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Ernst Ludwig Kirchner

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Sängerin am Piano, 1930, Öl auf<br />

Leinwand, 120 × 150 cm<br />

Alpenveilchen zu Weihnachten, 1917,<br />

Öl auf Leinwand, 60 × 70 cm<br />

zwanziger Jahre der Blick auf das eigene Œuvre: Er will nicht länger ein<br />

Expres sionist sein, vielmehr sieht er sich neuen internationalen Kunstströmun<br />

gen nahe. Er ändert seinen Malstil. Die Formen werden flächiger, die<br />

Konturenlinie gewinnt an Autonomie, Gesichter werden maskenartig. Vielleicht<br />

liegt der Grund für diese persönliche Weiterentwicklung in der Konkurrenzsituation<br />

zu den Kollegen, die ihn belastet. Er notiert sich von einem<br />

Besuch bei seinem Händler Schames in Frankfurt 1925: „Vor allem muss<br />

ich noch einen neuen jungen Händler für meine Sachen haben, der die anderen<br />

nicht hat, das wäre sehr wichtig.“ 8 Und zwei Tage später: „Bei<br />

Schames sind alle Brückeleute, das ist nicht gut für meinen Plan, allein vorwärts<br />

zu machen, sie haben mir ihn schon fast geraubt, ich muß einen neuen<br />

Mann, der die anderen nicht hat, bekommen.“ 9 Es verstärken sich die<br />

negativen Gefühle, schlechte Verkäufe in den Ausstellungen kommen hinzu.<br />

Die Lebens gefährtin Erna ist unglücklich in der Bergeinsamkeit.<br />

Im September 1926 notiert er: „Je älter ich werde, desto mehr öffnet sich<br />

die Naturform mir und ich schöpfe frei aus ihr zur Realisierung meiner Kunstform,<br />

die immer eindeutiger und stiller wird.“ 10 Stolz berichtet der Künstler<br />

dem Kunsthistoriker Alfred Hentzen, damals Assistent von <strong>Ludwig</strong> Justi an<br />

der Berliner Nationalgalerie, am 25. August 1931 „von dem schönste[n] und<br />

beste[n] [Bild] der letzten Jahre.“ So lobt <strong>Ernst</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Kirchner</strong> das Gemälde<br />

„Sängerin am Piano“, das er mit „29“ datiert und mit „cantatrice au piano“<br />

betitelt hat. In einem Katalog der Kunsthalle Bern von 1933 beschreibt er<br />

es folgendermaßen: „Von den senkrecht und schräg gesehenen Tasten steigen<br />

blaue horizontale Linienreihen auf, die man als Bild der Töne deuten kann.<br />

Die Arme der spielenden Sängerin setzen in der Umformung an der Brust<br />

an und geben damit der Bewegung das Feierliche. Die Gesichter der fünf Zuhörer<br />

sind trotz der Vereinfachung individualisiert.“ 11<br />

Deutlich ist im Bild zu erkennen, dass <strong>Kirchner</strong> Picassos Werk wahr- und<br />

annimmt. Vergleicht man es beispielsweise mit dem 1928 entstandenen „Baigneuses<br />

jouant au ballon“ 12 , in dem Picasso die Ballspieler mit stark überlängten<br />

Armen zeigt, wird Verbindendes deutlich. Picasso stärkt damit die<br />

Aktion der Spieler: das Strecken nach dem Ball, um ihn zu fangen. <strong>Kirchner</strong><br />

lenkt über die Form der überlangen Arme den Blick des Betrachters an den<br />

unteren Rand des Bildes, hin zu den Klaviertasten und wieder zurück zum<br />

Gesicht der Sängerin. Doch direkte Anleihen sind bei <strong>Kirchner</strong> nie zu finden 13 ,<br />

was dafür spricht, dass er Picassos Werk zwar studiert und für sich nutzbar<br />

macht, sich jedoch niemals direkte Übernahmen oder Zitate gestattet<br />

hat. 14 Darüber hinaus betrachtet er Picasso nicht ohne Kritik, wenn er sich<br />

nach dem Besuch einer Ausstellung in Zürich am 19. September 1925 notiert:<br />

„Nun war ich mit Müller in Zürich und sah dort die Ausstellung der modernen<br />

Maler aller Nationen. Es ist nicht gerade viel und nicht gerade Eigenes,<br />

was die Herren da produzieren. Der eigenartigste und beste ist<br />

sicherlich Picasso. Er ringt doch um Form in den alten Bildern wie in den<br />

neuen, nur kommt er nie zu einem Resultat, weil er alles sehr unfertig läßt.<br />

Die Skizze ist immer interessant, aber damit schafft man noch keinen Stil.<br />

Das Bild aus der blauen Periode ist wie ein angefangenes Kinoplakat. Fertig<br />

ist nur das kleine Stilleben von 1924 mit den Erdbeeren und dem Milchglase.<br />

Das ist gut und formale Phantasie. Die beiden großen stehenden Akte<br />

sehen sehr schön aus. Da merkt man das Herkommen Picassos von den<br />

Negern und Chavannes daran. Die Frau im Spiegel ist langweilig. [...]“ 15<br />

Der Vergleich zweier Stillleben, „Alpenveilchen zu Weihnachten“ von 1917<br />

und das wohl zehn Jahre später entstandene „Stillleben mit Krügen und<br />

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