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Word-Vorlage Lösungsskizze Klausurenkurs - Universität zu Köln

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Universität <strong>zu</strong> Köln<br />

Rechtswissenschaftliche Fakultät<br />

Großer Examenskurs<br />

SoSe 2013 – WS 2013/2014<br />

Prof. Dr. Stefan Muckel<br />

Öffentliches Recht<br />

PRÜFUNGSSCHEMA VERFASSUNGSBESCHWERDE<br />

A) Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde<br />

Literatur: Sachs, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2010, Rn. 470 ff.; Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht,<br />

3. Aufl. 2011, Rn. 72 ff.; vgl. auch die Schemata bei Pieroth/Schlink, Staatsrecht<br />

II. Grundrechte, 28. Aufl. 2012, Rn. 1227 ff.; Manssen, Staatsrecht II. Grundrechte, 9. Aufl. 2012,<br />

Rn. 857 ff.; R. Schmidt, Grundrechte, 15. Aufl. 2013, S. 4024 ff.<br />

Vorbemerkung: Wie bei jedem Prüfungsschema sind schriftliche Ausführungen<br />

nicht <strong>zu</strong> allen Punkten des Schemas erforderlich. Sie sollten alle Gliederungspunkte<br />

gedanklich durchgehen. Schreiben dürfen (!) Sie nur etwas <strong>zu</strong> problematischen<br />

Punkten des Schemas. Zur Zulässigkeit sollten Sie immer, wenn unproblematisch in<br />

aller Kürze, etwas <strong>zu</strong> den Punkten 2., 3., 4. und 6. sagen (vgl. die ähnliche Empfehlung<br />

bei Pieroth/Schlink, Rn. 1227)<br />

Vorab feststellen: Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff.<br />

BVerfGG.<br />

1.) Ordnungsgemäßer Antrag<br />

a) Schriftform, § 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG<br />

b) Begründung, § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG<br />

2.) Beschwerdeführer: ("jedermann" i.S.d. § 90 Abs. 1 BVerfGG)<br />

a) Antragsberechtigung (Parteifähigkeit):<br />

(Anm.: Der häufig gebrauchte Ausdruck "Beteiligtenfähigkeit" entstammt dem Verwaltungsprozess,<br />

vgl. § 61 VwGO, und sollte im Verfassungsprozess nicht benutzt werden. Anders als im Verwaltungsprozess<br />

hat die Rechtsform des Beschwerdeführers für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde<br />

nur noch indizielle Bedeutung; auch Körperschaften des öffentlichen Rechts können Beschwerdeführer<br />

sein, da<strong>zu</strong> unten.)<br />

Die Antragsberechtigung hängt ab von der Grundrechtsfähigkeit des Bf., d.h. von<br />

seiner Fähigkeit, Träger eines Grundrechts oder grundrechtsähnlichen Rechts <strong>zu</strong><br />

sein.<br />

aa) Natürliche Personen: Deutsche immer, Ausländer und Staatenlose bei Berufung<br />

auf Menschenrechte.


) Juristische Personen: Art. 19 Abs. 3 GG<br />

- Ausländische juristische Personen sind nicht Träger der Grundrechte Art. 1 - 17<br />

GG.<br />

- Inländische juristische Personen des Privatrechts sind grundrechtsfähig nach<br />

Massgabe des Art. 19 Abs. 3 GG.<br />

2<br />

Empfehlung <strong>zu</strong>r Darstellung: Im Rahmen der Zulässigkeit wird nur geprüft, ob jur. Personen generell<br />

Träger des betreffenden Grundrechts sein können. Die auf den Einzelfall bezogene konkrete Prüfung<br />

erfolgt bei der Erörterung der Begründetheit.<br />

- Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind grundsätzlich nicht grundrechtsfähig,<br />

Ausnahmen:<br />

(1) Kirchen (Körperschaft d.ö.R. nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 1<br />

WRV) üben keine staatl. Funktionen aus, gehören vielmehr dem gesellschaftlichen<br />

Leben (nicht dem Staat, vgl. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV) an.<br />

(2) Jur. Personen d.ö.R., die "unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten<br />

Lebensbereich <strong>zu</strong>geordnet sind" (BVerfGE 61, 82. 102 m.w.N.), z.B. Universitäten,<br />

Fakultäten, Rundfunkanstalten.<br />

(3) Jur. Personen d.ö.R., die nicht die Funktion staatlicher Verwaltung bei der<br />

Wahrnehmung gesetzlich <strong>zu</strong>gewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben erfüllen,<br />

sondern als Interessenvertretung tätig werden, z.B. Innungen der Orthopädietechniker,<br />

deren Aufgabe darin besteht, im Interesse der „hinter“ dem Zusammenschluss<br />

stehenden Menschen Verträge ab<strong>zu</strong>schließen, so BVerfGE 70, 1, 20.<br />

(beachte: Nicht grundrechtsfähig sind nach BVerfG die Gemeinden, weil keine<br />

"grundrechtstypische Gefährdungslage" bestehe, BVerfGE 61, 82, 103 ff. - "Sasbach";<br />

str.)<br />

cc) Nichtrechtsfähige Gebilde, z.B. nichteingetragene Vereine, sind grundrechtsfähig<br />

je nach der Natur des betreffenden Grundrechts, nach ihrer Organisationsstruktur<br />

(festgefügt und auf eine gewisse Dauer angelegt) und je nachdem, welche<br />

Rechte das Gebilde nach allgemeinem Recht hat. Im Ergebnis findet danach der<br />

Rechtsgedanke des Art. 19 Abs. 3 GG Anwendung. Nicht grundrechtsfähig war danach<br />

z.B. die "Aktionseinheit gegen den Nato-Nachrüstungsbeschluss", BayVGH,<br />

NJW 1984, 2116, wohl aber OHG, KG, GbR, politische Parteien.<br />

b) Prozessfähigkeit (die Fähigkeit, Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen <strong>zu</strong><br />

können, und zwar selbst oder durch einen Bevollmächtigten, vgl. § 22 BVerfGG):<br />

bei Minderjährigen stellt sich hier die Frage nach der Grundrechtsmündigkeit (die<br />

Fähigkeit, Grundrechte selbst ausüben <strong>zu</strong> können; die Kategorie ist umstr., wie hier<br />

etwa R. Schmidt, a.a.O., Rn. 81; Manssen, a.a.O., Rn. 861 (differenzierend: Rn. 65<br />

ff.); abl. Sachs, a.a.O., Rn. 486 ff.). Die Verfassungsbeschwerde des Prozessunfähigen<br />

ist un<strong>zu</strong>lässig. Zulässigerweise kann sie nur vom gesetzlichen Vertreter des<br />

Prozessunfähigen eingelegt werden.<br />

c) Prozessführungsbefugnis: Prozessführungsbefugt ist, wer prozessual berechtigt<br />

ist, den fraglichen Anspruch im eigenen Namen geltend <strong>zu</strong> machen. Prozessfüh-


3<br />

rungsbefugt ist immer, wer eigene Rechte im eigenen Namen geltend macht. Eine<br />

Prozessstandschaft (Geltendmachung fremder Rechte im eigenen Namen) wird vom<br />

BVerfG nur ausnahmsweise für <strong>zu</strong>lässig gehalten, wenn anders eine Überprüfung im<br />

Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht erfolgen kann, vgl. BVerfG NJW 1988, 1371.<br />

Da<strong>zu</strong> näher Hillgruber/Goos, a.a.O., Rn. 195 ff.; Sachs, a.a.O., Rn. 519, die die<br />

Frage bei der Beschwerdebefugnis behandeln.<br />

3.) Beschwerdegegenstand: Akte der öffentlichen Gewalt.<br />

a) Akte der rechtsetzenden Gewalt (förmliche und nur materielle Gesetze)<br />

b) Akte der richterlichen Gewalt (auch LVerfG):<br />

beachte: Ist der gerichtliche Instanzen<strong>zu</strong>g durchlaufen, kommen als Angriffsgegenstand<br />

in Betracht:<br />

- der ursprüngliche Hoheitsakt (z.B. VA),- die Entscheidungen aller Instanzen (soweit<br />

den Bf. belastend),<br />

- die Entscheidungen aller Instanzen (soweit Bf. belastend).<br />

Das BVerfG lässt dem Bf. die Wahl. ob er nur gegen die letzte Instanz vorgehen o-<br />

der auch die unteren Instanzen bzw. den vorangegangenen Exekutivakt einbeziehen<br />

will. Er kann sich nicht auf die erstinstanzliche Entscheidung oder den Exekutivakt<br />

beschränken.<br />

(beachte auch: Die Nachprüfung von Gerichtsurteilen durch das BVerfG ist beschränkt, keine „Superrevision“,<br />

vgl. unten 5.)<br />

c) Akte der vollziehenden Gewalt: alle Exekutivakte (außer justizfreie Hoheitsakte),<br />

insbesondere auch solche mittelbarer Staatsverwaltung der vom Staat rechtlich<br />

selbstständigen Körperschaften, z.B. Gemeinden, Universitäten, selbst bei privatrechtlicher<br />

Handlungs- oder Organisationsform ("Verwaltungsprivatrecht").<br />

4.) Beschwerdebefugnis:<br />

a) Behauptung des Bf., in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsähnlichen<br />

Rechte betroffen <strong>zu</strong> sein (§ 90 Abs. 1 BVerfGG). Die Verlet<strong>zu</strong>ng muss möglich erscheinen.<br />

Wichtig für Klausur und Hausarbeit: Bereits hier muss jedes Grundrecht<br />

genannt werden, das in der Begründetheit der Vb. geprüft wird. Un<strong>zu</strong>lässigkeit der<br />

Vb. ergibt sich bereits hier, wenn der Schutzbereich des geltend gemachten Grundrechts<br />

offensichtlich nicht betroffen ist (selten!). Regelmäßig besteht die Möglichkeit<br />

der Grundrechtsverlet<strong>zu</strong>ng, wenn die im Folgenden unter b) - e) genannten Vorausset<strong>zu</strong>ngen<br />

erfüllt sind.<br />

b) Rechtsrelevanz des angegriffenen Aktes: Der Akt enthält eine materielle Entscheidung<br />

und entfaltet unmittelbare Außenwirkung, nicht z.B. Mitteilung über den<br />

Stand der Dinge.<br />

c) Selbstbetroffenheit des Bf.: der Bf., nicht nur jemand anders ist betroffen. Wirtschaftliche<br />

oder nur mittelbare Berührung reicht nicht. (Zur Abgren<strong>zu</strong>ng: Bei der<br />

Antragsberechtigung geht es darum, ob dem Bf. das Recht in abstracto <strong>zu</strong>stehen


kann, bei der Prozessführungsbefugnis darum, ob es ihm in concreto <strong>zu</strong>steht.<br />

Selbstbetroffen ist er dagegen erst dann, wenn er auch selbst beeinträchtigt ist.)<br />

4<br />

d) Gegenwärtige Betroffenheit des Bf.:<br />

Sonderfälle:<br />

- "Schon-Betroffenheit" bei künftigen Beeinträchtigungen (wenn Abwarten un<strong>zu</strong>mutbar);<br />

- "Noch-Betroffenheit" reicht aus, wenn der Bf. ein spezielles Interesse an der Feststellung<br />

der seinerzeitigen Grundrechtswidrigkeit hat (z.B. Wiederholungsgefahr).<br />

e) Unmittelbare Betroffenheit des Bf.:<br />

Sie ist insbesondere bei Rechtssätzen regelmäßig fraglich. Nur dann, wenn der gesetzliche<br />

Tatbestand nicht erst durch einen Anwendungsakt konkretisiert und aktualisiert<br />

werden muss, betrifft er den Bf. unmittelbar. Unterscheide: selbstausführende<br />

Gesetze und ausführungsbedürftige Gesetze.<br />

Faustregelartig kann für d) und e) gefragt werden, ob ein Verzicht auf die Vb. <strong>zu</strong>m<br />

gegenwärtigen Zeitpunkt <strong>zu</strong>mutbar ist.<br />

Zur Abgren<strong>zu</strong>ng: Bei der Selbstbetroffenheit geht es um die Frage, ob unmittelbar<br />

der Bf. (oder ein anderer) betroffen ist; bei der Unmittelbarkeit darum, ob der Akt<br />

selbst (oder ein anderer) den Bf. betrifft. Dort geht es um den Beeinträchtigten,<br />

hier um die Beeinträchtigung.<br />

5.) Beschwerdegrundlage:<br />

a) Grundrechte oder grundrechtsähnliche Rechte gem. der Aufzählung in Art. 93<br />

Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG.<br />

b) Sonstiges Verfassungsrecht, z.B. Gesetzgebungskompetenz<br />

Aber Beschwerdemaßstab muss ein Grundrecht bleiben, das allerdings dadurch verletzt<br />

sein kann, dass anderes Verfassungsrecht verletzt wird. Alle Grundrechtseinschränkungen<br />

müssen verfassungsmäßig sein, grundlegend – mit Blick auf Art. 2<br />

Abs. 1 GG - BVerfGE 6, 32 - "Elfes".<br />

Das BVerfG prüft in jedem Falle nur, ob spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist.<br />

Es ist keine „Superrevisionsinstanz“.<br />

6.) Erschöpfung des Rechtsweges (§ 90 Abs. 2 BVerfGG)<br />

Wichtige Ausnahmen: schwerer und unabwendbarer Nachteil für Bf. (§ 90 Abs. 2<br />

Satz 2 BVerfGG), gefestigte höchstrichterliche Rspr.<br />

7.) Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde:<br />

Sie ist (nach BVerfG) neben der Erschöpfung des Rechtswegs als eigenständige Sachentscheidungsvorausset<strong>zu</strong>ng<br />

<strong>zu</strong> beachten. Der Bf. muss neben der Erschöpfung<br />

des Rechtswegs i.e.S. alles tun, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverlet<strong>zu</strong>ng<br />

<strong>zu</strong> erwirken oder eine solche von vornherein <strong>zu</strong> verhindern. Wichtige<br />

Fälle:


- kein Rechtsweg eröffnet: Bf. muss im Einzelfall den Voll<strong>zu</strong>g des angegriffenen<br />

Gesetzes abwarten;<br />

- Rechtsweg erschöpft: Bf. muss im Einzelfall weitere <strong>zu</strong>mutbare Gegenmaßnahmen<br />

ergreifen (z.B. formlose Rechtsbehelfe).<br />

8.) Frist: § 93 Abs. 1 bis 3 BVerfGG<br />

9.) Allgemeines Rechtsschutzinteresse:<br />

5<br />

Insbesondere stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit der Vb. (z.B. bei Wiederholungsgefahr<br />

nach bereits erledigtem Eingriff, vgl. BVerfGE 81, 138; auch oben<br />

4 d).<br />

10.) Annahme durch die Kammer und den Senat, §§ 93a ff. BVerfGG.<br />

B) Begründetheit der Verfassungsbeschwerde bei Freiheitsrechten:<br />

Anm.: Das Schema weist, wie alle anderen Prüfungsschemata auch, nicht für alle denkbaren Fälle<br />

den richtigen Lösungsweg. Halten Sie sich daher nicht an das Prüfungsschema, wenn Ihnen wegen<br />

der Besonderheiten des Falles ein abweichender Aufbau sachgerechter erscheint. Das Schema kann<br />

<strong>zu</strong>dem nicht alle Probleme, die bei einer Grundrechtsprüfung auftreten können, erfassen.<br />

Auch ist <strong>zu</strong> beachten, dass wohl kein Übungs- oder Examensfall gestellt wird, <strong>zu</strong> dessen Lösung alle<br />

Punkte des Schemas angesprochen werden müssen. Grundsätzlich sollten Sie nur <strong>zu</strong> problematischen<br />

Fragen schriftliche Ausführungen machen. Das entbindet Sie natürlich nicht davon, das Schema<br />

in Gedanken möglichst vollständig durch<strong>zu</strong>gehen; auf diese Weise können Sie erkennen, an welcher<br />

Stelle des Gutachtens die Probleme des Falles <strong>zu</strong> erörtern sind.<br />

Obersatz:<br />

"Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn ein dem A <strong>zu</strong>stehendes Grundrecht<br />

oder grundrechtsähnliches Recht verletzt ist, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. "<br />

Vorbem.: Sie müssen sich <strong>zu</strong>nächst Klarheit über die Reihenfolge verschaffen, in der Sie mehrere in<br />

Betracht kommende Grundrechte prüfen wollen. Sie ergibt sich <strong>zu</strong>nächst daraus, welches Grundrecht<br />

das sachnächste ist, ferner aus den Grundrechtskonkurrenzen (z.B. Subsidiarität des Art. 2<br />

Abs. 1 GG; Spezialität des Art. 6 Abs. 5 GG im Verhältnis <strong>zu</strong> Art. 3 Abs. 1 GG) und aus der Trennung<br />

von Freiheits- und Gleichheitsrechten (insoweit sollten Gruppen gebildet werden). Nachdem Sie die<br />

Reihenfolge festgelegt haben, können die einzelnen Grundrechte nach den folgenden Vorschlägen<br />

durchgeprüft werden.<br />

I. Schutzbereich betroffen?<br />

1. Personaler Schutzbereich (Grundrechtsberechtigung)<br />

a) Grundrechtsfähigkeit (Hauptprobleme: Deutschen-Rechte, juristische Personen)<br />

Bei juristischen Personen ist hier die an Art. 19 Abs. 3 GG orientierte konkrete Prüfung<br />

vor<strong>zu</strong>nehmen (vgl. Schema <strong>zu</strong>r Zulässigkeit unter 2 a bb). Zur Formulierung<br />

"ihrem Wesen nach" vgl. BVerfGE 61, 82, 101: "Durchblick auf die hinter den juristischen<br />

Personen stehenden Menschen".


6<br />

b) Grundrechtsmündigkeit (bei Minderjährigen) nach wohl derzeit h.L. hier – im Bereich<br />

der Sachprüfung – bedeutungslos (vgl. Manssen, a.a.O., Rn. 66).<br />

2. Sachlicher Schutzbereich<br />

Berührt der in Rede stehende Hoheitsakt das Grundrecht?<br />

Beispiele: Handelt es sich um eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG, um eine Vereinigung<br />

i.S.d. Art. 9 Abs. 1 GG, um einen Beruf i.S.d. Art. 12 Abs. 1? Ist die Freizügigkeit<br />

i.S.d. Art. 11 GG betroffen? Handelt es sich bei dem Geschäftslokal des A<br />

um eine Wohnung i.S.d. Art. 13 Abs. 1 GG?<br />

An dieser Stelle der Prüfung ist auch danach <strong>zu</strong> fragen, ob ein Tatbestandsmerkmal<br />

des Grundrechtstextes einschränkend aus<strong>zu</strong>legen ist.<br />

Beispiele: Offensichtlich sozialschädliche Tätigkeiten, z.B. Rauschgifthändler, Berufskiller,<br />

fallen nicht unter den Schutzbereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1<br />

GG. Die öffentlich-rechtliche Vereinigung unterfällt nicht dem Schutz der Vereinigungsfreiheit<br />

des Art. 9 Abs. 1 GG (str.).<br />

Weitere im Verfassungstext genannte Vorausset<strong>zu</strong>ngen:<br />

Beispiele: "friedlich und ohne Waffen" (Art. 8 Abs. 1 GG), "im ganzen Bundesgebiet"<br />

(Art. 11 Abs. 1 GG)<br />

II. Eingriff in den Schutzbereich?<br />

Häufig bedarf die Frage, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts vorliegt,<br />

keiner - näheren - Ausführungen. Im Einzelfall kann aber fraglich sein, ob<br />

durch ein bestimmtes staatliches Handeln (oder auf andere Weise) in den Schutzbereich<br />

des <strong>zu</strong> prüfenden Grundrechts (oder nur der eines anderen) eingegriffen<br />

(oder nur unerheblich berührt) wird. Die Frage, wann ein Grundrechtseingriff vorliegt,<br />

ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Faustregelartig gilt, dass ein Eingriff<br />

das grundrechtlich geschützte Verhalten erschwert oder unmöglich macht. Im<br />

einzelnen gilt für manche Grundrechte Besonderes (nach der Rspr. z.B. für Art. 12<br />

Abs. 1 GG: "berufsregelnde Tendenz"). Zum Grundrechtseingriff: Pieroth/Schlink,<br />

Rn. 251 ff.<br />

III. Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt?<br />

1. Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt<br />

a) Feststellen, dass das Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes einschränkbar<br />

ist!<br />

b) Beruht der Eingriff auf einer konkreten gesetzlichen Grundlage? (Zur Notwendigkeit<br />

einer gesetzl. Grundlage beachte Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitstheorie).<br />

c) Vorausset<strong>zu</strong>ngen der grundrechtseinschränkenden gesetzlichen Regelung erfüllt?


Beachten Sie die Rechtsfolge, wenn die gesetzlichen Vorausset<strong>zu</strong>ngen im Einzelfall<br />

nicht erfüllt sind: das Handeln des Staates ist zwar gesetz-, aber nicht grundrechtswidrig.<br />

Das BVerfG prüft grundsätzlich (<strong>zu</strong> Modifikationen: Pieroth/Schlink,<br />

Rn. 1277 ff.) nur, ob "spezifisches Verfassungsrecht" verletzt ist. Der Verstoß gegen<br />

einfaches Recht führt daher nicht <strong>zu</strong>m Erfolg der Verfassungsbeschwerde.<br />

d) Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes<br />

aa) Besondere Vorausset<strong>zu</strong>ngen des (qualifizierten) Gesetzesvorbehalts, z.B. Art.<br />

11 Abs. 2 GG: Einschränkung nur für bestimmte Fälle möglich.<br />

7<br />

bb) Sonstige verfassungsrechtliche Anforderungen an das Gesetz: Das Gesetz muss<br />

in jeder Hinsicht verfassungsgemäß sein (Gedanke aus BVerfGE 6, 32 - "Elfes", der<br />

inzwischen auch für andere Grundrechte als Art. 2 Abs. 1 GG gilt).<br />

(1) Formelle Verfassungsmäßigkeit (insbesondere Gesetzgebungskompetenz und –<br />

verfahren)<br />

(2) Materielle Verfassungsmäßigkeit<br />

(a) Verstoß gegen Verfassungs(grund)sätze? Beispiel: Rechtsstaatsprinzip<br />

(b) Einhaltung der sog. Schrankenschranken, insb.:<br />

- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (legitimer Zweck, Geeignetheit; Erforderlichkeit;<br />

Angemessenheit der konkreten Grundrechtseinschränkung)<br />

- Wesensgehaltsgarantie, Art. 19 Abs. 2 GG<br />

- Verbot des Einzelfallgesetzes, Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG<br />

- Zitiergebot, Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG<br />

e) Soweit eine das Gesetz konkretisierende Maßnahme Beschwerdegegenstand ist:<br />

aa) Verwaltungshandeln: Verfassungsmäßigkeit des auf das Gesetz gestützten Verwaltungshandelns,<br />

insbesondere Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.<br />

bb) Entscheidungen von Gerichten: Das BVerfG überprüft auch insoweit grundsätzlich<br />

nur die Einhaltung „spezifischen Verfassungsrechts“. Dieses ist verletzt, wenn<br />

eine Verfassungsnorm<br />

- ganz übersehen worden ist<br />

- oder grundsätzlich falsch angewendet worden ist; dies ist insb. der Fall, wenn das<br />

Gericht den Bf. <strong>zu</strong> Unrecht vom Schutzbereich des Grundrechts ausgenommen hat<br />

oder in unverhältnismäßiger Weise die Interessen des Bf. hinter öffentlichen Interessen<br />

bzw. den Schutzzweck der Norm <strong>zu</strong>rückgestellt hat (vgl. Pieroth/Schlink, Rn.<br />

1277 ff. auch <strong>zu</strong> Modifikationen). Das BVerfG nimmt insoweit allerdings je nach<br />

Grundrecht eine unterschiedliche Prüfungsdichte an (z.B. weitergehende Prüfung<br />

bei Art. 5 Abs. 1 GG als bei Art. 12 Abs. 1 GG). Eine schematische Sichtweise verbietet<br />

sich daher.


2. Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt: Schranken des Grundrechts ergeben sich<br />

aus Grundrechten Dritter und anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten<br />

Rechtswerten.<br />

a) Bezeichnung des möglicherweise entgegenstehenden Grundrechts oder anderen<br />

Verfassungsgutes (z.B. Jugendschutz)<br />

b) Materielle Prüfung des gegenläufigen Grundrechts bzw. Rechtswerts:<br />

8<br />

aa) Wenn ein kollidierendes Grundrecht in Betracht kommt: Prüfung, ob das Verhalten<br />

des Bf. in den Schutzbereich des Grundrechts eingreift und ob der Dritte sich<br />

mit Erfolg auf dieses Grundrecht berufen kann.<br />

bb) Wenn ein anderer Verfassungswert in Betracht kommt:<br />

(1) Prüfung, ob das hoheitliche Handeln diesem Verfassungswert dient (z.B.: Einschränkung<br />

der Verbreitung rassistischer oder pornographischer Kunstwerke dient<br />

dem Jugendschutz)<br />

(2) Prüfung, ob die Vorausset<strong>zu</strong>ngen einfach-gesetzlicher Vorschriften, die dem<br />

Schutz des betreffenden Verfassungswertes dienen, erfüllt sind. Zur Rechtsfolge,<br />

wenn die Vorausset<strong>zu</strong>ngen des einschränkenden Gesetzes nicht erfüllt sind, vgl.<br />

oben A II 1 c.<br />

(3) Prüfung, ob die einfach-gesetzlichen Vorschriften in jeder Hinsicht, also auch<br />

z.B. hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz, verfassungsmäßig sind. Die gesetzliche<br />

Regelung muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Die Verfassungswidrigkeit<br />

des Gesetzes kann sich <strong>zu</strong>dem gerade daraus ergeben, dass dem<br />

Grundrecht des Bf. nicht hinreichend Rechnung getragen wurde (u.U. verfassungskonforme<br />

Auslegung möglich)<br />

c) Abwägung (Herstellung praktischer Konkordanz) im konkreten Fall:<br />

Bedeutung der Grundrechtsausübung des Bf. einerseits, entgegenstehende Grundrechte<br />

anderer oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte andererseits.<br />

Von dem Ergebnis der abwägenden Gegenüberstellung hängt es ab, ob das<br />

Grundrecht des Bf. verletzt ist oder nicht.

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