Tageszeitung junge Welt - Zambon verlag
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<strong>Tageszeitung</strong> <strong>junge</strong> <strong>Welt</strong><br />
http://www.<strong>junge</strong>welt.de/beilage/art/2611?print=1<br />
1 von 2 21.06.2011 14:04<br />
Aus: literatur, Beilage der jW vom 15.06.2011<br />
Kleines Brevier des bundesdeutschen Maoismus: Anton Stengl legt eine Geschichte der<br />
K-Gruppen vor<br />
Christof Meueler<br />
Mehr Dampf im Arbeiterkampf! Das war nicht nur ein Werbespruch der Zeitung des verblichenen<br />
Kommunistischen Bundes (KB). An dieser Parole arbeiteten sich in der Bundesrepublik der 1970er Jahre an die<br />
100000 Menschen ab. Sie wollten die Revolution befeuern und wurden Mitglied in den K-Gruppen, den seit 1968<br />
neu entstandenen kommunistischen Gruppen, die sich mit einem ausgeprägten Hang zur Theatralik meistens als<br />
Parteien begriffen.<br />
Gemäß dem Bonmot von Rudi Dutschke, daß am Realen Sozialismus alles real sei, außer dem Sozialismus,<br />
priesen sie die Volksrepublik China als das neue Vaterland der Werktätigen. Damit vollzogen sie das Schisma der<br />
kommunistischen <strong>Welt</strong>bewegung nach und zwar en miniature. Nach Stalins Tod 1953 hatte die KP China damit<br />
begonnen, sich von der neuen sowjetischen Führung abzuwenden, die ihr vergleichsweise lasch, gar<br />
verräterisch vorkam, weil sie von Stalins Methoden des Massenterrors nichts mehr wissen wollte. Mao Tse Tung<br />
versprach deutlich mehr Aufregung. Nach dem katastrophal mißlungenen »Großen Sprung nach vorn« politisch<br />
geschwächt, trat er 1966 die »Chinesische Kulturrevolution« los, die als große emanzipatorisch gemeinte<br />
Jugendbewegung nicht nur Bürokratie und Schematismus bekämpfen sollte, sondern auch seine<br />
innerparteilichen Gegner. Das brachte ganz China völlig durcheinander, was den vielen antiautoritär<br />
orientierten Kräften in der Revolte der Endsechziger Jahre extrem produktiv vorkam. Sie kämpften ja auch<br />
gegen ihre Eltern, Lehrer und Chefs.<br />
Dieser Move verlor sich rasant in den K-Gruppen, die sich als überbolschewisierte, autoritäre Kampfparteien<br />
gerierten, in denen nicht lang gefackelt werden sollte. Sie sahen sich allesamt als Nachfolger der KPD der<br />
Weimarer Republik, so als könnte die damals größte Kommunisische Partei der <strong>Welt</strong> außerhalb der Sowjetunion<br />
knapp 40 Jahre später magisch-spirituell wiedergeboren werden. Hierzu mußten als erstes Bärte und Haare<br />
gestutzt werden, damit man ungefähr so aussah, wie man sich das Proletariat vorstellte – in Arbeiterparteien<br />
fast ohne Arbeiter. Um die revolutionäre Klasse zu überzeugen, wurden viele Mitglieder mit Flugbättern vor die<br />
Betriebstore und manche auch dahinter geschickt. Plötzlich war »Revolution machen«, wie man damals gerne<br />
sagte, eine superernste Angelegenheit.<br />
Von daher ist es konsequent, wenn Anton Stengl in seinem Buch »Zur Geschichte der K-Gruppen« Wert darauf<br />
legt, nicht anekdotisch werden zu wollen. Bei ihm gibt es keine Dönekens über die Dienstwagenflotte für die<br />
Funktionäre des KBW, dessen Musterbauernhöfe und das angeblich geplante Tankstellennetz in<br />
Norddeutschland. Stengl echauffiert sich auch nicht über die teilweise finanzielle Auspressung und sektenhafte<br />
Kommandierung der Mitgliedschaft oder über die gefälschten Nummernschilder und Tarnfirmen, um sich auf die<br />
befürchtete Illegalisierung vorzubereiten. Derlei kann man ganz gut in »Das rote Jahrzehnt« (2001), dem Buch<br />
des früheren KBW-Funktionärs Gerd Koenen, nachlesen. Über die Psychopathologie des K-Gruppenlebens geben<br />
der Sammelband »Wir warn die stärkste der Partein« (1977) und »Stalins Enkel, Maos Söhne« (2005) von Andreas<br />
Kühn Auskunft. Letzteres Buch wirkt allerdings wie von der Konrad-Adenauer Stiftung bestellt und nicht<br />
abgeholt.<br />
Stengl dagegen bemüht sich um Objektivität. Er hat ein kleines Brevier des bundesdeutschen Maoismus<br />
geschaffen, das sich auch gut als Einführungstext in den organisationsgeschichtlichen Wirrwarr der K-Gruppen<br />
eignet. Beispielsweise bringt es die KPD/ML, die als erste dieser Organisationen 1968/69 gegründet wurde, im<br />
Laufe der Zeit auf sagenhafte 40 Abspaltungen. Warum eigentlich, ist selbst für Stengl nicht darstellbar.<br />
Allgemein gilt das Paradox, daß die K-Gruppen sich in ihrer Programmatik kaum unterschieden, sich aber über<br />
ihr jeweiliges Programm in Abgrenzung zu den anderen definierten.
<strong>Tageszeitung</strong> <strong>junge</strong> <strong>Welt</strong><br />
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Konsens war in ihnen die Ablehnung der UdSSR, die getreu der chinesischen Propaganda als<br />
»Sozialimperialismus« gegeißelt wurde und größtenteils als noch teuflischer als der US-Imperialismus<br />
eingeschätzt wurde. Die KPD/Aufbauorganisation (AO) rief 1976 den sowjetischen Staatschef Leonid Breschnew<br />
sogar zum »Hitler von heute« aus und mißtraute der militärischen Kraft der NATO, ihm Einhalt zu gebieten:<br />
»Bürgerliche Militärpolitik kann die nationale Verteidigung nicht sichern!« Stengl kann es auch heute kaum<br />
fassen: »Die (politisch doch gänzlich uninteressante) DKP wird zur gefährlichen ›Agentur des sowjetischen<br />
Sozialimperialismus‹ erhoben und damit zum Hauptfeind im eigenen Land! Die ›Entspannungspolitik‹ der<br />
SPD-Regierung wird völlig falsch als Kotau vor der UdSSR gesehen (statt – wie man 1989 sehen konnte – als<br />
erfolgreicher Beginn kalter Eroberungspolitik) und entsprechend scharf kritisiert.« Diese Aufbau-Kommunisten<br />
entwickelten einen Antisowjetismus, der den gängigen Antikommunismus der Rechten noch toppte.<br />
Entsprechend träumte man davon, die DDR abzuschaffen, »denn es gibt nur eine deutsche Arbeiterklasse, ein<br />
deutsches Volk und eine deutsche Nation«. Stengl fragt: »Kann hier nicht ein Ansatz zu Horst Mahlers<br />
rechtsradikaler Karriere liegen?« Bekanntlich lehnte es das ehemalige RAF-Mitglied 1975 ab, im Zuge der<br />
Entführung von Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni aus dem Gefängnis freigepreßt zuwerden, weil er sich<br />
als neuer Mann der KPD/AO begriff.<br />
Die K-Gruppen wollten vom sogenannten bewaffneten Kampf nichts wissen, weil sie ihn für verfrüht hielten,<br />
solidarisierten sich aber mit de politischen Gefangenen und prangerten deren inhumane Haftbedingungen an.<br />
Sie favorisierten die bewaffneten proletarischen Massen, hatten aber große Schwierigkeiten, die Arbeiterklasse<br />
überhaupt zu erreichen, mit Ausnahme von KB und KPD/ML, deren Mitglieder nicht ganz so studentisch<br />
sozialisiert waren. Und wer sich dafür entschieden hatte, Arbeiter zu werden, um seine neuen Kollegen zu<br />
agitieren, bewegte sich nicht gerade wie ein Fisch im Wasser, wie es Mao Tse Tung in seinem kleinen roten<br />
Büchlein einst gefordert hatte. Die mühsam gegründeten Betriebszellen wurden noch am ehesten von den<br />
Gewerkschaften wahrgenommen – durch Ausschlußverfahren und Unvereinbarkeitsbeschlüsse, Stengl zählt<br />
insgesamt 1674 Auschlüsse für die 1970er Jahre. Die Versuche, eine »revolutionäre Gewerkschaftsopposition«<br />
aufzubauen, endeten desaströs. Anders als in Italien hinkten die Maoisten in der BRD dem Wandel der<br />
Arbeitsbedingungen durch Rationalisierung und Mikroelektronik hoffnungslos hinterher, weil sie laut Stengl »in<br />
einer vorhergesehenen Zukunft« lebten, in einem revolutionär ausgedeuteten Morgen. Sie »sahen, wenn<br />
überhaupt, die Gegenwart als schon vergangen an, also als bereits nicht mehr bestimmend«.<br />
Entsprechend konzeptlos wurde auf die Ökologiebewegung und andere soziale Bewegungen reagiert. Kaum<br />
waren endlich Massen protestierend unterwegs, schon brachen die K-Gruppen in sich zusammen. Sie »lösten<br />
sich nicht auf, weil es keinerlei soziale und politische Proteste und Widerstände mehr gab. Im Gegenteil. Diese<br />
Vereine konnten nur nichts damit anfangen«, schreibt Stengl. Nachdem man anfänglich noch durchaus militante<br />
Demonstrationen gegen den Bau von Atomkraftwerken in Brokdorf oder Grohnde organisiert hatte, wechselten<br />
viele Mitglieder in die neu entstehende Grüne Partei. Raus aus dem 0,1-Prozent-Ghetto, rein in den<br />
Friedhofsgarten revolutionärer Träume. Der erste grüne Ministerpräsident dieses Landes war früher im KBW und<br />
glaubt heute an Gott.<br />
Anton Stengl: Zur Geschichte der K-Gruppen. Marxisten-Leninisten in der BRD der Siebziger Jahre. <strong>Zambon</strong><br />
Verlag, Frankfurt/Main 2011, 207 Seiten, 10 Euro