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Grundschule aktuell 110

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www.grundschulverband.de · Mai 2010 · D9607F<br />

<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong><br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft <strong>110</strong><br />

Grundschrift<br />

damit Kinder besser schreiben lernen


Herbsttagung des Grundschulverbandes<br />

12. / 13. November 2010 | Individuell fördern –<br />

Kompetenzen stärken: Klassen 1 und 2<br />

Fördern ist eine zentrale pädagogische Aufgabe. Doch wie<br />

fördert man so, dass die Kinder gestärkt und selbstständiger<br />

werden? Förderung hat oft den fatalen Effekt, dass die Hilflosigkeit<br />

der Kinder nur noch verstärkt wird. Einmal Förderkind,<br />

immer Förderkind, das der Entwicklung in der Klasse<br />

hinterherläuft, ohne jemals das Erlebnis von nachhaltigem<br />

Erfolg zu haben.<br />

Der Grundschulverband erarbeitet ein Förderkonzept, das<br />

Kinder stärken und zuversichtlich machen kann. Es soll die<br />

vorhandenen Kompetenzen herausfordern und ihre Weiterentwicklung<br />

unterstützen. Es soll Selbst differenzierung ermöglichen<br />

und Selbstwirksamkeit erfahren lassen.<br />

Thematik<br />

der Tagung<br />

Tagungsverlauf<br />

Referentinnen<br />

und Referenten<br />

Zurzeit werden im Grundschulverband<br />

Fördermaterialien und -aufgaben für<br />

die Schuleingangs-Phase erarbeitet:<br />

– für den Übergang vom vorschulischen<br />

Bereich in die <strong>Grundschule</strong>,<br />

– für Deutsch, einschließlich Deutsch als<br />

Bildungssprache / als Zweitsprache,<br />

– für Mathematik.<br />

Die Leiterinnen und Leiter dieser Bereiche<br />

stellen auf der Tagung ihre Überlegungen<br />

und die bereits erarbeiteten Materialien<br />

und Aufgaben zur Diskussion.<br />

Zusammen mit den Erfahrungen der<br />

Teilnehmer/innen kann die Tagung zur<br />

Entwicklung schulbezogener Förderkonzepte<br />

beitragen – jenseits der schlichten<br />

Mechanik: Diagnose eines Defizits<br />

und »gezielte« Förderung mit Hilfe einer<br />

Karteikarte (eines Arbeitsblattes, eines<br />

Förderheftes …).<br />

Freitag, 12. November 2010, ab 15 Uhr<br />

Vorstellung des Förderkonzepts,<br />

Impuls referate zu den Förderbereichen:<br />

Übergang in die <strong>Grundschule</strong>,<br />

Deutsch und Mathematik Klasse 1 und 2<br />

abends: offene Gesprächsrunde zum<br />

Thema Ausgangschrift: Grundschrift (siehe<br />

das Mai-Heft von <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>)<br />

Samstag, 13. November 2010, bis 15 Uhr<br />

vormittags: Arbeitsgruppen zu den<br />

Förderbereichen mit einmaligem Wechsel<br />

nachmittags: schulbezogene<br />

Förderkonzepte, Ausblick<br />

Dr. Horst Bartnitzky, Prof. Dr. Havva Engin,<br />

Ulrich Hecker, Maresi Lassek,<br />

Prof. Dr. Marcus Nührenbörger und andere<br />

Zielgruppe<br />

Tagungsbeitrag<br />

Anmeldung<br />

Die Tagung richtet sich an alle, die in<br />

der und für die <strong>Grundschule</strong> tätig sind.<br />

Die Teil nehmerzahl ist bei Einzelzimmern<br />

begrenzt auf 60.<br />

Bei Nutzung von zehn Doppel zimmern<br />

können bis zu 80 Personen teil nehmen.<br />

Mitglieder des Grundschul verbandes<br />

werden vorrangig berücksichtigt.<br />

Für Mitglieder des Grundschulverbandes<br />

140 Euro (Doppelzimmer 130 Euro),<br />

für Nicht-Mitglieder 190 Euro<br />

(Doppelzimmer 180 Euro).<br />

Im Tagungspreis enthalten sind die Kosten<br />

für Übernachtung und Verpflegung sowie<br />

der Transfer vom und zum Frankfurter<br />

Hauptbahnhof.<br />

Die Anmeldung kann erfolgen:<br />

– per Post: Grundschulverband,<br />

Niddastr. 52, 60329 Frankfurt,<br />

– per Mail: info@grundschulverband.de<br />

– oder über die Homepage:<br />

www.grundschulverband.de<br />

Verbindlich ist die Teilnahme erst nach<br />

Zahlungseingang des Tagungsbeitrages<br />

bis 15. Juni 2010.<br />

Stornogebühren nach dem 15. Sept. 2010:<br />

100 Euro<br />

Bankverbindung:<br />

Postbank Frankfurt, BLZ 500 100 60<br />

Konto Nr. 19 56 71 605<br />

Bitte bei der Anmeldung angeben:<br />

Vollständige Anschrift mit Mailadresse;<br />

Mitglied ja – nein;<br />

Anreise mit Auto oder Zug;<br />

derzeitige Funktion im Schulbereich;<br />

mögliche Doppelzimmernutzung<br />

Ort<br />

Martin-Niemöller-Haus in Schmitten<br />

(in der Nähe von Frankfurt am Main)<br />

Für Bahn reisende wird ein Shuttle-Bus zur<br />

Tagungs stätte organisiert.


Inhalt<br />

Editorial<br />

Tagebuch<br />

S. 2 Schrift – Schreiben – Schule (U. Hecker)<br />

Thema: Grundschrift<br />

S. 3 Grundschrift – auf einen Blick<br />

S. 4 Grundschrift – damit Kinder besser schreiben<br />

lernen (H. Bartnitzky)<br />

Praxis: Grundschrift<br />

S. 9 Kinder – Hand – Schrift (U. Hecker)<br />

S. 13 Grundschrift: Kartei zum Lernen und Üben:<br />

zum Beispiel »a«, »n«, »u«, »D«<br />

(mit Kommentaren von Ch. Mahrhofer-Bernt)<br />

S. 17 Druckschrift als einzige Schrift – Erfahrungen<br />

(L. Bode / Th. Winzen)<br />

S. 20 Schreiben mit Schwung<br />

(B. van der Donk / L. Kindler)<br />

Aus der Forschung<br />

S. 23 Plädoyer für eine Schrift ohne normierte<br />

Verbindungen (W. Menzel)<br />

S. 26 Schreibenlernen mit der Hand: Populäre Mythen<br />

und Irrtümer (Ch. Mahrhofer-Bernt)<br />

Einsichten und Ansichten<br />

S. 31 Kleine Kulturgeschichte der Handschrift<br />

(J. van der Ley)<br />

Aktuell …<br />

… aus den Landesgruppen, u. a.<br />

S. 36 Bayern: Kompetenzorientierung und Lehrerbildung<br />

S. 37 Hamburg: Schulreform per Volksentscheid?<br />

S. 39 Mecklenburg-Vorpommern:<br />

Selbstständige Schule<br />

Impressum<br />

GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes<br />

erscheint viertel jährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.<br />

Das einzelne Heft kostet 5 €; für Mitglieder und bei Sammelbestellungen<br />

ab 10 Hefte 3 € (inkl. Versand).<br />

Verlag: Grundschulverband e. V., Niddastraße 52,<br />

60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80,<br />

www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: Dr. Horst Bartnitzky<br />

(für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />

Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers,<br />

Tel. 0 28 41 / 2 17 14, ulrich.hecker@googlemail.com<br />

Fotos: Bert Butzke, Mülheim/Ruhr (Titel, S. 7, 18, 24, 25),<br />

Ulrich Hecker (Titel, S. 24, 25)), Autorinnen und Autoren;<br />

Karteikarten »Die Buchstaben«: Katharina Ritter / www.designritter.de<br />

Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung,<br />

Publikationen GmbH, Bödekerstr. 73, 30161 Hannover,<br />

Tel. 0511 / 9 61 69-11, Fax 0511 / 9 61 69-99<br />

Anzeigenverwaltung: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz,<br />

Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86, Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />

Druck: Beltz Druckpartner, 69502 Hemsbach<br />

ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6045<br />

Grundschrift<br />

Ende Januar 2010 führte der Grundschulverband in Frankfurt/M.<br />

ein Fachgespräch mit Vertretern aus Schulpraxis und<br />

Wissenschaft durch. Das zentrale Ergebnis war, eine Ausgangsschrift<br />

zur Erprobung in der Praxis und zur didaktischen Diskussion<br />

öffentlich zu machen: die »Grundschrift«.<br />

Am Frankfurter Fachgespräch haben teilgenommen:<br />

Dr. Horst Bartnitzky (Vors. des Grundschulverbands), Lothar<br />

Bode und Theresia Winzen (<strong>Grundschule</strong> Alpen-Veen), Prof.<br />

Dr. Erika Brinkmann (Pädagogische Hochschule Schwäbisch<br />

Gmünd), Barbara van der Donk und Linda Kindler (<strong>Grundschule</strong><br />

Repelen), Ulrich Hecker (Grundschulrektor, Moers),<br />

Dr. Christina Mahrhofer-Bernt (Sonderschullehrerin und Sonderpädagogin),<br />

Christiane Schüßler (Schulrätin, Düsseldorf).<br />

Prof. Dr. Wolfgang Menzel (Hildesheim) war verhindert, beteiligte<br />

sich aber mit einem Beitrag an der Tagung und wird, wie<br />

die anderen Gesprächsteilnehmer/innen auch, weiter am »Projekt:<br />

Grundschrift« mitarbeiten.<br />

Über die Erfahrungen und Ergebnisse des Fachgesprächs und<br />

wie es mit dem »Projekt: Grundschrift« weitergeht, informiert<br />

dieses Heft.<br />

Aufruf zur Mitarbeit<br />

Mit diesem Heft und mit der Veröffentlichung der Materialien<br />

zur Grundschrift auf der Homepage des Grundschulverbandes<br />

wollen wir mit vielen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt<br />

kommen, Erfahrungen untereinander austauschen und gemeinsam<br />

Wege zu einem kindgemäßen Schreibunterricht gehen. Ergebnisse<br />

der gemeinsamen Arbeit werden im Frühjahr 2011 bei<br />

einer Fachtagung diskutiert und anschließend vom Grundschulverband<br />

veröffentlicht.<br />

Bitte beachten Sie den »Aufruf zur Mitarbeit« auf der Rückseite<br />

dieses Heftes.<br />

Weitere Exemplare des Heftes zur Weitergabe an interessierte<br />

Kolleginnen und Kollegen, zur Diskussion in Fach- oder<br />

Lehrerkonferenzen, in der Hochschule oder im Seminar erhalten<br />

Sie über unsere Geschäftsstelle in Frankfurt: Tel. 0 69 / 77 60 06<br />

oder per E-Mail: info@grundschulverband.de<br />

Auf unserer Homepage finden Sie Materialien und weitere<br />

Informationen zur »Grundschrift«: www.grundschulverband.de<br />

> Grundschrift<br />

Herbsttagung in Schmitten<br />

»Individuell fördern – Kompetenzen stärken« ist das Thema der<br />

schon traditionellen Herbsttagung des Grundschulverbands<br />

in Schmitten (Taunus). In diesem Heft erfolgt die Ausschreibung<br />

der Tagung: Beachten Sie bitte die Anzeige gleich auf der<br />

Umschlagseite links.<br />

He.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

1


Tagebuch<br />

Schrift – Schreiben – Schule<br />

Ulrich Hecker<br />

An das Tippen und Klicken der Computer-Tastaturen<br />

hat sich unser Gehör zwischenzeitlich gewöhnt. Es ist<br />

kaum mehr wahrgenommenes Hintergrundgeräusch wie<br />

Vogel gezwitscher, Musikberieselung oder fernes Autohupen.<br />

Ein Klick führt zu den E-Mails oder ins weltweite<br />

Netz. Noch nie war es so leicht, mit Menschen schriftlich<br />

zu kommunizieren – wo immer sie sein mögen. Und das<br />

in einer verlässlich gut lesbaren Schrift.<br />

Das Schreibverhalten in der Gesellschaft ändert sich,<br />

seit langem und immer noch. Erst die Schreibmaschine,<br />

jetzt der Computer: Maschinen können das Schreiben<br />

mit der Hand ersetzen. Mit Handy, Smartphone oder<br />

Handheld werden auch Alltagsmeldungen und Notizen<br />

immer häufiger elektronisch verfasst. Das, was man heute<br />

als Schreiben bezeichnet, wird zunehmend bloßes Tippen,<br />

könnte man meinen.<br />

Neue Medien verändern neben der eigentlichen<br />

Schreib-Handlung auch die dazu gehörigen Denkprozesse.<br />

Beim Verfassen eines Dokuments werden Grammatik-<br />

und Rechtschreibfehler automatisch markiert, Textteile<br />

lassen sich beliebig ausschneiden und einfügen. Bei<br />

einer Klausur oder einem Brief muss gründlicher überlegt<br />

werden, wie man seinen Textfaden spinnt.<br />

Beim Schreiben mit der Hand schlägt sich das Zusammenspiel<br />

von Gedankenfluss und Schreibbewegung auf<br />

einzigartige Weise auf dem Papier nieder – neurologische,<br />

kognitive und kreative Prozesse werden eingeleitet.<br />

»Schule und Universität sind die letzten Nischen, in denen<br />

die Handschrift noch tragende Bedeutung hat. Lehrern,<br />

Schülern und Studenten wird der Wert einer klaren<br />

und lesbaren Schrift beständig vor Augen geführt«,<br />

schreibt Jules van der Ley in diesem Heft (S. 31).<br />

Durch die zunehmende Nutzung von Computer und<br />

Handy im Lebensalltag aber »verlernen« Kinder und<br />

Jugendliche die Handschrift – oder nehmen sie nicht<br />

(mehr) wichtig. Und zu fragen ist: Unterstützt Schule<br />

nicht manchmal diese Gering-Schätzung des »Schreib-<br />

Handwerks«?<br />

Lehrerinnen und Lehrer registrieren häufig die Unleserlichkeit<br />

von Schülerschriften. Es gibt ein breites Spektrum<br />

von Handschriften in jeder Klasse. Manche sind<br />

gut entwickelt, andere, manchmal sind es viele, erscheinen<br />

hilflos, ungelenk, kaum zu entziffern. Dabei sind das handschriftliche<br />

Festhalten von Gedanken und Ergebnissen,<br />

auch vielfältige Übungsformen in den meisten Fächern<br />

Alltagsgeschäft für Schülerinnen und Schüler. Allerdings<br />

schreiben Kinder und Jugendliche heute in der Schule bedeutend<br />

weniger als in früheren Jahrzehnten. Heute erhalten<br />

sie das meiste als Kopie, und zur Übung oder Lernkontrolle<br />

gibt es einen Lückentext.<br />

Es ist eine Tatsache: Schreiben mit der Hand ist fundamental<br />

wichtig für die Entwicklung des Denkens. Wenn<br />

Kinder Lesen und Schreiben lernen, prägen sie sich die<br />

Form eines Buchstabens gleichzeitig mit dessen Aussprache<br />

und der jeweiligen Schreib-Bewegung ein.<br />

Warum also Kinder das Schreiben nicht gleich auf der<br />

Tastatur lernen sollen? Weil ihr Gehirn dabei kaum sensomotorische<br />

Reize empfängt!<br />

Tippen verlangt nichts anderes als ein einförmiges Auf<br />

und Ab der Finger. Ob das Kind ein a oder ein f tippt, einen<br />

Buchstaben oder eine Zahl – stets bleibt die Bewegung<br />

stereotyp.<br />

Obendrein ist der Handgriff höchst willkürlich: das a<br />

kann mit dem kleinen Finger, mit dem Ringfinger oder<br />

mit dem Daumen gedrückt werden, je nach Zufall oder<br />

Gewohnheit. Schreiben mit der Hand verlangt jeweils besondere<br />

Handbewegungen, die jeweils für nur diesen einen<br />

Buchstaben typisch sind.<br />

Lernen ist Bewegung. Durch Bewegung des eigenen Körpers<br />

lernt der Säugling denken. Beim Vorschul- und<br />

Schulkind fördern feinmotorische Bewegungen der Hand<br />

die sensomotorische Intelligenz. Gefühlte Bewegungen<br />

werden im Gehirn gespeichert. Auf Hand-Schrift bezogen:<br />

»Der Erwerb einer Buchstabenform bedeutet den Aufbau<br />

eines motorischen Programms« (Christina Mahrhofer in<br />

diesem Heft, S. 27).<br />

Wir sehen nicht nur den Buchstaben, sondern wir fühlen<br />

auch die dazugehörige Schreibbewegung. Das Gehirn<br />

simuliert das Schreiben. Wer aber nur am Computer tippt,<br />

wird sich keine geläufige Handschrift aneignen können.<br />

Die pädagogische Devise lautet folglich: Vom (Schreib-)<br />

Handwerk zur (Schreib-) Maschine, nicht umgekehrt.<br />

Kinder brauchen auch und gerade heute in der Schule<br />

Zeiten und Räume, um (ihr) Schreiben mit der Hand erfahren,<br />

üben, erproben und anwenden zu können. Dazu<br />

bedarf es einer neuen Wertschätzung für die Handschrift<br />

in der Schule.<br />

Ulrich Hecker, Grundschulrektor in Moers,<br />

Redakteur von »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />

2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Thema: Grundschrift<br />

Grundschrift, damit Kinder besser schreiben lernen – ein Projekt des Grundschulverbandes<br />

Grundschrift – auf einen Blick<br />

Die Grundschrift<br />

als erste<br />

und einzige<br />

Ausgangsschrift<br />

Die Grundschrift ist eine Schreibschrift, die mit der gedruckten<br />

Leseschrift korrespondiert: Ihre Buchstaben entsprechen der<br />

sog. Gemischten Antiqua, sind aber handgeschrieben.<br />

Die Grundschrift erfüllt alle Anforderungen an eine Schreibschrift:<br />

– Sie ist besonders formklar und deshalb gut lesbar.<br />

– Sie ist funktional für alle Verwendungen der Textproduktion.<br />

– Sie ist mit zunehmender Schreibübung geläufig schreibbar.<br />

– Sie kann bei weiterem Gebrauch zur individuellen Handschrift<br />

weiterentwickelt werden.<br />

Eine weitere Schriftform als zweite Ausgangsschrift ist wegen des Bruchs in<br />

der Schreibentwicklung schädlich. Die in Deutschland bisher verwendeten<br />

Ausgangsschriften: Lateinische, Vereinfachte und Schul-Ausgangsschrift<br />

sind damit historisch überholt.<br />

Zur Form der<br />

Grundschrift<br />

Zum Bewegungsablauf<br />

der<br />

Grundschrift<br />

Zur Schreiblineatur<br />

Zur Entwicklung<br />

der individuellen<br />

Handschrift<br />

●● Die Buchstabenformen sind nicht gedruckte Buchstaben, sondern<br />

handgeschriebene. Sie sind aber nah an den Druckformen, die in den<br />

gedruckten Texten für die Kinder üblicherweise verwendet werden.<br />

●● Um beim weiterführenden Schreiben Buchstabenverbindungen<br />

leichter zu ermöglichen, erhalten die Kleinbuchstaben mit Abstrich am<br />

Ende einen Wendebogen.<br />

●● Vorrang haben bei allen Buchstaben die beiden Prinzipien:<br />

Schreibbewegung von links nach rechts und von oben nach unten.<br />

●● Wo bei verschiedenen Buchstaben gleiche Bewegungsabläufe<br />

möglich sind, werden sie gewählt.<br />

●● Wenn Kinder entgegen den ersten beiden Prinzipien individuell<br />

einen anderen Bewegungsablauf wählen, bei dem sie auch bleiben wollen,<br />

hat der individuell gewählte Ablauf Vorrang. Voraussetzung ist, dass der<br />

Buchstabe formklar und formstabil bleibt.<br />

●● Auf Lineatur wird ganz verzichtet oder sie wird auf eine Grund linie<br />

beschränkt. Vorlagen (Blätter zum Unterlegen) gibt es mit unterschiedlichen<br />

Abständen der Grundlinie, so dass die Kinder die für sie passende<br />

Vorlage wählen können.<br />

●● Vom ersten Schreiben mit der Grundschrift aus entwickeln die<br />

Kinder individuell ihre persönliche Handschrift.<br />

Dieser Prozess wird durch Betrachten von Schriftproben, Experi men tieren<br />

mit Schrift und Beratung durch die Lehrkraft unterstützt.<br />

Dabei werden auch grafisch sichtbare Verbindungen ausprobiert.<br />

Sie sind immer Angebote, nicht Verbindungsvorschrift.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

3


Thema: Grundschrift<br />

Horst Bartnitzky<br />

Grundschrift – damit Kinder<br />

besser schreiben lernen<br />

Warum eigentlich<br />

zwei Ausgangsschriften?<br />

»Warum bringen die <strong>Grundschule</strong>n<br />

den Kindern nicht mehr bei, ordentlich<br />

zu schreiben?« An den weiterführenden<br />

Schulen rissen die Klagen über die<br />

schlechten Schriften nicht ab. Betrachtete<br />

man Schriften der Viertklässler kritisch,<br />

musste man zustimmen: Schriften<br />

zeigten keine formklaren Buchstaben,<br />

Buchstaben verschmolzen bisweilen zu<br />

unleserlichen Krakeln, die Buchstaben<br />

schwankten mal nach links, mal nach<br />

rechts …<br />

Zurück auf Null –<br />

der didaktische Kunstfehler<br />

Die Lehrkräfte einer <strong>Grundschule</strong> am<br />

linken Niederrhein vermuteten, dass<br />

die zweite Ausgangsschrift der didaktische<br />

Kunstfehler war. Die Kinder<br />

erlasen und erschrieben sich ja zuerst<br />

ihren Weg in die Schrift mit der Druckschrift:<br />

Sie lasen Texte in Druckschrift<br />

und schrieben eigene Texte mit eben<br />

dieser Druckschrift. Die Druckschrift<br />

erfüllte alle Funktionen, die Schrift<br />

zum Lesen und zum Schreiben haben<br />

muss. Sie war die erste Schreibschrift<br />

der Kinder.<br />

Dann, gegen Ende des 1. Schuljahrs,<br />

wurde eine zweite Ausgangsschrift eingeführt:<br />

eine verbundene Schrift. An<br />

dieser Schule war es die Vereinfachte<br />

Ausgangsschrift. Damit hatte die erste<br />

Schrift, die Druckschrift, praktisch ausgedient.<br />

Die Lust am Schreiben von eigenen<br />

Texten erhielt einen Rückschlag:<br />

Zurück auf Null. Allerdings: Für das<br />

Einüben dieser zweiten Ausgangsschrift<br />

stand gar nicht mehr so viel Zeit zur<br />

Verfügung, wie sie eigentlich nötig gewesen<br />

wäre, um die Vertracktheiten<br />

auch dieser Schrift mit jedem Kind zu<br />

üben.<br />

Damit stellte sich die Sinnfrage: Die<br />

Kinder hatten doch eine Schrift gelernt,<br />

mit der sie gut und flott eigene Texte<br />

schreiben konnten, die Druckschrift.<br />

Warum sollte nun diese erworbene<br />

Kompetenz nichts mehr gelten, weil eine<br />

zweite Schrift an ihre Stelle trat? Eine<br />

zweite Schrift, die komplizierter war als<br />

die bereits erlernte? Nur, um dann im<br />

Weiteren mit dieser zweiten Schrift die<br />

eigene persönliche Handschrift zu entwickeln?<br />

Das war doch wohl ein unsinniger<br />

Umweg.<br />

Didaktisch konsistenter wäre, die<br />

Kinder mit der Druckschrift weiter<br />

schrei ben zu lassen – während der ganzen<br />

Grundschulzeit und darüber hinaus.<br />

Mit Hilfe der Druckschrift könnten<br />

die Kinder ebenso ihre persönliche, individuelle<br />

Handschrift entwickeln.<br />

Die <strong>Grundschule</strong> entschied, es bei<br />

der Druckschrift als Ausgangsschrift zu<br />

belassen. Fünf Jahre später lobten auch<br />

die weiterführenden Schulen die gut<br />

lesbaren und ordentlichen Schriften der<br />

Kinder aus dieser <strong>Grundschule</strong>.<br />

Es gibt eine Reihe von <strong>Grundschule</strong>n,<br />

die einen ähnlichen Weg gehen. Es<br />

ist ein Weg, der sich didaktisch seit den<br />

achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts<br />

einladend geöffnet hat. ( Siehe die<br />

Beiträge von Bode / Winzen und van der<br />

Donk / Kindler in diesem Heft, S. 17 ff.)<br />

Getrennte Wege zum Lesenund<br />

zum Schreibenlernen<br />

Bis in die achtziger Jahre des vorigen<br />

Jahrhunderts hinein galten Lesen- und<br />

Schreibenlernen als zwei verschiedene<br />

Wege in die Schrift:<br />

●● Lesenlernen in Druckschrift mit einer<br />

bestimmten für den Leselernprozess<br />

günstigen Folge der Buchstaben;<br />

●● Schreibenlernen mit einer verbundenen<br />

Schrift mit einer für das Schreibenlernen<br />

günstigen Buchstabenfolge, mit<br />

vorgegebenen Wörtern und kleinen Sätzen.<br />

Dabei galt das Prinzip, dass rechtschriftlich<br />

nichts falsch geschrieben<br />

werden sollte. Als »Fehlervermeidungsprinzip«<br />

hatte es didaktischen Stellenwert<br />

mit dogmatischer Bedeutung.<br />

Für das Schreibenlernen galt seit<br />

1951 die Lateinische Ausgangsschrift.<br />

Sie war weniger unter schreibmotorischen<br />

als vielmehr unter ästhetischen<br />

Gesichtspunkten entwickelt worden:<br />

mit geflammten Aufstrichen, mit vielen<br />

Drehrichtungswechseln und zum<br />

Teil komplizierten Buchstabenverbindungen.<br />

Damit die Kinder sie erlernen<br />

konnten, gab es bis zur 4. Klasse wöchentlich<br />

besondere »Schönschreibstunden«,<br />

in denen zeilen- und seitenlang<br />

Buchstaben, Buchstabenverbindungen,<br />

kleine Wörter, ganze Sätze geschrieben<br />

wurden – in dieser Reihenfolge.<br />

Ende der sechziger Jahre wurde in den<br />

Ländern der BRD die <strong>Grundschule</strong> als<br />

eigenständige Schulform gegründet. Dabei<br />

gab es neue Stundentafeln und erheblich<br />

umfangreichere Lehrpläne. Schönschreib-Stunden<br />

waren nun nicht mehr<br />

vorgesehen. Damit war nötig geworden,<br />

über eine Schrift nachzudenken, die einfacher<br />

zu erlernen war. Die Vereinfachte<br />

Ausgangsschrift war für die damalige<br />

BRD das Ergebnis, so wie die Schulausgangsschrift<br />

für die damalige DDR.<br />

Der Grundschulverband, damals<br />

hieß er noch Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>,<br />

propagierte für das Schreibenlernen in<br />

den siebziger und achtziger Jahren diese<br />

Vereinfachte Ausgangsschrift und gab<br />

die ersten Schreibübungshefte für diese<br />

neue Ausgangsschrift heraus (Krichbaum<br />

1987).<br />

Eigene Wege der Kinder<br />

in die Schrift<br />

In den achtziger Jahren änderte sich die<br />

Sichtweise zum Schreibenlernen grundlegend.<br />

Dies führte auch zu einer neuen<br />

Sicht auf die Schrift. Das Fehlervermeidungsprinzip<br />

hatte sich, angesichts der<br />

tatsächlichen Wege von Kindern in die<br />

Schrift, als Verhinderungsprinzip herausgestellt.<br />

Das Dogma war ein Bremsklotz<br />

für den Entdeckerweg der Kinder<br />

in die Schrift. Schreibfreudige Kinder, so<br />

die lebenspraktischen wie wissenschaft­<br />

4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Thema: Grundschrift<br />

lichen Erfahrungen, erwerben das Richtigschreiben<br />

über verschiedene Strategien,<br />

angefangen bei Kritzelbriefen über<br />

lautorientierte Schreibungen bis zum<br />

Erwerb orthografischer Strategien.<br />

Schriftmotivierte Kinder nehmen<br />

die Schrift unabhängig von orthografischen<br />

Regelsystemen in Gebrauch. Zum<br />

Schreiben verwenden sie unangeleitet<br />

die Druckbuchstaben, vorzugsweise zuerst<br />

die großen Druckbuchstaben. (Zusammenfassend<br />

z. B. in: Bartnitzky u. a.<br />

2009, S. 454 ff.)<br />

Zur raschen Verbreitung dieses didaktischen<br />

Paradigmenwechsels trugen<br />

der Spracherfahrungsansatz bei<br />

(Brügelmann 1983, Spitta 1985) sowie<br />

das Konzept »Lesen durch Schreiben«<br />

(Reichen 1982). Ob »Lesen durch<br />

Schrei ben« oder »Lesen und Schreiben<br />

im Zusammenspiel«, immer ging es um<br />

das eigene Schreiben der Kinder mit<br />

Druckschriftbuchstaben. Die handgeschriebene<br />

Druckschrift wurde mithin<br />

die erste Schreibschrift der Kinder. Die<br />

verbundenen Schriften LA, VA, SAS<br />

erhielten den Rang einer zweiten Ausgangsschrift.<br />

Damit aber stellte sich auch die Frage:<br />

Welchen Sinn macht eine zweite Ausgangsschrift,<br />

wenn doch die erste alle<br />

Funktionen an eine Schreibschrift bereits<br />

erfüllt.<br />

Druckschrift als erste und<br />

einzige Ausgangsschrift<br />

Im Grundschulverband erschien 1997<br />

der erste Artikel, in dem der bisher propagierten<br />

Vereinfachten Ausgangsschrift<br />

wie auch den anderen verbundenen<br />

Schriften der Rang als Ausgangsschrift<br />

abgesprochen wurde: »Ausgangsschrift<br />

muss die Druckschrift sein!« (Bartnitzky<br />

1997, S. 7). 2005 veröffentlichte der<br />

Grundschulverband eine »Empfehlung<br />

zu Schrift und Schrei ben in der <strong>Grundschule</strong>«<br />

mit eindeutigem Votum für die<br />

Druckschrift als erster und einziger<br />

Schreibschrift:<br />

»1. Die Druckschrift als Ausgangsschrift<br />

für das Lesen und Schreiben erfüllt alle<br />

Anforderungen an eine funktionale<br />

Schreibschrift.<br />

2. Aus ihr entwickeln die Kinder ihre<br />

individuelle Handschrift.<br />

3. Eine verbundene Schrift als weitere<br />

Ausgangsschrift ist deshalb überflüssig.«<br />

(<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong> H. 91, S. 11)<br />

Wem die Forderung nach Druckschrift<br />

als erster und einziger Ausgangsschrift<br />

exotisch erscheint, der<br />

sei verwiesen auf zahlreiche Ahnen:<br />

angefangen bei Reformpädagogen zu<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts wie Kuhlmann<br />

(1916) oder Brückl (1933) bis zu<br />

Didaktikern der neueren Zeit wie Wolfgang<br />

Menzel, der 1975 ein entsprechendes<br />

Konzept vorlegte (Menzel 1975, siehe<br />

auch S. 23 ff. in diesem Heft).<br />

Zudem gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse,<br />

die deutlich machen, dass<br />

die Einführung einer zweiten, und<br />

dann verbundenen Ausgangsschrift<br />

sich hemmend auf die Schriftentwicklung<br />

auswirkt:<br />

»… ist es weniger die Druckschrift,<br />

die im Erstschreibunterricht das Schreibenlernen<br />

erschwert. Es ist vielmehr die<br />

im Anschluss an die Druckschrift zu<br />

lehrende Ausgangsschrift. Der Wechsel<br />

wird erschwert, je unterschiedlicher<br />

die beiden Forminventare sind und je<br />

komplexer die Buchstabenformen der<br />

verbundenen Ausgangsschrift, die die<br />

Kinder zusätzlich zum Verbinden der<br />

Buchstaben erwerben müssen« (Mahrhofer<br />

2004, S. 149, siehe auch S. 26 ff. in<br />

diesem Heft).<br />

Die Grundschrift<br />

Angesichts dieser Befundlagen führte<br />

der Grundschulverband Ende Januar<br />

2010 ein Fachgespräch mit Vertretern<br />

aus Schulpraxis und Wissenschaft<br />

durch. Ein Ergebnis war, eine Ausgangsschrift<br />

zur Erprobung in der Praxis<br />

und zur didaktischen Diskussion<br />

öffentlich zu machen: Da der Begriff<br />

»Druckschrift« gemeinhin mit dem<br />

Vorgang des Druckens verbunden wird,<br />

suchten wir einen anderen Begriff für<br />

die handgeschriebenen Druckbuchstaben.<br />

Er sollte die grundlegende Funktion<br />

als erste Schreibschrift deutlich<br />

machen, sowie den Charakter als Ausgangsschrift<br />

für die Entwicklung einer<br />

individuellen Handschrift.<br />

Wir wählten den Begriff Grundschrift.<br />

Zur Form der Grundschrift<br />

Schaut man in die Materialien der<br />

Schulverlage, mit denen das Schreibdrucken<br />

geübt werden soll, sieht man<br />

auf die diversen Anlaut- oder Schreibtabellen,<br />

die doch ein Werkzeug für<br />

das erste Schreiben darstellen, oder<br />

betrachtet man amtliche Vorlagen mit<br />

den handgeschriebenen Druckbuchstaben,<br />

dann fällt eines auf: Die Buchstaben<br />

sind samt und sonders gedruckte<br />

und nicht geschriebene Buchstaben. Als<br />

Beispiel sei die Vorlage aus dem bayerischen<br />

Lehrplan: »Empfohlene Buchstabenformen<br />

für die Druckschrift« wiedergegeben:<br />

Allerdings wird im bayerischen Lehrplan<br />

auch auf bewegungsökonomisch<br />

mögliche Abweichungen verwiesen:<br />

»Die handgeschriebene Druckschrift<br />

weicht aus bewegungsökonomischen<br />

Gründen von der gedruckten Vorlage<br />

ab. Deshalb gelten die Buchstabenformen<br />

als Richtformen. Die Formtreue<br />

muss beim handschriftlichen Drucken<br />

nicht absolut eingehalten werden« (aus:<br />

Bayern: Gesamtlehrplan <strong>Grundschule</strong>,<br />

Anhang Deutsch).<br />

Die Grundschrift soll eine für die<br />

Hand der Kinder geschriebene Schrift<br />

sein. Dies muss schon in der Vorlage<br />

zum Ausdruck kommen.<br />

Dies führt zum 1. Prinzip für die Buchstabenform:<br />

Die Buchstabenformen sind nicht gedruckte,<br />

sondern handgeschriebene<br />

Buchstaben. Sie sind aber nah an den<br />

Druckformen, die in den gedruckten<br />

Texten für die Kinder üblicherweise verwendet<br />

werden.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

5


Thema: Grundschrift<br />

In der Schweiz gibt es ähnliche Bemühungen.<br />

Dort wird die handgeschriebene<br />

erste Schrift mit Druckschriftformen<br />

Basisschrift genannt. Diese Basisschrift<br />

wird in drei Etappen erworben:<br />

Zuerst werden alle Einzelbuchstaben<br />

geübt.<br />

In einem zweiten Schritt wird an die<br />

Einzelbuchstaben mit Abstrich, wie bei<br />

a, d, h, i, m, unten ein Wendebogen angefügt,<br />

der »Basisrundwende« genannt<br />

wird und dem Anschluss an den Folgebuchstaben<br />

dienen soll.<br />

In einem dritten Schritt werden<br />

Buchstabenverbindungen in Wörtern<br />

geübt. (Ausführliche Informationen zur<br />

Schweizer »Basisschrift« finden sich unter<br />

www.schulschrift.ch im Internet.)<br />

Das bedeutet: Die Kinder lernen die<br />

Buchstabenformen in drei Etappen und<br />

verändern sie dabei nach Schreibvorschrift,<br />

um dann auf dem Papier Wort<br />

für Wort eine Buchstaben verbindende<br />

Schrift zu schreiben. Vermutlich ist dies<br />

ein Zugeständnis der Forderung gegenüber,<br />

dass im einzelnen Wort die Buchstaben<br />

optisch sichtbar miteinander zu<br />

verbinden seien.<br />

Auf dem Weg zur individuellen<br />

Handschrift ist dies aber ein Umweg,<br />

weil Handschriften geübter Schreiber<br />

nie alle Buchstaben in grafischer Spur<br />

sichtbar miteinander verbinden. In der<br />

Regel wird auch bei einer verbundenen<br />

Schrift nach drei Buchstaben abgesetzt.<br />

Es gibt dann Luftsprünge im Wort. Die<br />

Verbindung zwischen den Buchstaben<br />

wird dabei nicht unterbrochen, die Spur<br />

erfolgt nur in der Luft und ist nicht als<br />

grafische Spur auf dem Papier sichtbar<br />

(siehe in diesem Heft: Mahrhofer-Bernt,<br />

S. 27).<br />

Die Grundschrift wird deshalb so angelegt,<br />

dass sie diesen Umweg vermeidet.<br />

Die Kinder sollen, mit Unterstützung<br />

der Lehrkraft, die Grundschrift<br />

zu ihrer eigenen individuellen Schrift<br />

entwickeln können. Zudem wird die<br />

Grundschrift so gestaltet, dass sichtbare<br />

Verbindungen von Buchstaben gut<br />

möglich, aber nicht zwingend sind. Deshalb<br />

sollen die Kinder nicht »gestanzte«<br />

Buchstabenformen abmalen, sondern<br />

die Buchstaben flüssig schreiben lernen.<br />

Die Buchstabenformen müssen deshalb<br />

die Bewegung und auch einen möglichen<br />

Anschluss an Folgebuchstaben begünstigen.<br />

Damit kann ein 2. Prinzip zur Buchstabenform<br />

formuliert werden:<br />

Um beim weiterführenden Schrei ben<br />

Buchstabenverbindungen leichter zu<br />

ermöglichen, erhalten die Kleinbuchstaben<br />

mit Abstrich am Ende einen<br />

Wendebogen:<br />

Zum Bewegungsablauf<br />

der Grundschrift<br />

Viele Kinder beginnen mit dem Schreiben<br />

schon vor Schuleintritt. Diese Tendenz<br />

wird sich in den nächsten Jahren<br />

verstärken, je mehr der Elementarbereich,<br />

die Kitas, sich als Bildungseinrichtungen<br />

verstehen und als solche<br />

bildungspolitisch auch unterstützt werden.<br />

Kinder können nicht künstlich<br />

dumm gehalten werden. Sie begegnen<br />

der Schrift, sie erleben Erwachsene,<br />

die schreiben und lesen, sie erfahren<br />

bedeutsame Funktionen von Schrift<br />

lange, bevor sie in die Schule kommen.<br />

Jeder Einkaufszettel, jeder Parkbon,<br />

jeder Aufdruck, jede Einladung zu einem<br />

Geburtstag lehrt sie, dass Schrift<br />

für die Großen etwas Lebensbedeutsames<br />

ist. Wenn Kinder vor der Schule<br />

beginnen, selber zu schreiben, dann<br />

finden sie eigene Bewegungsabläufe für<br />

die Buchstaben. Die sind nicht immer<br />

bewegungsgünstig, aber es sind möglicherweise<br />

schon eingeschliffene und<br />

individuell bevorzugte.<br />

Tatsächlich gibt es einige Anhaltspunkte<br />

für günstige Bewegungsabläufe,<br />

die geläufigeres Schreiben begünstigen<br />

und auf Dauer die Buchstaben formklar<br />

halten: Unsere Schrift hat die Lese- und<br />

Schreibrichtung von links nach rechts.<br />

Es ist also hilfreich, wo immer es geht,<br />

die Schreibbewegung von links nach<br />

rechts zu wählen. Ein Beispiel: Beim<br />

kleinen a oder d könnte zuerst rechts der<br />

Abstrich geschrieben, dann nach links<br />

der Bauch ergänzt werden. Der Buchstabe<br />

wäre klar erkennbar. Dennoch<br />

hindert die Rechts-links-Schreibung<br />

die Schreibgeläufigkeit einer Schrift,<br />

die entgegengesetzt geschrieben wird.<br />

Es werden große Luftsprünge in Gegenrichtung<br />

nötig.<br />

Ein anderer Anhaltspunkt ist die<br />

Muskelbewegung: Bei Aufwärtsstrichen<br />

wird der Fingermuskel gestreckt, bei<br />

Abwärtsstrichen gebeugt. Beugungsbewegungen<br />

sind zielgerichteter auszuführen,<br />

dies gilt für motorisch noch<br />

weniger geübte Kinder umso mehr. Ein<br />

Beispiel: Das große M lässt sich auf verschiedene<br />

Weise schreiben. Sehen wir<br />

nur auf den Anfangsstrich. Er kann von<br />

unten nach oben oder von oben nach<br />

unten geführt werden. Sollen Kinder<br />

ihn senkrecht von unten nach oben,<br />

also aufwärts führen, dann haben sie<br />

Schwierigkeiten, die Spur zu halten, viel<br />

leichter ist dagegen der Abwärtsstrich.<br />

Damit ergibt sich ein 1. Prinzip zum<br />

Bewegungsablauf:<br />

Vorrang haben bei allen Buchstaben die<br />

beiden Prinzipien:<br />

Schreibbewegung<br />

– von links nach rechts und<br />

– von oben nach unten.<br />

Der entsprechende Bewegungsablauf<br />

wird auf den Übungskarten wie folgt<br />

markiert: Beginn und Bewegungsrichtung<br />

sind durch Punkt und Pfeil angegeben.<br />

Bei den Kleinbuchstaben mit<br />

abschließendem Wendebogen wird der<br />

Wendebogen farblich auslaufend markiert,<br />

damit der Abschluss-Schwung<br />

angezeigt wird.<br />

Verschiedene Buchstaben haben eine<br />

teilweise gleiche Struktur, zum Beispiel<br />

R und P oder a und d oder S und s. Es<br />

ist bewegungs-ökonomisch, bei diesen<br />

strukturverwandten Buchstaben den<br />

gleichen Bewegungsablauf einzuüben.<br />

Diese Überlegungen führen zu einem<br />

2. Prinzip für den Bewegungsablauf:<br />

Wo bei verschiedenen Buchstaben<br />

gleiche Bewegungsabläufe möglich<br />

sind, werden sie gewählt. Wir fassen<br />

sie zu Bewegungs gruppen zusammen<br />

(siehe in diesem Heft: Hecker,<br />

S. 9 ff.).<br />

Auf den Buchstabenkarten der Grundschrift<br />

sind die Buchstaben einer Be­<br />

6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Thema: Grundschrift<br />

wegungsgruppe in jeweils einer Farbe<br />

wiedergegeben.<br />

Das Material zur Grundschrift gibt<br />

zwar günstige Bewegungsabläufe vor.<br />

Soweit die Kinder aber einen anderen<br />

Ablauf bevorzugen, ist das zu akzeptieren.<br />

Kriterium ist: dass die Buchstaben<br />

formklar geschrieben sind. Es gibt gute<br />

Argumente für die auf den Karten vorgesehenen<br />

Abläufe. Ein Dogma dürfen<br />

sie aber nicht sein, weil auch in diesem<br />

Punkt Kinder individuell zu anderen<br />

Lösungen kommen können, als sich<br />

die Lehrerweisheit ausmalen mag. Unterrichtspraktisch<br />

könnte man Kinder<br />

anhalten, den vorgeschlagenen Weg<br />

auszuprobieren. Kehren sie dann aber<br />

wieder zu ihrer eigenen Schreibweise<br />

zurück, sollte man es dabei belassen.<br />

Damit wird ein 3. Prinzip für den<br />

Bewegungsablauf ergänzt:<br />

Wenn Kinder entgegen den ersten<br />

beiden Prinzipien individuell einen<br />

anderen Bewegungsablauf wählen,<br />

bei dem sie auch bleiben wollen,<br />

hat der individuell gewählte Ablauf<br />

Vorrang. Voraussetzung ist, dass der<br />

Buchstabe formklar und formstabil<br />

bleibt.<br />

Zur Schreiblineatur<br />

Schreiblineaturen für die <strong>Grundschule</strong><br />

gehen immer noch davon aus, dass Kinder<br />

am Anfang eine genaue Begrenzung<br />

für die Buchstaben brauchen – mit Mittelband,<br />

Ober- und Unterlängen. In einem<br />

zweiten Schritt wird erwartet, dass<br />

die Kinder die richtigen Proportionen<br />

für Ober- und Unterlängen beachten,<br />

und die Lineatur wird auf das Mittelband<br />

begrenzt. Erst später wird nur<br />

noch eine Grundlinie vorgegeben. Entsprechend<br />

sind die Lineaturen durchnummeriert,<br />

beginnend bei Lineatur 1<br />

für das erste Schuljahr mit der kompletten<br />

dreistufigen Lineatur. Von diesem<br />

Weg weichen auch die Schulbuchverlage<br />

bei ihren Materialien nicht ab, weil »der<br />

Markt«, sprich: die auswählenden Lehrerinnen<br />

und Lehrer es so wollen. Auch<br />

dies ist ein didaktischer Kunstfehler,<br />

der von Generation zu Generation weitergereicht<br />

wird.<br />

Dabei lehren eigene Beobachtung<br />

sowie wissenschaftliche Befunde: Die<br />

differenzierte Lineatur hemmt eher die<br />

Schreibgeläufigkeit der Kinder als sie zu<br />

fördern (Mahrhofer 2004, S. 130 ff.): Sie<br />

mühen sich, die Lineaturvorgaben genau<br />

einzuhalten, malen und zirkeln die<br />

Buchstaben, halten inne, kontrollieren,<br />

radieren, beginnen neu, statt munter zu<br />

schreiben.<br />

Lehrerinnen und Lehrer, die Kinder<br />

zunächst auf unlinierte Blätter schreiben<br />

lassen, stellen dagegen fest, dass<br />

Kinder die Freiheit gut nutzen: Der<br />

Schriftzug verläuft möglicherweise<br />

nicht exakt waagerecht, hat aber eine<br />

klare Struktur und die Kinder beachten<br />

die Proportionen der Buchstaben. Ihre<br />

Schrift hat allerdings eine individuelle<br />

Größe: Die einen Kinder schreiben<br />

die Buchstaben kleiner, andere Kinder<br />

schreiben sie größer. Auch daran ist<br />

erkennbar, wie einengend, uniformierend<br />

und unnatürlich differenzierte<br />

Line aturvorgaben sind.<br />

Daraus ergibt sich als Prinzip zur<br />

Schreiblineatur:<br />

Auf Lineatur wird ganz verzichtet oder<br />

sie wird auf eine Grundlinie beschränkt.<br />

Vorlagen (Blätter zum Unterlegen) gibt<br />

es mit unterschiedlichen Abständen der<br />

Grundlinien, so dass die Kinder die für<br />

sie passende Vorlage wählen können.<br />

Das weiterführende Schreiben<br />

Zur Entwicklung der<br />

individuellen Handschrift<br />

Beim Schreiben<br />

auf unlinierte<br />

Blätter verläuft<br />

der Schriftzug<br />

häufig nicht<br />

exakt waagerecht,<br />

hat aber<br />

meist eine<br />

klare Struktur<br />

und die Kinder<br />

beachten die<br />

Proportionen<br />

der Buchstaben.<br />

Kinder, die in der Grundschulzeit nur<br />

mit Druckschriftformen schreiben, entwickeln<br />

im Zuge der Schreibübung, Automatisierung<br />

und vermehrten Schreibflüssigkeit<br />

ihre individuelle Schrift. Das<br />

belegen die Schriftsätze von Kindern<br />

auch über die Grundschulzeit hinaus<br />

(siehe den Beitrag von L. Bode und<br />

T. Winzen in diesem Heft, S. 17 ff.). Die<br />

Lehrkräfte bestätigen, dass sie bei jedem<br />

Schriftsatz erkennen, welches Kind ihn<br />

geschrieben hat.<br />

Diesen Prozess kann die Schule durch<br />

Schreibexperimente und Reflexionen<br />

unterstützen: Schreibproben von Kindern<br />

und Erwachsenen werden betrachtet<br />

und auf das zentrale Kriterium der<br />

guten Lesbarkeit hin beurteilt. Dabei<br />

wird unter anderem festgestellt, dass bei<br />

Schreibproben geübter Schreiber Buchstaben<br />

auch miteinander verbunden<br />

werden. Solche Verbindungen können<br />

mit Wörtern ausprobiert werden. Dabei<br />

können alle Buchstaben in einem Wort<br />

oder bestimmte Buchstabengruppen in<br />

das Probieren einbezogen werden. Zum<br />

Beispiel bieten sich die Wendebögen bei<br />

den Buchstaben mit abschließendem<br />

Abstrich zur Verbindung an. Vorzugsweise<br />

werden auch Buchstabenverbindungen<br />

erprobt, die besonders häufig<br />

sind (z. B. en, er, ie, ei, au, ch).<br />

Allerdings gibt es auch hier keinen<br />

für alle Schreiber zutreffenden Verbindungsstandard.<br />

Auch bei geübten erwachsenen<br />

Schreibern werden häufige<br />

Buchstabenkombinationen von den<br />

einen verbunden, von anderen aber<br />

unverbunden geschrieben. Die Experimente<br />

sind also Erprobungen und das<br />

Erprobte ist Gegenstand der Reflexion.<br />

Die Kinder probieren aus, ob sie bestimmte<br />

Verbindungen übernehmen.<br />

Solches Ausprobieren mit der eigenen<br />

Schrift kennt übrigens jeder aus seiner<br />

Kindheit und Jugend; es wird in der Re­<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

7


Thema: Grundschrift<br />

gel informell durchgeführt. Hier wird<br />

es als wichtiger Schritt hin zur individuellen<br />

Handschrift in den Unterricht<br />

geholt.<br />

Ein Irrtum ist im Übrigen, dass nur<br />

die grafisch sichtbare Verbindung die<br />

einzelnen Buchstaben verbindet. Die<br />

Vereinfachte Ausgangsschrift weicht<br />

hiervon schon wesentlich ab. Hier werden<br />

viele Verbindungen von Groß- zu<br />

Kleinbuchstaben nicht grafisch sichtbar,<br />

sondern als Luftsprünge realisiert.<br />

Beim geläufigen Schreiben werden aber<br />

immer alle Buchstaben miteinander verbunden,<br />

nur oft nicht auf der Schreibunterlage.<br />

Verbunden ist die Schrift<br />

dennoch, weil die Verbindungen in der<br />

Luft vollzogen wird und nur z. T. als<br />

grafische Spur sichtbar ist. Schreibmotorisch<br />

hat der Luftsprung im übrigen<br />

die wichtige Funktion, die Muskulatur<br />

zu entspannen. Gleiches geschieht auch<br />

bei Schriften, die jeden Buchstaben im<br />

Wort miteinander verbinden, weil auch<br />

hierbei das ganze Wort nicht »in einem<br />

Zug« geschrieben wird, sondern die<br />

Schreiber zwischendurch intuitiv innehalten<br />

oder absetzen, um zu entspannen.<br />

Wenn man Kinder beim Schreiben<br />

der LA oder der SAS beobachtet, ist das<br />

leicht festzustellen.<br />

Hieraus folgt als Prinzip zur Entwicklung<br />

der individuellen Handschrift:<br />

Vom ersten Schreiben mit der Grundschrift<br />

aus entwickeln die Kinder individuell<br />

ihre persönliche Handschrift.<br />

Dieser Prozess wird durch Betrachten<br />

von Schriftproben, Experimentieren<br />

mit Schrift und Beratung durch die<br />

Lehrkraft unterstützt. Dabei werden<br />

auch grafisch sichtbare Verbindungen<br />

ausprobiert. Sie sind immer Angebote,<br />

nicht Vorschrift.<br />

Schrift als Unterrichtsthema<br />

Schon bei den o. a. Vorschlägen zur Entwicklung<br />

der individuellen Handschrift<br />

wurde deutlich, dass die Schrift auch<br />

über die Klasse 1 hinaus ein wichtiges<br />

Thema ist, das Experimentieren mit und<br />

Reflektieren über Schrift einschließt.<br />

»Grundschrift: Kartei zum Lernen und Üben«<br />

– so heißt das Übungsmaterial, das der<br />

Grundschulverband derzeit erarbeitet.<br />

Die Grundschrift-Kartei erscheint in zwei<br />

Teilen:<br />

Teil 1: Die Buchstaben<br />

Dieses Übungsmaterial zur Grundschrift<br />

enthält Karteikarten zu allen Buchstabenformen.<br />

Die Arbeit mit diesen Lern- und Übungskarten<br />

kann ab sofort beginnen: Die<br />

Karten zu den Buchstabenformen der<br />

Grundschrift sowie ein ausführlicher<br />

Kommentar für Lehrerinnen und Lehrer<br />

stehen im Internet kostenfrei zum Herunterladen<br />

zur Verfügung:<br />

www.grundschulverband.de, Stichwort:<br />

Grundschrift.<br />

Lehrkräfte der ersten Klassen des kommenden<br />

Schuljahres können also bereits<br />

mit diesem Material arbeiten. Wir bitten<br />

sie, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen.<br />

Auf Grund der Rückmeldungen wird<br />

das Übungsmaterial optimiert und zum<br />

Sommer 2011 als Kartensatz angeboten.<br />

Beispiele für die Karten befinden sich in<br />

diesem Heft auf S. 13 ff.<br />

Teil 2: Schreibvarianten<br />

und Verbindungen<br />

Die »Kartei zum Lernen und Üben« für<br />

das weiterführende Schreiben enthält:<br />

– Anschauungsmaterial zu möglichen<br />

Buchstabenverbindungen, zu verschiedenen<br />

Schriften<br />

– Informations- und Anregungsmaterial<br />

zu Schriften verschiedener Schreiber,<br />

zu anderen Schriftsystemen<br />

– Hinzu kommen kommentierende und<br />

praxisanregende Lehrerkommentare.<br />

Die Veröffentlichung, voraussichtlich<br />

auch zunächst im Internet, soll im Herbst<br />

2010 erfolgen.<br />

Material für das weiterführende<br />

Schreiben<br />

Die weiteren Materialien werden in den<br />

kommenden Monaten vorgestellt. Zum<br />

Sommer 2011 wird das komplette Material<br />

beim Grundschulverband abrufbar<br />

bereitliegen.<br />

Wir werden in dieser Zeitschrift und auf<br />

der Homepage des Grundschulverbandes<br />

darüber informieren.<br />

Dr. Horst<br />

Bartnitzky<br />

Vorsitzender<br />

des Grundschulverbandes<br />

Das sollte in den Klassen 3 und 4<br />

fortgesetzt werden. Schwerpunkte können<br />

hier sein:<br />

–– wie Texte, Überschriften, Gedichte,<br />

Plakate mit Schrift gestaltet werden<br />

können;<br />

–– wie Erwachsene, wie Menschen in<br />

anderen Ländern schreiben und inwieweit<br />

die Schriften gut lesbar sind;<br />

–– wie andere Schriftsysteme gestaltet<br />

sind und wie unsere Buchstabenschrift<br />

sich entwickelt hat.<br />

Literatur<br />

Bartnitzky, H. u. a. (Hrsg.) (2010): Kursbuch<br />

<strong>Grundschule</strong>. Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />

Bartnitzky, Horst (1997): Ausgangsschrift<br />

muss die Druckschrift sein! In: Grundschulverband<br />

<strong>aktuell</strong>, H. 58 April 1997, S. 7<br />

Brückl, Hans (1933): Der Gesamtunterricht<br />

im ersten Schuljahr mit organischem Einbau<br />

des ersten Lesens und Schreibens. München/<br />

Berlin: Oldenbourg<br />

Brügelmann, Hans (1983 ff.): Kinder auf dem<br />

Weg zur Schrift. Konstanz: Faude, zuerst<br />

1983<br />

<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>: Themenheft »Wie viele<br />

Schriften brauchen Grundschulkinder?«<br />

H. 91, September 2005<br />

Krichbaum, Gabriele (Hrsg.) (1987): Mehr<br />

gestalten als verwalten: Einführung der Vereinfachten<br />

Ausgangsschrift an <strong>Grundschule</strong>n<br />

– Informationen, Argumente, Strategien und<br />

Materialien. Frankfurt a. M.: Arbeitskreis<br />

<strong>Grundschule</strong><br />

Kuhlmann, Fritz (1916 ff.): Schreiben im<br />

neuen Geiste. Braunschweig/Hamburg:<br />

Verlag Georg Müller, zuerst 1916<br />

Mahrhofer, Christina (2004): Schreibenlernen<br />

mit graphomotorisch vereinfachten Schreibvorgaben.<br />

Bad Heilbrunn: Klinkhardt<br />

Menzel, Wolfgang (1975): Schreiben als kommunikative<br />

Handlung. In: Praxis Deutsch,<br />

H. 12 1975, S. IX – XII<br />

Reichen, J. (1982 ff.): Lesen durch Schreiben<br />

– Wie Kinder selbstgesteuertes Lesen lernen.<br />

Zürich: Sabe, zuerst 1982<br />

Spitta, Gudrun (1985 ff.): Kinder schreiben<br />

eigene Texte: Klasse 1 und 2. Berlin: Cornelsen<br />

Scriptor, zuerst 1985<br />

8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Grundschrift<br />

Ulrich Hecker<br />

Kinder – Hand – Schrift<br />

»Schrift ist Spur eines Werkzeugs auf einer Unterlage, hervorgerufen und nach<br />

überlieferten Zeichen zu Zwecken der Dokumentation und der Kommunikation<br />

in Bewegung gestaltet von menschlicher Hand«, so definierte der Wuppertaler<br />

Pädagoge Fritz Bärmann. 1)<br />

Schreiben ist zudem auch Ausdruck persönlicher Eigenart – des Denkens, Wollens<br />

und Fühlens der ganzen Person.<br />

Schreiben lernen ist seit langem<br />

schon nicht mehr auf den schreibmotorischen<br />

Aspekt zu reduzieren,<br />

also auf das inhaltsleere Kopieren von<br />

Buchstabenformen. Schreiben lernen<br />

ist heute eingebettet in einen aktiven,<br />

handelnden Schriftsprach erwerb und<br />

insofern ungleich anspruchsvoller als in<br />

früheren Jahrzehnten. Die Bedeutung<br />

des Lernens und Übens von Schreibfertigkeiten<br />

darf allerdings auch heute<br />

nicht gering geschätzt werden – auch<br />

nicht durch eine Art »Pfingstwunderdidaktik«,<br />

die davon ausgeht, Schreiben<br />

lernten Kinder sozusagen »von allein«.<br />

Seit Jahren klagen Lehrerinnen und<br />

Lehrer über die Handschriften von Kindern,<br />

sie beobachten schon früh eine<br />

unzureichend entwickelte Feinmotorik,<br />

die sich negativ auf die sich entwickelnde<br />

Schreibmotorik auswirkt. Dies<br />

erschwert den Anfangsunterricht im<br />

Schreiben, weil Kinder ihre Schreibtätigkeiten<br />

allzu oft angestrengt und uneffektiv<br />

ausüben. Sie benötigen mehr<br />

Zeit, sind motorisch verkrampft und<br />

daher oft schneller erschöpft.<br />

Es ist wichtig und möglich, dass das<br />

Schreibenlernen für alle Kinder ein<br />

erfolgreicher Prozess wird, so dass am<br />

Ende ihrer Grundschulzeit alle Kinder<br />

–– über eine gut funktionierende<br />

Schreibmotorik verfügen,<br />

–– eine gut lesbare, geläufige Handschrift<br />

gebrauchen können,<br />

–– mit verschiedenen Schreibgeräten<br />

und -materialien umgehen können,<br />

–– Schrift und andere grafische Gestaltungsmittel<br />

als Ausdrucksmöglichkeit<br />

wahrnehmen und für sich anwenden<br />

können,<br />

–– Freude am Schreiben, an der Schrift<br />

und am Gestalten mit Schrift erfahren<br />

haben,<br />

–– auch beim Schreiben Ausdauer entwickeln<br />

und<br />

–– sorgfältig und übersichtlich arbeiten<br />

können.<br />

Zwei Kriterien sollte die geschriebene<br />

Schrift der Kinder immer erfüllen: Sie<br />

soll formklar und bewegungsökonomisch<br />

sein.<br />

Schreiben ist Bewegung<br />

Mit der Grundschrift und den dazugehörigen<br />

Materialien können Lehrerinnen<br />

und Lehrer eine förderliche Lernumgebung<br />

gestalten, die den Kindern<br />

einerseits viel Freiraum lässt und viele<br />

Anregungen bereit hält, die Kinder aber<br />

andererseits nicht allein lässt bei der<br />

Bewältigung der anspruchsvollen Aufgabe,<br />

eine eigene Handschrift zu entwickeln.<br />

Die Devise »Schreiben mit Schwung«<br />

beschreibt ein lockeres und zügiges<br />

Schrei ben, bei dem die Schreibbewegungen<br />

der Kinder in Schwung kommen<br />

und sich ein Schreibrhythmus<br />

entwickelt. Das von Kindern gern aufgegriffene<br />

Motto betont, dass Schreiben<br />

Bewegung ist – ein Aspekt der keinesfalls<br />

vernachlässigt werden darf, wenn<br />

wir Kinder auf ihrem Weg zur individuellen<br />

Handschrift begleiten wollen.<br />

Schreiben ist Bewegung – und natürliche<br />

Bewegung beruht auf dem rhythmischen<br />

Wechsel von Spannung und<br />

Entspannung.<br />

Elf ursprüngliche »Bewegungsgrundformen«<br />

für das Schreiben von Druckbuchstaben<br />

mit der Hand hat Horst<br />

Bartnitzky zusammengestellt (siehe<br />

Abb. 1). 2)<br />

Mit ihnen können Kinder alle Buchstaben<br />

schreiben – und diese Bewegungsgrundformen<br />

behalten ihre Gültigkeit<br />

auch beim weiterführenden<br />

Schreiben mit der Grundschrift.<br />

Jede Handschrift ist das Ergebnis<br />

von bewusster, gesteuerter Bewegung.<br />

Somit konzentriert sich das Schreibenlernen<br />

auf die Entwicklung und die<br />

Vervollkommnung von Bewegungsabläufen.<br />

Die Schreibmotorik kann durch<br />

den gezielten Einsatz von Bewegungs-,<br />

Gestaltungs- und Lockerungsübungen<br />

gefördert werden.<br />

Das Ziel des Schreibunterrichts ist es,<br />

Kindern das Schreibenlernen auf vielfältige<br />

Art zu erleichtern. Für das flüssige<br />

Schreiben und für die Beachtung<br />

von Inhalt und Rechtschreibung ist es<br />

wichtig, dass Kinder möglichst schnell<br />

mit automatisierten Bewegungsabläufen<br />

schreiben. So werden Kapazitäten<br />

Abb. 1:<br />

Bewegungsgrundformen<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

9


Praxis: Grundschrift<br />

der Konzentration frei für die inhaltliche<br />

Seite der Sprache.<br />

Es ist ein didaktischer Kunstfehler,<br />

Kinder früh zu einer verbundenen<br />

Schrift zu zwingen oder den sich entwickelnden<br />

Schreibfluss durch eine weitere,<br />

»verbundene« Ausgangsschrift zu<br />

unterbrechen. Dies führt zu fortwährendem<br />

Druck und bewirkt eine erneute<br />

Verlangsamung des Schreibens, oft auch<br />

eine nachhaltige Verunsicherung von<br />

Kindern. Zu viele Kinder verkrampfen<br />

und ihre Schrift wird unsicher und ungelenk.<br />

Immer wenn Kinder Buchstaben zu<br />

Wörtern zusammenfügen, schreiben<br />

sie »verbunden«, verbinden sie Buchstaben:<br />

entweder als Schreibspur auf<br />

dem Papier oder in der Luft. Durch das<br />

Unterbrechen der sichtbaren Schreibspur<br />

(Luftsprünge des Stiftes) ergeben<br />

sich weniger Verkrampfungen, was sich<br />

positiv auf die Qualität der Handschrift<br />

auswirkt.<br />

Großformatige Übungen auf Makulaturbögen,<br />

auf Zeitungspapier, an<br />

der Wandtafel – mit Wachsmalstiften,<br />

Kreide, Pinseln, feuchten Schwämmen<br />

– und das Einbeziehen aller Sinne sind<br />

als Ergänzung des Schreibenlernens<br />

sinnvoll und förderlich.<br />

Wenn das Kind beim Nachfahren der<br />

Buchstabenform mit dem Finger oder<br />

beim Schreiben seine Augen geschlossen<br />

hält, prägt sich der Bewegungsablauf<br />

durch den Tastsinn ein. Um ein<br />

»bewegtes Schreibenlernen und -üben«<br />

geht es, darum, Kinder möglichst abwechslungsreich<br />

üben zu lassen und den<br />

Druck von den Kindern wegzunehmen,<br />

die allzu krampfhaft nach der richtigen<br />

Form suchen.<br />

Ulrich Hecker<br />

ist Grundschulrektor in Moers (NRW),<br />

er ist Redakteur von »<strong>Grundschule</strong><br />

<strong>aktuell</strong>«.<br />

Schreibübungen können auch mit<br />

der jeweils »anderen« Hand ausgeführt<br />

werden.<br />

Buchstaben können mit dem Fuß auf<br />

den Boden gezeichnet werden, links<br />

und rechts.<br />

Kinder verwenden verschiedene<br />

Schreibgeräte. Sie experimentieren<br />

damit: einmal fest aufdrücken beim<br />

Schrei ben, einmal mit dem Schreibgerät<br />

das Blatt nur ganz leicht berühren.<br />

All das dient dem Bewusstwerden<br />

und der Speicherung der zu lernenden<br />

Buchstabenform und ihres Bewegungsablaufs.<br />

Kinder können erfahren und erleben,<br />

was der Lesbarkeit einer Schrift dient<br />

und was sie beeinträchtigen kann.<br />

Die Grundschrift will die Fertigkeiten<br />

der Hand trainieren und gleichzeitig<br />

die Grundlagen einer dauerhaft gültigen<br />

Schrift nachhaltig vermitteln.<br />

Die Grundschrift-Kartei<br />

»Kartei zum Lernen und Üben« ist der<br />

Titel des Lern- und Übungsmaterials<br />

zur Grundschrift, sein 1. Teil heißt:<br />

»Die Buchstaben«.<br />

Druckbuchstaben, wie sie in gängigen<br />

Schreiblehrgängen Kindern vorbildhaft<br />

angeboten werden, erscheinen endgültig<br />

und unverrückbar, starr und steif.<br />

Die Buchstaben der Grundschrift<br />

sind organischer und ausgewogener,<br />

sie sind mit der Hand geschrieben und<br />

nehmen schon dadurch mehr Rücksicht<br />

auf das Schreiben mit der Hand, auf den<br />

motorischen Ablauf der Bewegung und<br />

auf das sinnvolle Führen des Schreibwerkzeugs.<br />

Bei den Grundschrift-<br />

Buchstaben wird deutlich, wie strenge<br />

Geometrie einer leichten, bewegten<br />

Dynamik weicht. Dabei wird der Lebendigkeit<br />

aber nicht die Prägnanz der<br />

Form geopfert, die Buchstaben verlieren<br />

nichts von ihrer Klarheit.<br />

Die Grundschrift ist eine für die<br />

Hand der Kinder geschriebene Schrift.<br />

Dies kommt schon in den Schreib-Vorlagen<br />

auf den Buchstabenkarten zum<br />

Ausdruck: Alle Buchstaben sind mit der<br />

Hand geschrieben.<br />

Die Kinder sollen, mit Unterstützung<br />

der Lehrkraft und im Schreib-Gespräch<br />

miteinander, die Grundschrift zu ihrer<br />

eigenen individuellen Schrift entwickeln.<br />

Die Grundschrift greift die Erkenntnisse<br />

aus der Erforschung ökonomischer<br />

Bewegungsabläufe auf und ermöglicht,<br />

sie durch konsequentes Üben zu automatisieren.<br />

Die Grundschrift-Buchstaben<br />

können im weiteren Schreiblernprozess<br />

miteinander verbunden werden,<br />

ohne dass neue Bewegungsformen und<br />

-folgen gelernt werden müssen.<br />

»Die Buchstaben« ist eine alphabetisch<br />

geordnete Buchstabenkartei.<br />

Sie orientiert sich an keinem Erstleselehrgang.<br />

Die Reihenfolge der Buchstaben<br />

kann einen in der Klasse verwendeten<br />

Leselehrgang berücksichtigen.<br />

Die Übung der Buchstaben kann –<br />

gleich am Anfang oder später – aber<br />

auch entlang der Bewegungsgruppen<br />

erfolgen, die jeweils farblich unterschieden<br />

sind.<br />

Die Kinder können die Buchstabenkarten<br />

einzeln oder in ihrer jeweiligen<br />

Bewegungsgruppe für ihr individuelles<br />

Schreibtraining verwenden.<br />

Für jeden Buchstaben des gesamten<br />

Grundschrift-Abc gibt es jeweils eine<br />

Karteikarte. Der Aufbau der Karteikarten<br />

wird in Abb. 2 auf Seite 11 erläutert.<br />

Es ist sehr zu empfehlen, die Karten<br />

farbig (eigener Drucker oder im<br />

Copyshop) auszudrucken und einzeln<br />

zu laminieren. So sind sie nahezu unverwüstlich<br />

und können lange für das<br />

Trainieren des Bewegungsablaufs mit<br />

dem Finger verwendet werden.<br />

Zwei bis drei dieser so aufbereiteten<br />

Karteien sollten den Kindern in einer<br />

Klasse oder Lerngruppe zur Verfügung<br />

gestellt werden.<br />

Das Nachfahren der Buchstabenformen<br />

mit dem Finger, auch Übungen mit<br />

einem weißen Stift und mit geschlossenen<br />

Augen lenken die Kinder von der visuellen<br />

Kontrolle des Bewegungsablaufs<br />

ab. Dadurch fördern sie den Aufbau von<br />

Automatismen, welche letztlich die Geläufigkeit<br />

der Handschrift bestimmen.<br />

Auf den Karteikarten wird bewusst<br />

auf Lineaturen verzichtet. Die Buchstaben<br />

stehen auf einer Grundlinie. Das<br />

freie Üben und die Entwicklung von<br />

Automatismen sind beim Schreibenlernen<br />

weitaus wichtiger, als die Kinder<br />

bereits bei ihren ersten Schreibversuchen<br />

auf bestimmte Größen und Größenverhältnisse<br />

verpflichten zu wollen.<br />

Die Buchstaben auf der Karteikarte<br />

sollen möglichst oft mit dem Zeigefinger<br />

nachgefahren werden, damit sich die<br />

Form und die Bewegungsfolge nachhaltig<br />

einprägen kann.<br />

10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Grundschrift<br />

Lehrerinnen und Lehrer erleichtern<br />

den Kindern das Schreibenlernen,<br />

wenn sie ihnen dabei helfen, ökonomische<br />

Bewegungsabläufe möglichst bald<br />

automatisieren zu können.<br />

Mit der Grundschrift eignen sich<br />

Kinder Bewegungsmuster an und prägen<br />

sie sich ein, die in ihrer weiteren<br />

Schreibentwicklung auch tatsächlich<br />

Bestand haben.<br />

Die Karteikarten bieten Kindern korrekte<br />

und verständliche Form­ und Bewegungsvorbilder.<br />

Kinder sollen keine »gestanzten«<br />

Buchstabenformen »abmalen«, sondern<br />

die Buchstaben flüssig schreiben lernen.<br />

Die Buchstabenformen müssen deshalb<br />

die Bewegung und auch einen möglichen<br />

Anschluss an Folgebuchstaben<br />

begünstigen. Dem dient der »Wendebogen«<br />

bei den Kleinbuchstaben.<br />

Wo bei verschiedenen Buchstaben<br />

gleiche Bewegungsabläufe möglich<br />

sind, werden sie gewählt. Wir fassen sie<br />

zu Bewegungsgruppen zusammen.<br />

Auf den Karten sind die Buchstaben<br />

einer Bewegungsgruppe in jeweils einer<br />

Farbe wiedergegeben (siehe Abb. 3:<br />

Bewegungsgruppen auf S. 12).<br />

Die Tabelle listet die einzelnen Bewegungsgruppen<br />

mit den zugeordneten<br />

Buchstaben auf. Die rechte Spalte skizziert<br />

kurz zu jeder Bewegungsgruppe die<br />

Besonderheiten der Schreibbewegung.<br />

Die Reihenfolge der Bewegungsgruppen<br />

in der Tabelle folgt der Komplexität der<br />

auszuführenden Schreibbewegungen. 3)<br />

Kinder üben, allein und mit der Lehrkraft,<br />

sie erproben Schreibbewegungen<br />

und Schreibmaterialien, sie sprechen<br />

miteinander über Schrift und Schreiben:<br />

Schreiben als ständige Arbeitsspur<br />

im Grundschulunterricht.<br />

Jede Bewegungsgruppe hat<br />

eine eigene Farbe.<br />

So können Buchstaben mit<br />

ähnlichem Bewegungsablauf<br />

gemeinsam geübt werden.<br />

Anlautbilder zu den<br />

Großbuchstaben.<br />

Es werden gängige<br />

Anlautbilder verwendet,<br />

um die Arbeit<br />

mit unterschiedlichen<br />

Medien koordinieren<br />

zu können.<br />

Zu jedem Anlautbild erscheint das<br />

entsprechende Wort gedruckt.<br />

Der betreffende Buchstabe ist<br />

farblich hervorgehoben. So wird die<br />

Verwendung des Buchstabens im<br />

Wort dokumentiert und die Korrespondenz<br />

zum handgeschriebenen<br />

Buchstaben verdeutlicht.<br />

Im Zentrum ein groß geschriebener Buchstabe<br />

auf der Grundlinie.<br />

Der günstige Bewegungsverlauf ist mit<br />

einem Ausgangspunkt und Pfeilen im<br />

Buchstaben markiert.<br />

Die Buchstabenform wird mit dem Finger<br />

nachgefahren.<br />

Kleiner geschriebene<br />

Buchstaben zum Nachfahren<br />

mit dem Finger.<br />

Die Grundlinie wird jeweils<br />

angezeigt, um den Stand und<br />

die Proportionen des Buchstabens<br />

deutlich zu machen.<br />

Aufbau der Karteikarten<br />

»Die Buchstaben«<br />

Werkstatt Schreiben<br />

In vielfältigen Schreibgesprächen sollten<br />

Kinder immer wieder zu produktivem<br />

Handeln und zum gemeinsamen<br />

Nachdenken über Schrift und Schreiben<br />

angeregt werden. Handeln und Reflektieren<br />

ist ein wesentliches Prinzip<br />

der Arbeit mit der Grundschrift. Dies<br />

entbindet keinesfalls von der Anstrengung<br />

des Übens. Im Unterricht muss<br />

es darum gehen, Kindern die Freude an<br />

ihrer Schrift zu vermitteln, das Gefühl,<br />

damit etwas Einzigartiges gestalten zu<br />

können, eine Möglichkeit zu besitzen,<br />

Zu jedem Kleinbuchstaben gibt<br />

es Lautbilder mit je eigenen<br />

Illustrationen.<br />

Der jeweilige Laut ist im Wort zu<br />

hören.<br />

Abb. 2: Kartei zum Lernen und Üben, Teil 1<br />

Zu jedem Lautbild<br />

erscheint das entsprechende<br />

Wort<br />

gedruckt.<br />

Der betreffende<br />

Buchstabe ist farblich<br />

hervorgehoben. So wird<br />

die Verwendung des<br />

Buchstabens im Wort<br />

dokumentiert und die<br />

Korrespondenz zum<br />

handgeschriebenen<br />

Buchstaben verdeutlicht.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

11


Praxis: Grundschrift<br />

Bewegungsgruppe Buchstaben Besonderheiten<br />

I: Einfacher Abstrich/<br />

Einfacher Abstrich mit Aufstrich<br />

• u / U: Kombination aus Abstrich und Aufstrich mit Richtungswechsel.<br />

II: Einfacher Abstrich mit<br />

anschließendem Querstrich<br />

III: Linksoval /<br />

Drehrichtung gegen Uhrzeigersinn<br />

IV: Abstrich mit nachfolgender<br />

Arkadenbewegung / Rechtsoval<br />

(Drehrichtung im Uhrzeigersinn)<br />

• Die Reihenfolge von Abstrich und Querstrichen ist im Unterricht in<br />

Schriftgesprächen zu thematisieren.<br />

• Abwandlungen der Reihenfolge sind beim H möglich.<br />

• Ein sorgfältiges Anbinden des Abstrichs an das Linksoval ist wichtig<br />

für die Formklarheit.<br />

• e / G sind sind in formklaren Ausführung anspruchsvoller, da die<br />

Kreisform abgewandelt wird.<br />

• Achtung: Luftsprung bei Verbindung nach Rechtsoval nötig.<br />

• R: Komplexität der Form durch Kombination von Rechtsoval und<br />

anschließendem Drehrichtungswechsel im Abstrich.<br />

V: Zickzacklinie<br />

(Richtungswechsel mit Haltepunkt)<br />

VI: Einzelformen<br />

• Der Richtungswechsel wird durch den Haltepunkt an der Spitze<br />

erleichtert.<br />

• Eine sorgfältige Ausführung ist für die Formklarheit wesentlich.<br />

• A: Verbindung über den Mittelstrich möglich.<br />

• Abstrich mit Verbindungshäkchen nach links.<br />

• Die Formproportion ist schwierig einhaltbar.<br />

• Überkreuzung in der Mitte, Reihenfolge der Abstriche.<br />

• Formproportion schwierig einhaltbar.<br />

• Kombination von Bewegung im Uhrzeigersinn von unten nach oben<br />

und doppeltem Rechtsoval.<br />

• Richtungswechsel mit Haltepunkt.<br />

• Schwierigste Bewegung, da Drehrichtungswechsel ohne Haltepunkt.<br />

Abb. 3: Bewegungsgruppen zum Üben<br />

(aus: Christina Mahrhofer-Bernt, Lehrerkommentar zu »Grundschrift: Kartei zum Lernen und Üben«, www.grundschulverband.de > Grundschrift)<br />

die Gedanken eines Augenblicks immer<br />

festhalten zu können. So erhält das unumgängliche<br />

Üben seinen Ort und seinen<br />

Sinn.<br />

Vom ersten Schreiben mit der Grundschrift<br />

aus entwickeln die Kinder individuell<br />

ihre persönliche Handschrift.<br />

Dieser Prozess wird durch Betrachten<br />

von Schriftproben, Experimentieren<br />

mit Schrift und Beratung durch die<br />

Lehrkraft unterstützt. Dabei werden<br />

auch grafisch sichtbare Verbindungen<br />

der Buchstaben ausprobiert. Sie sind<br />

immer Angebote, nicht Vorschrift.<br />

Der Lehrerkommentar zur Grundschrift<br />

(Teil 1: Die Buchstaben) ordnet<br />

die Buchstaben in einer anderen Reihenfolge<br />

als die Buchstabenkartei für<br />

die Kinder:<br />

Im Lehrerkommentar werden Buchstaben<br />

mit gleichen bzw. ähnlichem Bewegungsablauf<br />

in Bewegungsgruppen<br />

zusammengefasst.<br />

Zu jeder einzelnen Buchstaben-Karteikarte<br />

gibt es einen Kommentar, der<br />

stets die folgenden Elemente enthält:<br />

–– Formwahrnehmung<br />

–– Bewegungsverlauf<br />

–– mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />

–– Reflexionen der Kinder<br />

Vier Seiten aus dem Lehrerkommentar<br />

sind auf den Seiten 13 – 16 im Originalformat<br />

dokumentiert.<br />

Reflexionen der Kinder werden in<br />

»Schrift- und Schreibgesprächen« angeregt.<br />

Solche Gespräche dienen der<br />

Selbsteinschätzung und der Reflexion<br />

der eigenen Schreibleistung. Sie finden<br />

im Dialog mit der Lehrerin, zwischen<br />

zwei oder drei Schülern oder im Klassenkreis<br />

statt. Die Lehrkraft begleitet<br />

die Schriftgespräche zwischen Kindern<br />

anfangs moderierend. Die Überlegungen,<br />

Entdeckungen und Erfahrungen<br />

der Kinder stehen dabei im Mittelpunkt.<br />

Wie bei jedem Handwerk – und<br />

Schreiben ist ein Hand-Werk! – findet<br />

ein stummes »Gespräch« zwischen<br />

dem Handwerker (Schreiber), seinem<br />

(Schreib-)Werkzeug und dem zu bearbeitenden<br />

(Schreib-)Material statt. Dieses<br />

Gespräch muss man fördern – auch<br />

durch die gemeinsamen Gespräche in<br />

der Lerngruppe.<br />

Anmerkungen<br />

(1) Bärmann, Fritz (1979): Lernbereich:<br />

Schrift und Schreiben, Braunschweig:<br />

Westermann, S. 43<br />

(2) Bartnitzky, Horst (2005): Welche Schreibschrift<br />

passt am besten zum Grundschulunterricht<br />

heute? In: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>,<br />

H. 91 (September 2005), S. 3 – 12, hier: S. 9<br />

(3) Mahrhofer-Bernt, Christina (2010):<br />

Grundschrift: Kommentar für Lehrerinnen<br />

und Lehrer. Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />

(veröffentlicht im Internet unter www.<br />

grundschulverband.de > Grundschrift ><br />

Lehrerkommentar zu Teil 1: Die Buchstaben)<br />

12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Grundschrift<br />

Das kleine a<br />

Formwahrnehmung<br />

Das kleine a beginnt mit einem links ovalen Halbkreis gegen<br />

den Uhrzeigersinn. Daran schließt sich bündig ein Abstrich<br />

mit Wendebogen am Ende an. Der Abstrich beginnt etwas<br />

über dem Startpunkt des vorausgehenden Halbkreises.<br />

Mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />

Das Ausführen von Halbkreis und Abstrich fällt grundsätzlich<br />

leicht. Schwierigkeiten können entstehen beim bündigen<br />

Anschließen des Abstrichs an das Linksoval, vor allem<br />

dann, wenn Kinder ihre eigene individuelle zügige Schriftweise<br />

entwickeln. Zu beachten ist, dass Kreisbewegungen<br />

gegen den Uhrzeigersinn für den Linkshänder schwieriger<br />

auszuführen sind. Linkshänder benötigen individuelle<br />

Unterstützung.<br />

Bewegungsverlauf<br />

Die Bewegung gegen den Uhrzeigersinn ist für den<br />

Rechtshänder eine motorisch angenehm auszuführende<br />

Bewegung. Der Luftsprung zwischen Halbkreis und<br />

Abstrich führt zu einer Entspannung der Handmusku latur.<br />

Reflexionen der Kinder<br />

a) Zugehörigkeit zur Bewegungsgruppe III – Linksovale.<br />

b) Größenverhältnis im Schreibraum: kleines a als Buchstabe<br />

im Erdgeschoss.<br />

c) Fehlformen durch Öffnung im oberen Teil, die zu einer<br />

Verwechslung mit dem kleinen u führt bzw. Öffnung im<br />

unteren Teil, die optisch wenig ansprechend ist und ebenfalls<br />

Leserlichkeit erschwert.<br />

d) Individuelle Abwandlungen im Hinblick auf Schreibschnelligkeit<br />

und Leserlichkeit.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

13


Praxis: Grundschrift<br />

Das kleine n<br />

Formwahrnehmung<br />

Das kleine n ergibt sich aus einer arkadenartigen Schreibbewegung.<br />

Diese Bewegung ist schreibmotorisch etwas<br />

anspruchsvoller auszuführen, da es sich um eine Zusammensetzung<br />

von Bewegungen im Uhrzeigersinn handelt.<br />

Die Buchstabenform beginnt mit einem Abstrich. Der nachfolgende<br />

Aufstrich erfolgt deckungsgleich mit dem Abstrich<br />

und führt in einem Bogen zum zweiten parallel angeordneten<br />

Abstrich mit kleinem Wendebogen.<br />

Mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />

Eine gleichmäßige Ausführung der parallel angeordneten<br />

Abstriche fällt manchen Kindern ebenso schwer wie eine<br />

kurze Ausführung des Wendebogens. Beim zügigen<br />

Schreiben geschieht es häufig, dass der erste Abstrich und<br />

der nachfolgende Aufstrich nicht deckungsgleich sind,<br />

vor allem beim Ausbilden individueller Schriftformen.<br />

Dies führt zu einer mangelnden Formkonstanz und eingeschränkten<br />

Leserlichkeit.<br />

Bewegungsverlauf<br />

Abstrich, Aufstrich, Bogen, Abstrich werden in einer<br />

Drehrichtung ausgeführt. Der kleine Wendebogen am Ende<br />

bedeutet einen Drehrichtungswechsel, der jedoch aufgrund<br />

der vorausgehend schwungvollen Bewegung einfach<br />

auszuführen ist. Fällt den Kindern die saubere Ausführung<br />

des Aufstrichs schwer, kann hier zunächst ein Luftsprung<br />

einfügt werden. Die nachfolgende Arkade setzt dann knapp<br />

unterhalb des ersten Startpunktes wieder an.<br />

Reflexionen der Kinder<br />

a) Zugehörigkeit zur Bewegungsgruppe IV – Abstrich<br />

mit nachfolgender Arkadenbewegung. Ähnlichkeit zum<br />

m sowohl in Form als auch in der Bewegungsausführung<br />

hervorheben!<br />

b) Größenverhältnis im Schreibraum: kleines n als Buchstabe<br />

im Erdgeschoss.<br />

c) Fehlformen: Formabweichungen durch fehlende<br />

Deckungs gleichheit von erstem Abstrich und nachfolgendem<br />

Aufstrich und/oder fehlende Parallelität der Abstriche.<br />

Eine sorgfältige Ausführung ist trotz individueller Schreibweise<br />

nötig für eine gute Leserlichkeit der Schreibprodukte.<br />

d) Individuelle Abwandlungen im Hinblick auf Leserlichkeit<br />

mit besonderer Berücksichtigung des kleinen Wendebogens<br />

am Ende des kleinen n am Ende eines Wortes.<br />

14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Grundschrift<br />

Das kleine u<br />

Formwahrnehmung<br />

Das kleine u ergibt sich aus einer girlandenartigen Schreibbewegung.<br />

Diese Bewegung ist schreibmotorisch für<br />

Rechtshänder leicht auszuführen, da es sich um eine Zusammensetzung<br />

von Bewegungen gegen den Uhrzeigersinn<br />

handelt. Die Buchstabenform beginnt mit einem Abstrich,<br />

der über einen Bogen in einen Aufstrich mündet. Der letzte<br />

Abstrich erfolgt deckungsgleich mit dem vorausgehenden<br />

Aufstrich und endet mit einem kleinen Wendebogen.<br />

Mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />

Beim schwungvollen Schreiben werden zweiter Aufstrich<br />

und nachfolgender Abstrich häufig nicht deckungsgleich<br />

ausgeführt. Diese Formabweichung erschwert die Leserlichkeit.<br />

Je weniger sorgfältig die Schreibausführung, desto<br />

leichter entstehen Verwechslungen mit den Buchstaben r<br />

und v.<br />

Bewegungsverlauf<br />

Abstrich, Bogen, Aufstrich, Abstrich und Wendebogen<br />

werden in einer Drehrichtung ausführt.<br />

Reflexionen der Kinder<br />

a) Zugehörigkeit zur Bewegungsgruppe I – Einfacher Abstrich<br />

mit Aufstrich.<br />

b) Größenverhältnis im Schreibraum: kleines u als Buchstabe<br />

im Erdgeschoss.<br />

c) Fehlformen: Zweiter Aufstrich und nachfolgender<br />

Aufstrich sind möglicherweise nicht deckungsgleich.<br />

Ein Auseinanderziehen dieser beiden Striche führt zu einer<br />

Formabweichung besonders beim zügigen Schreiben, das zu<br />

einer erschwerten Leserlichkeit führt. Sorgfältige Ausführung<br />

ist hier trotz individueller Schreibweise nötig für eine<br />

gute Leserlichkeit der Schreibprodukte.<br />

d) Individuelle Abwandlungen im Hinblick auf Schreibflüssigkeit<br />

und Leserlichkeit.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

15


Praxis: Grundschrift<br />

Das große D<br />

Formwahrnehmung<br />

Das große D beginnt mit einem Abstrich und einem<br />

nachfolgenden rechtsovalen Halbkreis im Uhrzeigersinn,<br />

der sich an den vorausgehenden Abstrich anfügt.<br />

Mögliche Schwierigkeiten und Hilfestellungen<br />

Als mögliche Schwierigkeit ergibt sich ein bündiges Anschließen<br />

des Halbkreises an den Abstrich und ein gleichmäßiges<br />

Ausführen des Halbkreises. Eine individuelle<br />

Abwandlung des D kann sich durch ein Verlängern der<br />

Halbkreisstriche über den Anfangs­ bzw. Endpunkt des<br />

Abstriches ergeben. Dies geschieht häufig bei einer zügigen<br />

Ausführung des Buchstabens und ist unter Einhaltung der<br />

Kriterien der Formklarheit und Formkonstanz zulässig.<br />

Bei einer unsauberen Ausführung verschwimmen die<br />

Eckpunkte von Abstrich und Halbkreis und es besteht die<br />

Gefahr einer Formabweichung hin zum großen O.<br />

Bewegungsverlauf<br />

Das große D beginnt mit einem Abstrich und geht bis<br />

zur Grundlinie. Der zweite Abstrich beginnt nach einem<br />

Luftsprung erneut beim Startpunkt des ersten Abstriches<br />

und formt dann einen Halbkreis im Uhrzeigersinn.<br />

Der Halbkreis endet am Endpunkt des ersten Abstriches<br />

auf der Grundlinie.<br />

Reflexionen der Kinder<br />

a) Zugehörigkeit zur Bewegungsgruppe IV – Abstrich mit<br />

nachfolgendem Rechtsoval.<br />

b) Größenverhältnis im Schreibraum: Großes D als Buchstabe<br />

im Erdgeschoss und im Dach.<br />

c) Fehlformen: Unsaubere Ausführung der Eckpunkte<br />

von Abstrich und Halbkreis. Dies führt zu einer Formabweichung<br />

besonders beim zügigen Schreiben, das zu einer<br />

erschwerten Leserlichkeit oder zu einer Verwechslung mit<br />

dem großen O führen kann. Eine sorgfältige Ausführung<br />

ist hier trotz individueller Schreibweise nötig für eine gute<br />

Leserlichkeit der Schreibprodukte.<br />

d) Individuelle Abwandlungen im Hinblick auf Schreibflüssigkeit<br />

und Leserlichkeit.<br />

16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Grundschrift<br />

Lothar Bode / Theresia Winzen<br />

Druckschrift als einzige Schrift<br />

Erfahrungen aus sieben Jahren Schulpraxis<br />

Geschichte des Wechsels<br />

zur Drucksc hrift<br />

In der Vergangenheit gab es an der GGS<br />

Veen, wie an anderen Schulen auch,<br />

eine Entwicklung über die Lateinische<br />

zur Vereinfachten Ausgangsschrift.<br />

Bis zum Jahr 2003 bekamen wir von<br />

den weiterführenden Schulen zunehmend<br />

negative Rückmeldungen über die<br />

Schrift der Kinder. Kritisiert wurden die<br />

mangelnde Lesbarkeit der Texte und die<br />

Uneindeutigkeit vieler Buchstabenformen.<br />

Insbesondere die Buchstaben »e«,<br />

»r« und »s« wurden in den Schülertexten<br />

häufig nicht eindeutig geschrieben.<br />

In einer Sitzung der Lehrerkonferenz<br />

2003 wurde beschlossen, auf Druckschrift<br />

umzustellen und keine Schreibschrift<br />

mehr zu vermitteln.<br />

Die Schulkonferenz im Jahr 2004 entschied<br />

den Wechsel zur Druckschrift<br />

mit deutlicher Mehrheit.<br />

Seitdem schreiben die Kinder an<br />

der GGS Veen während der gesamten<br />

Grundschulzeit in Druckschrift. Es finden<br />

keine Lehrgänge zum Erlernen einer<br />

besonderen »Schreibschrift« statt. Die<br />

Lehrerinnen und Lehrer achten jedoch<br />

während der gesamten Grundschulzeit<br />

auf die Formklarheit der Schrift, auf Berücksichtigung<br />

der verwendeten Lineaturen<br />

und auf die Lesbarkeit.<br />

Akzeptanz bei den Lehrern<br />

In der Ausgangssituation waren die<br />

Lehrerinnen überwiegend unzufrieden<br />

mit der VA, der Lesbarkeit der Schriften<br />

und dem Gesamtbild der Schülertexte<br />

besonders am Ende der Grundschulzeit.<br />

Der Wechsel zur Druckschrift wurde<br />

im Kollegium einstimmig gefasst.<br />

Trotz der natürlichen Veränderungen<br />

im Kollegium durch Pensionierung,<br />

Versetzung usw. herrscht bis heute Einverständnis<br />

und Akzeptanz für die damals<br />

getroffene Entscheidung. Positiv<br />

gewertet wird insbesondere:<br />

●● Die Schrift der Kinder am Ende der<br />

Grundschulzeit ist im Allgemeinen<br />

deutlich lesbarer und formklarer als<br />

früher<br />

●● Es hat seit 2003 keine negativen Rückmeldungen<br />

aus den Sekundarschulen<br />

über unklare Schriften unserer Kinder<br />

gegeben,<br />

●● Der Unterricht wird besonders im<br />

2. Schuljahr durch die Maßnahme wesentlich<br />

entlastet, da kein Schreiblehrgang<br />

durchgeführt werden muss. Die<br />

gewonnene Zeit im Deutschunterricht<br />

wird beispielsweise für freies Schreiben<br />

genutzt. Der Wegfall des Schreibschriftlehrgangs<br />

ist ein positives Beispiel für<br />

eine gelungene Entrümpelung und Besinnung<br />

auf Wesentliches in der Grundschularbeit.<br />

Inzwischen wurden Erfahrungsberichte<br />

mehrfach von anderen Schulen<br />

nachgefragt.<br />

Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarschulen,<br />

die unsere Kinder aufnehmen,<br />

haben, bis auf eine einzige<br />

Ausnahme, keine Probleme mit den<br />

Druckschrift schreibenden Kindern.<br />

Im Gegenteil werden die Schriften der<br />

Kinder aus Veen eher gelobt oder als gut<br />

lesbar beschrieben.<br />

Kurzporträt der GGS Veen<br />

<strong>Grundschule</strong> im ländlichen Raum am<br />

Niederrhein.<br />

120 Schülerinnen und Schüler,<br />

6 Lehrerinnen, 1 Lehrer, 1 LAA.<br />

Teilweise jahrgangsgemischte<br />

Unterrichtsorganisation.<br />

Intensive Zusammenarbeit des<br />

Kollegiums.<br />

Die Elternschaft wirkt überwiegend<br />

positiv mitgestaltend an der Schulentwicklung.<br />

Schwerpunkte der Schulentwicklung<br />

in letzter Zeit:<br />

– Naturwissenschaften im Sachunterricht,<br />

– Erprobung jahrgangsgemischter<br />

Unterrichtsformen,<br />

– projektorientierter Unterricht,<br />

– Einrichtung einer Ganztagsbetreuung<br />

Im Herbst 2009 habe ich an allen<br />

Schulen, die unsere Schüler aufnehmen,<br />

eine mündliche Abfrage hinsichtlich<br />

Auffälligkeiten beim Schreiben der<br />

Veener Kinder gemacht. Hier kamen<br />

keine negativen Rückmeldungen, abgesehen<br />

von 2 Stimmen, die angaben,<br />

Kinder von unserer Schule in Klasse<br />

5 oder 6 hätten die Tafelanschrift der<br />

Lehrer nicht lesen können.<br />

Hier ist zu berücksichtigen, dass sich<br />

auch Lehrer manchmal unangepasst<br />

verhalten.<br />

Akzeptanz bei den Kindern<br />

Die Kinder entwickeln im Laufe der<br />

Grundschulzeit mit Unterstützung und<br />

unter ständiger Beobachtung der Lehrerinnen<br />

und Lehrer ihre Schrift ständig<br />

weiter.<br />

Andere Schriften wurden und werden<br />

in den Klassen nicht vermittelt. Es<br />

werden Schriftproben anderer Schreibschriften,<br />

z. B. in LA, SAS und VA ausgelegt<br />

und die Kinder darauf hingewiesen,<br />

dass es andere Schriften gibt.<br />

In kleinen Unterrichtseinheiten wird<br />

mit Schrift und Schreibgeräten experimentiert<br />

und mit Schrift gestaltet.<br />

Im 3. und 4. Schuljahr zeigen manche<br />

Lehrerinnen die Möglichkeit des (sichtbaren)<br />

Verbindens von Buchstaben<br />

beim Schreiben, z. B. indem sie an der<br />

Tafel bei Tafelanschriften in ihrer eigenen<br />

Handschrift Buchstabenverbindungen<br />

vermehrt zulassen.<br />

Bezüglich der Geschwindigkeit beim<br />

Schreiben ist kein Unterschied zu<br />

Schreibschrift schreibenden Kindern<br />

zu beobachten. Wir haben zwar keine<br />

Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt,<br />

aber es gibt weder bei uns noch<br />

von weiterführenden Schulen Hinweise<br />

darauf, dass unsere Kinder durchschnittlich<br />

langsamer als Schreibschrift<br />

schreibende Kinder schreiben.<br />

Bezüglich der Klarheit, Sauberkeit<br />

und Lesbarkeit sind Druckschrift<br />

schreibende Kinder klar im Vorteil.<br />

Unter Berücksichtigung der genannten<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

17


Praxis: Grundschrift<br />

Lothar Bode<br />

Rektor der <strong>Grundschule</strong><br />

Alpen-Veen, NRW<br />

Theresia Winzen<br />

Grundschullehrerin<br />

an der <strong>Grundschule</strong> Alpen-Veen, NRW<br />

Kontakt: ggsveen@web.de<br />

Kriterien sind die Druckschrifttexte<br />

nach unseren Erfahrungen unbestritten<br />

vorteilhafter.<br />

Manchmal kommen Nachfragen von<br />

den Kindern: »Warum lernen wir keine<br />

Schreibschrift?« oder »Warum lernen<br />

wir nicht richtig schreiben?«<br />

Kinder unserer Schule haben Kontakt<br />

zu Kindern anderer Schulen, an denen<br />

Schreibschrift vermittelt wird. Die<br />

Lehrerinnen und Lehrer erklären dann<br />

jeweils die Zusammenhänge.<br />

Schwierigkeiten<br />

Die Kinder schreiben manchmal ähnlich<br />

oder gleich aussehende Klein- und<br />

Großbuchstaben in Druckschrift zu wenig<br />

differenziert, so dass die Groß- oder<br />

Kleinschreibung zu wenig erkennbar ist<br />

und auf diesem Wege »Rechtschreibfehler«<br />

entstehen. Betroffen sind besonders<br />

die Buchstaben c, C; f, F; i, I; k, K; l, L;<br />

s, S; v, V; w, W.<br />

Akzeptanz bei den Eltern<br />

Die meisten Eltern tragen unsere Entscheidung<br />

mit und haben mit der Sache<br />

überhaupt kein Problem. Die Eltern<br />

finden die Schrift und das Schrei ben<br />

ihrer Kinder im Allgemeinen in Ordnung.<br />

Manche Eltern sorgen sich, dass die<br />

Druckschrift unter Umständen an den<br />

Sekundarschulen nicht akzeptiert würde<br />

und ihre Kinder deshalb Nachteile<br />

befürchten müssten. Hier ist es notwendig,<br />

entsprechend aufzuklären und darauf<br />

hinzuweisen, dass die <strong>Grundschule</strong><br />

mit den jeweiligen Sekundarschulen in<br />

Kontakt ist und die Befürchtungen unbegründet<br />

sind. Nicht auszuschließen<br />

ist natürlich, dass Lehrer in den Sekundarschulen<br />

sich immer mal wieder unangepasst<br />

verhalten oder hier einfach<br />

nicht Bescheid wissen.<br />

Bei der Einschulung informieren wir<br />

die Eltern gründlich über unser Konzept,<br />

den Hintergrund und unsere Erfahrungen.<br />

Vorbehalte gegenüber unserer Methode<br />

waren zuletzt eher selten.<br />

Gelegentlich kommen aus der weiteren<br />

Schulumgebung Nachfragen bzgl.<br />

des Themas. Hier ist es jeweils nötig,<br />

Aufklärungsarbeit zu betreiben und<br />

den Personen immer wieder die Zusammenhänge<br />

zu erklären.<br />

Wie entwickeln sich die Schriften<br />

der Kinder in der Grundschulzeit?<br />

Die Schriften der Kinder sind am Ende<br />

der Grundschulzeit im Allgemeinen gut<br />

lesbar und formklar.<br />

Jedes Kind entwickelt aus der originalen<br />

Druckschrift, die es am Anfang<br />

seines Schrifterwerbs gelernt hat, zunehmend<br />

eine Handschrift.<br />

Die Form der Buchstaben wird individuell<br />

im Zuge der Entwicklung<br />

der persönlichen Handschrift teilweise<br />

leicht verändert.<br />

Die Buchstaben stehen innerhalb der<br />

Wörter auf dem Papier weitgehend ohne<br />

Verbindungsstriche nebeneinander,<br />

d. h. sichtbare Verbindungslinien gibt es<br />

nicht, jedoch werden ja die Buchstaben<br />

beim Schreiben in der Luft miteinander<br />

verbunden.<br />

Einige Schüler ziehen zwischen einzelnen<br />

Buchstaben sichtbare Verbindungslinien.<br />

Wie entwickeln sich die<br />

Schriften der Kinder in der<br />

Zeit nach der <strong>Grundschule</strong>?<br />

Hierzu haben wir bisher keine genauen<br />

Untersuchungen erhoben. Schriftproben<br />

von älteren Kindern, die an unserer<br />

18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Grundschrift<br />

Mädchen, Kl. 10: Die Schrift hat Handschriftcharakter<br />

und ist sehr gut lesbar. Die einzelnen Buchstaben<br />

werden z. T. eng aneinander geschrieben, jedoch stehen<br />

sie einzeln und sind auf dem Papier nicht verbunden.<br />

Junge, Kl. 8: Die Schrift hat Handschriftcharakter und ist sehr gut<br />

lesbar. Die Buchstaben stehen einzeln und sind auf dem Papier<br />

nicht verbunden.<br />

Mädchen 1 und Mädchen 2, Kl. 4: Die Schrift hat noch wenig Handschriftcharakter und ist sehr gut lesbar.<br />

Das Kind verbindet die Buchstaben auf dem Papier nicht miteinander. Das kleine »k« wird auf Anraten der Lehrerin<br />

wegen der besseren Unterscheidbarkeit zwischen »k« und »K« in Schreibschriftform ausgeführt.<br />

Schule Druckschrift gelernt haben, zeigen<br />

jedoch übereinstimmend, dass die<br />

Kinder weiter in Druckschrift schreiben<br />

und die Buchstaben eher nicht auf dem<br />

Papier sichtbar verbinden. Die Schriften<br />

sind individuell unterschiedlich und<br />

haben jeweils deutlich den Charakter<br />

einer Handschrift. Die Schriften sind<br />

weiterhin gut lesbar und formklar.<br />

Das gehört auch zu<br />

unseren Erfahrungen<br />

Mehrere Schüler kamen von anderen<br />

Schulen, an denen Schreibschrift vermittelt<br />

wurde. Diese hatten die ausdrückliche<br />

Erlaubnis, ihre Schrift beizubehalten.<br />

Nach kurzer Zeit haben sie<br />

lieber in Druckschrift geschrieben.<br />

Es kam zu einem heftigen Konflikt<br />

mit einer Lehrerin eines Gymnasiums,<br />

die von einem unserer Schüler in der<br />

5. Klasse verlangte, er solle innerhalb<br />

von einer Woche gefälligst Schreibschrift<br />

lernen.<br />

Es gibt wenige Eltern, die die Schreibschrift<br />

für so wichtig halten, dass sie<br />

ihren Kindern die Schreibschrift, oder<br />

Elemente davon, beibringen. Die betroffenen<br />

Kinder sind teilweise oder vorübergehend<br />

verunsichert und gehen unterschiedlich<br />

damit um:<br />

Ein Junge vermischt Schreibschriftelemente,<br />

die er bei seiner Oma gelernt<br />

hat, mit Druckschrift und kommt zu<br />

einer individuellen Form, die allerdings<br />

nicht gut lesbar ist.<br />

Ein Mädchen hat zu Hause Schreibschriftbuchstaben<br />

lernen müssen, die<br />

sie aber mittlerweile einzeln wie Druckschriftbuchstaben<br />

setzt, was natürlich<br />

den Schreibentwicklungsprozess behindert.<br />

Ein Schüler schrieb, weil seine Mutter<br />

das wollte und sie ihm das beigebracht<br />

hat, sehr schön in Lateinischer Ausgangsschrift.<br />

Er hat diese Schrift dann<br />

auch erfolgreich beibehalten.<br />

Zusammenfassung<br />

Es liegen etwa 7 Jahre Erfahrungen mit<br />

Druckschrift während der gesamten<br />

Grundschulzeit hinter uns.<br />

●● Die Schriftbilder der Kinder sind im<br />

Allgemeinen nachhaltig formklar, bewegungsflüssig,<br />

funktional und gut lesbar.<br />

●● Wir sind froh, dass wir die Entscheidung<br />

zur Druckschrift in der Schule so<br />

getroffen haben und stehen auch weiterhin<br />

zu unserer Entscheidung.<br />

●● Der Deutschunterricht im 2. Schuljahr<br />

ist wesentlich entlastet; die gewonnene<br />

Zeit kommt dem freien Schreiben<br />

und dem Lesen zugute.<br />

●● Schwächere Schüler sind klar begünstigt,<br />

für leistungsstarke Schüler ist das<br />

Thema eher weniger bedeutsam.<br />

●● Die Kinder haben keinen Nachteil<br />

und sind – im 2. Schuljahr – entlastet.<br />

●● Kinder, die während der gesamten<br />

Grundschulzeit in Druckschrift geschrieben<br />

haben, behalten offenbar auch<br />

in der Sekundarstufe überwiegend die<br />

Druckschrift bei, aus der sie, meistens<br />

schon in der Grundschulzeit, ihre<br />

Handschrift entwickeln. Einzelne Buchstaben<br />

werden eher wenig oder gar nicht<br />

sichtbar verbunden.<br />

●● Die Nachteile für die Druckschrift<br />

schreibenden Kinder sind gering und<br />

bestehen eher in Konflikten mit unangepasstem<br />

Verhalten einiger Kollegen<br />

im Bereich Sek I oder mit Eltern, die andere<br />

Vorstellungen von Schrift haben.<br />

Ein erfolgreicher Wechsel von<br />

●●<br />

Schreibschrift zur Druckschrift an einer<br />

Schule kann nur durch eindeutige und<br />

umfassende Beschlüsse und Maßnahmen<br />

des Kollegiums und der Mitwirkungsorgane<br />

sowie durch nachhaltige<br />

und plausible Aufklärungsarbeit der<br />

Eltern gelingen.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

19


Praxis: Grundschrift<br />

Barbara van der Donk / Linda Kindler<br />

Schreiben mit Schwung<br />

Entwicklung der Schreibfertigkeit an der GGS Repelen<br />

Seit 2001 konnten wir verfolgen,<br />

wie Kinder und Lehrerinnen an<br />

unserer Schule mit dem Schreibenlernen<br />

umgegangen sind.<br />

Zunächst wurde die Druckschrift als<br />

Errungenschaft zum Lesenlernen gefeiert<br />

und es war für alle nur logisch, in<br />

Druckschrift auch mit dem Schreiben<br />

zu beginnen. Aber wie sollte daraus<br />

eine schöne, flüssige Schreibschrift werden?<br />

Das war das Ziel. Also musste eine<br />

genormte Schreibschrift her. Dies war<br />

vorerst die lateinische Ausgangsschrift<br />

(LA). Wir kamen mit engagierten Eltern<br />

ins Gespräch, die eine klare Meinung<br />

vertraten: Die LA ist schön, unsere<br />

Kinder sollen so schreiben lernen,<br />

wir haben das nämlich auch gelernt.<br />

Dazu gehörten auch Schönschreibübungen,<br />

denn ohne Üben lernt man<br />

eine Schreibschrift nicht gut. Meistens<br />

begann der LA-Lehrgang gegen Ende<br />

des 1. Schuljahres. Dies war verbunden<br />

mit der Einführung eines neuen<br />

Schreibgerätes. Nach dem Bleistift (oder<br />

Griffel) kam der Füller. Es gehörte zum<br />

Profil der Schule, dass sie eine der wenigen<br />

<strong>Grundschule</strong>n im Stadtgebiet war,<br />

die bei der LA blieben.<br />

Schließlich ging an den Argumenten<br />

eines inzwischen veränderten<br />

Kollegiums sowie der Situation, dass<br />

die Schule zur Ausbildungsschule für<br />

Lehramtsanwärterinnen wurde, nicht<br />

vorbei, dass es die Vereinfachte Ausgangsschrift<br />

(VA) gab. Die Argumente<br />

für und gegen LA und VA wurden vehement<br />

diskutiert.<br />

2002 kam es schließlich zum Wechsel<br />

der Schreibschrift. Nun gab es die<br />

Abfolge: Druckschrift ➝ Vereinfachte<br />

Ausgangsschrift ➝ persönliche Handschrift.<br />

Sowohl die Kinder als auch die<br />

Lehrerinnen investierten viel Zeit und<br />

Energie in das Erlernen der Druckbuchstaben<br />

in korrekter Bewegungsrichtung<br />

und danach – zu Anfang des<br />

2. Schuljahres – in den Schreiblehrgang<br />

zur VA. Das Repertoire der Schreibgeräte<br />

wurde erweitert. Als Übergangsstift<br />

wurde ein Inky benutzt. Danach<br />

kam ein Füller zum Einsatz. Hierbei<br />

stellten wir fest, dass der Wechsel eines<br />

Schreibstiftes immer mit einer<br />

Verlangsamung des Schreibens und<br />

meistens mit einer Schreibweise ohne<br />

Schwung verbunden war. Oft wurden<br />

Lockerungsübungen der Hände<br />

im Unterricht durchgeführt. Hin und<br />

wieder gab es Beschwerden von weiterführenden<br />

Schulen: Die Kinder schrieben<br />

nicht mehr gut lesbar und nicht<br />

mehr so schön. Es wurde ein kultureller<br />

Verfall in der Schreibentwicklung<br />

angemahnt. Begleitend hatte die Zeit<br />

der offenen Unterrichtsformen in der<br />

<strong>Grundschule</strong> begonnen. Wie könnte<br />

ein Schreiblehrgang dort integriert<br />

werden? Auch unsere Schule verwendete<br />

einen Schreiblehrgang, in dem die<br />

Kinder nach kurzer Einführung relativ<br />

selbstständig in ihrem eigenen Tempo<br />

arbeiten konnten. Die Eltern unterstützten<br />

die Hausaufgaben im Schreiblehrgang<br />

zum Teil. Aber auch hier ging<br />

nichts von selbst, eine individuelle Begleitung<br />

der Kinder war notwendig.<br />

Wie die Kinder aus der VA zu einer<br />

persönlichen Handschrift kommen<br />

konnten, das war auch hier nicht klar.<br />

Wir beobachteten genau, ob die Kinder<br />

die vorgegebene Norm der VA korrekt<br />

erfüllten.<br />

Im Jahr 2008 wurden in NRW neue<br />

Richtlinien und Lehrpläne gültig. Bei<br />

der Implementierung dachten wir im<br />

Kollegium darüber nach, was die Formulierung<br />

der Kompetenzerwartungen<br />

am Ende von Klasse 2 und 4 bedeuten<br />

würde. Kompetenzerwartungen am<br />

Ende von Klasse 2: »Die Schülerinnen<br />

und Schüler schreiben flüssig und<br />

formklar in Druckschrift.« Kompetenz­<br />

Von der Druckschrift zur verbundenen persönlichen Handschrift<br />

Leitgedanken<br />

●● Nicht alle Buchstaben müssen<br />

bei der Handschrift verbunden<br />

werden.<br />

●● Alles, was den Fluss des<br />

Schreibens hemmen könnte,<br />

sollte vermieden werden.<br />

●● Wenn ein Kind aus der Druckschrift<br />

weiterführend flüssig und<br />

formklar schreibt, sollte dieser<br />

Prozess nicht gestört werden.<br />

●● Die Druckschrift sollte von<br />

Kl. 1 bis 4 weitergeführt werden<br />

(z. B. jede Überschrift in Druckschrift<br />

schreiben).<br />

Für Klasse 1 / 2<br />

–– Anlauttabelle als Schreibhilfe<br />

(Schreibtabelle)<br />

–– »Schwungübungen«<br />

–– Luftschwünge<br />

–– Wendebogen<br />

–– Schreiben auf 1 Linie<br />

–– Angebote von verbundenen<br />

Buchstabengruppen<br />

–– Reflexionsgespräche über die<br />

individuellen Schreiberfahrungen<br />

–– Angebot von Übungssilben, -wörtern,<br />

-sätzen / Anbindung an Lern-(Merk)wörter<br />

–– Lineatur nach individueller Schreib fähigkeit<br />

–– Schreibgerät Bleistift / Erprobung verschiedener<br />

Schreib geräte<br />

Für Klasse 3 / 4<br />

–– Automatisierung von Verbindungen,<br />

weitere »Verflüssigung« der Handschrift<br />

–– »Temposchreiben«<br />

–– Angebot von Übungstexten als<br />

Abschreibtexte<br />

–– Verwendung der Lineatur von<br />

Klasse 3 / 4<br />

–– Verwendung verschiedener<br />

Schreibgeräte<br />

–– Durchführung verschiedener<br />

Schreibprojekte<br />

20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Grundschrift<br />

erwartungen am Ende von Klasse 4:<br />

»Die Schülerinnen und Schüler schreiben<br />

flüssig in einer gut lesbaren verbundenen<br />

Handschrift.« Allen wurde<br />

klar: Wir brauchen keine Schreibschrift<br />

mehr als Zwischenschritt zur persönlichen<br />

Handschrift! Wir müssen uns<br />

auch nicht mehr entscheiden: LA oder<br />

VA? Welch Entlastung! Es ging um<br />

die Schreibkultur an unserer Schule!<br />

Schreibenlernen, füreinander schreiben,<br />

richtig schreiben lernen usw. hat<br />

mit der Persönlichkeitsentwicklung<br />

jedes Kindes zu tun. Mit der eigenen<br />

Hand zu schreiben macht stolz! Wir<br />

Lehrerinnen und Lehrer möchten, dass<br />

unsere Grundschulkinder stolz auf ihre<br />

Schreibent wicklung und ihre Schreibprodukte<br />

sein können. Das motiviert<br />

zum Weiterlernen.<br />

Aber wie entwickeln die Kinder eine<br />

gut lesbare verbundene Handschrift?<br />

Darüber begannen wir neu nachzudenken.<br />

Erst einmal lernten die Kinder<br />

wieder Druckschrift. Als wir bei den<br />

Kindern in Klasse 3 und 4 feststellten,<br />

dass trotz erlernter VA zum Teil sehr<br />

schlechte Handschriften zu verzeichnen<br />

waren, stellten wir den Kindern<br />

wieder frei, in Druckschrift zu schreiben.<br />

Die Kinder schrieben zum Teil<br />

sehr eckig, hatten wenig Schwung und<br />

die Kriterien flüssig und gut lesbar<br />

blieben oft auf der Strecke. Wir berieten<br />

manche Kinder, die Druckschrift<br />

wieder zu üben. Es stellte sich heraus,<br />

sie schrieben allmählich formklarer<br />

und lesbarer, waren selbst wieder zufrieden<br />

mit ihren Schreibergebnissen.<br />

Außerdem automatisierten sie diese<br />

Schreibweise und alles ging zügiger.<br />

Es fehlten uns allerdings die gezielten<br />

Hilfen, die wir den Kindern gerne angeboten<br />

hätten.<br />

Wir brauchten eine neue fachliche<br />

Auseinandersetzung mit dem Thema<br />

Schreibenlernen bei Grundschulkindern.<br />

Wie gut, dass sich Linda Kindler<br />

als Lehramtsanwärterin an unserer<br />

Schule für dieses Thema interessierte!<br />

Sie begeisterte sich dafür, diskutierte<br />

mit ihrer Ausbildungslehrerin, mit der<br />

Schulleiterin, den Teamkolleginnen,<br />

der Nachbarschule … Alle suchten und<br />

fanden Fachliteratur, lasen, diskutierten,<br />

und allmählich entstand das, was<br />

wir als Leitgedanken formulierten und<br />

für die Jahrgangsstufen zusammentrugen.<br />

Was bedeutet<br />

»Schreiben mit Schwung«?<br />

»Schreiben mit Schwung« beschreibt<br />

lockeres und zügiges Schreiben,<br />

bei dem die Schreibbewegungen in<br />

Schwung kommen. Der Begriff betont<br />

damit, dass Schreiben Bewegung ist –<br />

ein Aspekt, der nicht vernachlässigt<br />

werden darf, wenn wir Kinder auf ihrem<br />

Weg zu individuellen verbundenen<br />

Handschriften begleiten.<br />

Das Schreiben mit Schwung stand<br />

im Zentrum unserer Arbeit mit Kindern<br />

eines zweiten Schuljahres mit<br />

dem Ziel der Entwicklung individueller,<br />

verbundener Handschriften aus der<br />

Druckschrift ohne den Umweg über<br />

eine verbundene Ausgangsschrift. Basierend<br />

auf der Annahme, dass Buchstabenverbindungen<br />

individuell und<br />

mit Schwung ausgeführt werden, wurde<br />

auf genormte Buchstabenverbindungen<br />

verzichtet. An die Stelle von<br />

Normen traten die Reflexionskriterien<br />

Lesbarkeit und Bewegungsflüssigkeit.<br />

Die Kinder sollten ihre Schreibbewegungen<br />

in Schwung bringen und<br />

das Verbinden von Buchstabenkombinationen<br />

erproben und allmählich automatisieren.<br />

Dazu erstellten wir eine Kartei, in<br />

welcher sich jede Karteikarte auf eine<br />

Buchstabenkombination wie z. B. »ei«<br />

bezieht und Arbeitsaufträge zum<br />

Schrei ben mit Schwung, zum Verbinden<br />

der Buchstabenkombination und<br />

zum Reflektieren enthält. Die Buchstabenkombinationen<br />

wurden nach<br />

der Komplexität der Bewegungen, der<br />

Häufigkeit des Vorkommens im Wortschatz<br />

der Kinder sowie nach der »Art«<br />

der Verbindung (Wendebogen) ausgewählt.<br />

Zu jeder Buchstabenkombination<br />

befinden sich auf den Karteikarten<br />

Schreibwörter, d. h. Nomen, Verben<br />

und Adjektive sowie Artikel, Pronomen<br />

und häufig vorkommende Präpositionen,<br />

anhand derer das verbundene<br />

Schreiben erprobt und geübt wurde,<br />

um die Inhaltlichkeit des Schreibens<br />

nicht zu vernachlässigen. Die Arbeit<br />

orientierte sich inhaltlich an dem Thema<br />

des jeweiligen Wochenplans.<br />

Zur Unterstützung wurde ein<br />

Erste-Hilfe-Ordner mit verbundenen<br />

Schreibweisen der Buchstabenkombinationen<br />

bereitgestellt, der von den<br />

Abb. 1: Schülerin verbindet erste Buchstaben<br />

individuell<br />

Abb. 2: Schülerin schreibt immer mehr<br />

»mit Schwung«<br />

Abb. 3: Schüler verbindet Buchstaben aus<br />

der Gruppe 2 (el, ch, te, er, siehe S. 22)<br />

Abb. 4: Schülerin verbindet Buchstaben<br />

aus der Gruppe 1 (an, au, ei, en, eu, ie, in,<br />

un, siehe S. 22)<br />

Kindern selbstständig genutzt werden<br />

konnte. Die individuelle Arbeit mit der<br />

Kartei begleitend führten wir mit den<br />

Kindern regelmäßig Reflexionsgespräche<br />

durch.<br />

Hierin wurden folgende Aspekte<br />

kritisch thematisiert:<br />

1. Lesbarkeit der Handschriften<br />

(Könnt ihr deine Schrift gut lesen?)<br />

2. Bewegungsflüssigkeit des Schreibens<br />

(Kannst du … gut verbunden<br />

schrei ben? Wie geht es deiner Hand<br />

beim Schreiben? Gelingt es dir, zügig<br />

zu schrei ben?)<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

21


Praxis: Grundschrift<br />

B. van der Donk (links)<br />

Rektorin der <strong>Grundschule</strong> Repelen,<br />

NRW<br />

Linda Kindler (rechts)<br />

war von 2008 bis 2010 Lehramtsanwärterin<br />

an der GGS Repelen in<br />

Moers und wurde dort in den Fächern<br />

Deutsch und Englisch ausgebildet.<br />

Sie ist seither an einer <strong>Grundschule</strong> in<br />

Dortmund tätig.<br />

Besonders wichtig war uns, dass so<br />

das Schreiben und die individuellen<br />

Handschriften der Kinder selbst zum<br />

Unterrichtsthema und somit zum Gegenstand<br />

der bewussten Auseinandersetzung<br />

wurden.<br />

Erfahrungen<br />

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass<br />

die Kinder mit dieser Arbeitsweise nach<br />

ihren individuellen Lernvoraussetzungen<br />

fortschreiten konnten und so ihre<br />

individuelle verbundene Handschrift<br />

weiterentwickelten. Die Kinder nahmen<br />

die eigene Handschrift und den eigenen<br />

Schreibprozess zunehmend bewusster<br />

und reflektierter wahr. Diesbezüglich<br />

waren die oben erwähnten Reflexionsphasen<br />

von enormer Bedeutsamkeit.<br />

Wir beobachteten jedoch, besonders<br />

in der Anfangsphase, dass das Schreiben<br />

mit Schwung einigen Kindern<br />

Schwierigkeiten bereitete, was dadurch<br />

zu erklären ist, dass diese Kinder die gelernten<br />

Druckbuchstaben sehr korrekt<br />

und kontrolliert schrieben und somit<br />

die Schreibbewegungen durch die »Ausgänge<br />

der Buchstaben« immer wieder<br />

gebremst wurden. Außerdem befinden<br />

sich viele Kinder im zweiten Schuljahr<br />

in der Phase der ersten bewussten Anwendung<br />

von orthografischen Strukturen,<br />

die das Schreiben mit Schwung<br />

häufig erschweren.<br />

Anregungen<br />

Folgende Punkte lassen sich aus unseren<br />

Erfahrungen ableiten, mit denen<br />

Konsequenzen für den Umgang mit der<br />

Grundschrift einhergehen:<br />

● ● Auf den Anfang kommt es an: Bereits<br />

im ersten Schuljahr sollten die<br />

Grundlagen für das Erlernen einer individuellen<br />

Handschrift gelegt werden,<br />

indem die Kinder die Grundschrift<br />

schreiben lernen. Der kleine Wendebogen<br />

der Kleinbuchstaben nimmt eine<br />

wesentliche Unterstützungsfunktion in<br />

der Schreibentwicklung ein, denn er<br />

fördert das schwungvolle »Beenden«<br />

der Buchstaben im Gegensatz zum Absetzen<br />

am Ende vieler Druckbuchstaben.<br />

Beim Erlernen der Grundschrift<br />

soll die Schreibentwicklung durch die<br />

Betonung erwiesener ökonomischer Bewegungsführungen<br />

gefördert werden,<br />

damit ein Schreiben mit Schwung möglich<br />

wird. Zugleich soll die individuelle<br />

Bewegungsführung eines Kindes beim<br />

Schreiben berücksichtigt werden, d. h.,<br />

die Bewegungsrichtung der Grundschrift<br />

gilt für Kinder, die bereits bei<br />

Schuleintritt in alternativen Bewegungsführungen<br />

schreiben, als Empfehlung.<br />

●●<br />

Schreiben mit Schwung: Durch Hinweise<br />

zum Schreiben mit Schwung wird<br />

die Aufmerksamkeit der Kinder auf die<br />

Bewegungsabläufe beim Schreiben gerichtet;<br />

so kann das zügige und lockere<br />

Schreiben gefördert werden, was für das<br />

alltägliche Schreiben der Kinder im<br />

Sinne der Bewegungsflüssigkeit und der<br />

Funktionalität des Schreibens bedeutsam<br />

ist.<br />

●● Regelmäßig und konsequent geführte<br />

Reflexionsgespräche zur Lesbarkeit<br />

und Bewegungsflüssigkeit: Um die<br />

individuelle Arbeit der Kinder zielgerichtet<br />

zu begleiten und zu unterstützen,<br />

sind gemeinsame Reflexionsphasen,<br />

in denen Schreibproben verglichen<br />

werden, über Schreibweisen und Verbindungen<br />

nachgedacht wird sowie<br />

Bewegungsabläufe nachvollzogen und<br />

bewusst gemacht werden, unabdingbar.<br />

●● Verbundenes Schreiben bedeutet<br />

nicht, Buchstaben auf dem Papier zu<br />

verbinden: Für den Umgang mit der<br />

Grundschrift ist die Einsicht der LehrerInnen<br />

wesentlich, dass wir immer, wenn<br />

wir Buchstaben zu Wörtern zusammenfügen,<br />

verbunden schreiben. Wir verbinden<br />

die Buchstaben als Schreibspur entweder<br />

auf dem Papier oder in der<br />

3. Dimension in der Luft. Daraus folgt,<br />

dass aus einer sicheren Druckschrift eine<br />

individuelle Handschrift entwickelt werden<br />

kann, die Verbindungen von Buchstabe<br />

zu Buchstabe enthält. Diese müssen<br />

jedoch nicht zwingend sichtbar auf<br />

dem Papier realisiert werden.<br />

●● Empfehlenswerte Buchstabenkombinationen<br />

zur Weiterentwicklung der<br />

Handschrift: Aus der Arbeit mit der<br />

Kartei ergaben sich folgende Buchstabenkombinationen.<br />

Wesentlich ist dabei,<br />

dass es sich nicht um Normvorgaben<br />

handelt, sondern sie den Kindern<br />

als Möglichkeit an die Hand gegeben<br />

werden sollten, anhand derer Buchstaben<br />

bewegungsökonomisch verbunden<br />

werden können.<br />

Die Buchstabenkombinationen wurden<br />

bewusst in zwei Gruppen unterteilt,<br />

welche empfehlenswert für die unterrichtliche<br />

Umsetzung sind:<br />

Gruppe 1: an, au, ei, en, eu, ie, in, un<br />

Gruppe 2: el, ch, te, er<br />

Die Buchstabenkombinationen der<br />

ersten Gruppe können alle auf dieselbe<br />

Weise mit dem Wendebogen verbunden<br />

werden. Es wurden für die Kombination<br />

aus Vokal und »n« mehrere Vokale<br />

aufgeführt, sodass diese wesentliche<br />

Möglichkeit der Verbindung erprobt<br />

und gegebenenfalls gefestigt werden<br />

kann. Für die Kombinationen aus zwei<br />

Vokalen gilt dasselbe.<br />

In der zweiten Gruppe wurde für die<br />

Buchstabenkombinationen aus Vokal<br />

und Konsonant exemplarisch das e gewählt;<br />

je nach individuellen Lernvoraussetzungen<br />

können weitere Kombinationen<br />

wie »ir« ergänzt werden.<br />

●● Die Kultur des »Füreinander Schreibens«<br />

konnte durch das Schreiben mit<br />

Schwung wesentlich gefördert werden.<br />

Die Kinder wurden durch die Schreibübungen<br />

und Reflexionsgespräche ermutigt,<br />

schriftlich zu kommunizieren.<br />

Das Thema hat uns gepackt, das Interesse<br />

ist geweckt. Wir wissen, wir brauchen<br />

etwas Neues, um den Kindern eine<br />

passende Förderung bei ihrer Schreibentwicklung<br />

anbieten zu können.<br />

Die ersten Ergebnisse bei der Arbeit<br />

mit der Kartei waren Erfolg versprechend.<br />

Nun wollen wir dran bleiben<br />

und arbeiten gerne mit an der Entwicklung<br />

der Grundschrift.<br />

22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Aus der Grundschrift<br />

Forschung<br />

Wolfgang Menzel<br />

Plädoyer für eine Schrift<br />

ohne normierte Verbindungen<br />

Seit Ende der 60er Jahre befasse<br />

ich mich mit Ausgangsschriften<br />

und Schriften der Schüler. Anlass<br />

war, dass ich zu der Fibel von Dietrich<br />

Pregel den Schreiblehrgang entwickelt<br />

hatte – natürlich in Lateinischer Ausgangsschrift,<br />

obwohl die Fibel selbst<br />

eine der ersten war, die nur in Druckschrift<br />

erschien. Das Schreibenlernen<br />

war zu dieser Zeit noch eine Sache für<br />

sich; es begann mit dem Malen von Girlanden<br />

und Arkaden – sozusagen dem<br />

Verbinden von Buchstabenelementen,<br />

noch ehe die Buchstaben selbst, einige<br />

Wochen danach, gelernt wurden.<br />

Später war ich Mitprüfer bei der<br />

Doktorprüfung von Heinrich Grünewald<br />

und musste mich dadurch mit<br />

der Vereinfachten Ausgangsschrift<br />

befassen. In Diskussionsrunden im<br />

Pelikan-Schreibkreis wurde ich zwar<br />

davon überzeugt, dass die Vereinfachte<br />

Ausgangsschrift einen gewissen<br />

Fortschritt gegenüber der Lateinischen<br />

Ausgangsschrift darstellte, da sie<br />

Buchstaben für Buchstaben, also analytischer,<br />

geschrieben werden konnte;<br />

ich kritisierte aber dort bereits, dass<br />

auch diese Schrift die »Verbundenheit«<br />

als wesentliches Kriterium beibehielt.<br />

Was hat man sich nicht alles einfallen<br />

lassen, um den hochfrequenten Buchstaben<br />

des kleinen s in einem Wort in<br />

Lateinische Ausgangs-Druckschrift (Menzel 1975)<br />

die durchgehende Schreibspur einzufädeln:<br />

statt Anstrich in der LA nun<br />

Schleifchen in der VA – beim Doppel-s<br />

zwei Schleifchen! Es wurde dadurch<br />

eigentlich nur schlimmer, da gerade<br />

die Wörter mit mehreren s rasch in<br />

Verformungen gerieten und beim Dekodieren<br />

dann der Lehrerin manche<br />

Rätsel aufgaben. Dabei ist doch das s<br />

ohne Zweifel kein schwer zu realisierender<br />

Buchstabe, wenn man nicht<br />

daran geht, ihn in<br />

jedes Wort kunstvoll<br />

einzuhäkeln,<br />

statt ihm das Recht<br />

auf seine Urform<br />

zu belassen. Und so<br />

ist es manchen an­<br />

Es ist ein Vorurteil,<br />

dass Schreiben ein<br />

Vorgang der Verbindung<br />

von Buchstaben sei.<br />

deren Buchstaben<br />

gegangen: dem »Köpfchen-e« und dem<br />

»Schleifen-z«, dem »gespreizten t« usw.<br />

Alles unter dem Zwang der Beibehaltung<br />

einer Schrift, deren Wörter wie in<br />

einem Strickmuster in einem Zuge und<br />

wie mit einem durchgehenden Fädchen<br />

gestrickt werden mussten. Verständlich<br />

war das Ganze damals wohl aus<br />

dem ungebrochenen Vorurteil und den<br />

sich daraus ergebenden Richtlinienforderungen<br />

heraus, Schreiben sei ein<br />

Vorgang der Verbindung von Buchstaben<br />

– zumindest müsse man das einer<br />

Schulschrift ansehen.<br />

Gemeinsam mit Jürgen Baumann<br />

gab ich dann »Die Fibel« heraus, in der<br />

wir von einer Erstschrift in Druckbuchstaben<br />

ausgingen, damit die Schüler das<br />

Lesen und Schreiben in Verbindung<br />

miteinander lernen konnten. Die Richtliniensituation<br />

in Niedersachsen und<br />

Bayern machte dies bereits möglich; in<br />

einigen anderen Bundesländern wurde<br />

daraufhin eine »Ausgangsdruckschrift«<br />

zugelassen, doch immer noch mit der<br />

Forderung, dass im<br />

2. Schuljahr eine der<br />

verbundenen Schriften<br />

gelernt werden müsse.<br />

Wirkliches Schreiben<br />

verstand man damals<br />

immer noch als verbundenes<br />

Schreiben;<br />

das unverbundene Schreiben als »Drucken«<br />

müsse überwunden und in ein<br />

sog. »flüssiges« Schreiben (was immer<br />

man darunter verstand) überführt werden.<br />

In kleinen Forschungsunternehmungen<br />

an der Universität untersuchten wir<br />

dann die Schriften von Kindern und<br />

Studierenden, wobei wir die besondere<br />

Aufmerksamkeit auf sog. »unverbundene«<br />

Schriften richteten. Wir legten<br />

Schriftsammlungen an und befragten<br />

die Schreiber der Schriften. Zu unserer<br />

Überraschung erhielten wir wiederholt<br />

die Auskunft, dass die Schreibenden<br />

diese unverbundenen Schriften gewählt<br />

hatten, weil sie damit »schneller« schreiben<br />

könnten. Die Lesbarkeit war also<br />

gar nicht ihr Kriterium, obwohl kein<br />

Zweifel bestand, dass diese Schriften allesamt<br />

besonders gut lesbar waren.<br />

Unsere Frage war: Wie kommt eine<br />

Schrift zustande, die besonders gut lesbar<br />

ist (das wesentliche Kriterium einer<br />

Schrift unter kommunikativem Aspekt)<br />

– und zugleich dem Kriterium der<br />

»Geläufigkeit« (oder »Unverkrampftheit«,<br />

meinetwegen auch mit der missverständlichen<br />

Metapher »Flüssigkeit«<br />

umschrieben, jedenfalls in einer gewissen<br />

individuellen Geschwindigkeit) gerecht<br />

wird. Wir haben mit Studierenden<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

23


Aus Praxis: der Grundschrift<br />

Forschung<br />

und Lehrenden in der Lehrerfortbildung<br />

erprobt, wie rasch sie kleine Texte<br />

in unverbundener Schrift schreiben<br />

können, und wir erfuhren dabei, dass<br />

selbst Ungeübte nach einigen Versuchen<br />

nahezu genauso schnell »drucken«<br />

konnten wie verbunden schreiben.<br />

Die Aufmerksamkeit richtete sich<br />

auch auf unverbundene Alltagsschriften<br />

Erwachsener. Dabei ermittelten wir<br />

die in diesen Schriften sichtbaren »Lücken«<br />

zwischen einzelnen Buchstaben,<br />

die von einem Buchstaben bzw. von einer<br />

Buchstabengruppe zu einer anderen<br />

»übersprungen« worden sind. Es stellte<br />

sich heraus, dass die meisten Wörter<br />

von solchen Lücken bestimmt sind. Einige<br />

Buchstaben werden zwar fast immer<br />

miteinander verbunden, aber es<br />

sind in der Regel nicht mehr als zwei<br />

oder drei. Selbst in einem Wort wie »Referat«<br />

fanden sich durchschnittlich zwei<br />

bis drei »Sprungstellen«. Viele Einzelbuchstaben<br />

können auch in Schriften,<br />

die sich noch so verbunden darstellen,<br />

ohne »Sprungstelle« gar nicht realisiert<br />

werden, wie manche Großbuchstaben<br />

(T, B, …) oder die Kleinbuchstaben mit<br />

i- und Umlautpunkten bzw. mit t- oder<br />

f-Strichen. Es besteht also viel<br />

mehr Bewegung ohne sichtbare<br />

Schreibspur in einer Handschrift,<br />

als wir beim Lesen erkennen,<br />

selbst wenn wir eine Schrift als<br />

extrem verbunden klassifizieren.<br />

Was sich also auf dem Papier<br />

auf den ersten Blick wie eine verbundene<br />

Schrift liest, ist durchaus nicht<br />

dem absoluten Kriterium der Verbundenheit<br />

beim Schrei ben unterworfen,<br />

auch nicht beim offenbar raschen und<br />

flüssigen Schreiben. Unsere Schlussfolgerung<br />

war: Es gibt eigentlich keine<br />

»verbundenen« und »unverbundenen«<br />

Schriften, sondern nur Schriften mit<br />

oder ohne auf dem Papier realisierte<br />

Schreibspuren. Die »Sprünge« zwischen<br />

den Einzelbuchstaben eines Wortes<br />

sind, ebenso wie die gespurten Verbindungslinien,<br />

ebenfalls als Schreibbewegungen<br />

anzusehen, nur dass sie eben<br />

keine Spur hinterlassen. Die »Geläufigkeit«<br />

einer Schrift steht dem Überspringen<br />

(also einer Bewegung ohne Schriftspur)<br />

nicht entgegen. Im Gegenteil<br />

– wie die Physiologen wissen: An dieser<br />

»Leerstelle« ohne Schriftspur entspannt<br />

die Schreibmuskulatur für kurze Zeit;<br />

das Schreiben wird entspannter.<br />

Was die Verbindungslinien zwischen<br />

den Buchstaben betrifft (-en…, -er…,<br />

-el… usw.), so werden diese spätestens<br />

im 4. Schuljahr ohnehin individuell unterschiedlich<br />

realisiert. Bei unverbundenen<br />

Schriften in höheren Schuljahren<br />

Es gibt eigentlich keine »verbundenen«<br />

und »unverbundenen« Schriften,<br />

sondern nur Schriften mit oder ohne<br />

auf dem Papier realisierte Schreibspuren.<br />

und bei Erwachsenen sind die Teilverbindungen<br />

ebenfalls sehr unterschiedlich.<br />

Es hat sich gezeigt, dass Texte in<br />

unverbundenen Schriften individuell<br />

so unterschiedlich sind wie solche, die<br />

ursprünglich eine der Ausgangsschriften<br />

zur Grundlage hatten. Die Lesbarkeit<br />

unverbundener Schriften wurde<br />

insgesamt besser beurteilt. Die Begriffe<br />

»Druckschrift« und »Schreibschrift«<br />

wurden in unseren Untersuchungen<br />

Wolfgang Menzel<br />

ist emeritierter Professor der Universität Hildesheim.<br />

Er befasste sich in vielen Veröffentlichungen und hochschulischen<br />

Veranstaltungen mit den Ausgangsschriften der Schüler.<br />

Noch heute begleitet er Schulen bei Schulversuchen mit unverbundenen<br />

Ausgangsschriften und hält Vorträge darüber in der<br />

Lehrerfortbildung.<br />

fortan als untauglich für die Beschreibung<br />

dessen, was sich beim Schreiben<br />

vollzieht, aufgegeben. Von Hand geschriebene<br />

Alltagsschriften sind eben<br />

nicht gedruckt; sie sind mit oder ohne<br />

gespurte Bewegungslinien geschrieben.<br />

Eine Normierung von Buchstabenverbindungen<br />

– und damit das Erlernen<br />

einer der verbundenen Ausgangsschriften<br />

– stellt heute meiner Überzeugung<br />

nach in der Schule einen Umweg dar<br />

(ganz abgesehen von mancherlei Nachteilen<br />

in den Bewegungsvollzügen dieser<br />

Schriften, die zu vielerlei Zierrat<br />

und Verformungen neigen). Das besagt<br />

allerdings nicht, dass jedes Kind aus<br />

den vorgegebenen Formen seine eigene<br />

Schrift entwickeln sollte, da<br />

es auch hierbei mancherlei Irrwege<br />

gehen kann. So haben wir<br />

beobachtet, dass Kinder, wenn<br />

man ihnen lediglich die Form<br />

des kleinen b vorgibt, diese in<br />

mancherlei verschiedene Bewegungen<br />

»übersetzen«: (1a)<br />

Sie beginnen mit einem Abstrich von<br />

oben auf die Grundlinie nach unten<br />

– oder (1b) mit einem Aufstrich von<br />

der Grundlinie nach oben. (2a) Sie beginnen<br />

den »Bauch« des b in der Mitte<br />

des Senkrechtstriches – oder (2b) am<br />

unteren Ende des Abstrichs nach oben.<br />

Das ergibt die vier am häufigsten auftretenden<br />

Bewegungsarten. Kommt<br />

noch hinzu, dass sie mit dem »Bauch«<br />

des b überhaupt beginnen, was auf weitere<br />

Realisierungsmöglichkeiten hinausläuft;<br />

diese Fälle sind aber selten.<br />

Bewegungsökonomisch ist jedoch nur<br />

eine der Möglichkeiten (1a – 2a), nämlich<br />

Abstrich von oben auf die Grundlinie<br />

und Bogen von der Abstrichmitte<br />

nach unten zum Abstrichende. Das ist<br />

in Folgendem begründet: Die Reihenfolge<br />

der Teilbewegungen muss sich<br />

in der Schreibrichtung von links nach<br />

rechts vollziehen, und: Abstrichbewe-<br />

24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Aus der Grundschrift<br />

Forschung<br />

gungen (Beugung des Muskels) haben<br />

Vorrang vor Aufstrichbewegungen<br />

(Streckung), da Beugungsbewegungen<br />

zielgerichteter ausgeführt werden können.<br />

Dies gilt grundsätzlich für alle<br />

Buchstaben – welcher Schriftart auch<br />

immer (und übrigens auch für Zahlen).<br />

Und diese Bewegungen<br />

müssen im Anfangsunterricht<br />

gelernt und<br />

geübt werden. In neueren<br />

Schreiblehrgängen<br />

wird dies auch getan.<br />

Entscheidend ist für<br />

eine jede mehr oder<br />

weniger verbundene Schrift, dass die<br />

Abstände zwischen den Einzelbuchstaben<br />

deutlich geringer sind als die zwischen<br />

den Wörtern. Dies spielte auch in<br />

der Frühzeit der Entwicklung der Kurrent,<br />

als man noch ohne Wortabstände<br />

schrieb, dann die entscheidende Rolle.<br />

Wörter in »in einem Zuge« zu schreiben<br />

war dabei (schon wegen der Schreibgeräte)<br />

von untergeordneter Bedeutung<br />

und ist in der Geschichte der Schrift<br />

zunächst als eine besondere Kunstfertigkeit<br />

angesehen worden, die besonderer<br />

Übung bedurfte (siehe die »Roundhand«<br />

für Schmuckblätter, Einladungen<br />

und Glückwünsche). Dass sich aus eben<br />

dieser Schmuckschrift eine Schulschrift<br />

für Kinder entwickelte, ist sicher nicht<br />

im Hinblick auf Kommunikation zu<br />

verstehen; denn diese ersten Vorgänger<br />

der Lateinischen Ausgangsschrift waren<br />

schwer lesbar. Und es basiert natürlich<br />

auch nicht auf schreibphysiologischen<br />

Untersuchungen. Erklärungen dafür<br />

könnten sein, dass<br />

Schreiberziehung<br />

Kinder brauchen eine<br />

individuelle Gebrauchsschrift,<br />

die auf Leserlichkeit<br />

angelegt ist.<br />

zunächst als eigenständige<br />

Disziplin<br />

angesehen wurde,<br />

in der es tatsächlich<br />

mehr um Kunstfertigkeit,<br />

Ordnung,<br />

Sauberkeit usw., später dann übrigens<br />

auch um »Ganzheitlichkeit« ging als<br />

um ökonomische und praktische Dinge.<br />

Ein Beleg dafür ist, dass sich das<br />

»Schönschreiben« bis über die Mitte<br />

des 20. Jahrhunderts hinaus als eigene<br />

Übung gehalten hat.<br />

Dass das Lesen und Schreiben im<br />

Anfangsunterricht gemeinsam und<br />

miteinander korrespondierend gelernt<br />

werden, ist heute Konsens. Ob als<br />

» Lesen durch Schreiben« oder »Schreiben,<br />

was man lesen kann«, ist für unser<br />

Thema unerheblich. Wichtig ist jedoch<br />

(siehe oben), dass jeder Einzelbuchstabe<br />

in seiner Bewegungsform erlernt wird.<br />

Vom 2. Schuljahr an sollte es den Schülern<br />

überlassen sein, ob sie Verbindungen<br />

von Buchstabe zu Buchstabe mit<br />

oder ohne Schreibspur realisieren wollen.<br />

Zu lernen ist allerdings, dass sich<br />

die Lücken zwischen den Buchstaben<br />

deutlich von denen zwischen ganzen<br />

Wörtern unterscheiden. Schriften von<br />

Kindern, die von Anbeginn an unverbunden<br />

zu schreiben gelernt haben,<br />

zeigen häufig, dass auf den Unterschied<br />

zwischen Buchstaben- und Wortlücken<br />

beim Lehren und Lernen nicht die rechte<br />

Aufmerksamkeit gerichtet worden<br />

ist. Ein Lehrgang im Schreiben ohne<br />

genormte Verbindungen zwischen den<br />

Buchstaben aber (also ohne Einführung<br />

einer Ausgangsschrift), der die<br />

Aufgaben eines Schreiblehrgangs ernst<br />

nimmt, führt, wie ich erst kürzlich<br />

wieder an zwei großen Schulen durch<br />

meine Begleitung feststellen konnte, zu<br />

vorzüglichen Ergebnissen gut lesbarer<br />

und geläufig schreibbarer Schriften im<br />

3. und 4. Schuljahr.<br />

Die Lehrplan- und Schulbuchsituation<br />

macht Hoffnung: Für viele Bundesländer<br />

werden von den Verlagen<br />

Arbeitshefte für Schüler kaum noch<br />

mit den Vorlagen von LA, VA oder SAS<br />

ausgegeben bzw. von den Lehrkräften<br />

angefordert. Das macht deutlich, dass<br />

den Schülerinnen und Schülern vom<br />

2./3. Schuljahr an das Schreiben, in<br />

welcher Schrift auch immer, in solchen<br />

Materialien freigestellt ist. Damit können<br />

wir davon ausgehen, dass es den<br />

Kindern nach dem Erlernen der Schrift<br />

überlassen bleibt, eine individuelle<br />

Gebrauchsschrift zu schreiben, die auf<br />

Leserlichkeit angelegt ist und sich mehr<br />

oder minder realisierter Schreibspuren<br />

innerhalb von Wörtern bedient. Der<br />

Trend weg von genormten verbundenen<br />

Schriften ist erkennbar.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

25


Aus Praxis: der Grundschrift<br />

Forschung<br />

Christina Mahrhofer-Bernt<br />

Schreibenlernen mit der Hand:<br />

Populäre Mythen und Irrtümer<br />

Gesammelte Erfahrungswerte, die das eigene Handeln als positiv und erfolgreich<br />

bestätigen, bilden die Grundlage für unser Erfahrungswissen. Das Erfahrungswissen<br />

ist grundsätzlich eine wichtige Ergänzung unseres Fachwissens,<br />

um unser professionelles Handeln zu einer Kompetenz werden zu lassen. Dies<br />

zeigt sich auch im Schreibunterricht. Im Studium erworbene Modelle und Konzepte<br />

zum (Lesen- und) Schreibenlernen konkretisieren sich erst im Umgang<br />

mit dem Schüler. Der Erfolg, sprich das erfolgreich Schreiben lernende Kind<br />

bestätigt mein Handeln als Lehrende und mein für dieses Kind ausgewähltes<br />

Lernangebot. Je häufiger diese Bestätigung erfolgt, desto mehr festigen sich<br />

damit verbundene Annahmen, das spezielle Lernangebot führe immer wieder<br />

zum Erfolg, sprich, bringe viele, wenn nicht alle Kinder zum Schreibenlernen.<br />

Mein zukünftiges Handeln wird dann bestimmt durch das vorhandene theoretische<br />

Fachwissen in Kombination mit dem Erfahrungswissen aus der Unterrichtspraxis.<br />

In allen Handlungskontexten, in denen<br />

Erfahrungswissen eine große<br />

Rolle spielt, halten sich auch populäre<br />

Mythen und Irrtümer hartnäckig.<br />

Mythen ergeben sich aus Hypothesen,<br />

die sich in weiten Teilen einer Personengruppe<br />

durchgesetzt haben und<br />

weithin durch mündliche Überlieferung<br />

entstanden sind. Diese Annahmen<br />

finden in der betreffenden Personengruppe<br />

breite Akzeptanz und werden in<br />

das eigene Alltagshandeln integriert. Es<br />

handelt sich dabei nicht um episodenartige<br />

Meinungen, sondern vielmehr<br />

um durch vermeintliches Faktenwissen<br />

untermauerte Erklärungsversuche. Die<br />

überlieferten Inhalte sind in der Regel<br />

nicht theoretisch bestätigbar, richten<br />

aber keinen größeren Schaden an. Irrtümer<br />

hingegen beziehen sich auf tatsächlich<br />

faktisch falsche Annahmen<br />

und Meinungen. Der die falsche Annahme<br />

oder Meinung Äußernde ist dabei<br />

von der Richtigkeit seiner Äußerung<br />

überzeugt. Problematisch ist im Falle<br />

des Irrtums die tatsächliche Fehlerhaftigkeit<br />

des vermittelten Inhaltes, was je<br />

nach Handlungsfeld zu gravierenden<br />

Konsequenzen führen kann. Durch<br />

wissenschaftliche Betrachtung der zugrunde<br />

liegenden Aussagen ist es häufig<br />

möglich, diese sich hartnäckig haltenden<br />

Annahmen zu widerlegen oder sogar<br />

Irrtümer aufzuklären.<br />

Auch im Schreibunterricht existieren<br />

derartige Missverständnisse mit einer<br />

großen Beständigkeit. Im Nachfolgenden<br />

wird der Versuch unternommen,<br />

einige speziell auf das Schreibenlernen<br />

mit der Hand bestehende populäre<br />

Mythen oder Irrtümer auf ihren Sachgehalt<br />

hin zu überprüfen und unter<br />

wissenschaftlicher Perspektive neu zu<br />

reflektieren.<br />

Aus neurowissenschaftlicher Sicht<br />

bedeutet das Schreiben mit der Hand<br />

den Ablauf routinierter graphomotorischer<br />

Bewegungen. Mai & Mitarbeiter<br />

(1991, 1997, 1998) deckten bereits vor<br />

längerer Zeit in der neurologischen Rehabilitation<br />

eine Reihe von Faktoren<br />

auf, die die Flüssigkeit von Schreibbewegungen<br />

begünstigen können. So zeigte<br />

sich, dass routinierte Schreiber deutlich<br />

vereinfachte Buchstabenformen ähnlich<br />

der Druckbuchstabenformen auch<br />

beim verbundenen Schreiben wählen.<br />

Sie verbinden nie mehr als zwei bis drei<br />

Buchstaben, ehe sie beim Absetzen ihre<br />

Handmuskulatur entspannen. Computergestützte<br />

Schreibanalysen machten<br />

sichtbar, dass bevorzugt Buchstaben<br />

zusammengeschrieben werden, die verbunden<br />

schneller zu produzieren sind.<br />

Vor Linksovalen hingegen setzen die<br />

meisten Schreiber ab, da dies zu einem<br />

schnelleren Verschriften führt (vgl. Mai<br />

& Marquardt 1989, S. 91f.).<br />

Übertragen auf den Schreibunterricht<br />

lassen sich schreibbewegungsförderliche<br />

Prinzipien wie folgt zusammenfassen<br />

(vgl. Mahrhofer 2004, S. 108):<br />

●● Buchstabenformen sollten systematisch<br />

vereinfacht und als Ausgangsformen<br />

bzw. Richtformen angeboten werden.<br />

Eine individuelle Abwandlung<br />

unter dem Prinzip der Formklarheit<br />

und Formkonstanz ist möglich.<br />

●● Beim Übergang zur verbundenen<br />

Schrift sind je nach Formkategorie unterschiedliche<br />

Verbindungen möglich,<br />

um den individuellen Bewegungsprogrammen<br />

der Schreiben lernenden Kinder<br />

entgegenzukommen.<br />

●● Individuelle Möglichkeiten des Absetzens<br />

bzw. des Ausführens von Luftsprüngen<br />

reduzieren die Anspannung<br />

der Handmuskulatur und erleichtern<br />

die Bewegungsausführungen.<br />

●● Ein Wegfall einschränkender Lineaturen<br />

bzw. weniger strenge Einhaltung<br />

vorgegebener Lineaturen unterstützt<br />

flüssige Ausführungen der Schreibbewegungen.<br />

●● Nachspurübungen und andere Übungen,<br />

die den Bewegungsfluss behindern,<br />

sollten weggelassen werden.<br />

●● Eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen<br />

Lineaturen, Schreibgrößen,<br />

Schreibmaterialien und Stifthaltungen<br />

kommt den individuellen Bewegungsbedürfnissen<br />

weitmöglichst entgegen.<br />

Vor dieser schreibmotorisch grundlegenden<br />

wissenschaftlichen Theorie sind<br />

einige populäre Mythen oder Irrtümer<br />

(im Weiteren durch gekennzeichnet)<br />

im Schreibunterricht auf ihre Belastbarkeit<br />

hin zu überprüfen.<br />

Handgeschriebene Druckschrift<br />

1) ist uniform. <br />

Überlegungen zur Uniformität handgeschriebener<br />

Schriften im schulischen<br />

Feld stehen eng im Zusammenhang<br />

1) Druckschrift steht im vorliegenden Text<br />

für die in der Schule vermittelte Schriftform<br />

der Gemischtantiqua. Der Begriff impliziert<br />

nicht die damit früher oft assoziierte Form<br />

des Schreibens als ein Prozess des Druckens<br />

von Buchstaben. Auch ein Druckbuchstabe<br />

wird mittels einer Schreibbewegung produziert.<br />

26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Aus der Grundschrift<br />

Forschung<br />

mit Forderungen zu einer Anpassung<br />

an die Ausgangsschrift als Normschrift.<br />

So sollten alle Schüler zu einer<br />

einheitlichen Handschrift hingeführt<br />

werden, die mit der Ausgangsschrift<br />

im Sinne einer Norm möglichst weitgehend<br />

übereinstimmt. Berücksichtigt<br />

man hingegen den schreibmotorischen<br />

Lernprozess bei Schreibanfängern,<br />

spielen die zu lernenden Buchstaben<br />

eine bedeutsame Rolle sowohl in ihrer<br />

Formgestaltung wie auch ihrer Präsentation<br />

als Ausgangsform. Die Diskussion<br />

der 80er Jahre um den Einsatz von<br />

Druck- und/oder Schreibschrift wägte<br />

optisch-analytische Vorteile gegenüber<br />

damaligen schreibmotorischen Aspekten<br />

ab. Die Vertrautheit der Gemischtantiqua<br />

in der Alltagswelt der Kinder,<br />

ihre ersten eigenen Verschriftungen<br />

im häuslichen Bereich und der Zugang<br />

zum Lesen über das Schreiben machen<br />

die Druckschrift für den Anfangsunterricht<br />

unersetzlich. Wie nachfolgend<br />

noch zu lesen sein wird, ist eine Weiterführung<br />

der Druckschrift in eine Form<br />

der verbundenen Schrift in einem zweiten<br />

Schritt von Vorteil, um individuelle<br />

bewegungsökonomische Prinzipien<br />

für den Schreiber nutzbar zu machen.<br />

Will man die Druckschrift in eine Art<br />

verbundene Schrift überführen, rückt<br />

die Form erneut in den Mittelpunkt des<br />

Interesses. Der Erwerb von Bewegungsabläufen<br />

für einen Buchstaben bedeutet<br />

schreibmotorisch den Erwerb eines motorischen<br />

Programmes. Das motorische<br />

Programm wird schrittweise erarbeitet,<br />

verinnerlicht und durch Übung und<br />

Wiederholung automatisiert. Dieser<br />

Prozess der Automatisierung erfolgt<br />

bei jedem Schreiber individuell. Es<br />

kommt zu einem individuellen motorischen<br />

Programm, das zu einer flüssigen<br />

Ausführung auf dem Papier führt. Die<br />

flüssige Ausführung auf dem Papier impliziert<br />

beim routinierten erwachsenen<br />

Schreiber eine gewisse Individualität in<br />

der Buchstabenausführung – die Leserlichkeit<br />

dieser Ausführungen reicht von<br />

leserlich bis schwer identifizierbar. In<br />

der Unterrichtspraxis wird dem Schüler<br />

diese Individualität nicht gewährt. Er<br />

hat eine weitgehend normierte Schrift<br />

zu produzieren, unabhängig von seinen<br />

individuellen Bewegungskompetenzen<br />

und Schreibgewohnheiten. Durch die<br />

Forderung, Normvorgaben einzuhalten,<br />

wird der Schüler immer wieder dazu angehalten,<br />

sein persönliches motorisches<br />

Programm zu korrigieren und auf die<br />

normierte Buchstabenvorlage hin abzustimmen.<br />

Steht jedoch die individuelle<br />

motorische Schreibentwicklung des<br />

Schülers im Vordergrund, wird die Uniformität<br />

im Sinne einer bei allen gleich<br />

aussehenden Schrift nachrangig. Ein<br />

Zulassen des Abwandelns ist vonnöten,<br />

bei dem der Schüler die Buchstabenformvorgabe<br />

im Unterricht übernimmt<br />

und nach seinem eigenen Schreibhabitus<br />

unter der Prämisse der Formklarheit<br />

und Formkonstanz abwandeln darf. Da<br />

dies im Schreibunterricht passiert, bleiben<br />

das Kriterium der Leserlichkeit und<br />

der reflektierte Schreibzweck weiterhin<br />

Kriterien zur Einschätzung, Bewertung<br />

und Korrektur des Buchstabens.<br />

Druckschrift und Schreibschrift<br />

sind voneinander unabhängige<br />

Schriften.<br />

Macht man sich Gedanken um die Weiterführung<br />

der Druckschrift in eine verbundene<br />

Schriftform, so sollte bei der<br />

Einführung der Druckschriftformen<br />

dies bereits mitgedacht werden. Da der<br />

Erwerb einer Buchstabenform den Aufbau<br />

eines motorischen Programmes bedeutet,<br />

macht es Sinn, die Buchstabenform<br />

in der verbundenen Schreibweise<br />

beizubehalten. Die Weiterentwicklung<br />

zu einer wie auch immer gearteten<br />

Verbindung mit anderen Buchstaben<br />

erfordert eine Weiterentwicklung des<br />

vorhandenen motorischen Programmes.<br />

Die Aneignung eines völlig neu<br />

gearteten »Schreibschrift«-Buchstabens<br />

hingegen würde den Aufbau eines völlig<br />

neuen motorischen Programmes<br />

bedeuten. Ein Schreibunterricht, der<br />

zu einer Form von verbundener Schrift<br />

führen will, muss dies bereits bei der<br />

Einführung der Druckbuchstaben in<br />

Form und Bewegung berücksichtigen.<br />

Schreibschrift heißt verbundene<br />

Schrift. Handgeschriebene<br />

Druckschrift heißt unverbundene<br />

Schrift.<br />

Das Gleichsetzen von Schreibschrift mit<br />

Verbundenheit und handgeschriebener<br />

Druckschrift mit Unverbundenheit<br />

ist eine schon immer unhinterfragte<br />

Grundannahme des Schreibunterrichts.<br />

Doch mögen uns das Auge und die<br />

Schreibspuren auf dem Papier möglicherweise<br />

täuschen. Mittels moderner<br />

computergestützter Aufnahme- und<br />

Analysemöglichkeiten von Schreibbewegungen<br />

lässt sich sehr gut veranschaulichen,<br />

dass jede Schreibbewegung<br />

in der Luft weitergeführt wird.<br />

Auch wenn der Stift keine Spur auf dem<br />

Papier hinterlässt, führt die Hand die<br />

Bewegung in der Luft fort. Eine verbindende<br />

Bewegung besteht also auch,<br />

wenn auf dem Papier keine durchgehende<br />

Strichspur zu sehen ist. Entsprechend<br />

könnten unverbundene Druckbuchstaben<br />

als in der Luft verbundene<br />

Schriftzeichen verstanden werden. Die<br />

Abgrenzung zwischen verbundenen<br />

und unverbundenen handgeschriebenen<br />

Schriften ist vor dem Hintergrund<br />

der Schreibbewegungsregistrierung mit<br />

modernen technischen Möglichkeiten<br />

also eher als eine Art vereinfachte Formulierung<br />

zu verstehen, die lediglich<br />

auf gemeinsamen Konventionen beruht<br />

und eine Abgrenzung zu schaffen sucht,<br />

die künstlicher Natur ist. Gleichzeitig<br />

führt uns der Luftsprung zu einem<br />

nächsten Mythos, der in den Köpfen der<br />

Lehrkräfte fest verankert ist.<br />

Verbundenheit ist das<br />

über geordnete Prinzip einer<br />

schnellen und flüssigen Handschrift.<br />

Aus graphomotorischer Sicht ist der<br />

Luftsprung – und gleichsam das Absetzen<br />

an geeigneten Punkten innerhalb<br />

eines Buchstabens – neu zu bewerten.<br />

Ging man lange Zeit davon aus, dass<br />

das Absetzen und die Luftsprünge beim<br />

Schreiben den Bewegungsfluss unterbrechen,<br />

weisen uns die Ergebnisse von<br />

Mai et al. (1991 ff.) einen neuen Weg<br />

der Auslegung. Je ungeübter eine Hand<br />

beim Schreiben ist, desto kontrollierter<br />

wird die Schreibbewegung ausgeführt.<br />

Die Anspannung der Handmuskulatur<br />

nimmt in kürzester Zeit deutlich zu.<br />

Während des Anhaltens der Bewegung<br />

und noch mehr während eines Luftsprunges,<br />

beides oft nur von Dauer einiger<br />

Millisekunden, bietet sich der am<br />

Schreiben beteiligten Handmuskulatur<br />

die Möglichkeit zu entspannen, ehe die<br />

Schreibspur weiter auf das Papier produziert<br />

wird. Schreibmotorisch günstiger<br />

ist demnach gerade für Schreibanfänger<br />

eine Schrift, die Entspannung<br />

durch Absetzen oder Luftsprünge zulässt.<br />

Ein übergeordnetes Prinzip der<br />

Verbundenheit würde dem entgegenwirken.<br />

Weitergehend bestätigt sich das<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

27


Aus Praxis: der Grundschrift<br />

Forschung<br />

Prinzip der Verbundenheit auch nicht<br />

bei der computergestützten Analyse<br />

routinierter Erwachsenenschriften, die<br />

nachweislich schnell und flüssig produziert<br />

wurden, wie bereits weiter oben zu<br />

lesen war.<br />

Handgeschriebene Druckschrift<br />

ist verkrampft und führt zu<br />

erhöhtem Schreibdruck.<br />

Der Fokus auf Entspannung und Anspannung<br />

der Handmuskulatur führt<br />

uns zur Reflexion der häufigen Annahme,<br />

handgeschriebene Druckschrift<br />

führe zu Verkrampfungen und erhöhtem<br />

Schreibdruck. Zum Schreibdruck<br />

lassen sich bisher wenige Studien finden,<br />

die im direkten Zusammenhang<br />

zum Schreibenlernen im schulischen<br />

Kontext und der Schriftform stehen.<br />

Will man Schreibdruck messen, ist zu<br />

berücksichtigen, dass sich Schreibdruck<br />

aus Druck der Finger auf den Stift (auch<br />

als Griffkraft bezeichnet, vgl. Mai &<br />

Marquardt 1989, S. 90) und Druck des<br />

Stiftes auf das Papier zusammensetzt.<br />

Die Komplexität einer damit einhergehenden<br />

Versuchsanordnung führt dazu,<br />

dass die Ergebnisse zum gemessenen<br />

Schreibdruck entweder eingeschränkt<br />

interpretiert bzw. teilweise ganz vernachlässigt<br />

werden. Einige allgemeine<br />

theoretische Überlegungen sind dennoch<br />

zu berücksichtigen. Grundsätzlich<br />

steigt der Schreibdruck mit der Länge<br />

der verbundenen Schreibspur. Ein Absetzen<br />

nach zwei bis drei verbundenen<br />

Buchstaben reduziert die Muskelanspannung<br />

und entsprechend auch den<br />

Schreibdruck (vgl. Mai & Marquardt<br />

1998, S. 91). Druckschrift führt durch<br />

die häufige Möglichkeit des Absetzens<br />

entgegen der oben formulierten mythischen<br />

Annahme eher zu einer weniger<br />

angespannten Schreibhaltung mit weniger<br />

Schreibdruck. Die im Schreibunterricht<br />

zu beobachtenden Verkrampfungen<br />

und erhöhten Schreibdruckbeispiele<br />

lassen sich auf den motorischen Schreiblernprozess<br />

zurückführen. Während ein<br />

Schüler sich den Bewegungsablauf für<br />

einen neu zu lernenden Buchstaben aneignet,<br />

führt er seine Bewegungen langsam<br />

und kontrolliert aus. Die bemühte<br />

Kontrolle um die noch ungewohnte<br />

neue Schreibbewegung führt zu einer<br />

Verkrampfung der Handmuskulatur<br />

und zu einem erhöhten Schreibdruck.<br />

Der erhöhte Schreibdruck steht somit<br />

in enger Verbindung mit der Kontrolle<br />

der Schreibbewegung und erst in<br />

zweiter Linie mit der Komplexität der<br />

zu erlernenden Buchstabenform. Die<br />

Druckschrift an sich wirkt dem durch<br />

ihre unterbrochene Schreibspur eher<br />

entgegen.<br />

Verbindung auf dem Papier<br />

macht das Schreiben schneller.<br />

Eine derart allgemeine Formulierung<br />

fordert zu einer differenzierteren Interpretation<br />

aus graphomotorischer<br />

Perspektive auf. Nicht alle bisher in der<br />

Schule vermittelten Verbindungen in<br />

einer Schreibschrift unterstützen die<br />

Schreibschnelligkeit bei Erwachsenen<br />

und Kindern. In einer Untersuchung<br />

von Mai (1991) verglich der Autor zum<br />

einen die Schreibgeschwindigkeit von<br />

verschieden ausgeführten Buchstabenformen<br />

und die Verbundenheit.<br />

Mai schlussfolgert, dass Druckschriftähnliche<br />

Buchstabenformen für eine<br />

schnelle Schrift nicht durchgängig zu<br />

empfehlen sind. »Unter dem Aspekt der<br />

Bewegungsoptimierung ist eine Druckschrift<br />

nicht generell vorzuziehen. Manche<br />

Buchstaben lassen sich verbunden<br />

schneller schreiben als die abgesetzten<br />

Buchstaben« (Mai 1991, S. 16). Bei anderen<br />

Buchstaben ergibt sich durch das<br />

Absetzen ein Geschwindigkeitsvorteil.<br />

Dies ist vor allem dann der Fall, wenn<br />

durch die Verbindung zweier ungünstiger<br />

Buchstabenformen ein Drehrichtungswechsel<br />

in der Schreibbewegung<br />

Dr. Christina Mahrhofer-Bernt<br />

ist Sonderschullehrerin und Sonderpädagogin M.A.<br />

Das Projekt LufT – Lockere und flüssige Textproduktion leitete<br />

sie zusammen mit Prof. Dr. Angelika Speck-Hamdan an der<br />

Universität München.Von 1997 bis 2002 war sie wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin an den Universitäten München, Erlangen-<br />

Nürnberg und Bamberg. Seit 2002 ist sie als Sonderschullehrerin<br />

tätig und arbeitet gegenwärtig am Sonderpädagogischen<br />

Förderzentrum Landshut-Land in der Primarstufe.<br />

oder ein Deckstrich ausgeführt werden<br />

müsste.<br />

Schräggeneigte Schriften<br />

lassen sich schneller und<br />

flüssiger ausführen.<br />

Um den Wechsel zur Schreibschrift einfacher<br />

zu gestalten, gibt es eine Vielzahl<br />

von Lehrgängen, in denen Buchstabenformen<br />

und -verbindungen eingeübt<br />

werden. Häufig wird eine Schrägneigung<br />

der Buchstabenformen ergänzend<br />

empfohlen, die zu einer schnelleren und<br />

flüssigeren Ausführung führen soll. Das<br />

Postulat einer vorteilhafteren Schrägneigung<br />

geht teilweise soweit, dass der<br />

Neigungswinkel der Schrift bis ins Detail<br />

vorgegeben wird. Ebenfalls kursieren<br />

Empfehlungen, nach denen schräggeneigte<br />

Druckschrift-Formen sich auf<br />

den nachfolgenden Erwerb der Schreibschrift<br />

positiv auswirken sollen. Festzuhalten<br />

bleibt: Positive Auswirkungen<br />

einer schräggeneigten Druckschrift auf<br />

die nachfolgende Schreibschrift wurden<br />

nicht empirisch eindeutig nachgewiesen.<br />

In einer Zusammenschau entsprechender<br />

Forschungsansätze (vgl.<br />

Mahrhofer 2004, S. 169 – 171) bleibt die<br />

Diskussion als sehr problematisch mit<br />

wenigen und methodisch nicht eindeutigen<br />

wissenschaftlichen Nachweisen<br />

zu bewerten. Für den Schreibunterricht<br />

lässt sich schlussfolgern, dass<br />

schräggeneigte Druckschriftelemente<br />

im Erstschreibunterricht nicht unbedingt<br />

besser sein müssen. Ein günstigerer<br />

Wechsel zur Schreibschrift lässt<br />

sich ebenso wenig nachweisen wie die<br />

schnellere und flüssigere Ausführung<br />

einer schräggeneigten Schreibschrift.<br />

Zu berücksichtigen sind hierbei auch<br />

die Kinder, die sich einige Buchstaben<br />

im häuslichen Umfeld selbst angeeignet<br />

haben und bei Schuleintritt vertraute<br />

Bewegungsabläufe umlernen müssten.<br />

Im Hinblick auf übergeordnete Kriterien<br />

der Ästhetik und Leserlichkeit einer<br />

Schrift scheint es vielmehr von Bedeutung,<br />

zu einer einheitlichen Schreibform<br />

zu kommen und einen ständigen Wechsel<br />

von links- bzw. rechtsgeneigten und<br />

geraden Buchstaben zu vermeiden.<br />

Für das schreiben lernende Kind<br />

eignen sich für jedes Stadium<br />

bestimmte Schreibgeräte.<br />

Schreiben wird immer im Zusammenhang<br />

mit den Schreibwerkzeugen ste­<br />

28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Praxis: Aus der Grundschrift<br />

Forschung<br />

Dynamischer<br />

Dreifingergriff<br />

hen. Schreibgeräte bestimmen grundlegend<br />

die Art der Schrift und eng damit<br />

verbunden auch die Schreibbewegungen.<br />

Ein Versuch der Kategorisierung<br />

der Vielzahl von Schreibgeräten im<br />

Anfangsunterricht teilt in Bleistifte,<br />

Holzfarbstifte, Wachsmalstifte, Faserstifte,<br />

Füllfederhalter und Kugelschreiber<br />

und Tintenroller ein (vgl. Mahrhofer<br />

2004, S. 120). In der Fachliteratur<br />

hervorgehoben wird seit langer Zeit die<br />

Bedeutsamkeit der Stiftauswahl für das<br />

Gelingen des Schreibenlernens. Häufig<br />

damit einher geht die Empfehlung einer<br />

vorteilhaften Auswirkung von erhöhter<br />

Reibung zwischen Stift und Schreibunterlage<br />

zur Erhöhung der Kontrolle<br />

der zu lernenden Schreibbewegung.<br />

Auch bedacht wird die Wahl des geeigneten<br />

Schreibgerätes im Hinblick auf<br />

eine motorische Schreibentwicklung<br />

des Kindes. Demnach sei ein Bleistift<br />

zu Beginn des Schreibenlernens von<br />

Vorteil zur Kontrolle der Bewegung auf<br />

dem Papier, ein Kugelschreiber oder<br />

Tintenroller aufgrund der fließenden<br />

Schreibart deutlich weniger. Ein Füllfederhalter<br />

wird erst dann empfohlen,<br />

wenn die Hand des Schreibers geübt in<br />

Schreibbewegung und Schreibdruck ist.<br />

Unter schreibmotorischem Blickwinkel<br />

rücken die Gestaltung des Schreibgerätes<br />

und sein Gebrauch in den Vordergrund.<br />

Denn sowohl die Form als auch<br />

der Einsatz des Stiftes wirken sich auf<br />

seine Haltung aus. Ein handelsüblicher<br />

dicker Faserstift wird auf einem auf<br />

dem Tisch liegenden Papier (horizontale<br />

Schreib ebene mit Auflagemöglichkeit<br />

für Hand und Unterarm) anders in die<br />

Hand genommen als beim Schreiben<br />

auf einer Flipchart (vertikale Schreibrichtung<br />

ohne Auflagemöglichkeit).<br />

Im ersteren Falle wird vermutlich der<br />

dynamische Dreifingergriff eingesetzt,<br />

Digital pronate<br />

Stifthaltung<br />

im zweiten bewährt sich bei geübten<br />

Schreibern die digital pronate Haltung<br />

(vgl. Mahrhofer 2004, S. 121). Mit der<br />

Stifthaltung assoziiert werden können<br />

Aspekte wie der Schreibdruck. Nicht<br />

nur der Wunsch nach Kontrolle über<br />

die Schreibspur, die der Stift unterschiedlich<br />

leicht fließend auf dem Papier<br />

hinterlässt, wirkt sich auf einen erhöhten<br />

Schreibdruck aus. Auch die ungewohnte<br />

Form des Stiftes einschließlich<br />

einer mehr oder minder glatten Oberfläche<br />

mit oder ohne Griffmulden kann<br />

zu einer stärkeren Anspannung der<br />

Handmuskulatur führen. »Im Hinblick<br />

auf eine Erleichterung des schreibmotorischen<br />

Lernprozesses ist diese Erhöhung<br />

der Muskelanspannungen in der<br />

Schreibhand und des Schreibdrucks bedenklich.<br />

Zu befürchten sind schreibanfängertypische<br />

Verkrampfungen<br />

der Schreibhand und deutliche Unflüssigkeiten<br />

in der Schreibbewegung«<br />

(Mahrhofer 2004, S. 122). Versteht man<br />

Schreibenlernen als Entwicklungsprozess<br />

einer anfänglich kontrollierten<br />

hin zu einer zunehmend routinierten<br />

Bewegung, sollten sich Muskelanspannungen<br />

und Schreibdruck im Laufe<br />

zunehmender Routine immer mehr reduzieren.<br />

Schreibgeräte, die dem entgegenkommen,<br />

erfordern demnach weder<br />

ein zu viel an Reibung noch zu wenig.<br />

Zusätzlich in die Überlegungen mit einbezogen<br />

werden sollte die Individualität<br />

der Schreibgewohnheiten in diesem<br />

Zusammenhang. Nicht jeder empfindet<br />

jede Art von Schreibgerät gleich in seiner<br />

Schreibqualität. Bei der Auswahl<br />

von Stiften für den Schreibunterricht<br />

erscheint ein breites Angebot zur Wahl<br />

verbunden mit einer schülerbezogenen<br />

Beratung und Reflexion der damit verbundenen<br />

Schreibannehmlichkeiten<br />

durch die Lehrkraft sehr sinnvoll.<br />

Kinder brauchen eine differenzierte<br />

Lineatur. Diese Lineatur<br />

<br />

ist den Klassenstufen eins bis vier<br />

entsprechend zu unterscheiden und<br />

zuzuordnen.<br />

Die Vorgabe von Schreiblineaturen zielt<br />

darauf ab, den Schreibanfängern die<br />

Orientierung im Schreibraum zu erleichtern.<br />

Linien sollen bei der horizontalen<br />

Zeilenausrichtung helfen. Zudem wollen<br />

Linien bei einer gleichmäßigen Buchstabenausführung<br />

unterstützen. In der Unterrichtspraxis<br />

wird dabei häufig übersehen,<br />

dass Linien primär in Abstimmung<br />

auf die Schreibbedürfnisse der Kinder<br />

eingesetzt werden sollten. Häufig reglementieren<br />

amtliche Vorgaben durch die<br />

normierte Zuordnung die Verwendung<br />

von Lineaturen in den jeweiligen Klassenstufen.<br />

Detaillierte dreiteilige Lineaturen<br />

führen den Schreibanfänger in der<br />

ersten Klasse, um dann klassenstufenweise<br />

den Schreibraum zu verkleinern<br />

und schließlich einzelne Begrenzungslinien<br />

wegfallen zu lassen. Die Forschung<br />

beschäftigt sich mit dem Schreiben mit<br />

und ohne Linien, der Wirksamkeit unterschiedlich<br />

großer Lineaturen und<br />

den dazu gegebenen Instruktionen. Linien<br />

können Orientierung geben im<br />

freien Schreibraum eines leeren Blattes.<br />

Häufig zeigen sich jedoch diese Effekte<br />

eher für Schreiblinien gewohnte Schulkinder,<br />

während Schreibanfänger auch<br />

fähig sind, leserliche Schriften ohne<br />

Linien zu produzieren. Im Hinblick auf<br />

flüssige Schreibbewegungen scheint unliniertes<br />

Papier sinnvoller, weil keine<br />

Begrenzungslinien im Ausführen der<br />

Schreibbewegung beachtet werden müssen.<br />

Große Schreiblineaturen wollen<br />

Schreibanfänger in ihren großräumigen<br />

Schreibbewegungen auffangen. In<br />

vergleichenden Studien bestätigten sich<br />

diese Annahmen jedoch nicht eindeutig.<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

29


Aus Praxis: der Grundschrift<br />

Forschung<br />

Die Aussagen zum Einsatz von Lineaturen<br />

variieren von kaum bis wenig unterstützendem<br />

Einfluss bis hin zu Vorteilen<br />

zugunsten der genaueren Ausführung<br />

von Buchstabenstrichen, Schreibgenauigkeit<br />

und besserem Zurechtkommen<br />

beim Wechsel von der Druckschrift zur<br />

Schreibschrift (vgl. Mahrhofer 2004,<br />

S. 128 – 136). Gleichwohl sehr interessant<br />

ist die Tatsache, dass Kinder ebenso<br />

wie Erwachsene auch ohne Lineaturen<br />

flüssige Schreibbewegungen produzieren<br />

können (vgl. Quenzel 1994). »Bei der<br />

Überprüfung der Effekte von Lineaturen<br />

(Quenzel 1994, Noack & Körndle 1999)<br />

und der Instruktion, diese genau einzuhalten<br />

(Quenzel 1994), zeigte sich darüber<br />

hinaus, dass sowohl Erwachsene als<br />

auch Kinder unter diesen Bedingungen<br />

unflüssige und kontrollierte Schreibbewegungen<br />

ausführen. Gleichzeitig waren<br />

die von Quenzel untersuchten Kinder<br />

der ersten und vierten Klasse in der Lage,<br />

Schreibgrößenvorgaben am Beginn einer<br />

Schreibzeile auch ohne weitere Hilfslinien<br />

einzuhalten« (vgl. Mahrhofer 2004,<br />

S. 136). Für einen Schreibunterricht, der<br />

die schreibmotorischen Lernprozesse<br />

der Schreibanfänger unterstützen möchte,<br />

ergibt sich daraus die Notwendigkeit<br />

nach einer Aufhebung verbindlicher und<br />

dadurch möglicherweise einschränkender<br />

Vorgaben bezogen auf den Schreibraum.<br />

Ein breites Angebot von Papierarten<br />

und Linienvorgaben zur Wahl im<br />

freien Schreibunterricht erleichtert es,<br />

den individuellen Schreibbedürfnissen<br />

der Kinder entgegenzukommen. Die<br />

Hinweise, dass Kinder auch ohne Linien<br />

zu ihrer für sie passenden Schreibgröße<br />

finden und beim Schreiben flüssige Bewegungen<br />

produzieren können, relativieren<br />

die einst streng geregelten amtlichen<br />

Vorgaben.<br />

Der Schreiblernprozess ist<br />

spätestens zum Ende der zweiten<br />

Klasse abgeschlossen. Ende der zweiten<br />

Klasse können alle Kinder flüssig<br />

und schnell schreiben.<br />

Hinweise aus Forschungsergebnissen<br />

stellen die bisherige Annahme, alle Kinder<br />

könnten Ende der zweiten Klasse<br />

flüssig schreiben und der Schreiblernprozess<br />

sei zu diesem Zeitpunkt nahezu abgeschlossen,<br />

in Frage. Motorisches und<br />

auch schreibmotorisches Lernen wird als<br />

Prozess zunehmender Automatisierung<br />

verstanden. Während zu Beginn eines<br />

neu zu erlernenden Bewegungsablaufs<br />

für einen Buchstaben die Bewegungen<br />

kontrolliert und vom Ablauf her langsam<br />

und anstrengend und aufmerksamkeitsbeanspruchend<br />

ablaufen, gelingen<br />

sie in der routinierten Bewegungsausführung<br />

zunehmend unbewusst, zügig<br />

und mühelos. Die Bewegungsausführung<br />

wechselt von einer kontrolliert<br />

unflüssigen Bewegung hin zu einer automatisiert<br />

flüssigen Bewegung. Im<br />

Forschungsprojekt LufT (»Lockere und<br />

flüssige Textproduktion«, Mahrhofer<br />

& Speck-Hamdan 1997 – 2002) wurden<br />

die Schreibbewegungen von Kindern<br />

im Verlauf der ersten zwei Schuljahre<br />

beim Erwerb der verbundenen Schrift<br />

erhoben. Hier zeigte sich, dass Kinder<br />

nur bei Grund elementen wie Kreisen<br />

oder senkrechten Strichen optimale<br />

und flüssige Bewegungen erreichen. Bei<br />

zunehmender Komplexität wie Muster<br />

und einfachen Buchstabenformen wie<br />

dem kleinen »l« wurde eine zunehmende<br />

Bewegungsunflüssigkeit erkennbar.<br />

»Ebenso auf der Wortebene zeigte sich<br />

sowohl bei der Schreibflüssigkeit und der<br />

Schreibschnelligkeit, dass sich nur ganz<br />

wenige Kinder am Ende der zweiten<br />

Klasse dem Niveau optimaler Schreibbewegungen<br />

angenähert haben« (Mahrhofer<br />

2004, S. 342). Der Schreibunterricht<br />

muss sich also auf eine große Variabilität<br />

schreibmotorischer Kompetenzen<br />

von sehr flüssig schreibenden bis hin zu<br />

noch unflüssig schreibenden Schülern<br />

Literaturnachweise<br />

Mahrhofer, C. (2004): Schreibenlernen mit<br />

graphomotorisch vereinfachten Schreibvorgaben.<br />

Bad Heilbrunn: Klinkhardt.<br />

Mahrhofer-Bernt, C. (2005): Die eigene Schrift<br />

entwickeln – von Anfang an. In: <strong>Grundschule</strong><br />

<strong>aktuell</strong>, Heft 91, 09/2005, S. 21 – 25.<br />

Mahrhofer, C., Speck-Hamdan, A. (2001):<br />

Schreibenlernen – ein Kinderspiel? Eine Analyse<br />

des Erstschreibunterrichts. <strong>Grundschule</strong>,<br />

33 (2), S. 39 – 41.<br />

Mahrhofer, C., Speck-Hamdan, A. (2003):<br />

Schreiben und Schreibenlernen in der<br />

<strong>Grundschule</strong>. In: Grundschulmagazin, (3 – 4),<br />

S. 8 – 11.<br />

Mai, N. (1991): Warum wird Kindern das<br />

Schreiben schwer gemacht? Zur Analyse der<br />

Schreibbewegungen. Psychologische Rundschau,<br />

42, S, 12 – 18.<br />

Mai, N., Marquardt, C. (1998): Registrierung<br />

und Analyse von Schreibbewegungen:<br />

Fragen an den Schreibunterricht. In: Huber,<br />

L., Kegel, G. & Speck-Hamdan, A. (Hrsg.):<br />

Einblicke in den Schriftspracherwerb. Braunschweig:<br />

Westermann, S. 83 – 99.<br />

und zum anderen »auf eine um ein Vielfaches<br />

länger dauernde schreibmotorischer<br />

Entwicklung dieser Kinder einstellen«<br />

(Mahrhofer ebd.), ehe das Ziel einer<br />

routinierten Handschrift erreicht ist, wie<br />

es von erwachsenen routinierten Schreibern<br />

bereits für die ersten Monate des<br />

Schreibunterrichts angenommen wird.<br />

Viele der lange nicht hinterfragten<br />

Annahmen unseres Erfahrungswissens<br />

im alltäglichen<br />

Schreibunterricht sind vor der zugrunde<br />

gelegten graphomotorischen Theorie<br />

nicht haltbar. Wiederholt ergibt sich eine<br />

Relativierung fest gefügter Vorgaben<br />

hin zu einer Orientierung der Lehr- und<br />

Lernangebote an der Schreib entwicklung<br />

des Schreiben lernenden Kindes. Eine<br />

didaktisch-methodische Weiterentwicklung<br />

des Unterrichts bedeutet ein Infragestellen<br />

langjährig praktizierter Unterrichtsgewohnheiten<br />

im Hinblick auf ihre<br />

theoretisch fundierte Erleichterung des<br />

schreibmotorischen Lernprozesses.<br />

Die Aufgabe des Schreibunterrichts<br />

sollte es sein, die guten Schreiber weiterführend<br />

in ihrer Entwicklung einer<br />

flüssigen und leserlichen Schrift zu unterstützen<br />

(vgl. Mahrhofer & Speck-<br />

Hamdan 2003). Gleichzeitig sollte das<br />

Schreiblehrangebot auf diejenigen Kinder<br />

abgestimmt werden, die nicht einmal<br />

grundlegende Schreibbewegungen<br />

ausreichend flüssig und schnell ausführen<br />

können.<br />

Mai, N., Marquardt, C. & Quenzel, I. (1997):<br />

Wie kann die Flüssigkeit von Schreibbewegungen<br />

gefördert werden? In: Balhorn,<br />

H., Niemann, H. (Hrsg.): Sprachen werden<br />

Schrift. Mündlichkeit – Schriftlichkeit –<br />

Mehrsprachigkeit. Lengwil am Bodensee:<br />

Libelle, S. 222 – 230.<br />

Noack, K., Körndle, H. (1999): Sind Hilfslinien<br />

beim Schreiben hilfreich? In: Enders,<br />

C., Hanckel, C. & Moeley, S. (Hrsg.): Lebensraum<br />

– Lebenstraum – Lebenstrauma Schule.<br />

Kongressbericht der 13. Bundeskonferenz<br />

1998 in Halle an der Saale. Bonn: Deutscher<br />

Psychologen Verlag, S. 244 – 250.<br />

Quenzel, I. (1994): Kinematische Analysen<br />

einfacher Schreibbewegungen bei Kindern<br />

und Erwachsenen. Unveröffentl. Diplomarbeit,<br />

Fachbereich Psychologie, Universität<br />

Frankfurt.<br />

Quenzel, I. (2000): Kinematische Analyse<br />

von Schreibbewegungen im Erstunterricht.<br />

Unterrichtswissenschaft. Zeitschrift für Lernforschung,<br />

28 (4), S. 290 – 303.<br />

30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Ansichten Praxis: und Grundschrift<br />

Einsichten<br />

Jules van der Ley<br />

Kleine Kulturgeschichte der Handschrift<br />

»Tres digiti scribunt«<br />

Schule und Universität sind die Nischen,<br />

in denen die Handschrift noch<br />

tragende Bedeutung hat. Lehrern,<br />

Schülern und Studenten wird der<br />

Wert einer klaren und schönen Schrift<br />

beständig vor Augen geführt. Wie<br />

kommt es dann zu den kläglichen Ergebnissen,<br />

die man täglich beobachten<br />

kann und unter denen alle Beteiligten<br />

zu leiden haben? Warum sind so viele<br />

Schreiber mit ihrer eigenen Handschrift<br />

unzufrieden und schämen sich<br />

sogar, Schriftproben in die Öffentlichkeit<br />

gelangen zu lassen?<br />

Ein Faktor ist sicherlich der Zwang<br />

zum schnellen Schreiben beim<br />

Abfassen von Klassenarbeiten<br />

und Klausuren, Korrekturvermerken,<br />

Mitschriften und Notizen. Generell führen<br />

große Textmengen beim Schreiber<br />

zu unerquicklichen graphischen Ausfällen,<br />

bei Müdigkeit und Nachlassen der<br />

Konzentration. Auch das Verkrampfen<br />

der Hand (Chirospasmus) bei großen<br />

Textmengen bzw. beim Schreiben mit<br />

einem Kugelschreiber beeinträchtigt die<br />

Form der Handschrift. Der Hauptgrund<br />

für den desolaten Zustand vieler Handschriften<br />

ist in der Vergangenheit zu<br />

suchen, bei den Prozessen, die mit dem<br />

Erlernen der Schrift zu tun haben und<br />

bei den Ausgangsformen, mit denen<br />

man die ersten Schreibversuche macht.<br />

Ein Blick in die Vergangenheit<br />

Wie sieht eigentlich die Urform unserer<br />

Handschrift aus? Die moderne<br />

Handschrift hat sich im Italien der Renaissance<br />

herausgebildet. Die Kleinbuchstaben<br />

sind Abkömmlinge der<br />

Carolingischen Minuskel. Neu sind der<br />

diakritische I­Punkt und die Verlängerung<br />

des senkrechten T­Striches über<br />

das Mittelband hinaus. Die Großbuchstaben<br />

sind wesentlich älter, nämlich<br />

direkte Entlehnungen aus der römischen<br />

Capitalis. Die Verbindung von<br />

Capitalis­Majuskel und Carolingischer<br />

Minuskel wurde Antiqua genannt. Dass<br />

Das Beispiel dieser schwer lesbaren Handschriften stammt aus der<br />

Deutsch klausur eines Schülers der Jahrgangsstufe 12.<br />

Die Bemerkungen links hat sein Lehrer geschrieben. Es heißt<br />

1) Die Unverständlichkeit des Satzes liegt z. T. an der Schrift<br />

2) Die Schrift ist eine Zumutung!<br />

sich Capitalis und Carolingische Minuskel<br />

stilistisch nicht recht vertragen,<br />

auch kaum sinnvoll verbunden werden<br />

können, ist ein Problem, das uns später<br />

noch in der verbundenen Handschrift<br />

begegnet. Neu ist auch die Schräglage<br />

der Buchstaben. Sie ergab sich aus dem<br />

Wunsch, schnell zu schreiben. Daher<br />

noch heute die Bezeichnung Italic für<br />

die schräge Form der Druckbuchstaben.<br />

Die schönste Form der Renaissance­<br />

Kursiv, die Cancellaresca, findet sich in<br />

dem Schreibbuch »La Operina« (1522)<br />

des Schreibmeisters Ludovico Arrighi.<br />

Warum sich Handschrift und<br />

Druckschrift trennten<br />

Gutenberg und die Frühdrucker hatten<br />

ihre Druckschriften noch den schönsten<br />

Handschriften ihrer Zeit nachgebildet.<br />

Gutenbergs Mitarbeiter Peter Schöffer<br />

beispielsweise war Kalligraph in Paris<br />

Cancellaresca, nach »La Operina«<br />

(aus: Bernhard Linz; Kalligraphie)<br />

Mit freundlicher Genehmigung © Christophorus Verlag GmbH & Co. KG,<br />

c/o Englisch Verlag Wiesbaden<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

31


Ansichten Praxis: Grundschrift<br />

Einsichten<br />

gewesen und hatte<br />

großen Anteil an den<br />

Entwürfen für die Lettern<br />

der 42-zeiligen Bibel.<br />

Verschieden breite<br />

Lettern dienten nicht<br />

nur dem Ausgleich der<br />

Zeilen beim Blocksatz,<br />

sondern entsprachen<br />

auch dem Ehrgeiz, die<br />

Drucke wie Handschriften<br />

aussehen zu<br />

lassen. Die Verbreitung<br />

der Druckkunst<br />

brachte die Schreiber und Schreibmeister<br />

in wirtschaftliche Not. Darum verbanden<br />

sie die Buchstaben und versahen<br />

sie mit diversen Schmuckelementen, so<br />

dass ihre Schriften mit herkömmlichen<br />

Drucklettern nicht nachgeahmt werden<br />

konnten.<br />

Die Verbindungen der Buchstaben<br />

und die in der Barockzeit nördlich der<br />

Alpen aufkommenden Schnörkel und<br />

Girlanden veränderten und verformten<br />

die Buchstaben – bis an die Grenze<br />

zur Unkenntlichkeit. Jetzt ließen<br />

die Schreibmeister ihre Lehrbücher im<br />

Kupferstichverfahren herstellen. Oft<br />

waren diese Bücher in Rot gedruckt,<br />

und es galt, die Formen genau nachzuziehen.<br />

Wer das konnte, schrieb »wie<br />

gestochen«, ein Formideal, das bis zu<br />

Beginn des 20. Jahrhunderts angestrebt<br />

wurde. Gelehrt wurde also eine Duktusschrift.<br />

Der Zweck prägt die Form<br />

Kupferstichalphabet 1743<br />

Solange die Handschrift das Speicherund<br />

Kommunikationsmedium der Verwaltungen<br />

war, brauchte man Schreiber,<br />

die den überindividuellen Duktus<br />

schrieben. Für die jeweilige Kanzlei<br />

galten feste Normen, die den Duktus<br />

der verwendeten Schriften betrafen.<br />

Ein Kanzleischreiber beherrschte meist<br />

mehrere Schriftcharaktere, aber diese<br />

Charaktere waren als Ideal vorgeschrieben,<br />

und deren genaue Umsetzung in<br />

die handschriftliche Leistung war das<br />

erklärte Ziel. Gefordert waren Klarheit,<br />

Lesbarkeit und Formkonstanz. Die stilistische<br />

Weiterentwicklung oblag den<br />

Schreibmeistern. Sie vollzog sich jedoch<br />

nur langsam und in kleinen Schritten.<br />

Es sind also rein pragmatische Gründe,<br />

die zur Forderung führten, wie gestochen<br />

zu schreiben. Auch mit ansteigender<br />

Literalität änderte sich zunächst<br />

wenig. Das schreibmeisterliche Ideal<br />

wird auf die Schulkinder übertragen.<br />

Schreiben zu lernen, war Drill und Einübung<br />

in die vorgegebenen Formen.<br />

Mit sich ausweitender Verwaltung stieg<br />

der Bedarf nach Schreibern, und so bildete<br />

man in den Schulen ein Potential<br />

an Arbeitskräften heran, die exakt den<br />

Bedürfnissen der Kanzleien und Kontore<br />

entsprachen. Gedacht war auch nicht<br />

an die Fähigkeit zum selbstständigen<br />

Schreiben. Schreiben war in erster Linie<br />

Abschreiben, nicht das Verfertigen eigener<br />

Texte. Die Briefkultur erfasst nicht<br />

die einfachen Stände.<br />

Mit dem Vordringen der Schreibmaschine<br />

zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

sank der Bedarf an solcherart gedrillten<br />

Kräften. Mit der Schreibmaschine ließen<br />

sich die Anforderungen der Verwaltungen<br />

an die Schrift weit besser einlösen.<br />

Der klassische Schreiber wurde verdrängt<br />

durch die »Tippmamsell«. Erst jetzt wird<br />

die Schreibhand von den alten Pflichten<br />

entbunden, die Handschrift wird Privatsache.<br />

Das neue Konzept der »Ausgangsschrift«,<br />

angeregt durch den Kalligraphen<br />

Rudolf von Larisch und theoretisch<br />

begleitet von dem Pionier der Graphologie<br />

Ludwig Klages, erlaubte dem Schreiber<br />

eine expressive, persönliche Ausformung<br />

der erlernten Grundform. Gelehrt<br />

wurden nun Ausgangsschriften, deren<br />

Formen die Schüler später individuell<br />

abwandeln sollten. Trotzdem waren und<br />

sind die Formen der Ausgangsschriften<br />

in Deutschland noch stark am Ideal<br />

der Schreibmeister orientiert, denn ein<br />

derart radikales Umdenken kann sich<br />

nur langsam vollziehen. Zudem transportieren<br />

die Schulalphabete noch den<br />

Formenballast vergangener Zeiten und<br />

stehen der Entwicklung von schönen<br />

und angemessenen Ausprägungen der<br />

eigentlichen Buchstabenformen im Weg.<br />

Jedes neue Konzept braucht Zeit, bis es<br />

sich in den Köpfen der Beteiligten niederschlägt.<br />

Und so zensierten Lehrkräfte<br />

die Handschriften noch lange Zeit nach<br />

dem Gesichtspunkt der Duktustreue.<br />

Persönlichkeitsschrift und<br />

Graphologie – Erlass wider die<br />

»Schwabacher Judenletter"<br />

Die in Deutschland als Druck- und<br />

Handschrift übliche Gotische bzw.<br />

Fraktur wurde am 3. Januar 1941 von<br />

den Nationalsozialisten per Erlass verboten.<br />

In dem Rundschreiben von Martin<br />

Bormann werden die Fraktur und<br />

ihre Handschriftvarianten als »Schwabacher<br />

Judenlettern« bezeichnet. Wie es<br />

zu dieser fälschlichen Behauptung gekommen<br />

ist, lässt sich nicht restlos klären.<br />

Vermutlich hatte der Sinneswandel<br />

funktionale Gründe, denn die Fraktur<br />

erschwerte die schriftliche Kommunikation<br />

in den eroberten Gebieten und<br />

mit dem Ausland. Auch glaubte man<br />

nicht, dass sich aus den Kurrentvarianten<br />

eine flüssige und rasche Verkehrsschrift<br />

herausbilden ließe.<br />

In jedem Fall jedoch propagierten die<br />

Nationalsozialisten ausdrücklich das<br />

Konzept der Ausgangsschrift – Persönlichkeitsschrift<br />

und wandten sich dabei<br />

besonders gegen die Reformschriften des<br />

Ludwig Sütterlin. Denn Sütterlins Lateinschrift<br />

sowie seine bekanntere Frakturschrift<br />

waren noch Duktusschriften.<br />

Doch von der individuell ausgeprägten<br />

Persönlichkeitsschrift erhofften sich die<br />

Nationalsozialisten Auskunft über den<br />

Menschen. Auf Ludwig Klages diffuser<br />

Lehre aufbauend, isolierte man nicht<br />

nur charakterliche, sondern auch rassische<br />

Merkmale aus der Handschrift. Die<br />

Graphologie wurde zum probaten Selektionsinstrument.<br />

Im Dienste der Nationalsozialisten<br />

wuchs dem Graphologen<br />

Sütterlin<br />

32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Ansichten Praxis: und Grundschrift<br />

Einsichten<br />

erstmals eine unheilvolle Macht über<br />

Menschen zu. Er wurde zum Taxator,<br />

der vermeintlich rassisch oder charakterlich<br />

Minderwertige aussortierte und sich<br />

dabei vor seinen Opfern nicht zu rechtfertigen<br />

braucht, da er seine zweifelhafte<br />

Kunst, diese pseudowissenschaftliche<br />

Kaffeesatzleserei, im Geheimen ausübt.<br />

Ab 1941 wurde ein lateinisches Alphabet,<br />

die »Deutsche Normalschrift«, in<br />

den Schulen verbindlich.<br />

Kein Lichtblick –<br />

Deutsche Ausgangsschriften<br />

nach dem 2. Weltkrieg<br />

1) Offenbacher Schrift von Rudolph Koch<br />

2) Deutsche Normalschrift<br />

In der Bundesrepublik entschied man<br />

sich nach dem Krieg übereilt für ein anderes<br />

lateinisches Alphabet, das ebenso<br />

wie die Deutsche Normalschrift noch<br />

von den künstlerischen Verirrungen<br />

barocker Schreibmeister und der Spitzfeder<br />

geprägt ist. Diese Schulschrift<br />

heißt schlicht »Lateinische Ausgangsschrift«<br />

(LA); sie wird seit 1953 gelehrt.<br />

Die Chance für einen Neuanfang und<br />

eine Rückbesinnung auf die Grundformen<br />

der Antiqua-Kursiv wurde damit<br />

vertan. Besonders die Form der Großbuchstaben<br />

stellt hohe Anforderungen<br />

an die kindliche Motorik, verstellt auch<br />

die Einsicht in die eigentlichen Grundformen<br />

der Großbuchstaben. »Wertlose<br />

Einfälle von Schreiberknechten«, urteilte<br />

der dänische Sprachforscher Otto<br />

Jespersen und meinte damit nicht nur<br />

die Form, sondern die Großschreibung<br />

generell. Er lieferte damit ein wesentliches<br />

Argument für die Einführung<br />

der gemäßigten Kleinschreibung in<br />

Dänemark im Jahr 1948. Zu einem derart<br />

radikalen Schritt konnte man sich<br />

in Deutschland nicht durchringen. Er<br />

hätte freilich nicht nur die »wertlosen<br />

Einfälle von Schreiberknechten« aus<br />

der Rechtschreibung getilgt, sondern<br />

gleichzeitig die Möglichkeit geboten, die<br />

Schulschrift vom barocken Formballast<br />

der Großbuchstaben zu befreien.<br />

Die Kompliziertheit der Lateinischen<br />

Ausgangsschrift, besonders ihrer Großbuchstaben<br />

führte zur Entwicklung der<br />

Vereinfachten Ausgangsschrift (VA).<br />

Nach ihrem Wegbereiter hieß sie zunächst<br />

»Grünewald Alphabet«. Der<br />

Göttinger Grundschullehrer Heinrich<br />

Grünewald hatte 1969 methodische<br />

Untersuchungen zur Schreibmotorik<br />

durchgeführt. Seine 1970 veröffentlichten<br />

Befunde zeigen einige grundsätzliche<br />

Schwächen der Lateinischen Ausgangsschrift.<br />

Grünewald konstatiert<br />

umständliche Schlaufen und Wellenlinien<br />

sowie eine fehlende Systematik als<br />

Hauptursache für die Schwierigkeiten<br />

beim Erlernen und die Formverzerrungen<br />

bei ausgeschriebenen Handschriften.<br />

Zusammen mit dem Frankfurter<br />

»Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>« entwickelte<br />

er darauf die Vereinfachte Ausgangsschrift,<br />

die seit 1973 vorliegt.<br />

Das Konzept der<br />

Vereinfachten Ausgangsschrift<br />

Eine geringere Zahl der Drehrichtungswechsel<br />

und Deckstriche, gleichmäßige<br />

Haltepunkte sowie eine starke Annäherung<br />

der Großbuchstaben an die Druckschrift<br />

sollen das Schreibenlernen erleichtern.<br />

Die gesamte Formgebung ist<br />

lernpsychologischen Gesichtspunkten<br />

unterworfen. Grünewald hoffte auch<br />

auf eine größere Formkonstanz bei ausgeschriebenen<br />

Handschriften, damit<br />

es, anders als bei der Lateinischen Ausgangsschrift,<br />

in den Erwachsenenschriften<br />

nicht zu regellosen Verschleifungen<br />

komme, die die Lesbarkeit herabsetzen.<br />

Die Schwächen der VA<br />

Inzwischen liegen von der VA viele Beispiele<br />

ausgeschriebener Handschriften<br />

vor. Leider sind sie kaum schöner und<br />

lesbarer, oft sogar hässlicher als Handschriften,<br />

denen die LA zu Grunde liegt.<br />

Woran liegt das? Offenbar ist der Denkansatz<br />

falsch: Die Form der Schrift darf<br />

nicht den Möglichkeiten des Kindes<br />

angenähert werden, damit es sie rasch<br />

und nachhaltig automatisieren kann,<br />

die Schule muss das Kind behutsam an<br />

eine gute Schrift heranführen, die freie<br />

Formentwicklung erlaubt und ästhetisch<br />

entwicklungsfähig ist. Denn aus Kindern<br />

werden Erwachsene mit ausgeprägter<br />

Feinmotorik. Ist das Muskelgedächtnis<br />

aber einmal auf die kindgemäßen<br />

Formen konditioniert, plagt sich der Erwachsene<br />

mit einer Kinderschrift, an deren<br />

Formkonstanz niemand Freude finden<br />

kann. Schließlich hat sich die Form<br />

der Schrift immer am Schreibprozess<br />

und an den ästhetischen Bestrebungen<br />

des erwachsenen Schreibers entwickelt.<br />

Wir reduzieren auch nicht unsere Lautsprache<br />

auf kindliches Lallen, damit das<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

33


Ansichten Praxis: Grundschrift<br />

Einsichten<br />

Kleinkind sich rascher in seiner Muttersprache<br />

heimisch fühlen kann.<br />

Die Fehler der Lateinischen Ausgangsschriften<br />

gehen zurück auf Materialbedingungen<br />

und schreibmeisterliche<br />

Spielereien der Barockzeit. Die<br />

VA räumt hiermit nicht auf, sondern ist<br />

eine Flickschusterschrift ohne ästhetische<br />

Qualität, eine Technokratenleistung<br />

von künstlerischen Laien, die voller<br />

Fehler steckt. Man betrachte nur die<br />

völlig falsche Form des kleinen S und<br />

den disfunktionalen Schnörkel bei der<br />

Ligatur ss.<br />

Exkurs: Das kleine s bei Grünewald<br />

Links: das Beispiel Cancellaresca –<br />

Anstrich und Formstrich klar unterscheidbar<br />

Rechts: Vereinfachte Ausgangsschrift –<br />

Anstrich wird zum Formstrich, der obere<br />

Bogen fehlt<br />

Eindrucksvolle Handschriften<br />

(aus: Bernhard Linz; Kalligraphie)<br />

Die Grundform des kleinen »s« entspricht<br />

eigentlich dem großen »S«,<br />

wobei der obere Bogen aus Platzgründen<br />

verkleinert wird. Bei verbundenen<br />

Handschriften bekommt der kleine Bogen<br />

einen Anstrich. Wenn der Buchstabe<br />

mit der Wechselzugfeder geschrieben<br />

wird und die Federbreite der Buchstabengröße<br />

angepasst ist, bleiben Anstrich<br />

und eigentliche Buchstabenform<br />

klar unterscheidbar. Grünewald macht<br />

aus diesem Anstrich ein festes Formelement<br />

und tilgt den oberen Bogen völlig.<br />

Sein »s« ist ein Haken. Der Anschluss<br />

an folgende Buchstaben bekommt dagegen<br />

eine überflüssige Schleife, wodurch<br />

die Form große Ähnlichkeit mit dem<br />

großen S der Sütterlinschrift bekommt.<br />

Das »s« bei Grünewald ist eine üble<br />

Formverzerrung. Ebenso problematisch<br />

sind das »t« und das »z«.<br />

Grünewald klagt über die Lateinische<br />

Ausgangsschrift: »Doch vergleicht man<br />

ausgeschriebene Handschriften mit<br />

der einstmals gelernten (…) Ausgangsschrift,<br />

erkennt man vielfach überhaupt<br />

keine Ähnlichkeit zwischen den beiden<br />

Schriften. Die Erwachsenenschrift hat<br />

ihr Gesicht so sehr gewandelt, dass eine<br />

Identität mit der Ausgangsschrift verloren<br />

gegangen ist« (Grünewald 1981).<br />

Diesen übertriebenen Verschleifungen<br />

wäre sinnvoll zu begegnen, indem man<br />

in der Vorstellung des Schreibers Klarheit<br />

über die Grundform festigt. Wer<br />

das »s« als Garderobenhaken zu schreiben<br />

lernt, kann nicht entscheiden, mit<br />

welcher Verschleifung er sich unzulässig<br />

von der Grundform entfernt. Wer Anstrich<br />

und Formstrich nicht unterscheiden<br />

kann, verfälscht die Schrift, ohne es<br />

zu wollen. Was nutzt dann die von Grünewald<br />

versprochene Formkonstanz,<br />

wenn sie sich in Elementen etabliert, die<br />

gar nicht zum Buchstaben gehören? Was<br />

bleibt, ist maschinenmäßiges Schrei ben<br />

ohne Sinn und Verstand.<br />

Zurück zur Formtreue?<br />

Mit freundlicher Genehmigung © Christophorus Verlag GmbH & Co. KG,<br />

c/o Englisch Verlag Wiesbaden<br />

Grünewalds Zielvorstellung von der größeren<br />

Formtreue bei der Erwachsenenschrift<br />

ist ein kultureller Rückschritt.<br />

Wer von einer größeren Konstanz einmal<br />

erlernter Schriftformen träumt, wer<br />

die Ausdrucksfähigkeit der Schreiber<br />

stärker einschränken will, müsste diese<br />

erneute Fesselung zumindest rechtfertigen,<br />

indem er eine Schrift von ästhetischer<br />

Qualität anbietet. Grünewalds<br />

Verdienst ist es, auf die Reformbedürftigkeit<br />

der Lateinischen Ausgangsschrift<br />

nachhaltig hingewiesen zu haben. Die<br />

sichtbaren Schwächen der Vereinfachten<br />

Ausgangsschrift werten die ebenso<br />

schwache Lateinische Ausgangsschrift<br />

ungewollt auf. Doch LA oder VA, das<br />

ist Jacke wie Hose. Unter diesem engen<br />

Blickwinkel darf die wichtige Diskussion<br />

um eine gute Ausgangsschrift nicht<br />

geführt werden.<br />

Die nach der Wiedervereinigung als<br />

dritte Ausgangsschrift zugelassene Lateinschrift<br />

der ehemaligen DDR hat<br />

ähnliche Mängel wie die lateinische<br />

Ausgangsschrift. Ich kenne sie nicht gut<br />

genug, um ausführlich darauf einzugehen.<br />

Berechtigter Neid – Das angelsächsische<br />

und skandinavische Beispiel<br />

Handgeschriebene Briefe aus angelsächsischen<br />

Ländern lassen deutsche<br />

Briefpartner vor Neid erblassen. In den<br />

USA und England wird überwiegend<br />

die moderne Chancery geschrieben.<br />

Diese lateinische Kursivschrift basiert<br />

auf der Cancellaresca, der klaren<br />

Renaissance-Handschrift aus dem berühmten<br />

Schreibbuch »La Operina«.<br />

Im Jahr 1922, als deutsche Schulkinder<br />

noch die Kurrent schreiben mussten,<br />

also die handschriftliche Variante der<br />

Fraktur, und sich allenfalls an der steifen<br />

Reformschrift von Ludwig Sütterlin<br />

versuchen durften, erneuerte in England<br />

der Kalligraph Alfred Fairbank die<br />

Schulausgangsschrift, indem er auf die<br />

Urformen der Cancellaresca zurückgriff.<br />

Fairbanks schöne Schulhandschrift<br />

hat inzwischen einige Generationen<br />

von Schreibern und Kalligraphen geprägt<br />

und begründet nachhaltig die<br />

ästhetische Überlegenheit angelsächsischer<br />

Handschriften. Reformen müssen<br />

also wieder bei den klaren und bislang<br />

unübertroffenen Humanistenschriften<br />

anknüpfen. Beispiele aus Skandinavien,<br />

der Schweiz und den angelsächsischen<br />

Ländern zeigen den Weg.<br />

Vom Wert des schönen Schreibens<br />

Vor allem ist der Zwang zur Verbindung<br />

der Buchstaben aufzugeben. Er<br />

ist ja aus Gründen entstanden, die nicht<br />

mehr gegeben sind. Heutige Schreiber<br />

müssen nicht mehr mit Buchdruckern<br />

konkurrieren. Vorgeschriebene Verbindungen<br />

sind zum flüssigen Schrei­<br />

34 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


Ansichten Praxis: und Grundschrift<br />

Einsichten<br />

Ausgangsschrift Schweden<br />

Der Kalligraph Alfred Fairbanks erneuerte die Schulausgangsschrift in England<br />

Ausgangsschrift Island<br />

Jules van der Ley<br />

war Schriftsetzer in Neuss, Köln und<br />

Aachen, studierte dann an der RWTH<br />

Aachen Germanistik, Kunst, Psychologie,<br />

Soziologie und Pädagogik,<br />

war Studienrat am Gymnasium,<br />

arbeitet als Graphik-Designer, Redakteur,<br />

Lektor und Autor pädagogischer<br />

Fachtitel sowie als Referent in der<br />

Lehrerweiterbildung (Medienkunde)<br />

und war viele Jahre freier Autor beim<br />

satirischen Magazin Titanic.<br />

Er betreibt zwei Internetblogs:<br />

»Teppichhaus Trithemius« –<br />

trithemius.twoday.net<br />

»Teppichhaus Trithemius« –<br />

abcypsilon777.blog.de<br />

ben nicht erforderlich, denn im Raum<br />

sind alle Buchstaben ohnehin durch<br />

den Schreibgestus verbunden. Eine<br />

Analyse ausgeschriebener Handschriften<br />

zeigt, dass keine festen Verbindungen<br />

eingehalten werden, sondern nur<br />

solche Verbindungen zu sehen sind, die<br />

der Motorik und dem Formwillen des<br />

Schreibers entsprechen. Daher ist es<br />

sinnvoll, die klaren Grundformen unserer<br />

Schrift zu lehren und es dem Gutdünken<br />

des Schülers zu überlassen, wo<br />

er verbinden will und wo nicht. Allein<br />

das Wortbild muss klar erkennbar sein.<br />

Es muss ein deutlicher Unterschied bestehen<br />

zwischen Buchstabenabstand<br />

und Wortzwischenraum. Das Ziel einer<br />

modernen Handschriftdidaktik<br />

sollte Flüssigkeit, Klarheit, Lesbarkeit<br />

und Schönheit sein. Schließlich gerät<br />

die Handschrift durch die Computertechnologie<br />

immer mehr unter Druck.<br />

Nur wer schön und gut zu schrei ben<br />

lernt, schreibt auch als Erwachsener<br />

gerne mit der Hand. Das wiederum ist<br />

kein Wert an sich, ist nicht kalligraphischen<br />

Ideen geschuldet. Das Schreiben<br />

mit der Hand zwingt zur gedanklichen<br />

Durchdringung einer Thematik, was<br />

noch unterstützt wird durch die Langsamkeit<br />

bei der Auseinandersetzung<br />

zwischen Formwillen, Schreibgerät und<br />

Beschreibstoff. »Tres digiti scribunt et<br />

totum corpus laborat« – Drei Finger<br />

schreiben, und der ganze Körper arbeitet.<br />

Die mittelalterliche Beschreibung<br />

des Vorgangs zeigt an, dass Handschrift<br />

den ganzen Menschen einbezieht,<br />

stärker als das Schrei ben mittels<br />

Tastatur. Der ganzheitliche Vorgang<br />

des Schreibens mit der Hand bedingt<br />

nicht nur das Aussehen von Texten,<br />

sondern auch ihre innere Struktur. Es<br />

gilt, diesen Wert zu erhalten, und daher<br />

ist es wichtig, in der Schule eine<br />

Schrift zu vermitteln, die konkurrieren<br />

kann mit dem perfekten Aussehen der<br />

Computererzeugnisse.<br />

Erobern wir uns eine gute Handschrift<br />

zurück.<br />

Literatur<br />

Autenrieth, Johanne (Hrsg.): Renaissanceund<br />

Humanistenhandschriften. München<br />

1988<br />

Bartel, Gustav: Warum deutsche Schrift?<br />

In: Schrift und Schreiben, Heft 4/1934<br />

Blumenthal, Erik: Graphologia IV – Schulschriften<br />

der verschiedenen Länder – Beiheft<br />

zur schweizerischen Zeitschrift für Psychologie<br />

u. ihre Anwendungen, Nr. 31, Bern 1957<br />

Dehn, Mechthild: Ansichten von Schrift.<br />

In: <strong>Grundschule</strong>, Heft 6/1986<br />

Doede, Werner: Schön schreiben, eine Kunst<br />

– Johann Neudörfer und die Kalligraphie des<br />

Barock. München 1988<br />

Ehmcke, F.H.: Die historische Entwicklung<br />

der abendländischen Schriftformen. Ravensburg<br />

1927<br />

Grünewald, Heinrich: Schreibenlernen.<br />

Bochum 1981<br />

Grünewald, Heinrich: Schrift als Bewegung.<br />

Weinheim, Berlin, Basel 1970<br />

Hopster, Norbert: Das »Volk« und die Schrift.<br />

Zur Schriftpolitik im Nationalsozialismus. In<br />

Boneke, Dietrich, Hopster, Norbert (Hrsg.):<br />

Schreiben – Schreiben lernen. Tübingen 1985<br />

Hurm, Otto: Johnston, Larisch, Koch – Drei<br />

Erneuerer der Schreibkunst. Kleiner Druck<br />

der Gutenberggesellschaft, Nr. 60, Mainz<br />

1955<br />

Klages, Ludwig: Handschrift und Charakter<br />

– für die Deutungspraxis bearbeitet und<br />

ergänzt von Bernhard Wittlich, 27. Auflage,<br />

Bonn 1974<br />

Linz, Bernhard: Kalligraphie, Wiesbaden<br />

1991<br />

Rudolf, Horst: Schreiberziehung und Schriftpsychologie.<br />

Bielefeld 1973<br />

Simons, Anna: Edward Johnston und die englischen<br />

Schrifterneuerer, Berlin-Leipzig 1937<br />

Unbehauen, Peter: Kalligrafie, Wiesbaden<br />

2004<br />

Wattenbach, Wilhelm: Das Schriftwesen im<br />

Mittelalter. Leipzig 1896<br />

Wudtke, Hubert: Kind und Schrift.<br />

In: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>, Heft 9/1986<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

35


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Baden-Württemberg<br />

Anschrift: Dipl.-Päd. Adolf Messer, Stockacker 15, 79252 Stegen<br />

www.gsv-bw.de<br />

Bewegung in der<br />

Bildungspolitik<br />

Medienwirksamer Rücktritt<br />

der Vorsitzenden des Landeselternbeirats,<br />

Einsetzung<br />

einer neuen Kultusministerin,<br />

Bildungsinitiativen zu<br />

längerem gemeinsamen<br />

Lernen und zur inklusiven<br />

Beschulung, achtsemestrige<br />

Ausbildung der kommenden<br />

Grundschullehrerinnen und<br />

-lehrer und – ganz <strong>aktuell</strong> –<br />

Absenkung des Klassenteilers<br />

in den <strong>Grundschule</strong>n auf 28<br />

bereits schon für das kommende<br />

Schuljahr vorgezogen.<br />

Dies sind einige Schlaglichter<br />

aus der Bildungspolitik des<br />

Landes in den vergangenen<br />

Wochen und Monaten …<br />

Es bleibt abzuwarten, ob das<br />

Vorzeichen der Landtagswahl<br />

2011 sind oder nachhaltige<br />

Veränderungen im Ländle.<br />

Die Landesgruppe bleibt am<br />

Ball.<br />

Mitgliedschaft des GSV<br />

Landesverband BW im<br />

Netzwerk »In einer Schule<br />

gemeinsam lernen«<br />

Seit März 2009 ist der<br />

Landesverband BW des GSV<br />

Mitglied beim Netzwerk<br />

»In einer Schule gemeinsam<br />

lernen«. In dieser Initiative<br />

engagieren sich eine große<br />

Zahl von Verbänden und<br />

Institutionen mit dem Ziel,<br />

in BW eine wohnortnahe<br />

Ganztagesschule zu etablieren,<br />

in der alle Kinder und<br />

Jugendlichen 10 Schuljahre<br />

gemeinsam lernen, wo Verschiedenheit<br />

respektiert und<br />

jedes einzelne Kind in seiner<br />

Gesamtentwicklung unterstützt<br />

wird.<br />

Die frühe Selektion im<br />

4. Schuljahr und die Zuweisung<br />

der Kinder in verschiedene<br />

weiterführende<br />

Schulen wird von allen<br />

beteiligten Organisationen<br />

als nicht pädagogisch und als<br />

undemokratisch verstanden.<br />

Die maßgeblichen Ziele des<br />

Netzwerks »In einer Schule<br />

gemeinsam lernen« und die<br />

daran beteiligten Organisationen<br />

sind unter www.<br />

In-einer-Schule-gemeinsamlernen-bw.de<br />

nachzulesen.<br />

Mit diesen Zielen kann sich<br />

der Landesverband BW des<br />

GSV identifizieren.<br />

Er nimmt mit einem Vertreter<br />

an den Sitzungen des Netzwerks<br />

teil und unterstützt die<br />

Arbeit durch Hinweise bei<br />

Fachtagungen und Grundschultagen.<br />

Auf den Sitzungen werden<br />

Projekte vorgestellt und geplant,<br />

mit denen die Ziele des<br />

Netzwerks der Politik und<br />

der breiten Öffentlichkeit<br />

nahegebracht werden sollen<br />

und weitere unterstützende<br />

Organisationen gewonnen<br />

werden können.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Edgar Bohn<br />

Fachtagungen<br />

der Landesgruppe<br />

im Jahre 2010 führt der<br />

Grundschulverband eine<br />

Reihe von Fachtagungen<br />

zum Thema »Kinder entdecken<br />

und erforschen die<br />

Welt« durch. Eingeladen sind<br />

Grundschullehrer/innen,<br />

Eltern und Erzieher/innen.<br />

08.05.2010 Heilbronn<br />

25.09.2010 Weingarten<br />

16.10.2010 Freiburg<br />

Plakat und Flyer zu den Fachtagungen<br />

erhalten Sie unter<br />

www.gsv-bw.de<br />

Bayern<br />

Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Pfirsichweg 37b, 86169 Augsburg<br />

gudrun.schoenknecht@grundschulverband-bayern.de, www.grundschulverband-bayern.de<br />

»Kompetenzorientierung<br />

als Qualitätsprofil modularisierter<br />

Lehrerbildung«<br />

Die Lehrerbildungszentren<br />

der bayerischen Universitäten<br />

luden mit Unterstützung<br />

der bayerischen Staatsministerien<br />

für Unterricht und<br />

Kultus und für Wissenschaft,<br />

Forschung und Kunst alle<br />

Partner der Lehrerbildung<br />

an die Universität Erlangen-<br />

Nürnberg zum Symposium<br />

»Kompetenzorientierung als<br />

Qualitätsprofil modularisierter<br />

Lehrerbildung« am 1. und<br />

2. März 2010 in Nürnberg ein.<br />

Bei dem Symposium ging es<br />

darum, die Qualität der Lehrerbildung<br />

in allen Phasen zu<br />

thematisieren und weiterzuentwickeln.<br />

Nach der<br />

Einführung neuer modularer<br />

Strukturen in den Lehramtsstudiengängen<br />

steht nun<br />

eine Qualitätsoffensive an,<br />

die Kompetenzorientierung<br />

und Professionsbezug stärkt<br />

und die verschiedenen<br />

Phasen der Lehrerbildung<br />

aufeinander abstimmt.<br />

Renommierte BildungswissenschaftlerInnen<br />

wie PD<br />

Dr. Mareike Kunter vom Max-<br />

Planck-Institut, Berlin, Prof.<br />

Bremen<br />

Gemeinsamer Vorsitz: Nina Bode-Kirchhoff,<br />

Inga Weiland; www.grundschulverband-bremen.de<br />

Veranstaltungshinweis<br />

»Setzen! Sechs!« oder<br />

Leistung wahrnehmen, ermöglichen und würdigen<br />

Samstag, 2. Oktober 2010<br />

9 bis 15 Uhr im Landesinstitut für Schule<br />

Referent: Ulrich Hecker<br />

Schaarschmidt, Prof. Hilbert<br />

Meyer und andere unterstützen<br />

dieses Vorhaben<br />

mit ihren Tagungsbeiträgen.<br />

Vertreter der Ministerien,<br />

Seminarleiter, Hochschuldozenten,<br />

Referendare,<br />

Studierende, Vertreter der<br />

Bildungsadministration und<br />

der Politik konnten miteinander<br />

ins Gespräch kommen<br />

und konkrete Vorschläge für<br />

eine Kompetenzorientierung<br />

und eine enge Verzahnung<br />

der Lehrerbildungsphasen<br />

formulieren. Als gemeinsames<br />

Ziel wurde die Verbesserung<br />

der Qualität der Lehrerbildung<br />

in allen Phasen<br />

in den Blick genommen.<br />

In Workshops erarbeiteten<br />

die TeilnehmerInnen aktiv<br />

konkrete Ansatzpunkte zur<br />

Qualitätsentwicklung in allen<br />

Phasen der Lehrerbildung.<br />

Der dadurch initiierte Prozess<br />

der Entwicklung und Kooperation<br />

wird von den Zentren<br />

für Lehrerbildung koordiniert<br />

und fortgeführt werden. Alle<br />

Beteiligten stellen sich somit<br />

gemeinsam der Verantwortung<br />

gegenüber den nachkommenden<br />

Generationen<br />

von Schülern und Lehrern<br />

und dem Auftrag einer<br />

zukunftsfähigen Bildung.<br />

Die beiden Podien mit den<br />

Staatsministern Dr. Wolfgang<br />

Heubisch und Dr. Ludwig<br />

Spaenle sowie den Hochschulleitungen<br />

stellten die<br />

Tagung in den (hochschul-)<br />

politischen Kontext.<br />

Weitere Ergebnisse der<br />

Veranstaltung unter www.<br />

lehrerbildung-bayern.de/<br />

Zum Nachlesen: COACTIV-<br />

Studie: Welche Aspekte der<br />

Lehrerkompetenz lassen sich<br />

empirisch identifizieren und<br />

welche Beziehungen weisen<br />

diese Merkmale untereinander<br />

auf? www.mpib-berlin.<br />

mpg.de/coactiv/studie/<br />

ergebnisse/index.html<br />

für die Landesgruppe:<br />

Gabriele Klenk, Petra Hiebl<br />

36 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Brandenburg<br />

Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergweg 21, 15834 Rangsdorf<br />

Fachtagung<br />

»Den Übergang gemeinsam<br />

meistern«<br />

Am 4. 11. 2009 folgten etwa<br />

65 Lehrkräfte und Erzieherinnen<br />

einer Einladung der<br />

Landesgruppe des Grundschulverbandes<br />

zu einer<br />

Fachtagung in Templin. Diese<br />

Tagung wurde in bewährter<br />

Kooperation mit dem<br />

Landesinstitut für Schule und<br />

Medien Berlin-Brandenburg<br />

veranstaltet, um den Austausch<br />

und die Kooperation<br />

von Kita und <strong>Grundschule</strong> zu<br />

unterstützen. Ein Beispiel für<br />

die gelungene Zusammenarbeit<br />

bei der Wahrnehmung<br />

einer gemeinsamen<br />

Bildungs verantwortung<br />

und für die Gestaltung des<br />

Übergangs von vorschulischer<br />

zu schulischer Bildung<br />

bot der gastgebende Lernort<br />

selbst. Die Waldhofschule<br />

in Templin stellte sowohl<br />

ihr Konzept einer inklusiven<br />

Schule und die Umsetzung<br />

ins Schulleben vor als auch<br />

die fest verankerte Zusammenarbeit<br />

von Erzieherinnen<br />

und Lehrkräften bei der<br />

Gestaltung des Übergangs.<br />

In den letzten Jahren sind<br />

im Land Brandenburg auch<br />

durch die Projekte TransKiGs<br />

und PONTE die Fragen einer<br />

systematischen und kontinuierlichen<br />

Zusammenarbeit<br />

zwischen Elementar- und<br />

Primarbereich in den Blick<br />

genommen worden. Im<br />

Gemeinsame Orientierungsrahmen<br />

für die Bildung in<br />

Kindertagesbetreuung und<br />

<strong>Grundschule</strong> ( GorBiKs)<br />

wurden Qualitätsmerkmale<br />

für ein gemeinsames Bildungsverständnis<br />

und die<br />

Gestaltung des Übergangs<br />

in gemeinsamer Bildungsverantwortung<br />

entwickelt.<br />

In diesen Vorhaben sind<br />

Erfahrungen und Ergebnisse<br />

gewonnen worden, über die<br />

in der Tagung breiter informiert<br />

werden konnte.<br />

Dazu trugen ein engagierter<br />

Vortrag zu Arbeitsergebnissen<br />

in diesen Projekten durch<br />

Frau Dr. Frauke Hildebrandt<br />

sowie die Praxisberichte von<br />

Beteiligten und der Austausch<br />

untereinander bei.<br />

Tandems von Erzieherinnen<br />

und Lehrkräften stellten ihre<br />

konkreten Erfahrungen bei<br />

der Teamarbeit, zur Beobachtung<br />

von Lernprozessen<br />

und bezüglich ihrer jeweils<br />

spezifischen Lernangeboten<br />

beispielhaft vor.<br />

Es wurde deutlich, wie wichtig<br />

eine gemeinsame Arbeit<br />

auf Augenhöhe ist, bei der<br />

Fachwissen und pädagogische<br />

Kompetenzen beider<br />

Professionen zum Tragen<br />

kommen können. Die Veranstaltung<br />

ermutigte dazu,<br />

aufeinander zu zugehen und<br />

miteinander zu kooperieren.<br />

Die Tagung war auch zugleich<br />

Mitgliederversammlung<br />

und Wahlveranstaltung,<br />

bei der über die Aktivitäten<br />

und die Fortbildungsangebote<br />

des Landesvorstandes<br />

Brandenburg Rechenschaft<br />

abgelegt wurde. Zum neuen<br />

Vorstand gehören Marion<br />

Gutzmann, Denise Sommer,<br />

Dr. Elvira Waldmann und<br />

Sabine Wendt.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Dr. Elvira Waldmann<br />

Hamburg<br />

Vorsitzende: Susanne Peters, Güntherstraße 10, 22087 Hamburg<br />

susanne.peters@gsv.hamburg.de, www.gsv.hamburg.de<br />

Neue Chancen für<br />

Schülerinnen und Schüler<br />

mit Behinderung<br />

Zu einer Informations- und<br />

Diskussionsveranstaltung<br />

für Eltern und Pädagogen<br />

hatte der Grundschulverband<br />

Hamburg gemeinsam<br />

mit dem Verein »Leben mit<br />

Behinderung«, der Elternkammer<br />

Hamburg sowie der<br />

Landesarbeitsgemeinschaft<br />

»Eltern für Integration« am<br />

25. 1. 2010 eingeladen. Im<br />

ersten Teil berichteten Sabine<br />

Koller-Hesse und Hedwig<br />

Matt, Lehrerinnen der<br />

Heinrich-Zille-<strong>Grundschule</strong><br />

Kreuzberg in Berlin, aus<br />

ihrem Schulalltag und über<br />

Möglichkeiten, Schülerinnen<br />

und Schüler mit mehrfachen<br />

Behinderungen in den Unterricht<br />

einzubeziehen. Mit<br />

Fotos dokumentierten sie,<br />

wie einer Klassenlehrerin und<br />

einer Sonderpädagogin gemeinsam<br />

guter, ertragreicher<br />

Unterricht für alle Kinder, ob<br />

behindert oder nicht behindert,<br />

gelingen kann.<br />

Im zweiten Teil des Abends<br />

stellte Staatsrat Vieluf aus<br />

der Behörde für Schule und<br />

Berufsbildung den Stand<br />

der Vorbereitungen für die<br />

Umsetzung des § 12 der<br />

UN-Konvention in Hamburg<br />

vor: Mit Beginn des nächsten<br />

Schuljahres können Eltern,<br />

zunächst für die Klassen 1<br />

und 5, den Anspruch auf<br />

integrative Beschulung ihrer<br />

Kinder geltend machen. Herr<br />

Vieluf beantwortete anschließend<br />

die vielfältigen Fragen<br />

des Publikums und zeigte<br />

sich dabei engagiert und<br />

gut vorbereitet. Wie groß<br />

das Interesse am Thema war,<br />

wurde allein dadurch deutlich,<br />

dass der Veranstaltungsraum<br />

mit etwa 350 Zuhörern<br />

bis an den Rand gefüllt war.<br />

Zum Teil auf Stehplätzen<br />

verfolgten sie Vorträge,<br />

Fragen und Antworten mit<br />

höchster Aufmerksamkeit.<br />

Es wurde deutlich, dass die<br />

nächsten Schritte zu mehr<br />

integrativem Unterricht<br />

wesentlich davon abhängen,<br />

wie viele Eltern diesen neuen<br />

Weg gehen wollen und wie<br />

weit es gelingt, Wissen und<br />

Erfahrungen der Pädagogen<br />

der unterschiedlichen<br />

Sonderschulen effektiv<br />

in das Regelschulwesen<br />

einzubinden. In der neu<br />

eingerichteten Arbeitsgruppe<br />

der Schulbehörde, an der<br />

Vertreter der verschiedenen<br />

Interessengruppen beratend<br />

teilnehmen, gilt es viele noch<br />

offene Fragen zu klären. Die<br />

Landesgruppe hofft, dass<br />

die Ergebnisse entscheidend<br />

dazu beitragen werden, den<br />

Weg zu mehr integrativem<br />

Lernen zu ebnen.<br />

Schulreform per<br />

Volksentscheid?<br />

Im Juli werden die Hamburger<br />

Wählerinnen und Wähler<br />

über einen grundlegenden<br />

Baustein der Hamburger<br />

Schulreform, das längere<br />

gemeinsame Lernen bis<br />

Klasse 6, abstimmen. Selbst<br />

weitreichende Zugeständnisse<br />

der regierenden Parteien<br />

reichten nicht für einen Kompromiss<br />

mit der Initiative »Wir<br />

wollen lernen«. Sie hat einen<br />

Volksentscheid beantragt,<br />

um das Gymnasium ab Klasse<br />

5 und ein uneingeschränktes<br />

Elternwahlrecht in Bezug auf<br />

die weiterführende Schulform<br />

zu erhalten. Die Landesgruppe<br />

unterstützt die<br />

Schulreform grundsätzlich<br />

und wird sich engagiert dafür<br />

einsetzen, die Bevölkerung<br />

über die damit verbundenen<br />

Vorteile für Hamburger<br />

Schülerinnen und Schüler<br />

zu informieren und zu einer<br />

Stimmabgabe gegen den<br />

Antrag zu ermuntern. Wir<br />

hoffen auf vielfältige Unterstützung!<br />

für die Landesgruppe:<br />

Marion Lindner<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

37


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Hessen<br />

Anschrift: Ilse Marie Krauth, Steigerwaldweg 3, 63456 Hanau, ikrauth@gsv-hessen.de<br />

www,gsv-hessen.de<br />

Inklusion und/oder gegliedertes<br />

Schulsystem?<br />

»Inklusion – wie kann das<br />

gehen?« Um dieses Thema<br />

ging es bei einer Fachtagung<br />

in der Reinhardswaldschule.<br />

Eingeladen hatten der<br />

Verband Sonderpädagogik,<br />

Landesverband Hessen e. V.,<br />

das Amt für Lehrerbildung,<br />

die Deutsche Gesellschaft für<br />

Sprachheilpädagogik und<br />

der Berufsverband deutscher<br />

Hörgeschädigtenpädagogen.<br />

Peter Heyer hatte ein<br />

Grußwort verfasst und die<br />

Landesgruppe Hessen hat<br />

die Tagung unterstützt und<br />

sich aktiv beteiligt.<br />

In ihrem Impulsreferat »Die<br />

Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention<br />

für die<br />

Schulentwicklung« machte<br />

Dr. Marianne Hirschberg<br />

vom Deutschen Institut für<br />

Menschenrechte in Berlin<br />

deren Ziele und Grundsätze<br />

deutlich. Artikel 24, Absatz 1<br />

der Konvention hält fest:<br />

»Die Vertragsstaaten anerkennen<br />

das Recht von Menschen<br />

mit Behinderungen auf<br />

Bildung. Um dieses Recht … zu<br />

verwirklichen, gewährleisten<br />

die Vertragsstaaten ein integratives<br />

Bildungssystem auf<br />

allen Ebenen …«<br />

In Absatz 2 heißt es:<br />

»Bei der Verwirklichung dieses<br />

Rechts stellen die Vertragsstaaten<br />

sicher, dass<br />

a) Menschen mit Behinderungen<br />

nicht aufgrund von<br />

Behinderung vom allgemeinen<br />

Bildungssystem ausgeschlossen<br />

werden und dass Kinder<br />

mit Behinderungen nicht aufgrund<br />

von Behinderung vom<br />

unentgeltlichen und obligatorischen<br />

Grundschulunterricht<br />

oder vom Besuch weiterführender<br />

Schulen ausgeschlossen<br />

werden;«<br />

Laut Aussagen des Vertreters<br />

des HKM bekennt sich<br />

Hessen zu der UN-Behindertenrechtskonvention.<br />

Was<br />

bedeutet es für die Praxis,<br />

wenn man es ernst meint mit<br />

der konsequenten Umsetzung?<br />

Wie verträgt sich Inklusion<br />

mit dem gegliederten<br />

Schulsystem und der frühen<br />

Selektion, die in Hessen die<br />

Bildungspolitik prägen?<br />

Die UN-BRK schlägt in Artikel<br />

4, Absatz 2 vor, zur Umsetzung<br />

die »verfügbaren<br />

Mittel« auszuschöpfen. Was<br />

bedeutet das für Hessen im<br />

Klartext? Welche Ressourcen<br />

stellt die Politik angesichts<br />

immer knapper werdender<br />

Mittel zur Verfügung?<br />

Ein Schritt in die richtige<br />

Richtung wurde gemacht:<br />

Dadurch, dass 50 neue<br />

Stellen für Sonderpädagogen<br />

geschaffen wurden, die Kinder<br />

mit besonderem Förderbedarf<br />

an der Regelschule<br />

begleiten, konnte der Anteil<br />

dieser Kinder, die eine ganz<br />

normale <strong>Grundschule</strong> besuchen,<br />

auf etwas über 22 %<br />

gesteigert werden. Allerdings<br />

wurden laut Landesarbeitsgemeinschaft<br />

»Gemeinsam<br />

leben – gemeinsam lernen«<br />

mehr als 150 Kinder nicht<br />

aufgenommen.<br />

Die Position des Grundschulverbandes<br />

zu dieser Frage ist<br />

eindeutig.<br />

Die vierte der acht Forderungen<br />

zur Bildungsgerechtigkeit<br />

drückt dies so aus:<br />

»Kinder brauchen eine Schule<br />

ohne Auslese.«<br />

für die Landesgruppe:<br />

Ilse Marie Krauth<br />

Werden Kinder<br />

zu Tyrannen?<br />

Im Juni 2010 findet eine<br />

Veranstaltung mit Dr. Michael<br />

Winterhoff, Kinder- und<br />

Jugendpsychiater und<br />

Psychotherapeut und Autor<br />

der viel diskutierten Bücher<br />

»Warum unsere Kinder Tyrannen<br />

werden« und »Tyrannen<br />

müssen nicht sein« statt. Wir<br />

laden zur kritischen Auseinandersetzung<br />

mit den darin<br />

postulierten Thesen ein. Die<br />

Moderation hat Peter Hanack<br />

von der Lokalredaktion der<br />

Frankfurter Rundschau.<br />

Da Ort und genauer Termin<br />

noch nicht feststehen,<br />

bitte ich alle, die sich für eine<br />

Teilnahme interessieren, um<br />

eine kurze Mitteilung unter<br />

ikrauth@gsv-hessen.de<br />

Pädagogische<br />

Leistungskultur<br />

Die Bücher zum Projekt des Grundschulverbandes<br />

(zum Teil mit Arbeitshilfen auf CD)<br />

Fortbildung<br />

Gewaltfreie Kommunikation<br />

In 5 Seminarblöcken, jeweils Sa+So,<br />

berufsbegleitend,<br />

Sept. 2010 bis Mai 2011 in Hannover.<br />

Erlernen Sie die GFK und ihre<br />

Anwendung in Schule und Unterricht.<br />

Telefon 0 57 64 - 41 69 99<br />

K o n fl i kTransformation<br />

Armin Torbecke (zertifiz. GFK-Trainer)<br />

Frühbucherrabatt bis 1. 7.<br />

Armin Torbecke<br />

www.konflikttransformation.de<br />

Band 118<br />

ISBN 3-930024-87-X<br />

Best.-Nr. 1076<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Band 121<br />

ISBN 3-930024-94-2<br />

Best.-Nr. 1079<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Band 119<br />

ISBN 3-930024-88-8<br />

Best.-Nr. 1077<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

Band 124<br />

ISBN 3-930024-96-9<br />

Best.-Nr. 1082<br />

17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />

38 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Vorsitzender: Ralph Grote, Hasengang 3, 17309 Pasewalk<br />

ralphgrote@aol.com<br />

Regionalkonferenzen zur<br />

selbstständigen Schule<br />

Nach Verhandlungen zwischen<br />

den Gewerkschaften<br />

und dem Bildungsministerium<br />

ist nun klar, dass für die<br />

Grund- und Förderschullehrer<br />

mit diesem Schuljahr das<br />

Lehrerpersonalkonzept beendet<br />

ist. Allen Grundschullehrerinnen<br />

und -lehrern<br />

wird daher zum kommenden<br />

Schuljahr eine volle Stelle<br />

angeboten werden.<br />

Diese Tatsache wurde auf<br />

Regionalkonferenzen zur<br />

Entwicklung der selbstständigen<br />

Schule, die durch das<br />

Bildungsministerium in den<br />

verschiedenen Schulamtsbereichen<br />

des Landes durchgeführt<br />

wurden, bekannt<br />

gegeben.<br />

Nach mehr als einem Jahrzehnt<br />

ist damit diese Solidarmaßnahme<br />

zu Ende, die<br />

durch die Grundschullehrer<br />

und -lehrerinnen in unserem<br />

Lande mitgetragen wurde,<br />

um Kündigungen zu vermeiden.<br />

Es drängen sich jedoch nun<br />

neue Fragen auf:<br />

Wie kann bei einem so hohen<br />

Beschäftigungsumfang die<br />

Unterrichtsplanung an der<br />

Schule realisiert werden? Hat<br />

dann jede Klasse ihren Klassenleiter<br />

oder leitet dieser<br />

dann mehrere Klassen?<br />

Und schließlich: Welche Maßnahmen<br />

werden ergriffen,<br />

um der drohenden Überalterung<br />

des Personalbestandes<br />

im Grundschulbereich zu<br />

begegnen? Gerade um eine<br />

gesunde Personalpolitik im<br />

Lande zu gestalten, sind hier<br />

Antworten nötig. Neben der<br />

weiteren Verbesserung des<br />

Einstellungskorridors gehört<br />

dazu auch die Gewinnung<br />

von Nachwuchs für das<br />

Land. Eine Stärkung der<br />

Referendariatsausbildung<br />

an unseren Schulen ist hier<br />

ebenfalls gefordert. Ist es<br />

ein Schritt in die richtige<br />

Richtung, den Mentoren für<br />

ihre anspruchsvolle Tätigkeit<br />

eine entsprechende Entschädigung<br />

zu gewährleisten,<br />

können Bestrebungen, mit<br />

den Stunden der Referendare<br />

den Beschäftigungsumfang<br />

der Lehrkräfte zu reduzieren,<br />

nicht zielführend sein.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Ralph Grothe<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1d, 58285 Gevelsberg<br />

www.grundschulverband-nrw.de<br />

Für ein Ende des Aussortierens<br />

von Kindern!<br />

Vor den Landtagswahlen im<br />

Mai in NRW gewinnt diese<br />

langjährige und zentrale<br />

Forderung des Grundschulverbandes<br />

wieder an <strong>aktuell</strong>er<br />

Bedeutung. Pünktlich<br />

zur Ausgabe der diesjährigen<br />

Empfehlungen für die<br />

Viertklässler trafen sich im<br />

Januar zu einer öffentlichen<br />

Anhörung des Ausschusses<br />

für Schule und Weiterbildung<br />

im Landtag bildungspolitische<br />

Experten und Expertinnen,<br />

um Stellung zu dieser<br />

entscheidenden und weitreichenden<br />

Weichenstellung<br />

für die Lernbiographien von<br />

Kindern zu beziehen. Die Ablehnung<br />

des frühen Aussortierens<br />

wurde eindrucksvoll<br />

durch die Untersuchungsergebnisse<br />

von Prof. H. G.<br />

Holtappels vom Institut für<br />

Schulentwicklungsforschung<br />

an der Uni Dortmund gestützt,<br />

die deutlich machten,<br />

dass es große Überschneidungen<br />

in den Leistungsprofilen<br />

von Kindern gibt, die<br />

– je nach ihrer sozialen Herkunft<br />

– Empfehlungen für die<br />

verschiedenen Schulformen<br />

bekommen haben. Wohlgemerkt:<br />

Überschneidungen<br />

auch bei Gymnasial- und<br />

Hauptschulschülerinnen und<br />

-schülern. Auf diesem Hintergrund<br />

haben in NRW bereits<br />

500 Grundschulleiterinnen<br />

und -leiter einen Aufruf für<br />

ein längeres gemeinsames<br />

Lernen von Grundschulkindern<br />

unterzeichnet, der<br />

von der GEW und dem VBE<br />

mitgetragen und unterstützt<br />

wird.<br />

Fortbildungen für<br />

Lehrerinnen, Lehrer<br />

und Schulleitungen<br />

Gemeinsam Qualität<br />

entwickeln<br />

Unter diesem Motto veranstaltete<br />

die Landesgruppe in<br />

Kooperation mit der Gemeinschaft<br />

Evangelischer Erzieher<br />

im März die nunmehr zweite<br />

Fortbildung für Schulleitungen.<br />

Auch diesmal gingen<br />

die Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer aufgrund der<br />

hervorragenden Arbeit der<br />

beiden Referenten Dr. Kirsten<br />

Mattern und Thomas Rimmasch<br />

mit vielen hilfreichen<br />

Impulsen für die eigene schulische<br />

Entwicklungsarbeit<br />

gestärkt und zufrieden nach<br />

Hause!<br />

Lernspuren sichtbar<br />

machen<br />

Auch diese Fortbildung im<br />

April setzt eine erfolgreiche<br />

Kooperation der Landesgruppe<br />

fort: In Kooperation<br />

mit dem Franz-Hitze-Haus,<br />

Münster, werden auf der<br />

Grundlage des Konzeptes der<br />

Pädagogischen Leistungskultur<br />

des Grundschulverbandes<br />

verschiedene Dokumentationsformen<br />

vorgestellt, die<br />

das individuelle Lernen von<br />

Kindern fördern und Lernanstrengungen<br />

und Lernüberlegungen<br />

von Kindern nach<br />

außen sichtbar machen. Die<br />

Präsentation erfolgreicher<br />

kleiner, praktikabler Modelle<br />

in Workshops soll dazu beitragen,<br />

die eigene pädagogische<br />

Praxis im Sinne einer<br />

kindorientierten Leistungskultur<br />

weiterzuentwickeln.<br />

Alle Informationen unter<br />

www.grundschulverbandnrw.de.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Beate Schweitzer<br />

GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010<br />

39


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Anschrift: Werner Lang, Am Wingertsberg 8, 67756 Hinzweiler<br />

www.wl-lang.de<br />

Fortbildung »Sonderpädagogischer<br />

Förderbedarf«<br />

Großen Zuspruch fand diese<br />

Veranstaltung im Januar 2010<br />

an der <strong>Grundschule</strong> in St. Julian.<br />

Im Vordergrund standen<br />

die Fragen »Wann sollten<br />

Schülerinnen und Schüler<br />

auf sonderpädagogischen<br />

Förderbedarf überprüft<br />

werden?« und »Wie funktioniert<br />

das Meldeverfahren im<br />

neuen Gutachtenportal?«<br />

Eva Limper (Rektorin) sowie<br />

Jörg Degen (Förderschullehrer)<br />

von der Janusz-Korczak-<br />

Schule Lauterecken konnten<br />

den interessierten TeilnehmerInnen<br />

hilfreiche Hinweise<br />

und Anregungen geben.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Konstanze Klein<br />

Teilrahmenplan<br />

Musik – »Musikalische<br />

Nachmittage«<br />

Im Verlauf der Vorbereitungen<br />

zu einer Veranstaltungsreihe<br />

zum neuen Teilrahmenplan<br />

Musik entstand die Idee,<br />

»musikalische Nachmittage«<br />

allen rheinland-pfälzischen<br />

Studienseminaren anzubieten.<br />

In Zusammenarbeit mit<br />

dem Arbeitskreis für Schulmusik<br />

(AfS) wird es eine<br />

Einführung in die Theorie<br />

des Teilrahmenplans sowie<br />

mittels Workshops zahlreiche<br />

praktische Anregungen zu<br />

seiner Umsetzung geben.<br />

Das Angebot richtet sich in<br />

erster Linie an LehramtsanwärterInnen,<br />

wird allerdings<br />

abhängig von den Räumlichkeiten<br />

auch für interessierte<br />

Lehrkräfte ausgeschrieben.<br />

Bislang steht der Termin für<br />

das Staatl. Studienseminar<br />

in Kusel fest: Dienstag, den<br />

24. August 2010 in der<br />

Fritz-Wunderlich-Halle. Der<br />

praxisnah angelegte Vortrag<br />

von O. Weyrauch (Universität<br />

Koblenz-Landau), der in Kusel<br />

referieren wird, ist für alle<br />

Lehrerinnen und Lehrer offen,<br />

die Workshops sind den LAA<br />

vorbehalten.<br />

Spielen und Bewegen<br />

mit dem Ball –<br />

DFB-Projekt 20 000 plus<br />

Fußball für GrundschullehrerInnen<br />

steht bei 2 Fortbildungsveranstaltungen<br />

auf dem Programm, das die<br />

Landesgruppe zusammen<br />

mit dem SWFV am 20. und<br />

27. Mai 2010 an der <strong>Grundschule</strong><br />

in St. Julian anbietet.<br />

Dabei sollen die TeilnehmerInnen<br />

Anregungen<br />

erhalten, wie Toleranz und<br />

Fairplay z. B. durch Fußball<br />

erfahren und erlebt werden<br />

können.<br />

(SINuS)-<br />

Grundschultag<br />

Im Zeichen des mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />

Unterrichts wird der<br />

Grundschultag 2010 am<br />

Dienstag, 5. Oktober an der<br />

Universität in Trier stehen. In<br />

diesem Jahr sind die SINUS-<br />

Projekt-Schulen Mitveranstalter.<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Kontakt: Petra Uhlig, Richard-Wagner-Str. 29, 06114 Halle<br />

petra.uhlig@lycos.de<br />

Neue Versetzungsverordnung<br />

in Sachsen-Anhalt<br />

Mit dem Schuljahr 2009/10 ist<br />

die Neugestaltung der Schuleingangsphase<br />

in Sachsen-<br />

Anhalt verbindlich geworden.<br />

Angestrebt wird eine<br />

Umgestaltung schul- und<br />

unterrichtsorganisatorischer<br />

Abläufe mit dem Ziel einer<br />

stärkeren Individualisierung<br />

des Unterrichts. Die Landesgruppe<br />

des Grundschulverbandes<br />

in Sachsen-Anhalt<br />

unterstützt grundsätzlich<br />

diese Bestrebungen, da im<br />

Rahmen der Flexibilisierung<br />

der Schuleingangsphase<br />

Freiräume geschaffen werden<br />

können, die helfen, das<br />

Ideal der <strong>Grundschule</strong> »Allen<br />

Kinder gerecht werden«<br />

mehr und mehr zu realisieren.<br />

Es muss allerdings<br />

darauf aufmerksam gemacht<br />

werden, dass von Seiten der<br />

Bildungsverantwortlichen die<br />

nötigen sächlichen, personellen<br />

und rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

zur Umsetzung<br />

geschaffen werden müssen.<br />

Ein Schritt in die richtige<br />

Richtung wurde nun seitens<br />

des Kultusministeriums getan,<br />

das eine neue Versetzungsverordnung<br />

veröffentlicht hat<br />

(www.mk-intern.bildung-lsa.<br />

de/Bildung/ve-versetzungs<br />

verordnung_2009.pdf). Studien<br />

belegen seit längerem,<br />

dass Sitzenbleiben nicht nur<br />

eine teure, sondern auch eine<br />

pädagogisch wirkungslose<br />

Maßnahme ist, die Deutschland<br />

annähernd 1 Milliarde<br />

Euro jährlich kostet (www.<br />

bertelsmann-stiftung.de/<br />

cps/rde/xchg/SID-93FB9AE6-<br />

D265EF85/bst/hs.xsl/nachrich<br />

ten_97560.htm). Daher wurde<br />

die Verordnung dahingehend<br />

geändert, den Schülern statt<br />

der unwirksamen Wiederholung<br />

aller Fächer eine individuelle<br />

Förderung zum Abbau<br />

der tatsächlichen fachkonkreten<br />

Defizite zu ermöglichen.<br />

Neu ist die Versetzungspflicht<br />

für Schüler, wenn sie in allen<br />

versetzungsrelevanten<br />

Fächern mindestens ausreichende<br />

Leistungen und<br />

höchstens einmal mangelhafte<br />

Leistungen erreicht haben.<br />

Außerdem werden Schüler<br />

auch dann versetzt, wenn<br />

sie zweimal nur mangelhafte<br />

Leistungen erreicht<br />

haben und die mangelhaften<br />

Leistungen durch<br />

mindestens befriedigende<br />

Leistungen in anderen Fächern<br />

ausgleichen können.<br />

Eine weitere für die <strong>Grundschule</strong><br />

relevante Änderung<br />

ist, dass Schüler auf Antrag<br />

der Erziehungsberechtigten<br />

durch Beschluss der Klassenkonferenz<br />

bis zum dritten<br />

Unterrichtstag des neuen<br />

Schuljahres eine besondere<br />

Leistungsfeststellung ablegen<br />

können, um nachträglich<br />

versetzt zu werden.<br />

Voraussetzung ist, dass die<br />

Verbesserung einer mangelhaften<br />

Leistung um eine<br />

Notenstufe genügt, um die<br />

Versetzungsbestimmungen<br />

zu erfüllen. Weitere Änderungen<br />

betreffen die Schüler<br />

im gemeinsamen Unterricht,<br />

die in Sachsen-Anhalt an<br />

den Regelschulen verbleiben,<br />

aber nach Lehrplänen<br />

der Förderschule unterrichtet<br />

werden. Die Landesgruppe<br />

Sachsen-Anhalt des<br />

Grundschulverbandes sieht<br />

in der Neufassung der Versetzungsverordnung<br />

durch<br />

das Kultusministerium ein<br />

positives Signal im Prozess<br />

der Qualitätsentwicklung<br />

an <strong>Grundschule</strong>n und eine<br />

Voraussetzung auf dem Weg<br />

zum Erreichen des größeren<br />

Ziels: die Neugestaltung<br />

der Schuleingangsphase.<br />

Alle nötigen Rahmenbedingungen,<br />

um die flexible<br />

Schuleingangsphase jedoch<br />

nachhaltig an den <strong>Grundschule</strong>n<br />

Sachsen-Anhalts zu<br />

etablieren, sind damit noch<br />

nicht erfüllt. So werden unter<br />

anderem die vom Kultusministerium<br />

in Aussicht gestellte<br />

Neufassung des Leistungsbewertungserlasses,<br />

die das<br />

schwerwiegendere Problem<br />

der Benotung im Anfangsunterricht<br />

regelt, und weitere<br />

unterstützende Maßnahmen<br />

dringend erwartet.<br />

für die Landesgruppe:<br />

Ralph Thielbeer<br />

40 GS <strong>aktuell</strong> <strong>110</strong> • Mai 2010


<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />

Schleswig-Holstein<br />

Vorsitzende: Dr. Beate Blaseio, Am Binnenhafen 52, 25813 Husum<br />

www.grundschulverband-sh.de<br />

Neue Wege in<br />

Schleswig-Holstein<br />

Wenn der Staatssekretär<br />

des Bildungsministeriums<br />

auf einer Fachtagung vor<br />

Grundschullehrerinnen sagt,<br />

dass es ein Problem sei, dass<br />

Kinder mit unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen an die<br />

weiterführenden Schulen<br />

kommen und diese dort erst<br />

einmal auf ein Niveau kommen<br />

müssen, dann ist das<br />

ein Spiegelbild der Bildungspolitik<br />

der neuen Landesregierung.<br />

Mit der im Koalitionsvertrag<br />

vereinbarten und geplanten<br />

Wiedereinführung der<br />

Notengebung ab Klasse 3<br />

sowie der Einrichtung von<br />

Begabtenzentren wird sich<br />

der Auslesedruck auf Schüler<br />

und Schülerinnen und Lehrer<br />

und Lehrerinnen der <strong>Grundschule</strong><br />

erhöhen. Damit macht<br />

Schleswig-Holstein eine<br />

Kehrtwende auf dem Wege<br />

zu einer bildungsgerechten<br />

<strong>Grundschule</strong>.<br />

Der offene Brief des Vorstands<br />

an den Bildungsminister<br />

Dr. E. Klug zu Beginn<br />

des Jahres (siehe <strong>Grundschule</strong><br />

<strong>aktuell</strong> 109 und www.<br />

grundschulverband-sh.de)<br />

blieb bislang unbeantwortet.<br />

Hingegen fand die Tagung<br />

der Landesgruppe in Osterrönnfeld<br />

am 25. Januar unter<br />

dem Thema »<strong>Grundschule</strong><br />

kindergerecht voranbringen«<br />

mit einem Eingangsvortrag<br />

von Horst Bartnitzky und<br />

Über 100 Teilnehmer und Teilnehmerinnen kamen zur Tagung<br />

der Landesgruppe zum Thema »<strong>Grundschule</strong> kindergerecht<br />

voranbringen«<br />

der Präsentation von drei<br />

<strong>Grundschule</strong>n des Landes<br />

auf dem Weg zu einer kindergerechten<br />

<strong>Grundschule</strong><br />

mit über 100 Teilnehmern<br />

große Resonanz.<br />

für die Landesgruppe:<br />

S. Jesumann<br />

Thüringen<br />

Steffi Jünemann, Hauptstraße 7, 99734 Nordhausen<br />

Verpflichtung zur schulischen<br />

Evaluation – Eigenverantwortliche<br />

Schule<br />

Seit August 2008 ist jede<br />

Thüringer Schule per Schulgesetz<br />

zur regelmäßigen<br />

internen Evaluation ihrer<br />

Schul- und Unterrichtsqualität<br />

verpflichtet. Welche<br />

Evaluationsinstrumente sie<br />

dafür auswählt, entscheidet<br />

die Schule in eigener Verantwortung.<br />

Wichtig dabei sind<br />

die Einbindung der Schulkonferenz<br />

und deren Information<br />

über die Ergebnisse.<br />

Neben der Nutzung selbst<br />

entwickelter Instrumente<br />

wie schriftliche Befragungen,<br />

Interviews, Dokumentenanalyse,<br />

zielgerichtete<br />

Beobachtungen stehen den<br />

Thüringer <strong>Grundschule</strong>n dafür<br />

auch zahlreiche zentrale<br />

Instrumente kostenfrei zur<br />

Verfügung:<br />

– ThüNIS (Thüringer Netzwerk<br />

Innovativer Schulen)<br />

– SEfU ( Schüler als Experten<br />

für den Unterricht)<br />

– Kompetenztests in<br />

Klassen stufe 3<br />

– Checkliste für die Gestaltung<br />

der Schuleingangsphase<br />

Ebenso sind alle Schulen<br />

verpflichtet, in angemessenen<br />

Zeitabständen an<br />

einer externen Evaluation<br />

teilzunehmen. In 3 Tagen<br />

werden durch eigens dafür<br />

qualifizierte Experten zahlreiche<br />

Unterrichtsbesuche<br />

und Interviews durchgeführt<br />

sowie Dokumente analysiert.<br />

Anschließend bekommt die<br />

Schule eine Rückmeldung<br />

über ihren Entwicklungsstand<br />

und entsprechende<br />

Empfehlungen. Nach<br />

Abschluss der externen<br />

Evaluation wird eine Zielvereinbarung<br />

zwischen der<br />

Schule und dem zuständigen<br />

Schulamt getroffen, in der<br />

die Schule ihre Vorhaben zur<br />

Qualitätsentwicklung und<br />

Qualitätssicherung festlegt.<br />

Der Vorstand der Landesgruppe<br />

Thüringen unterstützt<br />

diese Entwicklung:<br />

●● systematische Schulentwicklung<br />

wird initiiert<br />

●● aus den Ergebnissen werden<br />

gemeinsam mit Eltern<br />

und Schülern realistische und<br />

sinnvolle Ziele abgeleitet und<br />

umgesetzt.<br />

●● ein schulinternes professionelles<br />

Qualitätsmanagement<br />

entsteht<br />

●● die konzeptionelle Arbeit<br />

wird forciert<br />

●● immer mit dem Ziel einer<br />

stärkeren Schülerorientierung<br />

und individuellen<br />

Förderung und der Verbesserung<br />

der Unterrichtsqualität.<br />

Viele Schulen haben sich<br />

bereits auf den Weg gemacht<br />

und nehmen ihre Entwicklung<br />

systematisch und eigenverantwortlich<br />

in den Blick.<br />

Aber nach wie vor sind auch<br />

viele sehr zögerlich. Wir<br />

stellen uns die Frage, woran<br />

das liegt:<br />

●● Sind die Verantwortlichen<br />

an den Schulen für solche<br />

Aufgaben nicht genügend<br />

qualifiziert?<br />

●● Bestehen personelle<br />

Grenzen?<br />

●● Trauen sich die Schulen<br />

nicht, ihre gute Entwicklung<br />

offenzulegen?<br />

für die Landesgruppe:<br />

Katrin Heckert


Grundschrift<br />

damit Kinder besser schreiben lernen<br />

●● Wir suchen Lehrerinnen und Lehrer,<br />

– die mit Kindern lange Zeit die Druckschrift als Schreibschrift nutzen,<br />

– die Kinder dabei auf dem Weg zu einer eigenen Handschrift begleiten,<br />

– die Erfahrungen mit der Grundschrift sammeln wollen – in einer oder in<br />

mehreren Klassen, oder auf der Ebene einer ganzen Schule.<br />

●● Wir wollen mit Ihnen in Kontakt kommen, Erfahrungen untereinander<br />

austauschen und gemeinsam Wege zu einem kind gemäßen Schreibunterricht<br />

gehen.<br />

●● Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit werden im Frühjahr 2011 in einer<br />

Fachtagung diskutiert und anschließend vom Grundschulverband<br />

veröffentlicht.<br />

● Schreiben Sie an den Grundschulverband,<br />

Stichwort »Grundschrift«<br />

E-Mail: info@grundschulverband.de<br />

Post: Grundschulverband, Niddastraße 52,<br />

60329 Frankfurt / Main<br />

Materialien zum Mitmachen und ein Forum<br />

für Erfahrungen und Meinungen finden Sie unter:<br />

www.grundschulverband.de > Grundschrift

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