Kinder- und Jugendkultur(en) - Institut für Jugendkulturforschung
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<strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>(<strong>en</strong>)<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>forschung<br />
Alserbachstraße 18 / 7.OG, 1090 Wi<strong>en</strong><br />
Tel. +43/(0)1/532 67 95<br />
Mail: bgrossegger@jug<strong>en</strong>dkultur.at<br />
BÖKWE-Tagungsband 2010: B. Großegger<br />
Rezeptionsästhetik<strong>en</strong> <strong>und</strong> ästhetischer Selbstausdruck im Spannungsfeld<br />
von Bellismus, Realitätsbewältigung <strong>und</strong> neu<strong>en</strong> Form<strong>en</strong> der Kreativität<br />
Beate Großegger<br />
<strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dliche wachs<strong>en</strong> in einer komplex<strong>en</strong> <strong>und</strong> widersprüchlich<strong>en</strong> Welt heran.<br />
Eine seltsame Gleichzeitigkeit von Mangel <strong>und</strong> Überfluss prägt ihr<strong>en</strong> Alltag: ein Mangel an<br />
Sicherheit <strong>und</strong> Ori<strong>en</strong>tierung, insbesondere was die persönlich<strong>en</strong> Zukunftschanc<strong>en</strong> betrifft,<br />
<strong>und</strong> Überfluss im Sinne von einer unübersichtlich<strong>en</strong> Vielfalt an Option<strong>en</strong>, mit d<strong>en</strong><strong>en</strong> die<br />
postmoderne Leb<strong>en</strong>sstil- <strong>und</strong> Konsumgesellschaft alltäglich lockt. Wer heute über Kindheit<br />
<strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>d spricht, spricht immer zugleich auch von Medi<strong>en</strong>- <strong>und</strong> Mark<strong>en</strong>kindheit bzw.<br />
Medi<strong>en</strong>- <strong>und</strong> Mark<strong>en</strong>jug<strong>en</strong>d. Medi<strong>en</strong> <strong>und</strong> Mark<strong>en</strong>produkte sind feste Bestandteile des<br />
kindlich<strong>en</strong> <strong>und</strong> jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> Alltags. Sie liefern Inspiration<strong>en</strong> <strong>für</strong> die Leb<strong>en</strong>s- <strong>und</strong><br />
Selbstori<strong>en</strong>tierung der <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> <strong>und</strong> sie hab<strong>en</strong> präg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Einfluss auf der<strong>en</strong><br />
ästhetische Bedürfnisse <strong>und</strong> Prax<strong>en</strong>. Die Soziokultur<strong>en</strong>, in d<strong>en</strong><strong>en</strong> sie sich beweg<strong>en</strong>, ereign<strong>en</strong><br />
sich an der Schnittstelle von Alltagsrealität <strong>und</strong> medial vermittelter Populärkultur, die <strong>für</strong><br />
<strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dliche eine scheinbar niemals versieg<strong>en</strong>de Quelle ästhetischer<br />
Erfahrung<strong>en</strong> ist.<br />
Währ<strong>en</strong>d populäre Ästhetik<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> heute auf breiter Eb<strong>en</strong>e vertraut<br />
sind, bleib<strong>en</strong> Rahm<strong>en</strong> <strong>und</strong> Inhalte der Hoch- <strong>und</strong> Avantgardekultur hingeg<strong>en</strong> großteils fremd.<br />
In ihrem ästhetisch<strong>en</strong> Ausdrucksverhalt<strong>en</strong> werd<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dliche unverk<strong>en</strong>nbar von<br />
der Populärkultur geprägt. Spielerisch eign<strong>en</strong> sie sich Skills <strong>und</strong> Styles durch gestalt<strong>en</strong>de<br />
Nachahmung an <strong>und</strong> praktizier<strong>en</strong> selbstbewusst ein learning by doing. Und dabei sind sie<br />
zugleich konsumori<strong>en</strong>tiert wie auch kreativ.<br />
Aufwachs<strong>en</strong> in der Medi<strong>en</strong>- <strong>und</strong> Mark<strong>en</strong>gesellschaft: Ästhetische Erfahrung<strong>en</strong> –<br />
immer <strong>und</strong> überall?<br />
Der deutsche Kabarettist Dieter Hildebrandt meinte einmal „Bildung kommt von Bildschirm<br />
<strong>und</strong> nicht von Buch, sonst hieße es ja Buchung“ – ein pointierter Sager, der<br />
zugegeb<strong>en</strong>ermaß<strong>en</strong> etwas verrückt klingt <strong>und</strong> doch eines treff<strong>en</strong>d auf d<strong>en</strong> Punkt bringt:<br />
Bildung lebt heute mehr d<strong>en</strong>n je von bildschirmmedial vermittelt<strong>en</strong> Bilderwelt<strong>en</strong>, die „innere<br />
Bilder“ freisetz<strong>en</strong> <strong>und</strong> die Weltaneignungsprozesse der <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> begleit<strong>en</strong>.<br />
Angesichts der Überfülle an multimedial<strong>en</strong> bzw. multimodal<strong>en</strong> Angebot<strong>en</strong>, bei d<strong>en</strong><strong>en</strong><br />
Bildlichkeit eine z<strong>en</strong>trale Rolle spielt, büßt die traditionelle Schreib-Lese-Kultur an Bedeutung<br />
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BÖKWE-Tagungsband 2010: B. Großegger<br />
ein <strong>und</strong> Bildschirmmedi<strong>en</strong> gewinn<strong>en</strong> in Informations- <strong>und</strong> Bildungszusamm<strong>en</strong>häng<strong>en</strong><br />
zunehm<strong>en</strong>d an Stell<strong>en</strong>wert (angefang<strong>en</strong> beim Fernseh<strong>en</strong>, über Edutainm<strong>en</strong>tspiele am<br />
Computer bis hin zu E-learning-Tools im Internet). Bild(schirm)medi<strong>en</strong> könn<strong>en</strong> aber nicht<br />
ausschließlich auf ihre Funktion<strong>en</strong> als Vermittlungsinstanz<strong>en</strong> reduziert werd<strong>en</strong>. Vielmehr gilt<br />
es, sie als trag<strong>en</strong>de Elem<strong>en</strong>te des Kulturell<strong>en</strong> zu seh<strong>en</strong> <strong>und</strong> zu versteh<strong>en</strong>: Medi<strong>en</strong>handeln<br />
<strong>und</strong> Alltagshandeln ist in viel<strong>en</strong> Bereich<strong>en</strong> auf das Engste verschränkt <strong>und</strong> präs<strong>en</strong>tiert sich<br />
gerade bei <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> als „kulturelles Handeln im Alltag <strong>und</strong> <strong>für</strong> d<strong>en</strong> Alltag“<br />
(Thomas 2008: 8).<br />
Die Medi<strong>en</strong>- <strong>und</strong> Konsumgesellschaft liefert allseits Material <strong>für</strong> ästhetische Erfahrung<strong>en</strong>.<br />
Bereits im Gr<strong>und</strong>schulalter <strong>en</strong>tfalt<strong>en</strong> die Populärkultur <strong>und</strong> ihre Vermittlungsmedi<strong>en</strong><br />
nachhaltig<strong>en</strong> Einfluss auf kindliche Leb<strong>en</strong>sstile bzw. kindliche Soziokultur<strong>en</strong>. Im Klartext<br />
heißt das: <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> sind – sowohl, was die Them<strong>en</strong>, als auch was die<br />
Ästhetik betrifft – stark von medial<strong>en</strong> Bilderwelt<strong>en</strong> geprägt. Mit 6 Jahr<strong>en</strong> sind es Pokemon<br />
<strong>und</strong> Power Rangers, mit 8 Jahr<strong>en</strong> dann Harry Potter <strong>und</strong> – vor allem bei d<strong>en</strong> Mädch<strong>en</strong> –<br />
Stars aus populär<strong>en</strong> Fernsehseri<strong>en</strong> oder Hollywoodfilm<strong>en</strong>. Und mit 11 Jahr<strong>en</strong> sag<strong>en</strong> Kids wie<br />
Paul bereits ganz selbstbewusst: „Eig<strong>en</strong>tlich war mein Vorbild immer Falco – weg<strong>en</strong> der<br />
Frisur, die hatte ich auch mal lange Zeit“ <strong>und</strong> sie tun so als wär<strong>en</strong> sie mit Them<strong>en</strong>, Acts <strong>und</strong><br />
Styles aus der Populärkultur schon lange Zeit auf Du <strong>und</strong> Du.<br />
<strong>Kinder</strong> im Vor- <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schulalter such<strong>en</strong> <strong>und</strong> find<strong>en</strong> in d<strong>en</strong> Medi<strong>en</strong> <strong>und</strong> in der<br />
Populärkultur Gefährt<strong>en</strong> <strong>für</strong> ihr<strong>en</strong> persönlich<strong>en</strong> Alltag (vgl. Paus-Hasse 2002) <strong>und</strong> zugleich<br />
fungier<strong>en</strong> diese als rezeptionsästhetische Sozialisationsinstanz<strong>en</strong>. Für Kids im Alter von 10<br />
bis 14 Jahr<strong>en</strong>, die an der Schwelle vom Kind zum Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> steh<strong>en</strong>, liefern die Medi<strong>en</strong><br />
<strong>und</strong> die Populärkultur VorBILDER: Sie informier<strong>en</strong> im Gleichaltrig<strong>en</strong>umfeld über Must-Haves<br />
<strong>und</strong> No-Gos <strong>und</strong> lad<strong>en</strong> auch zur Nachahmung ein. Für Jug<strong>en</strong>dliche hingeg<strong>en</strong> sind Medi<strong>en</strong><br />
<strong>und</strong> Populärkultur hingeg<strong>en</strong> vor allem Id<strong>en</strong>titätsressource bzw. Inspiration auf der Suche<br />
nach sich selbst <strong>und</strong> dem zu einem pass<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Stil. Sie biet<strong>en</strong> zugleich aber auch Stoff <strong>für</strong><br />
jug<strong>en</strong>dkulturelle Vergemeinschaftung.<br />
Frühe Kontaktnahme mit Populärkultur<br />
Die Auseinandersetzung <strong>und</strong> Id<strong>en</strong>tifikation mit d<strong>en</strong> auf breiter Eb<strong>en</strong>e mehrheitsfähig<strong>en</strong><br />
ProtagonistInn<strong>en</strong> der Populärkultur beginnt heute erstaunlich früh, nicht zuletzt deshalb, weil<br />
diese vom <strong>Kinder</strong>medi<strong>en</strong>markt auch eig<strong>en</strong>s befördert wird. So ist in Zeitschrift<strong>en</strong>fachhandlung<strong>en</strong><br />
gleich neb<strong>en</strong> der neuest<strong>en</strong> Ausgabe von Pokemon <strong>und</strong> GEOlino <strong>für</strong> Euro<br />
4,90.- auch ein Ausmalheft mit Michael Jackson <strong>und</strong> Co. im Sortim<strong>en</strong>t – ein lustig-buntes<br />
Angebot, an dem <strong>Kinder</strong> in der „Ausmalphase“ nur schwer vorbei könn<strong>en</strong>.<br />
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Abbildung 1: Pop als Ausmalheft<br />
Pop als Ausmalheft zu Euro 4,90<br />
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Ab dem Gr<strong>und</strong>schulalter werd<strong>en</strong> kinderkulturelle Ästhetik<strong>en</strong> wie auch kinderkulturelle Prax<strong>en</strong><br />
gestützt durch d<strong>en</strong> Markt also schon von der im D<strong>en</strong>k<strong>en</strong> der breit<strong>en</strong> Öff<strong>en</strong>tlichkeit eher mit<br />
Jug<strong>en</strong>d <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong> assoziiert<strong>en</strong> Populärkultur inspiriert. In der Vorstellung vieler<br />
Erwachs<strong>en</strong>er ist die Bravo ein klassisches Te<strong>en</strong>ie-Magazin, tatsächlich erreicht sie in der<br />
Altersgruppe der 8- bis 12-jährig<strong>en</strong> aber mittlerweile d<strong>en</strong> größt<strong>en</strong> LeserInn<strong>en</strong>kreis. Nicht<br />
Te<strong>en</strong>ager, sondern bereits ältere <strong>Kinder</strong> ori<strong>en</strong>tier<strong>en</strong> sich an d<strong>en</strong> in der Bravo progagiert<strong>en</strong><br />
Them<strong>en</strong>, Tr<strong>en</strong>ds wie auch an der dort propagiert<strong>en</strong> mainstreamig-bunt<strong>en</strong> Pop-Ästhetik. Und<br />
was d<strong>en</strong> Jünger<strong>en</strong> die Bravo ist, ist d<strong>en</strong> ab-12-jährig<strong>en</strong> MTV. MTV gilt gerade in diesem<br />
Segm<strong>en</strong>t noch immer als Tr<strong>en</strong>dsettermedium, gerade was jug<strong>en</strong>dkulturrelevante Styles<br />
betrifft. Und MTV bietet natürlich auch ein (aus Sicht der Marketer) großartiges Werbeumfeld<br />
<strong>für</strong> jug<strong>en</strong>drelevante Konsumprodukte.<br />
Bunte <strong>und</strong> populäre Medi<strong>en</strong>- <strong>und</strong> Mark<strong>en</strong>welt<strong>en</strong> schaff<strong>en</strong> ein<strong>en</strong> Rahm<strong>en</strong>, in d<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> eingebettet sind. Die <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> von d<strong>en</strong><strong>en</strong> hier die Rede<br />
ist, find<strong>en</strong> fernab des etabliert<strong>en</strong> Kulturbetriebs ihr<strong>en</strong> Ort: Sie sind soziokulturelle<br />
Erfahrungsräume, die ein breites Feld <strong>für</strong> kulturelle Selbstdeutungsprozess<strong>en</strong> eröffn<strong>en</strong>, <strong>und</strong><br />
in d<strong>en</strong><strong>en</strong> sich auf der Publikumsseite eig<strong>en</strong>ständige Rezeptionsästhetik<strong>en</strong> etablier<strong>en</strong>, die<br />
aber durchaus auch Inspiration <strong>für</strong> kinder- <strong>und</strong> jug<strong>en</strong>dkulturelle Kreativität sein könn<strong>en</strong>.<br />
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Kreativität als gestalt<strong>en</strong>des Imitier<strong>en</strong>?<br />
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<strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> funktionier<strong>en</strong> anders als das, was man aus dem etabliert<strong>en</strong><br />
Kulturbetrieb k<strong>en</strong>nt: <strong>und</strong> zwar sowohl auf Publikumseb<strong>en</strong>e, als auch auf Seite der kreativ<strong>en</strong><br />
Akteure <strong>und</strong> Akteurinn<strong>en</strong>. In <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> geht es nicht um gehob<strong>en</strong><strong>en</strong>,<br />
kontemplativ<strong>en</strong> Kulturg<strong>en</strong>uss im Sinne von distinguiertem Kulturkonsum, sondern es geht um<br />
ein emotionales Involviert-Sein, um Erlebnis, um mitt<strong>en</strong> drin sein. Ev<strong>en</strong>tkultur<strong>en</strong> <strong>und</strong> Live-<br />
Erleb<strong>en</strong> sind beim jug<strong>en</strong>dkulturori<strong>en</strong>tiert<strong>en</strong> Publikum daher Attraktionsfaktor<strong>en</strong> erst<strong>en</strong><br />
Grades.<br />
Und auch die Kreativ<strong>en</strong> der <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong> tick<strong>en</strong> anders als die Kulturschaff<strong>en</strong>d<strong>en</strong>, die im<br />
etabliert<strong>en</strong> Kulturbetrieb, in der Hoch- <strong>und</strong> Avantgardekultur, verortet sind. Sie hab<strong>en</strong> ein<strong>en</strong><br />
ander<strong>en</strong> Zugang zum Schöpferisch<strong>en</strong>, sie arbeit<strong>en</strong> sich an ihr<strong>en</strong> Skills <strong>und</strong> Styles ab <strong>und</strong><br />
streb<strong>en</strong> nach Originalität, allerdings im Bezugsrahm<strong>en</strong> eines klar umriss<strong>en</strong><strong>en</strong> expressiv<strong>en</strong><br />
Grupp<strong>en</strong>stils, aus dem sie nicht ausbrech<strong>en</strong> woll<strong>en</strong> <strong>und</strong> von dem sie sich ästhetisch nicht<br />
emanzipier<strong>en</strong> woll<strong>en</strong>. Sie eign<strong>en</strong> sich Welt durch ästhetische bzw. symbolische Prax<strong>en</strong> an,<br />
kritische Reflexion, Bewusstseinsbildung etc. ist hier nicht int<strong>en</strong>diert. Weder auf der<br />
ästhetisch<strong>en</strong> Eb<strong>en</strong>e noch in d<strong>en</strong> Inhalt<strong>en</strong> ist hier eine reflexive Meta-Eb<strong>en</strong>e eingezog<strong>en</strong>. Die<br />
kreativ<strong>en</strong> Akteure <strong>und</strong> Akteurinn<strong>en</strong> der <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> versuch<strong>en</strong> sich großteils nicht an<br />
intellektuell<strong>en</strong> Komm<strong>en</strong>tar<strong>en</strong>. Sie nehm<strong>en</strong> nicht Stellung zu etwas, sondern sind <strong>en</strong>tlang der<br />
Standards der jeweilig<strong>en</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>, die sie beheimatet, auf eine originelle Art <strong>und</strong> Weise<br />
ästhetisch expressiv <strong>und</strong> ansonst<strong>en</strong> ähnlich wie das <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>publikum einfach mitt<strong>en</strong><br />
drin.<br />
<strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> stell<strong>en</strong> sich sowohl auf Produz<strong>en</strong>tInn<strong>en</strong>-, als auch auf Konsum<strong>en</strong>tInn<strong>en</strong>seite<br />
als Probebühn<strong>en</strong> dar: Sie steh<strong>en</strong> <strong>für</strong> eine erlebnisori<strong>en</strong>tierte Aneignung von Welt. Sie<br />
mach<strong>en</strong> (meist<strong>en</strong>s) Spaß. Sie präg<strong>en</strong> die Freizeitwelt<strong>en</strong> der Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> (immerhin fühl<strong>en</strong><br />
sich über 80 Proz<strong>en</strong>t der 11- bis 18-jährig<strong>en</strong> zumindest einer jug<strong>en</strong>dkulturell<strong>en</strong> Stilgruppe<br />
zugehörig). Zudem spiel<strong>en</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> eine z<strong>en</strong>trale Rolle in der Bildung von<br />
(personaler, sozialer <strong>und</strong> kultureller) Id<strong>en</strong>tität. Sie eröffn<strong>en</strong> neue Felder kulturell<strong>en</strong> Ausdrucks<br />
<strong>und</strong> ergänz<strong>en</strong> damit das in der Hochkultur/Avantgarde gängige Verständnis von Kreativität:<br />
Sie steh<strong>en</strong> <strong>für</strong> Künste bzw. KünstlerInn<strong>en</strong> der etwas ander<strong>en</strong> Art – sei<strong>en</strong> es<br />
„SprachkünstlerInn<strong>en</strong>“ wie man sie aus der Rap-Kultur, aus der Slam-Poetry-Sz<strong>en</strong>e oder aus<br />
jug<strong>en</strong>dkulturell<strong>en</strong> Phänom<strong>en</strong><strong>en</strong> wie Neo-Folk, Anti-Folk oder Gothic k<strong>en</strong>nt, sei<strong>en</strong> es<br />
„BildkünstlerInn<strong>en</strong>“, die Graffiti spray<strong>en</strong>, Flyer gestalt<strong>en</strong> oder auch Skateboards design<strong>en</strong>,<br />
„KörperkünstlerInn<strong>en</strong>“, angefang<strong>en</strong> bei d<strong>en</strong> Break(danc)ern bzw. B-Boys bis hin zu d<strong>en</strong><br />
Free-Runnern, oder „TonkünstlerInn<strong>en</strong>“, vom gut<strong>en</strong> alt<strong>en</strong> Bandprojekt, über DJing, MCing bis<br />
hin zu vergleichsweise exotischer<strong>en</strong> „Tonkünst<strong>en</strong>“ wie Beatboxing.<br />
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BÖKWE-Tagungsband 2010: B. Großegger<br />
<strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>elle Kreativität, wie man sie hier beobacht<strong>en</strong> kann, ist sozio-kulturelle<br />
Kreativität, die dem ganz normal<strong>en</strong> Alltag näher liegt als dem etabliert<strong>en</strong> Kulturbetrieb. „Mir<br />
<strong>en</strong>tspricht das Imitier<strong>en</strong> anderer Stimm<strong>en</strong> viel mehr als das Erheb<strong>en</strong> der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Stimme“,<br />
äußerte Dirk von Lotzow, seines Zeich<strong>en</strong>s intellektueller Kopf der deutsch<strong>en</strong> Kultband<br />
Tocotronic, jüngst geg<strong>en</strong>über dem Musikmagazin Spex. (Spex #30 01/10: 47) Sein<br />
Statem<strong>en</strong>t bringt ein<strong>en</strong> nicht unbedeut<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Aspekt zeitgemäßer jug<strong>en</strong>dkultureller Kreativität<br />
auf d<strong>en</strong> Punkt: Nicht das Neue find<strong>en</strong>, sondern das Gegeb<strong>en</strong>e neu interpretier<strong>en</strong>, Elem<strong>en</strong>te,<br />
die zueinander pass<strong>en</strong>, w<strong>en</strong>ngleich sie möglicherweise völlig unterschiedlich<strong>en</strong> kulturell<strong>en</strong><br />
Kontext<strong>en</strong> <strong>en</strong>tstamm<strong>en</strong>, aber auch Elem<strong>en</strong>te, die auf d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> Blick nicht zusamm<strong>en</strong><br />
geh<strong>en</strong>, (neu) arrangier<strong>en</strong>, das ist es, worum es hier geht. <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>ell kreativ sein<br />
bedeutet, sich inspirier<strong>en</strong> lass<strong>en</strong>, gestalt<strong>en</strong>d imitier<strong>en</strong> <strong>und</strong> sich dabei an d<strong>en</strong> (<strong>für</strong><br />
Auß<strong>en</strong>steh<strong>en</strong>de oftmals unbedeut<strong>en</strong>d anmut<strong>en</strong>d<strong>en</strong>) Details abarbeit<strong>en</strong>.<br />
Kreatives Ausdrucksverhalt<strong>en</strong> in <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> manifestiert sich in Bildlichkeit <strong>und</strong><br />
Performance. Neues wird durch „gestalt<strong>en</strong>des Nachahm<strong>en</strong>“ gef<strong>und</strong><strong>en</strong>. Hier regiert das<br />
mimetische Prinzip, wie es einst von Aristoteles beschrieb<strong>en</strong> wurde: Mimetische Handlung<strong>en</strong><br />
steh<strong>en</strong> nicht <strong>für</strong> eine Kopie, bei der der Unterschied zwisch<strong>en</strong> dem (kopiert<strong>en</strong>) Vorbild <strong>und</strong><br />
der Nachahmung möglichst klein gehalt<strong>en</strong> wird <strong>und</strong> im ideal<strong>en</strong> Fall sogar verschwindet,<br />
sondern sie zielt auf eine „gestalt<strong>en</strong>de Nachahmung“, die eine Verschönerung bzw. eine<br />
Verbesserung bring<strong>en</strong> soll <strong>und</strong> kann. (vgl. Wulf 2004: 162) Sampling, im Sinne eines<br />
Verknüpf<strong>en</strong>s von Versatzstück<strong>en</strong>, die aus unterschiedlich<strong>en</strong> (ideell<strong>en</strong> <strong>und</strong>/oder kulturell<strong>en</strong>)<br />
Ursprungszusamm<strong>en</strong>häng<strong>en</strong> stamm<strong>en</strong> <strong>und</strong> auf d<strong>en</strong> erst<strong>en</strong> Blick oft gar nicht<br />
zusamm<strong>en</strong>pass<strong>en</strong>, eines Herausnehm<strong>en</strong>s aus dem Ursprungskontext <strong>und</strong> im Arrangem<strong>en</strong>t<br />
mit ander<strong>en</strong> (urspungskontextfremd<strong>en</strong>) Elem<strong>en</strong>t<strong>en</strong> in ein<strong>en</strong> neu<strong>en</strong>, aus der eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />
Pespektive stimmig<strong>en</strong> Kontext Hineinstell<strong>en</strong>s, wird vor diesem Hintergr<strong>und</strong> nicht nur zu einer<br />
Sozialtechnik, die es Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> ermöglicht, mit der Dynamik der gesellschaftlich<strong>en</strong><br />
Pluralisierung <strong>und</strong>, damit verb<strong>und</strong><strong>en</strong>, der allseits geg<strong>en</strong>wärtig<strong>en</strong> Multioptionalität zurande zu<br />
komm<strong>en</strong>, sondern Sampling ist vielmehr eine Kreativstrategie, die der heutig<strong>en</strong> Jug<strong>en</strong>d eb<strong>en</strong><br />
eher vertraut ist als andere.<br />
In d<strong>en</strong> ästhetisch<strong>en</strong> Ausdrucksform<strong>en</strong>, die Jug<strong>en</strong>dliche such<strong>en</strong> <strong>und</strong> find<strong>en</strong>, steht einerseits<br />
das Performative bzw. eine (in der Realwelt über insz<strong>en</strong>atorische Prax<strong>en</strong> fest verankerte)<br />
Körperlichkeit im Vordergr<strong>und</strong>, andererseits zeigt sich bei d<strong>en</strong> durch die neu<strong>en</strong> Medi<strong>en</strong><br />
geprägt<strong>en</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> eine besondere Nähe zum Virtuell<strong>en</strong>, Nicht-Stofflich<strong>en</strong>. Mit ander<strong>en</strong><br />
Wort<strong>en</strong>: Der Faszination an der Insz<strong>en</strong>ierung/Komposition, Bildlichkeit, Farbe etc. steht eine<br />
vergleichsweise geringe S<strong>en</strong>sibilität <strong>für</strong> das Stoffliche bzw. die Materialität geg<strong>en</strong>über – was<br />
nicht notw<strong>en</strong>diger Weise Desinteresse bedeut<strong>en</strong> muss, sondern vielleicht eher auf<br />
mangelnde Vertrautheit hindeut<strong>en</strong> kann.<br />
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Ausdrucks- <strong>und</strong> nicht Apellverhalt<strong>en</strong> regiert heute die <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><br />
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<strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong>, so wie wir sie heute beobacht<strong>en</strong>, sind Parallelunivers<strong>en</strong>: Kultur<strong>en</strong> mit<br />
Eig<strong>en</strong>sinn, aber meist ohne Oppositionsanspruch. <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>forscherInn<strong>en</strong> sprech<strong>en</strong> von<br />
einer Relevanzverschiebung, die sich in d<strong>en</strong> letzt<strong>en</strong> Jahrzehnt<strong>en</strong> in d<strong>en</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong><br />
eingestellt hat. Der Tr<strong>en</strong>d geht weg vom Appell-Verhalt<strong>en</strong>, hin zu verstärktem Ausdrucks-<br />
Verhalt<strong>en</strong>: „Appell: der will die Welt beweg<strong>en</strong>, sich zu verändern, er ist Aufschrei, Anrede,<br />
Diskussion. Wer sich ausdrückt, hat hingeg<strong>en</strong> mit sich selbst zu tun, will sich darstell<strong>en</strong>, ein<br />
Stück Selbstverwirklichung am eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Leibe erprob<strong>en</strong>.“ (Ferchhoff 2003: 251)<br />
Ästhetisches Ausdrucksverhalt<strong>en</strong> ist bei Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> heute großteils am Populär<strong>en</strong><br />
ori<strong>en</strong>tiert <strong>und</strong> das Ästhetische wird von d<strong>en</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> kommunikativ g<strong>en</strong>utzt. Medi<strong>en</strong>-<br />
<strong>und</strong> Mark<strong>en</strong>ästhetik di<strong>en</strong><strong>en</strong> dem Selbstgespräch: Nach dem Bricolage-Prinzip wird über das<br />
Spiel<strong>en</strong> mit Roll<strong>en</strong>, vor allem aber auch über ein Spiel mit Stil<strong>en</strong> am Selbstkonzept gebastelt<br />
– Dim<strong>en</strong>sion<strong>en</strong> eines real<strong>en</strong>, eines ideal<strong>en</strong> <strong>und</strong> eines normativ<strong>en</strong> Selbst werd<strong>en</strong> dabei in<br />
einer nur vorübergeh<strong>en</strong>d gültig<strong>en</strong> Fassung in Beziehung gesetzt.<br />
Medi<strong>en</strong>- <strong>und</strong> Mark<strong>en</strong>ästhetik di<strong>en</strong><strong>en</strong> zugleich aber auch dem Ins-Gespräch-Komm<strong>en</strong> mit<br />
ander<strong>en</strong> <strong>und</strong> einem in wortwörtlichem Sinne sozial Sichtbar-Mach<strong>en</strong> der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Person. In<br />
Richtung Erwachs<strong>en</strong><strong>en</strong>welt ziel<strong>en</strong>de ästhetische Provokation<strong>en</strong> sind in d<strong>en</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong><br />
heute hingeg<strong>en</strong> kein großes Thema mehr. Jug<strong>en</strong>dliche kämpf<strong>en</strong> mit ihrer teils schrill<strong>en</strong><br />
Ästhetik nicht ein<strong>en</strong> symbolisch<strong>en</strong> Kampf geg<strong>en</strong> das System, sondern sie ring<strong>en</strong> viel eher<br />
um individuelles Besonders-Sein, wobei gilt: Besonders sein ist heute schwerer als früher,<br />
„doch da<strong>für</strong> ist es einfacher Punk zu werd<strong>en</strong>, weil alle wiss<strong>en</strong>: Klar, der hat ein<strong>en</strong> Iro oder<br />
zumindest bunte Haare. Dann gehst du einfach in d<strong>en</strong> Lad<strong>en</strong> <strong>und</strong> holst dir dein Outfit, <strong>und</strong><br />
der Friseur weiß auch schon Bescheid“, wie Farin Urlaub, Frontmann der deutsch<strong>en</strong><br />
Funpunk-Band „Die Ärzte“, einmal sehr treff<strong>en</strong>d bemerkte. (So<strong>und</strong>s Heft 2/2008, 47)<br />
Geg<strong>en</strong>wartsjug<strong>en</strong>dliche d<strong>en</strong>k<strong>en</strong> großteils nicht (mehr) in groß<strong>en</strong> Systemzusamm<strong>en</strong>häng<strong>en</strong>.<br />
Sie bring<strong>en</strong> in ihre Auseinandersetzung mit d<strong>en</strong> <strong>für</strong> sie gerade aktuell<strong>en</strong> (Leb<strong>en</strong>s-)Them<strong>en</strong><br />
zuallererst d<strong>en</strong> inner<strong>en</strong> Kommunikationsraum zum Sprech<strong>en</strong>. Die eig<strong>en</strong>e Befindlichkeit, die<br />
Inn<strong>en</strong>welt, wird zum z<strong>en</strong>tral<strong>en</strong> Refer<strong>en</strong>zpunkt ihres D<strong>en</strong>k<strong>en</strong>s, Fühl<strong>en</strong>s <strong>und</strong> ihres Handelns.<br />
Emotional <strong>und</strong> ästhetisch reagier<strong>en</strong> Jug<strong>en</strong>dliche auf die Welt, die sie umgibt <strong>und</strong> nehm<strong>en</strong><br />
dabei auf das aus d<strong>en</strong> Medi<strong>en</strong> <strong>und</strong> d<strong>en</strong> Konsumwelt<strong>en</strong> Bekannte Bezug. Die Welt, in die sich<br />
die Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> hineingebor<strong>en</strong> seh<strong>en</strong>, wird von ihn<strong>en</strong> mit visuell<strong>en</strong> Tools ästhetischexpressiv<br />
komm<strong>en</strong>tiert. Mit Andreas Hepp (2006: 137) kann man <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>jug<strong>en</strong>dliche<br />
als „symbolische Tourist<strong>en</strong>“ versteh<strong>en</strong>: Sie geh<strong>en</strong> spielerisch-experim<strong>en</strong>tell mit d<strong>en</strong> ihn<strong>en</strong><br />
popmedial offeriert<strong>en</strong> Styles um <strong>und</strong> sie nutz<strong>en</strong> diese als Mittel mom<strong>en</strong>taner<br />
Id<strong>en</strong>titätsartikulation.<br />
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Tr<strong>en</strong>ds im ästhetisch<strong>en</strong> Ausdrucksverhalt<strong>en</strong><br />
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Im ästhetisch<strong>en</strong> Ausdrucksverhalt<strong>en</strong> Jug<strong>en</strong>dlicher lass<strong>en</strong> sich derzeit mehrere Tr<strong>en</strong>ds<br />
beobacht<strong>en</strong>:<br />
���� Tr<strong>en</strong>d 1 – Spiel mit neo-romantischer Bildrhetorik: Die heutige Jug<strong>en</strong>d wächst in einer<br />
von Rationalisierungs-, Technologisierungs- <strong>und</strong> Ökonomisierungsprozess<strong>en</strong> geprägt<strong>en</strong><br />
Welt heran <strong>und</strong> sucht nicht zuletzt deshalb vielfach auf der ästhetisch<strong>en</strong> Eb<strong>en</strong>e<br />
nach Alternativ<strong>en</strong>. In Sz<strong>en</strong><strong>en</strong> wie der Gothic-, Emo- oder Neo-Folk-Sz<strong>en</strong>e regiert die<br />
ästhetisch insz<strong>en</strong>ierte Emotionalität. Fleurale Motive in Mode <strong>und</strong> Marketing schaff<strong>en</strong><br />
ein<strong>en</strong> ästhetisch<strong>en</strong> Rahm<strong>en</strong>, der das romantische Schwelg<strong>en</strong> in der eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />
Verw<strong>und</strong>barkeit als Geg<strong>en</strong>pol zur rational-kalt<strong>en</strong> High-Tech-Welt skizziert.<br />
���� Tr<strong>en</strong>d 2 – Strategi<strong>en</strong> einer über Visualisierung vermittelt<strong>en</strong> Vergemeinschaftung von<br />
Gefühl<strong>en</strong>: Jug<strong>en</strong>dliche nutz<strong>en</strong> Bilderwelt<strong>en</strong> nicht nur als Ressource <strong>für</strong> Vorstellungsbilder,<br />
die Weltaneignungsprozesse begleit<strong>en</strong>. Jug<strong>en</strong>dliche versuch<strong>en</strong> in Selbstinsz<strong>en</strong>ierung<strong>en</strong><br />
bzw. Bildern von Selbstinsz<strong>en</strong>ierung<strong>en</strong> ihr Leb<strong>en</strong>sgefühl auch<br />
einzufang<strong>en</strong>, es zu dokum<strong>en</strong>tier<strong>en</strong> <strong>und</strong> an andere zu vermitteln. Durch Insz<strong>en</strong>ierung<br />
<strong>und</strong> Visualisierung mach<strong>en</strong> sie ihre individuell<strong>en</strong> Gefühle zu etwas, das man mit<br />
ander<strong>en</strong> teil<strong>en</strong> kann: zu einem gemeinschaftlich<strong>en</strong> Gut, mit dem man sich als<br />
Leb<strong>en</strong>sgefühlgemeinschaft auch gemeinsam auseinandersetz<strong>en</strong> kann.<br />
���� Tr<strong>en</strong>d 3 – Ästhetisierung <strong>und</strong> Ästhetizismus: Selbstdarstellung hat <strong>für</strong> die heutige<br />
Jug<strong>en</strong>d Erlebniswert. Bei viel<strong>en</strong> lässt sich ein ausgeprägter Hang zur<br />
Selbststilisierung bobacht<strong>en</strong>. Ob „Krocha/Styler“ oder „Hipster“, Motivation ist die<br />
ästhetische Abgr<strong>en</strong>zung von der öd<strong>en</strong> Masse bzw. die Rebellion geg<strong>en</strong> die Normalität<br />
der Casual Wear, in der eine tiefe Suche nach Individualität <strong>und</strong><br />
Originalität/Persönlichkeit zum Ausdruck kommt – <strong>und</strong> zwar nicht vermittelt über ein<br />
reflexiv auf die Gesellschaft bezog<strong>en</strong>es D<strong>en</strong>k<strong>en</strong> oder gar politisches Handeln,<br />
sondern einfach nur bezog<strong>en</strong> auf die ästhetische Selbstperformance: also d<strong>en</strong><br />
eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Style. Was sich hier beobacht<strong>en</strong> lässt, ist eine Art „geistiges Dandytum“<br />
(Erbe 2009), das gek<strong>en</strong>nzeichnet scheint durch ein seltsames Changier<strong>en</strong> zwisch<strong>en</strong><br />
Regelgehorsam <strong>und</strong> Regelbruch (Hörner 2009: 156). In der Ästhetisierung der<br />
Leb<strong>en</strong>swelt<strong>en</strong> <strong>und</strong> der Ästhetisierung des Selbst zerfließ<strong>en</strong> die Gr<strong>en</strong>z<strong>en</strong> zwisch<strong>en</strong><br />
Konsumg<strong>en</strong>uss <strong>und</strong> Konsumkritik. Es geht um Selbstperformance ohne politisch<strong>en</strong><br />
Anspruch. Das Verhältnis zur Gesellschaft charakterisiert sich durch<br />
Handlungs<strong>en</strong>tzug (Erbe 2009), der Status dieser jung<strong>en</strong> „geistig<strong>en</strong> Dandys“ lässt sich<br />
am best<strong>en</strong> als voll integrierte Nicht-Teilnahme beschreib<strong>en</strong>. Vorbild <strong>für</strong> diese Haltung<br />
ist zweifelsohne die (erwachs<strong>en</strong>e) Lifestylegesellschaft, die eine radikale<br />
Ästhetisierung der Leb<strong>en</strong>swelt<strong>en</strong> propagiert – frei nach dem Motto: Das gute Leb<strong>en</strong><br />
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BÖKWE-Tagungsband 2010: B. Großegger<br />
ist ein schönes Leb<strong>en</strong>: eines, das auch nach auß<strong>en</strong> hin als schönes Leb<strong>en</strong> sichtbar<br />
wird.<br />
���� Tr<strong>en</strong>d 4 – ästhetische Ad-hoc-Gemeinschaft<strong>en</strong>: <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>, so wie wir sie heute<br />
beobacht<strong>en</strong>, spielt zum überwieg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Teil in jug<strong>en</strong>dkulturell<strong>en</strong> Sz<strong>en</strong><strong>en</strong>. Ob HipHop<br />
oder Metal, ob Skateboard, House, Emo oder Parkour – <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong> ereignet sich<br />
an der Schnittstelle von jug<strong>en</strong>dlichem (Freizeit-)Alltag <strong>und</strong> medi<strong>en</strong>vermittelter <strong>und</strong><br />
marktfähiger Populärkultur. Jede Sz<strong>en</strong>e <strong>für</strong> sich ist Ort eines vergemeinschaft<strong>en</strong>d<strong>en</strong><br />
Leb<strong>en</strong>sgefühls <strong>und</strong> (<strong>für</strong> j<strong>en</strong>e, die sich der jeweilig<strong>en</strong> Sz<strong>en</strong>e zugehörig fühl<strong>en</strong>)<br />
Statem<strong>en</strong>t zugleich. Gemeinschaft wird ohne große solidaritätsbezog<strong>en</strong>e<br />
Wertsetzung<strong>en</strong> erlebt <strong>und</strong> gelebt, sondern präs<strong>en</strong>tiert sich stattdess<strong>en</strong> im Gewand<br />
einer Erlebnis- <strong>und</strong> Emotionsgemeinschaft, die ruhig auch flüchtig sein darf <strong>und</strong> in der<br />
Gemeinsames allein aufgr<strong>und</strong> gemeinsam<strong>en</strong> ästhetisch-expressiv<strong>en</strong> Handelns<br />
<strong>en</strong>tsteht. Das Gefühl der Gemeinschaft wird hier „im ‚Wärmekreis’ alltäglicher Praxis<br />
hervorgebracht“ (Bauman 2009: 81) <strong>und</strong> Gemeinschaft bleibt so lange leb<strong>en</strong>dig,<br />
solange sie über gemeinsame alltagsästhetische Prax<strong>en</strong> gelebt wird.<br />
Für jug<strong>en</strong>dkulturori<strong>en</strong>tierte Jug<strong>en</strong>dliche ist die gemeinsame ästhetische Erfahrung<br />
fester Bestandteil sozialer, gemeinschaftlicher Erfahrung: einer gemeinschaftlich<strong>en</strong><br />
Erfahrung, die auf sprachliche Kommunikation nicht mehr primär angewies<strong>en</strong> ist.<br />
Jug<strong>en</strong>dliche nehm<strong>en</strong> sich hier alltagsästhetisch verwandt wahr, indem sie nach<br />
bestimmt<strong>en</strong> Stilistik<strong>en</strong> handeln. Das heißt, man verständigt sich in hohem Maße über<br />
visuelle Codes. Berührungsängste mit Konsumkultur<strong>en</strong> bzw. der so g<strong>en</strong>annt<strong>en</strong><br />
Kulturindustrie besteh<strong>en</strong> dabei kaum. Kulturelle Selbstdefinition läuft großteils nicht<br />
über weltanschauliche Position<strong>en</strong>, sondern eb<strong>en</strong> vermittelt über ästhetische<br />
Selbstgestaltung <strong>und</strong> ästhetische Prax<strong>en</strong>. Man zeigt, wer man ist bzw. wer man sein<br />
möchte. Und man tut dies, indem man sich selbst(bewusst) in ein<strong>en</strong> bestimmt<strong>en</strong><br />
alltagsästhetisch<strong>en</strong> Kontext hineinstellt. Das Bild von der eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Person ist dabei<br />
nicht nur im übertrag<strong>en</strong><strong>en</strong> Sinne Bild, sondern wird über Bilder (bzw. im nichtmedial<strong>en</strong><br />
Kontext über körperliche Insz<strong>en</strong>ierung<strong>en</strong>/performative Prax<strong>en</strong>) sowie<br />
narrative Strategi<strong>en</strong> <strong>für</strong> andere anschaulich gemacht <strong>und</strong> kontextualisiert.<br />
Wie in der Offline-Kultur der Sz<strong>en</strong><strong>en</strong>, hat das Visuelle auch im Internet, auf privat<strong>en</strong><br />
(Sz<strong>en</strong>e-)Homepages <strong>und</strong> in d<strong>en</strong> bei Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> <strong>en</strong>orm beliebt<strong>en</strong> Social<br />
Communities hohe Bedeutung. Ob facebook oder netlog – das eig<strong>en</strong>e Profilbild,<br />
Bilder von Fre<strong>und</strong>Inn<strong>en</strong>, Urlaubsfotos, Partyfotos etc. – mit all dies<strong>en</strong> Bildern ermöglich<strong>en</strong><br />
Jug<strong>en</strong>dliche ander<strong>en</strong>, an ihrem Leb<strong>en</strong> teilzuhab<strong>en</strong>. Was hier zählt, ist freilich<br />
meist die gefällige Oberfläch<strong>en</strong>ästhetik, die kulturelle Skripte einer „wünsch<strong>en</strong>swert<strong>en</strong><br />
Persönlichkeit“ unkritisch widergibt. (vgl. Illoutz 2006: 124) Nicht wegdiskutier<strong>en</strong> lässt<br />
sich, dass Jug<strong>en</strong>dliche d<strong>en</strong> Körper nicht nur als Ausdrucksmedium, sondern auch als<br />
Kapital seh<strong>en</strong>. Jug<strong>en</strong>dliche wiss<strong>en</strong>: In der Medi<strong>en</strong>gesellschaft ist Schönheit ein<br />
Animationswert, der Aufmerksamkeit sichert – eine neue Währung der sozial<strong>en</strong><br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>forschung<br />
Alserbachstraße 18 / 7.OG, 1090 Wi<strong>en</strong><br />
Tel. +43/(0)1/532 67 95<br />
Mail: bgrossegger@jug<strong>en</strong>dkultur.at<br />
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BÖKWE-Tagungsband 2010: B. Großegger<br />
Hierarchiebildung. Stellt sich die Frage: Wie positionier<strong>en</strong> sich hier Kunst <strong>und</strong><br />
Kunsterziehung? Zwei Antwort<strong>en</strong> schein<strong>en</strong> möglich: Man kann auf Phänom<strong>en</strong>e der<br />
Alltagsästhetisierung reagier<strong>en</strong>, indem man sie aufnimmt, aber umw<strong>en</strong>det <strong>und</strong> zur<br />
kritisch<strong>en</strong> Reflexion nutzt, oder man öffnet im eig<strong>en</strong><strong>en</strong> Tun Bereiche der Alterität – frei<br />
nach dem Motto: „Geg<strong>en</strong>über der schwül<strong>en</strong> S<strong>en</strong>sitivität einer ästhetisiert<strong>en</strong><br />
Gesellschaft ist eher Anästhetik gebot<strong>en</strong>.“ (Welsch 2006: 47)<br />
���� Tr<strong>en</strong>d 5 – Spiel mit Intertextualität <strong>und</strong> flottier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Zeich<strong>en</strong>: Die in der Medi<strong>en</strong>- <strong>und</strong><br />
Konsumgesellschaft sozialisiert<strong>en</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> agier<strong>en</strong>, sowohl was jug<strong>en</strong>dkulturelle<br />
Rezeptionsästhetik<strong>en</strong> als auch jug<strong>en</strong>dkulturelle Produktionsästhetik<strong>en</strong> betrifft, als<br />
echte Profis des intertextuell<strong>en</strong> Spiels: Auf flapsig kreative, nicht selt<strong>en</strong> spaßig<br />
motivierte oder auch subtil ironische Art <strong>und</strong> Weise werd<strong>en</strong> Beziehung<strong>en</strong> zwisch<strong>en</strong><br />
einem Text <strong>und</strong> einem ander<strong>en</strong> Text hergestellt, wobei dieses Herstell<strong>en</strong> der<br />
Beziehung zwisch<strong>en</strong> d<strong>en</strong> beid<strong>en</strong> Text<strong>en</strong> <strong>für</strong> das Verständnis der Botschaft<br />
f<strong>und</strong>am<strong>en</strong>tal ist.<br />
Abbildung 2: Intertextualität in <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong> <strong>und</strong> jug<strong>en</strong>dkulturori<strong>en</strong>tiertem Marketing<br />
Tr<strong>en</strong>d 5: Spiel mit Intertextualität <strong>und</strong> flottier<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Zeich<strong>en</strong><br />
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W<strong>en</strong>n Sie nicht komm<strong>en</strong>, erschieß<strong>en</strong> wir dies<strong>en</strong> H<strong>und</strong>.<br />
Da es in der Medi<strong>en</strong>- <strong>und</strong> Konsumgesellschaft nahezu ständig zu Austausch- bzw.<br />
Rückkopplungsprozess<strong>en</strong> zwisch<strong>en</strong> d<strong>en</strong> („auth<strong>en</strong>tisch<strong>en</strong>“) jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> Soziokultur<strong>en</strong><br />
<strong>und</strong> d<strong>en</strong> („strategisch<strong>en</strong>“) Akteur<strong>en</strong> des Medi<strong>en</strong>- <strong>und</strong> Marketing-Business kommt,<br />
wiss<strong>en</strong> gewiefte Jug<strong>en</strong>dmarketing- <strong>und</strong> Polit-Strateg<strong>en</strong> auf die jug<strong>en</strong>dkulturelle<br />
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BÖKWE-Tagungsband 2010: B. Großegger<br />
Faszination <strong>für</strong> das Spiel mit Intertextualität oft auch sehr geschickt zu reagier<strong>en</strong>: Mit<br />
strategischem Kalkül spiegeln sie Intertextualität in die <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> zurück. Und<br />
indem sie M<strong>en</strong>sch<strong>en</strong> <strong>und</strong> Dinge, die im Allgemeinverständnis mit einer klar<strong>en</strong> Bedeutung<br />
belegt sind, ganz gezielt in ein<strong>en</strong> ander<strong>en</strong>, neue Bedeutungsrahm<strong>en</strong> schieb<strong>en</strong>,<br />
stell<strong>en</strong> sie neue Lesart<strong>en</strong> bereit. Es lebe also das Flottier<strong>en</strong> der Zeich<strong>en</strong>.<br />
<strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> in der Schule: Geht das überhaupt <strong>und</strong> w<strong>en</strong>n ja, wie?<br />
W<strong>en</strong>n man sich mit der Frage beschäftigt, welch<strong>en</strong> Stell<strong>en</strong>wert populäre <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> <strong>für</strong> die Schule <strong>und</strong> d<strong>en</strong> Unterricht hab<strong>en</strong>, kommt man (unabhängig davon ob<br />
man eher <strong>für</strong> oder eher geg<strong>en</strong> eine Öffnung des schulisch<strong>en</strong> Bereichs <strong>für</strong> kinder- <strong>und</strong><br />
jug<strong>en</strong>dkulturelle Phänom<strong>en</strong>e ist) sehr schnell zu einer gr<strong>und</strong>leg<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Einsicht: Ob man will<br />
oder nicht, populäre <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> sind in d<strong>en</strong> Schul<strong>en</strong> automatisch da, d<strong>en</strong>n<br />
die SchülerInn<strong>en</strong>, die in d<strong>en</strong> Klass<strong>en</strong> sitz<strong>en</strong>, geb<strong>en</strong> sich in der Schule zwar in der Regel<br />
gemäßigter als in der Freizeit, sie streif<strong>en</strong> ihre kinder- <strong>und</strong> jug<strong>en</strong>dkulturell inspiriert<strong>en</strong><br />
Id<strong>en</strong>tität<strong>en</strong> aber nicht einfach ab, sondern sie nehm<strong>en</strong> sie mit auf d<strong>en</strong> Paus<strong>en</strong>hof <strong>und</strong> in d<strong>en</strong><br />
Unterricht.<br />
Aus Sicht der Jug<strong>en</strong>dforschung wäre es wünsch<strong>en</strong>swert, dass kinder- <strong>und</strong> jug<strong>en</strong>dkultureller<br />
Kreativität im schulisch<strong>en</strong> Bereich (mehr) Platz gegeb<strong>en</strong> wird <strong>und</strong> dass Aktionsräume<br />
geschaff<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>, wo kinder- <strong>und</strong> jug<strong>en</strong>dkulturelle Gestaltungswut nicht verpönt, sondern<br />
erlaubt oder – noch besser – sogar erwünscht ist. So könnt<strong>en</strong> etwa Kommunikations- <strong>und</strong><br />
Auf<strong>en</strong>thaltsräume zur Verfügung gestellt werd<strong>en</strong>, die von Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> immer wieder aufs<br />
Neue (mit)gestaltet werd<strong>en</strong> dürf<strong>en</strong>. Und auch die Schularchitektur könnte stärker auf die<br />
Bedürfnisse der Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> Rücksicht nehm<strong>en</strong> <strong>und</strong> so flexibel konzipiert werd<strong>en</strong>, dass sie<br />
an neue, sich verändernde Bedürfnisse der SchülerInn<strong>en</strong> immer wieder angepasst werd<strong>en</strong><br />
kann. Darüber hinaus könn<strong>en</strong> <strong>und</strong> soll<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> aber natürlich auch in<br />
d<strong>en</strong> Unterricht Eingang find<strong>en</strong> – speziell in der Kunsterziehung <strong>und</strong> im Werkunterricht, aber<br />
auch in fächerübergreif<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Projektschwerpunkt<strong>en</strong> oder Unterrichtsfächern, die nicht<br />
gerade als Bühn<strong>en</strong> der Kreativität gelt<strong>en</strong>.<br />
Ansatzpunkte gäbe es viele, drei davon schein<strong>en</strong> mir hier aber im besonder<strong>en</strong> Maße<br />
erwähn<strong>en</strong>swert:<br />
���� Ansatzpunkt 1: Eine off<strong>en</strong>e Auseinandersetzung mit <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> kann<br />
zu einem didaktisch innovativ<strong>en</strong> <strong>und</strong> an d<strong>en</strong> Bedürfniss<strong>en</strong> <strong>und</strong> Alltagskompet<strong>en</strong>z<strong>en</strong><br />
ori<strong>en</strong>tiert<strong>en</strong> Unterricht beitrag<strong>en</strong>.<br />
In viel<strong>en</strong> Bereich<strong>en</strong> ist der Lehr- <strong>und</strong> Lernalltag nach wie vor stark durch textz<strong>en</strong>trierte<br />
Didaktik<strong>en</strong> geprägt. Schulische Erfahrung<strong>en</strong> steh<strong>en</strong> oft in krassem Geg<strong>en</strong>satz zu d<strong>en</strong><br />
alltäglich<strong>en</strong> (Freizeit-)Erfahrung<strong>en</strong>, die vor allem durch visuelle Wahrnehmung <strong>und</strong><br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>forschung<br />
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performative Prax<strong>en</strong> geprägt sind. Hier gilt es anzusetz<strong>en</strong> <strong>und</strong> ergänz<strong>en</strong>d zum<br />
Besteh<strong>en</strong>d<strong>en</strong> neue Wege zu beschreit<strong>en</strong>, die kinder- <strong>und</strong> jug<strong>en</strong>dkulturell<strong>en</strong><br />
Erfahrung<strong>en</strong> G<strong>en</strong>üge tun. Das kann bedeut<strong>en</strong>, bei der hoh<strong>en</strong> Handlungs- <strong>und</strong><br />
Erlebnisori<strong>en</strong>tierung, wie sie in <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> zu beobacht<strong>en</strong> ist, anzudock<strong>en</strong> <strong>und</strong><br />
Gestaltungsprozesse als Zusamm<strong>en</strong>spiel von Mach<strong>en</strong>/Anfertig<strong>en</strong> <strong>und</strong> (<strong>für</strong> d<strong>en</strong> Blick<br />
der ander<strong>en</strong>) Insz<strong>en</strong>ier<strong>en</strong> zu initiier<strong>en</strong>. Das kann heiß<strong>en</strong>, sich mit <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong><br />
Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> auf die Suche nach Antwort<strong>en</strong> auf die Frage „Wie kommt das Neue in<br />
die Welt?“ zu mach<strong>en</strong> <strong>und</strong> dabei die Tools, die in d<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> zur<br />
Anw<strong>en</strong>dung komm<strong>en</strong>, dort aber nicht reflektiert werd<strong>en</strong>, wie etwa Sampling bzw.<br />
Bricolage-Technik<strong>en</strong> oder Cross Mapping, systematisch zu erprob<strong>en</strong> <strong>und</strong> im Hinblick<br />
auf ihre Pot<strong>en</strong>tiale zu bewert<strong>en</strong>. Das kann aber auch heiß<strong>en</strong>, d<strong>en</strong> Hang zum<br />
bildlich<strong>en</strong> D<strong>en</strong>k<strong>en</strong> <strong>für</strong> Informationsorganisation oder die Suche nach Problemlösung<strong>en</strong><br />
zu nutz<strong>en</strong>, etwa indem man mit d<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> die „innere<br />
Bilder“ visualisier<strong>en</strong>de Kreativtechnik des Clustering übt <strong>und</strong> ergänz<strong>en</strong>d dazu die<br />
„inner<strong>en</strong> Bilder“ (gemeinsam) kritisch reflektiert.<br />
���� Ansatzpunkt 2: Man sollte die Risik<strong>en</strong>, die in Zusamm<strong>en</strong>hang mit einer zunehm<strong>en</strong>d<br />
stärker durch Bild(schirm)medi<strong>en</strong> sozialisiert<strong>en</strong> G<strong>en</strong>eration thematisiert werd<strong>en</strong>,<br />
(auch) als Chance seh<strong>en</strong> <strong>und</strong> – ausgeh<strong>en</strong>d von der Überlegung, dass in unserer<br />
bildmedial geprägt<strong>en</strong> Zeit Visual Literacy neb<strong>en</strong> Les<strong>en</strong>, Schreib<strong>en</strong> <strong>und</strong> Rechn<strong>en</strong> eine<br />
Gr<strong>und</strong>kompet<strong>en</strong>z darstellt, die auch in der Schule vermittelt werd<strong>en</strong> muss – neue,<br />
innovative Konzepte der Vermittlung visueller Kompet<strong>en</strong>z <strong>en</strong>twickeln.<br />
Tatsache ist, dass in der postmodern<strong>en</strong> Insz<strong>en</strong>ierungsgesellschaft visuelle<br />
Kompet<strong>en</strong>z zunehm<strong>en</strong>d wichtiger wird, wobei hier die vier Schlüsselbereiche der<br />
Medi<strong>en</strong>kompet<strong>en</strong>z, Medi<strong>en</strong>kritik, Medi<strong>en</strong>k<strong>und</strong>e, Medi<strong>en</strong>nutzung <strong>und</strong> Medi<strong>en</strong>gestaltung,<br />
Berücksichtigung find<strong>en</strong> sollt<strong>en</strong>. Allerdings sollte der Akz<strong>en</strong>t dabei nicht,<br />
wie in der medi<strong>en</strong>pädagogisch<strong>en</strong> Debatte derzeit häufig der Fall, einseitig auf<br />
kritischer Rationalität <strong>und</strong> Produktionsästhetik<strong>en</strong> lieg<strong>en</strong> <strong>und</strong> kreative Prozesse der<br />
Medi<strong>en</strong>gestaltung sowie die d<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> vertraut<strong>en</strong> Rezeptionsästhetik<strong>en</strong><br />
nachgeordnet werd<strong>en</strong>. Viel eher sinnvoll scheint es, Medi<strong>en</strong>gestaltung als<br />
kinder- <strong>und</strong> jug<strong>en</strong>dkulturelles Mitmach-Tool zu implem<strong>en</strong>tier<strong>en</strong> <strong>und</strong> bei d<strong>en</strong><br />
Rezeptionsästhetik<strong>en</strong> anzusetz<strong>en</strong>, um dann idealerweise in einem zweit<strong>en</strong> Schritt auf<br />
die Eb<strong>en</strong>e der Reflexion zu gelang<strong>en</strong>: Zunächst wird Reflexion der eig<strong>en</strong><strong>en</strong><br />
Rezeptionsästhetik<strong>en</strong> Thema sein, dann Reflexion der Rezeptionsästhetik<strong>en</strong> anderer,<br />
um schließlich zu einer kritisch<strong>en</strong> Auseinandersetzung mit Produktionsästhetik<strong>en</strong> <strong>und</strong><br />
d<strong>en</strong> darin verborg<strong>en</strong><strong>en</strong> Interess<strong>en</strong> <strong>und</strong> Ziel<strong>en</strong> zu gelang<strong>en</strong>. Gerade in diesem Bereich<br />
scheint es sinnvoll, die Kern- <strong>und</strong> Schnittstell<strong>en</strong>kompet<strong>en</strong>z<strong>en</strong> der KunsterzieherInn<strong>en</strong><br />
im Kontext eines fächerübergreif<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Unterrichts zu nutz<strong>en</strong>. Notw<strong>en</strong>dig wäre hier<br />
zweifelsohne auch Forschung zu <strong>und</strong> Entwicklung <strong>und</strong> Erprobung von innovativ<strong>en</strong><br />
Vermittlungskonzept<strong>en</strong>/Didaktik<strong>en</strong>. Damit könnte beispielsweise an die im Bereich der<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>forschung<br />
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politisch<strong>en</strong> Bildung derzeit heftig geführte Debatte, wie ErstwählerInn<strong>en</strong> zu einer<br />
kritisch<strong>en</strong> Auseinandersetzung mit Botschaft<strong>en</strong> des Politikmarketings motiviert<br />
werd<strong>en</strong> könn<strong>en</strong>, angeknüpft werd<strong>en</strong> – <strong>und</strong> zwar nicht, wie so oft, mit kulturapokalyptischem<br />
Lam<strong>en</strong>to, sondern konstruktiv.<br />
� Ansatzpunkt 3: Die Rolle der Kunst- <strong>und</strong> Werkerziehung wäre in einem größer<strong>en</strong><br />
bildungspolitisch<strong>en</strong> Kontext (neu) auszulot<strong>en</strong>.<br />
Das Bildungssystem befindet sich im Wandel <strong>und</strong> Politik <strong>und</strong> Gesellschaft steh<strong>en</strong><br />
dabei vor der Herausforderung, die (Funktion<strong>en</strong> der) etabliert<strong>en</strong> Bildungsinstitution<strong>en</strong><br />
im Kontext der Debatte um die Sicherung einer tragfähig<strong>en</strong> Zukunft <strong>für</strong> <strong>Kinder</strong>,<br />
Jug<strong>en</strong>dliche <strong>und</strong> junge Erwachs<strong>en</strong>e neu zu definier<strong>en</strong>. G<strong>en</strong>erell lässt sich ein<br />
Bemüh<strong>en</strong>, <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dliche „fit <strong>für</strong> die Zukunft“ zu mach<strong>en</strong>, beobacht<strong>en</strong>.<br />
Dieses bedeutet jedoch vielfach zugleich auch steig<strong>en</strong>de Anforderung<strong>en</strong> an die<br />
<strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong>. EU-weit zeigt sich ein Tr<strong>en</strong>d zur Rationalisierung,<br />
Standardisierung <strong>und</strong> Fragm<strong>en</strong>tierung des Wiss<strong>en</strong>s, der die Qualität von<br />
Bildungsangebot<strong>en</strong> <strong>und</strong> damit letzt<strong>en</strong>dlich auch die Bildungsinstitution<strong>en</strong> immer<br />
stärker prägt. Daraus resultiert eine zunehm<strong>en</strong>de Überforderung der <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong><br />
Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong>: Sie reagier<strong>en</strong> mit Stress-Symptom<strong>en</strong>, fühl<strong>en</strong> sich unter Druck, manche<br />
zeig<strong>en</strong> bereits in frühem Jug<strong>en</strong>dalter Anzeich<strong>en</strong> <strong>für</strong> Burn-out etc.<br />
Für d<strong>en</strong> Kunst- <strong>und</strong> Werkunterricht gilt es zu klär<strong>en</strong>, wie man sich in diesem <strong>für</strong><br />
<strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dliche pot<strong>en</strong>tiell belast<strong>en</strong>d<strong>en</strong> Sz<strong>en</strong>ario positionier<strong>en</strong> will <strong>und</strong> kann.<br />
Aus Sicht der Jug<strong>en</strong>dforschung besteht in dem skizziert<strong>en</strong> System ein Bedarf an<br />
einer an d<strong>en</strong> Bedürfniss<strong>en</strong>, aber auch an d<strong>en</strong> Entwicklungspot<strong>en</strong>tial<strong>en</strong> der<br />
SchülerInn<strong>en</strong> ori<strong>en</strong>tiert<strong>en</strong> Entlastung <strong>und</strong> De-Fragm<strong>en</strong>tierung von Wiss<strong>en</strong>, auf d<strong>en</strong> im<br />
Kunst- <strong>und</strong> Werkunterricht reagiert werd<strong>en</strong> könnte: Kunst- <strong>und</strong> Werkunterricht könnte<br />
Nisch<strong>en</strong> öffn<strong>en</strong>, wo Jug<strong>en</strong>dliche aus dem Leistungsdrucksz<strong>en</strong>ario heraustret<strong>en</strong><br />
könn<strong>en</strong> <strong>und</strong> Kreativität in nicht-reglem<strong>en</strong>tierter Form möglich ist. Kunst- <strong>und</strong><br />
Werkunterricht könnte ein Ort sein, wo Kulturpädagogik <strong>und</strong> kulturelle Bildung<br />
w<strong>en</strong>iger an standardisiert<strong>en</strong> (Bildungs-)Plän<strong>en</strong> <strong>und</strong> da<strong>für</strong> mehr an d<strong>en</strong> Interess<strong>en</strong> <strong>und</strong><br />
Ressourc<strong>en</strong> der SchülerInn<strong>en</strong> ori<strong>en</strong>tiert konzipiert wird <strong>und</strong> intrinsische Motivation<br />
(noch) Thema ist.<br />
Darüber hinaus könnte die Kunst- <strong>und</strong> Werkerziehung aber auch ein<strong>en</strong> wichtig<strong>en</strong><br />
Beitrag leist<strong>en</strong>, um <strong>Kinder</strong> <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dliche <strong>für</strong> die so g<strong>en</strong>annte neue Arbeitswelt stark<br />
zu mach<strong>en</strong> – <strong>und</strong> zwar fernab von instrum<strong>en</strong>tell<strong>en</strong> Verwertungslogik<strong>en</strong>.<br />
Beispielsweise könnt<strong>en</strong> Defizite, die das Bildungssystem derzeit produziert, präv<strong>en</strong>tiv<br />
abgefang<strong>en</strong> werd<strong>en</strong>. Der Werkunterricht scheint so etwa ein w<strong>und</strong>erbar geeigneter<br />
Rahm<strong>en</strong>, um j<strong>en</strong><strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong>, die durch die High-Speed-Online-Welt<br />
sozialisiert sind <strong>und</strong> <strong>für</strong> die gilt „Ich will alles möglichst sofort“ mit auf d<strong>en</strong> Weg zu<br />
geb<strong>en</strong>, dass es auch lohn<strong>en</strong>d sein kann, w<strong>en</strong>n man an einer Sache dran bleibt, sich<br />
durchbeißt, w<strong>en</strong>n man die eig<strong>en</strong>e Monotonieintoleranz überwindet. Handwerkliche<br />
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Tätigkeit<strong>en</strong>, die d<strong>en</strong> Weg zum Ziel erklär<strong>en</strong> <strong>und</strong> dazu einlad<strong>en</strong>, d<strong>en</strong> Schaff<strong>en</strong>s-/Gestaltungsprozess<br />
zu g<strong>en</strong>ieß<strong>en</strong>, könnt<strong>en</strong> ein Angebot <strong>für</strong> diese G<strong>en</strong>eration sein oder<br />
zumindest eine wichtige neue Erfahrung. Oder um ein zweites Beispiel zu n<strong>en</strong>n<strong>en</strong>:<br />
Kunstunterricht kann über kreative Gestaltungsprozesse neue D<strong>en</strong>kräume<br />
erschließ<strong>en</strong> <strong>und</strong> – ausgeh<strong>en</strong>d von einem Ansatz kreativ<strong>en</strong> Forsch<strong>en</strong>s – <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong><br />
Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong> ermöglich<strong>en</strong>, analog zu dem aus d<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong><br />
vertraut<strong>en</strong> Sampling- <strong>und</strong> Cross-Mapping-Prinzip kreatives Problemlös<strong>en</strong> zu üb<strong>en</strong>.<br />
Damit kann die Kunsterziehung zur Persönlichkeitsbildung beitrag<strong>en</strong>, aber durchaus<br />
auch arbeitsmarktrelevante Zusatzqualifikation<strong>en</strong> wie Zielstrebigkeit, Kreativität,<br />
Problemlösungsori<strong>en</strong>tierung, eig<strong>en</strong>ständiges D<strong>en</strong>k<strong>en</strong> etc. vermitteln.<br />
Mit kultureller Bildung im klassisch<strong>en</strong> Sinne hat das hier Skizzierte w<strong>en</strong>ig zu tun. Um es mit<br />
d<strong>en</strong> Wort<strong>en</strong> einer 15-jährig<strong>en</strong> zu sag<strong>en</strong>: „Kulturelle Bildung ist auch etwas Feines, aber<br />
(eb<strong>en</strong>) etwas anderes …“ Wer Kunst- <strong>und</strong> Werkerziehung von populär<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> aus d<strong>en</strong>kt, muss zumindest in einem erst<strong>en</strong> Schritt in der Lage sein, vom<br />
etabliert<strong>en</strong> Kulturbetrieb zu abstrahier<strong>en</strong>, <strong>und</strong> <strong>en</strong>tlang der d<strong>en</strong> <strong>Kinder</strong>n <strong>und</strong> Jug<strong>en</strong>dlich<strong>en</strong><br />
vertraut<strong>en</strong> Kulturform<strong>en</strong> neue Perspektiv<strong>en</strong> such<strong>en</strong> <strong>und</strong> unkonv<strong>en</strong>tionelle Verknüpfung<strong>en</strong><br />
find<strong>en</strong>. In einem zweit<strong>en</strong> Schritt mag es dann ja geling<strong>en</strong>, <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong><strong>en</strong> an die<br />
Ziele <strong>und</strong> Inhalte der kulturell<strong>en</strong> Bildung rückzubind<strong>en</strong>.<br />
Literatur:<br />
Bauman, Zygmunt: Gemeinschaft<strong>en</strong>. Auf der Suche nach Sicherheit in einer bedrohlich<strong>en</strong><br />
Welt, Frankfurt am Main, 2009 (Suhrkamp)<br />
Bleicher, Joan Kristin: Du musst dein Leb<strong>en</strong> ändern. Schönheit im Medi<strong>en</strong>zeitalter, in:<br />
Haustein, Lydia; Stegmann, Petra: Schönheit. Vorstellung<strong>en</strong> in Kunst, Medi<strong>en</strong> <strong>und</strong><br />
Alltagskultur, Götting<strong>en</strong>, 2006, 119-132 (Wallstein Verlag)<br />
Dreier, Hardy; Lampert, Claudia: <strong>Kinder</strong> im Netz der Mark<strong>en</strong>? Zur Rolle der Medi<strong>en</strong>mark<strong>en</strong><br />
im Alltag von <strong>Kinder</strong>n, in: merz. medi<strong>en</strong> + erziehung, 1/2005, 24-30 (kopaed – Münch<strong>en</strong>)<br />
Erbe, Günter: Der moderne Dandy. Zur Herkunft einer dekad<strong>en</strong>t<strong>en</strong> Figur, in: Tacke,<br />
Alexandra; Weyand, Björn (Hg.): Depressive Dandys. Spielform<strong>en</strong> der Dekad<strong>en</strong>z in der Pop-<br />
Moderne, Köln/Weimar/Wi<strong>en</strong>, 2009, 17-38 (Böhlau Verlag)<br />
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<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>forschung<br />
Alserbachstraße 18 / 7.OG, 1090 Wi<strong>en</strong><br />
Tel. +43/(0)1/532 67 95<br />
Mail: bgrossegger@jug<strong>en</strong>dkultur.at<br />
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http://www.die-bonn.de/doks/ferchhoff0301.pdf (Zugriff am 30.1.2010)<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>forschung<br />
Alserbachstraße 18 / 7.OG, 1090 Wi<strong>en</strong><br />
Tel. +43/(0)1/532 67 95<br />
Mail: bgrossegger@jug<strong>en</strong>dkultur.at<br />
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(Wallstein Verlag)<br />
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Wulf, Christoph: Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie. Reinbek bei Hamburg, 2004<br />
(Rowohlt Tasch<strong>en</strong>buch)<br />
AutorInn<strong>en</strong>info:<br />
Dr. Beate Großegger ist wiss<strong>en</strong>schaftliche Leiterin <strong>und</strong> stv. Vorsitz<strong>en</strong>de des <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong><br />
<strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>forschung – jug<strong>en</strong>dkultur.at in Wi<strong>en</strong>.<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Jug<strong>en</strong>dkultur</strong>forschung<br />
Alserbachstraße 18 / 7.OG, 1090 Wi<strong>en</strong><br />
Tel. +43/(0)1/532 67 95<br />
Mail: bgrossegger@jug<strong>en</strong>dkultur.at<br />
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