Grundschule aktuell 110
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www.grundschulverband.de · Mai 2010 · D9607F<br />
<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong><br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft <strong>110</strong><br />
Grundschrift<br />
damit Kinder besser schreiben lernen
Herbsttagung des Grundschulverbandes<br />
12. / 13. November 2010 | Individuell fördern –<br />
Kompetenzen stärken: Klassen 1 und 2<br />
Fördern ist eine zentrale pädagogische Aufgabe. Doch wie<br />
fördert man so, dass die Kinder gestärkt und selbstständiger<br />
werden? Förderung hat oft den fatalen Effekt, dass die Hilflosigkeit<br />
der Kinder nur noch verstärkt wird. Einmal Förderkind,<br />
immer Förderkind, das der Entwicklung in der Klasse<br />
hinterherläuft, ohne jemals das Erlebnis von nachhaltigem<br />
Erfolg zu haben.<br />
Der Grundschulverband erarbeitet ein Förderkonzept, das<br />
Kinder stärken und zuversichtlich machen kann. Es soll die<br />
vorhandenen Kompetenzen herausfordern und ihre Weiterentwicklung<br />
unterstützen. Es soll Selbst differenzierung ermöglichen<br />
und Selbstwirksamkeit erfahren lassen.<br />
Thematik<br />
der Tagung<br />
Tagungsverlauf<br />
Referentinnen<br />
und Referenten<br />
Zurzeit werden im Grundschulverband<br />
Fördermaterialien und -aufgaben für<br />
die Schuleingangs-Phase erarbeitet:<br />
– für den Übergang vom vorschulischen<br />
Bereich in die <strong>Grundschule</strong>,<br />
– für Deutsch, einschließlich Deutsch als<br />
Bildungssprache / als Zweitsprache,<br />
– für Mathematik.<br />
Die Leiterinnen und Leiter dieser Bereiche<br />
stellen auf der Tagung ihre Überlegungen<br />
und die bereits erarbeiteten Materialien<br />
und Aufgaben zur Diskussion.<br />
Zusammen mit den Erfahrungen der<br />
Teilnehmer/innen kann die Tagung zur<br />
Entwicklung schulbezogener Förderkonzepte<br />
beitragen – jenseits der schlichten<br />
Mechanik: Diagnose eines Defizits<br />
und »gezielte« Förderung mit Hilfe einer<br />
Karteikarte (eines Arbeitsblattes, eines<br />
Förderheftes …).<br />
Freitag, 12. November 2010, ab 15 Uhr<br />
Vorstellung des Förderkonzepts,<br />
Impuls referate zu den Förderbereichen:<br />
Übergang in die <strong>Grundschule</strong>,<br />
Deutsch und Mathematik Klasse 1 und 2<br />
abends: offene Gesprächsrunde zum<br />
Thema Ausgangschrift: Grundschrift (siehe<br />
das Mai-Heft von <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>)<br />
Samstag, 13. November 2010, bis 15 Uhr<br />
vormittags: Arbeitsgruppen zu den<br />
Förderbereichen mit einmaligem Wechsel<br />
nachmittags: schulbezogene<br />
Förderkonzepte, Ausblick<br />
Dr. Horst Bartnitzky, Prof. Dr. Havva Engin,<br />
Ulrich Hecker, Maresi Lassek,<br />
Prof. Dr. Marcus Nührenbörger und andere<br />
Zielgruppe<br />
Tagungsbeitrag<br />
Anmeldung<br />
Die Tagung richtet sich an alle, die in<br />
der und für die <strong>Grundschule</strong> tätig sind.<br />
Die Teil nehmerzahl ist bei Einzelzimmern<br />
begrenzt auf 60.<br />
Bei Nutzung von zehn Doppel zimmern<br />
können bis zu 80 Personen teil nehmen.<br />
Mitglieder des Grundschul verbandes<br />
werden vorrangig berücksichtigt.<br />
Für Mitglieder des Grundschulverbandes<br />
140 Euro (Doppelzimmer 130 Euro),<br />
für Nicht-Mitglieder 190 Euro<br />
(Doppelzimmer 180 Euro).<br />
Im Tagungspreis enthalten sind die Kosten<br />
für Übernachtung und Verpflegung sowie<br />
der Transfer vom und zum Frankfurter<br />
Hauptbahnhof.<br />
Die Anmeldung kann erfolgen:<br />
– per Post: Grundschulverband,<br />
Niddastr. 52, 60329 Frankfurt,<br />
– per Mail: info@grundschulverband.de<br />
– oder über die Homepage:<br />
www.grundschulverband.de<br />
Verbindlich ist die Teilnahme erst nach<br />
Zahlungseingang des Tagungsbeitrages<br />
bis 15. Juni 2010.<br />
Stornogebühren nach dem 15. Sept. 2010:<br />
100 Euro<br />
Bankverbindung:<br />
Postbank Frankfurt, BLZ 500 100 60<br />
Konto Nr. 19 56 71 605<br />
Bitte bei der Anmeldung angeben:<br />
Vollständige Anschrift mit Mailadresse;<br />
Mitglied ja – nein;<br />
Anreise mit Auto oder Zug;<br />
derzeitige Funktion im Schulbereich;<br />
mögliche Doppelzimmernutzung<br />
Ort<br />
Martin-Niemöller-Haus in Schmitten<br />
(in der Nähe von Frankfurt am Main)<br />
Für Bahn reisende wird ein Shuttle-Bus zur<br />
Tagungs stätte organisiert.
Inhalt<br />
Editorial<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Schrift – Schreiben – Schule (U. Hecker)<br />
Thema: Grundschrift<br />
S. 3 Grundschrift – auf einen Blick<br />
S. 4 Grundschrift – damit Kinder besser schreiben<br />
lernen (H. Bartnitzky)<br />
Praxis: Grundschrift<br />
S. 9 Kinder – Hand – Schrift (U. Hecker)<br />
S. 13 Grundschrift: Kartei zum Lernen und Üben:<br />
zum Beispiel »a«, »n«, »u«, »D«<br />
(mit Kommentaren von Ch. Mahrhofer-Bernt)<br />
S. 17 Druckschrift als einzige Schrift – Erfahrungen<br />
(L. Bode / Th. Winzen)<br />
S. 20 Schreiben mit Schwung<br />
(B. van der Donk / L. Kindler)<br />
Aus der Forschung<br />
S. 23 Plädoyer für eine Schrift ohne normierte<br />
Verbindungen (W. Menzel)<br />
S. 26 Schreibenlernen mit der Hand: Populäre Mythen<br />
und Irrtümer (Ch. Mahrhofer-Bernt)<br />
Einsichten und Ansichten<br />
S. 31 Kleine Kulturgeschichte der Handschrift<br />
(J. van der Ley)<br />
Aktuell …<br />
… aus den Landesgruppen, u. a.<br />
S. 36 Bayern: Kompetenzorientierung und Lehrerbildung<br />
S. 37 Hamburg: Schulreform per Volksentscheid?<br />
S. 39 Mecklenburg-Vorpommern:<br />
Selbstständige Schule<br />
Impressum<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes<br />
erscheint viertel jährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.<br />
Das einzelne Heft kostet 5 €; für Mitglieder und bei Sammelbestellungen<br />
ab 10 Hefte 3 € (inkl. Versand).<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Niddastraße 52,<br />
60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Dr. Horst Bartnitzky<br />
(für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />
Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers,<br />
Tel. 0 28 41 / 2 17 14, ulrich.hecker@googlemail.com<br />
Fotos: Bert Butzke, Mülheim/Ruhr (Titel, S. 7, 18, 24, 25),<br />
Ulrich Hecker (Titel, S. 24, 25)), Autorinnen und Autoren;<br />
Karteikarten »Die Buchstaben«: Katharina Ritter / www.designritter.de<br />
Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung,<br />
Publikationen GmbH, Bödekerstr. 73, 30161 Hannover,<br />
Tel. 0511 / 9 61 69-11, Fax 0511 / 9 61 69-99<br />
Anzeigenverwaltung: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz,<br />
Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86, Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />
Druck: Beltz Druckpartner, 69502 Hemsbach<br />
ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6045<br />
Grundschrift<br />
Ende Januar 2010 führte der Grundschulverband in Frankfurt/M.<br />
ein Fachgespräch mit Vertretern aus Schulpraxis und<br />
Wissenschaft durch. Das zentrale Ergebnis war, eine Ausgangsschrift<br />
zur Erprobung in der Praxis und zur didaktischen Diskussion<br />
öffentlich zu machen: die »Grundschrift«.<br />
Am Frankfurter Fachgespräch haben teilgenommen:<br />
Dr. Horst Bartnitzky (Vors. des Grundschulverbands), Lothar<br />
Bode und Theresia Winzen (<strong>Grundschule</strong> Alpen-Veen), Prof.<br />
Dr. Erika Brinkmann (Pädagogische Hochschule Schwäbisch<br />
Gmünd), Barbara van der Donk und Linda Kindler (<strong>Grundschule</strong><br />
Repelen), Ulrich Hecker (Grundschulrektor, Moers),<br />
Dr. Christina Mahrhofer-Bernt (Sonderschullehrerin und Sonderpädagogin),<br />
Christiane Schüßler (Schulrätin, Düsseldorf).<br />
Prof. Dr. Wolfgang Menzel (Hildesheim) war verhindert, beteiligte<br />
sich aber mit einem Beitrag an der Tagung und wird, wie<br />
die anderen Gesprächsteilnehmer/innen auch, weiter am »Projekt:<br />
Grundschrift« mitarbeiten.<br />
Über die Erfahrungen und Ergebnisse des Fachgesprächs und<br />
wie es mit dem »Projekt: Grundschrift« weitergeht, informiert<br />
dieses Heft.<br />
Aufruf zur Mitarbeit<br />
Mit diesem Heft und mit der Veröffentlichung der Materialien<br />
zur Grundschrift auf der Homepage des Grundschulverbandes<br />
wollen wir mit vielen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt<br />
kommen, Erfahrungen untereinander austauschen und gemeinsam<br />
Wege zu einem kindgemäßen Schreibunterricht gehen. Ergebnisse<br />
der gemeinsamen Arbeit werden im Frühjahr 2011 bei<br />
einer Fachtagung diskutiert und anschließend vom Grundschulverband<br />
veröffentlicht.<br />
Bitte beachten Sie den »Aufruf zur Mitarbeit« auf der Rückseite<br />
dieses Heftes.<br />
Weitere Exemplare des Heftes zur Weitergabe an interessierte<br />
Kolleginnen und Kollegen, zur Diskussion in Fach- oder<br />
Lehrerkonferenzen, in der Hochschule oder im Seminar erhalten<br />
Sie über unsere Geschäftsstelle in Frankfurt: Tel. 0 69 / 77 60 06<br />
oder per E-Mail: info@grundschulverband.de<br />
Auf unserer Homepage finden Sie Materialien und weitere<br />
Informationen zur »Grundschrift«: www.grundschulverband.de<br />
> Grundschrift<br />
Herbsttagung in Schmitten<br />
»Individuell fördern – Kompetenzen stärken« ist das Thema der<br />
schon traditionellen Herbsttagung des Grundschulverbands<br />
in Schmitten (Taunus). In diesem Heft erfolgt die Ausschreibung<br />
der Tagung: Beachten Sie bitte die Anzeige gleich auf der<br />
Umschlagseite links.<br />
He.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
1
Tagebuch<br />
Schrift – Schreiben – Schule<br />
Ulrich Hecker<br />
An das Tippen und Klicken der Computer-Tastaturen<br />
hat sich unser Gehör zwischenzeitlich gewöhnt. Es ist<br />
kaum mehr wahrgenommenes Hintergrundgeräusch wie<br />
Vogel gezwitscher, Musikberieselung oder fernes Autohupen.<br />
Ein Klick führt zu den E-Mails oder ins weltweite<br />
Netz. Noch nie war es so leicht, mit Menschen schriftlich<br />
zu kommunizieren – wo immer sie sein mögen. Und das<br />
in einer verlässlich gut lesbaren Schrift.<br />
Das Schreibverhalten in der Gesellschaft ändert sich,<br />
seit langem und immer noch. Erst die Schreibmaschine,<br />
jetzt der Computer: Maschinen können das Schreiben<br />
mit der Hand ersetzen. Mit Handy, Smartphone oder<br />
Handheld werden auch Alltagsmeldungen und Notizen<br />
immer häufiger elektronisch verfasst. Das, was man heute<br />
als Schreiben bezeichnet, wird zunehmend bloßes Tippen,<br />
könnte man meinen.<br />
Neue Medien verändern neben der eigentlichen<br />
Schreib-Handlung auch die dazu gehörigen Denkprozesse.<br />
Beim Verfassen eines Dokuments werden Grammatik-<br />
und Rechtschreibfehler automatisch markiert, Textteile<br />
lassen sich beliebig ausschneiden und einfügen. Bei<br />
einer Klausur oder einem Brief muss gründlicher überlegt<br />
werden, wie man seinen Textfaden spinnt.<br />
Beim Schreiben mit der Hand schlägt sich das Zusammenspiel<br />
von Gedankenfluss und Schreibbewegung auf<br />
einzigartige Weise auf dem Papier nieder – neurologische,<br />
kognitive und kreative Prozesse werden eingeleitet.<br />
»Schule und Universität sind die letzten Nischen, in denen<br />
die Handschrift noch tragende Bedeutung hat. Lehrern,<br />
Schülern und Studenten wird der Wert einer klaren<br />
und lesbaren Schrift beständig vor Augen geführt«,<br />
schreibt Jules van der Ley in diesem Heft (S. 31).<br />
Durch die zunehmende Nutzung von Computer und<br />
Handy im Lebensalltag aber »verlernen« Kinder und<br />
Jugendliche die Handschrift – oder nehmen sie nicht<br />
(mehr) wichtig. Und zu fragen ist: Unterstützt Schule<br />
nicht manchmal diese Gering-Schätzung des »Schreib-<br />
Handwerks«?<br />
Lehrerinnen und Lehrer registrieren häufig die Unleserlichkeit<br />
von Schülerschriften. Es gibt ein breites Spektrum<br />
von Handschriften in jeder Klasse. Manche sind<br />
gut entwickelt, andere, manchmal sind es viele, erscheinen<br />
hilflos, ungelenk, kaum zu entziffern. Dabei sind das handschriftliche<br />
Festhalten von Gedanken und Ergebnissen,<br />
auch vielfältige Übungsformen in den meisten Fächern<br />
Alltagsgeschäft für Schülerinnen und Schüler. Allerdings<br />
schreiben Kinder und Jugendliche heute in der Schule bedeutend<br />
weniger als in früheren Jahrzehnten. Heute erhalten<br />
sie das meiste als Kopie, und zur Übung oder Lernkontrolle<br />
gibt es einen Lückentext.<br />
Es ist eine Tatsache: Schreiben mit der Hand ist fundamental<br />
wichtig für die Entwicklung des Denkens. Wenn<br />
Kinder Lesen und Schreiben lernen, prägen sie sich die<br />
Form eines Buchstabens gleichzeitig mit dessen Aussprache<br />
und der jeweiligen Schreib-Bewegung ein.<br />
Warum also Kinder das Schreiben nicht gleich auf der<br />
Tastatur lernen sollen? Weil ihr Gehirn dabei kaum sensomotorische<br />
Reize empfängt!<br />
Tippen verlangt nichts anderes als ein einförmiges Auf<br />
und Ab der Finger. Ob das Kind ein a oder ein f tippt, einen<br />
Buchstaben oder eine Zahl – stets bleibt die Bewegung<br />
stereotyp.<br />
Obendrein ist der Handgriff höchst willkürlich: das a<br />
kann mit dem kleinen Finger, mit dem Ringfinger oder<br />
mit dem Daumen gedrückt werden, je nach Zufall oder<br />
Gewohnheit. Schreiben mit der Hand verlangt jeweils besondere<br />
Handbewegungen, die jeweils für nur diesen einen<br />
Buchstaben typisch sind.<br />
Lernen ist Bewegung. Durch Bewegung des eigenen Körpers<br />
lernt der Säugling denken. Beim Vorschul- und<br />
Schulkind fördern feinmotorische Bewegungen der Hand<br />
die sensomotorische Intelligenz. Gefühlte Bewegungen<br />
werden im Gehirn gespeichert. Auf Hand-Schrift bezogen:<br />
»Der Erwerb einer Buchstabenform bedeutet den Aufbau<br />
eines motorischen Programms« (Christina Mahrhofer in<br />
diesem Heft, S. 27).<br />
Wir sehen nicht nur den Buchstaben, sondern wir fühlen<br />
auch die dazugehörige Schreibbewegung. Das Gehirn<br />
simuliert das Schreiben. Wer aber nur am Computer tippt,<br />
wird sich keine geläufige Handschrift aneignen können.<br />
Die pädagogische Devise lautet folglich: Vom (Schreib-)<br />
Handwerk zur (Schreib-) Maschine, nicht umgekehrt.<br />
Kinder brauchen auch und gerade heute in der Schule<br />
Zeiten und Räume, um (ihr) Schreiben mit der Hand erfahren,<br />
üben, erproben und anwenden zu können. Dazu<br />
bedarf es einer neuen Wertschätzung für die Handschrift<br />
in der Schule.<br />
Ulrich Hecker, Grundschulrektor in Moers,<br />
Redakteur von »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />
2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Thema: Grundschrift<br />
Grundschrift, damit Kinder besser schreiben lernen – ein Projekt des Grundschulverbandes<br />
Grundschrift – auf einen Blick<br />
Die Grundschrift<br />
als erste<br />
und einzige<br />
Ausgangsschrift<br />
Die Grundschrift ist eine Schreibschrift, die mit der gedruckten<br />
Leseschrift korrespondiert: Ihre Buchstaben entsprechen der<br />
sog. Gemischten Antiqua, sind aber handgeschrieben.<br />
Die Grundschrift erfüllt alle Anforderungen an eine Schreibschrift:<br />
– Sie ist besonders formklar und deshalb gut lesbar.<br />
– Sie ist funktional für alle Verwendungen der Textproduktion.<br />
– Sie ist mit zunehmender Schreibübung geläufig schreibbar.<br />
– Sie kann bei weiterem Gebrauch zur individuellen Handschrift<br />
weiterentwickelt werden.<br />
Eine weitere Schriftform als zweite Ausgangsschrift ist wegen des Bruchs in<br />
der Schreibentwicklung schädlich. Die in Deutschland bisher verwendeten<br />
Ausgangsschriften: Lateinische, Vereinfachte und Schul-Ausgangsschrift<br />
sind damit historisch überholt.<br />
Zur Form der<br />
Grundschrift<br />
Zum Bewegungsablauf<br />
der<br />
Grundschrift<br />
Zur Schreiblineatur<br />
Zur Entwicklung<br />
der individuellen<br />
Handschrift<br />
●● Die Buchstabenformen sind nicht gedruckte Buchstaben, sondern<br />
handgeschriebene. Sie sind aber nah an den Druckformen, die in den<br />
gedruckten Texten für die Kinder üblicherweise verwendet werden.<br />
●● Um beim weiterführenden Schreiben Buchstabenverbindungen<br />
leichter zu ermöglichen, erhalten die Kleinbuchstaben mit Abstrich am<br />
Ende einen Wendebogen.<br />
●● Vorrang haben bei allen Buchstaben die beiden Prinzipien:<br />
Schreibbewegung von links nach rechts und von oben nach unten.<br />
●● Wo bei verschiedenen Buchstaben gleiche Bewegungsabläufe<br />
möglich sind, werden sie gewählt.<br />
●● Wenn Kinder entgegen den ersten beiden Prinzipien individuell<br />
einen anderen Bewegungsablauf wählen, bei dem sie auch bleiben wollen,<br />
hat der individuell gewählte Ablauf Vorrang. Voraussetzung ist, dass der<br />
Buchstabe formklar und formstabil bleibt.<br />
●● Auf Lineatur wird ganz verzichtet oder sie wird auf eine Grund linie<br />
beschränkt. Vorlagen (Blätter zum Unterlegen) gibt es mit unterschiedlichen<br />
Abständen der Grundlinie, so dass die Kinder die für sie passende<br />
Vorlage wählen können.<br />
●● Vom ersten Schreiben mit der Grundschrift aus entwickeln die<br />
Kinder individuell ihre persönliche Handschrift.<br />
Dieser Prozess wird durch Betrachten von Schriftproben, Experi men tieren<br />
mit Schrift und Beratung durch die Lehrkraft unterstützt.<br />
Dabei werden auch grafisch sichtbare Verbindungen ausprobiert.<br />
Sie sind immer Angebote, nicht Verbindungsvorschrift.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
3
Thema: Grundschrift<br />
Horst Bartnitzky<br />
Grundschrift – damit Kinder<br />
besser schreiben lernen<br />
Warum eigentlich<br />
zwei Ausgangsschriften?<br />
»Warum bringen die <strong>Grundschule</strong>n<br />
den Kindern nicht mehr bei, ordentlich<br />
zu schreiben?« An den weiterführenden<br />
Schulen rissen die Klagen über die<br />
schlechten Schriften nicht ab. Betrachtete<br />
man Schriften der Viertklässler kritisch,<br />
musste man zustimmen: Schriften<br />
zeigten keine formklaren Buchstaben,<br />
Buchstaben verschmolzen bisweilen zu<br />
unleserlichen Krakeln, die Buchstaben<br />
schwankten mal nach links, mal nach<br />
rechts …<br />
Zurück auf Null –<br />
der didaktische Kunstfehler<br />
Die Lehrkräfte einer <strong>Grundschule</strong> am<br />
linken Niederrhein vermuteten, dass<br />
die zweite Ausgangsschrift der didaktische<br />
Kunstfehler war. Die Kinder<br />
erlasen und erschrieben sich ja zuerst<br />
ihren Weg in die Schrift mit der Druckschrift:<br />
Sie lasen Texte in Druckschrift<br />
und schrieben eigene Texte mit eben<br />
dieser Druckschrift. Die Druckschrift<br />
erfüllte alle Funktionen, die Schrift<br />
zum Lesen und zum Schreiben haben<br />
muss. Sie war die erste Schreibschrift<br />
der Kinder.<br />
Dann, gegen Ende des 1. Schuljahrs,<br />
wurde eine zweite Ausgangsschrift eingeführt:<br />
eine verbundene Schrift. An<br />
dieser Schule war es die Vereinfachte<br />
Ausgangsschrift. Damit hatte die erste<br />
Schrift, die Druckschrift, praktisch ausgedient.<br />
Die Lust am Schreiben von eigenen<br />
Texten erhielt einen Rückschlag:<br />
Zurück auf Null. Allerdings: Für das<br />
Einüben dieser zweiten Ausgangsschrift<br />
stand gar nicht mehr so viel Zeit zur<br />
Verfügung, wie sie eigentlich nötig gewesen<br />
wäre, um die Vertracktheiten<br />
auch dieser Schrift mit jedem Kind zu<br />
üben.<br />
Damit stellte sich die Sinnfrage: Die<br />
Kinder hatten doch eine Schrift gelernt,<br />
mit der sie gut und flott eigene Texte<br />
schreiben konnten, die Druckschrift.<br />
Warum sollte nun diese erworbene<br />
Kompetenz nichts mehr gelten, weil eine<br />
zweite Schrift an ihre Stelle trat? Eine<br />
zweite Schrift, die komplizierter war als<br />
die bereits erlernte? Nur, um dann im<br />
Weiteren mit dieser zweiten Schrift die<br />
eigene persönliche Handschrift zu entwickeln?<br />
Das war doch wohl ein unsinniger<br />
Umweg.<br />
Didaktisch konsistenter wäre, die<br />
Kinder mit der Druckschrift weiter<br />
schrei ben zu lassen – während der ganzen<br />
Grundschulzeit und darüber hinaus.<br />
Mit Hilfe der Druckschrift könnten<br />
die Kinder ebenso ihre persönliche, individuelle<br />
Handschrift entwickeln.<br />
Die <strong>Grundschule</strong> entschied, es bei<br />
der Druckschrift als Ausgangsschrift zu<br />
belassen. Fünf Jahre später lobten auch<br />
die weiterführenden Schulen die gut<br />
lesbaren und ordentlichen Schriften der<br />
Kinder aus dieser <strong>Grundschule</strong>.<br />
Es gibt eine Reihe von <strong>Grundschule</strong>n,<br />
die einen ähnlichen Weg gehen. Es<br />
ist ein Weg, der sich didaktisch seit den<br />
achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts<br />
einladend geöffnet hat. ( Siehe die<br />
Beiträge von Bode / Winzen und van der<br />
Donk / Kindler in diesem Heft, S. 17 ff.)<br />
Getrennte Wege zum Lesenund<br />
zum Schreibenlernen<br />
Bis in die achtziger Jahre des vorigen<br />
Jahrhunderts hinein galten Lesen- und<br />
Schreibenlernen als zwei verschiedene<br />
Wege in die Schrift:<br />
●● Lesenlernen in Druckschrift mit einer<br />
bestimmten für den Leselernprozess<br />
günstigen Folge der Buchstaben;<br />
●● Schreibenlernen mit einer verbundenen<br />
Schrift mit einer für das Schreibenlernen<br />
günstigen Buchstabenfolge, mit<br />
vorgegebenen Wörtern und kleinen Sätzen.<br />
Dabei galt das Prinzip, dass rechtschriftlich<br />
nichts falsch geschrieben<br />
werden sollte. Als »Fehlervermeidungsprinzip«<br />
hatte es didaktischen Stellenwert<br />
mit dogmatischer Bedeutung.<br />
Für das Schreibenlernen galt seit<br />
1951 die Lateinische Ausgangsschrift.<br />
Sie war weniger unter schreibmotorischen<br />
als vielmehr unter ästhetischen<br />
Gesichtspunkten entwickelt worden:<br />
mit geflammten Aufstrichen, mit vielen<br />
Drehrichtungswechseln und zum<br />
Teil komplizierten Buchstabenverbindungen.<br />
Damit die Kinder sie erlernen<br />
konnten, gab es bis zur 4. Klasse wöchentlich<br />
besondere »Schönschreibstunden«,<br />
in denen zeilen- und seitenlang<br />
Buchstaben, Buchstabenverbindungen,<br />
kleine Wörter, ganze Sätze geschrieben<br />
wurden – in dieser Reihenfolge.<br />
Ende der sechziger Jahre wurde in den<br />
Ländern der BRD die <strong>Grundschule</strong> als<br />
eigenständige Schulform gegründet. Dabei<br />
gab es neue Stundentafeln und erheblich<br />
umfangreichere Lehrpläne. Schönschreib-Stunden<br />
waren nun nicht mehr<br />
vorgesehen. Damit war nötig geworden,<br />
über eine Schrift nachzudenken, die einfacher<br />
zu erlernen war. Die Vereinfachte<br />
Ausgangsschrift war für die damalige<br />
BRD das Ergebnis, so wie die Schulausgangsschrift<br />
für die damalige DDR.<br />
Der Grundschulverband, damals<br />
hieß er noch Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>,<br />
propagierte für das Schreibenlernen in<br />
den siebziger und achtziger Jahren diese<br />
Vereinfachte Ausgangsschrift und gab<br />
die ersten Schreibübungshefte für diese<br />
neue Ausgangsschrift heraus (Krichbaum<br />
1987).<br />
Eigene Wege der Kinder<br />
in die Schrift<br />
In den achtziger Jahren änderte sich die<br />
Sichtweise zum Schreibenlernen grundlegend.<br />
Dies führte auch zu einer neuen<br />
Sicht auf die Schrift. Das Fehlervermeidungsprinzip<br />
hatte sich, angesichts der<br />
tatsächlichen Wege von Kindern in die<br />
Schrift, als Verhinderungsprinzip herausgestellt.<br />
Das Dogma war ein Bremsklotz<br />
für den Entdeckerweg der Kinder<br />
in die Schrift. Schreibfreudige Kinder, so<br />
die lebenspraktischen wie wissenschaft<br />
4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Thema: Grundschrift<br />
lichen Erfahrungen, erwerben das Richtigschreiben<br />
über verschiedene Strategien,<br />
angefangen bei Kritzelbriefen über<br />
lautorientierte Schreibungen bis zum<br />
Erwerb orthografischer Strategien.<br />
Schriftmotivierte Kinder nehmen<br />
die Schrift unabhängig von orthografischen<br />
Regelsystemen in Gebrauch. Zum<br />
Schreiben verwenden sie unangeleitet<br />
die Druckbuchstaben, vorzugsweise zuerst<br />
die großen Druckbuchstaben. (Zusammenfassend<br />
z. B. in: Bartnitzky u. a.<br />
2009, S. 454 ff.)<br />
Zur raschen Verbreitung dieses didaktischen<br />
Paradigmenwechsels trugen<br />
der Spracherfahrungsansatz bei<br />
(Brügelmann 1983, Spitta 1985) sowie<br />
das Konzept »Lesen durch Schreiben«<br />
(Reichen 1982). Ob »Lesen durch<br />
Schrei ben« oder »Lesen und Schreiben<br />
im Zusammenspiel«, immer ging es um<br />
das eigene Schreiben der Kinder mit<br />
Druckschriftbuchstaben. Die handgeschriebene<br />
Druckschrift wurde mithin<br />
die erste Schreibschrift der Kinder. Die<br />
verbundenen Schriften LA, VA, SAS<br />
erhielten den Rang einer zweiten Ausgangsschrift.<br />
Damit aber stellte sich auch die Frage:<br />
Welchen Sinn macht eine zweite Ausgangsschrift,<br />
wenn doch die erste alle<br />
Funktionen an eine Schreibschrift bereits<br />
erfüllt.<br />
Druckschrift als erste und<br />
einzige Ausgangsschrift<br />
Im Grundschulverband erschien 1997<br />
der erste Artikel, in dem der bisher propagierten<br />
Vereinfachten Ausgangsschrift<br />
wie auch den anderen verbundenen<br />
Schriften der Rang als Ausgangsschrift<br />
abgesprochen wurde: »Ausgangsschrift<br />
muss die Druckschrift sein!« (Bartnitzky<br />
1997, S. 7). 2005 veröffentlichte der<br />
Grundschulverband eine »Empfehlung<br />
zu Schrift und Schrei ben in der <strong>Grundschule</strong>«<br />
mit eindeutigem Votum für die<br />
Druckschrift als erster und einziger<br />
Schreibschrift:<br />
»1. Die Druckschrift als Ausgangsschrift<br />
für das Lesen und Schreiben erfüllt alle<br />
Anforderungen an eine funktionale<br />
Schreibschrift.<br />
2. Aus ihr entwickeln die Kinder ihre<br />
individuelle Handschrift.<br />
3. Eine verbundene Schrift als weitere<br />
Ausgangsschrift ist deshalb überflüssig.«<br />
(<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong> H. 91, S. 11)<br />
Wem die Forderung nach Druckschrift<br />
als erster und einziger Ausgangsschrift<br />
exotisch erscheint, der<br />
sei verwiesen auf zahlreiche Ahnen:<br />
angefangen bei Reformpädagogen zu<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts wie Kuhlmann<br />
(1916) oder Brückl (1933) bis zu<br />
Didaktikern der neueren Zeit wie Wolfgang<br />
Menzel, der 1975 ein entsprechendes<br />
Konzept vorlegte (Menzel 1975, siehe<br />
auch S. 23 ff. in diesem Heft).<br />
Zudem gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse,<br />
die deutlich machen, dass<br />
die Einführung einer zweiten, und<br />
dann verbundenen Ausgangsschrift<br />
sich hemmend auf die Schriftentwicklung<br />
auswirkt:<br />
»… ist es weniger die Druckschrift,<br />
die im Erstschreibunterricht das Schreibenlernen<br />
erschwert. Es ist vielmehr die<br />
im Anschluss an die Druckschrift zu<br />
lehrende Ausgangsschrift. Der Wechsel<br />
wird erschwert, je unterschiedlicher<br />
die beiden Forminventare sind und je<br />
komplexer die Buchstabenformen der<br />
verbundenen Ausgangsschrift, die die<br />
Kinder zusätzlich zum Verbinden der<br />
Buchstaben erwerben müssen« (Mahrhofer<br />
2004, S. 149, siehe auch S. 26 ff. in<br />
diesem Heft).<br />
Die Grundschrift<br />
Angesichts dieser Befundlagen führte<br />
der Grundschulverband Ende Januar<br />
2010 ein Fachgespräch mit Vertretern<br />
aus Schulpraxis und Wissenschaft<br />
durch. Ein Ergebnis war, eine Ausgangsschrift<br />
zur Erprobung in der Praxis<br />
und zur didaktischen Diskussion<br />
öffentlich zu machen: Da der Begriff<br />
»Druckschrift« gemeinhin mit dem<br />
Vorgang des Druckens verbunden wird,<br />
suchten wir einen anderen Begriff für<br />
die handgeschriebenen Druckbuchstaben.<br />
Er sollte die grundlegende Funktion<br />
als erste Schreibschrift deutlich<br />
machen, sowie den Charakter als Ausgangsschrift<br />
für die Entwicklung einer<br />
individuellen Handschrift.<br />
Wir wählten den Begriff Grundschrift.<br />
Zur Form der Grundschrift<br />
Schaut man in die Materialien der<br />
Schulverlage, mit denen das Schreibdrucken<br />
geübt werden soll, sieht man<br />
auf die diversen Anlaut- oder Schreibtabellen,<br />
die doch ein Werkzeug für<br />
das erste Schreiben darstellen, oder<br />
betrachtet man amtliche Vorlagen mit<br />
den handgeschriebenen Druckbuchstaben,<br />
dann fällt eines auf: Die Buchstaben<br />
sind samt und sonders gedruckte<br />
und nicht geschriebene Buchstaben. Als<br />
Beispiel sei die Vorlage aus dem bayerischen<br />
Lehrplan: »Empfohlene Buchstabenformen<br />
für die Druckschrift« wiedergegeben:<br />
Allerdings wird im bayerischen Lehrplan<br />
auch auf bewegungsökonomisch<br />
mögliche Abweichungen verwiesen:<br />
»Die handgeschriebene Druckschrift<br />
weicht aus bewegungsökonomischen<br />
Gründen von der gedruckten Vorlage<br />
ab. Deshalb gelten die Buchstabenformen<br />
als Richtformen. Die Formtreue<br />
muss beim handschriftlichen Drucken<br />
nicht absolut eingehalten werden« (aus:<br />
Bayern: Gesamtlehrplan <strong>Grundschule</strong>,<br />
Anhang Deutsch).<br />
Die Grundschrift soll eine für die<br />
Hand der Kinder geschriebene Schrift<br />
sein. Dies muss schon in der Vorlage<br />
zum Ausdruck kommen.<br />
Dies führt zum 1. Prinzip für die Buchstabenform:<br />
Die Buchstabenformen sind nicht gedruckte,<br />
sondern handgeschriebene<br />
Buchstaben. Sie sind aber nah an den<br />
Druckformen, die in den gedruckten<br />
Texten für die Kinder üblicherweise verwendet<br />
werden.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
5
Thema: Grundschrift<br />
In der Schweiz gibt es ähnliche Bemühungen.<br />
Dort wird die handgeschriebene<br />
erste Schrift mit Druckschriftformen<br />
Basisschrift genannt. Diese Basisschrift<br />
wird in drei Etappen erworben:<br />
Zuerst werden alle Einzelbuchstaben<br />
geübt.<br />
In einem zweiten Schritt wird an die<br />
Einzelbuchstaben mit Abstrich, wie bei<br />
a, d, h, i, m, unten ein Wendebogen angefügt,<br />
der »Basisrundwende« genannt<br />
wird und dem Anschluss an den Folgebuchstaben<br />
dienen soll.<br />
In einem dritten Schritt werden<br />
Buchstabenverbindungen in Wörtern<br />
geübt. (Ausführliche Informationen zur<br />
Schweizer »Basisschrift« finden sich unter<br />
www.schulschrift.ch im Internet.)<br />
Das bedeutet: Die Kinder lernen die<br />
Buchstabenformen in drei Etappen und<br />
verändern sie dabei nach Schreibvorschrift,<br />
um dann auf dem Papier Wort<br />
für Wort eine Buchstaben verbindende<br />
Schrift zu schreiben. Vermutlich ist dies<br />
ein Zugeständnis der Forderung gegenüber,<br />
dass im einzelnen Wort die Buchstaben<br />
optisch sichtbar miteinander zu<br />
verbinden seien.<br />
Auf dem Weg zur individuellen<br />
Handschrift ist dies aber ein Umweg,<br />
weil Handschriften geübter Schreiber<br />
nie alle Buchstaben in grafischer Spur<br />
sichtbar miteinander verbinden. In der<br />
Regel wird auch bei einer verbundenen<br />
Schrift nach drei Buchstaben abgesetzt.<br />
Es gibt dann Luftsprünge im Wort. Die<br />
Verbindung zwischen den Buchstaben<br />
wird dabei nicht unterbrochen, die Spur<br />
erfolgt nur in der Luft und ist nicht als<br />
grafische Spur auf dem Papier sichtbar<br />
(siehe in diesem Heft: Mahrhofer-Bernt,<br />
S. 27).<br />
Die Grundschrift wird deshalb so angelegt,<br />
dass sie diesen Umweg vermeidet.<br />
Die Kinder sollen, mit Unterstützung<br />
der Lehrkraft, die Grundschrift<br />
zu ihrer eigenen individuellen Schrift<br />
entwickeln können. Zudem wird die<br />
Grundschrift so gestaltet, dass sichtbare<br />
Verbindungen von Buchstaben gut<br />
möglich, aber nicht zwingend sind. Deshalb<br />
sollen die Kinder nicht »gestanzte«<br />
Buchstabenformen abmalen, sondern<br />
die Buchstaben flüssig schreiben lernen.<br />
Die Buchstabenformen müssen deshalb<br />
die Bewegung und auch einen möglichen<br />
Anschluss an Folgebuchstaben begünstigen.<br />
Damit kann ein 2. Prinzip zur Buchstabenform<br />
formuliert werden:<br />
Um beim weiterführenden Schrei ben<br />
Buchstabenverbindungen leichter zu<br />
ermöglichen, erhalten die Kleinbuchstaben<br />
mit Abstrich am Ende einen<br />
Wendebogen:<br />
Zum Bewegungsablauf<br />
der Grundschrift<br />
Viele Kinder beginnen mit dem Schreiben<br />
schon vor Schuleintritt. Diese Tendenz<br />
wird sich in den nächsten Jahren<br />
verstärken, je mehr der Elementarbereich,<br />
die Kitas, sich als Bildungseinrichtungen<br />
verstehen und als solche<br />
bildungspolitisch auch unterstützt werden.<br />
Kinder können nicht künstlich<br />
dumm gehalten werden. Sie begegnen<br />
der Schrift, sie erleben Erwachsene,<br />
die schreiben und lesen, sie erfahren<br />
bedeutsame Funktionen von Schrift<br />
lange, bevor sie in die Schule kommen.<br />
Jeder Einkaufszettel, jeder Parkbon,<br />
jeder Aufdruck, jede Einladung zu einem<br />
Geburtstag lehrt sie, dass Schrift<br />
für die Großen etwas Lebensbedeutsames<br />
ist. Wenn Kinder vor der Schule<br />
beginnen, selber zu schreiben, dann<br />
finden sie eigene Bewegungsabläufe für<br />
die Buchstaben. Die sind nicht immer<br />
bewegungsgünstig, aber es sind möglicherweise<br />
schon eingeschliffene und<br />
individuell bevorzugte.<br />
Tatsächlich gibt es einige Anhaltspunkte<br />
für günstige Bewegungsabläufe,<br />
die geläufigeres Schreiben begünstigen<br />
und auf Dauer die Buchstaben formklar<br />
halten: Unsere Schrift hat die Lese- und<br />
Schreibrichtung von links nach rechts.<br />
Es ist also hilfreich, wo immer es geht,<br />
die Schreibbewegung von links nach<br />
rechts zu wählen. Ein Beispiel: Beim<br />
kleinen a oder d könnte zuerst rechts der<br />
Abstrich geschrieben, dann nach links<br />
der Bauch ergänzt werden. Der Buchstabe<br />
wäre klar erkennbar. Dennoch<br />
hindert die Rechts-links-Schreibung<br />
die Schreibgeläufigkeit einer Schrift,<br />
die entgegengesetzt geschrieben wird.<br />
Es werden große Luftsprünge in Gegenrichtung<br />
nötig.<br />
Ein anderer Anhaltspunkt ist die<br />
Muskelbewegung: Bei Aufwärtsstrichen<br />
wird der Fingermuskel gestreckt, bei<br />
Abwärtsstrichen gebeugt. Beugungsbewegungen<br />
sind zielgerichteter auszuführen,<br />
dies gilt für motorisch noch<br />
weniger geübte Kinder umso mehr. Ein<br />
Beispiel: Das große M lässt sich auf verschiedene<br />
Weise schreiben. Sehen wir<br />
nur auf den Anfangsstrich. Er kann von<br />
unten nach oben oder von oben nach<br />
unten geführt werden. Sollen Kinder<br />
ihn senkrecht von unten nach oben,<br />
also aufwärts führen, dann haben sie<br />
Schwierigkeiten, die Spur zu halten, viel<br />
leichter ist dagegen der Abwärtsstrich.<br />
Damit ergibt sich ein 1. Prinzip zum<br />
Bewegungsablauf:<br />
Vorrang haben bei allen Buchstaben die<br />
beiden Prinzipien:<br />
Schreibbewegung<br />
– von links nach rechts und<br />
– von oben nach unten.<br />
Der entsprechende Bewegungsablauf<br />
wird auf den Übungskarten wie folgt<br />
markiert: Beginn und Bewegungsrichtung<br />
sind durch Punkt und Pfeil angegeben.<br />
Bei den Kleinbuchstaben mit<br />
abschließendem Wendebogen wird der<br />
Wendebogen farblich auslaufend markiert,<br />
damit der Abschluss-Schwung<br />
angezeigt wird.<br />
Verschiedene Buchstaben haben eine<br />
teilweise gleiche Struktur, zum Beispiel<br />
R und P oder a und d oder S und s. Es<br />
ist bewegungs-ökonomisch, bei diesen<br />
strukturverwandten Buchstaben den<br />
gleichen Bewegungsablauf einzuüben.<br />
Diese Überlegungen führen zu einem<br />
2. Prinzip für den Bewegungsablauf:<br />
Wo bei verschiedenen Buchstaben<br />
gleiche Bewegungsabläufe möglich<br />
sind, werden sie gewählt. Wir fassen<br />
sie zu Bewegungs gruppen zusammen<br />
(siehe in diesem Heft: Hecker,<br />
S. 9 ff.).<br />
Auf den Buchstabenkarten der Grundschrift<br />
sind die Buchstaben einer Be<br />
6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Thema: Grundschrift<br />
wegungsgruppe in jeweils einer Farbe<br />
wiedergegeben.<br />
Das Material zur Grundschrift gibt<br />
zwar günstige Bewegungsabläufe vor.<br />
Soweit die Kinder aber einen anderen<br />
Ablauf bevorzugen, ist das zu akzeptieren.<br />
Kriterium ist: dass die Buchstaben<br />
formklar geschrieben sind. Es gibt gute<br />
Argumente für die auf den Karten vorgesehenen<br />
Abläufe. Ein Dogma dürfen<br />
sie aber nicht sein, weil auch in diesem<br />
Punkt Kinder individuell zu anderen<br />
Lösungen kommen können, als sich<br />
die Lehrerweisheit ausmalen mag. Unterrichtspraktisch<br />
könnte man Kinder<br />
anhalten, den vorgeschlagenen Weg<br />
auszuprobieren. Kehren sie dann aber<br />
wieder zu ihrer eigenen Schreibweise<br />
zurück, sollte man es dabei belassen.<br />
Damit wird ein 3. Prinzip für den<br />
Bewegungsablauf ergänzt:<br />
Wenn Kinder entgegen den ersten<br />
beiden Prinzipien individuell einen<br />
anderen Bewegungsablauf wählen,<br />
bei dem sie auch bleiben wollen,<br />
hat der individuell gewählte Ablauf<br />
Vorrang. Voraussetzung ist, dass der<br />
Buchstabe formklar und formstabil<br />
bleibt.<br />
Zur Schreiblineatur<br />
Schreiblineaturen für die <strong>Grundschule</strong><br />
gehen immer noch davon aus, dass Kinder<br />
am Anfang eine genaue Begrenzung<br />
für die Buchstaben brauchen – mit Mittelband,<br />
Ober- und Unterlängen. In einem<br />
zweiten Schritt wird erwartet, dass<br />
die Kinder die richtigen Proportionen<br />
für Ober- und Unterlängen beachten,<br />
und die Lineatur wird auf das Mittelband<br />
begrenzt. Erst später wird nur<br />
noch eine Grundlinie vorgegeben. Entsprechend<br />
sind die Lineaturen durchnummeriert,<br />
beginnend bei Lineatur 1<br />
für das erste Schuljahr mit der kompletten<br />
dreistufigen Lineatur. Von diesem<br />
Weg weichen auch die Schulbuchverlage<br />
bei ihren Materialien nicht ab, weil »der<br />
Markt«, sprich: die auswählenden Lehrerinnen<br />
und Lehrer es so wollen. Auch<br />
dies ist ein didaktischer Kunstfehler,<br />
der von Generation zu Generation weitergereicht<br />
wird.<br />
Dabei lehren eigene Beobachtung<br />
sowie wissenschaftliche Befunde: Die<br />
differenzierte Lineatur hemmt eher die<br />
Schreibgeläufigkeit der Kinder als sie zu<br />
fördern (Mahrhofer 2004, S. 130 ff.): Sie<br />
mühen sich, die Lineaturvorgaben genau<br />
einzuhalten, malen und zirkeln die<br />
Buchstaben, halten inne, kontrollieren,<br />
radieren, beginnen neu, statt munter zu<br />
schreiben.<br />
Lehrerinnen und Lehrer, die Kinder<br />
zunächst auf unlinierte Blätter schreiben<br />
lassen, stellen dagegen fest, dass<br />
Kinder die Freiheit gut nutzen: Der<br />
Schriftzug verläuft möglicherweise<br />
nicht exakt waagerecht, hat aber eine<br />
klare Struktur und die Kinder beachten<br />
die Proportionen der Buchstaben. Ihre<br />
Schrift hat allerdings eine individuelle<br />
Größe: Die einen Kinder schreiben<br />
die Buchstaben kleiner, andere Kinder<br />
schreiben sie größer. Auch daran ist<br />
erkennbar, wie einengend, uniformierend<br />
und unnatürlich differenzierte<br />
Line aturvorgaben sind.<br />
Daraus ergibt sich als Prinzip zur<br />
Schreiblineatur:<br />
Auf Lineatur wird ganz verzichtet oder<br />
sie wird auf eine Grundlinie beschränkt.<br />
Vorlagen (Blätter zum Unterlegen) gibt<br />
es mit unterschiedlichen Abständen der<br />
Grundlinien, so dass die Kinder die für<br />
sie passende Vorlage wählen können.<br />
Das weiterführende Schreiben<br />
Zur Entwicklung der<br />
individuellen Handschrift<br />
Beim Schreiben<br />
auf unlinierte<br />
Blätter verläuft<br />
der Schriftzug<br />
häufig nicht<br />
exakt waagerecht,<br />
hat aber<br />
meist eine<br />
klare Struktur<br />
und die Kinder<br />
beachten die<br />
Proportionen<br />
der Buchstaben.<br />
Kinder, die in der Grundschulzeit nur<br />
mit Druckschriftformen schreiben, entwickeln<br />
im Zuge der Schreibübung, Automatisierung<br />
und vermehrten Schreibflüssigkeit<br />
ihre individuelle Schrift. Das<br />
belegen die Schriftsätze von Kindern<br />
auch über die Grundschulzeit hinaus<br />
(siehe den Beitrag von L. Bode und<br />
T. Winzen in diesem Heft, S. 17 ff.). Die<br />
Lehrkräfte bestätigen, dass sie bei jedem<br />
Schriftsatz erkennen, welches Kind ihn<br />
geschrieben hat.<br />
Diesen Prozess kann die Schule durch<br />
Schreibexperimente und Reflexionen<br />
unterstützen: Schreibproben von Kindern<br />
und Erwachsenen werden betrachtet<br />
und auf das zentrale Kriterium der<br />
guten Lesbarkeit hin beurteilt. Dabei<br />
wird unter anderem festgestellt, dass bei<br />
Schreibproben geübter Schreiber Buchstaben<br />
auch miteinander verbunden<br />
werden. Solche Verbindungen können<br />
mit Wörtern ausprobiert werden. Dabei<br />
können alle Buchstaben in einem Wort<br />
oder bestimmte Buchstabengruppen in<br />
das Probieren einbezogen werden. Zum<br />
Beispiel bieten sich die Wendebögen bei<br />
den Buchstaben mit abschließendem<br />
Abstrich zur Verbindung an. Vorzugsweise<br />
werden auch Buchstabenverbindungen<br />
erprobt, die besonders häufig<br />
sind (z. B. en, er, ie, ei, au, ch).<br />
Allerdings gibt es auch hier keinen<br />
für alle Schreiber zutreffenden Verbindungsstandard.<br />
Auch bei geübten erwachsenen<br />
Schreibern werden häufige<br />
Buchstabenkombinationen von den<br />
einen verbunden, von anderen aber<br />
unverbunden geschrieben. Die Experimente<br />
sind also Erprobungen und das<br />
Erprobte ist Gegenstand der Reflexion.<br />
Die Kinder probieren aus, ob sie bestimmte<br />
Verbindungen übernehmen.<br />
Solches Ausprobieren mit der eigenen<br />
Schrift kennt übrigens jeder aus seiner<br />
Kindheit und Jugend; es wird in der Re<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
7
Thema: Grundschrift<br />
gel informell durchgeführt. Hier wird<br />
es als wichtiger Schritt hin zur individuellen<br />
Handschrift in den Unterricht<br />
geholt.<br />
Ein Irrtum ist im Übrigen, dass nur<br />
die grafisch sichtbare Verbindung die<br />
einzelnen Buchstaben verbindet. Die<br />
Vereinfachte Ausgangsschrift weicht<br />
hiervon schon wesentlich ab. Hier werden<br />
viele Verbindungen von Groß- zu<br />
Kleinbuchstaben nicht grafisch sichtbar,<br />
sondern als Luftsprünge realisiert.<br />
Beim geläufigen Schreiben werden aber<br />
immer alle Buchstaben miteinander verbunden,<br />
nur oft nicht auf der Schreibunterlage.<br />
Verbunden ist die Schrift<br />
dennoch, weil die Verbindungen in der<br />
Luft vollzogen wird und nur z. T. als<br />
grafische Spur sichtbar ist. Schreibmotorisch<br />
hat der Luftsprung im übrigen<br />
die wichtige Funktion, die Muskulatur<br />
zu entspannen. Gleiches geschieht auch<br />
bei Schriften, die jeden Buchstaben im<br />
Wort miteinander verbinden, weil auch<br />
hierbei das ganze Wort nicht »in einem<br />
Zug« geschrieben wird, sondern die<br />
Schreiber zwischendurch intuitiv innehalten<br />
oder absetzen, um zu entspannen.<br />
Wenn man Kinder beim Schreiben<br />
der LA oder der SAS beobachtet, ist das<br />
leicht festzustellen.<br />
Hieraus folgt als Prinzip zur Entwicklung<br />
der individuellen Handschrift:<br />
Vom ersten Schreiben mit der Grundschrift<br />
aus entwickeln die Kinder individuell<br />
ihre persönliche Handschrift.<br />
Dieser Prozess wird durch Betrachten<br />
von Schriftproben, Experimentieren<br />
mit Schrift und Beratung durch die<br />
Lehrkraft unterstützt. Dabei werden<br />
auch grafisch sichtbare Verbindungen<br />
ausprobiert. Sie sind immer Angebote,<br />
nicht Vorschrift.<br />
Schrift als Unterrichtsthema<br />
Schon bei den o. a. Vorschlägen zur Entwicklung<br />
der individuellen Handschrift<br />
wurde deutlich, dass die Schrift auch<br />
über die Klasse 1 hinaus ein wichtiges<br />
Thema ist, das Experimentieren mit und<br />
Reflektieren über Schrift einschließt.<br />
»Grundschrift: Kartei zum Lernen und Üben«<br />
– so heißt das Übungsmaterial, das der<br />
Grundschulverband derzeit erarbeitet.<br />
Die Grundschrift-Kartei erscheint in zwei<br />
Teilen:<br />
Teil 1: Die Buchstaben<br />
Dieses Übungsmaterial zur Grundschrift<br />
enthält Karteikarten zu allen Buchstabenformen.<br />
Die Arbeit mit diesen Lern- und Übungskarten<br />
kann ab sofort beginnen: Die<br />
Karten zu den Buchstabenformen der<br />
Grundschrift sowie ein ausführlicher<br />
Kommentar für Lehrerinnen und Lehrer<br />
stehen im Internet kostenfrei zum Herunterladen<br />
zur Verfügung:<br />
www.grundschulverband.de, Stichwort:<br />
Grundschrift.<br />
Lehrkräfte der ersten Klassen des kommenden<br />
Schuljahres können also bereits<br />
mit diesem Material arbeiten. Wir bitten<br />
sie, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen.<br />
Auf Grund der Rückmeldungen wird<br />
das Übungsmaterial optimiert und zum<br />
Sommer 2011 als Kartensatz angeboten.<br />
Beispiele für die Karten befinden sich in<br />
diesem Heft auf S. 13 ff.<br />
Teil 2: Schreibvarianten<br />
und Verbindungen<br />
Die »Kartei zum Lernen und Üben« für<br />
das weiterführende Schreiben enthält:<br />
– Anschauungsmaterial zu möglichen<br />
Buchstabenverbindungen, zu verschiedenen<br />
Schriften<br />
– Informations- und Anregungsmaterial<br />
zu Schriften verschiedener Schreiber,<br />
zu anderen Schriftsystemen<br />
– Hinzu kommen kommentierende und<br />
praxisanregende Lehrerkommentare.<br />
Die Veröffentlichung, voraussichtlich<br />
auch zunächst im Internet, soll im Herbst<br />
2010 erfolgen.<br />
Material für das weiterführende<br />
Schreiben<br />
Die weiteren Materialien werden in den<br />
kommenden Monaten vorgestellt. Zum<br />
Sommer 2011 wird das komplette Material<br />
beim Grundschulverband abrufbar<br />
bereitliegen.<br />
Wir werden in dieser Zeitschrift und auf<br />
der Homepage des Grundschulverbandes<br />
darüber informieren.<br />
Dr. Horst<br />
Bartnitzky<br />
Vorsitzender<br />
des Grundschulverbandes<br />
Das sollte in den Klassen 3 und 4<br />
fortgesetzt werden. Schwerpunkte können<br />
hier sein:<br />
–– wie Texte, Überschriften, Gedichte,<br />
Plakate mit Schrift gestaltet werden<br />
können;<br />
–– wie Erwachsene, wie Menschen in<br />
anderen Ländern schreiben und inwieweit<br />
die Schriften gut lesbar sind;<br />
–– wie andere Schriftsysteme gestaltet<br />
sind und wie unsere Buchstabenschrift<br />
sich entwickelt hat.<br />
Literatur<br />
Bartnitzky, H. u. a. (Hrsg.) (2010): Kursbuch<br />
<strong>Grundschule</strong>. Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />
Bartnitzky, Horst (1997): Ausgangsschrift<br />
muss die Druckschrift sein! In: Grundschulverband<br />
<strong>aktuell</strong>, H. 58 April 1997, S. 7<br />
Brückl, Hans (1933): Der Gesamtunterricht<br />
im ersten Schuljahr mit organischem Einbau<br />
des ersten Lesens und Schreibens. München/<br />
Berlin: Oldenbourg<br />
Brügelmann, Hans (1983 ff.): Kinder auf dem<br />
Weg zur Schrift. Konstanz: Faude, zuerst<br />
1983<br />
<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>: Themenheft »Wie viele<br />
Schriften brauchen Grundschulkinder?«<br />
H. 91, September 2005<br />
Krichbaum, Gabriele (Hrsg.) (1987): Mehr<br />
gestalten als verwalten: Einführung der Vereinfachten<br />
Ausgangsschrift an <strong>Grundschule</strong>n<br />
– Informationen, Argumente, Strategien und<br />
Materialien. Frankfurt a. M.: Arbeitskreis<br />
<strong>Grundschule</strong><br />
Kuhlmann, Fritz (1916 ff.): Schreiben im<br />
neuen Geiste. Braunschweig/Hamburg:<br />
Verlag Georg Müller, zuerst 1916<br />
Mahrhofer, Christina (2004): Schreibenlernen<br />
mit graphomotorisch vereinfachten Schreibvorgaben.<br />
Bad Heilbrunn: Klinkhardt<br />
Menzel, Wolfgang (1975): Schreiben als kommunikative<br />
Handlung. In: Praxis Deutsch,<br />
H. 12 1975, S. IX – XII<br />
Reichen, J. (1982 ff.): Lesen durch Schreiben<br />
– Wie Kinder selbstgesteuertes Lesen lernen.<br />
Zürich: Sabe, zuerst 1982<br />
Spitta, Gudrun (1985 ff.): Kinder schreiben<br />
eigene Texte: Klasse 1 und 2. Berlin: Cornelsen<br />
Scriptor, zuerst 1985<br />
8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Grundschrift<br />
Ulrich Hecker<br />
Kinder – Hand – Schrift<br />
»Schrift ist Spur eines Werkzeugs auf einer Unterlage, hervorgerufen und nach<br />
überlieferten Zeichen zu Zwecken der Dokumentation und der Kommunikation<br />
in Bewegung gestaltet von menschlicher Hand«, so definierte der Wuppertaler<br />
Pädagoge Fritz Bärmann. 1)<br />
Schreiben ist zudem auch Ausdruck persönlicher Eigenart – des Denkens, Wollens<br />
und Fühlens der ganzen Person.<br />
Schreiben lernen ist seit langem<br />
schon nicht mehr auf den schreibmotorischen<br />
Aspekt zu reduzieren,<br />
also auf das inhaltsleere Kopieren von<br />
Buchstabenformen. Schreiben lernen<br />
ist heute eingebettet in einen aktiven,<br />
handelnden Schriftsprach erwerb und<br />
insofern ungleich anspruchsvoller als in<br />
früheren Jahrzehnten. Die Bedeutung<br />
des Lernens und Übens von Schreibfertigkeiten<br />
darf allerdings auch heute<br />
nicht gering geschätzt werden – auch<br />
nicht durch eine Art »Pfingstwunderdidaktik«,<br />
die davon ausgeht, Schreiben<br />
lernten Kinder sozusagen »von allein«.<br />
Seit Jahren klagen Lehrerinnen und<br />
Lehrer über die Handschriften von Kindern,<br />
sie beobachten schon früh eine<br />
unzureichend entwickelte Feinmotorik,<br />
die sich negativ auf die sich entwickelnde<br />
Schreibmotorik auswirkt. Dies<br />
erschwert den Anfangsunterricht im<br />
Schreiben, weil Kinder ihre Schreibtätigkeiten<br />
allzu oft angestrengt und uneffektiv<br />
ausüben. Sie benötigen mehr<br />
Zeit, sind motorisch verkrampft und<br />
daher oft schneller erschöpft.<br />
Es ist wichtig und möglich, dass das<br />
Schreibenlernen für alle Kinder ein<br />
erfolgreicher Prozess wird, so dass am<br />
Ende ihrer Grundschulzeit alle Kinder<br />
–– über eine gut funktionierende<br />
Schreibmotorik verfügen,<br />
–– eine gut lesbare, geläufige Handschrift<br />
gebrauchen können,<br />
–– mit verschiedenen Schreibgeräten<br />
und -materialien umgehen können,<br />
–– Schrift und andere grafische Gestaltungsmittel<br />
als Ausdrucksmöglichkeit<br />
wahrnehmen und für sich anwenden<br />
können,<br />
–– Freude am Schreiben, an der Schrift<br />
und am Gestalten mit Schrift erfahren<br />
haben,<br />
–– auch beim Schreiben Ausdauer entwickeln<br />
und<br />
–– sorgfältig und übersichtlich arbeiten<br />
können.<br />
Zwei Kriterien sollte die geschriebene<br />
Schrift der Kinder immer erfüllen: Sie<br />
soll formklar und bewegungsökonomisch<br />
sein.<br />
Schreiben ist Bewegung<br />
Mit der Grundschrift und den dazugehörigen<br />
Materialien können Lehrerinnen<br />
und Lehrer eine förderliche Lernumgebung<br />
gestalten, die den Kindern<br />
einerseits viel Freiraum lässt und viele<br />
Anregungen bereit hält, die Kinder aber<br />
andererseits nicht allein lässt bei der<br />
Bewältigung der anspruchsvollen Aufgabe,<br />
eine eigene Handschrift zu entwickeln.<br />
Die Devise »Schreiben mit Schwung«<br />
beschreibt ein lockeres und zügiges<br />
Schrei ben, bei dem die Schreibbewegungen<br />
der Kinder in Schwung kommen<br />
und sich ein Schreibrhythmus<br />
entwickelt. Das von Kindern gern aufgegriffene<br />
Motto betont, dass Schreiben<br />
Bewegung ist – ein Aspekt der keinesfalls<br />
vernachlässigt werden darf, wenn<br />
wir Kinder auf ihrem Weg zur individuellen<br />
Handschrift begleiten wollen.<br />
Schreiben ist Bewegung – und natürliche<br />
Bewegung beruht auf dem rhythmischen<br />
Wechsel von Spannung und<br />
Entspannung.<br />
Elf ursprüngliche »Bewegungsgrundformen«<br />
für das Schreiben von Druckbuchstaben<br />
mit der Hand hat Horst<br />
Bartnitzky zusammengestellt (siehe<br />
Abb. 1). 2)<br />
Mit ihnen können Kinder alle Buchstaben<br />
schreiben – und diese Bewegungsgrundformen<br />
behalten ihre Gültigkeit<br />
auch beim weiterführenden<br />
Schreiben mit der Grundschrift.<br />
Jede Handschrift ist das Ergebnis<br />
von bewusster, gesteuerter Bewegung.<br />
Somit konzentriert sich das Schreibenlernen<br />
auf die Entwicklung und die<br />
Vervollkommnung von Bewegungsabläufen.<br />
Die Schreibmotorik kann durch<br />
den gezielten Einsatz von Bewegungs-,<br />
Gestaltungs- und Lockerungsübungen<br />
gefördert werden.<br />
Das Ziel des Schreibunterrichts ist es,<br />
Kindern das Schreibenlernen auf vielfältige<br />
Art zu erleichtern. Für das flüssige<br />
Schreiben und für die Beachtung<br />
von Inhalt und Rechtschreibung ist es<br />
wichtig, dass Kinder möglichst schnell<br />
mit automatisierten Bewegungsabläufen<br />
schreiben. So werden Kapazitäten<br />
Abb. 1:<br />
Bewegungsgrundformen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
9
Praxis: Grundschrift<br />
der Konzentration frei für die inhaltliche<br />
Seite der Sprache.<br />
Es ist ein didaktischer Kunstfehler,<br />
Kinder früh zu einer verbundenen<br />
Schrift zu zwingen oder den sich entwickelnden<br />
Schreibfluss durch eine weitere,<br />
»verbundene« Ausgangsschrift zu<br />
unterbrechen. Dies führt zu fortwährendem<br />
Druck und bewirkt eine erneute<br />
Verlangsamung des Schreibens, oft auch<br />
eine nachhaltige Verunsicherung von<br />
Kindern. Zu viele Kinder verkrampfen<br />
und ihre Schrift wird unsicher und ungelenk.<br />
Immer wenn Kinder Buchstaben zu<br />
Wörtern zusammenfügen, schreiben<br />
sie »verbunden«, verbinden sie Buchstaben:<br />
entweder als Schreibspur auf<br />
dem Papier oder in der Luft. Durch das<br />
Unterbrechen der sichtbaren Schreibspur<br />
(Luftsprünge des Stiftes) ergeben<br />
sich weniger Verkrampfungen, was sich<br />
positiv auf die Qualität der Handschrift<br />
auswirkt.<br />
Großformatige Übungen auf Makulaturbögen,<br />
auf Zeitungspapier, an<br />
der Wandtafel – mit Wachsmalstiften,<br />
Kreide, Pinseln, feuchten Schwämmen<br />
– und das Einbeziehen aller Sinne sind<br />
als Ergänzung des Schreibenlernens<br />
sinnvoll und förderlich.<br />
Wenn das Kind beim Nachfahren der<br />
Buchstabenform mit dem Finger oder<br />
beim Schreiben seine Augen geschlossen<br />
hält, prägt sich der Bewegungsablauf<br />
durch den Tastsinn ein. Um ein<br />
»bewegtes Schreibenlernen und -üben«<br />
geht es, darum, Kinder möglichst abwechslungsreich<br />
üben zu lassen und den<br />
Druck von den Kindern wegzunehmen,<br />
die allzu krampfhaft nach der richtigen<br />
Form suchen.<br />
Ulrich Hecker<br />
ist Grundschulrektor in Moers (NRW),<br />
er ist Redakteur von »<strong>Grundschule</strong><br />
<strong>aktuell</strong>«.<br />
Schreibübungen können auch mit<br />
der jeweils »anderen« Hand ausgeführt<br />
werden.<br />
Buchstaben können mit dem Fuß auf<br />
den Boden gezeichnet werden, links<br />
und rechts.<br />
Kinder verwenden verschiedene<br />
Schreibgeräte. Sie experimentieren<br />
damit: einmal fest aufdrücken beim<br />
Schrei ben, einmal mit dem Schreibgerät<br />
das Blatt nur ganz leicht berühren.<br />
All das dient dem Bewusstwerden<br />
und der Speicherung der zu lernenden<br />
Buchstabenform und ihres Bewegungsablaufs.<br />
Kinder können erfahren und erleben,<br />
was der Lesbarkeit einer Schrift dient<br />
und was sie beeinträchtigen kann.<br />
Die Grundschrift will die Fertigkeiten<br />
der Hand trainieren und gleichzeitig<br />
die Grundlagen einer dauerhaft gültigen<br />
Schrift nachhaltig vermitteln.<br />
Die Grundschrift-Kartei<br />
»Kartei zum Lernen und Üben« ist der<br />
Titel des Lern- und Übungsmaterials<br />
zur Grundschrift, sein 1. Teil heißt:<br />
»Die Buchstaben«.<br />
Druckbuchstaben, wie sie in gängigen<br />
Schreiblehrgängen Kindern vorbildhaft<br />
angeboten werden, erscheinen endgültig<br />
und unverrückbar, starr und steif.<br />
Die Buchstaben der Grundschrift<br />
sind organischer und ausgewogener,<br />
sie sind mit der Hand geschrieben und<br />
nehmen schon dadurch mehr Rücksicht<br />
auf das Schreiben mit der Hand, auf den<br />
motorischen Ablauf der Bewegung und<br />
auf das sinnvolle Führen des Schreibwerkzeugs.<br />
Bei den Grundschrift-<br />
Buchstaben wird deutlich, wie strenge<br />
Geometrie einer leichten, bewegten<br />
Dynamik weicht. Dabei wird der Lebendigkeit<br />
aber nicht die Prägnanz der<br />
Form geopfert, die Buchstaben verlieren<br />
nichts von ihrer Klarheit.<br />
Die Grundschrift ist eine für die<br />
Hand der Kinder geschriebene Schrift.<br />
Dies kommt schon in den Schreib-Vorlagen<br />
auf den Buchstabenkarten zum<br />
Ausdruck: Alle Buchstaben sind mit der<br />
Hand geschrieben.<br />
Die Kinder sollen, mit Unterstützung<br />
der Lehrkraft und im Schreib-Gespräch<br />
miteinander, die Grundschrift zu ihrer<br />
eigenen individuellen Schrift entwickeln.<br />
Die Grundschrift greift die Erkenntnisse<br />
aus der Erforschung ökonomischer<br />
Bewegungsabläufe auf und ermöglicht,<br />
sie durch konsequentes Üben zu automatisieren.<br />
Die Grundschrift-Buchstaben<br />
können im weiteren Schreiblernprozess<br />
miteinander verbunden werden,<br />
ohne dass neue Bewegungsformen und<br />
-folgen gelernt werden müssen.<br />
»Die Buchstaben« ist eine alphabetisch<br />
geordnete Buchstabenkartei.<br />
Sie orientiert sich an keinem Erstleselehrgang.<br />
Die Reihenfolge der Buchstaben<br />
kann einen in der Klasse verwendeten<br />
Leselehrgang berücksichtigen.<br />
Die Übung der Buchstaben kann –<br />
gleich am Anfang oder später – aber<br />
auch entlang der Bewegungsgruppen<br />
erfolgen, die jeweils farblich unterschieden<br />
sind.<br />
Die Kinder können die Buchstabenkarten<br />
einzeln oder in ihrer jeweiligen<br />
Bewegungsgruppe für ihr individuelles<br />
Schreibtraining verwenden.<br />
Für jeden Buchstaben des gesamten<br />
Grundschrift-Abc gibt es jeweils eine<br />
Karteikarte. Der Aufbau der Karteikarten<br />
wird in Abb. 2 auf Seite 11 erläutert.<br />
Es ist sehr zu empfehlen, die Karten<br />
farbig (eigener Drucker oder im<br />
Copyshop) auszudrucken und einzeln<br />
zu laminieren. So sind sie nahezu unverwüstlich<br />
und können lange für das<br />
Trainieren des Bewegungsablaufs mit<br />
dem Finger verwendet werden.<br />
Zwei bis drei dieser so aufbereiteten<br />
Karteien sollten den Kindern in einer<br />
Klasse oder Lerngruppe zur Verfügung<br />
gestellt werden.<br />
Das Nachfahren der Buchstabenformen<br />
mit dem Finger, auch Übungen mit<br />
einem weißen Stift und mit geschlossenen<br />
Augen lenken die Kinder von der visuellen<br />
Kontrolle des Bewegungsablaufs<br />
ab. Dadurch fördern sie den Aufbau von<br />
Automatismen, welche letztlich die Geläufigkeit<br />
der Handschrift bestimmen.<br />
Auf den Karteikarten wird bewusst<br />
auf Lineaturen verzichtet. Die Buchstaben<br />
stehen auf einer Grundlinie. Das<br />
freie Üben und die Entwicklung von<br />
Automatismen sind beim Schreibenlernen<br />
weitaus wichtiger, als die Kinder<br />
bereits bei ihren ersten Schreibversuchen<br />
auf bestimmte Größen und Größenverhältnisse<br />
verpflichten zu wollen.<br />
Die Buchstaben auf der Karteikarte<br />
sollen möglichst oft mit dem Zeigefinger<br />
nachgefahren werden, damit sich die<br />
Form und die Bewegungsfolge nachhaltig<br />
einprägen kann.<br />
10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Grundschrift<br />
Lehrerinnen und Lehrer erleichtern<br />
den Kindern das Schreibenlernen,<br />
wenn sie ihnen dabei helfen, ökonomische<br />
Bewegungsabläufe möglichst bald<br />
automatisieren zu können.<br />
Mit der Grundschrift eignen sich<br />
Kinder Bewegungsmuster an und prägen<br />
sie sich ein, die in ihrer weiteren<br />
Schreibentwicklung auch tatsächlich<br />
Bestand haben.<br />
Die Karteikarten bieten Kindern korrekte<br />
und verständliche Form und Bewegungsvorbilder.<br />
Kinder sollen keine »gestanzten«<br />
Buchstabenformen »abmalen«, sondern<br />
die Buchstaben flüssig schreiben lernen.<br />
Die Buchstabenformen müssen deshalb<br />
die Bewegung und auch einen möglichen<br />
Anschluss an Folgebuchstaben<br />
begünstigen. Dem dient der »Wendebogen«<br />
bei den Kleinbuchstaben.<br />
Wo bei verschiedenen Buchstaben<br />
gleiche Bewegungsabläufe möglich<br />
sind, werden sie gewählt. Wir fassen sie<br />
zu Bewegungsgruppen zusammen.<br />
Auf den Karten sind die Buchstaben<br />
einer Bewegungsgruppe in jeweils einer<br />
Farbe wiedergegeben (siehe Abb. 3:<br />
Bewegungsgruppen auf S. 12).<br />
Die Tabelle listet die einzelnen Bewegungsgruppen<br />
mit den zugeordneten<br />
Buchstaben auf. Die rechte Spalte skizziert<br />
kurz zu jeder Bewegungsgruppe die<br />
Besonderheiten der Schreibbewegung.<br />
Die Reihenfolge der Bewegungsgruppen<br />
in der Tabelle folgt der Komplexität der<br />
auszuführenden Schreibbewegungen. 3)<br />
Kinder üben, allein und mit der Lehrkraft,<br />
sie erproben Schreibbewegungen<br />
und Schreibmaterialien, sie sprechen<br />
miteinander über Schrift und Schreiben:<br />
Schreiben als ständige Arbeitsspur<br />
im Grundschulunterricht.<br />
Jede Bewegungsgruppe hat<br />
eine eigene Farbe.<br />
So können Buchstaben mit<br />
ähnlichem Bewegungsablauf<br />
gemeinsam geübt werden.<br />
Anlautbilder zu den<br />
Großbuchstaben.<br />
Es werden gängige<br />
Anlautbilder verwendet,<br />
um die Arbeit<br />
mit unterschiedlichen<br />
Medien koordinieren<br />
zu können.<br />
Zu jedem Anlautbild erscheint das<br />
entsprechende Wort gedruckt.<br />
Der betreffende Buchstabe ist<br />
farblich hervorgehoben. So wird die<br />
Verwendung des Buchstabens im<br />
Wort dokumentiert und die Korrespondenz<br />
zum handgeschriebenen<br />
Buchstaben verdeutlicht.<br />
Im Zentrum ein groß geschriebener Buchstabe<br />
auf der Grundlinie.<br />
Der günstige Bewegungsverlauf ist mit<br />
einem Ausgangspunkt und Pfeilen im<br />
Buchstaben markiert.<br />
Die Buchstabenform wird mit dem Finger<br />
nachgefahren.<br />
Kleiner geschriebene<br />
Buchstaben zum Nachfahren<br />
mit dem Finger.<br />
Die Grundlinie wird jeweils<br />
angezeigt, um den Stand und<br />
die Proportionen des Buchstabens<br />
deutlich zu machen.<br />
Aufbau der Karteikarten<br />
»Die Buchstaben«<br />
Werkstatt Schreiben<br />
In vielfältigen Schreibgesprächen sollten<br />
Kinder immer wieder zu produktivem<br />
Handeln und zum gemeinsamen<br />
Nachdenken über Schrift und Schreiben<br />
angeregt werden. Handeln und Reflektieren<br />
ist ein wesentliches Prinzip<br />
der Arbeit mit der Grundschrift. Dies<br />
entbindet keinesfalls von der Anstrengung<br />
des Übens. Im Unterricht muss<br />
es darum gehen, Kindern die Freude an<br />
ihrer Schrift zu vermitteln, das Gefühl,<br />
damit etwas Einzigartiges gestalten zu<br />
können, eine Möglichkeit zu besitzen,<br />
Zu jedem Kleinbuchstaben gibt<br />
es Lautbilder mit je eigenen<br />
Illustrationen.<br />
Der jeweilige Laut ist im Wort zu<br />
hören.<br />
Abb. 2: Kartei zum Lernen und Üben, Teil 1<br />
Zu jedem Lautbild<br />
erscheint das entsprechende<br />
Wort<br />
gedruckt.<br />
Der betreffende<br />
Buchstabe ist farblich<br />
hervorgehoben. So wird<br />
die Verwendung des<br />
Buchstabens im Wort<br />
dokumentiert und die<br />
Korrespondenz zum<br />
handgeschriebenen<br />
Buchstaben verdeutlicht.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
11
Praxis: Grundschrift<br />
Bewegungsgruppe Buchstaben Besonderheiten<br />
I: Einfacher Abstrich/<br />
Einfacher Abstrich mit Aufstrich<br />
• u / U: Kombination aus Abstrich und Aufstrich mit Richtungswechsel.<br />
II: Einfacher Abstrich mit<br />
anschließendem Querstrich<br />
III: Linksoval /<br />
Drehrichtung gegen Uhrzeigersinn<br />
IV: Abstrich mit nachfolgender<br />
Arkadenbewegung / Rechtsoval<br />
(Drehrichtung im Uhrzeigersinn)<br />
• Die Reihenfolge von Abstrich und Querstrichen ist im Unterricht in<br />
Schriftgesprächen zu thematisieren.<br />
• Abwandlungen der Reihenfolge sind beim H möglich.<br />
• Ein sorgfältiges Anbinden des Abstrichs an das Linksoval ist wichtig<br />
für die Formklarheit.<br />
• e / G sind sind in formklaren Ausführung anspruchsvoller, da die<br />
Kreisform abgewandelt wird.<br />
• Achtung: Luftsprung bei Verbindung nach Rechtsoval nötig.<br />
• R: Komplexität der Form durch Kombination von Rechtsoval und<br />
anschließendem Drehrichtungswechsel im Abstrich.<br />
V: Zickzacklinie<br />
(Richtungswechsel mit Haltepunkt)<br />
VI: Einzelformen<br />
• Der Richtungswechsel wird durch den Haltepunkt an der Spitze<br />
erleichtert.<br />
• Eine sorgfältige Ausführung ist für die Formklarheit wesentlich.<br />
• A: Verbindung über den Mittelstrich möglich.<br />
• Abstrich mit Verbindungshäkchen nach links.<br />
• Die Formproportion ist schwierig einhaltbar.<br />
• Überkreuzung in der Mitte, Reihenfolge der Abstriche.<br />
• Formproportion schwierig einhaltbar.<br />
• Kombination von Bewegung im Uhrzeigersinn von unten nach oben<br />
und doppeltem Rechtsoval.<br />
• Richtungswechsel mit Haltepunkt.<br />
• Schwierigste Bewegung, da Drehrichtungswechsel ohne Haltepunkt.<br />
Abb. 3: Bewegungsgruppen zum Üben<br />
(aus: Christina Mahrhofer-Bernt, Lehrerkommentar zu »Grundschrift: Kartei zum Lernen und Üben«, www.grundschulverband.de > Grundschrift)<br />
die Gedanken eines Augenblicks immer<br />
festhalten zu können. So erhält das unumgängliche<br />
Üben seinen Ort und seinen<br />
Sinn.<br />
Vom ersten Schreiben mit der Grundschrift<br />
aus entwickeln die Kinder individuell<br />
ihre persönliche Handschrift.<br />
Dieser Prozess wird durch Betrachten<br />
von Schriftproben, Experimentieren<br />
mit Schrift und Beratung durch die<br />
Lehrkraft unterstützt. Dabei werden<br />
auch grafisch sichtbare Verbindungen<br />
der Buchstaben ausprobiert. Sie sind<br />
immer Angebote, nicht Vorschrift.<br />
Der Lehrerkommentar zur Grundschrift<br />
(Teil 1: Die Buchstaben) ordnet<br />
die Buchstaben in einer anderen Reihenfolge<br />
als die Buchstabenkartei für<br />
die Kinder:<br />
Im Lehrerkommentar werden Buchstaben<br />
mit gleichen bzw. ähnlichem Bewegungsablauf<br />
in Bewegungsgruppen<br />
zusammengefasst.<br />
Zu jeder einzelnen Buchstaben-Karteikarte<br />
gibt es einen Kommentar, der<br />
stets die folgenden Elemente enthält:<br />
–– Formwahrnehmung<br />
–– Bewegungsverlauf<br />
–– mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />
–– Reflexionen der Kinder<br />
Vier Seiten aus dem Lehrerkommentar<br />
sind auf den Seiten 13 – 16 im Originalformat<br />
dokumentiert.<br />
Reflexionen der Kinder werden in<br />
»Schrift- und Schreibgesprächen« angeregt.<br />
Solche Gespräche dienen der<br />
Selbsteinschätzung und der Reflexion<br />
der eigenen Schreibleistung. Sie finden<br />
im Dialog mit der Lehrerin, zwischen<br />
zwei oder drei Schülern oder im Klassenkreis<br />
statt. Die Lehrkraft begleitet<br />
die Schriftgespräche zwischen Kindern<br />
anfangs moderierend. Die Überlegungen,<br />
Entdeckungen und Erfahrungen<br />
der Kinder stehen dabei im Mittelpunkt.<br />
Wie bei jedem Handwerk – und<br />
Schreiben ist ein Hand-Werk! – findet<br />
ein stummes »Gespräch« zwischen<br />
dem Handwerker (Schreiber), seinem<br />
(Schreib-)Werkzeug und dem zu bearbeitenden<br />
(Schreib-)Material statt. Dieses<br />
Gespräch muss man fördern – auch<br />
durch die gemeinsamen Gespräche in<br />
der Lerngruppe.<br />
Anmerkungen<br />
(1) Bärmann, Fritz (1979): Lernbereich:<br />
Schrift und Schreiben, Braunschweig:<br />
Westermann, S. 43<br />
(2) Bartnitzky, Horst (2005): Welche Schreibschrift<br />
passt am besten zum Grundschulunterricht<br />
heute? In: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>,<br />
H. 91 (September 2005), S. 3 – 12, hier: S. 9<br />
(3) Mahrhofer-Bernt, Christina (2010):<br />
Grundschrift: Kommentar für Lehrerinnen<br />
und Lehrer. Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />
(veröffentlicht im Internet unter www.<br />
grundschulverband.de > Grundschrift ><br />
Lehrerkommentar zu Teil 1: Die Buchstaben)<br />
12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Grundschrift<br />
Das kleine a<br />
Formwahrnehmung<br />
Das kleine a beginnt mit einem links ovalen Halbkreis gegen<br />
den Uhrzeigersinn. Daran schließt sich bündig ein Abstrich<br />
mit Wendebogen am Ende an. Der Abstrich beginnt etwas<br />
über dem Startpunkt des vorausgehenden Halbkreises.<br />
Mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />
Das Ausführen von Halbkreis und Abstrich fällt grundsätzlich<br />
leicht. Schwierigkeiten können entstehen beim bündigen<br />
Anschließen des Abstrichs an das Linksoval, vor allem<br />
dann, wenn Kinder ihre eigene individuelle zügige Schriftweise<br />
entwickeln. Zu beachten ist, dass Kreisbewegungen<br />
gegen den Uhrzeigersinn für den Linkshänder schwieriger<br />
auszuführen sind. Linkshänder benötigen individuelle<br />
Unterstützung.<br />
Bewegungsverlauf<br />
Die Bewegung gegen den Uhrzeigersinn ist für den<br />
Rechtshänder eine motorisch angenehm auszuführende<br />
Bewegung. Der Luftsprung zwischen Halbkreis und<br />
Abstrich führt zu einer Entspannung der Handmusku latur.<br />
Reflexionen der Kinder<br />
a) Zugehörigkeit zur Bewegungsgruppe III – Linksovale.<br />
b) Größenverhältnis im Schreibraum: kleines a als Buchstabe<br />
im Erdgeschoss.<br />
c) Fehlformen durch Öffnung im oberen Teil, die zu einer<br />
Verwechslung mit dem kleinen u führt bzw. Öffnung im<br />
unteren Teil, die optisch wenig ansprechend ist und ebenfalls<br />
Leserlichkeit erschwert.<br />
d) Individuelle Abwandlungen im Hinblick auf Schreibschnelligkeit<br />
und Leserlichkeit.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
13
Praxis: Grundschrift<br />
Das kleine n<br />
Formwahrnehmung<br />
Das kleine n ergibt sich aus einer arkadenartigen Schreibbewegung.<br />
Diese Bewegung ist schreibmotorisch etwas<br />
anspruchsvoller auszuführen, da es sich um eine Zusammensetzung<br />
von Bewegungen im Uhrzeigersinn handelt.<br />
Die Buchstabenform beginnt mit einem Abstrich. Der nachfolgende<br />
Aufstrich erfolgt deckungsgleich mit dem Abstrich<br />
und führt in einem Bogen zum zweiten parallel angeordneten<br />
Abstrich mit kleinem Wendebogen.<br />
Mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />
Eine gleichmäßige Ausführung der parallel angeordneten<br />
Abstriche fällt manchen Kindern ebenso schwer wie eine<br />
kurze Ausführung des Wendebogens. Beim zügigen<br />
Schreiben geschieht es häufig, dass der erste Abstrich und<br />
der nachfolgende Aufstrich nicht deckungsgleich sind,<br />
vor allem beim Ausbilden individueller Schriftformen.<br />
Dies führt zu einer mangelnden Formkonstanz und eingeschränkten<br />
Leserlichkeit.<br />
Bewegungsverlauf<br />
Abstrich, Aufstrich, Bogen, Abstrich werden in einer<br />
Drehrichtung ausgeführt. Der kleine Wendebogen am Ende<br />
bedeutet einen Drehrichtungswechsel, der jedoch aufgrund<br />
der vorausgehend schwungvollen Bewegung einfach<br />
auszuführen ist. Fällt den Kindern die saubere Ausführung<br />
des Aufstrichs schwer, kann hier zunächst ein Luftsprung<br />
einfügt werden. Die nachfolgende Arkade setzt dann knapp<br />
unterhalb des ersten Startpunktes wieder an.<br />
Reflexionen der Kinder<br />
a) Zugehörigkeit zur Bewegungsgruppe IV – Abstrich<br />
mit nachfolgender Arkadenbewegung. Ähnlichkeit zum<br />
m sowohl in Form als auch in der Bewegungsausführung<br />
hervorheben!<br />
b) Größenverhältnis im Schreibraum: kleines n als Buchstabe<br />
im Erdgeschoss.<br />
c) Fehlformen: Formabweichungen durch fehlende<br />
Deckungs gleichheit von erstem Abstrich und nachfolgendem<br />
Aufstrich und/oder fehlende Parallelität der Abstriche.<br />
Eine sorgfältige Ausführung ist trotz individueller Schreibweise<br />
nötig für eine gute Leserlichkeit der Schreibprodukte.<br />
d) Individuelle Abwandlungen im Hinblick auf Leserlichkeit<br />
mit besonderer Berücksichtigung des kleinen Wendebogens<br />
am Ende des kleinen n am Ende eines Wortes.<br />
14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Grundschrift<br />
Das kleine u<br />
Formwahrnehmung<br />
Das kleine u ergibt sich aus einer girlandenartigen Schreibbewegung.<br />
Diese Bewegung ist schreibmotorisch für<br />
Rechtshänder leicht auszuführen, da es sich um eine Zusammensetzung<br />
von Bewegungen gegen den Uhrzeigersinn<br />
handelt. Die Buchstabenform beginnt mit einem Abstrich,<br />
der über einen Bogen in einen Aufstrich mündet. Der letzte<br />
Abstrich erfolgt deckungsgleich mit dem vorausgehenden<br />
Aufstrich und endet mit einem kleinen Wendebogen.<br />
Mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />
Beim schwungvollen Schreiben werden zweiter Aufstrich<br />
und nachfolgender Abstrich häufig nicht deckungsgleich<br />
ausgeführt. Diese Formabweichung erschwert die Leserlichkeit.<br />
Je weniger sorgfältig die Schreibausführung, desto<br />
leichter entstehen Verwechslungen mit den Buchstaben r<br />
und v.<br />
Bewegungsverlauf<br />
Abstrich, Bogen, Aufstrich, Abstrich und Wendebogen<br />
werden in einer Drehrichtung ausführt.<br />
Reflexionen der Kinder<br />
a) Zugehörigkeit zur Bewegungsgruppe I – Einfacher Abstrich<br />
mit Aufstrich.<br />
b) Größenverhältnis im Schreibraum: kleines u als Buchstabe<br />
im Erdgeschoss.<br />
c) Fehlformen: Zweiter Aufstrich und nachfolgender<br />
Aufstrich sind möglicherweise nicht deckungsgleich.<br />
Ein Auseinanderziehen dieser beiden Striche führt zu einer<br />
Formabweichung besonders beim zügigen Schreiben, das zu<br />
einer erschwerten Leserlichkeit führt. Sorgfältige Ausführung<br />
ist hier trotz individueller Schreibweise nötig für eine<br />
gute Leserlichkeit der Schreibprodukte.<br />
d) Individuelle Abwandlungen im Hinblick auf Schreibflüssigkeit<br />
und Leserlichkeit.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
15
Praxis: Grundschrift<br />
Das große D<br />
Formwahrnehmung<br />
Das große D beginnt mit einem Abstrich und einem<br />
nachfolgenden rechtsovalen Halbkreis im Uhrzeigersinn,<br />
der sich an den vorausgehenden Abstrich anfügt.<br />
Mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />
Als mögliche Schwierigkeit ergibt sich ein bündiges Anschließen<br />
des Halbkreises an den Abstrich und ein gleichmäßiges<br />
Ausführen des Halbkreises. Eine individuelle<br />
Abwandlung des D kann sich durch ein Verlängern der<br />
Halbkreisstriche über den Anfangs bzw. Endpunkt des<br />
Abstriches ergeben. Dies geschieht häufig bei einer zügigen<br />
Ausführung des Buchstabens und ist unter Einhaltung der<br />
Kriterien der Formklarheit und Formkonstanz zulässig.<br />
Bei einer unsauberen Ausführung verschwimmen die<br />
Eckpunkte von Abstrich und Halbkreis und es besteht die<br />
Gefahr einer Formabweichung hin zum großen O.<br />
Bewegungsverlauf<br />
Das große D beginnt mit einem Abstrich und geht bis<br />
zur Grundlinie. Der zweite Abstrich beginnt nach einem<br />
Luftsprung erneut beim Startpunkt des ersten Abstriches<br />
und formt dann einen Halbkreis im Uhrzeigersinn.<br />
Der Halbkreis endet am Endpunkt des ersten Abstriches<br />
auf der Grundlinie.<br />
Reflexionen der Kinder<br />
a) Zugehörigkeit zur Bewegungsgruppe IV – Abstrich mit<br />
nachfolgendem Rechtsoval.<br />
b) Größenverhältnis im Schreibraum: Großes D als Buchstabe<br />
im Erdgeschoss und im Dach.<br />
c) Fehlformen: Unsaubere Ausführung der Eckpunkte<br />
von Abstrich und Halbkreis. Dies führt zu einer Formabweichung<br />
besonders beim zügigen Schreiben, das zu einer<br />
erschwerten Leserlichkeit oder zu einer Verwechslung mit<br />
dem großen O führen kann. Eine sorgfältige Ausführung<br />
ist hier trotz individueller Schreibweise nötig für eine gute<br />
Leserlichkeit der Schreibprodukte.<br />
d) Individuelle Abwandlungen im Hinblick auf Schreibflüssigkeit<br />
und Leserlichkeit.<br />
16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Grundschrift<br />
Lothar Bode / Theresia Winzen<br />
Druckschrift als einzige Schrift<br />
Erfahrungen aus sieben Jahren Schulpraxis<br />
Geschichte des Wechsels<br />
zur Drucksc hrift<br />
In der Vergangenheit gab es an der GGS<br />
Veen, wie an anderen Schulen auch,<br />
eine Entwicklung über die Lateinische<br />
zur Vereinfachten Ausgangsschrift.<br />
Bis zum Jahr 2003 bekamen wir von<br />
den weiterführenden Schulen zunehmend<br />
negative Rückmeldungen über die<br />
Schrift der Kinder. Kritisiert wurden die<br />
mangelnde Lesbarkeit der Texte und die<br />
Uneindeutigkeit vieler Buchstabenformen.<br />
Insbesondere die Buchstaben »e«,<br />
»r« und »s« wurden in den Schülertexten<br />
häufig nicht eindeutig geschrieben.<br />
In einer Sitzung der Lehrerkonferenz<br />
2003 wurde beschlossen, auf Druckschrift<br />
umzustellen und keine Schreibschrift<br />
mehr zu vermitteln.<br />
Die Schulkonferenz im Jahr 2004 entschied<br />
den Wechsel zur Druckschrift<br />
mit deutlicher Mehrheit.<br />
Seitdem schreiben die Kinder an<br />
der GGS Veen während der gesamten<br />
Grundschulzeit in Druckschrift. Es finden<br />
keine Lehrgänge zum Erlernen einer<br />
besonderen »Schreibschrift« statt. Die<br />
Lehrerinnen und Lehrer achten jedoch<br />
während der gesamten Grundschulzeit<br />
auf die Formklarheit der Schrift, auf Berücksichtigung<br />
der verwendeten Lineaturen<br />
und auf die Lesbarkeit.<br />
Akzeptanz bei den Lehrern<br />
In der Ausgangssituation waren die<br />
Lehrerinnen überwiegend unzufrieden<br />
mit der VA, der Lesbarkeit der Schriften<br />
und dem Gesamtbild der Schülertexte<br />
besonders am Ende der Grundschulzeit.<br />
Der Wechsel zur Druckschrift wurde<br />
im Kollegium einstimmig gefasst.<br />
Trotz der natürlichen Veränderungen<br />
im Kollegium durch Pensionierung,<br />
Versetzung usw. herrscht bis heute Einverständnis<br />
und Akzeptanz für die damals<br />
getroffene Entscheidung. Positiv<br />
gewertet wird insbesondere:<br />
●● Die Schrift der Kinder am Ende der<br />
Grundschulzeit ist im Allgemeinen<br />
deutlich lesbarer und formklarer als<br />
früher<br />
●● Es hat seit 2003 keine negativen Rückmeldungen<br />
aus den Sekundarschulen<br />
über unklare Schriften unserer Kinder<br />
gegeben,<br />
●● Der Unterricht wird besonders im<br />
2. Schuljahr durch die Maßnahme wesentlich<br />
entlastet, da kein Schreiblehrgang<br />
durchgeführt werden muss. Die<br />
gewonnene Zeit im Deutschunterricht<br />
wird beispielsweise für freies Schreiben<br />
genutzt. Der Wegfall des Schreibschriftlehrgangs<br />
ist ein positives Beispiel für<br />
eine gelungene Entrümpelung und Besinnung<br />
auf Wesentliches in der Grundschularbeit.<br />
Inzwischen wurden Erfahrungsberichte<br />
mehrfach von anderen Schulen<br />
nachgefragt.<br />
Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarschulen,<br />
die unsere Kinder aufnehmen,<br />
haben, bis auf eine einzige<br />
Ausnahme, keine Probleme mit den<br />
Druckschrift schreibenden Kindern.<br />
Im Gegenteil werden die Schriften der<br />
Kinder aus Veen eher gelobt oder als gut<br />
lesbar beschrieben.<br />
Kurzporträt der GGS Veen<br />
<strong>Grundschule</strong> im ländlichen Raum am<br />
Niederrhein.<br />
120 Schülerinnen und Schüler,<br />
6 Lehrerinnen, 1 Lehrer, 1 LAA.<br />
Teilweise jahrgangsgemischte<br />
Unterrichtsorganisation.<br />
Intensive Zusammenarbeit des<br />
Kollegiums.<br />
Die Elternschaft wirkt überwiegend<br />
positiv mitgestaltend an der Schulentwicklung.<br />
Schwerpunkte der Schulentwicklung<br />
in letzter Zeit:<br />
– Naturwissenschaften im Sachunterricht,<br />
– Erprobung jahrgangsgemischter<br />
Unterrichtsformen,<br />
– projektorientierter Unterricht,<br />
– Einrichtung einer Ganztagsbetreuung<br />
Im Herbst 2009 habe ich an allen<br />
Schulen, die unsere Schüler aufnehmen,<br />
eine mündliche Abfrage hinsichtlich<br />
Auffälligkeiten beim Schreiben der<br />
Veener Kinder gemacht. Hier kamen<br />
keine negativen Rückmeldungen, abgesehen<br />
von 2 Stimmen, die angaben,<br />
Kinder von unserer Schule in Klasse<br />
5 oder 6 hätten die Tafelanschrift der<br />
Lehrer nicht lesen können.<br />
Hier ist zu berücksichtigen, dass sich<br />
auch Lehrer manchmal unangepasst<br />
verhalten.<br />
Akzeptanz bei den Kindern<br />
Die Kinder entwickeln im Laufe der<br />
Grundschulzeit mit Unterstützung und<br />
unter ständiger Beobachtung der Lehrerinnen<br />
und Lehrer ihre Schrift ständig<br />
weiter.<br />
Andere Schriften wurden und werden<br />
in den Klassen nicht vermittelt. Es<br />
werden Schriftproben anderer Schreibschriften,<br />
z. B. in LA, SAS und VA ausgelegt<br />
und die Kinder darauf hingewiesen,<br />
dass es andere Schriften gibt.<br />
In kleinen Unterrichtseinheiten wird<br />
mit Schrift und Schreibgeräten experimentiert<br />
und mit Schrift gestaltet.<br />
Im 3. und 4. Schuljahr zeigen manche<br />
Lehrerinnen die Möglichkeit des (sichtbaren)<br />
Verbindens von Buchstaben<br />
beim Schreiben, z. B. indem sie an der<br />
Tafel bei Tafelanschriften in ihrer eigenen<br />
Handschrift Buchstabenverbindungen<br />
vermehrt zulassen.<br />
Bezüglich der Geschwindigkeit beim<br />
Schreiben ist kein Unterschied zu<br />
Schreibschrift schreibenden Kindern<br />
zu beobachten. Wir haben zwar keine<br />
Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt,<br />
aber es gibt weder bei uns noch<br />
von weiterführenden Schulen Hinweise<br />
darauf, dass unsere Kinder durchschnittlich<br />
langsamer als Schreibschrift<br />
schreibende Kinder schreiben.<br />
Bezüglich der Klarheit, Sauberkeit<br />
und Lesbarkeit sind Druckschrift<br />
schreibende Kinder klar im Vorteil.<br />
Unter Berücksichtigung der genannten<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
17
Praxis: Grundschrift<br />
Lothar Bode<br />
Rektor der <strong>Grundschule</strong><br />
Alpen-Veen, NRW<br />
Theresia Winzen<br />
Grundschullehrerin<br />
an der <strong>Grundschule</strong> Alpen-Veen, NRW<br />
Kontakt: ggsveen@web.de<br />
Kriterien sind die Druckschrifttexte<br />
nach unseren Erfahrungen unbestritten<br />
vorteilhafter.<br />
Manchmal kommen Nachfragen von<br />
den Kindern: »Warum lernen wir keine<br />
Schreibschrift?« oder »Warum lernen<br />
wir nicht richtig schreiben?«<br />
Kinder unserer Schule haben Kontakt<br />
zu Kindern anderer Schulen, an denen<br />
Schreibschrift vermittelt wird. Die<br />
Lehrerinnen und Lehrer erklären dann<br />
jeweils die Zusammenhänge.<br />
Schwierigkeiten<br />
Die Kinder schreiben manchmal ähnlich<br />
oder gleich aussehende Klein- und<br />
Großbuchstaben in Druckschrift zu wenig<br />
differenziert, so dass die Groß- oder<br />
Kleinschreibung zu wenig erkennbar ist<br />
und auf diesem Wege »Rechtschreibfehler«<br />
entstehen. Betroffen sind besonders<br />
die Buchstaben c, C; f, F; i, I; k, K; l, L;<br />
s, S; v, V; w, W.<br />
Akzeptanz bei den Eltern<br />
Die meisten Eltern tragen unsere Entscheidung<br />
mit und haben mit der Sache<br />
überhaupt kein Problem. Die Eltern<br />
finden die Schrift und das Schrei ben<br />
ihrer Kinder im Allgemeinen in Ordnung.<br />
Manche Eltern sorgen sich, dass die<br />
Druckschrift unter Umständen an den<br />
Sekundarschulen nicht akzeptiert würde<br />
und ihre Kinder deshalb Nachteile<br />
befürchten müssten. Hier ist es notwendig,<br />
entsprechend aufzuklären und darauf<br />
hinzuweisen, dass die <strong>Grundschule</strong><br />
mit den jeweiligen Sekundarschulen in<br />
Kontakt ist und die Befürchtungen unbegründet<br />
sind. Nicht auszuschließen<br />
ist natürlich, dass Lehrer in den Sekundarschulen<br />
sich immer mal wieder unangepasst<br />
verhalten oder hier einfach<br />
nicht Bescheid wissen.<br />
Bei der Einschulung informieren wir<br />
die Eltern gründlich über unser Konzept,<br />
den Hintergrund und unsere Erfahrungen.<br />
Vorbehalte gegenüber unserer Methode<br />
waren zuletzt eher selten.<br />
Gelegentlich kommen aus der weiteren<br />
Schulumgebung Nachfragen bzgl.<br />
des Themas. Hier ist es jeweils nötig,<br />
Aufklärungsarbeit zu betreiben und<br />
den Personen immer wieder die Zusammenhänge<br />
zu erklären.<br />
Wie entwickeln sich die Schriften<br />
der Kinder in der Grundschulzeit?<br />
Die Schriften der Kinder sind am Ende<br />
der Grundschulzeit im Allgemeinen gut<br />
lesbar und formklar.<br />
Jedes Kind entwickelt aus der originalen<br />
Druckschrift, die es am Anfang<br />
seines Schrifterwerbs gelernt hat, zunehmend<br />
eine Handschrift.<br />
Die Form der Buchstaben wird individuell<br />
im Zuge der Entwicklung<br />
der persönlichen Handschrift teilweise<br />
leicht verändert.<br />
Die Buchstaben stehen innerhalb der<br />
Wörter auf dem Papier weitgehend ohne<br />
Verbindungsstriche nebeneinander,<br />
d. h. sichtbare Verbindungslinien gibt es<br />
nicht, jedoch werden ja die Buchstaben<br />
beim Schreiben in der Luft miteinander<br />
verbunden.<br />
Einige Schüler ziehen zwischen einzelnen<br />
Buchstaben sichtbare Verbindungslinien.<br />
Wie entwickeln sich die<br />
Schriften der Kinder in der<br />
Zeit nach der <strong>Grundschule</strong>?<br />
Hierzu haben wir bisher keine genauen<br />
Untersuchungen erhoben. Schriftproben<br />
von älteren Kindern, die an unserer<br />
18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Grundschrift<br />
Mädchen, Kl. 10: Die Schrift hat Handschriftcharakter<br />
und ist sehr gut lesbar. Die einzelnen Buchstaben<br />
werden z. T. eng aneinander geschrieben, jedoch stehen<br />
sie einzeln und sind auf dem Papier nicht verbunden.<br />
Junge, Kl. 8: Die Schrift hat Handschriftcharakter und ist sehr gut<br />
lesbar. Die Buchstaben stehen einzeln und sind auf dem Papier<br />
nicht verbunden.<br />
Mädchen 1 und Mädchen 2, Kl. 4: Die Schrift hat noch wenig Handschriftcharakter und ist sehr gut lesbar.<br />
Das Kind verbindet die Buchstaben auf dem Papier nicht miteinander. Das kleine »k« wird auf Anraten der Lehrerin<br />
wegen der besseren Unterscheidbarkeit zwischen »k« und »K« in Schreibschriftform ausgeführt.<br />
Schule Druckschrift gelernt haben, zeigen<br />
jedoch übereinstimmend, dass die<br />
Kinder weiter in Druckschrift schreiben<br />
und die Buchstaben eher nicht auf dem<br />
Papier sichtbar verbinden. Die Schriften<br />
sind individuell unterschiedlich und<br />
haben jeweils deutlich den Charakter<br />
einer Handschrift. Die Schriften sind<br />
weiterhin gut lesbar und formklar.<br />
Das gehört auch zu<br />
unseren Erfahrungen<br />
Mehrere Schüler kamen von anderen<br />
Schulen, an denen Schreibschrift vermittelt<br />
wurde. Diese hatten die ausdrückliche<br />
Erlaubnis, ihre Schrift beizubehalten.<br />
Nach kurzer Zeit haben sie<br />
lieber in Druckschrift geschrieben.<br />
Es kam zu einem heftigen Konflikt<br />
mit einer Lehrerin eines Gymnasiums,<br />
die von einem unserer Schüler in der<br />
5. Klasse verlangte, er solle innerhalb<br />
von einer Woche gefälligst Schreibschrift<br />
lernen.<br />
Es gibt wenige Eltern, die die Schreibschrift<br />
für so wichtig halten, dass sie<br />
ihren Kindern die Schreibschrift, oder<br />
Elemente davon, beibringen. Die betroffenen<br />
Kinder sind teilweise oder vorübergehend<br />
verunsichert und gehen unterschiedlich<br />
damit um:<br />
Ein Junge vermischt Schreibschriftelemente,<br />
die er bei seiner Oma gelernt<br />
hat, mit Druckschrift und kommt zu<br />
einer individuellen Form, die allerdings<br />
nicht gut lesbar ist.<br />
Ein Mädchen hat zu Hause Schreibschriftbuchstaben<br />
lernen müssen, die<br />
sie aber mittlerweile einzeln wie Druckschriftbuchstaben<br />
setzt, was natürlich<br />
den Schreibentwicklungsprozess behindert.<br />
Ein Schüler schrieb, weil seine Mutter<br />
das wollte und sie ihm das beigebracht<br />
hat, sehr schön in Lateinischer Ausgangsschrift.<br />
Er hat diese Schrift dann<br />
auch erfolgreich beibehalten.<br />
Zusammenfassung<br />
Es liegen etwa 7 Jahre Erfahrungen mit<br />
Druckschrift während der gesamten<br />
Grundschulzeit hinter uns.<br />
●● Die Schriftbilder der Kinder sind im<br />
Allgemeinen nachhaltig formklar, bewegungsflüssig,<br />
funktional und gut lesbar.<br />
●● Wir sind froh, dass wir die Entscheidung<br />
zur Druckschrift in der Schule so<br />
getroffen haben und stehen auch weiterhin<br />
zu unserer Entscheidung.<br />
●● Der Deutschunterricht im 2. Schuljahr<br />
ist wesentlich entlastet; die gewonnene<br />
Zeit kommt dem freien Schreiben<br />
und dem Lesen zugute.<br />
●● Schwächere Schüler sind klar begünstigt,<br />
für leistungsstarke Schüler ist das<br />
Thema eher weniger bedeutsam.<br />
●● Die Kinder haben keinen Nachteil<br />
und sind – im 2. Schuljahr – entlastet.<br />
●● Kinder, die während der gesamten<br />
Grundschulzeit in Druckschrift geschrieben<br />
haben, behalten offenbar auch<br />
in der Sekundarstufe überwiegend die<br />
Druckschrift bei, aus der sie, meistens<br />
schon in der Grundschulzeit, ihre<br />
Handschrift entwickeln. Einzelne Buchstaben<br />
werden eher wenig oder gar nicht<br />
sichtbar verbunden.<br />
●● Die Nachteile für die Druckschrift<br />
schreibenden Kinder sind gering und<br />
bestehen eher in Konflikten mit unangepasstem<br />
Verhalten einiger Kollegen<br />
im Bereich Sek I oder mit Eltern, die andere<br />
Vorstellungen von Schrift haben.<br />
Ein erfolgreicher Wechsel von<br />
●●<br />
Schreibschrift zur Druckschrift an einer<br />
Schule kann nur durch eindeutige und<br />
umfassende Beschlüsse und Maßnahmen<br />
des Kollegiums und der Mitwirkungsorgane<br />
sowie durch nachhaltige<br />
und plausible Aufklärungsarbeit der<br />
Eltern gelingen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
19
Praxis: Grundschrift<br />
Barbara van der Donk / Linda Kindler<br />
Schreiben mit Schwung<br />
Entwicklung der Schreibfertigkeit an der GGS Repelen<br />
Seit 2001 konnten wir verfolgen,<br />
wie Kinder und Lehrerinnen an<br />
unserer Schule mit dem Schreibenlernen<br />
umgegangen sind.<br />
Zunächst wurde die Druckschrift als<br />
Errungenschaft zum Lesenlernen gefeiert<br />
und es war für alle nur logisch, in<br />
Druckschrift auch mit dem Schreiben<br />
zu beginnen. Aber wie sollte daraus<br />
eine schöne, flüssige Schreibschrift werden?<br />
Das war das Ziel. Also musste eine<br />
genormte Schreibschrift her. Dies war<br />
vorerst die lateinische Ausgangsschrift<br />
(LA). Wir kamen mit engagierten Eltern<br />
ins Gespräch, die eine klare Meinung<br />
vertraten: Die LA ist schön, unsere<br />
Kinder sollen so schreiben lernen,<br />
wir haben das nämlich auch gelernt.<br />
Dazu gehörten auch Schönschreibübungen,<br />
denn ohne Üben lernt man<br />
eine Schreibschrift nicht gut. Meistens<br />
begann der LA-Lehrgang gegen Ende<br />
des 1. Schuljahres. Dies war verbunden<br />
mit der Einführung eines neuen<br />
Schreibgerätes. Nach dem Bleistift (oder<br />
Griffel) kam der Füller. Es gehörte zum<br />
Profil der Schule, dass sie eine der wenigen<br />
<strong>Grundschule</strong>n im Stadtgebiet war,<br />
die bei der LA blieben.<br />
Schließlich ging an den Argumenten<br />
eines inzwischen veränderten<br />
Kollegiums sowie der Situation, dass<br />
die Schule zur Ausbildungsschule für<br />
Lehramtsanwärterinnen wurde, nicht<br />
vorbei, dass es die Vereinfachte Ausgangsschrift<br />
(VA) gab. Die Argumente<br />
für und gegen LA und VA wurden vehement<br />
diskutiert.<br />
2002 kam es schließlich zum Wechsel<br />
der Schreibschrift. Nun gab es die<br />
Abfolge: Druckschrift ➝ Vereinfachte<br />
Ausgangsschrift ➝ persönliche Handschrift.<br />
Sowohl die Kinder als auch die<br />
Lehrerinnen investierten viel Zeit und<br />
Energie in das Erlernen der Druckbuchstaben<br />
in korrekter Bewegungsrichtung<br />
und danach – zu Anfang des<br />
2. Schuljahres – in den Schreiblehrgang<br />
zur VA. Das Repertoire der Schreibgeräte<br />
wurde erweitert. Als Übergangsstift<br />
wurde ein Inky benutzt. Danach<br />
kam ein Füller zum Einsatz. Hierbei<br />
stellten wir fest, dass der Wechsel eines<br />
Schreibstiftes immer mit einer<br />
Verlangsamung des Schreibens und<br />
meistens mit einer Schreibweise ohne<br />
Schwung verbunden war. Oft wurden<br />
Lockerungsübungen der Hände<br />
im Unterricht durchgeführt. Hin und<br />
wieder gab es Beschwerden von weiterführenden<br />
Schulen: Die Kinder schrieben<br />
nicht mehr gut lesbar und nicht<br />
mehr so schön. Es wurde ein kultureller<br />
Verfall in der Schreibentwicklung<br />
angemahnt. Begleitend hatte die Zeit<br />
der offenen Unterrichtsformen in der<br />
<strong>Grundschule</strong> begonnen. Wie könnte<br />
ein Schreiblehrgang dort integriert<br />
werden? Auch unsere Schule verwendete<br />
einen Schreiblehrgang, in dem die<br />
Kinder nach kurzer Einführung relativ<br />
selbstständig in ihrem eigenen Tempo<br />
arbeiten konnten. Die Eltern unterstützten<br />
die Hausaufgaben im Schreiblehrgang<br />
zum Teil. Aber auch hier ging<br />
nichts von selbst, eine individuelle Begleitung<br />
der Kinder war notwendig.<br />
Wie die Kinder aus der VA zu einer<br />
persönlichen Handschrift kommen<br />
konnten, das war auch hier nicht klar.<br />
Wir beobachteten genau, ob die Kinder<br />
die vorgegebene Norm der VA korrekt<br />
erfüllten.<br />
Im Jahr 2008 wurden in NRW neue<br />
Richtlinien und Lehrpläne gültig. Bei<br />
der Implementierung dachten wir im<br />
Kollegium darüber nach, was die Formulierung<br />
der Kompetenzerwartungen<br />
am Ende von Klasse 2 und 4 bedeuten<br />
würde. Kompetenzerwartungen am<br />
Ende von Klasse 2: »Die Schülerinnen<br />
und Schüler schreiben flüssig und<br />
formklar in Druckschrift.« Kompetenz<br />
Von der Druckschrift zur verbundenen persönlichen Handschrift<br />
Leitgedanken<br />
●● Nicht alle Buchstaben müssen<br />
bei der Handschrift verbunden<br />
werden.<br />
●● Alles, was den Fluss des<br />
Schreibens hemmen könnte,<br />
sollte vermieden werden.<br />
●● Wenn ein Kind aus der Druckschrift<br />
weiterführend flüssig und<br />
formklar schreibt, sollte dieser<br />
Prozess nicht gestört werden.<br />
●● Die Druckschrift sollte von<br />
Kl. 1 bis 4 weitergeführt werden<br />
(z. B. jede Überschrift in Druckschrift<br />
schreiben).<br />
Für Klasse 1 / 2<br />
–– Anlauttabelle als Schreibhilfe<br />
(Schreibtabelle)<br />
–– »Schwungübungen«<br />
–– Luftschwünge<br />
–– Wendebogen<br />
–– Schreiben auf 1 Linie<br />
–– Angebote von verbundenen<br />
Buchstabengruppen<br />
–– Reflexionsgespräche über die<br />
individuellen Schreiberfahrungen<br />
–– Angebot von Übungssilben, -wörtern,<br />
-sätzen / Anbindung an Lern-(Merk)wörter<br />
–– Lineatur nach individueller Schreib fähigkeit<br />
–– Schreibgerät Bleistift / Erprobung verschiedener<br />
Schreib geräte<br />
Für Klasse 3 / 4<br />
–– Automatisierung von Verbindungen,<br />
weitere »Verflüssigung« der Handschrift<br />
–– »Temposchreiben«<br />
–– Angebot von Übungstexten als<br />
Abschreibtexte<br />
–– Verwendung der Lineatur von<br />
Klasse 3 / 4<br />
–– Verwendung verschiedener<br />
Schreibgeräte<br />
–– Durchführung verschiedener<br />
Schreibprojekte<br />
20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Grundschrift<br />
erwartungen am Ende von Klasse 4:<br />
»Die Schülerinnen und Schüler schreiben<br />
flüssig in einer gut lesbaren verbundenen<br />
Handschrift.« Allen wurde<br />
klar: Wir brauchen keine Schreibschrift<br />
mehr als Zwischenschritt zur persönlichen<br />
Handschrift! Wir müssen uns<br />
auch nicht mehr entscheiden: LA oder<br />
VA? Welch Entlastung! Es ging um<br />
die Schreibkultur an unserer Schule!<br />
Schreibenlernen, füreinander schreiben,<br />
richtig schreiben lernen usw. hat<br />
mit der Persönlichkeitsentwicklung<br />
jedes Kindes zu tun. Mit der eigenen<br />
Hand zu schreiben macht stolz! Wir<br />
Lehrerinnen und Lehrer möchten, dass<br />
unsere Grundschulkinder stolz auf ihre<br />
Schreibent wicklung und ihre Schreibprodukte<br />
sein können. Das motiviert<br />
zum Weiterlernen.<br />
Aber wie entwickeln die Kinder eine<br />
gut lesbare verbundene Handschrift?<br />
Darüber begannen wir neu nachzudenken.<br />
Erst einmal lernten die Kinder<br />
wieder Druckschrift. Als wir bei den<br />
Kindern in Klasse 3 und 4 feststellten,<br />
dass trotz erlernter VA zum Teil sehr<br />
schlechte Handschriften zu verzeichnen<br />
waren, stellten wir den Kindern<br />
wieder frei, in Druckschrift zu schreiben.<br />
Die Kinder schrieben zum Teil<br />
sehr eckig, hatten wenig Schwung und<br />
die Kriterien flüssig und gut lesbar<br />
blieben oft auf der Strecke. Wir berieten<br />
manche Kinder, die Druckschrift<br />
wieder zu üben. Es stellte sich heraus,<br />
sie schrieben allmählich formklarer<br />
und lesbarer, waren selbst wieder zufrieden<br />
mit ihren Schreibergebnissen.<br />
Außerdem automatisierten sie diese<br />
Schreibweise und alles ging zügiger.<br />
Es fehlten uns allerdings die gezielten<br />
Hilfen, die wir den Kindern gerne angeboten<br />
hätten.<br />
Wir brauchten eine neue fachliche<br />
Auseinandersetzung mit dem Thema<br />
Schreibenlernen bei Grundschulkindern.<br />
Wie gut, dass sich Linda Kindler<br />
als Lehramtsanwärterin an unserer<br />
Schule für dieses Thema interessierte!<br />
Sie begeisterte sich dafür, diskutierte<br />
mit ihrer Ausbildungslehrerin, mit der<br />
Schulleiterin, den Teamkolleginnen,<br />
der Nachbarschule … Alle suchten und<br />
fanden Fachliteratur, lasen, diskutierten,<br />
und allmählich entstand das, was<br />
wir als Leitgedanken formulierten und<br />
für die Jahrgangsstufen zusammentrugen.<br />
Was bedeutet<br />
»Schreiben mit Schwung«?<br />
»Schreiben mit Schwung« beschreibt<br />
lockeres und zügiges Schreiben,<br />
bei dem die Schreibbewegungen in<br />
Schwung kommen. Der Begriff betont<br />
damit, dass Schreiben Bewegung ist –<br />
ein Aspekt, der nicht vernachlässigt<br />
werden darf, wenn wir Kinder auf ihrem<br />
Weg zu individuellen verbundenen<br />
Handschriften begleiten.<br />
Das Schreiben mit Schwung stand<br />
im Zentrum unserer Arbeit mit Kindern<br />
eines zweiten Schuljahres mit<br />
dem Ziel der Entwicklung individueller,<br />
verbundener Handschriften aus der<br />
Druckschrift ohne den Umweg über<br />
eine verbundene Ausgangsschrift. Basierend<br />
auf der Annahme, dass Buchstabenverbindungen<br />
individuell und<br />
mit Schwung ausgeführt werden, wurde<br />
auf genormte Buchstabenverbindungen<br />
verzichtet. An die Stelle von<br />
Normen traten die Reflexionskriterien<br />
Lesbarkeit und Bewegungsflüssigkeit.<br />
Die Kinder sollten ihre Schreibbewegungen<br />
in Schwung bringen und<br />
das Verbinden von Buchstabenkombinationen<br />
erproben und allmählich automatisieren.<br />
Dazu erstellten wir eine Kartei, in<br />
welcher sich jede Karteikarte auf eine<br />
Buchstabenkombination wie z. B. »ei«<br />
bezieht und Arbeitsaufträge zum<br />
Schrei ben mit Schwung, zum Verbinden<br />
der Buchstabenkombination und<br />
zum Reflektieren enthält. Die Buchstabenkombinationen<br />
wurden nach<br />
der Komplexität der Bewegungen, der<br />
Häufigkeit des Vorkommens im Wortschatz<br />
der Kinder sowie nach der »Art«<br />
der Verbindung (Wendebogen) ausgewählt.<br />
Zu jeder Buchstabenkombination<br />
befinden sich auf den Karteikarten<br />
Schreibwörter, d. h. Nomen, Verben<br />
und Adjektive sowie Artikel, Pronomen<br />
und häufig vorkommende Präpositionen,<br />
anhand derer das verbundene<br />
Schreiben erprobt und geübt wurde,<br />
um die Inhaltlichkeit des Schreibens<br />
nicht zu vernachlässigen. Die Arbeit<br />
orientierte sich inhaltlich an dem Thema<br />
des jeweiligen Wochenplans.<br />
Zur Unterstützung wurde ein<br />
Erste-Hilfe-Ordner mit verbundenen<br />
Schreibweisen der Buchstabenkombinationen<br />
bereitgestellt, der von den<br />
Abb. 1: Schülerin verbindet erste Buchstaben<br />
individuell<br />
Abb. 2: Schülerin schreibt immer mehr<br />
»mit Schwung«<br />
Abb. 3: Schüler verbindet Buchstaben aus<br />
der Gruppe 2 (el, ch, te, er, siehe S. 22)<br />
Abb. 4: Schülerin verbindet Buchstaben<br />
aus der Gruppe 1 (an, au, ei, en, eu, ie, in,<br />
un, siehe S. 22)<br />
Kindern selbstständig genutzt werden<br />
konnte. Die individuelle Arbeit mit der<br />
Kartei begleitend führten wir mit den<br />
Kindern regelmäßig Reflexionsgespräche<br />
durch.<br />
Hierin wurden folgende Aspekte<br />
kritisch thematisiert:<br />
1. Lesbarkeit der Handschriften<br />
(Könnt ihr deine Schrift gut lesen?)<br />
2. Bewegungsflüssigkeit des Schreibens<br />
(Kannst du … gut verbunden<br />
schrei ben? Wie geht es deiner Hand<br />
beim Schreiben? Gelingt es dir, zügig<br />
zu schrei ben?)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
21
Praxis: Grundschrift<br />
B. van der Donk (links)<br />
Rektorin der <strong>Grundschule</strong> Repelen,<br />
NRW<br />
Linda Kindler (rechts)<br />
war von 2008 bis 2010 Lehramtsanwärterin<br />
an der GGS Repelen in<br />
Moers und wurde dort in den Fächern<br />
Deutsch und Englisch ausgebildet.<br />
Sie ist seither an einer <strong>Grundschule</strong> in<br />
Dortmund tätig.<br />
Besonders wichtig war uns, dass so<br />
das Schreiben und die individuellen<br />
Handschriften der Kinder selbst zum<br />
Unterrichtsthema und somit zum Gegenstand<br />
der bewussten Auseinandersetzung<br />
wurden.<br />
Erfahrungen<br />
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass<br />
die Kinder mit dieser Arbeitsweise nach<br />
ihren individuellen Lernvoraussetzungen<br />
fortschreiten konnten und so ihre<br />
individuelle verbundene Handschrift<br />
weiterentwickelten. Die Kinder nahmen<br />
die eigene Handschrift und den eigenen<br />
Schreibprozess zunehmend bewusster<br />
und reflektierter wahr. Diesbezüglich<br />
waren die oben erwähnten Reflexionsphasen<br />
von enormer Bedeutsamkeit.<br />
Wir beobachteten jedoch, besonders<br />
in der Anfangsphase, dass das Schreiben<br />
mit Schwung einigen Kindern<br />
Schwierigkeiten bereitete, was dadurch<br />
zu erklären ist, dass diese Kinder die gelernten<br />
Druckbuchstaben sehr korrekt<br />
und kontrolliert schrieben und somit<br />
die Schreibbewegungen durch die »Ausgänge<br />
der Buchstaben« immer wieder<br />
gebremst wurden. Außerdem befinden<br />
sich viele Kinder im zweiten Schuljahr<br />
in der Phase der ersten bewussten Anwendung<br />
von orthografischen Strukturen,<br />
die das Schreiben mit Schwung<br />
häufig erschweren.<br />
Anregungen<br />
Folgende Punkte lassen sich aus unseren<br />
Erfahrungen ableiten, mit denen<br />
Konsequenzen für den Umgang mit der<br />
Grundschrift einhergehen:<br />
● ● Auf den Anfang kommt es an: Bereits<br />
im ersten Schuljahr sollten die<br />
Grundlagen für das Erlernen einer individuellen<br />
Handschrift gelegt werden,<br />
indem die Kinder die Grundschrift<br />
schreiben lernen. Der kleine Wendebogen<br />
der Kleinbuchstaben nimmt eine<br />
wesentliche Unterstützungsfunktion in<br />
der Schreibentwicklung ein, denn er<br />
fördert das schwungvolle »Beenden«<br />
der Buchstaben im Gegensatz zum Absetzen<br />
am Ende vieler Druckbuchstaben.<br />
Beim Erlernen der Grundschrift<br />
soll die Schreibentwicklung durch die<br />
Betonung erwiesener ökonomischer Bewegungsführungen<br />
gefördert werden,<br />
damit ein Schreiben mit Schwung möglich<br />
wird. Zugleich soll die individuelle<br />
Bewegungsführung eines Kindes beim<br />
Schreiben berücksichtigt werden, d. h.,<br />
die Bewegungsrichtung der Grundschrift<br />
gilt für Kinder, die bereits bei<br />
Schuleintritt in alternativen Bewegungsführungen<br />
schreiben, als Empfehlung.<br />
●●<br />
Schreiben mit Schwung: Durch Hinweise<br />
zum Schreiben mit Schwung wird<br />
die Aufmerksamkeit der Kinder auf die<br />
Bewegungsabläufe beim Schreiben gerichtet;<br />
so kann das zügige und lockere<br />
Schreiben gefördert werden, was für das<br />
alltägliche Schreiben der Kinder im<br />
Sinne der Bewegungsflüssigkeit und der<br />
Funktionalität des Schreibens bedeutsam<br />
ist.<br />
●● Regelmäßig und konsequent geführte<br />
Reflexionsgespräche zur Lesbarkeit<br />
und Bewegungsflüssigkeit: Um die<br />
individuelle Arbeit der Kinder zielgerichtet<br />
zu begleiten und zu unterstützen,<br />
sind gemeinsame Reflexionsphasen,<br />
in denen Schreibproben verglichen<br />
werden, über Schreibweisen und Verbindungen<br />
nachgedacht wird sowie<br />
Bewegungsabläufe nachvollzogen und<br />
bewusst gemacht werden, unabdingbar.<br />
●● Verbundenes Schreiben bedeutet<br />
nicht, Buchstaben auf dem Papier zu<br />
verbinden: Für den Umgang mit der<br />
Grundschrift ist die Einsicht der LehrerInnen<br />
wesentlich, dass wir immer, wenn<br />
wir Buchstaben zu Wörtern zusammenfügen,<br />
verbunden schreiben. Wir verbinden<br />
die Buchstaben als Schreibspur entweder<br />
auf dem Papier oder in der<br />
3. Dimension in der Luft. Daraus folgt,<br />
dass aus einer sicheren Druckschrift eine<br />
individuelle Handschrift entwickelt werden<br />
kann, die Verbindungen von Buchstabe<br />
zu Buchstabe enthält. Diese müssen<br />
jedoch nicht zwingend sichtbar auf<br />
dem Papier realisiert werden.<br />
●● Empfehlenswerte Buchstabenkombinationen<br />
zur Weiterentwicklung der<br />
Handschrift: Aus der Arbeit mit der<br />
Kartei ergaben sich folgende Buchstabenkombinationen.<br />
Wesentlich ist dabei,<br />
dass es sich nicht um Normvorgaben<br />
handelt, sondern sie den Kindern<br />
als Möglichkeit an die Hand gegeben<br />
werden sollten, anhand derer Buchstaben<br />
bewegungsökonomisch verbunden<br />
werden können.<br />
Die Buchstabenkombinationen wurden<br />
bewusst in zwei Gruppen unterteilt,<br />
welche empfehlenswert für die unterrichtliche<br />
Umsetzung sind:<br />
Gruppe 1: an, au, ei, en, eu, ie, in, un<br />
Gruppe 2: el, ch, te, er<br />
Die Buchstabenkombinationen der<br />
ersten Gruppe können alle auf dieselbe<br />
Weise mit dem Wendebogen verbunden<br />
werden. Es wurden für die Kombination<br />
aus Vokal und »n« mehrere Vokale<br />
aufgeführt, sodass diese wesentliche<br />
Möglichkeit der Verbindung erprobt<br />
und gegebenenfalls gefestigt werden<br />
kann. Für die Kombinationen aus zwei<br />
Vokalen gilt dasselbe.<br />
In der zweiten Gruppe wurde für die<br />
Buchstabenkombinationen aus Vokal<br />
und Konsonant exemplarisch das e gewählt;<br />
je nach individuellen Lernvoraussetzungen<br />
können weitere Kombinationen<br />
wie »ir« ergänzt werden.<br />
●● Die Kultur des »Füreinander Schreibens«<br />
konnte durch das Schreiben mit<br />
Schwung wesentlich gefördert werden.<br />
Die Kinder wurden durch die Schreibübungen<br />
und Reflexionsgespräche ermutigt,<br />
schriftlich zu kommunizieren.<br />
Das Thema hat uns gepackt, das Interesse<br />
ist geweckt. Wir wissen, wir brauchen<br />
etwas Neues, um den Kindern eine<br />
passende Förderung bei ihrer Schreibentwicklung<br />
anbieten zu können.<br />
Die ersten Ergebnisse bei der Arbeit<br />
mit der Kartei waren Erfolg versprechend.<br />
Nun wollen wir dran bleiben<br />
und arbeiten gerne mit an der Entwicklung<br />
der Grundschrift.<br />
22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Aus der Grundschrift<br />
Forschung<br />
Wolfgang Menzel<br />
Plädoyer für eine Schrift<br />
ohne normierte Verbindungen<br />
Seit Ende der 60er Jahre befasse<br />
ich mich mit Ausgangsschriften<br />
und Schriften der Schüler. Anlass<br />
war, dass ich zu der Fibel von Dietrich<br />
Pregel den Schreiblehrgang entwickelt<br />
hatte – natürlich in Lateinischer Ausgangsschrift,<br />
obwohl die Fibel selbst<br />
eine der ersten war, die nur in Druckschrift<br />
erschien. Das Schreibenlernen<br />
war zu dieser Zeit noch eine Sache für<br />
sich; es begann mit dem Malen von Girlanden<br />
und Arkaden – sozusagen dem<br />
Verbinden von Buchstabenelementen,<br />
noch ehe die Buchstaben selbst, einige<br />
Wochen danach, gelernt wurden.<br />
Später war ich Mitprüfer bei der<br />
Doktorprüfung von Heinrich Grünewald<br />
und musste mich dadurch mit<br />
der Vereinfachten Ausgangsschrift<br />
befassen. In Diskussionsrunden im<br />
Pelikan-Schreibkreis wurde ich zwar<br />
davon überzeugt, dass die Vereinfachte<br />
Ausgangsschrift einen gewissen<br />
Fortschritt gegenüber der Lateinischen<br />
Ausgangsschrift darstellte, da sie<br />
Buchstaben für Buchstaben, also analytischer,<br />
geschrieben werden konnte;<br />
ich kritisierte aber dort bereits, dass<br />
auch diese Schrift die »Verbundenheit«<br />
als wesentliches Kriterium beibehielt.<br />
Was hat man sich nicht alles einfallen<br />
lassen, um den hochfrequenten Buchstaben<br />
des kleinen s in einem Wort in<br />
Lateinische Ausgangs-Druckschrift (Menzel 1975)<br />
die durchgehende Schreibspur einzufädeln:<br />
statt Anstrich in der LA nun<br />
Schleifchen in der VA – beim Doppel-s<br />
zwei Schleifchen! Es wurde dadurch<br />
eigentlich nur schlimmer, da gerade<br />
die Wörter mit mehreren s rasch in<br />
Verformungen gerieten und beim Dekodieren<br />
dann der Lehrerin manche<br />
Rätsel aufgaben. Dabei ist doch das s<br />
ohne Zweifel kein schwer zu realisierender<br />
Buchstabe, wenn man nicht<br />
daran geht, ihn in<br />
jedes Wort kunstvoll<br />
einzuhäkeln,<br />
statt ihm das Recht<br />
auf seine Urform<br />
zu belassen. Und so<br />
ist es manchen an<br />
Es ist ein Vorurteil,<br />
dass Schreiben ein<br />
Vorgang der Verbindung<br />
von Buchstaben sei.<br />
deren Buchstaben<br />
gegangen: dem »Köpfchen-e« und dem<br />
»Schleifen-z«, dem »gespreizten t« usw.<br />
Alles unter dem Zwang der Beibehaltung<br />
einer Schrift, deren Wörter wie in<br />
einem Strickmuster in einem Zuge und<br />
wie mit einem durchgehenden Fädchen<br />
gestrickt werden mussten. Verständlich<br />
war das Ganze damals wohl aus<br />
dem ungebrochenen Vorurteil und den<br />
sich daraus ergebenden Richtlinienforderungen<br />
heraus, Schreiben sei ein<br />
Vorgang der Verbindung von Buchstaben<br />
– zumindest müsse man das einer<br />
Schulschrift ansehen.<br />
Gemeinsam mit Jürgen Baumann<br />
gab ich dann »Die Fibel« heraus, in der<br />
wir von einer Erstschrift in Druckbuchstaben<br />
ausgingen, damit die Schüler das<br />
Lesen und Schreiben in Verbindung<br />
miteinander lernen konnten. Die Richtliniensituation<br />
in Niedersachsen und<br />
Bayern machte dies bereits möglich; in<br />
einigen anderen Bundesländern wurde<br />
daraufhin eine »Ausgangsdruckschrift«<br />
zugelassen, doch immer noch mit der<br />
Forderung, dass im<br />
2. Schuljahr eine der<br />
verbundenen Schriften<br />
gelernt werden müsse.<br />
Wirkliches Schreiben<br />
verstand man damals<br />
immer noch als verbundenes<br />
Schreiben;<br />
das unverbundene Schreiben als »Drucken«<br />
müsse überwunden und in ein<br />
sog. »flüssiges« Schreiben (was immer<br />
man darunter verstand) überführt werden.<br />
In kleinen Forschungsunternehmungen<br />
an der Universität untersuchten wir<br />
dann die Schriften von Kindern und<br />
Studierenden, wobei wir die besondere<br />
Aufmerksamkeit auf sog. »unverbundene«<br />
Schriften richteten. Wir legten<br />
Schriftsammlungen an und befragten<br />
die Schreiber der Schriften. Zu unserer<br />
Überraschung erhielten wir wiederholt<br />
die Auskunft, dass die Schreibenden<br />
diese unverbundenen Schriften gewählt<br />
hatten, weil sie damit »schneller« schreiben<br />
könnten. Die Lesbarkeit war also<br />
gar nicht ihr Kriterium, obwohl kein<br />
Zweifel bestand, dass diese Schriften allesamt<br />
besonders gut lesbar waren.<br />
Unsere Frage war: Wie kommt eine<br />
Schrift zustande, die besonders gut lesbar<br />
ist (das wesentliche Kriterium einer<br />
Schrift unter kommunikativem Aspekt)<br />
– und zugleich dem Kriterium der<br />
»Geläufigkeit« (oder »Unverkrampftheit«,<br />
meinetwegen auch mit der missverständlichen<br />
Metapher »Flüssigkeit«<br />
umschrieben, jedenfalls in einer gewissen<br />
individuellen Geschwindigkeit) gerecht<br />
wird. Wir haben mit Studierenden<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
23
Aus Praxis: der Grundschrift<br />
Forschung<br />
und Lehrenden in der Lehrerfortbildung<br />
erprobt, wie rasch sie kleine Texte<br />
in unverbundener Schrift schreiben<br />
können, und wir erfuhren dabei, dass<br />
selbst Ungeübte nach einigen Versuchen<br />
nahezu genauso schnell »drucken«<br />
konnten wie verbunden schreiben.<br />
Die Aufmerksamkeit richtete sich<br />
auch auf unverbundene Alltagsschriften<br />
Erwachsener. Dabei ermittelten wir<br />
die in diesen Schriften sichtbaren »Lücken«<br />
zwischen einzelnen Buchstaben,<br />
die von einem Buchstaben bzw. von einer<br />
Buchstabengruppe zu einer anderen<br />
»übersprungen« worden sind. Es stellte<br />
sich heraus, dass die meisten Wörter<br />
von solchen Lücken bestimmt sind. Einige<br />
Buchstaben werden zwar fast immer<br />
miteinander verbunden, aber es<br />
sind in der Regel nicht mehr als zwei<br />
oder drei. Selbst in einem Wort wie »Referat«<br />
fanden sich durchschnittlich zwei<br />
bis drei »Sprungstellen«. Viele Einzelbuchstaben<br />
können auch in Schriften,<br />
die sich noch so verbunden darstellen,<br />
ohne »Sprungstelle« gar nicht realisiert<br />
werden, wie manche Großbuchstaben<br />
(T, B, …) oder die Kleinbuchstaben mit<br />
i- und Umlautpunkten bzw. mit t- oder<br />
f-Strichen. Es besteht also viel<br />
mehr Bewegung ohne sichtbare<br />
Schreibspur in einer Handschrift,<br />
als wir beim Lesen erkennen,<br />
selbst wenn wir eine Schrift als<br />
extrem verbunden klassifizieren.<br />
Was sich also auf dem Papier<br />
auf den ersten Blick wie eine verbundene<br />
Schrift liest, ist durchaus nicht<br />
dem absoluten Kriterium der Verbundenheit<br />
beim Schrei ben unterworfen,<br />
auch nicht beim offenbar raschen und<br />
flüssigen Schreiben. Unsere Schlussfolgerung<br />
war: Es gibt eigentlich keine<br />
»verbundenen« und »unverbundenen«<br />
Schriften, sondern nur Schriften mit<br />
oder ohne auf dem Papier realisierte<br />
Schreibspuren. Die »Sprünge« zwischen<br />
den Einzelbuchstaben eines Wortes<br />
sind, ebenso wie die gespurten Verbindungslinien,<br />
ebenfalls als Schreibbewegungen<br />
anzusehen, nur dass sie eben<br />
keine Spur hinterlassen. Die »Geläufigkeit«<br />
einer Schrift steht dem Überspringen<br />
(also einer Bewegung ohne Schriftspur)<br />
nicht entgegen. Im Gegenteil<br />
– wie die Physiologen wissen: An dieser<br />
»Leerstelle« ohne Schriftspur entspannt<br />
die Schreibmuskulatur für kurze Zeit;<br />
das Schreiben wird entspannter.<br />
Was die Verbindungslinien zwischen<br />
den Buchstaben betrifft (-en…, -er…,<br />
-el… usw.), so werden diese spätestens<br />
im 4. Schuljahr ohnehin individuell unterschiedlich<br />
realisiert. Bei unverbundenen<br />
Schriften in höheren Schuljahren<br />
Es gibt eigentlich keine »verbundenen«<br />
und »unverbundenen« Schriften,<br />
sondern nur Schriften mit oder ohne<br />
auf dem Papier realisierte Schreibspuren.<br />
und bei Erwachsenen sind die Teilverbindungen<br />
ebenfalls sehr unterschiedlich.<br />
Es hat sich gezeigt, dass Texte in<br />
unverbundenen Schriften individuell<br />
so unterschiedlich sind wie solche, die<br />
ursprünglich eine der Ausgangsschriften<br />
zur Grundlage hatten. Die Lesbarkeit<br />
unverbundener Schriften wurde<br />
insgesamt besser beurteilt. Die Begriffe<br />
»Druckschrift« und »Schreibschrift«<br />
wurden in unseren Untersuchungen<br />
Wolfgang Menzel<br />
ist emeritierter Professor der Universität Hildesheim.<br />
Er befasste sich in vielen Veröffentlichungen und hochschulischen<br />
Veranstaltungen mit den Ausgangsschriften der Schüler.<br />
Noch heute begleitet er Schulen bei Schulversuchen mit unverbundenen<br />
Ausgangsschriften und hält Vorträge darüber in der<br />
Lehrerfortbildung.<br />
fortan als untauglich für die Beschreibung<br />
dessen, was sich beim Schreiben<br />
vollzieht, aufgegeben. Von Hand geschriebene<br />
Alltagsschriften sind eben<br />
nicht gedruckt; sie sind mit oder ohne<br />
gespurte Bewegungslinien geschrieben.<br />
Eine Normierung von Buchstabenverbindungen<br />
– und damit das Erlernen<br />
einer der verbundenen Ausgangsschriften<br />
– stellt heute meiner Überzeugung<br />
nach in der Schule einen Umweg dar<br />
(ganz abgesehen von mancherlei Nachteilen<br />
in den Bewegungsvollzügen dieser<br />
Schriften, die zu vielerlei Zierrat<br />
und Verformungen neigen). Das besagt<br />
allerdings nicht, dass jedes Kind aus<br />
den vorgegebenen Formen seine eigene<br />
Schrift entwickeln sollte, da<br />
es auch hierbei mancherlei Irrwege<br />
gehen kann. So haben wir<br />
beobachtet, dass Kinder, wenn<br />
man ihnen lediglich die Form<br />
des kleinen b vorgibt, diese in<br />
mancherlei verschiedene Bewegungen<br />
»übersetzen«: (1a)<br />
Sie beginnen mit einem Abstrich von<br />
oben auf die Grundlinie nach unten<br />
– oder (1b) mit einem Aufstrich von<br />
der Grundlinie nach oben. (2a) Sie beginnen<br />
den »Bauch« des b in der Mitte<br />
des Senkrechtstriches – oder (2b) am<br />
unteren Ende des Abstrichs nach oben.<br />
Das ergibt die vier am häufigsten auftretenden<br />
Bewegungsarten. Kommt<br />
noch hinzu, dass sie mit dem »Bauch«<br />
des b überhaupt beginnen, was auf weitere<br />
Realisierungsmöglichkeiten hinausläuft;<br />
diese Fälle sind aber selten.<br />
Bewegungsökonomisch ist jedoch nur<br />
eine der Möglichkeiten (1a – 2a), nämlich<br />
Abstrich von oben auf die Grundlinie<br />
und Bogen von der Abstrichmitte<br />
nach unten zum Abstrichende. Das ist<br />
in Folgendem begründet: Die Reihenfolge<br />
der Teilbewegungen muss sich<br />
in der Schreibrichtung von links nach<br />
rechts vollziehen, und: Abstrichbewe-<br />
24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Aus der Grundschrift<br />
Forschung<br />
gungen (Beugung des Muskels) haben<br />
Vorrang vor Aufstrichbewegungen<br />
(Streckung), da Beugungsbewegungen<br />
zielgerichteter ausgeführt werden können.<br />
Dies gilt grundsätzlich für alle<br />
Buchstaben – welcher Schriftart auch<br />
immer (und übrigens auch für Zahlen).<br />
Und diese Bewegungen<br />
müssen im Anfangsunterricht<br />
gelernt und<br />
geübt werden. In neueren<br />
Schreiblehrgängen<br />
wird dies auch getan.<br />
Entscheidend ist für<br />
eine jede mehr oder<br />
weniger verbundene Schrift, dass die<br />
Abstände zwischen den Einzelbuchstaben<br />
deutlich geringer sind als die zwischen<br />
den Wörtern. Dies spielte auch in<br />
der Frühzeit der Entwicklung der Kurrent,<br />
als man noch ohne Wortabstände<br />
schrieb, dann die entscheidende Rolle.<br />
Wörter in »in einem Zuge« zu schreiben<br />
war dabei (schon wegen der Schreibgeräte)<br />
von untergeordneter Bedeutung<br />
und ist in der Geschichte der Schrift<br />
zunächst als eine besondere Kunstfertigkeit<br />
angesehen worden, die besonderer<br />
Übung bedurfte (siehe die »Roundhand«<br />
für Schmuckblätter, Einladungen<br />
und Glückwünsche). Dass sich aus eben<br />
dieser Schmuckschrift eine Schulschrift<br />
für Kinder entwickelte, ist sicher nicht<br />
im Hinblick auf Kommunikation zu<br />
verstehen; denn diese ersten Vorgänger<br />
der Lateinischen Ausgangsschrift waren<br />
schwer lesbar. Und es basiert natürlich<br />
auch nicht auf schreibphysiologischen<br />
Untersuchungen. Erklärungen dafür<br />
könnten sein, dass<br />
Schreiberziehung<br />
Kinder brauchen eine<br />
individuelle Gebrauchsschrift,<br />
die auf Leserlichkeit<br />
angelegt ist.<br />
zunächst als eigenständige<br />
Disziplin<br />
angesehen wurde,<br />
in der es tatsächlich<br />
mehr um Kunstfertigkeit,<br />
Ordnung,<br />
Sauberkeit usw., später dann übrigens<br />
auch um »Ganzheitlichkeit« ging als<br />
um ökonomische und praktische Dinge.<br />
Ein Beleg dafür ist, dass sich das<br />
»Schönschreiben« bis über die Mitte<br />
des 20. Jahrhunderts hinaus als eigene<br />
Übung gehalten hat.<br />
Dass das Lesen und Schreiben im<br />
Anfangsunterricht gemeinsam und<br />
miteinander korrespondierend gelernt<br />
werden, ist heute Konsens. Ob als<br />
» Lesen durch Schreiben« oder »Schreiben,<br />
was man lesen kann«, ist für unser<br />
Thema unerheblich. Wichtig ist jedoch<br />
(siehe oben), dass jeder Einzelbuchstabe<br />
in seiner Bewegungsform erlernt wird.<br />
Vom 2. Schuljahr an sollte es den Schülern<br />
überlassen sein, ob sie Verbindungen<br />
von Buchstabe zu Buchstabe mit<br />
oder ohne Schreibspur realisieren wollen.<br />
Zu lernen ist allerdings, dass sich<br />
die Lücken zwischen den Buchstaben<br />
deutlich von denen zwischen ganzen<br />
Wörtern unterscheiden. Schriften von<br />
Kindern, die von Anbeginn an unverbunden<br />
zu schreiben gelernt haben,<br />
zeigen häufig, dass auf den Unterschied<br />
zwischen Buchstaben- und Wortlücken<br />
beim Lehren und Lernen nicht die rechte<br />
Aufmerksamkeit gerichtet worden<br />
ist. Ein Lehrgang im Schreiben ohne<br />
genormte Verbindungen zwischen den<br />
Buchstaben aber (also ohne Einführung<br />
einer Ausgangsschrift), der die<br />
Aufgaben eines Schreiblehrgangs ernst<br />
nimmt, führt, wie ich erst kürzlich<br />
wieder an zwei großen Schulen durch<br />
meine Begleitung feststellen konnte, zu<br />
vorzüglichen Ergebnissen gut lesbarer<br />
und geläufig schreibbarer Schriften im<br />
3. und 4. Schuljahr.<br />
Die Lehrplan- und Schulbuchsituation<br />
macht Hoffnung: Für viele Bundesländer<br />
werden von den Verlagen<br />
Arbeitshefte für Schüler kaum noch<br />
mit den Vorlagen von LA, VA oder SAS<br />
ausgegeben bzw. von den Lehrkräften<br />
angefordert. Das macht deutlich, dass<br />
den Schülerinnen und Schülern vom<br />
2./3. Schuljahr an das Schreiben, in<br />
welcher Schrift auch immer, in solchen<br />
Materialien freigestellt ist. Damit können<br />
wir davon ausgehen, dass es den<br />
Kindern nach dem Erlernen der Schrift<br />
überlassen bleibt, eine individuelle<br />
Gebrauchsschrift zu schreiben, die auf<br />
Leserlichkeit angelegt ist und sich mehr<br />
oder minder realisierter Schreibspuren<br />
innerhalb von Wörtern bedient. Der<br />
Trend weg von genormten verbundenen<br />
Schriften ist erkennbar.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
25
Aus Praxis: der Grundschrift<br />
Forschung<br />
Christina Mahrhofer-Bernt<br />
Schreibenlernen mit der Hand:<br />
Populäre Mythen und Irrtümer<br />
Gesammelte Erfahrungswerte, die das eigene Handeln als positiv und erfolgreich<br />
bestätigen, bilden die Grundlage für unser Erfahrungswissen. Das Erfahrungswissen<br />
ist grundsätzlich eine wichtige Ergänzung unseres Fachwissens,<br />
um unser professionelles Handeln zu einer Kompetenz werden zu lassen. Dies<br />
zeigt sich auch im Schreibunterricht. Im Studium erworbene Modelle und Konzepte<br />
zum (Lesen- und) Schreibenlernen konkretisieren sich erst im Umgang<br />
mit dem Schüler. Der Erfolg, sprich das erfolgreich Schreiben lernende Kind<br />
bestätigt mein Handeln als Lehrende und mein für dieses Kind ausgewähltes<br />
Lernangebot. Je häufiger diese Bestätigung erfolgt, desto mehr festigen sich<br />
damit verbundene Annahmen, das spezielle Lernangebot führe immer wieder<br />
zum Erfolg, sprich, bringe viele, wenn nicht alle Kinder zum Schreibenlernen.<br />
Mein zukünftiges Handeln wird dann bestimmt durch das vorhandene theoretische<br />
Fachwissen in Kombination mit dem Erfahrungswissen aus der Unterrichtspraxis.<br />
In allen Handlungskontexten, in denen<br />
Erfahrungswissen eine große<br />
Rolle spielt, halten sich auch populäre<br />
Mythen und Irrtümer hartnäckig.<br />
Mythen ergeben sich aus Hypothesen,<br />
die sich in weiten Teilen einer Personengruppe<br />
durchgesetzt haben und<br />
weithin durch mündliche Überlieferung<br />
entstanden sind. Diese Annahmen<br />
finden in der betreffenden Personengruppe<br />
breite Akzeptanz und werden in<br />
das eigene Alltagshandeln integriert. Es<br />
handelt sich dabei nicht um episodenartige<br />
Meinungen, sondern vielmehr<br />
um durch vermeintliches Faktenwissen<br />
untermauerte Erklärungsversuche. Die<br />
überlieferten Inhalte sind in der Regel<br />
nicht theoretisch bestätigbar, richten<br />
aber keinen größeren Schaden an. Irrtümer<br />
hingegen beziehen sich auf tatsächlich<br />
faktisch falsche Annahmen<br />
und Meinungen. Der die falsche Annahme<br />
oder Meinung Äußernde ist dabei<br />
von der Richtigkeit seiner Äußerung<br />
überzeugt. Problematisch ist im Falle<br />
des Irrtums die tatsächliche Fehlerhaftigkeit<br />
des vermittelten Inhaltes, was je<br />
nach Handlungsfeld zu gravierenden<br />
Konsequenzen führen kann. Durch<br />
wissenschaftliche Betrachtung der zugrunde<br />
liegenden Aussagen ist es häufig<br />
möglich, diese sich hartnäckig haltenden<br />
Annahmen zu widerlegen oder sogar<br />
Irrtümer aufzuklären.<br />
Auch im Schreibunterricht existieren<br />
derartige Missverständnisse mit einer<br />
großen Beständigkeit. Im Nachfolgenden<br />
wird der Versuch unternommen,<br />
einige speziell auf das Schreibenlernen<br />
mit der Hand bestehende populäre<br />
Mythen oder Irrtümer auf ihren Sachgehalt<br />
hin zu überprüfen und unter<br />
wissenschaftlicher Perspektive neu zu<br />
reflektieren.<br />
Aus neurowissenschaftlicher Sicht<br />
bedeutet das Schreiben mit der Hand<br />
den Ablauf routinierter graphomotorischer<br />
Bewegungen. Mai & Mitarbeiter<br />
(1991, 1997, 1998) deckten bereits vor<br />
längerer Zeit in der neurologischen Rehabilitation<br />
eine Reihe von Faktoren<br />
auf, die die Flüssigkeit von Schreibbewegungen<br />
begünstigen können. So zeigte<br />
sich, dass routinierte Schreiber deutlich<br />
vereinfachte Buchstabenformen ähnlich<br />
der Druckbuchstabenformen auch<br />
beim verbundenen Schreiben wählen.<br />
Sie verbinden nie mehr als zwei bis drei<br />
Buchstaben, ehe sie beim Absetzen ihre<br />
Handmuskulatur entspannen. Computergestützte<br />
Schreibanalysen machten<br />
sichtbar, dass bevorzugt Buchstaben<br />
zusammengeschrieben werden, die verbunden<br />
schneller zu produzieren sind.<br />
Vor Linksovalen hingegen setzen die<br />
meisten Schreiber ab, da dies zu einem<br />
schnelleren Verschriften führt (vgl. Mai<br />
& Marquardt 1989, S. 91f.).<br />
Übertragen auf den Schreibunterricht<br />
lassen sich schreibbewegungsförderliche<br />
Prinzipien wie folgt zusammenfassen<br />
(vgl. Mahrhofer 2004, S. 108):<br />
●● Buchstabenformen sollten systematisch<br />
vereinfacht und als Ausgangsformen<br />
bzw. Richtformen angeboten werden.<br />
Eine individuelle Abwandlung<br />
unter dem Prinzip der Formklarheit<br />
und Formkonstanz ist möglich.<br />
●● Beim Übergang zur verbundenen<br />
Schrift sind je nach Formkategorie unterschiedliche<br />
Verbindungen möglich,<br />
um den individuellen Bewegungsprogrammen<br />
der Schreiben lernenden Kinder<br />
entgegenzukommen.<br />
●● Individuelle Möglichkeiten des Absetzens<br />
bzw. des Ausführens von Luftsprüngen<br />
reduzieren die Anspannung<br />
der Handmuskulatur und erleichtern<br />
die Bewegungsausführungen.<br />
●● Ein Wegfall einschränkender Lineaturen<br />
bzw. weniger strenge Einhaltung<br />
vorgegebener Lineaturen unterstützt<br />
flüssige Ausführungen der Schreibbewegungen.<br />
●● Nachspurübungen und andere Übungen,<br />
die den Bewegungsfluss behindern,<br />
sollten weggelassen werden.<br />
●● Eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen<br />
Lineaturen, Schreibgrößen,<br />
Schreibmaterialien und Stifthaltungen<br />
kommt den individuellen Bewegungsbedürfnissen<br />
weitmöglichst entgegen.<br />
Vor dieser schreibmotorisch grundlegenden<br />
wissenschaftlichen Theorie sind<br />
einige populäre Mythen oder Irrtümer<br />
(im Weiteren durch gekennzeichnet)<br />
im Schreibunterricht auf ihre Belastbarkeit<br />
hin zu überprüfen.<br />
Handgeschriebene Druckschrift<br />
1) ist uniform. <br />
Überlegungen zur Uniformität handgeschriebener<br />
Schriften im schulischen<br />
Feld stehen eng im Zusammenhang<br />
1) Druckschrift steht im vorliegenden Text<br />
für die in der Schule vermittelte Schriftform<br />
der Gemischtantiqua. Der Begriff impliziert<br />
nicht die damit früher oft assoziierte Form<br />
des Schreibens als ein Prozess des Druckens<br />
von Buchstaben. Auch ein Druckbuchstabe<br />
wird mittels einer Schreibbewegung produziert.<br />
26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Aus der Grundschrift<br />
Forschung<br />
mit Forderungen zu einer Anpassung<br />
an die Ausgangsschrift als Normschrift.<br />
So sollten alle Schüler zu einer<br />
einheitlichen Handschrift hingeführt<br />
werden, die mit der Ausgangsschrift<br />
im Sinne einer Norm möglichst weitgehend<br />
übereinstimmt. Berücksichtigt<br />
man hingegen den schreibmotorischen<br />
Lernprozess bei Schreibanfängern,<br />
spielen die zu lernenden Buchstaben<br />
eine bedeutsame Rolle sowohl in ihrer<br />
Formgestaltung wie auch ihrer Präsentation<br />
als Ausgangsform. Die Diskussion<br />
der 80er Jahre um den Einsatz von<br />
Druck- und/oder Schreibschrift wägte<br />
optisch-analytische Vorteile gegenüber<br />
damaligen schreibmotorischen Aspekten<br />
ab. Die Vertrautheit der Gemischtantiqua<br />
in der Alltagswelt der Kinder,<br />
ihre ersten eigenen Verschriftungen<br />
im häuslichen Bereich und der Zugang<br />
zum Lesen über das Schreiben machen<br />
die Druckschrift für den Anfangsunterricht<br />
unersetzlich. Wie nachfolgend<br />
noch zu lesen sein wird, ist eine Weiterführung<br />
der Druckschrift in eine Form<br />
der verbundenen Schrift in einem zweiten<br />
Schritt von Vorteil, um individuelle<br />
bewegungsökonomische Prinzipien<br />
für den Schreiber nutzbar zu machen.<br />
Will man die Druckschrift in eine Art<br />
verbundene Schrift überführen, rückt<br />
die Form erneut in den Mittelpunkt des<br />
Interesses. Der Erwerb von Bewegungsabläufen<br />
für einen Buchstaben bedeutet<br />
schreibmotorisch den Erwerb eines motorischen<br />
Programmes. Das motorische<br />
Programm wird schrittweise erarbeitet,<br />
verinnerlicht und durch Übung und<br />
Wiederholung automatisiert. Dieser<br />
Prozess der Automatisierung erfolgt<br />
bei jedem Schreiber individuell. Es<br />
kommt zu einem individuellen motorischen<br />
Programm, das zu einer flüssigen<br />
Ausführung auf dem Papier führt. Die<br />
flüssige Ausführung auf dem Papier impliziert<br />
beim routinierten erwachsenen<br />
Schreiber eine gewisse Individualität in<br />
der Buchstabenausführung – die Leserlichkeit<br />
dieser Ausführungen reicht von<br />
leserlich bis schwer identifizierbar. In<br />
der Unterrichtspraxis wird dem Schüler<br />
diese Individualität nicht gewährt. Er<br />
hat eine weitgehend normierte Schrift<br />
zu produzieren, unabhängig von seinen<br />
individuellen Bewegungskompetenzen<br />
und Schreibgewohnheiten. Durch die<br />
Forderung, Normvorgaben einzuhalten,<br />
wird der Schüler immer wieder dazu angehalten,<br />
sein persönliches motorisches<br />
Programm zu korrigieren und auf die<br />
normierte Buchstabenvorlage hin abzustimmen.<br />
Steht jedoch die individuelle<br />
motorische Schreibentwicklung des<br />
Schülers im Vordergrund, wird die Uniformität<br />
im Sinne einer bei allen gleich<br />
aussehenden Schrift nachrangig. Ein<br />
Zulassen des Abwandelns ist vonnöten,<br />
bei dem der Schüler die Buchstabenformvorgabe<br />
im Unterricht übernimmt<br />
und nach seinem eigenen Schreibhabitus<br />
unter der Prämisse der Formklarheit<br />
und Formkonstanz abwandeln darf. Da<br />
dies im Schreibunterricht passiert, bleiben<br />
das Kriterium der Leserlichkeit und<br />
der reflektierte Schreibzweck weiterhin<br />
Kriterien zur Einschätzung, Bewertung<br />
und Korrektur des Buchstabens.<br />
Druckschrift und Schreibschrift<br />
sind voneinander unabhängige<br />
Schriften.<br />
Macht man sich Gedanken um die Weiterführung<br />
der Druckschrift in eine verbundene<br />
Schriftform, so sollte bei der<br />
Einführung der Druckschriftformen<br />
dies bereits mitgedacht werden. Da der<br />
Erwerb einer Buchstabenform den Aufbau<br />
eines motorischen Programmes bedeutet,<br />
macht es Sinn, die Buchstabenform<br />
in der verbundenen Schreibweise<br />
beizubehalten. Die Weiterentwicklung<br />
zu einer wie auch immer gearteten<br />
Verbindung mit anderen Buchstaben<br />
erfordert eine Weiterentwicklung des<br />
vorhandenen motorischen Programmes.<br />
Die Aneignung eines völlig neu<br />
gearteten »Schreibschrift«-Buchstabens<br />
hingegen würde den Aufbau eines völlig<br />
neuen motorischen Programmes<br />
bedeuten. Ein Schreibunterricht, der<br />
zu einer Form von verbundener Schrift<br />
führen will, muss dies bereits bei der<br />
Einführung der Druckbuchstaben in<br />
Form und Bewegung berücksichtigen.<br />
Schreibschrift heißt verbundene<br />
Schrift. Handgeschriebene<br />
Druckschrift heißt unverbundene<br />
Schrift.<br />
Das Gleichsetzen von Schreibschrift mit<br />
Verbundenheit und handgeschriebener<br />
Druckschrift mit Unverbundenheit<br />
ist eine schon immer unhinterfragte<br />
Grundannahme des Schreibunterrichts.<br />
Doch mögen uns das Auge und die<br />
Schreibspuren auf dem Papier möglicherweise<br />
täuschen. Mittels moderner<br />
computergestützter Aufnahme- und<br />
Analysemöglichkeiten von Schreibbewegungen<br />
lässt sich sehr gut veranschaulichen,<br />
dass jede Schreibbewegung<br />
in der Luft weitergeführt wird.<br />
Auch wenn der Stift keine Spur auf dem<br />
Papier hinterlässt, führt die Hand die<br />
Bewegung in der Luft fort. Eine verbindende<br />
Bewegung besteht also auch,<br />
wenn auf dem Papier keine durchgehende<br />
Strichspur zu sehen ist. Entsprechend<br />
könnten unverbundene Druckbuchstaben<br />
als in der Luft verbundene<br />
Schriftzeichen verstanden werden. Die<br />
Abgrenzung zwischen verbundenen<br />
und unverbundenen handgeschriebenen<br />
Schriften ist vor dem Hintergrund<br />
der Schreibbewegungsregistrierung mit<br />
modernen technischen Möglichkeiten<br />
also eher als eine Art vereinfachte Formulierung<br />
zu verstehen, die lediglich<br />
auf gemeinsamen Konventionen beruht<br />
und eine Abgrenzung zu schaffen sucht,<br />
die künstlicher Natur ist. Gleichzeitig<br />
führt uns der Luftsprung zu einem<br />
nächsten Mythos, der in den Köpfen der<br />
Lehrkräfte fest verankert ist.<br />
Verbundenheit ist das<br />
über geordnete Prinzip einer<br />
schnellen und flüssigen Handschrift.<br />
Aus graphomotorischer Sicht ist der<br />
Luftsprung – und gleichsam das Absetzen<br />
an geeigneten Punkten innerhalb<br />
eines Buchstabens – neu zu bewerten.<br />
Ging man lange Zeit davon aus, dass<br />
das Absetzen und die Luftsprünge beim<br />
Schreiben den Bewegungsfluss unterbrechen,<br />
weisen uns die Ergebnisse von<br />
Mai et al. (1991 ff.) einen neuen Weg<br />
der Auslegung. Je ungeübter eine Hand<br />
beim Schreiben ist, desto kontrollierter<br />
wird die Schreibbewegung ausgeführt.<br />
Die Anspannung der Handmuskulatur<br />
nimmt in kürzester Zeit deutlich zu.<br />
Während des Anhaltens der Bewegung<br />
und noch mehr während eines Luftsprunges,<br />
beides oft nur von Dauer einiger<br />
Millisekunden, bietet sich der am<br />
Schreiben beteiligten Handmuskulatur<br />
die Möglichkeit zu entspannen, ehe die<br />
Schreibspur weiter auf das Papier produziert<br />
wird. Schreibmotorisch günstiger<br />
ist demnach gerade für Schreibanfänger<br />
eine Schrift, die Entspannung<br />
durch Absetzen oder Luftsprünge zulässt.<br />
Ein übergeordnetes Prinzip der<br />
Verbundenheit würde dem entgegenwirken.<br />
Weitergehend bestätigt sich das<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
27
Aus Praxis: der Grundschrift<br />
Forschung<br />
Prinzip der Verbundenheit auch nicht<br />
bei der computergestützten Analyse<br />
routinierter Erwachsenenschriften, die<br />
nachweislich schnell und flüssig produziert<br />
wurden, wie bereits weiter oben zu<br />
lesen war.<br />
Handgeschriebene Druckschrift<br />
ist verkrampft und führt zu<br />
erhöhtem Schreibdruck.<br />
Der Fokus auf Entspannung und Anspannung<br />
der Handmuskulatur führt<br />
uns zur Reflexion der häufigen Annahme,<br />
handgeschriebene Druckschrift<br />
führe zu Verkrampfungen und erhöhtem<br />
Schreibdruck. Zum Schreibdruck<br />
lassen sich bisher wenige Studien finden,<br />
die im direkten Zusammenhang<br />
zum Schreibenlernen im schulischen<br />
Kontext und der Schriftform stehen.<br />
Will man Schreibdruck messen, ist zu<br />
berücksichtigen, dass sich Schreibdruck<br />
aus Druck der Finger auf den Stift (auch<br />
als Griffkraft bezeichnet, vgl. Mai &<br />
Marquardt 1989, S. 90) und Druck des<br />
Stiftes auf das Papier zusammensetzt.<br />
Die Komplexität einer damit einhergehenden<br />
Versuchsanordnung führt dazu,<br />
dass die Ergebnisse zum gemessenen<br />
Schreibdruck entweder eingeschränkt<br />
interpretiert bzw. teilweise ganz vernachlässigt<br />
werden. Einige allgemeine<br />
theoretische Überlegungen sind dennoch<br />
zu berücksichtigen. Grundsätzlich<br />
steigt der Schreibdruck mit der Länge<br />
der verbundenen Schreibspur. Ein Absetzen<br />
nach zwei bis drei verbundenen<br />
Buchstaben reduziert die Muskelanspannung<br />
und entsprechend auch den<br />
Schreibdruck (vgl. Mai & Marquardt<br />
1998, S. 91). Druckschrift führt durch<br />
die häufige Möglichkeit des Absetzens<br />
entgegen der oben formulierten mythischen<br />
Annahme eher zu einer weniger<br />
angespannten Schreibhaltung mit weniger<br />
Schreibdruck. Die im Schreibunterricht<br />
zu beobachtenden Verkrampfungen<br />
und erhöhten Schreibdruckbeispiele<br />
lassen sich auf den motorischen Schreiblernprozess<br />
zurückführen. Während ein<br />
Schüler sich den Bewegungsablauf für<br />
einen neu zu lernenden Buchstaben aneignet,<br />
führt er seine Bewegungen langsam<br />
und kontrolliert aus. Die bemühte<br />
Kontrolle um die noch ungewohnte<br />
neue Schreibbewegung führt zu einer<br />
Verkrampfung der Handmuskulatur<br />
und zu einem erhöhten Schreibdruck.<br />
Der erhöhte Schreibdruck steht somit<br />
in enger Verbindung mit der Kontrolle<br />
der Schreibbewegung und erst in<br />
zweiter Linie mit der Komplexität der<br />
zu erlernenden Buchstabenform. Die<br />
Druckschrift an sich wirkt dem durch<br />
ihre unterbrochene Schreibspur eher<br />
entgegen.<br />
Verbindung auf dem Papier<br />
macht das Schreiben schneller.<br />
Eine derart allgemeine Formulierung<br />
fordert zu einer differenzierteren Interpretation<br />
aus graphomotorischer<br />
Perspektive auf. Nicht alle bisher in der<br />
Schule vermittelten Verbindungen in<br />
einer Schreibschrift unterstützen die<br />
Schreibschnelligkeit bei Erwachsenen<br />
und Kindern. In einer Untersuchung<br />
von Mai (1991) verglich der Autor zum<br />
einen die Schreibgeschwindigkeit von<br />
verschieden ausgeführten Buchstabenformen<br />
und die Verbundenheit.<br />
Mai schlussfolgert, dass Druckschriftähnliche<br />
Buchstabenformen für eine<br />
schnelle Schrift nicht durchgängig zu<br />
empfehlen sind. »Unter dem Aspekt der<br />
Bewegungsoptimierung ist eine Druckschrift<br />
nicht generell vorzuziehen. Manche<br />
Buchstaben lassen sich verbunden<br />
schneller schreiben als die abgesetzten<br />
Buchstaben« (Mai 1991, S. 16). Bei anderen<br />
Buchstaben ergibt sich durch das<br />
Absetzen ein Geschwindigkeitsvorteil.<br />
Dies ist vor allem dann der Fall, wenn<br />
durch die Verbindung zweier ungünstiger<br />
Buchstabenformen ein Drehrichtungswechsel<br />
in der Schreibbewegung<br />
Dr. Christina Mahrhofer-Bernt<br />
ist Sonderschullehrerin und Sonderpädagogin M.A.<br />
Das Projekt LufT – Lockere und flüssige Textproduktion leitete<br />
sie zusammen mit Prof. Dr. Angelika Speck-Hamdan an der<br />
Universität München.Von 1997 bis 2002 war sie wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin an den Universitäten München, Erlangen-<br />
Nürnberg und Bamberg. Seit 2002 ist sie als Sonderschullehrerin<br />
tätig und arbeitet gegenwärtig am Sonderpädagogischen<br />
Förderzentrum Landshut-Land in der Primarstufe.<br />
oder ein Deckstrich ausgeführt werden<br />
müsste.<br />
Schräggeneigte Schriften<br />
lassen sich schneller und<br />
flüssiger ausführen.<br />
Um den Wechsel zur Schreibschrift einfacher<br />
zu gestalten, gibt es eine Vielzahl<br />
von Lehrgängen, in denen Buchstabenformen<br />
und -verbindungen eingeübt<br />
werden. Häufig wird eine Schrägneigung<br />
der Buchstabenformen ergänzend<br />
empfohlen, die zu einer schnelleren und<br />
flüssigeren Ausführung führen soll. Das<br />
Postulat einer vorteilhafteren Schrägneigung<br />
geht teilweise soweit, dass der<br />
Neigungswinkel der Schrift bis ins Detail<br />
vorgegeben wird. Ebenfalls kursieren<br />
Empfehlungen, nach denen schräggeneigte<br />
Druckschrift-Formen sich auf<br />
den nachfolgenden Erwerb der Schreibschrift<br />
positiv auswirken sollen. Festzuhalten<br />
bleibt: Positive Auswirkungen<br />
einer schräggeneigten Druckschrift auf<br />
die nachfolgende Schreibschrift wurden<br />
nicht empirisch eindeutig nachgewiesen.<br />
In einer Zusammenschau entsprechender<br />
Forschungsansätze (vgl.<br />
Mahrhofer 2004, S. 169 – 171) bleibt die<br />
Diskussion als sehr problematisch mit<br />
wenigen und methodisch nicht eindeutigen<br />
wissenschaftlichen Nachweisen<br />
zu bewerten. Für den Schreibunterricht<br />
lässt sich schlussfolgern, dass<br />
schräggeneigte Druckschriftelemente<br />
im Erstschreibunterricht nicht unbedingt<br />
besser sein müssen. Ein günstigerer<br />
Wechsel zur Schreibschrift lässt<br />
sich ebenso wenig nachweisen wie die<br />
schnellere und flüssigere Ausführung<br />
einer schräggeneigten Schreibschrift.<br />
Zu berücksichtigen sind hierbei auch<br />
die Kinder, die sich einige Buchstaben<br />
im häuslichen Umfeld selbst angeeignet<br />
haben und bei Schuleintritt vertraute<br />
Bewegungsabläufe umlernen müssten.<br />
Im Hinblick auf übergeordnete Kriterien<br />
der Ästhetik und Leserlichkeit einer<br />
Schrift scheint es vielmehr von Bedeutung,<br />
zu einer einheitlichen Schreibform<br />
zu kommen und einen ständigen Wechsel<br />
von links- bzw. rechtsgeneigten und<br />
geraden Buchstaben zu vermeiden.<br />
Für das schreiben lernende Kind<br />
eignen sich für jedes Stadium<br />
bestimmte Schreibgeräte.<br />
Schreiben wird immer im Zusammenhang<br />
mit den Schreibwerkzeugen ste<br />
28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Praxis: Aus der Grundschrift<br />
Forschung<br />
Dynamischer<br />
Dreifingergriff<br />
hen. Schreibgeräte bestimmen grundlegend<br />
die Art der Schrift und eng damit<br />
verbunden auch die Schreibbewegungen.<br />
Ein Versuch der Kategorisierung<br />
der Vielzahl von Schreibgeräten im<br />
Anfangsunterricht teilt in Bleistifte,<br />
Holzfarbstifte, Wachsmalstifte, Faserstifte,<br />
Füllfederhalter und Kugelschreiber<br />
und Tintenroller ein (vgl. Mahrhofer<br />
2004, S. 120). In der Fachliteratur<br />
hervorgehoben wird seit langer Zeit die<br />
Bedeutsamkeit der Stiftauswahl für das<br />
Gelingen des Schreibenlernens. Häufig<br />
damit einher geht die Empfehlung einer<br />
vorteilhaften Auswirkung von erhöhter<br />
Reibung zwischen Stift und Schreibunterlage<br />
zur Erhöhung der Kontrolle<br />
der zu lernenden Schreibbewegung.<br />
Auch bedacht wird die Wahl des geeigneten<br />
Schreibgerätes im Hinblick auf<br />
eine motorische Schreibentwicklung<br />
des Kindes. Demnach sei ein Bleistift<br />
zu Beginn des Schreibenlernens von<br />
Vorteil zur Kontrolle der Bewegung auf<br />
dem Papier, ein Kugelschreiber oder<br />
Tintenroller aufgrund der fließenden<br />
Schreibart deutlich weniger. Ein Füllfederhalter<br />
wird erst dann empfohlen,<br />
wenn die Hand des Schreibers geübt in<br />
Schreibbewegung und Schreibdruck ist.<br />
Unter schreibmotorischem Blickwinkel<br />
rücken die Gestaltung des Schreibgerätes<br />
und sein Gebrauch in den Vordergrund.<br />
Denn sowohl die Form als auch<br />
der Einsatz des Stiftes wirken sich auf<br />
seine Haltung aus. Ein handelsüblicher<br />
dicker Faserstift wird auf einem auf<br />
dem Tisch liegenden Papier (horizontale<br />
Schreib ebene mit Auflagemöglichkeit<br />
für Hand und Unterarm) anders in die<br />
Hand genommen als beim Schreiben<br />
auf einer Flipchart (vertikale Schreibrichtung<br />
ohne Auflagemöglichkeit).<br />
Im ersteren Falle wird vermutlich der<br />
dynamische Dreifingergriff eingesetzt,<br />
Digital pronate<br />
Stifthaltung<br />
im zweiten bewährt sich bei geübten<br />
Schreibern die digital pronate Haltung<br />
(vgl. Mahrhofer 2004, S. 121). Mit der<br />
Stifthaltung assoziiert werden können<br />
Aspekte wie der Schreibdruck. Nicht<br />
nur der Wunsch nach Kontrolle über<br />
die Schreibspur, die der Stift unterschiedlich<br />
leicht fließend auf dem Papier<br />
hinterlässt, wirkt sich auf einen erhöhten<br />
Schreibdruck aus. Auch die ungewohnte<br />
Form des Stiftes einschließlich<br />
einer mehr oder minder glatten Oberfläche<br />
mit oder ohne Griffmulden kann<br />
zu einer stärkeren Anspannung der<br />
Handmuskulatur führen. »Im Hinblick<br />
auf eine Erleichterung des schreibmotorischen<br />
Lernprozesses ist diese Erhöhung<br />
der Muskelanspannungen in der<br />
Schreibhand und des Schreibdrucks bedenklich.<br />
Zu befürchten sind schreibanfängertypische<br />
Verkrampfungen<br />
der Schreibhand und deutliche Unflüssigkeiten<br />
in der Schreibbewegung«<br />
(Mahrhofer 2004, S. 122). Versteht man<br />
Schreibenlernen als Entwicklungsprozess<br />
einer anfänglich kontrollierten<br />
hin zu einer zunehmend routinierten<br />
Bewegung, sollten sich Muskelanspannungen<br />
und Schreibdruck im Laufe<br />
zunehmender Routine immer mehr reduzieren.<br />
Schreibgeräte, die dem entgegenkommen,<br />
erfordern demnach weder<br />
ein zu viel an Reibung noch zu wenig.<br />
Zusätzlich in die Überlegungen mit einbezogen<br />
werden sollte die Individualität<br />
der Schreibgewohnheiten in diesem<br />
Zusammenhang. Nicht jeder empfindet<br />
jede Art von Schreibgerät gleich in seiner<br />
Schreibqualität. Bei der Auswahl<br />
von Stiften für den Schreibunterricht<br />
erscheint ein breites Angebot zur Wahl<br />
verbunden mit einer schülerbezogenen<br />
Beratung und Reflexion der damit verbundenen<br />
Schreibannehmlichkeiten<br />
durch die Lehrkraft sehr sinnvoll.<br />
Kinder brauchen eine differenzierte<br />
Lineatur. Diese Lineatur<br />
<br />
ist den Klassenstufen eins bis vier<br />
entsprechend zu unterscheiden und<br />
zuzuordnen.<br />
Die Vorgabe von Schreiblineaturen zielt<br />
darauf ab, den Schreibanfängern die<br />
Orientierung im Schreibraum zu erleichtern.<br />
Linien sollen bei der horizontalen<br />
Zeilenausrichtung helfen. Zudem wollen<br />
Linien bei einer gleichmäßigen Buchstabenausführung<br />
unterstützen. In der Unterrichtspraxis<br />
wird dabei häufig übersehen,<br />
dass Linien primär in Abstimmung<br />
auf die Schreibbedürfnisse der Kinder<br />
eingesetzt werden sollten. Häufig reglementieren<br />
amtliche Vorgaben durch die<br />
normierte Zuordnung die Verwendung<br />
von Lineaturen in den jeweiligen Klassenstufen.<br />
Detaillierte dreiteilige Lineaturen<br />
führen den Schreibanfänger in der<br />
ersten Klasse, um dann klassenstufenweise<br />
den Schreibraum zu verkleinern<br />
und schließlich einzelne Begrenzungslinien<br />
wegfallen zu lassen. Die Forschung<br />
beschäftigt sich mit dem Schreiben mit<br />
und ohne Linien, der Wirksamkeit unterschiedlich<br />
großer Lineaturen und<br />
den dazu gegebenen Instruktionen. Linien<br />
können Orientierung geben im<br />
freien Schreibraum eines leeren Blattes.<br />
Häufig zeigen sich jedoch diese Effekte<br />
eher für Schreiblinien gewohnte Schulkinder,<br />
während Schreibanfänger auch<br />
fähig sind, leserliche Schriften ohne<br />
Linien zu produzieren. Im Hinblick auf<br />
flüssige Schreibbewegungen scheint unliniertes<br />
Papier sinnvoller, weil keine<br />
Begrenzungslinien im Ausführen der<br />
Schreibbewegung beachtet werden müssen.<br />
Große Schreiblineaturen wollen<br />
Schreibanfänger in ihren großräumigen<br />
Schreibbewegungen auffangen. In<br />
vergleichenden Studien bestätigten sich<br />
diese Annahmen jedoch nicht eindeutig.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
29
Aus Praxis: der Grundschrift<br />
Forschung<br />
Die Aussagen zum Einsatz von Lineaturen<br />
variieren von kaum bis wenig unterstützendem<br />
Einfluss bis hin zu Vorteilen<br />
zugunsten der genaueren Ausführung<br />
von Buchstabenstrichen, Schreibgenauigkeit<br />
und besserem Zurechtkommen<br />
beim Wechsel von der Druckschrift zur<br />
Schreibschrift (vgl. Mahrhofer 2004,<br />
S. 128 – 136). Gleichwohl sehr interessant<br />
ist die Tatsache, dass Kinder ebenso<br />
wie Erwachsene auch ohne Lineaturen<br />
flüssige Schreibbewegungen produzieren<br />
können (vgl. Quenzel 1994). »Bei der<br />
Überprüfung der Effekte von Lineaturen<br />
(Quenzel 1994, Noack & Körndle 1999)<br />
und der Instruktion, diese genau einzuhalten<br />
(Quenzel 1994), zeigte sich darüber<br />
hinaus, dass sowohl Erwachsene als<br />
auch Kinder unter diesen Bedingungen<br />
unflüssige und kontrollierte Schreibbewegungen<br />
ausführen. Gleichzeitig waren<br />
die von Quenzel untersuchten Kinder<br />
der ersten und vierten Klasse in der Lage,<br />
Schreibgrößenvorgaben am Beginn einer<br />
Schreibzeile auch ohne weitere Hilfslinien<br />
einzuhalten« (vgl. Mahrhofer 2004,<br />
S. 136). Für einen Schreibunterricht, der<br />
die schreibmotorischen Lernprozesse<br />
der Schreibanfänger unterstützen möchte,<br />
ergibt sich daraus die Notwendigkeit<br />
nach einer Aufhebung verbindlicher und<br />
dadurch möglicherweise einschränkender<br />
Vorgaben bezogen auf den Schreibraum.<br />
Ein breites Angebot von Papierarten<br />
und Linienvorgaben zur Wahl im<br />
freien Schreibunterricht erleichtert es,<br />
den individuellen Schreibbedürfnissen<br />
der Kinder entgegenzukommen. Die<br />
Hinweise, dass Kinder auch ohne Linien<br />
zu ihrer für sie passenden Schreibgröße<br />
finden und beim Schreiben flüssige Bewegungen<br />
produzieren können, relativieren<br />
die einst streng geregelten amtlichen<br />
Vorgaben.<br />
Der Schreiblernprozess ist<br />
spätestens zum Ende der zweiten<br />
Klasse abgeschlossen. Ende der zweiten<br />
Klasse können alle Kinder flüssig<br />
und schnell schreiben.<br />
Hinweise aus Forschungsergebnissen<br />
stellen die bisherige Annahme, alle Kinder<br />
könnten Ende der zweiten Klasse<br />
flüssig schreiben und der Schreiblernprozess<br />
sei zu diesem Zeitpunkt nahezu abgeschlossen,<br />
in Frage. Motorisches und<br />
auch schreibmotorisches Lernen wird als<br />
Prozess zunehmender Automatisierung<br />
verstanden. Während zu Beginn eines<br />
neu zu erlernenden Bewegungsablaufs<br />
für einen Buchstaben die Bewegungen<br />
kontrolliert und vom Ablauf her langsam<br />
und anstrengend und aufmerksamkeitsbeanspruchend<br />
ablaufen, gelingen<br />
sie in der routinierten Bewegungsausführung<br />
zunehmend unbewusst, zügig<br />
und mühelos. Die Bewegungsausführung<br />
wechselt von einer kontrolliert<br />
unflüssigen Bewegung hin zu einer automatisiert<br />
flüssigen Bewegung. Im<br />
Forschungsprojekt LufT (»Lockere und<br />
flüssige Textproduktion«, Mahrhofer<br />
& Speck-Hamdan 1997 – 2002) wurden<br />
die Schreibbewegungen von Kindern<br />
im Verlauf der ersten zwei Schuljahre<br />
beim Erwerb der verbundenen Schrift<br />
erhoben. Hier zeigte sich, dass Kinder<br />
nur bei Grund elementen wie Kreisen<br />
oder senkrechten Strichen optimale<br />
und flüssige Bewegungen erreichen. Bei<br />
zunehmender Komplexität wie Muster<br />
und einfachen Buchstabenformen wie<br />
dem kleinen »l« wurde eine zunehmende<br />
Bewegungsunflüssigkeit erkennbar.<br />
»Ebenso auf der Wortebene zeigte sich<br />
sowohl bei der Schreibflüssigkeit und der<br />
Schreibschnelligkeit, dass sich nur ganz<br />
wenige Kinder am Ende der zweiten<br />
Klasse dem Niveau optimaler Schreibbewegungen<br />
angenähert haben« (Mahrhofer<br />
2004, S. 342). Der Schreibunterricht<br />
muss sich also auf eine große Variabilität<br />
schreibmotorischer Kompetenzen<br />
von sehr flüssig schreibenden bis hin zu<br />
noch unflüssig schreibenden Schülern<br />
Literaturnachweise<br />
Mahrhofer, C. (2004): Schreibenlernen mit<br />
graphomotorisch vereinfachten Schreibvorgaben.<br />
Bad Heilbrunn: Klinkhardt.<br />
Mahrhofer-Bernt, C. (2005): Die eigene Schrift<br />
entwickeln – von Anfang an. In: <strong>Grundschule</strong><br />
<strong>aktuell</strong>, Heft 91, 09/2005, S. 21 – 25.<br />
Mahrhofer, C., Speck-Hamdan, A. (2001):<br />
Schreibenlernen – ein Kinderspiel? Eine Analyse<br />
des Erstschreibunterrichts. <strong>Grundschule</strong>,<br />
33 (2), S. 39 – 41.<br />
Mahrhofer, C., Speck-Hamdan, A. (2003):<br />
Schreiben und Schreibenlernen in der<br />
<strong>Grundschule</strong>. In: Grundschulmagazin, (3 – 4),<br />
S. 8 – 11.<br />
Mai, N. (1991): Warum wird Kindern das<br />
Schreiben schwer gemacht? Zur Analyse der<br />
Schreibbewegungen. Psychologische Rundschau,<br />
42, S, 12 – 18.<br />
Mai, N., Marquardt, C. (1998): Registrierung<br />
und Analyse von Schreibbewegungen:<br />
Fragen an den Schreibunterricht. In: Huber,<br />
L., Kegel, G. & Speck-Hamdan, A. (Hrsg.):<br />
Einblicke in den Schriftspracherwerb. Braunschweig:<br />
Westermann, S. 83 – 99.<br />
und zum anderen »auf eine um ein Vielfaches<br />
länger dauernde schreibmotorischer<br />
Entwicklung dieser Kinder einstellen«<br />
(Mahrhofer ebd.), ehe das Ziel einer<br />
routinierten Handschrift erreicht ist, wie<br />
es von erwachsenen routinierten Schreibern<br />
bereits für die ersten Monate des<br />
Schreibunterrichts angenommen wird.<br />
Viele der lange nicht hinterfragten<br />
Annahmen unseres Erfahrungswissens<br />
im alltäglichen<br />
Schreibunterricht sind vor der zugrunde<br />
gelegten graphomotorischen Theorie<br />
nicht haltbar. Wiederholt ergibt sich eine<br />
Relativierung fest gefügter Vorgaben<br />
hin zu einer Orientierung der Lehr- und<br />
Lernangebote an der Schreib entwicklung<br />
des Schreiben lernenden Kindes. Eine<br />
didaktisch-methodische Weiterentwicklung<br />
des Unterrichts bedeutet ein Infragestellen<br />
langjährig praktizierter Unterrichtsgewohnheiten<br />
im Hinblick auf ihre<br />
theoretisch fundierte Erleichterung des<br />
schreibmotorischen Lernprozesses.<br />
Die Aufgabe des Schreibunterrichts<br />
sollte es sein, die guten Schreiber weiterführend<br />
in ihrer Entwicklung einer<br />
flüssigen und leserlichen Schrift zu unterstützen<br />
(vgl. Mahrhofer & Speck-<br />
Hamdan 2003). Gleichzeitig sollte das<br />
Schreiblehrangebot auf diejenigen Kinder<br />
abgestimmt werden, die nicht einmal<br />
grundlegende Schreibbewegungen<br />
ausreichend flüssig und schnell ausführen<br />
können.<br />
Mai, N., Marquardt, C. & Quenzel, I. (1997):<br />
Wie kann die Flüssigkeit von Schreibbewegungen<br />
gefördert werden? In: Balhorn,<br />
H., Niemann, H. (Hrsg.): Sprachen werden<br />
Schrift. Mündlichkeit – Schriftlichkeit –<br />
Mehrsprachigkeit. Lengwil am Bodensee:<br />
Libelle, S. 222 – 230.<br />
Noack, K., Körndle, H. (1999): Sind Hilfslinien<br />
beim Schreiben hilfreich? In: Enders,<br />
C., Hanckel, C. & Moeley, S. (Hrsg.): Lebensraum<br />
– Lebenstraum – Lebenstrauma Schule.<br />
Kongressbericht der 13. Bundeskonferenz<br />
1998 in Halle an der Saale. Bonn: Deutscher<br />
Psychologen Verlag, S. 244 – 250.<br />
Quenzel, I. (1994): Kinematische Analysen<br />
einfacher Schreibbewegungen bei Kindern<br />
und Erwachsenen. Unveröffentl. Diplomarbeit,<br />
Fachbereich Psychologie, Universität<br />
Frankfurt.<br />
Quenzel, I. (2000): Kinematische Analyse<br />
von Schreibbewegungen im Erstunterricht.<br />
Unterrichtswissenschaft. Zeitschrift für Lernforschung,<br />
28 (4), S. 290 – 303.<br />
30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Ansichten Praxis: und Grundschrift<br />
Einsichten<br />
Jules van der Ley<br />
Kleine Kulturgeschichte der Handschrift<br />
»Tres digiti scribunt«<br />
Schule und Universität sind die Nischen,<br />
in denen die Handschrift noch<br />
tragende Bedeutung hat. Lehrern,<br />
Schülern und Studenten wird der<br />
Wert einer klaren und schönen Schrift<br />
beständig vor Augen geführt. Wie<br />
kommt es dann zu den kläglichen Ergebnissen,<br />
die man täglich beobachten<br />
kann und unter denen alle Beteiligten<br />
zu leiden haben? Warum sind so viele<br />
Schreiber mit ihrer eigenen Handschrift<br />
unzufrieden und schämen sich<br />
sogar, Schriftproben in die Öffentlichkeit<br />
gelangen zu lassen?<br />
Ein Faktor ist sicherlich der Zwang<br />
zum schnellen Schreiben beim<br />
Abfassen von Klassenarbeiten<br />
und Klausuren, Korrekturvermerken,<br />
Mitschriften und Notizen. Generell führen<br />
große Textmengen beim Schreiber<br />
zu unerquicklichen graphischen Ausfällen,<br />
bei Müdigkeit und Nachlassen der<br />
Konzentration. Auch das Verkrampfen<br />
der Hand (Chirospasmus) bei großen<br />
Textmengen bzw. beim Schreiben mit<br />
einem Kugelschreiber beeinträchtigt die<br />
Form der Handschrift. Der Hauptgrund<br />
für den desolaten Zustand vieler Handschriften<br />
ist in der Vergangenheit zu<br />
suchen, bei den Prozessen, die mit dem<br />
Erlernen der Schrift zu tun haben und<br />
bei den Ausgangsformen, mit denen<br />
man die ersten Schreibversuche macht.<br />
Ein Blick in die Vergangenheit<br />
Wie sieht eigentlich die Urform unserer<br />
Handschrift aus? Die moderne<br />
Handschrift hat sich im Italien der Renaissance<br />
herausgebildet. Die Kleinbuchstaben<br />
sind Abkömmlinge der<br />
Carolingischen Minuskel. Neu sind der<br />
diakritische IPunkt und die Verlängerung<br />
des senkrechten TStriches über<br />
das Mittelband hinaus. Die Großbuchstaben<br />
sind wesentlich älter, nämlich<br />
direkte Entlehnungen aus der römischen<br />
Capitalis. Die Verbindung von<br />
CapitalisMajuskel und Carolingischer<br />
Minuskel wurde Antiqua genannt. Dass<br />
Das Beispiel dieser schwer lesbaren Handschriften stammt aus der<br />
Deutsch klausur eines Schülers der Jahrgangsstufe 12.<br />
Die Bemerkungen links hat sein Lehrer geschrieben. Es heißt<br />
1) Die Unverständlichkeit des Satzes liegt z. T. an der Schrift<br />
2) Die Schrift ist eine Zumutung!<br />
sich Capitalis und Carolingische Minuskel<br />
stilistisch nicht recht vertragen,<br />
auch kaum sinnvoll verbunden werden<br />
können, ist ein Problem, das uns später<br />
noch in der verbundenen Handschrift<br />
begegnet. Neu ist auch die Schräglage<br />
der Buchstaben. Sie ergab sich aus dem<br />
Wunsch, schnell zu schreiben. Daher<br />
noch heute die Bezeichnung Italic für<br />
die schräge Form der Druckbuchstaben.<br />
Die schönste Form der Renaissance<br />
Kursiv, die Cancellaresca, findet sich in<br />
dem Schreibbuch »La Operina« (1522)<br />
des Schreibmeisters Ludovico Arrighi.<br />
Warum sich Handschrift und<br />
Druckschrift trennten<br />
Gutenberg und die Frühdrucker hatten<br />
ihre Druckschriften noch den schönsten<br />
Handschriften ihrer Zeit nachgebildet.<br />
Gutenbergs Mitarbeiter Peter Schöffer<br />
beispielsweise war Kalligraph in Paris<br />
Cancellaresca, nach »La Operina«<br />
(aus: Bernhard Linz; Kalligraphie)<br />
Mit freundlicher Genehmigung © Christophorus Verlag GmbH & Co. KG,<br />
c/o Englisch Verlag Wiesbaden<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
31
Ansichten Praxis: Grundschrift<br />
Einsichten<br />
gewesen und hatte<br />
großen Anteil an den<br />
Entwürfen für die Lettern<br />
der 42-zeiligen Bibel.<br />
Verschieden breite<br />
Lettern dienten nicht<br />
nur dem Ausgleich der<br />
Zeilen beim Blocksatz,<br />
sondern entsprachen<br />
auch dem Ehrgeiz, die<br />
Drucke wie Handschriften<br />
aussehen zu<br />
lassen. Die Verbreitung<br />
der Druckkunst<br />
brachte die Schreiber und Schreibmeister<br />
in wirtschaftliche Not. Darum verbanden<br />
sie die Buchstaben und versahen<br />
sie mit diversen Schmuckelementen, so<br />
dass ihre Schriften mit herkömmlichen<br />
Drucklettern nicht nachgeahmt werden<br />
konnten.<br />
Die Verbindungen der Buchstaben<br />
und die in der Barockzeit nördlich der<br />
Alpen aufkommenden Schnörkel und<br />
Girlanden veränderten und verformten<br />
die Buchstaben – bis an die Grenze<br />
zur Unkenntlichkeit. Jetzt ließen<br />
die Schreibmeister ihre Lehrbücher im<br />
Kupferstichverfahren herstellen. Oft<br />
waren diese Bücher in Rot gedruckt,<br />
und es galt, die Formen genau nachzuziehen.<br />
Wer das konnte, schrieb »wie<br />
gestochen«, ein Formideal, das bis zu<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts angestrebt<br />
wurde. Gelehrt wurde also eine Duktusschrift.<br />
Der Zweck prägt die Form<br />
Kupferstichalphabet 1743<br />
Solange die Handschrift das Speicherund<br />
Kommunikationsmedium der Verwaltungen<br />
war, brauchte man Schreiber,<br />
die den überindividuellen Duktus<br />
schrieben. Für die jeweilige Kanzlei<br />
galten feste Normen, die den Duktus<br />
der verwendeten Schriften betrafen.<br />
Ein Kanzleischreiber beherrschte meist<br />
mehrere Schriftcharaktere, aber diese<br />
Charaktere waren als Ideal vorgeschrieben,<br />
und deren genaue Umsetzung in<br />
die handschriftliche Leistung war das<br />
erklärte Ziel. Gefordert waren Klarheit,<br />
Lesbarkeit und Formkonstanz. Die stilistische<br />
Weiterentwicklung oblag den<br />
Schreibmeistern. Sie vollzog sich jedoch<br />
nur langsam und in kleinen Schritten.<br />
Es sind also rein pragmatische Gründe,<br />
die zur Forderung führten, wie gestochen<br />
zu schreiben. Auch mit ansteigender<br />
Literalität änderte sich zunächst<br />
wenig. Das schreibmeisterliche Ideal<br />
wird auf die Schulkinder übertragen.<br />
Schreiben zu lernen, war Drill und Einübung<br />
in die vorgegebenen Formen.<br />
Mit sich ausweitender Verwaltung stieg<br />
der Bedarf nach Schreibern, und so bildete<br />
man in den Schulen ein Potential<br />
an Arbeitskräften heran, die exakt den<br />
Bedürfnissen der Kanzleien und Kontore<br />
entsprachen. Gedacht war auch nicht<br />
an die Fähigkeit zum selbstständigen<br />
Schreiben. Schreiben war in erster Linie<br />
Abschreiben, nicht das Verfertigen eigener<br />
Texte. Die Briefkultur erfasst nicht<br />
die einfachen Stände.<br />
Mit dem Vordringen der Schreibmaschine<br />
zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
sank der Bedarf an solcherart gedrillten<br />
Kräften. Mit der Schreibmaschine ließen<br />
sich die Anforderungen der Verwaltungen<br />
an die Schrift weit besser einlösen.<br />
Der klassische Schreiber wurde verdrängt<br />
durch die »Tippmamsell«. Erst jetzt wird<br />
die Schreibhand von den alten Pflichten<br />
entbunden, die Handschrift wird Privatsache.<br />
Das neue Konzept der »Ausgangsschrift«,<br />
angeregt durch den Kalligraphen<br />
Rudolf von Larisch und theoretisch<br />
begleitet von dem Pionier der Graphologie<br />
Ludwig Klages, erlaubte dem Schreiber<br />
eine expressive, persönliche Ausformung<br />
der erlernten Grundform. Gelehrt<br />
wurden nun Ausgangsschriften, deren<br />
Formen die Schüler später individuell<br />
abwandeln sollten. Trotzdem waren und<br />
sind die Formen der Ausgangsschriften<br />
in Deutschland noch stark am Ideal<br />
der Schreibmeister orientiert, denn ein<br />
derart radikales Umdenken kann sich<br />
nur langsam vollziehen. Zudem transportieren<br />
die Schulalphabete noch den<br />
Formenballast vergangener Zeiten und<br />
stehen der Entwicklung von schönen<br />
und angemessenen Ausprägungen der<br />
eigentlichen Buchstabenformen im Weg.<br />
Jedes neue Konzept braucht Zeit, bis es<br />
sich in den Köpfen der Beteiligten niederschlägt.<br />
Und so zensierten Lehrkräfte<br />
die Handschriften noch lange Zeit nach<br />
dem Gesichtspunkt der Duktustreue.<br />
Persönlichkeitsschrift und<br />
Graphologie – Erlass wider die<br />
»Schwabacher Judenletter"<br />
Die in Deutschland als Druck- und<br />
Handschrift übliche Gotische bzw.<br />
Fraktur wurde am 3. Januar 1941 von<br />
den Nationalsozialisten per Erlass verboten.<br />
In dem Rundschreiben von Martin<br />
Bormann werden die Fraktur und<br />
ihre Handschriftvarianten als »Schwabacher<br />
Judenlettern« bezeichnet. Wie es<br />
zu dieser fälschlichen Behauptung gekommen<br />
ist, lässt sich nicht restlos klären.<br />
Vermutlich hatte der Sinneswandel<br />
funktionale Gründe, denn die Fraktur<br />
erschwerte die schriftliche Kommunikation<br />
in den eroberten Gebieten und<br />
mit dem Ausland. Auch glaubte man<br />
nicht, dass sich aus den Kurrentvarianten<br />
eine flüssige und rasche Verkehrsschrift<br />
herausbilden ließe.<br />
In jedem Fall jedoch propagierten die<br />
Nationalsozialisten ausdrücklich das<br />
Konzept der Ausgangsschrift – Persönlichkeitsschrift<br />
und wandten sich dabei<br />
besonders gegen die Reformschriften des<br />
Ludwig Sütterlin. Denn Sütterlins Lateinschrift<br />
sowie seine bekanntere Frakturschrift<br />
waren noch Duktusschriften.<br />
Doch von der individuell ausgeprägten<br />
Persönlichkeitsschrift erhofften sich die<br />
Nationalsozialisten Auskunft über den<br />
Menschen. Auf Ludwig Klages diffuser<br />
Lehre aufbauend, isolierte man nicht<br />
nur charakterliche, sondern auch rassische<br />
Merkmale aus der Handschrift. Die<br />
Graphologie wurde zum probaten Selektionsinstrument.<br />
Im Dienste der Nationalsozialisten<br />
wuchs dem Graphologen<br />
Sütterlin<br />
32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Ansichten Praxis: und Grundschrift<br />
Einsichten<br />
erstmals eine unheilvolle Macht über<br />
Menschen zu. Er wurde zum Taxator,<br />
der vermeintlich rassisch oder charakterlich<br />
Minderwertige aussortierte und sich<br />
dabei vor seinen Opfern nicht zu rechtfertigen<br />
braucht, da er seine zweifelhafte<br />
Kunst, diese pseudowissenschaftliche<br />
Kaffeesatzleserei, im Geheimen ausübt.<br />
Ab 1941 wurde ein lateinisches Alphabet,<br />
die »Deutsche Normalschrift«, in<br />
den Schulen verbindlich.<br />
Kein Lichtblick –<br />
Deutsche Ausgangsschriften<br />
nach dem 2. Weltkrieg<br />
1) Offenbacher Schrift von Rudolph Koch<br />
2) Deutsche Normalschrift<br />
In der Bundesrepublik entschied man<br />
sich nach dem Krieg übereilt für ein anderes<br />
lateinisches Alphabet, das ebenso<br />
wie die Deutsche Normalschrift noch<br />
von den künstlerischen Verirrungen<br />
barocker Schreibmeister und der Spitzfeder<br />
geprägt ist. Diese Schulschrift<br />
heißt schlicht »Lateinische Ausgangsschrift«<br />
(LA); sie wird seit 1953 gelehrt.<br />
Die Chance für einen Neuanfang und<br />
eine Rückbesinnung auf die Grundformen<br />
der Antiqua-Kursiv wurde damit<br />
vertan. Besonders die Form der Großbuchstaben<br />
stellt hohe Anforderungen<br />
an die kindliche Motorik, verstellt auch<br />
die Einsicht in die eigentlichen Grundformen<br />
der Großbuchstaben. »Wertlose<br />
Einfälle von Schreiberknechten«, urteilte<br />
der dänische Sprachforscher Otto<br />
Jespersen und meinte damit nicht nur<br />
die Form, sondern die Großschreibung<br />
generell. Er lieferte damit ein wesentliches<br />
Argument für die Einführung<br />
der gemäßigten Kleinschreibung in<br />
Dänemark im Jahr 1948. Zu einem derart<br />
radikalen Schritt konnte man sich<br />
in Deutschland nicht durchringen. Er<br />
hätte freilich nicht nur die »wertlosen<br />
Einfälle von Schreiberknechten« aus<br />
der Rechtschreibung getilgt, sondern<br />
gleichzeitig die Möglichkeit geboten, die<br />
Schulschrift vom barocken Formballast<br />
der Großbuchstaben zu befreien.<br />
Die Kompliziertheit der Lateinischen<br />
Ausgangsschrift, besonders ihrer Großbuchstaben<br />
führte zur Entwicklung der<br />
Vereinfachten Ausgangsschrift (VA).<br />
Nach ihrem Wegbereiter hieß sie zunächst<br />
»Grünewald Alphabet«. Der<br />
Göttinger Grundschullehrer Heinrich<br />
Grünewald hatte 1969 methodische<br />
Untersuchungen zur Schreibmotorik<br />
durchgeführt. Seine 1970 veröffentlichten<br />
Befunde zeigen einige grundsätzliche<br />
Schwächen der Lateinischen Ausgangsschrift.<br />
Grünewald konstatiert<br />
umständliche Schlaufen und Wellenlinien<br />
sowie eine fehlende Systematik als<br />
Hauptursache für die Schwierigkeiten<br />
beim Erlernen und die Formverzerrungen<br />
bei ausgeschriebenen Handschriften.<br />
Zusammen mit dem Frankfurter<br />
»Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>« entwickelte<br />
er darauf die Vereinfachte Ausgangsschrift,<br />
die seit 1973 vorliegt.<br />
Das Konzept der<br />
Vereinfachten Ausgangsschrift<br />
Eine geringere Zahl der Drehrichtungswechsel<br />
und Deckstriche, gleichmäßige<br />
Haltepunkte sowie eine starke Annäherung<br />
der Großbuchstaben an die Druckschrift<br />
sollen das Schreibenlernen erleichtern.<br />
Die gesamte Formgebung ist<br />
lernpsychologischen Gesichtspunkten<br />
unterworfen. Grünewald hoffte auch<br />
auf eine größere Formkonstanz bei ausgeschriebenen<br />
Handschriften, damit<br />
es, anders als bei der Lateinischen Ausgangsschrift,<br />
in den Erwachsenenschriften<br />
nicht zu regellosen Verschleifungen<br />
komme, die die Lesbarkeit herabsetzen.<br />
Die Schwächen der VA<br />
Inzwischen liegen von der VA viele Beispiele<br />
ausgeschriebener Handschriften<br />
vor. Leider sind sie kaum schöner und<br />
lesbarer, oft sogar hässlicher als Handschriften,<br />
denen die LA zu Grunde liegt.<br />
Woran liegt das? Offenbar ist der Denkansatz<br />
falsch: Die Form der Schrift darf<br />
nicht den Möglichkeiten des Kindes<br />
angenähert werden, damit es sie rasch<br />
und nachhaltig automatisieren kann,<br />
die Schule muss das Kind behutsam an<br />
eine gute Schrift heranführen, die freie<br />
Formentwicklung erlaubt und ästhetisch<br />
entwicklungsfähig ist. Denn aus Kindern<br />
werden Erwachsene mit ausgeprägter<br />
Feinmotorik. Ist das Muskelgedächtnis<br />
aber einmal auf die kindgemäßen<br />
Formen konditioniert, plagt sich der Erwachsene<br />
mit einer Kinderschrift, an deren<br />
Formkonstanz niemand Freude finden<br />
kann. Schließlich hat sich die Form<br />
der Schrift immer am Schreibprozess<br />
und an den ästhetischen Bestrebungen<br />
des erwachsenen Schreibers entwickelt.<br />
Wir reduzieren auch nicht unsere Lautsprache<br />
auf kindliches Lallen, damit das<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
33
Ansichten Praxis: Grundschrift<br />
Einsichten<br />
Kleinkind sich rascher in seiner Muttersprache<br />
heimisch fühlen kann.<br />
Die Fehler der Lateinischen Ausgangsschriften<br />
gehen zurück auf Materialbedingungen<br />
und schreibmeisterliche<br />
Spielereien der Barockzeit. Die<br />
VA räumt hiermit nicht auf, sondern ist<br />
eine Flickschusterschrift ohne ästhetische<br />
Qualität, eine Technokratenleistung<br />
von künstlerischen Laien, die voller<br />
Fehler steckt. Man betrachte nur die<br />
völlig falsche Form des kleinen S und<br />
den disfunktionalen Schnörkel bei der<br />
Ligatur ss.<br />
Exkurs: Das kleine s bei Grünewald<br />
Links: das Beispiel Cancellaresca –<br />
Anstrich und Formstrich klar unterscheidbar<br />
Rechts: Vereinfachte Ausgangsschrift –<br />
Anstrich wird zum Formstrich, der obere<br />
Bogen fehlt<br />
Eindrucksvolle Handschriften<br />
(aus: Bernhard Linz; Kalligraphie)<br />
Die Grundform des kleinen »s« entspricht<br />
eigentlich dem großen »S«,<br />
wobei der obere Bogen aus Platzgründen<br />
verkleinert wird. Bei verbundenen<br />
Handschriften bekommt der kleine Bogen<br />
einen Anstrich. Wenn der Buchstabe<br />
mit der Wechselzugfeder geschrieben<br />
wird und die Federbreite der Buchstabengröße<br />
angepasst ist, bleiben Anstrich<br />
und eigentliche Buchstabenform<br />
klar unterscheidbar. Grünewald macht<br />
aus diesem Anstrich ein festes Formelement<br />
und tilgt den oberen Bogen völlig.<br />
Sein »s« ist ein Haken. Der Anschluss<br />
an folgende Buchstaben bekommt dagegen<br />
eine überflüssige Schleife, wodurch<br />
die Form große Ähnlichkeit mit dem<br />
großen S der Sütterlinschrift bekommt.<br />
Das »s« bei Grünewald ist eine üble<br />
Formverzerrung. Ebenso problematisch<br />
sind das »t« und das »z«.<br />
Grünewald klagt über die Lateinische<br />
Ausgangsschrift: »Doch vergleicht man<br />
ausgeschriebene Handschriften mit<br />
der einstmals gelernten (…) Ausgangsschrift,<br />
erkennt man vielfach überhaupt<br />
keine Ähnlichkeit zwischen den beiden<br />
Schriften. Die Erwachsenenschrift hat<br />
ihr Gesicht so sehr gewandelt, dass eine<br />
Identität mit der Ausgangsschrift verloren<br />
gegangen ist« (Grünewald 1981).<br />
Diesen übertriebenen Verschleifungen<br />
wäre sinnvoll zu begegnen, indem man<br />
in der Vorstellung des Schreibers Klarheit<br />
über die Grundform festigt. Wer<br />
das »s« als Garderobenhaken zu schreiben<br />
lernt, kann nicht entscheiden, mit<br />
welcher Verschleifung er sich unzulässig<br />
von der Grundform entfernt. Wer Anstrich<br />
und Formstrich nicht unterscheiden<br />
kann, verfälscht die Schrift, ohne es<br />
zu wollen. Was nutzt dann die von Grünewald<br />
versprochene Formkonstanz,<br />
wenn sie sich in Elementen etabliert, die<br />
gar nicht zum Buchstaben gehören? Was<br />
bleibt, ist maschinenmäßiges Schrei ben<br />
ohne Sinn und Verstand.<br />
Zurück zur Formtreue?<br />
Mit freundlicher Genehmigung © Christophorus Verlag GmbH & Co. KG,<br />
c/o Englisch Verlag Wiesbaden<br />
Grünewalds Zielvorstellung von der größeren<br />
Formtreue bei der Erwachsenenschrift<br />
ist ein kultureller Rückschritt.<br />
Wer von einer größeren Konstanz einmal<br />
erlernter Schriftformen träumt, wer<br />
die Ausdrucksfähigkeit der Schreiber<br />
stärker einschränken will, müsste diese<br />
erneute Fesselung zumindest rechtfertigen,<br />
indem er eine Schrift von ästhetischer<br />
Qualität anbietet. Grünewalds<br />
Verdienst ist es, auf die Reformbedürftigkeit<br />
der Lateinischen Ausgangsschrift<br />
nachhaltig hingewiesen zu haben. Die<br />
sichtbaren Schwächen der Vereinfachten<br />
Ausgangsschrift werten die ebenso<br />
schwache Lateinische Ausgangsschrift<br />
ungewollt auf. Doch LA oder VA, das<br />
ist Jacke wie Hose. Unter diesem engen<br />
Blickwinkel darf die wichtige Diskussion<br />
um eine gute Ausgangsschrift nicht<br />
geführt werden.<br />
Die nach der Wiedervereinigung als<br />
dritte Ausgangsschrift zugelassene Lateinschrift<br />
der ehemaligen DDR hat<br />
ähnliche Mängel wie die lateinische<br />
Ausgangsschrift. Ich kenne sie nicht gut<br />
genug, um ausführlich darauf einzugehen.<br />
Berechtigter Neid – Das angelsächsische<br />
und skandinavische Beispiel<br />
Handgeschriebene Briefe aus angelsächsischen<br />
Ländern lassen deutsche<br />
Briefpartner vor Neid erblassen. In den<br />
USA und England wird überwiegend<br />
die moderne Chancery geschrieben.<br />
Diese lateinische Kursivschrift basiert<br />
auf der Cancellaresca, der klaren<br />
Renaissance-Handschrift aus dem berühmten<br />
Schreibbuch »La Operina«.<br />
Im Jahr 1922, als deutsche Schulkinder<br />
noch die Kurrent schreiben mussten,<br />
also die handschriftliche Variante der<br />
Fraktur, und sich allenfalls an der steifen<br />
Reformschrift von Ludwig Sütterlin<br />
versuchen durften, erneuerte in England<br />
der Kalligraph Alfred Fairbank die<br />
Schulausgangsschrift, indem er auf die<br />
Urformen der Cancellaresca zurückgriff.<br />
Fairbanks schöne Schulhandschrift<br />
hat inzwischen einige Generationen<br />
von Schreibern und Kalligraphen geprägt<br />
und begründet nachhaltig die<br />
ästhetische Überlegenheit angelsächsischer<br />
Handschriften. Reformen müssen<br />
also wieder bei den klaren und bislang<br />
unübertroffenen Humanistenschriften<br />
anknüpfen. Beispiele aus Skandinavien,<br />
der Schweiz und den angelsächsischen<br />
Ländern zeigen den Weg.<br />
Vom Wert des schönen Schreibens<br />
Vor allem ist der Zwang zur Verbindung<br />
der Buchstaben aufzugeben. Er<br />
ist ja aus Gründen entstanden, die nicht<br />
mehr gegeben sind. Heutige Schreiber<br />
müssen nicht mehr mit Buchdruckern<br />
konkurrieren. Vorgeschriebene Verbindungen<br />
sind zum flüssigen Schrei<br />
34 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
Ansichten Praxis: und Grundschrift<br />
Einsichten<br />
Ausgangsschrift Schweden<br />
Der Kalligraph Alfred Fairbanks erneuerte die Schulausgangsschrift in England<br />
Ausgangsschrift Island<br />
Jules van der Ley<br />
war Schriftsetzer in Neuss, Köln und<br />
Aachen, studierte dann an der RWTH<br />
Aachen Germanistik, Kunst, Psychologie,<br />
Soziologie und Pädagogik,<br />
war Studienrat am Gymnasium,<br />
arbeitet als Graphik-Designer, Redakteur,<br />
Lektor und Autor pädagogischer<br />
Fachtitel sowie als Referent in der<br />
Lehrerweiterbildung (Medienkunde)<br />
und war viele Jahre freier Autor beim<br />
satirischen Magazin Titanic.<br />
Er betreibt zwei Internetblogs:<br />
»Teppichhaus Trithemius« –<br />
trithemius.twoday.net<br />
»Teppichhaus Trithemius« –<br />
abcypsilon777.blog.de<br />
ben nicht erforderlich, denn im Raum<br />
sind alle Buchstaben ohnehin durch<br />
den Schreibgestus verbunden. Eine<br />
Analyse ausgeschriebener Handschriften<br />
zeigt, dass keine festen Verbindungen<br />
eingehalten werden, sondern nur<br />
solche Verbindungen zu sehen sind, die<br />
der Motorik und dem Formwillen des<br />
Schreibers entsprechen. Daher ist es<br />
sinnvoll, die klaren Grundformen unserer<br />
Schrift zu lehren und es dem Gutdünken<br />
des Schülers zu überlassen, wo<br />
er verbinden will und wo nicht. Allein<br />
das Wortbild muss klar erkennbar sein.<br />
Es muss ein deutlicher Unterschied bestehen<br />
zwischen Buchstabenabstand<br />
und Wortzwischenraum. Das Ziel einer<br />
modernen Handschriftdidaktik<br />
sollte Flüssigkeit, Klarheit, Lesbarkeit<br />
und Schönheit sein. Schließlich gerät<br />
die Handschrift durch die Computertechnologie<br />
immer mehr unter Druck.<br />
Nur wer schön und gut zu schrei ben<br />
lernt, schreibt auch als Erwachsener<br />
gerne mit der Hand. Das wiederum ist<br />
kein Wert an sich, ist nicht kalligraphischen<br />
Ideen geschuldet. Das Schreiben<br />
mit der Hand zwingt zur gedanklichen<br />
Durchdringung einer Thematik, was<br />
noch unterstützt wird durch die Langsamkeit<br />
bei der Auseinandersetzung<br />
zwischen Formwillen, Schreibgerät und<br />
Beschreibstoff. »Tres digiti scribunt et<br />
totum corpus laborat« – Drei Finger<br />
schreiben, und der ganze Körper arbeitet.<br />
Die mittelalterliche Beschreibung<br />
des Vorgangs zeigt an, dass Handschrift<br />
den ganzen Menschen einbezieht,<br />
stärker als das Schrei ben mittels<br />
Tastatur. Der ganzheitliche Vorgang<br />
des Schreibens mit der Hand bedingt<br />
nicht nur das Aussehen von Texten,<br />
sondern auch ihre innere Struktur. Es<br />
gilt, diesen Wert zu erhalten, und daher<br />
ist es wichtig, in der Schule eine<br />
Schrift zu vermitteln, die konkurrieren<br />
kann mit dem perfekten Aussehen der<br />
Computererzeugnisse.<br />
Erobern wir uns eine gute Handschrift<br />
zurück.<br />
Literatur<br />
Autenrieth, Johanne (Hrsg.): Renaissanceund<br />
Humanistenhandschriften. München<br />
1988<br />
Bartel, Gustav: Warum deutsche Schrift?<br />
In: Schrift und Schreiben, Heft 4/1934<br />
Blumenthal, Erik: Graphologia IV – Schulschriften<br />
der verschiedenen Länder – Beiheft<br />
zur schweizerischen Zeitschrift für Psychologie<br />
u. ihre Anwendungen, Nr. 31, Bern 1957<br />
Dehn, Mechthild: Ansichten von Schrift.<br />
In: <strong>Grundschule</strong>, Heft 6/1986<br />
Doede, Werner: Schön schreiben, eine Kunst<br />
– Johann Neudörfer und die Kalligraphie des<br />
Barock. München 1988<br />
Ehmcke, F.H.: Die historische Entwicklung<br />
der abendländischen Schriftformen. Ravensburg<br />
1927<br />
Grünewald, Heinrich: Schreibenlernen.<br />
Bochum 1981<br />
Grünewald, Heinrich: Schrift als Bewegung.<br />
Weinheim, Berlin, Basel 1970<br />
Hopster, Norbert: Das »Volk« und die Schrift.<br />
Zur Schriftpolitik im Nationalsozialismus. In<br />
Boneke, Dietrich, Hopster, Norbert (Hrsg.):<br />
Schreiben – Schreiben lernen. Tübingen 1985<br />
Hurm, Otto: Johnston, Larisch, Koch – Drei<br />
Erneuerer der Schreibkunst. Kleiner Druck<br />
der Gutenberggesellschaft, Nr. 60, Mainz<br />
1955<br />
Klages, Ludwig: Handschrift und Charakter<br />
– für die Deutungspraxis bearbeitet und<br />
ergänzt von Bernhard Wittlich, 27. Auflage,<br />
Bonn 1974<br />
Linz, Bernhard: Kalligraphie, Wiesbaden<br />
1991<br />
Rudolf, Horst: Schreiberziehung und Schriftpsychologie.<br />
Bielefeld 1973<br />
Simons, Anna: Edward Johnston und die englischen<br />
Schrifterneuerer, Berlin-Leipzig 1937<br />
Unbehauen, Peter: Kalligrafie, Wiesbaden<br />
2004<br />
Wattenbach, Wilhelm: Das Schriftwesen im<br />
Mittelalter. Leipzig 1896<br />
Wudtke, Hubert: Kind und Schrift.<br />
In: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>, Heft 9/1986<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
35
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Baden-Württemberg<br />
Anschrift: Dipl.-Päd. Adolf Messer, Stockacker 15, 79252 Stegen<br />
www.gsv-bw.de<br />
Bewegung in der<br />
Bildungspolitik<br />
Medienwirksamer Rücktritt<br />
der Vorsitzenden des Landeselternbeirats,<br />
Einsetzung<br />
einer neuen Kultusministerin,<br />
Bildungsinitiativen zu<br />
längerem gemeinsamen<br />
Lernen und zur inklusiven<br />
Beschulung, achtsemestrige<br />
Ausbildung der kommenden<br />
Grundschullehrerinnen und<br />
-lehrer und – ganz <strong>aktuell</strong> –<br />
Absenkung des Klassenteilers<br />
in den <strong>Grundschule</strong>n auf 28<br />
bereits schon für das kommende<br />
Schuljahr vorgezogen.<br />
Dies sind einige Schlaglichter<br />
aus der Bildungspolitik des<br />
Landes in den vergangenen<br />
Wochen und Monaten …<br />
Es bleibt abzuwarten, ob das<br />
Vorzeichen der Landtagswahl<br />
2011 sind oder nachhaltige<br />
Veränderungen im Ländle.<br />
Die Landesgruppe bleibt am<br />
Ball.<br />
Mitgliedschaft des GSV<br />
Landesverband BW im<br />
Netzwerk »In einer Schule<br />
gemeinsam lernen«<br />
Seit März 2009 ist der<br />
Landesverband BW des GSV<br />
Mitglied beim Netzwerk<br />
»In einer Schule gemeinsam<br />
lernen«. In dieser Initiative<br />
engagieren sich eine große<br />
Zahl von Verbänden und<br />
Institutionen mit dem Ziel,<br />
in BW eine wohnortnahe<br />
Ganztagesschule zu etablieren,<br />
in der alle Kinder und<br />
Jugendlichen 10 Schuljahre<br />
gemeinsam lernen, wo Verschiedenheit<br />
respektiert und<br />
jedes einzelne Kind in seiner<br />
Gesamtentwicklung unterstützt<br />
wird.<br />
Die frühe Selektion im<br />
4. Schuljahr und die Zuweisung<br />
der Kinder in verschiedene<br />
weiterführende<br />
Schulen wird von allen<br />
beteiligten Organisationen<br />
als nicht pädagogisch und als<br />
undemokratisch verstanden.<br />
Die maßgeblichen Ziele des<br />
Netzwerks »In einer Schule<br />
gemeinsam lernen« und die<br />
daran beteiligten Organisationen<br />
sind unter www.<br />
In-einer-Schule-gemeinsamlernen-bw.de<br />
nachzulesen.<br />
Mit diesen Zielen kann sich<br />
der Landesverband BW des<br />
GSV identifizieren.<br />
Er nimmt mit einem Vertreter<br />
an den Sitzungen des Netzwerks<br />
teil und unterstützt die<br />
Arbeit durch Hinweise bei<br />
Fachtagungen und Grundschultagen.<br />
Auf den Sitzungen werden<br />
Projekte vorgestellt und geplant,<br />
mit denen die Ziele des<br />
Netzwerks der Politik und<br />
der breiten Öffentlichkeit<br />
nahegebracht werden sollen<br />
und weitere unterstützende<br />
Organisationen gewonnen<br />
werden können.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Edgar Bohn<br />
Fachtagungen<br />
der Landesgruppe<br />
im Jahre 2010 führt der<br />
Grundschulverband eine<br />
Reihe von Fachtagungen<br />
zum Thema »Kinder entdecken<br />
und erforschen die<br />
Welt« durch. Eingeladen sind<br />
Grundschullehrer/innen,<br />
Eltern und Erzieher/innen.<br />
08.05.2010 Heilbronn<br />
25.09.2010 Weingarten<br />
16.10.2010 Freiburg<br />
Plakat und Flyer zu den Fachtagungen<br />
erhalten Sie unter<br />
www.gsv-bw.de<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Pfirsichweg 37b, 86169 Augsburg<br />
gudrun.schoenknecht@grundschulverband-bayern.de, www.grundschulverband-bayern.de<br />
»Kompetenzorientierung<br />
als Qualitätsprofil modularisierter<br />
Lehrerbildung«<br />
Die Lehrerbildungszentren<br />
der bayerischen Universitäten<br />
luden mit Unterstützung<br />
der bayerischen Staatsministerien<br />
für Unterricht und<br />
Kultus und für Wissenschaft,<br />
Forschung und Kunst alle<br />
Partner der Lehrerbildung<br />
an die Universität Erlangen-<br />
Nürnberg zum Symposium<br />
»Kompetenzorientierung als<br />
Qualitätsprofil modularisierter<br />
Lehrerbildung« am 1. und<br />
2. März 2010 in Nürnberg ein.<br />
Bei dem Symposium ging es<br />
darum, die Qualität der Lehrerbildung<br />
in allen Phasen zu<br />
thematisieren und weiterzuentwickeln.<br />
Nach der<br />
Einführung neuer modularer<br />
Strukturen in den Lehramtsstudiengängen<br />
steht nun<br />
eine Qualitätsoffensive an,<br />
die Kompetenzorientierung<br />
und Professionsbezug stärkt<br />
und die verschiedenen<br />
Phasen der Lehrerbildung<br />
aufeinander abstimmt.<br />
Renommierte BildungswissenschaftlerInnen<br />
wie PD<br />
Dr. Mareike Kunter vom Max-<br />
Planck-Institut, Berlin, Prof.<br />
Bremen<br />
Gemeinsamer Vorsitz: Nina Bode-Kirchhoff,<br />
Inga Weiland; www.grundschulverband-bremen.de<br />
Veranstaltungshinweis<br />
»Setzen! Sechs!« oder<br />
Leistung wahrnehmen, ermöglichen und würdigen<br />
Samstag, 2. Oktober 2010<br />
9 bis 15 Uhr im Landesinstitut für Schule<br />
Referent: Ulrich Hecker<br />
Schaarschmidt, Prof. Hilbert<br />
Meyer und andere unterstützen<br />
dieses Vorhaben<br />
mit ihren Tagungsbeiträgen.<br />
Vertreter der Ministerien,<br />
Seminarleiter, Hochschuldozenten,<br />
Referendare,<br />
Studierende, Vertreter der<br />
Bildungsadministration und<br />
der Politik konnten miteinander<br />
ins Gespräch kommen<br />
und konkrete Vorschläge für<br />
eine Kompetenzorientierung<br />
und eine enge Verzahnung<br />
der Lehrerbildungsphasen<br />
formulieren. Als gemeinsames<br />
Ziel wurde die Verbesserung<br />
der Qualität der Lehrerbildung<br />
in allen Phasen<br />
in den Blick genommen.<br />
In Workshops erarbeiteten<br />
die TeilnehmerInnen aktiv<br />
konkrete Ansatzpunkte zur<br />
Qualitätsentwicklung in allen<br />
Phasen der Lehrerbildung.<br />
Der dadurch initiierte Prozess<br />
der Entwicklung und Kooperation<br />
wird von den Zentren<br />
für Lehrerbildung koordiniert<br />
und fortgeführt werden. Alle<br />
Beteiligten stellen sich somit<br />
gemeinsam der Verantwortung<br />
gegenüber den nachkommenden<br />
Generationen<br />
von Schülern und Lehrern<br />
und dem Auftrag einer<br />
zukunftsfähigen Bildung.<br />
Die beiden Podien mit den<br />
Staatsministern Dr. Wolfgang<br />
Heubisch und Dr. Ludwig<br />
Spaenle sowie den Hochschulleitungen<br />
stellten die<br />
Tagung in den (hochschul-)<br />
politischen Kontext.<br />
Weitere Ergebnisse der<br />
Veranstaltung unter www.<br />
lehrerbildung-bayern.de/<br />
Zum Nachlesen: COACTIV-<br />
Studie: Welche Aspekte der<br />
Lehrerkompetenz lassen sich<br />
empirisch identifizieren und<br />
welche Beziehungen weisen<br />
diese Merkmale untereinander<br />
auf? www.mpib-berlin.<br />
mpg.de/coactiv/studie/<br />
ergebnisse/index.html<br />
für die Landesgruppe:<br />
Gabriele Klenk, Petra Hiebl<br />
36 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf<br />
Fachtagung<br />
»Den Übergang gemeinsam<br />
meistern«<br />
Am 4. 11. 2009 folgten etwa<br />
65 Lehrkräfte und Erzieherinnen<br />
einer Einladung der<br />
Landesgruppe des Grundschulverbandes<br />
zu einer<br />
Fachtagung in Templin. Diese<br />
Tagung wurde in bewährter<br />
Kooperation mit dem<br />
Landesinstitut für Schule und<br />
Medien Berlin-Brandenburg<br />
veranstaltet, um den Austausch<br />
und die Kooperation<br />
von Kita und <strong>Grundschule</strong> zu<br />
unterstützen. Ein Beispiel für<br />
die gelungene Zusammenarbeit<br />
bei der Wahrnehmung<br />
einer gemeinsamen<br />
Bildungs verantwortung<br />
und für die Gestaltung des<br />
Übergangs von vorschulischer<br />
zu schulischer Bildung<br />
bot der gastgebende Lernort<br />
selbst. Die Waldhofschule<br />
in Templin stellte sowohl<br />
ihr Konzept einer inklusiven<br />
Schule und die Umsetzung<br />
ins Schulleben vor als auch<br />
die fest verankerte Zusammenarbeit<br />
von Erzieherinnen<br />
und Lehrkräften bei der<br />
Gestaltung des Übergangs.<br />
In den letzten Jahren sind<br />
im Land Brandenburg auch<br />
durch die Projekte TransKiGs<br />
und PONTE die Fragen einer<br />
systematischen und kontinuierlichen<br />
Zusammenarbeit<br />
zwischen Elementar- und<br />
Primarbereich in den Blick<br />
genommen worden. Im<br />
Gemeinsame Orientierungsrahmen<br />
für die Bildung in<br />
Kindertagesbetreuung und<br />
<strong>Grundschule</strong> ( GorBiKs)<br />
wurden Qualitätsmerkmale<br />
für ein gemeinsames Bildungsverständnis<br />
und die<br />
Gestaltung des Übergangs<br />
in gemeinsamer Bildungsverantwortung<br />
entwickelt.<br />
In diesen Vorhaben sind<br />
Erfahrungen und Ergebnisse<br />
gewonnen worden, über die<br />
in der Tagung breiter informiert<br />
werden konnte.<br />
Dazu trugen ein engagierter<br />
Vortrag zu Arbeitsergebnissen<br />
in diesen Projekten durch<br />
Frau Dr. Frauke Hildebrandt<br />
sowie die Praxisberichte von<br />
Beteiligten und der Austausch<br />
untereinander bei.<br />
Tandems von Erzieherinnen<br />
und Lehrkräften stellten ihre<br />
konkreten Erfahrungen bei<br />
der Teamarbeit, zur Beobachtung<br />
von Lernprozessen<br />
und bezüglich ihrer jeweils<br />
spezifischen Lernangeboten<br />
beispielhaft vor.<br />
Es wurde deutlich, wie wichtig<br />
eine gemeinsame Arbeit<br />
auf Augenhöhe ist, bei der<br />
Fachwissen und pädagogische<br />
Kompetenzen beider<br />
Professionen zum Tragen<br />
kommen können. Die Veranstaltung<br />
ermutigte dazu,<br />
aufeinander zu zugehen und<br />
miteinander zu kooperieren.<br />
Die Tagung war auch zugleich<br />
Mitgliederversammlung<br />
und Wahlveranstaltung,<br />
bei der über die Aktivitäten<br />
und die Fortbildungsangebote<br />
des Landesvorstandes<br />
Brandenburg Rechenschaft<br />
abgelegt wurde. Zum neuen<br />
Vorstand gehören Marion<br />
Gutzmann, Denise Sommer,<br />
Dr. Elvira Waldmann und<br />
Sabine Wendt.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Dr. Elvira Waldmann<br />
Hamburg<br />
Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg<br />
susanne.peters@gsv.hamburg.de, www.gsv.hamburg.de<br />
Neue Chancen für<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
mit Behinderung<br />
Zu einer Informations- und<br />
Diskussionsveranstaltung<br />
für Eltern und Pädagogen<br />
hatte der Grundschulverband<br />
Hamburg gemeinsam<br />
mit dem Verein »Leben mit<br />
Behinderung«, der Elternkammer<br />
Hamburg sowie der<br />
Landesarbeitsgemeinschaft<br />
»Eltern für Integration« am<br />
25. 1. 2010 eingeladen. Im<br />
ersten Teil berichteten Sabine<br />
Koller-Hesse und Hedwig<br />
Matt, Lehrerinnen der<br />
Heinrich-Zille-<strong>Grundschule</strong><br />
Kreuzberg in Berlin, aus<br />
ihrem Schulalltag und über<br />
Möglichkeiten, Schülerinnen<br />
und Schüler mit mehrfachen<br />
Behinderungen in den Unterricht<br />
einzubeziehen. Mit<br />
Fotos dokumentierten sie,<br />
wie einer Klassenlehrerin und<br />
einer Sonderpädagogin gemeinsam<br />
guter, ertragreicher<br />
Unterricht für alle Kinder, ob<br />
behindert oder nicht behindert,<br />
gelingen kann.<br />
Im zweiten Teil des Abends<br />
stellte Staatsrat Vieluf aus<br />
der Behörde für Schule und<br />
Berufsbildung den Stand<br />
der Vorbereitungen für die<br />
Umsetzung des § 12 der<br />
UN-Konvention in Hamburg<br />
vor: Mit Beginn des nächsten<br />
Schuljahres können Eltern,<br />
zunächst für die Klassen 1<br />
und 5, den Anspruch auf<br />
integrative Beschulung ihrer<br />
Kinder geltend machen. Herr<br />
Vieluf beantwortete anschließend<br />
die vielfältigen Fragen<br />
des Publikums und zeigte<br />
sich dabei engagiert und<br />
gut vorbereitet. Wie groß<br />
das Interesse am Thema war,<br />
wurde allein dadurch deutlich,<br />
dass der Veranstaltungsraum<br />
mit etwa 350 Zuhörern<br />
bis an den Rand gefüllt war.<br />
Zum Teil auf Stehplätzen<br />
verfolgten sie Vorträge,<br />
Fragen und Antworten mit<br />
höchster Aufmerksamkeit.<br />
Es wurde deutlich, dass die<br />
nächsten Schritte zu mehr<br />
integrativem Unterricht<br />
wesentlich davon abhängen,<br />
wie viele Eltern diesen neuen<br />
Weg gehen wollen und wie<br />
weit es gelingt, Wissen und<br />
Erfahrungen der Pädagogen<br />
der unterschiedlichen<br />
Sonderschulen effektiv<br />
in das Regelschulwesen<br />
einzubinden. In der neu<br />
eingerichteten Arbeitsgruppe<br />
der Schulbehörde, an der<br />
Vertreter der verschiedenen<br />
Interessengruppen beratend<br />
teilnehmen, gilt es viele noch<br />
offene Fragen zu klären. Die<br />
Landesgruppe hofft, dass<br />
die Ergebnisse entscheidend<br />
dazu beitragen werden, den<br />
Weg zu mehr integrativem<br />
Lernen zu ebnen.<br />
Schulreform per<br />
Volksentscheid?<br />
Im Juli werden die Hamburger<br />
Wählerinnen und Wähler<br />
über einen grundlegenden<br />
Baustein der Hamburger<br />
Schulreform, das längere<br />
gemeinsame Lernen bis<br />
Klasse 6, abstimmen. Selbst<br />
weitreichende Zugeständnisse<br />
der regierenden Parteien<br />
reichten nicht für einen Kompromiss<br />
mit der Initiative »Wir<br />
wollen lernen«. Sie hat einen<br />
Volksentscheid beantragt,<br />
um das Gymnasium ab Klasse<br />
5 und ein uneingeschränktes<br />
Elternwahlrecht in Bezug auf<br />
die weiterführende Schulform<br />
zu erhalten. Die Landesgruppe<br />
unterstützt die<br />
Schulreform grundsätzlich<br />
und wird sich engagiert dafür<br />
einsetzen, die Bevölkerung<br />
über die damit verbundenen<br />
Vorteile für Hamburger<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
zu informieren und zu einer<br />
Stimmabgabe gegen den<br />
Antrag zu ermuntern. Wir<br />
hoffen auf vielfältige Unterstützung!<br />
für die Landesgruppe:<br />
Marion Lindner<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
37
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Hessen<br />
Anschrift: Ilse Marie Krauth, Steigerwaldweg 3, 63456 Hanau, ikrauth@gsv-hessen.de<br />
www,gsv-hessen.de<br />
Inklusion und/oder gegliedertes<br />
Schulsystem?<br />
»Inklusion – wie kann das<br />
gehen?« Um dieses Thema<br />
ging es bei einer Fachtagung<br />
in der Reinhardswaldschule.<br />
Eingeladen hatten der<br />
Verband Sonderpädagogik,<br />
Landesverband Hessen e. V.,<br />
das Amt für Lehrerbildung,<br />
die Deutsche Gesellschaft für<br />
Sprachheilpädagogik und<br />
der Berufsverband deutscher<br />
Hörgeschädigtenpädagogen.<br />
Peter Heyer hatte ein<br />
Grußwort verfasst und die<br />
Landesgruppe Hessen hat<br />
die Tagung unterstützt und<br />
sich aktiv beteiligt.<br />
In ihrem Impulsreferat »Die<br />
Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention<br />
für die<br />
Schulentwicklung« machte<br />
Dr. Marianne Hirschberg<br />
vom Deutschen Institut für<br />
Menschenrechte in Berlin<br />
deren Ziele und Grundsätze<br />
deutlich. Artikel 24, Absatz 1<br />
der Konvention hält fest:<br />
»Die Vertragsstaaten anerkennen<br />
das Recht von Menschen<br />
mit Behinderungen auf<br />
Bildung. Um dieses Recht … zu<br />
verwirklichen, gewährleisten<br />
die Vertragsstaaten ein integratives<br />
Bildungssystem auf<br />
allen Ebenen …«<br />
In Absatz 2 heißt es:<br />
»Bei der Verwirklichung dieses<br />
Rechts stellen die Vertragsstaaten<br />
sicher, dass<br />
a) Menschen mit Behinderungen<br />
nicht aufgrund von<br />
Behinderung vom allgemeinen<br />
Bildungssystem ausgeschlossen<br />
werden und dass Kinder<br />
mit Behinderungen nicht aufgrund<br />
von Behinderung vom<br />
unentgeltlichen und obligatorischen<br />
Grundschulunterricht<br />
oder vom Besuch weiterführender<br />
Schulen ausgeschlossen<br />
werden;«<br />
Laut Aussagen des Vertreters<br />
des HKM bekennt sich<br />
Hessen zu der UN-Behindertenrechtskonvention.<br />
Was<br />
bedeutet es für die Praxis,<br />
wenn man es ernst meint mit<br />
der konsequenten Umsetzung?<br />
Wie verträgt sich Inklusion<br />
mit dem gegliederten<br />
Schulsystem und der frühen<br />
Selektion, die in Hessen die<br />
Bildungspolitik prägen?<br />
Die UN-BRK schlägt in Artikel<br />
4, Absatz 2 vor, zur Umsetzung<br />
die »verfügbaren<br />
Mittel« auszuschöpfen. Was<br />
bedeutet das für Hessen im<br />
Klartext? Welche Ressourcen<br />
stellt die Politik angesichts<br />
immer knapper werdender<br />
Mittel zur Verfügung?<br />
Ein Schritt in die richtige<br />
Richtung wurde gemacht:<br />
Dadurch, dass 50 neue<br />
Stellen für Sonderpädagogen<br />
geschaffen wurden, die Kinder<br />
mit besonderem Förderbedarf<br />
an der Regelschule<br />
begleiten, konnte der Anteil<br />
dieser Kinder, die eine ganz<br />
normale <strong>Grundschule</strong> besuchen,<br />
auf etwas über 22 %<br />
gesteigert werden. Allerdings<br />
wurden laut Landesarbeitsgemeinschaft<br />
»Gemeinsam<br />
leben – gemeinsam lernen«<br />
mehr als 150 Kinder nicht<br />
aufgenommen.<br />
Die Position des Grundschulverbandes<br />
zu dieser Frage ist<br />
eindeutig.<br />
Die vierte der acht Forderungen<br />
zur Bildungsgerechtigkeit<br />
drückt dies so aus:<br />
»Kinder brauchen eine Schule<br />
ohne Auslese.«<br />
für die Landesgruppe:<br />
Ilse Marie Krauth<br />
Werden Kinder<br />
zu Tyrannen?<br />
Im Juni 2010 findet eine<br />
Veranstaltung mit Dr. Michael<br />
Winterhoff, Kinder- und<br />
Jugendpsychiater und<br />
Psychotherapeut und Autor<br />
der viel diskutierten Bücher<br />
»Warum unsere Kinder Tyrannen<br />
werden« und »Tyrannen<br />
müssen nicht sein« statt. Wir<br />
laden zur kritischen Auseinandersetzung<br />
mit den darin<br />
postulierten Thesen ein. Die<br />
Moderation hat Peter Hanack<br />
von der Lokalredaktion der<br />
Frankfurter Rundschau.<br />
Da Ort und genauer Termin<br />
noch nicht feststehen,<br />
bitte ich alle, die sich für eine<br />
Teilnahme interessieren, um<br />
eine kurze Mitteilung unter<br />
ikrauth@gsv-hessen.de<br />
Pädagogische<br />
Leistungskultur<br />
Die Bücher zum Projekt des Grundschulverbandes<br />
(zum Teil mit Arbeitshilfen auf CD)<br />
Fortbildung<br />
Gewaltfreie Kommunikation<br />
In 5 Seminarblöcken, jeweils Sa+So,<br />
berufsbegleitend,<br />
Sept. 2010 bis Mai 2011 in Hannover.<br />
Erlernen Sie die GFK und ihre<br />
Anwendung in Schule und Unterricht.<br />
Telefon 0 57 64 - 41 69 99<br />
K o n fl i kTransformation<br />
Armin Torbecke (zertifiz. GFK-Trainer)<br />
Frühbucherrabatt bis 1. 7.<br />
Armin Torbecke<br />
www.konflikttransformation.de<br />
Band 118<br />
ISBN 3-930024-87-X<br />
Best.-Nr. 1076<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 121<br />
ISBN 3-930024-94-2<br />
Best.-Nr. 1079<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 119<br />
ISBN 3-930024-88-8<br />
Best.-Nr. 1077<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 124<br />
ISBN 3-930024-96-9<br />
Best.-Nr. 1082<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
38 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Vorsitzender: Ralph Grote, Hasengang 3, 17309 Pasewalk<br />
ralphgrote@aol.com<br />
Regionalkonferenzen zur<br />
selbstständigen Schule<br />
Nach Verhandlungen zwischen<br />
den Gewerkschaften<br />
und dem Bildungsministerium<br />
ist nun klar, dass für die<br />
Grund- und Förderschullehrer<br />
mit diesem Schuljahr das<br />
Lehrerpersonalkonzept beendet<br />
ist. Allen Grundschullehrerinnen<br />
und -lehrern<br />
wird daher zum kommenden<br />
Schuljahr eine volle Stelle<br />
angeboten werden.<br />
Diese Tatsache wurde auf<br />
Regionalkonferenzen zur<br />
Entwicklung der selbstständigen<br />
Schule, die durch das<br />
Bildungsministerium in den<br />
verschiedenen Schulamtsbereichen<br />
des Landes durchgeführt<br />
wurden, bekannt<br />
gegeben.<br />
Nach mehr als einem Jahrzehnt<br />
ist damit diese Solidarmaßnahme<br />
zu Ende, die<br />
durch die Grundschullehrer<br />
und -lehrerinnen in unserem<br />
Lande mitgetragen wurde,<br />
um Kündigungen zu vermeiden.<br />
Es drängen sich jedoch nun<br />
neue Fragen auf:<br />
Wie kann bei einem so hohen<br />
Beschäftigungsumfang die<br />
Unterrichtsplanung an der<br />
Schule realisiert werden? Hat<br />
dann jede Klasse ihren Klassenleiter<br />
oder leitet dieser<br />
dann mehrere Klassen?<br />
Und schließlich: Welche Maßnahmen<br />
werden ergriffen,<br />
um der drohenden Überalterung<br />
des Personalbestandes<br />
im Grundschulbereich zu<br />
begegnen? Gerade um eine<br />
gesunde Personalpolitik im<br />
Lande zu gestalten, sind hier<br />
Antworten nötig. Neben der<br />
weiteren Verbesserung des<br />
Einstellungskorridors gehört<br />
dazu auch die Gewinnung<br />
von Nachwuchs für das<br />
Land. Eine Stärkung der<br />
Referendariatsausbildung<br />
an unseren Schulen ist hier<br />
ebenfalls gefordert. Ist es<br />
ein Schritt in die richtige<br />
Richtung, den Mentoren für<br />
ihre anspruchsvolle Tätigkeit<br />
eine entsprechende Entschädigung<br />
zu gewährleisten,<br />
können Bestrebungen, mit<br />
den Stunden der Referendare<br />
den Beschäftigungsumfang<br />
der Lehrkräfte zu reduzieren,<br />
nicht zielführend sein.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Ralph Grothe<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1d, 58285 Gevelsberg<br />
www.grundschulverband-nrw.de<br />
Für ein Ende des Aussortierens<br />
von Kindern!<br />
Vor den Landtagswahlen im<br />
Mai in NRW gewinnt diese<br />
langjährige und zentrale<br />
Forderung des Grundschulverbandes<br />
wieder an <strong>aktuell</strong>er<br />
Bedeutung. Pünktlich<br />
zur Ausgabe der diesjährigen<br />
Empfehlungen für die<br />
Viertklässler trafen sich im<br />
Januar zu einer öffentlichen<br />
Anhörung des Ausschusses<br />
für Schule und Weiterbildung<br />
im Landtag bildungspolitische<br />
Experten und Expertinnen,<br />
um Stellung zu dieser<br />
entscheidenden und weitreichenden<br />
Weichenstellung<br />
für die Lernbiographien von<br />
Kindern zu beziehen. Die Ablehnung<br />
des frühen Aussortierens<br />
wurde eindrucksvoll<br />
durch die Untersuchungsergebnisse<br />
von Prof. H. G.<br />
Holtappels vom Institut für<br />
Schulentwicklungsforschung<br />
an der Uni Dortmund gestützt,<br />
die deutlich machten,<br />
dass es große Überschneidungen<br />
in den Leistungsprofilen<br />
von Kindern gibt, die<br />
– je nach ihrer sozialen Herkunft<br />
– Empfehlungen für die<br />
verschiedenen Schulformen<br />
bekommen haben. Wohlgemerkt:<br />
Überschneidungen<br />
auch bei Gymnasial- und<br />
Hauptschulschülerinnen und<br />
-schülern. Auf diesem Hintergrund<br />
haben in NRW bereits<br />
500 Grundschulleiterinnen<br />
und -leiter einen Aufruf für<br />
ein längeres gemeinsames<br />
Lernen von Grundschulkindern<br />
unterzeichnet, der<br />
von der GEW und dem VBE<br />
mitgetragen und unterstützt<br />
wird.<br />
Fortbildungen für<br />
Lehrerinnen, Lehrer<br />
und Schulleitungen<br />
Gemeinsam Qualität<br />
entwickeln<br />
Unter diesem Motto veranstaltete<br />
die Landesgruppe in<br />
Kooperation mit der Gemeinschaft<br />
Evangelischer Erzieher<br />
im März die nunmehr zweite<br />
Fortbildung für Schulleitungen.<br />
Auch diesmal gingen<br />
die Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer aufgrund der<br />
hervorragenden Arbeit der<br />
beiden Referenten Dr. Kirsten<br />
Mattern und Thomas Rimmasch<br />
mit vielen hilfreichen<br />
Impulsen für die eigene schulische<br />
Entwicklungsarbeit<br />
gestärkt und zufrieden nach<br />
Hause!<br />
Lernspuren sichtbar<br />
machen<br />
Auch diese Fortbildung im<br />
April setzt eine erfolgreiche<br />
Kooperation der Landesgruppe<br />
fort: In Kooperation<br />
mit dem Franz-Hitze-Haus,<br />
Münster, werden auf der<br />
Grundlage des Konzeptes der<br />
Pädagogischen Leistungskultur<br />
des Grundschulverbandes<br />
verschiedene Dokumentationsformen<br />
vorgestellt, die<br />
das individuelle Lernen von<br />
Kindern fördern und Lernanstrengungen<br />
und Lernüberlegungen<br />
von Kindern nach<br />
außen sichtbar machen. Die<br />
Präsentation erfolgreicher<br />
kleiner, praktikabler Modelle<br />
in Workshops soll dazu beitragen,<br />
die eigene pädagogische<br />
Praxis im Sinne einer<br />
kindorientierten Leistungskultur<br />
weiterzuentwickeln.<br />
Alle Informationen unter<br />
www.grundschulverbandnrw.de.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Beate Schweitzer<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />
39
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Anschrift: Werner Lang, Am Wingertsberg 8, 67756 Hinzweiler<br />
www.wl-lang.de<br />
Fortbildung »Sonderpädagogischer<br />
Förderbedarf«<br />
Großen Zuspruch fand diese<br />
Veranstaltung im Januar 2010<br />
an der <strong>Grundschule</strong> in St. Julian.<br />
Im Vordergrund standen<br />
die Fragen »Wann sollten<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
auf sonderpädagogischen<br />
Förderbedarf überprüft<br />
werden?« und »Wie funktioniert<br />
das Meldeverfahren im<br />
neuen Gutachtenportal?«<br />
Eva Limper (Rektorin) sowie<br />
Jörg Degen (Förderschullehrer)<br />
von der Janusz-Korczak-<br />
Schule Lauterecken konnten<br />
den interessierten TeilnehmerInnen<br />
hilfreiche Hinweise<br />
und Anregungen geben.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Konstanze Klein<br />
Teilrahmenplan<br />
Musik – »Musikalische<br />
Nachmittage«<br />
Im Verlauf der Vorbereitungen<br />
zu einer Veranstaltungsreihe<br />
zum neuen Teilrahmenplan<br />
Musik entstand die Idee,<br />
»musikalische Nachmittage«<br />
allen rheinland-pfälzischen<br />
Studienseminaren anzubieten.<br />
In Zusammenarbeit mit<br />
dem Arbeitskreis für Schulmusik<br />
(AfS) wird es eine<br />
Einführung in die Theorie<br />
des Teilrahmenplans sowie<br />
mittels Workshops zahlreiche<br />
praktische Anregungen zu<br />
seiner Umsetzung geben.<br />
Das Angebot richtet sich in<br />
erster Linie an LehramtsanwärterInnen,<br />
wird allerdings<br />
abhängig von den Räumlichkeiten<br />
auch für interessierte<br />
Lehrkräfte ausgeschrieben.<br />
Bislang steht der Termin für<br />
das Staatl. Studienseminar<br />
in Kusel fest: Dienstag, den<br />
24. August 2010 in der<br />
Fritz-Wunderlich-Halle. Der<br />
praxisnah angelegte Vortrag<br />
von O. Weyrauch (Universität<br />
Koblenz-Landau), der in Kusel<br />
referieren wird, ist für alle<br />
Lehrerinnen und Lehrer offen,<br />
die Workshops sind den LAA<br />
vorbehalten.<br />
Spielen und Bewegen<br />
mit dem Ball –<br />
DFB-Projekt 20 000 plus<br />
Fußball für GrundschullehrerInnen<br />
steht bei 2 Fortbildungsveranstaltungen<br />
auf dem Programm, das die<br />
Landesgruppe zusammen<br />
mit dem SWFV am 20. und<br />
27. Mai 2010 an der <strong>Grundschule</strong><br />
in St. Julian anbietet.<br />
Dabei sollen die TeilnehmerInnen<br />
Anregungen<br />
erhalten, wie Toleranz und<br />
Fairplay z. B. durch Fußball<br />
erfahren und erlebt werden<br />
können.<br />
(SINuS)-<br />
Grundschultag<br />
Im Zeichen des mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />
Unterrichts wird der<br />
Grundschultag 2010 am<br />
Dienstag, 5. Oktober an der<br />
Universität in Trier stehen. In<br />
diesem Jahr sind die SINUS-<br />
Projekt-Schulen Mitveranstalter.<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Petra Uhlig, Richard-Wagner-Str. 29, 06114 Halle<br />
petra.uhlig@lycos.de<br />
Neue Versetzungsverordnung<br />
in Sachsen-Anhalt<br />
Mit dem Schuljahr 2009/10 ist<br />
die Neugestaltung der Schuleingangsphase<br />
in Sachsen-<br />
Anhalt verbindlich geworden.<br />
Angestrebt wird eine<br />
Umgestaltung schul- und<br />
unterrichtsorganisatorischer<br />
Abläufe mit dem Ziel einer<br />
stärkeren Individualisierung<br />
des Unterrichts. Die Landesgruppe<br />
des Grundschulverbandes<br />
in Sachsen-Anhalt<br />
unterstützt grundsätzlich<br />
diese Bestrebungen, da im<br />
Rahmen der Flexibilisierung<br />
der Schuleingangsphase<br />
Freiräume geschaffen werden<br />
können, die helfen, das<br />
Ideal der <strong>Grundschule</strong> »Allen<br />
Kinder gerecht werden«<br />
mehr und mehr zu realisieren.<br />
Es muss allerdings<br />
darauf aufmerksam gemacht<br />
werden, dass von Seiten der<br />
Bildungsverantwortlichen die<br />
nötigen sächlichen, personellen<br />
und rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
zur Umsetzung<br />
geschaffen werden müssen.<br />
Ein Schritt in die richtige<br />
Richtung wurde nun seitens<br />
des Kultusministeriums getan,<br />
das eine neue Versetzungsverordnung<br />
veröffentlicht hat<br />
(www.mk-intern.bildung-lsa.<br />
de/Bildung/ve-versetzungs<br />
verordnung_2009.pdf). Studien<br />
belegen seit längerem,<br />
dass Sitzenbleiben nicht nur<br />
eine teure, sondern auch eine<br />
pädagogisch wirkungslose<br />
Maßnahme ist, die Deutschland<br />
annähernd 1 Milliarde<br />
Euro jährlich kostet (www.<br />
bertelsmann-stiftung.de/<br />
cps/rde/xchg/SID-93FB9AE6-<br />
D265EF85/bst/hs.xsl/nachrich<br />
ten_97560.htm). Daher wurde<br />
die Verordnung dahingehend<br />
geändert, den Schülern statt<br />
der unwirksamen Wiederholung<br />
aller Fächer eine individuelle<br />
Förderung zum Abbau<br />
der tatsächlichen fachkonkreten<br />
Defizite zu ermöglichen.<br />
Neu ist die Versetzungspflicht<br />
für Schüler, wenn sie in allen<br />
versetzungsrelevanten<br />
Fächern mindestens ausreichende<br />
Leistungen und<br />
höchstens einmal mangelhafte<br />
Leistungen erreicht haben.<br />
Außerdem werden Schüler<br />
auch dann versetzt, wenn<br />
sie zweimal nur mangelhafte<br />
Leistungen erreicht<br />
haben und die mangelhaften<br />
Leistungen durch<br />
mindestens befriedigende<br />
Leistungen in anderen Fächern<br />
ausgleichen können.<br />
Eine weitere für die <strong>Grundschule</strong><br />
relevante Änderung<br />
ist, dass Schüler auf Antrag<br />
der Erziehungsberechtigten<br />
durch Beschluss der Klassenkonferenz<br />
bis zum dritten<br />
Unterrichtstag des neuen<br />
Schuljahres eine besondere<br />
Leistungsfeststellung ablegen<br />
können, um nachträglich<br />
versetzt zu werden.<br />
Voraussetzung ist, dass die<br />
Verbesserung einer mangelhaften<br />
Leistung um eine<br />
Notenstufe genügt, um die<br />
Versetzungsbestimmungen<br />
zu erfüllen. Weitere Änderungen<br />
betreffen die Schüler<br />
im gemeinsamen Unterricht,<br />
die in Sachsen-Anhalt an<br />
den Regelschulen verbleiben,<br />
aber nach Lehrplänen<br />
der Förderschule unterrichtet<br />
werden. Die Landesgruppe<br />
Sachsen-Anhalt des<br />
Grundschulverbandes sieht<br />
in der Neufassung der Versetzungsverordnung<br />
durch<br />
das Kultusministerium ein<br />
positives Signal im Prozess<br />
der Qualitätsentwicklung<br />
an <strong>Grundschule</strong>n und eine<br />
Voraussetzung auf dem Weg<br />
zum Erreichen des größeren<br />
Ziels: die Neugestaltung<br />
der Schuleingangsphase.<br />
Alle nötigen Rahmenbedingungen,<br />
um die flexible<br />
Schuleingangsphase jedoch<br />
nachhaltig an den <strong>Grundschule</strong>n<br />
Sachsen-Anhalts zu<br />
etablieren, sind damit noch<br />
nicht erfüllt. So werden unter<br />
anderem die vom Kultusministerium<br />
in Aussicht gestellte<br />
Neufassung des Leistungsbewertungserlasses,<br />
die das<br />
schwerwiegendere Problem<br />
der Benotung im Anfangsunterricht<br />
regelt, und weitere<br />
unterstützende Maßnahmen<br />
dringend erwartet.<br />
für die Landesgruppe:<br />
Ralph Thielbeer<br />
40 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Schleswig-Holstein<br />
Vorsitzende: Dr. Beate Blaseio, Am Binnenhafen 52, 25813 Husum<br />
www.grundschulverband-sh.de<br />
Neue Wege in<br />
Schleswig-Holstein<br />
Wenn der Staatssekretär<br />
des Bildungsministeriums<br />
auf einer Fachtagung vor<br />
Grundschullehrerinnen sagt,<br />
dass es ein Problem sei, dass<br />
Kinder mit unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen an die<br />
weiterführenden Schulen<br />
kommen und diese dort erst<br />
einmal auf ein Niveau kommen<br />
müssen, dann ist das<br />
ein Spiegelbild der Bildungspolitik<br />
der neuen Landesregierung.<br />
Mit der im Koalitionsvertrag<br />
vereinbarten und geplanten<br />
Wiedereinführung der<br />
Notengebung ab Klasse 3<br />
sowie der Einrichtung von<br />
Begabtenzentren wird sich<br />
der Auslesedruck auf Schüler<br />
und Schülerinnen und Lehrer<br />
und Lehrerinnen der <strong>Grundschule</strong><br />
erhöhen. Damit macht<br />
Schleswig-Holstein eine<br />
Kehrtwende auf dem Wege<br />
zu einer bildungsgerechten<br />
<strong>Grundschule</strong>.<br />
Der offene Brief des Vorstands<br />
an den Bildungsminister<br />
Dr. E. Klug zu Beginn<br />
des Jahres (siehe <strong>Grundschule</strong><br />
<strong>aktuell</strong> 109 und www.<br />
grundschulverband-sh.de)<br />
blieb bislang unbeantwortet.<br />
Hingegen fand die Tagung<br />
der Landesgruppe in Osterrönnfeld<br />
am 25. Januar unter<br />
dem Thema »<strong>Grundschule</strong><br />
kindergerecht voranbringen«<br />
mit einem Eingangsvortrag<br />
von Horst Bartnitzky und<br />
Über 100 Teilnehmer und Teilnehmerinnen kamen zur Tagung<br />
der Landesgruppe zum Thema »<strong>Grundschule</strong> kindergerecht<br />
voranbringen«<br />
der Präsentation von drei<br />
<strong>Grundschule</strong>n des Landes<br />
auf dem Weg zu einer kindergerechten<br />
<strong>Grundschule</strong><br />
mit über 100 Teilnehmern<br />
große Resonanz.<br />
für die Landesgruppe:<br />
S. Jesumann<br />
Thüringen<br />
Steffi Jünemann, Hauptstraße 7, 99734 Nordhausen<br />
Verpflichtung zur schulischen<br />
Evaluation – Eigenverantwortliche<br />
Schule<br />
Seit August 2008 ist jede<br />
Thüringer Schule per Schulgesetz<br />
zur regelmäßigen<br />
internen Evaluation ihrer<br />
Schul- und Unterrichtsqualität<br />
verpflichtet. Welche<br />
Evaluationsinstrumente sie<br />
dafür auswählt, entscheidet<br />
die Schule in eigener Verantwortung.<br />
Wichtig dabei sind<br />
die Einbindung der Schulkonferenz<br />
und deren Information<br />
über die Ergebnisse.<br />
Neben der Nutzung selbst<br />
entwickelter Instrumente<br />
wie schriftliche Befragungen,<br />
Interviews, Dokumentenanalyse,<br />
zielgerichtete<br />
Beobachtungen stehen den<br />
Thüringer <strong>Grundschule</strong>n dafür<br />
auch zahlreiche zentrale<br />
Instrumente kostenfrei zur<br />
Verfügung:<br />
– ThüNIS (Thüringer Netzwerk<br />
Innovativer Schulen)<br />
– SEfU ( Schüler als Experten<br />
für den Unterricht)<br />
– Kompetenztests in<br />
Klassen stufe 3<br />
– Checkliste für die Gestaltung<br />
der Schuleingangsphase<br />
Ebenso sind alle Schulen<br />
verpflichtet, in angemessenen<br />
Zeitabständen an<br />
einer externen Evaluation<br />
teilzunehmen. In 3 Tagen<br />
werden durch eigens dafür<br />
qualifizierte Experten zahlreiche<br />
Unterrichtsbesuche<br />
und Interviews durchgeführt<br />
sowie Dokumente analysiert.<br />
Anschließend bekommt die<br />
Schule eine Rückmeldung<br />
über ihren Entwicklungsstand<br />
und entsprechende<br />
Empfehlungen. Nach<br />
Abschluss der externen<br />
Evaluation wird eine Zielvereinbarung<br />
zwischen der<br />
Schule und dem zuständigen<br />
Schulamt getroffen, in der<br />
die Schule ihre Vorhaben zur<br />
Qualitätsentwicklung und<br />
Qualitätssicherung festlegt.<br />
Der Vorstand der Landesgruppe<br />
Thüringen unterstützt<br />
diese Entwicklung:<br />
●● systematische Schulentwicklung<br />
wird initiiert<br />
●● aus den Ergebnissen werden<br />
gemeinsam mit Eltern<br />
und Schülern realistische und<br />
sinnvolle Ziele abgeleitet und<br />
umgesetzt.<br />
●● ein schulinternes professionelles<br />
Qualitätsmanagement<br />
entsteht<br />
●● die konzeptionelle Arbeit<br />
wird forciert<br />
●● immer mit dem Ziel einer<br />
stärkeren Schülerorientierung<br />
und individuellen<br />
Förderung und der Verbesserung<br />
der Unterrichtsqualität.<br />
Viele Schulen haben sich<br />
bereits auf den Weg gemacht<br />
und nehmen ihre Entwicklung<br />
systematisch und eigenverantwortlich<br />
in den Blick.<br />
Aber nach wie vor sind auch<br />
viele sehr zögerlich. Wir<br />
stellen uns die Frage, woran<br />
das liegt:<br />
●● Sind die Verantwortlichen<br />
an den Schulen für solche<br />
Aufgaben nicht genügend<br />
qualifiziert?<br />
●● Bestehen personelle<br />
Grenzen?<br />
●● Trauen sich die Schulen<br />
nicht, ihre gute Entwicklung<br />
offenzulegen?<br />
für die Landesgruppe:<br />
Katrin Heckert
Grundschrift<br />
damit Kinder besser schreiben lernen<br />
●● Wir suchen Lehrerinnen und Lehrer,<br />
– die mit Kindern lange Zeit die Druckschrift als Schreibschrift nutzen,<br />
– die Kinder dabei auf dem Weg zu einer eigenen Handschrift begleiten,<br />
– die Erfahrungen mit der Grundschrift sammeln wollen – in einer oder in<br />
mehreren Klassen, oder auf der Ebene einer ganzen Schule.<br />
●● Wir wollen mit Ihnen in Kontakt kommen, Erfahrungen untereinander<br />
austauschen und gemeinsam Wege zu einem kind gemäßen Schreibunterricht<br />
gehen.<br />
●● Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit werden im Frühjahr 2011 in einer<br />
Fachtagung diskutiert und anschließend vom Grundschulverband<br />
veröffentlicht.<br />
● Schreiben Sie an den Grundschulverband,<br />
Stichwort »Grundschrift«<br />
E-Mail: info@grundschulverband.de<br />
Post: Grundschulverband, Niddastraße 52,<br />
60329 Frankfurt / Main<br />
Materialien zum Mitmachen und ein Forum<br />
für Erfahrungen und Meinungen finden Sie unter:<br />
www.grundschulverband.de > Grundschrift