Von Hexen, Heiligen und Halunken
Oberbayern
Die Hexe von Menzing
Ein Bursche ging einmal zur Nachtzeit zum Kammerfenster seiner Geliebten,
die im Dorf Menzing an der Würm wohnte. Als er sich dem Haus näherte,
sah er das Zimmer der Dirne hell erleuchtet, und als er neugierig hineinblickte,
gewahrte er, wie das Mädchen einen Bund Stroh zusammenrichtete
und diesen mit allerlei Bändern und Flitterwerk zierte.
Nach einigem Zögern klopfte der Bursche an das Fenster und fragte
die Dirne, was sie denn mache. Diese gab zur Antwort: »Ich fahre aus;
wenn du mit mir reisen willst, so kannst du dich zu mir setzen. Rede aber
kein Wort, sonst bist du unglücklich.« Der Bursche war neugierig, zu wissen,
was seine Geliebte treibe, er stieg hinein und setzte sich auf den Bund
Stroh mit dem Versprechen, zu schweigen. Das Mädchen nahm eine Büchse
aus der Tasche ihres Kleides, bestrich sich und den Geliebten mit einer
Salbe die Nase und begann darauf die Reise. Diese ging durch den Kamin
hinaus und dann durch die Luft fort und fort in weit entfernte Gegenden.
Da fuhren sie einmal ganz nahe an einem Weinkeller vorüber, wo man
eben mit vielen Fackeln beschäftigt war. Da der Zug etwas niedrig ging,
glaubte der Bursche, die Leute, die dem Strohbund so nahe kamen, möchten
ihn anzünden, und in der Angst schrie er auf. Augenblicklich lag er auf
dem Boden, während die Dirne mit dem Strohbund seinen Blicken entschwand
und ihre Luftreise unbekümmert um ihn fortsetzte.
Der Keller, bei dem er auf den Boden gelangte, lag bei Wien. Zufällig
war der Kellermeister ein alter Bekannter von ihm, den er früher in München
kennengelernt hatte. Mit dessen Hilfe gelang es ihm, seine Reise in
die Heimat zu bewerkstelligen.
Als er wieder nach Menzing kam, traf er seine Geliebte auf dem Feld
bei der Arbeit. Die Vorwürfe, die er ihr machte, rührten sie nicht, sondern
sie sprach bloß: »Ich habe dir gesagt, du sollst schweigen. Hättest du geschwiegen,
so hättest du mit mir auf den Blocksberg zum Tanz fahren können.
Ich war dort recht lustig und bin nach vierzehn Tagen schon wieder zu
Hause gewesen, während du einen schönen Umweg hast nehmen müssen.«
Dirne: hier: Magd
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SAGEN AUS BAYERN
Die Reise beginnt im heutigen Obermenzing,
einem Stadtteil der bayerischen Landeshauptstadt München, das als Menzing bereits 782
zum ersten Mal erwähnt wird. Nach guten 500 km Wegstrecke erreicht die Hexe der Sage
den Blocksberg. Der Brocken im Harz, der höchste norddeutsche Berg und im Volksmund
gerne Blocksberg genannt, steht seit vielen Jahrhunderten in dem Ruf, ein Hexentreffpunkt
zu sein. Dass seine Hänge an über 300 Tagen im Jahr von dichtem Nebel verschleiert werden,
hat sicherlich zu diesem Ruf und seinen zahlreichen Auftritten in der deutschen Sagenwelt
beigetragen.
Der SchloSSberg bei Wolfratshausen
Der Erzähler, ein Greis von achtundachtzig Jahren, wußte sich des Ortes,
wo der Schloßberg steht, nicht mehr zu entsinnen. »In der Nähe von
Wolfratshausen«, sagte er, »ist ein Schloßberg, wo einst ein von drei Fräulein
bewohntes Schloß stand, das aber versunken ist. Da liegt ein Schatz
verborgen, von dem einst ein mutiger Mann soviel nahm, als er tragen
konnte. Das ging so zu:
Zuerst beichtete er und nahm ein geweihtes Amulett unseres Herrgotts
und der Heiligen Jungfrau auf die Brust, damit ihm der Böse nicht schaden
konnte. So nahte er sich dem Platz, wo vor der Höhle ein schwarzer Hund
mit glühenden Augen saß, der ihm aber den Eingang nicht verwehrte.
Er gelangte in ein Zimmer und erblickte drei Jungfrauen in drei Betten
liegend. Eine von diesen Jungfrauen – oben weiß, unten schwarz – war
wach; die beiden anderen schliefen. Als der Mann das feine Bettzeug bewunderte,
sagte ihm die halb schwarze, halb weiße Jungfrau, er solle es nur
mit dem Finger befühlen; aber das Feuer war so mächtig, daß es ihm gleich
die Fingerspitze verbrannte. Er ließ sich aber dadurch nicht abschrecken,
sondern ging auf die beiden mit Geld gefüllten Kisten zu.
Auf einer Kiste lag eine Schlange, den Schlüssel im Maul, den sie sich
willig nehmen ließ. Er öffnete die Kiste, und die halb schwarze, halb weiße
Jungfrau sagte ihm, er solle nur nicht mehr nehmen, als er tragen könne,
was er auch befolgte.
Heraus kam er ohne Plagen, aber desto mehr hatte er auf dem Heimweg
zu bestehen. Der Teufel erschien ihm in allerlei Gestalten und fuhr auf ihn
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