

e<strong>in</strong> regelmäßiges Symposium – auch im Austausch<br />

mit anderen Hochschulen – wünschen, das Anregungen zur<br />

Veränderung vermitteln könnte.<br />

Statement<br />

Ralph Abele<strong>in</strong>,<br />

Professor für Schulpraktisches Klavierspiel,<br />

Ensemblearbeit und Arrangieren,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Musiker, <strong>in</strong>sbesondere Musiklehrer, wenden ihre im Studium<br />

erlernten Kompetenzen meistens nicht isoliert an, sondern<br />

setzen bei ihrer Arbeit verschiedene Fertigkeiten gleichzeitig<br />

e<strong>in</strong>. Deshalb sollte auch das Studium Angebote bieten, <strong>in</strong> der<br />

e<strong>in</strong>e solche Verschränkung von Kompetenzen thematisiert und<br />

praktiziert wird. Interdiszipl<strong>in</strong>äre Zusammenarbeit fördert<br />

außerdem die gegenseitige Wahrnehmung im Lehrenden-<br />

Kollegium und hilft, die Rolle des eigenen Faches im gesamten<br />

Kontext immer wieder neu zu begreifen.<br />

33


34 <strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Sublimierter Streit<br />

– zur Soziologie<br />

der Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

Von Tilman Allert, Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der<br />

Johann Wolfgang Goethe-Universität <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

Die Idee der Interdiszipl<strong>in</strong>arität stammt aus dem wissenschaftlichen<br />

Raum. Sie bezieht sich dort auf e<strong>in</strong>e Selbstreflexion derjenigen, die<br />

den unvermeidlichen Weg der Spezialisierung und kognitiven<br />

Differenzierung gegangen s<strong>in</strong>d, die sich im Horizont e<strong>in</strong>es mühsam<br />

erstrittenen und stets fragilen Argumentationsraums nach fachspezifischen<br />

Standards, nach Konventionen der methodisch kontrollierten<br />

Problembehandlung e<strong>in</strong>gerichtet haben, die dabei jedoch<br />

von e<strong>in</strong>er Art Unbehagen erfasst s<strong>in</strong>d, das eigene Instrumentarium<br />

der Erkenntnisbildung reiche irgendwie nicht aus. So entsteht<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität zunächst als Reaktion auf e<strong>in</strong>e Insuffizienz-Erfahrung<br />

des eigenen Tuns, reflektiert die Begrenztheit der erworbenen<br />

Kompetenzen. Die Maxime der Interdiszipl<strong>in</strong>arität folgt e<strong>in</strong>er<br />

Sehnsucht, e<strong>in</strong>er Mischung aus ungebremster Neugier und<br />

Ernüchterung. Wo Wissenschaft betrieben wird, entsteht e<strong>in</strong><br />

paradoxes und hoch ambivalentes Gemisch aus Autonomieansprüchen<br />

e<strong>in</strong>erseits und zugleich Kooperationswünschen andererseits.<br />

Wissenschaftspolitisch wird diese für das B<strong>in</strong>nenverhältnis<br />

grundlegende Ambivalenz verselbständigt zu e<strong>in</strong>er schicken<br />

Maxime, nicht selten zu e<strong>in</strong>er Organisationszumutung. Ke<strong>in</strong> Projekt,<br />

ke<strong>in</strong> Antrag, ke<strong>in</strong> Vorhaben ohne irgende<strong>in</strong>e Anmerkung zur<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität, so stellt sich die Situation seit jeher <strong>in</strong> den<br />

Universitäten dar, zunehmend auch im Bereich künstlerischen<br />

Handelns sowie der Musik- und Kunsthochschulen. Häufig wird<br />

dabei die soziale Seite übersehen, die im Alltag der Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

aufsche<strong>in</strong>t und den Beteiligten häufig genug das Leben schwer<br />

macht: Interdiszipl<strong>in</strong>är zu arbeiten ist zunächst e<strong>in</strong>e Handlungszumutung,<br />

ist Belastung, soziologisch e<strong>in</strong> Streit. Streiten unterliegt<br />

jenseits der Hoffnung auf e<strong>in</strong>en kognitiven Gew<strong>in</strong>n, e<strong>in</strong>er sozialen<br />

Logik des spannungsreichen Austauschs, an dessen Beg<strong>in</strong>n die<br />

Kompetenzabgabe steht. Dar<strong>in</strong>, <strong>in</strong> der Abgabe und <strong>in</strong> dem Sich-E<strong>in</strong>lassen<br />

auf die Ungewissheit des Ausgangs, liegt das Geheimnis<br />

jeder Kooperation. Im Bereich e<strong>in</strong>er systematisch auf Kooperation<br />

angelegten Tätigkeit wie <strong>in</strong> den verschiedenen Sparten der<br />

künstlerischen Darbietung ist das e<strong>in</strong> alter Hut. Kooperation ist<br />

konstitutiv für das Künstlertum, <strong>in</strong> den performanzorientierten<br />

Diszipl<strong>in</strong>en an Musikhochschulen ist die Handlungszumutung, die<br />

mit ihr verbunden ist, versteckt bzw. sublimiert durch das, was die<br />

Komposition, Texte, Dramaturgie, Regie und Choreographie vorgibt.<br />

Kooperation ist schon schwierig genug; wer Musik, Tanz oder


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Ramon John,<br />

Tänzer der ZuKT-Abteilung<br />

der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

Foto: Dietmar Janeck<br />

Schauspielerei studiert, hat sich auf diese Implikation längst<br />

e<strong>in</strong>gestellt. Das gilt für die Studierenden ebenso wie für die<br />

Lehrenden. Noch die Selbstverliebtheit der Solo-Karriere weiß um<br />

den Abstimmungsbedarf, um das kooperative Arrangieren e<strong>in</strong>es<br />

Resonanzraumes für die eigene Interpretation. Für diesen seit<br />

Jahrhunderten selbstverständlichen Alltag kooperativer Tätigkeiten<br />

im Bereich von Musik und darstellender Kunst sollten wir den<br />

Begriff Interdiszipl<strong>in</strong>arität nicht verwenden – wer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ensem-<br />

ble spielt, der kooperiert, und das ist bekanntlich schon schwierig<br />

genug.<br />

Provozierte Wahrnehmungsgewohnheiten<br />

Allerd<strong>in</strong>gs liefert die Handlungszumutung, die schon <strong>in</strong> jeder<br />

aufführungsbezogenen Kooperation schlummert, e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis auf<br />

die Komplexitäten, die entstehen, wenn Interdiszipl<strong>in</strong>arität prakti-<br />

ziert wird. Man sieht sofort: Es handelt sich um e<strong>in</strong>e gesteigerte<br />

Form der Kooperation, <strong>in</strong>tensiviert h<strong>in</strong>gegen das soziale Problem<br />

der Kompetenzabgabe und der E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Begrenztheit des<br />

eigenen Vermögens. Mit Hilfe der Soziologie lassen sich e<strong>in</strong>ige<br />

begriffliche Erläuterungen e<strong>in</strong>führen, die Ausdrucksgestalten<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Arbeit zu unterscheiden erlauben. In dieser Skizze<br />

genügt dafür die Unterscheidung von Ideen, Motiven und Konstella-<br />

tionen. Von der Ideen-Seite ist die Sache e<strong>in</strong>fach, Begründungen<br />

für Interdiszipl<strong>in</strong>arität gehen e<strong>in</strong>em leicht von der Zunge. Mit ihr<br />

verb<strong>in</strong>det sich, ganz allgeme<strong>in</strong> betrachtet, das Ziel der Komplexi-<br />

tätserhöhung <strong>in</strong> der Produktion und Rezeption ästhetischer Gebilde.<br />

Tanz, Musik, Schauspielerei und Ballett verlieren ihr angestammtes<br />

Herstellungs- und Darbietungsprivileg und tauchen, komplex<br />

komb<strong>in</strong>iert, nebene<strong>in</strong>ander auf, vermischen sich und provozieren<br />

Wahrnehmungsgewohnheiten des spartengewohnten Zuhörers<br />

bzw. Zuschauers. Wer sich <strong>in</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Projekten trifft, hat<br />

e<strong>in</strong>e Erwartung an produktive Dissonanz- oder auch Konsonanzer-<br />

lebnisse, an Erfahrungsgew<strong>in</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em handwerklichen S<strong>in</strong>ne, an<br />

die überraschende Lektüre des eigenen musikalischen, darstelle-<br />

rischen oder tänzerischen Entwurfs, die die neuen Nachbarn von<br />

nebenan versprechen.<br />

Im Moment der Aufführung<br />

verschw<strong>in</strong>det die Frage nach<br />

dem Wie ihrer Entstehung:<br />

Stimmigkeit im Ausdruck und<br />

Expansion des ästhetischen<br />

Wahrnehmungsraums bleiben<br />

die Kriterien des Gel<strong>in</strong>gens.<br />

Tilman Allert<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität als Handlungszumutung<br />

Soweit die Ebene der Ideen. Auf der Seite der Motive wird die<br />

Sache schon schwieriger. Auch die Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist, sozial<br />

betrachtet, e<strong>in</strong>e Handlungszumutung, wie sie für die Kooperation<br />

typisch ist, aber doch folgenreicher. Schließlich geht es um e<strong>in</strong>e<br />

35


36 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Bereitschaft, auf den diszipl<strong>in</strong>ären Stolz zu verzichten. Interdiszipli-<br />

narität komb<strong>in</strong>iert Alle<strong>in</strong>vertretungsansprüche und ist von daher<br />

streitanfällig, kann dabei jedoch auf Moderatoren oder Streit-<br />

schlichter nicht zurückgreifen. Selbsterzeugter Streit sowie<br />

selbsterzeugte Versöhnung liegen dem Kommunikationsgeschehen<br />

zugrunde und stürzen die Beteiligten <strong>in</strong> das Abenteuer situativer<br />

Aufgabe von Kompositions- oder Darbietungs-Hoheitsrechten. Geht<br />

man nun drittens der Frage nach, welche Ausdrucksgestalten des<br />

Mite<strong>in</strong>anders unter den Bed<strong>in</strong>gungen der Interdiszipl<strong>in</strong>arität<br />

entstehen, so lassen sich folgende Konstellationen unterscheiden:<br />

Man kann sich mit den besten Motiven zur Zusammenarbeit<br />

entschließen, im Ergebnis entsteht e<strong>in</strong>e ästhetische Qualität, <strong>in</strong> der<br />

die Diszipl<strong>in</strong>en über e<strong>in</strong>e wechselseitige Indifferenz nicht h<strong>in</strong>aus-<br />

kommen. Interdiszipl<strong>in</strong>arität ergibt sich hierbei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong><br />

beschreibenden S<strong>in</strong>ne: Leute, die vorher nichts mite<strong>in</strong>ander zu tun<br />

hatten, treffen sich projektbezogen, arbeiten an e<strong>in</strong>er Aufführung;<br />

e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nlich wahrnehmbares Resultat stellt sich h<strong>in</strong>gegen nicht e<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e Steigerung dieser Konstellation liegt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prozess vor, den<br />

man latente Obstruktion nennen könnte. Man arbeitet <strong>in</strong>terdiszipli-<br />

när, aber zum Zwecke der Demonstration eigener Spartendomi-<br />

nanz. Die Interdiszipl<strong>in</strong>arität verkommt hierbei zu e<strong>in</strong>em Statusge-<br />

rangel mit wechselseitiger Blockade. Von diesen beiden Ausdrucks-<br />

formen lässt sich e<strong>in</strong>e dritte unterscheiden, bei der die<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität e<strong>in</strong>e Art ästhetische Parallelaktion zu erzeugen<br />

vermag. Zuhörer bzw. Zuschauer werden mit der begleitenden<br />

Präsenz von Sparten konfrontiert, es läuft gleichsam e<strong>in</strong> zweiter<br />

Opernsänger als „Bühnen-<br />

Allrounder“: Szenischer Abend<br />

der <strong>HfMDK</strong>-Gesangsklasse im<br />

Juli 2010.<br />

Film, e<strong>in</strong> zweites Stück, und ästhetisch wird zu e<strong>in</strong>em Zapp<strong>in</strong>g<br />

e<strong>in</strong>geladen, das Überraschung mit Wahrnehmungsgew<strong>in</strong>n ver-<br />

knüpft. Schließlich entsteht erst <strong>in</strong> dem vierten Typus von Interdiszi-<br />

pl<strong>in</strong>arität das Ergebnis, das die wechselseitige Anstrengung<br />

rechtfertigt: e<strong>in</strong>e Assimilation und produktive Konfliktivität, e<strong>in</strong><br />

Streit, der ästhetisch erfolgreich sublimiert wird, der e<strong>in</strong>e Expansion<br />

von Lesarten der Wahrnehmung e<strong>in</strong>leitet, die sowohl für die<br />

Entwicklung der Künste und der an ihr arbeitenden Berufe als auch<br />

für die Rezeptionsgewohnheiten des Publikums Neues hat entste-<br />

hen lassen.<br />

E<strong>in</strong> Streit mit Kompetenzstolz<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität stellt sich mit anderen Worten dar als e<strong>in</strong>e<br />

komplexe Form der Kooperation, die stets e<strong>in</strong>er ästhetischen Idee<br />

als Begründung bedarf. In sozialer H<strong>in</strong>sicht liegt ihr e<strong>in</strong> Streit<br />

zugrunde, den zu artikulieren und gegen die Aspirationen des<br />

eigenen Kompetenzstolzes auszuhalten, allen Beteiligten abverlangt<br />

wird. Im Ergebnis lässt sie e<strong>in</strong>e Vielfalt von Konstellationen<br />

entstehen, die nicht zw<strong>in</strong>gend und schon gar nicht dadurch, dass<br />

e<strong>in</strong> paar Leute me<strong>in</strong>en, man müsse mal etwas zusammen machen,<br />

dem angestrebten Ziel nahekommen. Indifferenz, Obstruktion,<br />

Parallelität und Assimilation s<strong>in</strong>d hier als mögliche Ergebnisse von<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität entworfen. Selbstsuggestionen begleiten die<br />

Zusammenarbeit als latente Potenziale des Missl<strong>in</strong>gens. Fragt man<br />

nach den Voraussetzungen des Gel<strong>in</strong>gens, so mag wiederum der<br />

Blick auf die Wissenschaften hilfreich se<strong>in</strong>, ohne dass damit


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

behauptet werden soll, dass der wissenschaftliche Raum für<br />

gel<strong>in</strong>gende Interdiszipl<strong>in</strong>arität besonders prädest<strong>in</strong>iert sei. Wer sich<br />

darum bemüht, es im Horizont des eigenen diszipl<strong>in</strong>är kontrollierten<br />

Vermögens e<strong>in</strong>mal mit den Nachbarn, neu h<strong>in</strong>zugezogenen oder<br />

schon lange vertrauten, zu versuchen, der sollte über die Fähigkeit<br />

der Paraphrase verfügen. Das eigene Tun aus der Perspektive<br />

anderer zu paraphrasieren, die handwerklichen Kundigkeiten,<br />

ästhetischen Traditionen und Vorlieben der Nachbarn <strong>in</strong> die<br />

Gewohnheiten der eigenen Diszipl<strong>in</strong> zu übersetzen, das gehört zu<br />

den Voraussetzungen gel<strong>in</strong>gender Interdiszipl<strong>in</strong>arität. Insofern<br />

haben wir es bei dem, was da tagtäglich allen Beteiligten, Leh-<br />

renden wie Studierenden, als lässige Parole daherkommt, mit e<strong>in</strong>em<br />

ästhetisch sublimierten Übersetzungsstreit zu tun. Sich ihm<br />

auszusetzen, ist e<strong>in</strong>e Herausforderung und alles andere als e<strong>in</strong>e<br />

Frage von Term<strong>in</strong>absprachen. Und nach dem Streit, nach dem<br />

Projekt braucht die Diszipl<strong>in</strong>, jede Diszipl<strong>in</strong>, ihre Zeit zur Reflexion<br />

und zur Überprüfung des Abenteuers, auf das man sich e<strong>in</strong>gelassen<br />

hat. Wie Streit und Versöhnung, so liegen Interdiszipl<strong>in</strong>arität und<br />

diszipl<strong>in</strong>ärer Eigens<strong>in</strong>n auf den Ebenen e<strong>in</strong>es Kont<strong>in</strong>uums, das <strong>in</strong><br />

der Ausbildung sichtbar zu machen und für die Studierenden im<br />

H<strong>in</strong>blick auf das Abenteuer, aber auch im H<strong>in</strong>blick auf die legitimen<br />

Wünsche der Selbstschonung bereitzustellen wäre.<br />

Statement<br />

Werner Jank,<br />

Professor für Musikpädagogik,<br />

„Endstation Mutti“: Studierende<br />

der Schauspielabteilung als<br />

Protagonisten e<strong>in</strong>es szenischen<br />

Gesangsabends.<br />

37<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Musizieren ist von sich aus immer schon <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är, gerade<br />

auch aus musikpädagogischer Sicht: Das Lernen und Lehren<br />

von Musik bezieht beispielsweise immer den Körper e<strong>in</strong> – es ist<br />

mit Bewegung verbunden. Letztlich ist Musik mit allen anderen<br />

Künsten verschwistert, und darüber h<strong>in</strong>aus mit ihrem kulturellen<br />

und gesellschaftlichen Umfeld. Wer Musiklernen nur auf das<br />

Musikalische im engen S<strong>in</strong>n begrenzt, amputiert die Vielfalt und<br />

die vielfältigen Bedeutungen der Musik.


38<br />

Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium <strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Die Hochschule<br />

als Brutstätte für Neugier und Wachheit<br />

Claudia Doderer schildert E<strong>in</strong>drücke vom Entstehungsprozess der aktuellen <strong>HfMDK</strong>-Musiktheaterproduktion<br />

„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“ und erklärt, was die Arbeit an e<strong>in</strong>er Hochschule so lebendig macht.<br />

Am 22. Oktober f<strong>in</strong>det die Uraufführung des zeitgenössischen<br />

Musiktheaters „Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“ statt, e<strong>in</strong>er geme<strong>in</strong>samen<br />

Produktion des Instituts für zeitgenössische Musik mit den<br />

Fachbereichen der <strong>HfMDK</strong>, die im Bockenheimer Depot zu sehen<br />

se<strong>in</strong> wird. Dr. Julia Cloot sprach während der Produktionsphase mit<br />

der Bühnenbildner<strong>in</strong> und Regisseur<strong>in</strong> Claudia Doderer, die für das<br />

Raumkonzept und die Ausstattung des Musiktheaters verantwortlich<br />

zeichnet. E<strong>in</strong>e ausführliche Beschreibung des <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />

Projektes ist auf Seite 2 des Veranstaltungskalenders nachzulesen.<br />

„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“<br />

und se<strong>in</strong>e Entstehung:<br />

Konzeptionsgespräch mit<br />

(von l<strong>in</strong>ks) Mart<strong>in</strong>a Stütz,<br />

Dramaturg<strong>in</strong>,<br />

Laura L<strong>in</strong>nenbaum,<br />

Regisseur<strong>in</strong>,<br />

Maren Gabriel,<br />

Kostümassistent<strong>in</strong>,<br />

Katr<strong>in</strong> Brechmann,<br />

Produktionsassistent<strong>in</strong>,<br />

und Johanna Greulich,<br />

Sänger<strong>in</strong>.<br />

Dr. Julia Cloot Was ist für Sie das Besondere an diesem Stoff, e<strong>in</strong>er<br />

japanischen Kurzgeschichte, <strong>in</strong> der es kaum äußere Handlung gibt?<br />

Claudia Doderer Vielleicht die Spannung zwischen Nähe und Ferne,<br />

die das Verhältnis der beiden Protagonisten zue<strong>in</strong>ander kennzeichnet.<br />

Dann spielt für mich auch e<strong>in</strong>e Rolle, dass die Geschichte e<strong>in</strong>en<br />

anderen kulturellen Horizont hat. Und die Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit der puren Emotion; deswegen haben sich die KomponistInnen<br />

unter den ihnen zur Wahl gestellten Geschichten von Akutagawa<br />

vielleicht auch gerade diese ausgesucht. Der Anstoß zu etwas<br />

Neuem erfolgt immer aus e<strong>in</strong>er tiefen <strong>in</strong>neren Bewegung heraus.<br />

Cloot Wie wird denn aus vier e<strong>in</strong>zelnen Musiktheaterarbeiten e<strong>in</strong><br />

runder Abend?


Claudia Doderer<br />

verantwortet das Raumkonzept<br />

und die Ausstattung von<br />

„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt“<br />

Foto: Thomas Dashuber<br />

Doderer Die Herausforderung an dem Projekt ist, dass es sich<br />

viermal um e<strong>in</strong>- und dieselbe Geschichte handelt. Jede/r der vier<br />

KomponistInnen musste e<strong>in</strong>en eigenen Zugang f<strong>in</strong>den, sich<br />

<strong>in</strong>dividuell profilieren. Me<strong>in</strong>e Haltung dabei war, e<strong>in</strong>erseits ganz viel,<br />

andererseits aber auch ganz wenig e<strong>in</strong>zugreifen. Im Übrigen ist für<br />

mich die musikalische Gestaltung das Wichtige, nicht die zugrunde<br />

liegende Geschichte. Die eigene künstlerische Haltung zum Stoff ist<br />

für mich <strong>in</strong>teressant. Die Dramaturgie ergibt sich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Arbeit<br />

direkt aus dem Verhältnis der Musik zum Raum. In ke<strong>in</strong>er anderen<br />

Gattung steht das Wechselspiel von Zeit und Raum so im Zentrum<br />

wie <strong>in</strong> der Oper. Dieses Verhältnis spielt <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em künstlerischen<br />

Zugriff immer e<strong>in</strong>e übergeordnete Rolle.<br />

Cloot Sehen Sie e<strong>in</strong>en grundsätzlichen Unterschied zwischen Ihren<br />

anderen Arbeiten und diesem Musiktheater-Projekt?<br />

Statement<br />

Christopher Brandt,<br />

Professor für Gitarre,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Das Attribut der „Interdiszipl<strong>in</strong>arität“ wird – gerade im<br />

kulturellen Bereich – immer gerne verwendet, um Weltläufigkeit,<br />

kommunikative Kompetenz und umfassende Vernetztheit<br />

zu suggerieren, ohne dass im E<strong>in</strong>zelfall geklärt wird, was es mit<br />

diesem Begriff eigentlich auf sich hat. Gerade im musikalischen<br />

Bereich wird dann entweder behauptet, Musik sei per<br />

se <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är (was – da ja auf jede Diszipl<strong>in</strong> anwendbar –<br />

den Begriff vollkommen entwertet); oder jede künstlerische<br />

Darreichungsform, <strong>in</strong> der Musik e<strong>in</strong>e Rolle spielt (Liederabend,<br />

Lesung mit Musik, Tanztheater, Oper, Schauspiel, Festakt mit<br />

musikalischer Untermalung, Film etc.) wird mit diesem Begriff<br />

geschmückt. Aus eigener Erfahrung würde ich behaupten, dass<br />

die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiches <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres<br />

Arbeiten immer noch größtmögliche Professionalität auf<br />

dem jeweils eigenen Fachgebiet ist – dem sollte auch e<strong>in</strong>e<br />

akademische Ausbildung Rechnung tragen.<br />

39<br />

Doderer In der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Stoff ist die Arbeit mit<br />

den StudentInnen gar nicht soviel anders. Vielleicht ist das<br />

Bewusstse<strong>in</strong>, genau zu wissen, was man will, bei jungen Komponisten<br />

noch nicht ganz so ausgeprägt. Sie haben noch ke<strong>in</strong>e<br />

praktische Erfahrung, aber sie wissen genau, wonach sie suchen.<br />

Daran habe ich selbst e<strong>in</strong> großes Interesse: Die künstlerische Suche<br />

stellt für mich e<strong>in</strong>en Wert an sich dar. Deswegen freue ich mich<br />

auch darüber, mit Laura L<strong>in</strong>nenbaum e<strong>in</strong>en jungen, wachen Geist<br />

für die Regie dabei zu haben, weil sie me<strong>in</strong>en unverstellten Blick auf<br />

die Arbeit teilt. Es s<strong>in</strong>d vier junge Leute, die extrem hart arbeiten<br />

und gleichzeitig noch sehr offen s<strong>in</strong>d. Wie schützt man diese Offenheit<br />

und sorgt gleichzeitig für die professionelle Umsetzung? Diese<br />

Spannung über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum zu halten, ist für mich das<br />

Schwierigste und das Schönste zugleich.<br />

Cloot Was kennzeichnet e<strong>in</strong>e im Team entwickelte künstlerische<br />

Arbeit?<br />

Doderer Die D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d von Anfang an noch <strong>in</strong> der Entwicklung. Ich<br />

werde nicht vor e<strong>in</strong>e fertige Partitur gesetzt. Deswegen b<strong>in</strong> ich<br />

immer an der unmittelbaren Zusammenarbeit mit zeitgenössischen<br />

Komponisten <strong>in</strong>teressiert. An e<strong>in</strong>er Hochschule f<strong>in</strong>det diese quasi<br />

noch <strong>in</strong> potenzierter Form statt, weil es sich um die künftige und im<br />

besten Falle noch offenste Künstlergeneration handelt. Es gibt ja<br />

durchaus e<strong>in</strong>en Markt auch für experimentelle Produktionen. Die<br />

Widerstände s<strong>in</strong>d zwar groß, und der E<strong>in</strong>fluss auf den Musikbetrieb<br />

ist zäh, aber ich glaube, dass experimentelle Produktionen Zukunft<br />

haben. Bei der Münchner Biennale gilt zum Beispiel die Prämisse,<br />

schon <strong>in</strong> der Konzeptionsphase geme<strong>in</strong>sam anzufangen. Früher war<br />

das gar nicht so viel anders: Die Aufführungspraxis Händels und<br />

Mozarts folgte beispielsweise <strong>in</strong> der Zusammenarbeit mit den<br />

Sängern oder den Librettisten viel mehr dem „work <strong>in</strong> progress“-<br />

Gedanken als die Oper des 19. und erst recht das Regietheater des<br />

20. Jahrhunderts.


40 Schwerpunktthema Interdiszipl<strong>in</strong>arität im Studium<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Cloot Was würden Sie jungen KomponistInnen mit auf den Weg<br />

geben?<br />

Doderer Sie sollten versuchen, die Waage zu halten zwischen der<br />

Konzentration auf sich selbst und e<strong>in</strong>er Öffnung nach außen. Das<br />

gegenseitige Interesse könnte noch größer se<strong>in</strong>. Ich selbst setze<br />

dabei auf Fragen und e<strong>in</strong>e diskursive Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den<br />

Themen. Neugier und Wachheit könnte man an e<strong>in</strong>er Hochschule<br />

noch viel mehr fördern und fordern. Wie ist me<strong>in</strong>e Position, wo<br />

stehe ich selbst? Die jungen KomponistInnen reden gar nicht so viel<br />

mite<strong>in</strong>ander, sie streiten auch nicht.<br />

Cloot Was f<strong>in</strong>den Sie <strong>in</strong> der künstlerischen Arbeit besonders<br />

wichtig?<br />

Doderer Auf praktische Erfahrung zurückgreifen zu können, ohne <strong>in</strong><br />

Rout<strong>in</strong>e zu verfallen – dazwischen muss man die Waage halten.<br />

Rout<strong>in</strong>e ist etwas, wovon man sich immer wieder abstößt. Es geht<br />

immer um die Balance zwischen Standbe<strong>in</strong> und Spielbe<strong>in</strong>.<br />

Cloot Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit mit Beat Furrer?<br />

Doderer Zwischen uns ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> grundsätzliches Vertrauen<br />

spürbar, weil jeder die Arbeit des anderen kennt und schätzt.<br />

Cloot Haben Sie manchmal am Erfolg des Projektes gezweifelt?<br />

Doderer Bei jeder Arbeit kommt der Punkt, an dem man denkt, man<br />

könnte es nicht zu Ende br<strong>in</strong>gen. Das Jahr der Vorarbeit hatte ja<br />

e<strong>in</strong>e unglaubliche Struktur, die e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsschritte waren klar<br />

festgelegt: zuerst das Konzept, dann die Umsetzung vom Kopf <strong>in</strong><br />

die Praxis, schließlich die Schulung am realen Raum. Raumproportionen<br />

und Hördistanzen müssen erst erprobt, die experimentelle<br />

Anordnung etabliert werden. Wie es schließlich wird, wie spannungsvoll<br />

die Stücke sich gegenüberstehen, muss man erst <strong>in</strong> der<br />

Arbeit sehen und hören. Unsicherheitsfaktoren bleiben darüber<br />

h<strong>in</strong>aus die Ausführenden selbst, also die GesangsstudentInnen und<br />

die InstrumentalistInnen.<br />

Cloot Was könnte e<strong>in</strong>e Nachwirkung des Projektes se<strong>in</strong>?<br />

Doderer Die Präsenz des Zeitgenössischen und die zeitgemäße<br />

Entwicklung neuer Formen müssten <strong>in</strong> den Opernhäusern und <strong>in</strong><br />

den Hochschulen viel mehr wertgeschätzt werden. Auf ke<strong>in</strong>en Fall<br />

dürfen beide nur Pflichtübungen se<strong>in</strong>. Das f<strong>in</strong>de ich so schön an der<br />

Arbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hochschulprojekt: Es muss dabei nichts Marktgängiges<br />

herauskommen. Ich selbst verstehe mich ja auch nicht als<br />

„marktgerechte“ Zuarbeiter<strong>in</strong>. Wie die Leute sich <strong>in</strong> der Hochschule<br />

<strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> begegnen und wie sie mite<strong>in</strong>ander kommunizieren, das<br />

wirkt immer sehr lebendig auf mich.<br />

Cloot Was kennzeichnet e<strong>in</strong>e Hochschule im Unterschied zu<br />

anderen Kultur<strong>in</strong>stitutionen? Ist die Infrastruktur, über die e<strong>in</strong><br />

Theater, nicht aber e<strong>in</strong>e Hochschule verfügt, e<strong>in</strong> Problem?<br />

Doderer Bei Produktionen dieser Art läuft es sowieso nicht ab wie<br />

am Theater, sondern eher wie bei e<strong>in</strong>em Festival. Man muss sich<br />

behelfen und beschränken, was aber nicht das Schlechteste ist. Die<br />

Arbeit an e<strong>in</strong>er Hochschule ist unglaublich privilegiert, weil man<br />

weitgehend das produzieren kann, was man möchte. Wo kann man<br />

noch etwas machen, ohne dass der Ausgang schon garantiert se<strong>in</strong><br />

muss? Die puren Künste ohne Ausrichtung auf den Markt gelten zu<br />

lassen, gestattet fast nur die Hochschule. Die Opernhäuser<br />

wünschen sich zwar auch mehr Lebendigkeit, aber lassen sie auch<br />

kaum zu. E<strong>in</strong> starker Impuls g<strong>in</strong>g für mich immer von den Arbeiten<br />

der Fluxus-Künstler aus. Extreme Erfahrungen s<strong>in</strong>d dabei ganz<br />

wichtig. Das ist übrigens e<strong>in</strong> gesamtgesellschaftliches Problem und<br />

e<strong>in</strong> Problem <strong>in</strong> allen Künsten: Die konkrete Erfahrung ist immer<br />

noch das, was dem Menschen am meisten beibr<strong>in</strong>gt und was ihm<br />

das höchste Glücksgefühl gibt.<br />

Aufzeichnung: Dr. Julia Cloot<br />

Statement<br />

Dr. Mart<strong>in</strong>a<br />

Peter-Bolaender,<br />

Professor<strong>in</strong> für Körperbildung und Bewegungslehre,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Die Körper- und Bewegungslehre <strong>in</strong> der Künstlerischen<br />

Ausbildung ist e<strong>in</strong>e fruchtbare Schnittmenge verschiedener<br />

Diszipl<strong>in</strong>en: erlebte Anatomie, erforschte Physiologie, Philosophie<br />

der östlichen und westlichen Atem- und Bewegungslehren,<br />

Üben <strong>in</strong> der Tradition asiatischer Bewegungskünste,<br />

Entfaltung von Potenzialen <strong>in</strong> der Tanz- und Theaterimprovisation.<br />

Durch die Integration von erlebtem und am eigenen Leib<br />

erforschtem Wissen entstehen und entfalten sich lebendige<br />

Neugier an zeitgenössischen künstlerischen Prozessen und<br />

e<strong>in</strong>e hohe Körperpräsenz für die Bühnenarbeit.


Förderprojekte 2010 der Gesellschaft der Freunde<br />

und Förderer der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> e.V.<br />

Nachdem die Gesellschaft der Freunde und Förderer im zurückliegenden<br />

Jahr Hochschulprojekte mit rund 160.000 Euro gefördert<br />

hat, legen die Freunde und Förderer im Jahr 2010 noch e<strong>in</strong>s drauf.<br />

Das Fördervolumen erhöht sich um weitere 30.000 Euro auf<br />

190.000 Euro.<br />

Zu den mehrjährigen Förderprojekten der GFF zählen:<br />

• Starterstipendien für zehn begabte Studienanfänger<br />

• DAAD-Stipendien für ausländische Studierende<br />

• Die Gastprofessur im Ausbildungsbereich Schauspiel, im<br />

Jahr 2010 mit Udo Samel<br />

• Die Arbeitsphase e<strong>in</strong>es renommierten Dirigenten mit dem<br />

Hochschulorchester, Gastdirigent 2010 war Krzysztof Penderecki<br />

• Die Orchestrierung der Konzertexam<strong>in</strong>a<br />

Förderprojekte 2010:<br />

• „Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt.“, zeitgenössisches Musiktheater<br />

mit drei Vorstellungen im Bockenheimer Depot vom<br />

22.–24. Oktober 2010<br />

• „Maritime Rites“, zwei Konzerte im öffentlichen Raum,<br />

im Juni 2010 an den <strong>Frankfurt</strong>er Ma<strong>in</strong>ufern<br />

• Das Opernprojekt „Zaide“ mit Aufführungen beim Zeltfestival<br />

Merzig und <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong>-Höchst<br />

• THE ARTIST’S BODY 2 – e<strong>in</strong> Körperkongress als Angebot für alle<br />

Erstsemester am 15. und 16. Oktober 2010. Thema: Körper und<br />

Körperwahrnehmung mit Fokus auf Präsenz und Bühnenpräsenz<br />

• Gesangsworkshop mit Kammersänger Kurt Moll für zehn<br />

hervorragende Studierende der oberen Semester, April 2010<br />

• Barcelona International Dance Exchange 2010 mit<br />

vier Stipendiaten des Masterstudiengangs Zeitgenössische<br />

Tanzpädagogik, März 2010<br />

• Ankauf e<strong>in</strong>es barocken Piccolo-Cellos<br />

• Mentales Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für Sänger<strong>in</strong>nen und Sänger als dreitägiger<br />

Workshop, November 2010<br />

• „Just.Before.After“– Studentisches Projekt im <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären<br />

„Tanz der Künste“, August 2010.<br />

Freunde und Förderer<br />

41<br />

Zwei Kontrafagotte im Duo:<br />

E<strong>in</strong>es davon hat die<br />

Gesellschaft der Freunde und Förderer<br />

f<strong>in</strong>anziert.


42 Freunde und Förderer<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Den Jahresbericht 2009<br />

der Freunde und Förderer<br />

schicken wir Ihnen gerne zu.<br />

Sie können ihn telefonisch<br />

oder per E-Mail bestellen:<br />

Tel: 069-154 007 137<br />

oder <strong>in</strong>fo@hfmdk-freunde.de<br />

oben:<br />

<strong>Frankfurt</strong>s Oberbürgermeister<strong>in</strong><br />

Petra Roth im Gespräch<br />

mit Clemens Börsig (l<strong>in</strong>ks) und<br />

Thomas Rietschel.<br />

unten:<br />

Gesangse<strong>in</strong>lage der Schauspielklasse<br />

bei der künstlerischen Feier<br />

des Fördervere<strong>in</strong>s im Kle<strong>in</strong>en Saal<br />

der <strong>HfMDK</strong>.<br />

Die Gesellschaft der Freunde und Förderer verfolgt drei Förderschwerpunkte:<br />

Sie unterstützt die hochklassige Ausbildung der<br />

Studierenden zu anerkannten, erfolgreichen Künstlern, zum Beispiel<br />

mit dem Ankauf besonderer Instrumente, der F<strong>in</strong>anzierung von<br />

Meisterkursen und Workshops oder von Abschlussprojekten der<br />

Studierenden. Gefördert werden außerdem künstlerische Projekte<br />

mit großer Ausstrahlung wie das aktuelle zeitgenössische Musiktheater<br />

„Mond.F<strong>in</strong>sternis.Asphalt.“ (Uraufführung am 22.10. im<br />

Bockenheimer Depot). Dritter Förderschwerpunkt ist der Ausbau des<br />

Stipendienprogramms für Studierende der Hochschule für Musik<br />

und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong>.<br />

<strong>Frankfurt</strong>s Oberbürgermeister<strong>in</strong> gratuliert zur Wiederwahl<br />

Am 10. Mai bestätigten die Freunde und Förderer mit ihrer Wiederwahl<br />

Dr. Clemens Börsig (Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen<br />

Bank), Wolfgang Kirsch (Vorstandsvorsitzender der DZ BANK) und<br />

den Präsidenten der <strong>HfMDK</strong> Thomas Rietschel für weitere drei Jahre<br />

als Vorsitzende der Gesellschaft der Freunde und Förderer (GFF) der<br />

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

e.V. <strong>Frankfurt</strong>s Oberbürgermeister<strong>in</strong> Petra Roth, Mitbegründer<strong>in</strong> der<br />

GFF, gratulierte und würdigte zum Auftakt der anschließenden<br />

künstlerischen Feier des Fördervere<strong>in</strong>s das erfolgreiche Wirken der<br />

Freunde und Förderer seit 2007.<br />

3. Runde für das Starterstipendium<br />

Zum dritten Mal vergibt die Gesellschaft der Freunde und Förderer<br />

der <strong>HfMDK</strong> fünf Starterstipendien an Studierende, die bei ihren<br />

Aufnahmeprüfungen zum W<strong>in</strong>tersemester 2010/2011 besonders gut<br />

abgeschnitten haben. Neu <strong>in</strong>s Stipendienprogramm aufgenommen<br />

wurden die Lehramtsstudierenden N<strong>in</strong>a Strauch und Clarissa<br />

Wagner, Carol<strong>in</strong> Millner (Regie), Anne Siebrasse (Saxophon) und<br />

Péter István Kett (Trompete). Die Studierenden erhalten 200 Euro im<br />

Monat über zwölf Monate. Mit dem Starterstipendium fördern die<br />

Freunde und Förderer junge, herausragende Talente und erleichtern<br />

ihnen den Studienstart <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong>. Die DZ BANK Stiftung, die con<br />

moto foundation und weitere Freunde und Förderer haben auch <strong>in</strong><br />

der dritten Förderrunde wieder mehrere Stipendien übernommen.


GFF<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2 10/1 Schwerpunktthema EXZELLENZ und ELITE<br />

43<br />

Gesellschaft der Freunde<br />

und Förderer der<br />

Hochschule für Musik<br />

und Darstellende Kunst<br />

<strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

Seit 2007 gibt es die Gesellschaft der Freunde und Förderer der<br />

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am<br />

Ma<strong>in</strong> e.V. Die Freunde und Förderer engagieren sich für optimale<br />

Studienbed<strong>in</strong>gungen und mehr Spielraum für junge begabte<br />

und leidenschaftliche Künstler<strong>in</strong>nen und Künstler.<br />

Sie fördern große Opernproduktionen, Stipendien für talentierte<br />

Studienanfänger oder für ausländische Studierende, hochklassige<br />

Abschlusskonzerte, Gastprofessuren, Arbeitsphasen mit renom-<br />

mierten Dirigenten, Mentaltra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs, Instrumental-, Tanz- und<br />

Gesangsworkshops, den Kauf besonderer Instrumente und mehr.<br />

Als Mitglied im Fördervere<strong>in</strong> genießen Sie viele exklusive Angebote.<br />

Vor allem aber haben Sie teil an der Entwicklung der Hochschule<br />

für Musik und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />

der besten Hochschulen für Musik, Theater und Tanz im nationalen<br />

und <strong>in</strong>ternationalen Vergleich. Werden auch Sie Freund und<br />

Förderer – wir freuen uns auf Sie!<br />

Kontakt<br />

Beate Eichenberg<br />

Telefon 069 154 007 137<br />

<strong>in</strong>fo@hfmdk-freunde.de<br />

www.hfmdk-freunde.de<br />

Spendenkonto Nr. 80 65 070<br />

bei der Deutschen Bank <strong>Frankfurt</strong>,<br />

Bankleitzahl 500 700 24


Man darf sich nicht hypnotisieren lassen von<br />

dem, was man vermeiden will<br />

Interview mit Helmut Lachenmann<br />

Mit Helmut Lachenmann arbeitete im Sommersemester e<strong>in</strong>er der<br />

prägendsten Protagonisten der zeitgenössischen Musik e<strong>in</strong>e Woche<br />

lang mit Studierenden der <strong>HfMDK</strong> und der Internationalen Ensem-<br />

ble Modern Akademie. In Workshops und Konzerten lernten die<br />

Studierenden die spieltechnischen Besonderheiten e<strong>in</strong>iger Werke<br />

dieses streitbaren zeitgenössischen Komponisten kennen, aber auch<br />

dessen tiefe Verwurzelung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ständigen Suche nach dem<br />

Unvertrauten, das das Altgewohnte <strong>in</strong> Frage stellt. Dr. Julia Cloot,<br />

Leiter<strong>in</strong> des Instituts für zeitgenössische Musik an der <strong>HfMDK</strong>, und<br />

Christiane Engelbrecht, Geschäftsführer<strong>in</strong> der Internatiolnalen<br />

Ensemble Modern Akademie, hatten <strong>in</strong> dieser Workshop-Woche die<br />

Gelegenheit, Helmut Lachenmann näher zu befragen.<br />

Christiane Engelbrecht Wir bef<strong>in</strong>den uns im Rahmen der Workshops<br />

mit den Studierenden von Helmut Lachenmann aus gesehen<br />

gewissermaßen <strong>in</strong> der Enkelgeneration. Mir ist aufgefallen, dass <strong>in</strong><br />

den Workshops e<strong>in</strong>e sehr lockere Stimmung ohne Ehrfurcht<br />

herrscht, e<strong>in</strong> fruchtbarer Umgangston, dass es wenig Ablehnung<br />

gibt.<br />

Helmut Lachenmann Wenn Musiker sich solistisch präsentieren<br />

können, so wie <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er „Toccat<strong>in</strong>a“ oder <strong>in</strong> „Pression“, s<strong>in</strong>d sie bei<br />

ungewohnten Spieltechniken natürlich ganz anders motivierbar, als<br />

wenn sie mit dem ihnen Zugemuteten – oder auch ihnen Zugetrauten<br />

– nachher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Orchester sitzen, wo die kollektive<br />

Begeisterung noch längst nicht garantiert ist. Das war schon immer<br />

so. Es gibt e<strong>in</strong>e technische Herausforderung und e<strong>in</strong>e ästhetische.<br />

Man muss das vone<strong>in</strong>ander trennen. Das e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d die spieltechnischen<br />

Probleme. Es gibt da e<strong>in</strong>e „déformation professionelle“,<br />

e<strong>in</strong>e im Studium erworbene Vorprägung der Bewegungsreflexe.<br />

Wenn die, wie auch immer, irritiert wird, fühlen sich die Musiker<br />

e<strong>in</strong>es Orchesters oft professionell überfordert durch empfundene<br />

„Unterforderung“. E<strong>in</strong> Musiker, der se<strong>in</strong> Instrument <strong>in</strong> die Hand<br />

nimmt, will darauf so spielen, wie er es sich <strong>in</strong> der Beschäftigung<br />

mit Bach, Mozart und Schubert erarbeitet hat. Nach <strong>in</strong>tensivem<br />

Studium und Selbstf<strong>in</strong>dung als Künstler will er nicht plötzlich<br />

wieder dasitzen wie e<strong>in</strong> Anfänger. Der ästhetische Konflikt dagegen<br />

lässt sich gleichsam verdrängen durch e<strong>in</strong>e Art mehr oder weniger<br />

aufgeschlossene Toleranz.<br />

Julia Cloot Es wird ja viel vom Pluralismus der Gegenwartsmusik<br />

gesprochen, <strong>in</strong> der eigentlich alles möglich ist und es „das Neue“<br />

gar nicht mehr gibt.<br />

Lachenmann Der Begriff des Neuen muss e<strong>in</strong>fach noch e<strong>in</strong>mal<br />

reflektiert werden. Neu heißt ja nicht, weiße Flecken auf der


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Landkarte der Klänge zu füllen. Neu ist der komponierte Kontext,<br />

der selbst das Vertraute <strong>in</strong> e<strong>in</strong> unvertrautes Licht rückt. Der Begriff<br />

des Neuen provoziert heute nicht mehr so wie früher. Wo er mit<br />

<strong>in</strong>strumentaler Verfremdung gleichgesetzt wird, höre ich immer<br />

wieder den Vorwurf, die Musik<strong>in</strong>strumente würden dabei misshan-<br />

delt. Aber auch dieses Missverständnis ließ sich <strong>in</strong>zwischen,<br />

zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Musik, weitgehend aufklären. Manchmal sage<br />

ich: Das Instrument hat sich richtig gefreut, mal anders angepackt<br />

zu werden. Inzwischen hat sich die Kommunikation zwischen<br />

Komponisten und Orchester weitgehend versachlicht. Ich glaube,<br />

ich kann von diesem beidseitigen Lernprozess der letzten 50 Jahre<br />

e<strong>in</strong> Lied s<strong>in</strong>gen.<br />

Engelbrecht Welche Vorschläge haben Sie für die aktuelle<br />

Hochschulausbildung?<br />

Lachenmann Für jedes Instrumentalfach sollte es e<strong>in</strong> mehrsemestri-<br />

ges Sem<strong>in</strong>ar geben: „Praktische Literaturkunde Neue Musik“ – so,<br />

wie wir das zu me<strong>in</strong>er Zeit <strong>in</strong> Stuttgart, für die Cellisten dort zum<br />

Beispiel mit Werner Taube, gemacht haben. Dort sollte jeder<br />

Cellostudent sich e<strong>in</strong>mal die Cellostücke op. 11 von Anton Webern<br />

vornehmen und/oder wahlweise Werke wie zum Beispiel die<br />

„Chaconne“ von He<strong>in</strong>z Holliger, die Cellostudien und die „Sonate“<br />

von Bernd Alois Zimmermann, Nicolaus A. Hubers „der Ausrufer<br />

steigt <strong>in</strong>s Innere“, das Cello/Klavierstück von Earle Brown, me<strong>in</strong>e<br />

„Pression“ usw. Jeder Studierende sollte se<strong>in</strong> Instrument zum<strong>in</strong>dest<br />

mit e<strong>in</strong>em dieser Stücke e<strong>in</strong>mal angefasst haben. Ich habe<br />

se<strong>in</strong>erzeit analysiert, auch über den stilistischen Kontext gespro-<br />

chen, Taube hat praktisch demonstriert und die E<strong>in</strong>studierungen,<br />

wie ansatzweise auch immer, geleitet. Im Senat gab es aller-<br />

d<strong>in</strong>gs Bedenken. „Unsere Studenten müssen sich auf Orchesterauf-<br />

gaben und aufs Probespiel vorbereiten“, hieß es, „und sich dort<br />

gegen die Konkurrenz durchsetzen können.“<br />

Persönliches<br />

Cloot Dabei wird ja häufig verkannt, dass e<strong>in</strong> Überangebot <strong>in</strong> der<br />

Musikerausbildung herrscht und bei weitem nicht alle Studierenden<br />

Orchesterstellen bekommen. Viele arbeiten <strong>in</strong> freien Projekten oder<br />

Ensembles, und dafür müssen sie Erfahrungen mit Neuer und Alter<br />

Musik gesammelt haben.<br />

Lachenmann Richtig. Wenn e<strong>in</strong> Orchestermusiker, der Stockhausen<br />

spielen soll, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Noten schaut wie die Katze <strong>in</strong>s Bilderbuch,<br />

dann hat man ihn unvollständig ausgebildet.<br />

Engelbrecht S<strong>in</strong>d die Studierenden vielleicht weiter als ihre ausbil-<br />

denden Institutionen, weil sie den heutigen Musikmarkt vielfältiger<br />

wahrnehmen? Wenn wir als Beispiel unseren Masterstudiengang<br />

Internationale Ensemble Modern Akademie nehmen: Wir arbeiten<br />

mit ihnen an e<strong>in</strong>er Art Kanon der Neuen Musik, so wie Sie das<br />

eben vorgeschlagen haben. Bei der Gründung der IEMA fragten<br />

sich die Mitglieder des Ensemble Modern: Gibt der Markt jedes<br />

Jahr überhaupt so viele junge Leute her? Inzwischen bewerben sich<br />

weltweit jedes Jahr 130 bis 140 MusikerInnen. Und die meisten<br />

von ihnen streben ke<strong>in</strong>e feste Orchesteranstellung an.<br />

Lachenmann Es hat sich schon e<strong>in</strong>iges getan <strong>in</strong> den Hochschulen.<br />

Natürlich lassen sich Studierende über das h<strong>in</strong>aus motivieren, was<br />

Statement<br />

Udo Samel,<br />

Honorarprofessor für Schauspiel,<br />

45<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Das Wort ist gruselig und ord<strong>in</strong>är. Wenn mit „Diszipl<strong>in</strong>en“ die<br />

Fächer geme<strong>in</strong>t se<strong>in</strong> sollen, dann gehört für mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

künstlerisch ausbildende Hochschule unbed<strong>in</strong>gt das geme<strong>in</strong>same<br />

Konzert aller Diszipl<strong>in</strong>en. Also Musiker, Schauspieler,<br />

Sänger und Tänzer sollten sich geme<strong>in</strong>sam die zeitgenössische<br />

Kunst anschauen und geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong>s Museum gehen.<br />

E<strong>in</strong> fächerübergreifendes Konzert ist die e<strong>in</strong>zige Chance, dem<br />

immer mehr um sich greifenden Profitdenken entgegenzutreten.


46 Persönliches<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

ältere Lehrer, die sich nicht auch noch belehren lassen wollen,<br />

ihnen von sich aus zu bieten haben. Aber auf die Frage e<strong>in</strong>es<br />

ergrauten Orchestercellisten: „Warum muss ich so etwas spielen?“<br />

hat Stockhausen e<strong>in</strong>st geantwortet: „Damit Sie jung bleiben.“ E<strong>in</strong><br />

Appell an die Lernfähigkeit auch der älteren Generation kann doch<br />

nicht schaden. Manchmal s<strong>in</strong>d ältere Leute viel jünger als Studie-<br />

rende, die sich an ihre standardisierte Ausbildung klammern.<br />

Jedenfalls: Wenn die Beschäftigung damit für Studierende<br />

verpflichtend se<strong>in</strong> soll, sollte man erst e<strong>in</strong>mal def<strong>in</strong>ieren, was Neue<br />

Musik ist. Wenn man das nicht tut, können sich die Schlaumeier<br />

leicht aus der Affäre ziehen. Es ist auch klar, dass die Instrumental-<br />

lehrer, die sich für die Neue Musik e<strong>in</strong>setzen, ihre Kollegen damit<br />

e<strong>in</strong> bisschen nervös machen.<br />

Cloot In <strong>Frankfurt</strong> haben Sie auch Kompositionsstudierende<br />

unterrichtet. Welche Ratschläge würden Sie jungen Leuten geben,<br />

ihren eigenen Weg zu f<strong>in</strong>den? Kann man da überhaupt noch etwas<br />

steuern?<br />

Lachenmann Junge Komponisten sollten sich darüber <strong>in</strong>formieren,<br />

was im 20. Jahrhundert komponiert wurde. Ich empfehle ihnen,<br />

unvertraute Partituren auszugsweise abzuschreiben, zu exzerpie-<br />

ren, damit sie ihre Berührungsängste verlieren. Aber das ist<br />

vielleicht etwas altväterisch gedacht.<br />

„Anyth<strong>in</strong>g goes“ stimmt schon, aber nicht „anyth<strong>in</strong>g“ ist Kunst, die<br />

dabei herauskommt. Es ist hilflos zu denken, man müsse beim<br />

Komponieren mit aller Gewalt die Spielpraxis strapazieren. Viel<br />

aufregender ist es, zwei Töne so nebene<strong>in</strong>ander zu stellen, dass<br />

etwas Neues dadurch entsteht. Zum Beispiel bei Nono: Da höre ich<br />

e<strong>in</strong>e Qu<strong>in</strong>te, die plötzlich e<strong>in</strong>en unendlich weiten <strong>in</strong>neren Raum<br />

öffnet, der nichts zu tun hat mit dem Qu<strong>in</strong>ten-Anfang der Neunten<br />

von Beethoven. Da muss der Begriff „neu“ noch e<strong>in</strong>mal mit<br />

anderen Attributen aufgeladen werden, anders def<strong>in</strong>iert werden als<br />

nur „bislang unbekannt“. Und man darf sich nicht hypnotisieren<br />

lassen von dem, was man vermeiden will.<br />

Engelbrecht Sie werden nach wie vor sehr häufig e<strong>in</strong>geladen, Ihre<br />

Werke ausübenden Künstlern oder Orchestern zu erläutern.<br />

Offenbar gibt es doch e<strong>in</strong>e Notwendigkeit, die Aufführungspraxis<br />

Neuer Musik zu vermitteln und zu zeigen. Wer übernimmt diese<br />

Aufgabe <strong>in</strong> 20 oder 30 Jahren beispielsweise bei Ihren Stücken?<br />

Lachenmann Die Aufführungspraxis ist eigentlich nur e<strong>in</strong> Teil der<br />

Problematik zwischen Komponist und Ausführenden. Es geht ja<br />

nicht weniger um die ästhetische Akzeptanz. Immerh<strong>in</strong> ersche<strong>in</strong>t<br />

demnächst e<strong>in</strong>e CD-ROM zu den Spieltechniken me<strong>in</strong>er Werke, auf<br />

der man zum Beispiel sieht, wie e<strong>in</strong> Streicher beim tonlosen<br />

Streichen auf dem Steg oder beim Flautato-Spiel am Griff-F<strong>in</strong>ger<br />

den Bogen halten muss, aber auch, wie das notiert ist. Außerdem<br />

hört man das erwartete Klang-Resultat. Die <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Musik<br />

vorkommenden Spieltechniken s<strong>in</strong>d standardisierter als bei<br />

anderen Komponisten. Ich hätte dort am liebsten auch gezeigt,<br />

wie man es nicht machen soll und wie es schlecht kl<strong>in</strong>gt.<br />

Bei Orchesterproben stehe ich manchmal mit e<strong>in</strong>er Geige vor der<br />

Streichergruppe und mache es vor. Die „Affenmethode“ spart<br />

kostbare Probenzeit.<br />

Cloot Bei unseren Workshops haben Sie mit den Studierenden<br />

an Details sorgfältig gefeilt. Es geht aber ja nicht nur darum, e<strong>in</strong>e<br />

Folge von musikalischen E<strong>in</strong>zelereignissen und Spielaktionen<br />

korrekt auszuführen, sondern: Der Fluss muss erhalten bleiben<br />

– darauf haben Sie mehrfach h<strong>in</strong>gewiesen.<br />

Lachenmann Es muss nach aller E<strong>in</strong>übung der spieltechnischen<br />

Aktionen wieder e<strong>in</strong> musikalisch lebendiger Gestus werden. Vor<br />

allem die Wechsel zwischen verschiedenen Spielweisen - das s<strong>in</strong>d<br />

geradezu choreografische Herausforderungen. Der legendäre<br />

Schlagzeuger Christoph Caskel hat me<strong>in</strong> Stück „Intérieur I“ vor der<br />

Uraufführung nie im Tempo durchgespielt. Er hat die Aktionen und<br />

damit verbundenen Körperhaltungen quasi <strong>in</strong> Zeitlupe zelebriert,<br />

um die Musik gleichsam <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e körperlichen Reflexe zu bekommen.<br />

Das war wie e<strong>in</strong>e Art Tai Chi. Bei der Generalprobe hat er<br />

nur das Instrumentarium mit pedantischer Sorgfalt aufgestellt und<br />

das Stück dann erst im Konzert mit Schwung und souveräner<br />

Präzision gespielt. Musik muss zugleich präzis und lebendig se<strong>in</strong>,<br />

darf nicht bloß annäherungsweise daherbuchstabiert werden.<br />

Aufzeichnung: Dr. Julia Cloot und Christiane Engelbrecht<br />

Statement<br />

Hedwig Fassbender,<br />

Professor<strong>in</strong> für Gesang, Dekan<strong>in</strong> für Darstellende Kunst,<br />

zur Frage „Interdiszipl<strong>in</strong>arität – Pflicht oder Kür?“<br />

Interdiszipl<strong>in</strong>arität ist e<strong>in</strong> Wort, das wir <strong>in</strong> den letzten Jahren<br />

stark strapaziert haben; so, als wenn Interdiszipl<strong>in</strong>arität etwas<br />

sei, das wir als Hochschule neu erf<strong>in</strong>den müssten. Dabei ist es<br />

schon immer e<strong>in</strong>e Besonderheit der deutschen Drei-Sparten-<br />

Theater gewesen, <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är mite<strong>in</strong>ander auf der Bühne zu<br />

stehen. Vor allem <strong>in</strong> der klassischen Operette waren alle<br />

Bühnenberufe vere<strong>in</strong>t, zum<strong>in</strong>dest bis zur Weg-Rationalisierung<br />

vieler Ballett-Kompanien. Ich würde mir wünschen, dass wir<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Arbeiten wieder als selbstverständlich<br />

empf<strong>in</strong>den, weil es die gegenseitige Wertschätzung fördert,<br />

wenn wir e<strong>in</strong>ander besser begreifen. Dass es <strong>in</strong> den dichten<br />

Bachelor-Studiengängen wenige Möglichkeiten dafür gibt,<br />

sollte uns nicht völlig aufgeben lassen.


<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Systemübergreifend<br />

mit südländischem Flair<br />

Laura Ruiz Ferreres hat an der <strong>HfMDK</strong> e<strong>in</strong>e Professur für<br />

Klar<strong>in</strong>ette angetreten<br />

Die neue Professor<strong>in</strong> für Klar<strong>in</strong>ette an der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am<br />

Ma<strong>in</strong> war bis zur vergangenen Spielzeit 1. Solo-Klar<strong>in</strong>ettist<strong>in</strong> im<br />

Orchester der Komischen Oper Berl<strong>in</strong> und unterrichtet seit 2007<br />

ihre eigene Klar<strong>in</strong>ettenklasse an der Universität der Künste Berl<strong>in</strong>.<br />

1979 <strong>in</strong> Spanien geboren, gilt sie als e<strong>in</strong>e der talentiertesten<br />

Klar<strong>in</strong>ettist<strong>in</strong>nen ihrer Generation. Sie ist e<strong>in</strong>e der wenigen<br />

Künstler<strong>in</strong>nen, die beide Systeme – Französisch und Deutsch –<br />

brillant beherrscht. Laura Ruiz Ferreres ist mehrfache Preisträger<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>ternationaler Wettbewerbe und konzertiert regelmäßig als<br />

Solist<strong>in</strong>, Kammermusiker<strong>in</strong> und Orchestermusiker<strong>in</strong> mit den<br />

bedeutendsten Ensembles und Dirigenten unserer Zeit.<br />

Ihre eigenen Erwartungen an ihre Arbeit an der <strong>HfMDK</strong> s<strong>in</strong>d für<br />

sie selbstverständlich sehr hoch. Dabei ist sie absolut motiviert,<br />

e<strong>in</strong>e führende Klasse <strong>in</strong> <strong>Frankfurt</strong> aufzubauen.<br />

Über ihre künstlerischen und pädagogischen Schwerpunkte äußert<br />

sie selbst :<br />

„Das Hauptziel ist natürlich die Vorbereitung me<strong>in</strong>er Studierenden<br />

auf die Berufswelt mit den Schwerpunkten auf e<strong>in</strong>er soliden<br />

technischen Entwicklung sowie der Ausbildung e<strong>in</strong>er reifen<br />

musikalischen Persönlichkeit.<br />

Die Studierenden sollten e<strong>in</strong>e sehr breit gefächerte Ausbildung<br />

absolvieren, so dass sie sich mit den verschiedensten Stilen<br />

identifizieren und diese auch <strong>in</strong>terpretieren können.<br />

Neue Musik sollte unbed<strong>in</strong>gt zum Alltag e<strong>in</strong>es Klar<strong>in</strong>ettisten<br />

gehören. Nicht nur, weil Neue Musik die Zukunft überhaupt<br />

repräsentiert, sondern auch, weil sie den größten Teil unseres<br />

Repertoires ausmacht.<br />

Weil ich beide – das französische wie auch das deutsche – Klari-<br />

nettensysteme studiert habe, fühle ich mich sehr privilegiert und<br />

b<strong>in</strong> daher <strong>in</strong> der Lage, beide Systeme zu unterrichten. Ich b<strong>in</strong><br />

überzeugt, dass das Zusammenleben beider Systeme <strong>in</strong> unserer<br />

neuen Klasse sehr positiv se<strong>in</strong> wird. Die permanente Analyse und<br />

Auswertung der unterschiedlichen klanglichen und technischen<br />

Möglichkeiten kann e<strong>in</strong> großer Vorteil für alle Studierenden<br />

bedeuten.“<br />

Experte für<br />

historisches Oboespiel<br />

Benoit Laurent ist seit dem Sommersemester<br />

Professor an der <strong>HfMDK</strong><br />

Von Prof. Michael Schneider<br />

Benoit Laurent unterrichtet seit dem Sommersemster 2010 als<br />

Professor für Historische Oboe an der <strong>HfMDK</strong>. Er studierte<br />

zunächst Blockflöte und moderne Oboe <strong>in</strong> Belgien, wandte sich<br />

dann dem historischen Oboenspiel zu und absolvierte e<strong>in</strong> Studium<br />

<strong>in</strong> Würzburg. 2008 gewann er als erster Oboist e<strong>in</strong>en Preis im<br />

renommierten Wettbewerb Musica Antiqua Brugge. Regelmäßig<br />

konzertiert er mit führenden Ensembles der Alte Musik-Szene wie<br />

Concerto Köln, Amsterdam Baroque Orchestra, Orchestre des<br />

Champs Elysées, B’rock, Il Gardell<strong>in</strong>o und anderen. Benoit Laurent<br />

unterrichtet leidenschalftlich gern. Gerade auch die Vermittlung<br />

aufführungspraktischer Erkenntnisse an “moderne” Instrumentalisten<br />

ist ihm e<strong>in</strong> besonderes Anliegen. Er erweitert <strong>in</strong> idealer<br />

Weise das Team der Lehrenden <strong>in</strong> der Abteilung Historische<br />

Interpretations-Praxis<br />

47


48 Persönliches<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 10/2<br />

Das Trio Atanassov siegte<br />

In der <strong>HfMDK</strong> traten zehn hochkarätige Kammermusikensembles beim<br />

2. Internationalen Commerzbank-Kammermusikpreis gegene<strong>in</strong>ander an.<br />

Das „Trio Atanassov“ mit Perceval Gilles (Viol<strong>in</strong>e), Sarah Sultan<br />

(Violoncello) und Pierre-Kaloyann Atanassov (Klavier) ist erster<br />

Preisträger des 2. Internationalen Commerzbank-Kammermusikpreises,<br />

der im September <strong>in</strong> der <strong>HfMDK</strong> <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

ausgetragen wurde. Die jungen Franzosen erhielten damit e<strong>in</strong><br />

Preisgeld <strong>in</strong> Höhe von 15.000 Euro. Mit e<strong>in</strong>em Konzert des<br />

Siegertrios im Mozart Saal der Alten Oper <strong>Frankfurt</strong> g<strong>in</strong>g der<br />

Wettbewerb im Rahmen des Auftakt-Festival 2010 zu Ende. Auf<br />

den zweiten Platz wählte die Jury das „Trio Rafale“ mit Daniel<br />

Meller (Viol<strong>in</strong>e). Flur<strong>in</strong> Counz (Violoncello) und Maki Wiederkehr<br />

(Klavier). Platz drei vergaben sie an das „Trio Imàge“ mit Gergana<br />

Gergova (Viol<strong>in</strong>e), Thomas Kaufmann (Violoncello) und Pavl<strong>in</strong><br />

Nechev (Klavier). Insgesamt zehn Ensembles aus sechs verschie-<br />

Impressum<br />

<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> – Magaz<strong>in</strong> der Hochschule für Musik<br />

und Darstellende Kunst <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

Eschersheimer Landstraße 29–39, 60322 <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong>,<br />

www.hfmdk-frankfurt.de<br />

Herausgeber Thomas Rietschel, Präsident der <strong>HfMDK</strong><br />

Idee und Konzept Dr. Sylvia Dennerle,<br />

sylvia.dennerle@hfmdk-frankfurt.de; Telefon 069/154 007 170<br />

Redaktion Björn Hadem (bjh), bhadem@arcor.de<br />

Autoren Ralph Abele<strong>in</strong>, Tilman Allert, Christopher Brandt,<br />

Hubert Buchberger, Sibylle Cada, Dr. Julia Cloot, Beate Eichenberg,<br />

Dr. Wolfgang Eimer, Christiane Engelbrecht, Björn Hadem (bjh),<br />

Dieter Heitkamp, Jörg Heyer, Werner Jank, Julian Kle<strong>in</strong>,<br />

Gerhard Koch, Laura L<strong>in</strong>nenbaum, Gerhard Mantel,<br />

Dr. Mart<strong>in</strong>a Peter-Bolaender, Thomas Rietschel, Ra<strong>in</strong>er Römer,<br />

Udo Samel, Christoph Schmidt, Klaus Schuhwerk, Yurgen Schoora,<br />

Dr. Gerald Siegmund, Sab<strong>in</strong>e Stenzel, Jagoda Szmytka<br />

l<strong>in</strong>ks:<br />

Das „Trio Atanassov“ siegte beim<br />

2. Internationen Commerzbank-Kammermusikpreis.<br />

rechts oben:<br />

Feedback nach der Juryentscheidung:<br />

Michael Sanderl<strong>in</strong>g im Gespräch<br />

mit Teilnehmern des Wettbewerbes.<br />

rechts:<br />

Die Jury mit (von l<strong>in</strong>ks)<br />

Hartmut Rohde, Julia Fischer,<br />

Michael Sanderl<strong>in</strong>g, Angelika Merkle<br />

und Johannes Moser.<br />

denen Nationen hatten sich <strong>in</strong> den Semif<strong>in</strong>al- und F<strong>in</strong>alrunden im<br />

Kle<strong>in</strong>en Saal der Hochschule dem musikalischen Wettstreit gestellt.<br />

Neben dem Klaviertrio war <strong>in</strong> diesem Jahr auch das <strong>in</strong>nerhalb der<br />

klassischen Kammermusikliteratur eher seltenere Genre Klavierquartett<br />

zu hören. Die diesjährige Jury des zweiten Internationalen<br />

Commerzbank Kammermusikpreises, der im Jahr 2008 zum ersten<br />

Mal stattgefunden hatte, tagte unter dem Vorsitz des <strong>HfMDK</strong>-<br />

Violoncello-Professors Michael Sanderl<strong>in</strong>g. Ebenfalls Mitglieder der<br />

Jury waren Julia Fischer (Viol<strong>in</strong>e), Hartmut Rohde (Viola), Johannes<br />

Moser (Violoncello) und Angelika Merkle (<strong>HfMDK</strong>-Professor<strong>in</strong><br />

für Klavier-Kammermusik). Als Special Juror ergänzte der Pianist<br />

Christian Zacharias bei der F<strong>in</strong>alentscheidungdie Jury.<br />

Titelmotiv Probe zu „Visualisierte Musik“ <strong>in</strong> der Wartburg <strong>in</strong> Wiesbaden<br />

Fotos Björn Hadem (40), Wonge Bergmann, Thomas Dashuber,<br />

Udo Hesse, Dietmar Janeck, Priska Ketterer, Mart<strong>in</strong> Rottenkolber<br />

Layout Opak Werbeagentur GmbH,<br />

Münchener Str. 45, 60329 <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

Anzeigen Björn Hadem (es gilt die Preisliste 01/2009)<br />

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Druck VARIO PLUS Druck GmbH,<br />

Fl<strong>in</strong>schstr. 61, 60388 <strong>Frankfurt</strong> am Ma<strong>in</strong><br />

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Konto 200 138 090, BLZ 500 502 01, Fraspa 1822<br />

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49


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