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Denis Gustavus - Interessengemeinschaft deutschsprachiger ...

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Walter Ehrismann<br />

mise e n Pl a c e<br />

oder Mayas Bankett und die Ehre des Kellners<br />

er Fürst war zu welterfahren, um an<br />

D einem Ort im Landesinnern sizilianischen<br />

Gästen mit einem Essen aufzuwarten,<br />

das mit einer potage begann, und er verstieß<br />

umso leichter gegen die Regeln der haute cuisine,<br />

als diese Sitte auch ihm nicht zusagte.<br />

Doch die Kunde dieses barbarischen ausländischen<br />

Brauchs, eine fade Brühe als ersten<br />

Gang aufzutragen, war allzu hartnäckig bis<br />

zu Donnafugatas Prominenz vorgedrungen,<br />

so dass zu Beginn dieser feierlichen Essen<br />

sich in jedem seiner Gäste ein Rest Bangigkeit<br />

regte. Als nun drei Diener in Grün, Gold<br />

und gepuderter Perücke hereinkamen, jeder<br />

eine riesige Silberplatte mit einer ragenden<br />

Makkaroni-Timbale tragend, enthielten sich<br />

nur vier von zwanzig Personen entzückter<br />

Überraschungsbekundungen: der Fürst und<br />

die Fürstin, weil sie Bescheid wussten, Angelica<br />

aus Geziertheit und Concetta aus Mangel<br />

an Appetit.»<br />

Der Gattopardo, Giuseppe Tomasi di Lampedusa<br />

Dieser kurze Textausschnitt spiegelt die<br />

festgefügte Ordnung einer längst vergangenen<br />

Zeit - das Fürstenpaar als Gastgeber, die<br />

Familienangehörigen, die Gästeschar und die<br />

Diener. Auch das Küchenpersonal ist durch<br />

die Beschreibung der aufgetragenen Speisen<br />

anwesend, unsichtbar und stumm. Jeder ist<br />

da, wo ihn das Leben hingestellt hat. Das Ergreifendste<br />

daran ist die Unbedingtheit, mit<br />

der alles seinen klar geregelten Lauf nimmt<br />

und seine Richtigkeit hat. Die Dinge sind an<br />

ihrem Platz, die Menschen verstehen sich als<br />

Teil des großen Welttheaters, wo die Rollen<br />

von Anfang an verteilt sind und von niemandem<br />

in Frage gestellt werden. Nur ganz leise<br />

klopft der Fürst, dank seines abgeklärten<br />

Wissens um die Brüchigkeit alles Gefügten,<br />

an die verborgenen Tapetentüren.<br />

Zwischen Küche und Tischgesellschaft<br />

nimmt der Diener, oder eben der Kellner,<br />

essay<br />

IGDA aktuell, Heft 2/3 (2009) Seite 40<br />

die Rolle des «go between» ein - er ist die<br />

Person des Abends, von der vieles abhängt:<br />

Seine Art, gleichzeitig anwesend zu sein und<br />

doch in den Augen der Gäste unwichtig zu<br />

erscheinen - auch das Wesen des in seinem<br />

Kern rituellen Vorgangs - beides veredelt<br />

den Genuss des Essens und Trinkens. Durch<br />

striktes Einhalten einer durch Tradition vorgegebenen<br />

Zeremonie hebt der Diener den<br />

Gast in den Rang des Fürsten: «Der Gast ist<br />

König!» Das Hereintragen und Vorzeigen<br />

der pièce de résistance gehört bereits zur kultischen<br />

Handlung und ist heute wieder in<br />

Mode. Nicht umsonst spricht man von «Esstempeln».<br />

Auch kein amuse bouche, kein<br />

entrée, das nicht von der beschwörenden<br />

Stimme des Kellners begleitet wird, der uns<br />

ins Geheimnis dieses plat einweiht und uns<br />

zu wissenden Komplizen macht, indem er<br />

uns scheinbar teilnehmen lässt an der création<br />

der Köstlichkeiten. Voilà le ragoût du Roi<br />

- Kellner, Diener sein! Ohne Gold-Livree und<br />

Perücke, aber in schwarzer Hose und weißer<br />

Jacke, vor dem Krieg noch im Cutaway, dem<br />

weißen Hemd mit gestärktem Kragen und<br />

der Fliege. So spielt der Kellner, versteckt, auf<br />

jene Zeit an, da der Fürst zu Tische lud. Lange<br />

Zeit war es deshalb in guten «Häusern»<br />

verpönt, dem Gast eine Bedienerin zuzumuten,<br />

denn das hatte immer den Beigeschmack<br />

des établissement, des demi-monde. Wenn<br />

ich aber, als Gast, nebenbei erwähnen kann:<br />

Wissen Sie, das ist mein Kellner, erhöht es<br />

meine Reputation und die Begleitung staunt,<br />

wenn ich beim Eintreten mit meinem Namen<br />

angesprochen werde. Es ist eine der Schönheiten<br />

dieses Berufs, so wie der Diener die<br />

Erhabenheit des Gastgebers verkörpert, des<br />

Fürstenhauses, des Fünfsternehotels, wenn<br />

der Kellner in seinem traditionellen habit<br />

dem Anwesenden, dem Eingeladenen, das<br />

Gefühl gibt, am dîner als an etwas Majestätischem<br />

teilzunehmen, was ungeübte Gäste in<br />

große Ängste stürzen kann und Befürchtungen<br />

auslöst, nicht richtig gekleidet zu sein,<br />

sich unangebracht zu benehmen oder gar das<br />

falsche Besteck zu ergreifen.<br />

Sein Kellner sein! Die Launen des Gastes<br />

glätten, als verschwiegener Mitwisser kleiner

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