Brandt - Jugendradikalisierung - Willy-Brandt-Kreis
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und am Rande der Demonstration mehrere Eier auf das Amerika-Haus geworfen und die<br />
amerikanische Fahne auf Halbmast gesetzt wurden, brach in der Stadt ein Sturm der<br />
Entrüstung los. Der Regierende Bürgermeister machte sich zum Sprecher der Empörung, als<br />
er vor dem Abgeordnetenhaus den linken Studenten vorwarf, angegriffen zu haben, was den<br />
Bürgern Berlins heilig sei: die Freundschaft mit den amerikanischen Beschützern. 11<br />
Ich hatte im Frühjahr 1965 meinem Vater schwere Vorhaltungen wegen Äußerungen<br />
gemacht, die er während einer gemeinsam mit Fritz Erler unternommenen USA-Reise von<br />
sich gegeben hatte. Differenzierter und vorsichtiger als Erler, aber in der Substanz gleich,<br />
hatte er sich auf die Seite der USA gestellt. <strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong> hat bezüglich des Vietnam-Kriegs<br />
später eine behutsame und eher implizite Selbstkritik unternommen, sowohl im Hinblick auf<br />
die unzureichende Beschäftigung mit den inneren Verhältnissen Südvietnams als auch<br />
bezüglich der internationalen Wirkungen des Konflikts. 1965/66 ging es ihm, mit Blick auf<br />
Berlin, um die Glaubwürdigkeit amerikanischer Garantien und darüber hinaus um die<br />
Entmutigung der angenommenen kommunistischen Hardliner-Fraktionen, gerade damit die<br />
Voraussetzungen globaler Entspannung verbessert werden konnten, so seine damalige<br />
Analyse. Insofern bestand zu denjenigen, die in Berlin und Westdeutschland gegen den Krieg<br />
der Amerikaner in Vietnam auftraten – und das nicht nur im pazifistischen Sinn, sondern von<br />
Anfang an überwiegend in eindeutiger Parteinahme für Nordvietnam und die<br />
südvietnamesiche Befreiungsfront – ein scharfer Gegensatz auch im Inhaltlichen. Dieser<br />
begann sich in <strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong>s Außenministerzeit, scheinbar paradoxerweise, abzuschwächen,<br />
als in den USA selbst und unter den NATO-Verbündeten die Kritik an der westlichen<br />
Führungsmacht zunahm und ihrerseits zu einem realen Faktor wurde. 12<br />
Zu der internationalen, eher Distanz zum Vietnam-Engagement der USA befördernden<br />
Atmosphäre kam erleichternd hinzu, daß <strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong> nicht mehr hauptsächlich auf die<br />
spezifischen Mehrheitsverhältnisse in der Berliner SPD – sie galt damals als „die CSU der<br />
deutschen Sozialdemokratie“ – Rücksicht nehmen, sondern sich an der Meinungsbildung der<br />
Gesamt-SPD orientieren mußte. Was das bedeutete, zeigte der Beschluß des Nürnberger<br />
Parteitags, den Sofort-Ausschluß von zwei bekannten Berliner Sozialdemokraten des linken<br />
Flügels – Erwin Beck und Harry Ristock – durch die Berliner Landesorganisation über eine<br />
Satzungsänderung rückgängig zu machen. Mit hunderten Anderer hatten Beck und Ristock –<br />
und zwar ausdrücklich als Sozialdemokraten – sich am 18. Februar 1968 in West-Berlin an<br />
der großen internationalen Vietnam-Demonstration beteiligt.<br />
Vielleicht klingt es etwas zynisch, wenn ich sage, <strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong> ist Ende 1966 gerade noch<br />
rechtzeitig aus Berlin weggekommen, um auf die dramatischen Ereignisse nach dem 2. Juni<br />
1967 (mit der Erschießung Benno Ohnesorgs) und nach dem Mordanschlag auf Rudi<br />
Dutschke am 11. April 1968 nicht als unmittelbar Verantwortlicher reagieren zu müssen. Es<br />
ist schwer vorstellbar, daß die Wandlung seines öffentlichen Images zu dem eines Förderers<br />
der kritischen Jugend andernfalls so reibungslos vonstatten gegangen wäre.<br />
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<strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong>, Rede vor dem Berliner Abgeordnetenhaus vom 17.2.1966, 68. Sitzung, in: Stenographische<br />
Berichte des Abgeordnetenhauses von Berlin, IV. Wahlperiode, Bd. IV/V, bes. S. 78.<br />
<strong>Willy</strong> <strong>Brandt</strong>, Begegnungen und Einsichten, S. 421ff.; ders. Erinnerungen, S. 397f.<br />
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