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Bedingungsloses Grundeinkommen, pro und contra im ...

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<strong>Bedingungsloses</strong> <strong>Gr<strong>und</strong>einkommen</strong>, <strong>pro</strong> <strong>und</strong> <strong>contra</strong> <strong>im</strong><br />

Selbstgespräch<br />

von Veronika Bennholdt-Thomsen<br />

1. Ein erhellendes SchlÅsselerlebnis hinsichtlich der Frage - bedingungsloses <strong>Gr<strong>und</strong>einkommen</strong><br />

ja oder nein? - war fÅr mich das 1. deutsche Sozialforum in Erfurt 2005. Das<br />

eine Ende des Kontinuums mit LÇsungsvisionen raus aus Sozialabbau <strong>und</strong> Kriegstreiberei<br />

wurde von den alternativen Gemeinschaften (Landkommunen, ÉkodÇrfer etc.) gebildet,<br />

das andere von den Arbeitsloseninitiativen. Die einen plÑdierten fÅr Selbstorganisation,<br />

auch des Einkommens <strong>und</strong> der Subsistenz, die anderen fÅr das, staatlich zu verteilende,<br />

bedingungslose <strong>Gr<strong>und</strong>einkommen</strong>. Die einen plÑdieren also fÅr VerlÑsslichkeit,<br />

solidarische Gemeinschaftlichkeit <strong>und</strong> (relative) Selbstbest<strong>im</strong>mung der Einkommensarbeit<br />

innerhalb lokaler, Åberschaubarer Gruppen von Menschen. Die anderen plÑdieren<br />

an die mechanische (wegen der groÖen Zahl der Menschen “mechanische“) SolidaritÑt<br />

<strong>im</strong> nationalen staatlichen Gemeinwesen. Letzteres ist eine typische Lohnarbeits-<br />

AbhÑngigkeits-Kultur konforme Haltung. M.E. ist die mangelnde Kritik an der LohnabhÑngigkeit<br />

ein erhebliches negatives GepÑck der Linken.<br />

2. Der LÇsungsvorschlag (LÇsung welchen Problems? - siehe unten) „bedingungsloses<br />

<strong>Gr<strong>und</strong>einkommen</strong>“ steht in der Tradition der Fetischisierung des Geldes. Frau <strong>und</strong> Man<br />

glaubt, dass Geld die Existenz sichere, das Leben eben; dass man sozusagen Geld essen<br />

kÇnne. Da diese Sicht so verbreitet ist, dass sie quasi in Fleisch <strong>und</strong> Blut Åbergegangen<br />

ist, kÇnnte man auf den Gedanken kommen, dass es womÇglich tatsÑchlich an<br />

der Zeit sei, Geld als Lebensmittel zu betrachten. Nach dem Motto, die Geschichte<br />

n<strong>im</strong>mt eben ihren Lauf; seien wir also realistisch <strong>und</strong> pragmatisch statt f<strong>und</strong>amentalistisch.<br />

Das aber wÑre sehr vordergrÅndig gedacht. Zuerst mal mÅssen wir durchschauen,<br />

wie es dazu kommen konnte, dass das Geld = die Existenz empf<strong>und</strong>en wird. Etwa so<br />

wie Marx den zuerst mal verborgenen Mechanismus der kapitalistischen Ausbeutung<br />

analysiert hat, von der Mehrarbeit zu Mehrwert <strong>und</strong> Profit. Wobei er sich insgesamt zu<br />

sehr auf die Produktion <strong>und</strong> die Lohnarbeit fixiert hat <strong>und</strong> u.a. der Ausbeutung durch die<br />

Zirkulations- <strong>und</strong> Geldmechanismen zu wenig Bedeutung beigemessen hat. Die aber<br />

kann man gut z.B. am Kolonisierungs<strong>pro</strong>zess des 19. Jh. in Afrika erkennen. Statt des<br />

direkten Tributs <strong>und</strong> der unmittelbaren Zwangsarbeit wie noch <strong>im</strong> Amerika des 16. <strong>und</strong><br />

17. Jh., wird in Afrika das Geld als Unterwerfungs- <strong>und</strong> Zwangsmechanismus eingesetzt.<br />

Es wird eine Kopfsteuer erhoben. Um die zahlen zu kÇnnen, mÅssen die Menschen das<br />

entsprechende Geld durch Lohnarbeit in Minen <strong>und</strong> Plantagen „verdienen“. Die bestehenden<br />

afrikanischen Ékonomien werden auf diese Weise kolonisiert, indem die vorhandenen,<br />

subsistenzorientierten Arbeits-, Markt- <strong>und</strong> TauschverhÑltnisse (auch GeldverhÑltnisse)<br />

aufgebrochen werden. Das Geld des bedl. GE. ist ebenfalls kolonialherrschaftlich:<br />

Es ist das Geld der globalisierten SupermarktÇkonomie, der Massen<strong>pro</strong>duktion<br />

der groÖen StÅckzahl (UmweltzerstÇrung) <strong>und</strong> des Konsumismus.<br />

3. Aber wenn wir das bedingungslose <strong>Gr<strong>und</strong>einkommen</strong> erst mal haben, sagen Verteidiger<br />

der Idee, dann kÇnnen wir doch anders damit umgehen, ohne Konsumismus, bewusst<br />

Çkologisch usw. Ich selbst habe in Bezug auf die matriarchale Gesellschaft am<br />

Isthmus von Tehuantepec in Mexiko gezeigt, dass nicht das Geld an sich das Problem<br />

ist, sondern dass auch mit Dollar <strong>und</strong> Peso anders umgegangen werden kann, etwa<br />

nach den Regeln der Gegenseitigkeitsgesellschaft. Allerdings war das Anfang der<br />

1990er Jahre so (vor NAFTA <strong>und</strong> WTO), aber inzwischen (2005) hat dort ein WalMart<br />

erÇffnet, der die eigenstÑndigen Markt(frauen)beziehungen bald zum bedeutungslosen,<br />

so genannten informellen Sektor degradieren wird. Meine ErklÑrung dieser Entwicklung<br />

lautet nun nicht, dass die kolonisierende Globalisierung von Ékonomie <strong>und</strong> Geld unabwendbar<br />

sei, sondern dass die Fiktion des Geldes in die KÇpfe <strong>und</strong> Herzen Einzug<br />

gehalten hat <strong>und</strong> damit, wie Polanyi sagen wÅrde, die Ékonomie aus der Gesellschaft<br />

Dokumentation Symposion Gemeinschaften zwischen <strong>Gr<strong>und</strong>einkommen</strong> <strong>und</strong> Regionalentwicklung als Impulsgeber<br />

einer integrierten Gesellschaft“ 15. bis 17. Februar in Kassel , Niederkaufungen


<strong>Bedingungsloses</strong> <strong>Gr<strong>und</strong>einkommen</strong>, <strong>pro</strong> <strong>und</strong> <strong>contra</strong> <strong>im</strong><br />

Selbstgespräch<br />

von Veronika Bennholdt-Thomsen<br />

entbettet hat. Nicht die personalen menschlichen Beziehungen geben den Ton <strong>im</strong> Umgang<br />

mit dem Geld an, sondern der abstrakte, Åber die gesellschaftlichen Grenzen hinaus<br />

verallgemeinerbare Wert des Geldes. Nicht die gemeinschaftlichen Beziehungen<br />

sichern die Existenz sondern das Geld. Wenn schon eine bislang matriarchale Gesellschaft<br />

der Fetischisierung des Geldes erliegt, dann frage ich mich, wie in unserer Gesellschaft<br />

ein anderer Begriff von Geld (nÑmlich entkolonisierend) ausgerechnet mit dem<br />

staatlich verteilten bedl. GE entstehen soll.<br />

4. Geld ist ein gesellschaftlicher Diskurs, es spiegelt die Kultur <strong>und</strong> umgekehrt. Unser<br />

Wertesystem ist ein GeldwertSystem, das sich mit dem Neoliberalismus noch erheblich<br />

verschÑrft hat, z.B. Bildung muss bezahlt werden, Forschung muss Geld einbringen usw.<br />

Ich glaube nicht, dass das bedinungslose GE. dieses Wertesystem verÑndern kann. A-<br />

ber genau darum geht es: um bedingungslose SolidaritÑt, um bedingungslosen Frieden,<br />

um bedingungsloses Ende der UmweltzerstÇrung; <strong>und</strong> es geht darum, anderen Menschen<br />

bedingungslos nicht die Nahrung wegzuessen (Soja, Biodiesel usw.) <strong>und</strong> die Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />

zu zerstÇren. Die Zeit der Suche nach Reformen ist vorbei, ebenso vorbei<br />

die Zeit in der die DestruktivkrÑfte in ProduktivkrÑfte umgedichtet werden <strong>und</strong> das<br />

Geld in ein Lebensmittel. Der Gelddiskurs hat sich durch die Entwicklungspolitik (BSP,<br />

<strong>pro</strong>-Kopf-Einkommen als Indikator fÅr Armut usw.), durch die Bretton Woods Organisationen<br />

(z.B. StrukturanpassungsmaÖnahmen) <strong>und</strong> die WTO rapide verbreitet <strong>und</strong> vertieft.<br />

Er ist dabei, die wichtigsten Subsistenzpfeiler, wie etwa die kleinbÑuerliche Landwirtschaft<br />

einzureiÖen <strong>und</strong> unser Subsistenzdenken zu unterminieren. Was auch <strong>im</strong>mer davon<br />

nach wie vor vorhanden ist, gilt es zu verteidigen statt es den MNK, der Supermarkt-<br />

Çkonomie <strong>und</strong> der CasinomentalitÑt anzupassen. (Die Folgen sind gut in den Filmen „We<br />

Feed the World“ <strong>und</strong> „Unser tÑglich Brot“ zu erkennen).<br />

5. Sollen wir eigentlich alle in den StÑdten GÑrten anlegen, fragten meine MitstreiterInnen<br />

<strong>im</strong> Sozialforum. JA, meinte ich, nÑmlich diejenigen, die es kÇnnen, die es nÇtig haben<br />

<strong>und</strong> die es verstanden haben; Stichwort „urban gardening“, „Internationale GÑrten“.<br />

Wir sollten Gemeinschaften bilden, sowie die Nachbarschaft <strong>und</strong> das Viertel wieder neu<br />

erfinden, <strong>und</strong> zwar Çkonomisch <strong>und</strong> kulturell, vor allem auch basisdemokratisch<br />

(Stichwort etwa „Beteiligungshaushalt“). Wir sollten endlich die basispolitische Bedeutung<br />

der Zusammenarbeit von Stadt <strong>und</strong> Land, sowie der Region begreifen, <strong>und</strong> die sterbenden<br />

kleinen HÇfe stÅtzen bzw. uns von ihnen stÅtzen lassen (vermutlich ein gutes<br />

Projekt fÅr eine Arbeitsloseninitiative). Kurzum, wir sollten all die vielen, guten Erfahrungen<br />

<strong>und</strong> Erfindungen der Alternativen ernst nehmen <strong>und</strong> <strong>pro</strong>pagieren, die die Eigenmacht,<br />

den konkreten lokalen Zusammenhalt, sowie die MÇglichkeit selbst <strong>und</strong> gemeinschaftsbezogen<br />

tÑtig zu werden, stÑrken.<br />

6. Ich will, dass das kapitalistische Patriarchat beendet wird. Das ist kein Traum, sondern<br />

eine áberlebensnotwendigkeit. Ich will, dass die patriarchale Kultur, der zufolge<br />

Maschinen das Leben hervorbringen <strong>und</strong> Geld die Nahrung schafft, aus den KÇpfen <strong>und</strong><br />

Herzen der Menschen vertrieben wird. Das geht meiner Meinung nach nur, wenn wir, die<br />

eine andere Welt wollen, auch vom illusionÑren Geldglauben abfallen. So zu tun, als wÑren<br />

wir alternativ politisch denkende PragmatikerInnen <strong>und</strong> auch noch die besseren, weil<br />

wir zwar das Bedingungslose. <strong>Gr<strong>und</strong>einkommen</strong> fordern, aber auch die Verhungernden<br />

in anderen Weltregionen erwÑhnen <strong>und</strong> den Konsumismus anprangern, - das bringt’s<br />

nicht.<br />

Autorin: Veronika Bennholdt-Thomsen; b-th@uni-bielefeld.de<br />

Dokumentation Symposion Gemeinschaften zwischen <strong>Gr<strong>und</strong>einkommen</strong> <strong>und</strong> Regionalentwicklung als Impulsgeber<br />

einer integrierten Gesellschaft“ 15. bis 17. Februar in Kassel , Niederkaufungen

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