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AUFTRAG_283_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten

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SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK<br />

Weltfriedenstag 2011<br />

Über Interessen, Wege zum Frieden und Religion 1<br />

12<br />

enn man die Geschichte der<br />

WMenschheit in ihren großen Entwicklungslinien<br />

betrachtet, fallen erstaunliche<br />

Konstanten und Veränderungen<br />

auf. Zu den Konstanten der<br />

Menschheitsgeschichte gehört, dass<br />

die Menschen Interessen verfolgen.<br />

Das wird vermutlich auch in Zukunft<br />

so bleiben. Zu den Interessen gehört,<br />

dass Menschen nicht alle die gleichen<br />

verfolgen, sondern unterschiedliche<br />

– teilweise auch sehr unterschiedliche<br />

– zu verschiedenen Zeiten, mit<br />

unterschiedlichen Dringlichkeiten.<br />

Aus dieser Unvermeidlichkeit von Interessen,<br />

ihren unterschiedlichen Gewichtungen<br />

und Bedeutungen, die sie<br />

für die Menschen haben, ergibt sich<br />

die Unvermeidlichkeit von Konflikten.<br />

Deshalb ist die Geschichte der<br />

Menschheit auch eine Geschichte von<br />

Konflikten.<br />

Dabei gibt es – wiederum ganz<br />

prinzipiell betrachtet – zwei Typen<br />

des Umgangs mit unterschiedlichen<br />

Interessen: Der eine ist der Weg der<br />

Vereinbarung, des Einverständnisses<br />

mit anderen, der vertraglichen Regelung<br />

von Interessen. Der andere ist die<br />

sozusagen eher „rustikale“ Variante,<br />

mit Ellbogenkraft oder mit Einsatz von<br />

Gewalt Interessen durchzusetzen. Für<br />

beide Modelle der Interessenwahrnehmung<br />

mit ihren vielfältigen Ausprägungen<br />

finden wir in der Menschheitsgeschichte<br />

zahllose Beispiele.<br />

Die problematischste Form der<br />

Durchsetzung von Interessen ist fraglos<br />

die Anwendung von Gewalt. Sie ist<br />

deswegen aber keineswegs besonders<br />

selten, sondern bei nüchterner Betrachtung<br />

leider ziemlich häufig. Wo-<br />

1 Dieser Beitrag beruht auf einer<br />

Rede, die am 10. März 2011<br />

anlässlich des Festaktes der<br />

<strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong><br />

Collegium Josephinum in Bonn, gehalten<br />

wurde. Durch die Bemühung<br />

des Chefredakteurs der Zeitschrift<br />

Kompass Josef König konnte die frei<br />

gehaltene Rede niedergeschrieben,<br />

autorisiert und hier den Lesern präsentiert<br />

werden.<br />

2 Prof. Dr. Norbert Lammert (CDU) ist<br />

Bundestagspräsident des Deutschen<br />

Bundestages<br />

VON NORBERT LAMMERT 2<br />

bei es sowohl offene Formen der Anwendung<br />

von Gewalt wie sehr subtile<br />

Formen gewalt-tätiger Interessenverfolgung<br />

gibt. Nach meinem Verständnis<br />

gibt es nun zwei große Versuche<br />

in der Menschheitsgeschichte, Gewalt<br />

zu domestizieren. Der eine große Versuch<br />

ist die Religion und der andere<br />

die Politik.<br />

Religion ist der Versuch, Gewalt<br />

einzuhegen und zu überwinden durch<br />

Sinnstiftung, durch Orientierung,<br />

durch verbindliche Verhaltensmuster,<br />

durch Wertüberzeugungen, die<br />

das individuelle Verhalten und das<br />

gesellschaftliche Miteinander prägen.<br />

Gleichwohl ist die Ambivalenz<br />

von Religionen hinsichtlich ihrer Wirkung<br />

quer durch die Menschheitsgeschichte<br />

nicht zu übersehen. Die Religionsgeschichte<br />

der Menschheit ist<br />

ebenso eine Geschichte des Versuchs,<br />

Überzeugungen mit Gewalt Geltung<br />

zu verschaffen. Vor den großen Weltkriegen<br />

des letzten Jahrhunderts waren<br />

die blutigsten Auseinandersetzungen,<br />

die dieser Kontinent gesehen hat,<br />

durch Religionskriege verursacht. Sie<br />

haben übrigens nicht stattgefunden –<br />

was man der Vollständigkeit halber<br />

wieder ins Bewusstsein bringen muss<br />

– auf Grund von Auseinandersetzungen<br />

zwischen Christen und Muslimen<br />

oder Juden oder anderen Religionsgemeinschaften,<br />

sondern durch den,<br />

wie wir aus heutiger Sicht fassungslos<br />

zur Kenntnis nehmen, grotesken<br />

Wettbewerb von sich in unterschiedlichen<br />

Kirchen organisierenden Christen<br />

untereinander.<br />

Politik ist hingegen der Versuch,<br />

die Anwendung von Gewalt durch für<br />

alle verbindliche Verfahrensregeln,<br />

durch staatliche Gesetze, die für alle<br />

gelten, zu verhindern. Beide Domestizierungsversuche<br />

sind, salopp gesprochen,<br />

historisch betrachtet nicht<br />

rundum erfolgreich gewesen. Anders<br />

formuliert: Sie hatten nur eine<br />

begrenzte Durchsetzungswirkung,<br />

jedenfalls haben sie nachweislich<br />

bis ins 21. Jahrhundert hinein der<br />

weit verbreiteten Versuchung, Interessen<br />

mit Gewalt durchzusetzen,<br />

nicht ein für allemal Einhalt gebieten<br />

können.<br />

Dass der Staat mit seinem Anspruch<br />

der Monopolisierung von Gewalt<br />

und der damit gleichzeitig verbundenen<br />

Unterbindung privater Gewaltanwendung<br />

nicht erfolgreicher<br />

war, ergibt sich selbst bei einem oberflächlichen<br />

Blick in die Geschichte.<br />

Dies gilt leider nicht nur auch,<br />

sondern in besonderem Maße, für<br />

die deutsche Geschichte. Und es ist<br />

ebenso eine Tatsache, dass auch der<br />

deutsche Nationalstaat nicht durch<br />

Einvernehmen, nicht durch Verträge,<br />

sondern durch Kriege entstanden ist.<br />

Die Frankfurter Nationalversammlung,<br />

die den ersten Versuch unternommen<br />

hat, nationale Einheit auf<br />

dem Wege von demokratischen Abstimmungen<br />

und vertraglichen Vereinbarungen<br />

herbeizuführen, ist genau<br />

damit bekanntlich jämmerlich<br />

gescheitert. Zustande gekommen ist<br />

der deutsche Nationalstaat dennoch.<br />

Ein knappes halbes Jahrhundert später,<br />

nicht durch Wahlen, nicht durch<br />

Verträge, sondern durch Kriege. Und<br />

die beiden deutschen Demokratien,<br />

die sich im vergangenen Jahrhundert<br />

entwickelt haben, waren nicht nur in<br />

enger zeitlicher Folge, sondern auch<br />

in einem Kausalzusammenhang mit<br />

den beiden verheerenden Weltkriegen<br />

verbunden, an deren Ausbruch und<br />

an deren Entwicklung Deutschland<br />

maßgeblich beteiligt war. Mit anderen<br />

Worten: Gewalt ist leider kein trauriges<br />

Merkmal lange zurückliegender<br />

Epochen, sondern zieht sich wie ein<br />

roter Faden, gleichsam als Blutspur,<br />

durch die Menschheitsgeschichte bis<br />

in unsere Tage.<br />

Dies hatte gewiss nicht zufällig,<br />

sondern, wie ich finde, sehr einleuchtend,<br />

zu zwei ganz unterschiedlichen<br />

Schlussfolgerungen geführt, die beide<br />

ihre eigene Logik haben, obwohl sie<br />

sich erkennbar im Wege stehen. Die<br />

eine tritt auf als die bei vielen Menschen<br />

– insbesondere bei denjenigen,<br />

die Krieg selber erfahren haben – tief<br />

sitzende Überzeugung: „Nie wieder<br />

Krieg!“, mit welchem Ziel auch im-<br />

<strong>AUFTRAG</strong> <strong>283</strong> • SEPTEMBER 2011<br />

5

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