ICH BRINGE MICH UM
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LESEPROBEN AUS DEM MITTELTEIL DES BUCHES<br />
Natürlich bezieht sich Goethe hier auf Kleopatras Tod. Goethe war nicht nur Dichter<br />
und Schriftsteller, er war ein Universalgenie, das auch in den Naturwissenschaften<br />
bestes bewandert war. Umso erstaunlicher ist es, wenn er die Selbsttötung durch den<br />
Biss einer Natter, als die raffinierteste, schnellste und schmerzloseste Art bezeichnet.<br />
Wollte er hier den Mythos, die Verherrlichung um den Tod der Kleopatra unangetastet<br />
lassen, oder wusste er wirklich nicht, wie langsam und schmerzvoll der Tod durch den<br />
Biss einer Natter ist<br />
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Unter Medizinern und Psychiatern herrscht bis heute die Meinung vor, dass der<br />
Großteil der Menschen, die sich umbringen oder umbringen wollen, psychisch krank<br />
waren beziehungsweise sind. Der Suizid ist also primär eine Folge von psychischer<br />
Erkrankung. Umso besser sagen die Psychiater, denn psychische Krankheiten, vor<br />
allem Depressionen, sind heute großteils heilbar beziehungsweise gut zu behandeln.<br />
Und wer erfolgreich behandelt, also auch und vor allem medikamentiert wird, hat<br />
keinen Hang mehr zur Selbsttötung. Die Selbsttötung bleibt in den Augen der<br />
Psychiater und Mediziner eine nicht optimale Problemlösung. Die „freie“ Entscheidung<br />
zur Selbsttötung ist ihrer Meinung nach so gut wie nie gegeben, weil Menschen, die<br />
psychisch krank sind, nicht frei sind. Und der Großteil (Zahlen von 90 und 95 Prozent<br />
werden von vielen genannt) der Menschen, die sich umbringen, sind psychisch krank.<br />
Selbst wenn diese Zahlen stimmen sollten, selbst wenn sich bei einem Großteil<br />
der Suizidenten eine psychische Erkrankung, belegen lässt, bleibt es<br />
unwissenschaftlich und unerlaubt den Rückschluss zu ziehen und zu behaupten, diese<br />
psychischen Erkrankungen seien die alleinigen, primären und wirklichen Ursachen für<br />
eine Selbsttötung. Der amerikanische Psychologe James L. Werth schreibt dazu:<br />
„ ... die Tatsache, dass jemand unter einer psychischen Störung litt, heißt nicht, dass<br />
diese auch für seinen Tod (Selbsttötung) ursächlich war. Eine Korrelation kann nicht als<br />
Ursache gesehen werden.“ 2<br />
Die Aussagen und Schlüsse des medizinischen „Krankheits-Modells“, erinnern in<br />
erschreckender Weise an den Dogmatismus der kirchlichen Verdammung.<br />
Psychologen und Mediziner, die den Suizidenten grundsätzlich als kranken Menschen<br />
sehen, die diesen Menschen die Möglichkeit der freien Entscheidung absprechen,<br />
entmündigen die Menschen heute so, wie es die Kirche früher getan hat.<br />
Der Respekt für den einzelnen, selbstbestimmten und freien Menschen bleibt<br />
hier wie dort auf der Strecke.<br />
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2 James L. Werth: Rational Suicide, Washington 1996, S. 29.