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CHRISTUSTAG <strong>20</strong>06<br />
<strong>5.</strong> <strong>Mose</strong> <strong>30</strong>, <strong>11</strong>-<strong>20</strong> “Lebensworte - nah - persönlich -kraftvoll!”<br />
Pfrin. Franziska Stocker-Schwarz, Stuttgart<br />
Liebe Geschwister!<br />
1. Weisung - ganz nah!<br />
“Das ist mir noch gut im Ohr!” so sagen wir manchmal. Denn es gibt Sätze, die<br />
einen begleiten. Das sind Worte, die von der Mutter zum Kind gesagt wurde. Oder<br />
vom Vater zu seinem heranwachsenden Sohn.<br />
Manche Worte sind einem noch gut im Ohr. Manche Worte begleiten einen ein<br />
Leben lang. Es gibt sogar Sätze, die zur Familientradition werden. Da gibt es Worte,<br />
die sind zu einer festen Wendung geworden. Jeder in der Familie kennt sie.<br />
In unserer Großfamilie z.B. ist es ein Satz meines Großvaters. Er war württembergischer<br />
Offizier, stammte eigentlich selbst aus Preußen. Er war sehr genügsam und<br />
sparsam. Doch manchmal gab es selbst in dem recht spartanisch geführten Haushalt<br />
Konfekt oder Pralinen. Bei vier Töchtern können Sie sich vorstellen, wie beliebt<br />
diese waren. Doch mein Großvater - so wird überliefert - nahm stets nur ein Konfekt<br />
mit dem Kommentar. “Der Rest schmeckt genauso!”<br />
War das eine Taktik zum Sparen? War es ein Vorwand, um Diät zu halten? Wollte<br />
er meiner Großmutter mehr gönnen? Man weiß es nicht.<br />
Aber der Satz wurde so prominent, dass er sogar allen Enkeln weitergegeben<br />
wurde: “Der Rest schmeckt genauso!”<br />
Ein Wort, das auch mir noch gut im Ohr ist.<br />
“Das ist mir noch gut im Ohr!” so sollen wir uns auch über das Wort Gottes<br />
äußern. Denn es ist etwas Positives.<br />
“Das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. ... Es<br />
ist das Wort ganz nahe bei dir.” So heißt es hier in unserem Bibeltext.<br />
“Das ist mir zu hoch!” so sagen wir manchmal, wenn wir etwas nicht verstehen;<br />
wenn wir etwas nicht nachvollziehen können.<br />
Doch das Wort Gottes soll uns nicht zu hoch sein. Sondern es soll ganz nahe bei<br />
uns sein. Es soll uns noch gut im Ohr sein.<br />
Die Grenzen von damals werden benannt:<br />
“Das Gebot ist nicht im Himmel, dass du sagen müßtest: Wer will für uns in den<br />
Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?<br />
Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müßtest: Wer will für uns über<br />
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das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?”<br />
Der Himmel und das Meer stehen für die Enden der bekannten Welt. Ganz weit<br />
oben, die äußerste Grenze in der Senkrechte - das ist der Sternenhimmel.<br />
Ganz weit weg, bis an den Horizont, die äußerste Grenze in der Waagrechte, das<br />
ist das Meer.<br />
Heute müßte man vielleicht sagen: Das Wort Gottes ist nicht in der äußersten<br />
Galaxie des Weltraums zu finden. Es liegt auch nicht tiefer als die Titanic auf dem<br />
Meeresgrund versunken, sondern es ist nahe bei dir.<br />
Das Wort, das Gebot, soll uns gut im Ohr sein. Es ist nicht ferne, es ist nah. Es ist<br />
nicht zu hoch, jeder kann es verstehen. Das Gebot, das Gesetz Gottes ist etwas<br />
Gutes.<br />
Vielleicht fallen Ihnen bei dem Stichwort “Gesetz” nun eher negative Dinge ein. Sie<br />
denken an “Strafgesetzbuch”, “Gesetzesbrecher”, “gesetzwidriges Verhalten”.<br />
Man denkt an Falschparker, Ladendiebstahl und Steuerbetrug. “Rasen betreten<br />
verboten”, “Im Hof spielen verboten”, “Parken verboten”.<br />
“Du sollst nicht...”, “Du darfst nicht...” und “man tut das nicht”. So ist das deutsche<br />
Wort Gesetz bei uns geprägt. Man sieht förmlich den erhobenen Zeigefinger.<br />
Aber das ist biblisch gesehen grottenfalsch. Denn das Gesetz ist etwas Gutes und<br />
zeugt von der Güte Gottes.<br />
Es ist der Mensch ohne Gott, der religiöse Mensch, der mit dem Wort Gesetz<br />
einen Auftrag zum Einhalten von Regeln verbindet. Der alte Adam hört mit dem<br />
Wort Gesetz das, was er falsch macht. Der Mensch ohne Christus sieht im Einhalten<br />
des Gesetzes einen Weg, näher zu Gott zu kommen.<br />
Doch das Wort Gottes will uns nahe sein, will uns gut im Ohr sein.<br />
Doch das ist nur in der Verbindung, in der Beziehung zum lebendigen Gott möglich<br />
und lebbar.<br />
Daher ist es besonders schlimm, wenn dieses gute Wort Gottes zum pädagogischen<br />
Verstärker benutzt wird.<br />
Sehr bekannt wurde die Abrechnung von Tilman <strong>Mose</strong>r mit seiner religiös überhitzten<br />
Erziehung. “Gottesvergiftung” so nennt er sein Buch. 1<br />
“Freut euch, wenn euer Gott freundlicher war!” so beginnt er sein autobiographisches<br />
Bekenntnis. Er erlebte das Wort Gottes, ja Gott selbst als negativ. “In seinem<br />
1 T. <strong>Mose</strong>r, Gottesvergiftung, Frankfurt a.M., 1977<br />
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3<br />
Elternhaus wurde das Wort “Gott” vor allem im Kontext des Gehorsames gegenüber<br />
Geboten und Verboten eingeführt. “ 2<br />
“Was wird der liebe Gott dazu sagen?” - so wurde bei ihm zu Hause oft Gehorsam<br />
eingefordert. Er nennt das eine “mich domestizierende, einengende, schachmatt<br />
setzende stereotype Phrase” 3 .<br />
Gott und ein schlechtes Gewissen, das wurde bei ihm wieder und wieder zusammengespannt.<br />
Der Religionspädagoge Prof. Karl Ernst Nipkow sieht hierin ein<br />
Beispiel für einen typischen Fehler christlicher Erziehung.<br />
Vielleicht erinnern sich manche unter uns auch an solche Sätze, die - zwar gut<br />
gemeint - doch Gott und sein Gebot ins Negative zogen.<br />
“Der liebe Gott sieht alles!” oder “Wie heißt es im achten Gebot?” oder “Steht<br />
nicht schon in der Bibel, dass...!”<br />
Das Wort Gottes ist etwas Gutes und Kostbares. Und es sollte keinesfalls zum<br />
alltäglichen Kommentar für Verhaltensregeln werden.<br />
Wenn der vierjährige Steppke vom Kindergarten erzählt und dabei fantasiert: “Mein<br />
Freund, der hatte heute einen Lutscher dabei, der war so groß wie ein Fußball!”<br />
und “Nachher sind wir auf die Bäume geklettert, ganz hoch, so hoch wie ein<br />
Haus!” Dann wäre es ganz schädlich zu sagen: “Also es steht schon in der Bibel:<br />
Du sollst nicht lügen!”<br />
Es genügt auch zu sagen: “Das ist ja eine tolle Geschichte!”<br />
Oder wenn die kleine Tina beim Supermarkt an der Kasse einen Kaugummi hat<br />
mitgehen lassen, dann wäre es ganz schädlich zu sagen: “Also du, wenn das der<br />
liebe Gott sieht, ist er ganz traurig, denn man soll nicht stehlen.”<br />
Da kann man auch sagen: “Der Kaugummi gehört dir nicht. Also darfst Du ihn<br />
auch nicht einfach nehmen.”<br />
Das Wort Gottes ist etwas Gutes und Kostbares. Es sollte keinesfalls zum Erziehungskommentar<br />
werden. Die Benimmregeln können gut begründet werden, ohne<br />
dass Gott zum übergroßen Aufpasser projiziert wird.<br />
Vielleicht haben einige unter uns ähnliche Erziehungserfahrungen gemacht.<br />
Aber so ist das Wort Gottes nicht, sondern das Wort Gesetz steht für das hebräische<br />
Wort Tora. Und die Tora ist immer Wegweisung zum Leben.<br />
Wir hören beim Wort Gesetz ein Verbot, eine Beschränkung. Aber Gott gibt mit der<br />
Tora den Lebensraum, indem er die Grenzen absteckt, hinter denen Tod und Leere<br />
sich auftun. Dass wir Menschen von Natur aus in Gesetzen die Beschränkung und<br />
2 Aus Karl Ernst Nipkow, “Erwachsenwerden ohne Gott?, München 1987, S.<strong>30</strong>.<br />
3 A.a.O.,S.17<br />
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Einengung sehen, zeigt unsere Trennung von Gott. Nur in der Beziehung zu Gott<br />
durch Christus können wir Gesetz als Tora, als gute Weisung Gottes erkennen.<br />
Das Wort Gottes ist gute Weisung, die uns nahe ist. Sie kommt von Gott selbst, der<br />
Urheber allen Lebens. So wie es in Psalm 36 heißt: “Denn bei dir ist die Quelle des<br />
Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.” (36,10)<br />
Wer das wie der Psalmbeter bekennen kann, der wird auch das Gebot Gottes als<br />
gute Weisung erkennen können. Wer in diese Beziehung zu Gott, dem Lebendigen,<br />
dem Vater Jesu Christi, eintritt, der bekommt Freude am Gesetz, an der Tora.<br />
So heißt es auch in unserem Text: “Siehe, ich habe dir heute vorgelegt, das Leben<br />
und das Gute!” (15a) Wer in dieses Leben mit den Geboten einsteigt, wer das gut<br />
im Ohr hat, wer damit lebt Tag für Tag (also darin wandelt, wie der Luthertext sagt),<br />
der findet Leben, das Gute.<br />
So ein Mensch hat seine Lust am Gesetz des Herrn.<br />
Mit solcher Freude eröffnet Psalm 1 das Gebetsbuch der Psalmen. Solche Lust,<br />
(und das kann ich ganz im schwäbischen Sinne benutzen: “Da hab ich Lust dazu!”<br />
also, das mache ich gerne) begleitet den Weg der gläubigen Menschen. Ein<br />
lebensvolles Bild zeichnet Psalm 1 von so einem Menschen: “Der ist wie ein Baum,<br />
gepflanzt an den Wasserbächen , der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine<br />
Blätter verwelken nicht.” (1,3)<br />
Nur in der Beziehung zu Gott durch Christus können wir Gesetz als Tora, als gute<br />
Weisung Gottes erkennen.<br />
Gebunden an Christus lebt ein Christ gerne, mit Freude.<br />
Gehorsam dem Wort Gottes lebt ein Glaubender frei und froh.<br />
Das galt eben schon für die alten Israeliten.<br />
“Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland herausgeführt hat = der<br />
dich in die Freiheit geführt hat!!<br />
Du sollst keine anderen Götter haben neben mir” (2.<strong>Mose</strong> <strong>20</strong>) So beginnen die 10<br />
Gebote.<br />
Die ausschließliche Bindung an Gott, den Herrn, bringt schon damals die wahre<br />
Freiheit.<br />
Im Verkehr eines Christen mit seinem Gott gelten völlig andere Regeln als irgendwo<br />
sonst zwischen Menschen.<br />
Denn hier ist nicht zuerst von all diesen Dingen die Rede, die man braucht, damit<br />
Menschen einträchtig beieinander wohnen können. Sondern Gottes Tat steht an<br />
erster Stelle.<br />
Der Herr weiß, was wir sind. Und von dort her ist unsere Berufung definiert. Es heißt<br />
nicht: "Hier ist der Marschbefehl! Das ist deine Aufgabe. Jetzt mach!"<br />
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Nein, da ist ein Grundwort. Und das heißt: »Hier ist die Güte Gottes. Hier ist die<br />
Ermutigung. Und jetzt kannst Du tun. Jetzt kannst Du wirksam werden.«<br />
Dieses Wort ist die Grundlage der ganzen Ethik in der Bibel. Es heißt in den Geboten<br />
eben nicht: "Alle Israeliten auf die Gäule, marsch. Eins, zwei, drei."<br />
Sondern: "Ich bin der HErr, der Dich aus Ägypten geführt hat." Und jetzt, mit diesen<br />
10 Geboten schenke ich Dir den Raum in dem Du leben kannst."<br />
Die 10 Gebote öffnen einen Lebensraum. Das ist wie eine Verfassung.<br />
Viele Leute meinen: "Der wahre Jurist ist der Strafrechtler." Juristen sagen ihnen:<br />
Strafrecht ist das Einfachste an der ganzen Juristerei. Das ist nur schwieriger, ob<br />
man dem Angeklagten auch beweisen kann, was er getan hat. Aber vom Juristischen<br />
her gesehen ist Strafrecht das Einfache. Verfassungsrecht ist viel interessanter:<br />
wie sich das Leben gestaltet, wie man das fassen kann in all seiner Fülle.<br />
Und wir sind bei den 10 Geboten nicht beim Strafrecht, sondern wir sind bei den<br />
10 Geboten bei der Grundlage, beim Grundgesetz Gottes, bei der Grundordnung,<br />
die er uns gibt. Und auch die beruht auf dem Wesen Gottes.<br />
Juden sagen: Wenn der HErr sagt: »Ich bin der HErr!«, dann ist von seiner Barmherzigkeit<br />
die Rede. Und das können Sie durch die ganze Bibel auch zeigen. Wenn<br />
vom Namen Gottes die Rede ist, wenn er sagt: "Ich bin der HErr!", dann wendet er<br />
sich Dir zu. Dann heißt das : “Ich bin dir barmherzig!” Dann heißt das sogar: “Ich<br />
liebe Dich!”<br />
Seine Zuwendung, seine Barmherzigkeit, seine Liebe zu seinen Geschöpfen, die ist<br />
im Blick.<br />
Denn er ist die Quelle des Lebens.<br />
Das ist eindeutig. So haben Sie selbst in den 10 Geboten diese Grundstruktur des<br />
Lebens vor Gott: »ER gibt, damit Du leben kannst.« Und nicht: »Du mußt spuren,<br />
damit nichts schief geht.« Ich will damit keineswegs sagen, daß wir als Christen<br />
machen, was wir wollen. Darum geht es nicht: Es geht nicht um Beliebigkeit,<br />
sondern um Liebe. Die Grundlage unseres Lebens vor Gott ist die Barmherzigkeit<br />
Gottes.<br />
"Jesus nimmt die Sünder an." Das steht in der Verfassung unserer Religion, wenn ich<br />
das so sagen darf.<br />
Die Grundlage ist: "Er rechtfertigt den Gottlosen!"<br />
Und das ist der grundsätzliche Unterschied, und deshalb ist doch Hingabe überhaupt<br />
nur möglich. Ich werde mich doch nicht an jemand hingeben können, der<br />
mir mit der Peitsche droht. Da muß ich doch schauen, daß ich irgendwie "ich"<br />
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bleibe und überlebe. Israel hat in Ägypten doch ums Überleben gekämpft.<br />
Die haben sich dem Pharao doch nicht hingegeben zum Dienst.<br />
Wenn auch viele ihr Leben verloren haben. Aber das war doch keine Hingabe.<br />
Hingabe ist doch nur möglich in einer Beziehung. Wo ich weiß: "Das was ich tue,<br />
kann ich in einem geschützten Raum tun."<br />
Das gilt für alle unsere Beziehungen. Der Mensch hat ein berechtigtes Schutzbedürfnis,<br />
und wo dies nicht beachtet wird, da entsteht viel Schmerz und wenig Gutes.<br />
Stichwort "Familie", Stichwort "Ehe". Das sind doch Schöpfungsordnungen Gottes,<br />
das sind doch keine beliebigen Setzungen der Menschen. Das sehen wir doch<br />
jeden Tag, was passiert, wenn man solche Schutzräume auflöst. Wo Gesellschaften<br />
in unserer Welt einfach am Ende sind, weil sie diese elementaren Lebensräume<br />
nicht achten.<br />
Der geschützte Raum, das ist nicht nur etwas "Herz-Schmerz-Mäßiges", sondern das<br />
ist die Grundlage des Lebens in unserer Welt.<br />
Und dann, wenn diese Grundlage gesehen ist, das Erbarmen Gottes als Fundament<br />
unseres Lebens, dann ist es auch möglich zu sagen: "Ja, HErr, ich will Dir<br />
gehorchen, ich will in deinen Wegen wandeln."<br />
"Ich will auch den Preis zahlen, den das unter Umständen kostet."<br />
In der Hingabe kann ich das tun.<br />
Es geht nicht um Kadaver-Gehorsam. Sondern da entsteht freiwilliger Einsatz.<br />
Es geht um Leben aus Gott. Das ist etwas völlig anderes.<br />
Grundlage des Lebens ist das Erbarmen Gottes.<br />
Und daher können wir es gut im Ohr haben:<br />
Die Weisung Gottes ist uns ganz nah!<br />
2. Weisung ganz persönlich<br />
Das Wort, das <strong>Mose</strong> ausrichtet, das soll zu Herzen gehen.<br />
“Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen,<br />
dass du es tust.” (V14) oder “Wendet sich aber dein Herz und du gehorchst nicht...”<br />
(V17)<br />
Das Wort, das <strong>Mose</strong> ausrichtet, soll rüber kommen. Es soll die Mitte unserer Person<br />
erreichen: das Herz. Vom Herzen ist in der Bibel die Rede, wenn unsere ganz<br />
Person gemeint ist. Da geht es dann nicht nur um den Verstand und Willen, nicht<br />
nur um das Gefühl, den Herz-Schmerz-Bereich, sondern den ganzen Menschen mit<br />
Fühlen, Wollen und Verstand.<br />
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7<br />
Die Rede des <strong>Mose</strong> damals richtete sich ja an eine Riesenmenschenmenge. Im<br />
Kapitel 29 können wir das lesen: “Und <strong>Mose</strong> berief ganz Israel und sprach zu ihnen<br />
(29,1)... Ihr steht heute alle vor dem Herrn, eurem Gott, die Häupter eurer Stämme,<br />
eure Ältesten, eure Amtleute, jeder Mann in Israel, eure Kinder, eure Frauen,<br />
dein Fremdling, der in deinem Lager ist, dein Holzbauer und dein Wasserschöpfer,<br />
damit du tretest in den Bund des Herrn, deines Gottes... “(29,10f)<br />
Eine riesige Menge an Menschen hatte sich versammelt. Und dennoch spricht <strong>Mose</strong><br />
sie ganz persönlich an. Denn er wechselt in seinem Sprachstil zwischen dem “Du”<br />
und dem “Ihr”. Auch in dem uns heute zur Verkündigung aufgegebenen Textabschnitt<br />
finden wir diesen Wechsel. Vers <strong>11</strong>: “Denn das Gebot, das ich Dir heute<br />
gebiete...” Vers18 “so verkündige ich euch heute,...”<br />
<strong>Mose</strong> zielt auf das Herz der einzelnen in der Masse der Anwesenden.<br />
Mich erinnert dieser Sprachstil an die Werbung von heute. Ist es da nicht auch so,<br />
dass der Einzelne angesprochen werden soll? Ist nicht da auch der Einzelne<br />
inmitten einer großen Gruppe im Blick? Denken Sie nur an die Werbung, die aus<br />
Funk und Fernsehen in unsere Wohnungen schwappt. Der einzelne soll erreicht,<br />
gewonnen, aquiriert werden. Gleichzeitig ist die große Masse, die große Zuschauerschar<br />
oder der riesige Hörerkreis, im Blick. Die Einschaltquote soll immer noch<br />
gesteigert werden, aber das funktioniert nur über die Begeisterung des einzelnen,<br />
der zuschaut oder zuhört.<br />
Wir leben in einer Gesellschaft, die von den modernen Medien geprägt, ja sogar<br />
teilweise gesteuert wird. Dessen müssen wir uns als Christen bewußt sein. Was über<br />
Funk und Fernsehen ausgestrahlt wird, soll den Einzelnen in der großen Menge<br />
erreichen.<br />
Auch bei diesem Bundesschluss vor mehreren tausend Jahren sollte der einzelne<br />
innerhalb der großen Volksmenge erreicht werden: das Herz sollte erreicht werden,<br />
das Personzentrum.<br />
Doch die Worte, die uns mit <strong>Mose</strong> überliefert werden, haben eine ganz andere<br />
Qualität als die meisten Medienbotschaften unserer Tage. Es sind keine leeren<br />
Worte an uns, sondern es ist unser Leben. Das Wort Gottes, die Anrede Gottes an<br />
uns ist unsere Lebensgrundlage, wie wir vorhin gesehen haben.<br />
Der Gegensatz dazu ist das leere Wort (<strong>5.</strong><strong>Mose</strong> 32,47). Das leere Wort ist das, was<br />
nichts Bleibendes austrägt. “Wer solchen leeren, nichtigen Dingen nachgeht, ist ein<br />
Tor.” sagt das Buch der Sprüche (Spr 12,<strong>11</strong>b).<br />
Wieviel Leeres wird durch unsere Medien Tag für Tag stundenlang verbreitet,<br />
angehört und angeschaut!<br />
Gottes Wort aber bringt uns das Leben. Das Leben im Frieden mit meinen Mitmenschen,<br />
im Einklang mit allen Kreaturen ist durch die Anrede Gottes zu finden.<br />
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Darum ist es so wichtig, sich immer wieder persönlich durch Gottes Wort ermutigen,<br />
ermahnen und leiten zu lassen. Denn so viele Stimmen wollen unsere Person<br />
erreichen, ablenken, ja in Besitz nehmen.<br />
Hören wir an dieser Stelle die Mahnung durch <strong>Mose</strong>:<br />
“Wendet sich aber dein Herz und du gehorchst nicht, sondern läßt dich verführen,<br />
dass du andere Götter anbetest und ihnen dienst, so verkünde ich euch heute, dass<br />
ihr umkommen und nicht lange in dem Lande bleiben werdet, in das du über den<br />
Jordan ziehst, es einzunehmen.” (<strong>30</strong>,17f)<br />
Andere Götter - gibt es das in unserer Lebenswelt auch ? Was bestimmt unsere<br />
Gesellschaft? Woher bezieht sie ihre Werte?<br />
Auch wir moderne Menschen leben in einer Welt, die von so vielem bestimmt ist,<br />
was eigentlich von Gott wegführt. Schon wenn wir morgen das Radio anschalten,<br />
hören wir Lieder, Jingles und Ansagen, die keineswegs darauf aus sind Gott zu<br />
ehren. “Das Wort zum Tag” hat vielleicht einen <strong>30</strong> sek Sendeplatz, ist eine Stimme<br />
unter den anderen. Hauptsächlich sollen Produkte verkauft werden: ob das nun<br />
Eintrittskarten für Konzerte, die Erhöhung der Einschaltquoten, CD’s oder Waschmittel<br />
sind.<br />
Natürlich fußt in unserer Gesellschaft sehr viel auf dem Grund, den der christliche<br />
Glaube gelegt hat.<br />
Das fängt an bei der Würde des Menschen, denken Sie an das Recht der freien<br />
Meinungsäußerung, dem Prinzip der Chancengleichheit im Schulwesen...<br />
Das alles sind Früchte des Baumes, der im christlichen Glauben wurzelt.<br />
Das geht weiter über die Rechte der Arbeiter und Frauen, über den Schutz von<br />
Menschen mit Behinderung, über die Toleranz gegenüber Minderheiten bis hin zum<br />
Tierschutzgesetz. All diese guten Regeln des Schutzes für Mensch und Tier, ja die<br />
ganze Schöpfung, denken Sie an den Naturschutz, gehen in unserer Gesellschaft<br />
zurück auf den Glauben an den Herrn, der Himmel und Erde geschaffen hat; den<br />
Herrn Jesus Christus, der sein Leben für die vielen dahingegeben hat; den starken<br />
Tröster, der beisteht und sich dem anderen zuwendet.<br />
Dennoch werden diese guten Rechte und Schutzregeln immer mehr getrennt von<br />
dem, der sie gab und erfand.<br />
Man findet das Gebäude schön, aber will das Fundament auswechseln.<br />
Unbegrenzte Selbstbestimmung und der Profit um jeden Preis sind wie Wasserläufe,<br />
die das Fundament wegspülen wollen. Aber ohne den Halt in Gott, in Jesus bricht<br />
das Gebäude der menschenfreundlichen Gesellschaft zusammen.<br />
Die Medien mit Radio, Fernsehen, Internet und Plakaten und Zeitungen werden<br />
hauptsächlich durch einen Strom gespeist: den Umsatz, das Geld muß fließen.<br />
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Daher können wir durch diese Medien unser Herz nicht auf das Hören auf Gottes<br />
Wort ausrichten.<br />
Was durch die Medien in unsere Häuser kommt, ist zum großen Teil anderen Zielen<br />
gewidmet, das muß bedacht sein.<br />
Gottes Wort will prägen. Das Volk Israel ist nur durch sein Wort und Wirken durch<br />
all die Zeiten hindurchgebracht worden.<br />
Gott selbst hat sich ihnen so eingeprägt, dass es sich bis in die hebräische Sprache<br />
niedergeschlagen hat. Dass ER der Erste und der Letzte ist, das zeigt sich bis in die<br />
hebräische Grammatik hinein.<br />
Wenn wir ein Verb beugen, also konjugieren, dann sagen wir:<br />
Ich rufe, du rufst, er/sie/es ruft; wir rufen, ihr ruft, sie rufen.<br />
Der Hebräer konjugiert so: Er ruft, du rufst, ich rufe... ER kommt immer an erster<br />
Stelle, was er getan hat, das ist das Wichtigste. Aus seiner Gnade, aus seinem<br />
Leben, aus seiner Gegenwart geht alles andere hervor. ER ruft, ER sprach, damit<br />
beginnt alles. Damit begann alles.<br />
Dass wir aus Gottes Wort leben, zeigt sich bis hinein in die hebräische Grammatik.<br />
Und dass Sprache ein Volk prägt, das ist klar. Wie wir sprechen, was die gängigen<br />
Umgangsfomeln, die tägliche Anrede ist, das hat Auswirkungen auf die Atmosphäre.<br />
Der Umgang miteinander verändert sich auch mit dem Reden untereinander.<br />
Was bestimmt unser Reden? Was prägt unsere Sprache? Lassen wir uns persönlich<br />
von Gottes Reden ins Herz treffen? Nehmen wir uns dazu die Zeit und suchen die<br />
nötige Stille dazu?<br />
Gönnen Sie sich also möglichst jeden Tag eine Zeit in der Gegenwart des Herrn.<br />
Einen Bibelabschnitt lesen, die dazu passenden Stellen, die Parallelstellen aufschlagen,<br />
darüber nachdenken, einige Gedanken notieren... So werden Sie von Gott<br />
selbst ins Gebet geführt. Sie beginnen zu bitten, für anderen zu beten und schließlich<br />
Gott zu danken und anzubeten.<br />
Und diese Art mit Gott ins Gespräch zu kommen, hat sich seit den mosaischen<br />
Zeiten kaum geändert.<br />
Denn schon im Psalm 1 ist davon die Rede. Da heißt es eben: “Wohl dem, der<br />
nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo<br />
die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz (also die gute Weisung!) des Herrn<br />
und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht.”<br />
Das Nachsinnen über Gottes Weisung hat eine lange Tradition. Der Psalmbeter<br />
preist den glücklich, der Gottes Wort murmelt, über ihm nachdenkt und darüber<br />
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nachsinnt. Die Worte Gottes wurden sowohl vom einzelnen als auch vom Volk<br />
immer wieder auch laut nachgesprochen.<br />
Beim Pflügen, beim Mahlen, bei den täglichen Verrichtungen wurde Gottes Wort<br />
gemurmelt.<br />
So hat auch der einzelne das Gesetz sich immer wieder vor Augen geführt. Das läßt<br />
sich in den Psalmen, z.B. an Psalm 15 gut erkennen. Darin wird aufgezählt, was die<br />
guten Weisungen des Herrn sind.<br />
Und seit Esra ist überliefert, dass beim Laubhüttenfest die gesamte Tora dem<br />
versammelten Volk sieben Tage lang vorgelesen wurde.<br />
Die gute Weisung Gottes war dem einzelnen und dem Volk ganz nah, ganz gegenwärtig.<br />
Sie prägte die Gesellschaft, sowohl den einzelnen als auch das Volk als<br />
Gemeinschaft.<br />
3. Weisung - ganz kraftvoll zum Weitergeben<br />
Hoffentlich können Sie jetzt schon sagen: “Ich bin gerade ganz Ohr - und - das<br />
ging zu Herzen!” Denn dann gehen Sie jetzt mit zu Punkt 3. Weisung - ganz kraftvoll<br />
zum Weitergeben. Oder: “Das nehme ich nun in die Hand!”<br />
Denn jeder hier, der Jesus nachfolgt, ist zum Weitergeben berufen. Jeder hier in<br />
seinem Stand soll diese gute Weisung Gottes weitergeben.<br />
Denn nur so kann das Wort laufen, nur so kann das Wort Beine kriegen.<br />
Der lebendige Gott begegnet im seinem Wort. Das kann auf verschiedene Weisen<br />
geschehen: Durch das Lesen der Bibel, durch das Hören von Predigt (auch heute<br />
hier auf dem Christustag), durch den Zuspruch von anderen Glaubensgeschwistern.<br />
So geschieht es immer wieder, dass Gott selbst nahe kommt, persönlich wird.<br />
Paulus sagt es im Römerbrief so: “Der Glaube kommt aus der Predigt. Das Predigen<br />
aber aus dem Wort Christi. “ (Röm 10,17)<br />
Das heißt jetzt aber keinesfalls, dass nun nur noch Pfarrer und Pfarrerinnen gefragt<br />
sind. Diese Predigt, die Paulus meint, ist nicht nur Sonntagspredigt.<br />
Sondern das Wort, das wir gut im Ohr haben, das Wort, das ins Herz trifft, das<br />
kommt sehr häufig aus dem Mund der Eltern, der Paten, der Lehrerinnen und<br />
Lehrer, der Jungscharleiter und Kindergottesdienstmitarbeiter.<br />
Ging es Ihnen nicht selbst so? Überlegen Sie mal, was hat Sie dazu bewegt, ihr<br />
Leben Jesus anzuvertrauen? Wer hat Ihnen dazu geholfen, zu Gott “Ja” zu sagen?<br />
Waren das allein die Predigten, die Sie hörten?<br />
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Wahrscheinlich nicht. Sondern die Anrede Gottes, sein Zuspruch und seine Verheißung,<br />
trafen mich durch vielerlei Menschen Worte und Lieder. Auch die Sakramente<br />
können so eine Anrede Gottes an den ganzen Menschen werden. Was für ein<br />
Zeugnis ist es für die Anwesenden, wenn ein Mensch sich öffentlich taufen läßt! Das<br />
trifft ins Herz. Was für eine Stärkung ist es, wenn ich Jesu Gegenwart mit allen<br />
Sinnen im Abendmahl spüre!<br />
Prof. Manfred Seitz spricht von einem “ ‘Medienverbund’ aus Taufe, Promissio und<br />
Predigt, durch den der Glaube in uns begründet wurde” 4 .<br />
Daher sind wir hier in der Halle der Familie auch ganz besonders herausgefordert.<br />
Denn jeder Vater und jede Mutter, jede Tante und jeder Onkel, jede Großmutter<br />
und jeder Großvater ist hier als Verkündiger von Gottes Wort gefragt.<br />
Nicht dass Sie jetzt den Ihnen anbefohlenen Kindern täglich predigen sollen. Nein,<br />
mit Gottes Wort muß behutsam und vorsichtig umgegangen werden. Es ist etwas<br />
Kostbares, damit wird nicht gescherzt; das wird nicht für alltägliche Ermahnungen<br />
abgenutzt; das soll nicht zur Unzeit laut werden.<br />
Nein, als Eltern, Paten und Großeltern sind wir schon mit unserer Fürsorge und<br />
Liebe Verkündiger von Gottes Güte. Gottes Liebe sollen wir weitergeben mit einem<br />
Gebet am Abend mit den Kleinen. Gottes Liebe dürfen wir weitergeben mit ganz<br />
viel Lob von dem, was die Kinder gut gemacht haben. Gottes Liebe kann durchscheinen<br />
durch unsere Anerkennung mittels kleiner Geschenke oder positiver<br />
Gesten.<br />
Martin Luther findet hierzu ganz drastische Worte. Er sagt: “Also ist’s wahr, wie man<br />
sagt, dass die Eltern, auch wenn sie sonst nichts zu tun hätten, an ihren eigenen<br />
Kindern die Seligkeit erlangen können. An ihnen haben sie, wenn sie sie zu Gottes<br />
Dienst recht erziehn, fürwahr beide Hände voller guter Werk vor sich. Denn was<br />
sind hier die Hungrigen, Durstigen, Nackten, Gefangenen, Kranken, Fremdlinge<br />
anderes als die Seelen deiner eigenen Kinder, mit denen dir Gott aus deinem Haus<br />
ein Spital macht und dich ihnen zum Spittelmeister einsetzt? Da sollst du sie pflegen,<br />
sie speisen und tränken mit guten Worten und Werken, damit sie lernen Gott<br />
vertrauen, an ihn glauben und ihn fürchten und ihre Hoffnung auf ihn setzen...<br />
Umgekehrt können die Eltern sich nicht leichter die Hölle verdienen an ihren<br />
eigenen Kindern, in ihrem eigenen Hause, wenn sie diese versäumen und die Dinge<br />
nicht lehren, die oben genannt sind.” 5<br />
Solch kräftige Worte findet Martin Luther. Er sieht in der Ehe und Familie, wo<br />
Gottes Werk getrieben wird, eine rechte Kirche, ein auserwähltes Kloster, ja ein<br />
Paradies.<br />
4 M.Seitz, Theologie für die Kirche, S. <strong>11</strong>3<br />
5 Sermon von den guten Werken, Ausgewählte Schriften von Martin Luther, Bd 1, Insel Verlag 1982, S.<strong>11</strong>6f)<br />
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Verkündiger von Gottes Liebe dürfen wir Familienmenschen sein. Ob als Erzieherinnen,<br />
als Lehrerinnen und Lehrer, als Patenonkel und Patentante oder als Eltern<br />
und Großeltern.<br />
So wie der lebendige Gott Ihnen persönlich als Gegenüber begegnet ist, will er es<br />
auch durch Sie bewirken.<br />
Seine Weisung will Ihnen stets gut im Ohr sein - ganz nah. Seine gute Weisung will<br />
voll zu Herzen gehen - ganz persönlich. Sein Wort zum Leben will weitergegeben<br />
werden - voller Kraft.<br />
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