Cruiser im Juni 2015
Wer steckt eigentlich hinter «Network»? Zudem: Gay ist Okay und: Was macht eigentlich Marky Mark?
Wer steckt eigentlich hinter «Network»? Zudem: Gay ist Okay und: Was macht eigentlich Marky Mark?
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cruiser<br />
CHF 7.50 7.50<br />
<strong>Juni</strong> <strong>2015</strong><br />
Network<br />
Die schwulen<br />
Businessmänner<br />
Wie einflussreich sind<br />
sie wirklich?<br />
Exklusiv<br />
Das grosse Interview<br />
mit Mark Wahlberg<br />
Gay ist okay<br />
Woher kommt eigentlich<br />
der Begriff «schwul»?<br />
Europride<br />
Lohnt sich ein Besuch an<br />
der EuroPride in Riga?
Inhalt<br />
CHECKPOINT AN<br />
Editorial<br />
<strong>Juni</strong> <strong>2015</strong><br />
DER ZURICH PRIDE<br />
Liebe Leser<br />
An den <strong>Cruiser</strong>-Redaktionssitzungen ist es manchmal lustig. Man<br />
sitzt so da (in unserem Büro in Örlikon mit ZERO Glamourfaktor) und<br />
debattiert. Dies meist auf basisdemokratischem Niveau – denn nur so<br />
funktioniert ein solch idealistisches Projekt wie der <strong>Cruiser</strong>. Irgendwann<br />
wedelt dann Dani Diriwächter mit dem Seitenplan und wir<br />
wissen, was wir zu tun haben. Und alle scheinen ihre Aufgabe gerne zu<br />
machen. Das begeistert.<br />
Ich glaube, wir hatten noch nie einen so ausgewogenen Themenmix<br />
und selten so tolle Artikel wie in der aktuellen Ausgabe – neu haben<br />
wir auch Bruno Bötschi an Bord. Kaum jemand sonst kann so gut<br />
kolum nisieren wie er. Und weil be<strong>im</strong> <strong>Cruiser</strong> nur Top-Journis arbeiten,<br />
passt er absolut gut in unser Team. Und damit kommen wir zum Inhalt<br />
der aktuel len Ausgabe.<br />
04 Thema | Network<br />
Was steckt hinter dem Mythos?<br />
08 Aktuell | Promis<br />
09 Kolumne | Bötschi klatscht<br />
10 Thema | EuroPride Riga<br />
Homophobie als Chance?<br />
14 Serie | Mannsbild – Berufsbild<br />
Der Farben- und Lackkaufmann<br />
18 Thema | Chemsex<br />
Von Zaubertränken, Chemsex<br />
und Drugchecking<br />
Eigentlich wollten wir – wie üblich – für unsere Titelgeschichte bei<br />
den Bildagenturen Fotos einkaufen, doch dann stellten wir fest, dass<br />
unsere «Network»-Protagonisten umwerfend attraktiv sind. Erfolgreich,<br />
gutaussehend und … real! – Für manche ist «Network» vielleicht irgendwie<br />
suspekt, man sprach an besagter Redaktionssitzung sogar von einer<br />
«Gay Mafia». Wer die schwulen Businessmänner wirklich sind und was<br />
sie an ihren Treffen so machen (nein, es sind keine konspirativen<br />
Versammlungen!) zeigen und schreiben wir hübsch bebildert.<br />
Ich muss sagen, ich bin schon ein bisschen stolz auf die <strong>Cruiser</strong>-<br />
Mitarbeiter. Denn nur mit ihnen schaffen wir es, Monat für Monat solch<br />
lesenswerte Artikel zu publizieren.<br />
Herzlich, Haymo Empl<br />
Chefredaktor<br />
20 News | National<br />
22 News | International<br />
24 Serie | Homosexualität in Geschichte<br />
und Literatur Davids unerschrockener<br />
Freund Jonathan<br />
29 Thema | Gedanken zur Pride<br />
Von Janis McDavid<br />
30 Kolumne | Pia Spatz<br />
Beratung, HIV-/Syphilistest<br />
Drugchecking by saferparty.ch<br />
Informationen <strong>im</strong>mer online<br />
Unser Programm an der Zurich Pride<br />
Informationen <strong>im</strong>mer online<br />
Unser Programm an der Zurich Pride<br />
Dr. Gay beantwortet online Fragen zu Sex,<br />
Samstag, 13. <strong>Juni</strong> 14–17h: Konradstrasse 1, Zürich<br />
Homosexualität, Dr. Gay beantwortet Coming online Out, Fragen zu Sex,<br />
Drugchecking Samstag, 13. <strong>Juni</strong> by saferparty.ch<br />
14–17h: Konradstrasse 1, Zürich<br />
schwuler Homosexualität, Gesundheit, Coming Liebe Out, und Beziehung.<br />
Drugchecking by saferparty.ch<br />
schwuler Gesundheit, Liebe und Beziehung.<br />
Freitag, 19. <strong>Juni</strong> ab 16h: Checkpoint-Zelt Kasernenareal<br />
HIV Freitag, Syphilis-Tests 19. <strong>Juni</strong> ab und 16h: Beratung Checkpoint-Zelt Kasernenareal<br />
HIV / Syphilis-Tests und Beratung<br />
Samstag, 20. <strong>Juni</strong> ab 13h: Checkpoint-Zelt Kasernenareal<br />
Beratung, Samstag, 20. HIV <strong>Juni</strong> Syphilis-Tests ab 13h: Checkpoint-Zelt sowie Drugchecking Kasernenareal<br />
Beratung, HIV / Syphilis-Tests sowie Drugchecking<br />
MY<br />
Gesundheitszentrum für die Community<br />
Gesundheitszentrum für die Community<br />
.ch<br />
.ch<br />
Foto Umschlag: fotolia<br />
<strong>Cruiser</strong> print<br />
Impressum<br />
Herausgeber & Verleger: Haymo Empl, empl.media<br />
Infos an die Redaktion: redaktion@cruisermagazin.ch<br />
Chefredaktor Haymo Empl<br />
stv. Chefredaktor Daniel Diriwächter<br />
Art Director Astrid Affolter, Access – bridge to work, Bereich Grafik<br />
Redaktion Print Martin Ender, Andreas Faessler, Bastian Baumann, Alain Sorel,<br />
Thomas Borgmann, Marianne Weissberg, Bruno Bötschi, Michi Rüegg,<br />
Pia Spatz, Vinicio Albani, Moel Maphy, Agron Idrizi<br />
Layout<br />
Access – bridge to work, Bereich Grafik<br />
Lektorat Ursula Thüler<br />
Anzeigen Said Ramini, Telefon 043 300 68 28, anzeigen@cruisermagazin.ch<br />
Auflage 12 000 Exemplare, 10 Ausgaben jährlich<br />
Redaktion und Verlagsadresse:<br />
empl.media, Haymo Empl, Welchogasse 6, Postfach 5539, 8050 Zürich<br />
Telefon 043 300 68 28, Telefax 043 300 68 21, info@cruisermagazin.ch<br />
<strong>Cruiser</strong> online<br />
Herausgeber & Verleger: Haymo Empl, empl.media<br />
Infos an die Online-Redaktion: online@cruisermagazin.ch<br />
Chefredaktor Online: Daniel Diriwächter<br />
31 Ratgeber Aids-Hilfe | Dr. Gay<br />
32 Kultur | Schweiz<br />
34 Serie | Persönlichkeiten<br />
Mark Wahlberg<br />
36 Kolumne | Michi Rüegg<br />
38 Thema | Definition Begriff schwul<br />
«Schwul» – was heisst das?<br />
41 Kolumne | Weissbergs warme Weissheiten<br />
Bitte strengen Sie mich nicht an!<br />
42 Interview | Andreas Lehner<br />
Das war «Break The Chains» <strong>2015</strong><br />
<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 3
Thema | Network – Hinter den Kulissen<br />
«Network» – was steckt<br />
hinter dem Mythos?<br />
Text: Daniel Diriwächter und Haymo Empl<br />
Wer sind sie, diese Herren, die nicht nur in der Gay-Szene durch politisches<br />
Engagement und edle Anlässe von sich zu reden geben? Um den Verein<br />
für schwule Führungskräfte ranken sich einige Legenden – die Realität ist<br />
jedoch eine andere.<br />
In einer Zeit, in welcher das sogenannte<br />
«Vereinssterben» grassiert, beweist<br />
sich «Network», 1995 eigens für<br />
schwule Führungskräfte gegründet,<br />
ebenso standhaft wie beliebt. Denn<br />
nicht nur die Teppichetage hat Zutritt<br />
zum Verein, sondern auch Freischaffende,<br />
Künstler, Priester oder Studenten<br />
sind eingeladen bei «Network» beizutreten.<br />
Trotzdem hält sich hartnäckig<br />
das Gerücht, dass tatsächlich nur Männer<br />
mit dickem Geldbeutel die Aufnahmeprozedur<br />
bestehen. «Network» macht<br />
mit seinem Auftreten in der Gay-Szene<br />
gewiss auch keinen Hehl daraus, dass<br />
eine gewisse Exklusivität erwünscht<br />
ist. Dies verschafft «Network» aber<br />
nicht nur Interessenten, sondern auch<br />
den einen oder anderen Feind.<br />
So ranken sich einige Legenden um<br />
den Verein, besonders, wenn von edlen<br />
Anlässen die Rede ist, etwa den<br />
sogenannten «Club-Dinners», wo die<br />
Herren speisen und so beachtliche<br />
ANZEIGE<br />
Persönlichkeiten wie Alice Schwarzer<br />
oder Guido Westerwelle auftreten, um<br />
die Unterhaltung zu bestreiten. Doch<br />
«Network» ist weit mehr als nur die<br />
Versammlung der Elite. Das Gesellige,<br />
sprich die häufigen Apéros, Führungen,<br />
Vorträge oder Reisen, die durchgeführt<br />
werden, bietet natürlich eine<br />
«Apéros und exklusive<br />
Dinner sind nur Beiwerk<br />
für wichtige Anliegen<br />
des Vereins.»<br />
unwiderstehliche Faszination, oft aber<br />
agiert der Verein <strong>im</strong> Stillen und macht<br />
kein grosses Aufhebens um seine Aktivitäten.<br />
Es lohnt sich daher, etwas genauer<br />
hinzuschauen, denn Apéros und<br />
exklusive Dinner sind nur Beiwerk für<br />
wichtige Anliegen des Vereins.<br />
Meilensteine<br />
Die klare Kernkompetenz von «Network»<br />
und seinen Mitgliedern liegt <strong>im</strong><br />
Bereich Arbeitsplatz. Man wolle – zusammen<br />
mit seinen Partnerorganisationen<br />
– eine Vorbildfunktion für junge<br />
Männer einnehmen, wie es auf der<br />
Webseite heisst. Gerade am Arbeitsplatz<br />
soll ein selbstbest<strong>im</strong>mter, offener<br />
Umgang mit der sexuellen Orientierung<br />
und Identität gepflegt werden.<br />
Dies fördere schliesslich die Karriere,<br />
so die Aussage von «Network». Die seit<br />
20 Jahren aufgebauten Allianzen sollen<br />
dies garantieren. Nicht zuletzt<br />
wurde ein Leitfaden für Personalabteilungen<br />
entwickelt, der Hinweise und<br />
Richtlinien für den korrekten Umgang<br />
mit Lesben und Schwulen am Arbeitsplatz<br />
enthält.<br />
«Network» nennt solche Erfolge<br />
«Meilensteine», und damit kommt das<br />
zweite Steckenpferd des Vereins, die<br />
Politik, ins Spiel. Etwa die massgebli-<br />
«Ich bin bei Network,<br />
weil unterschiedlichste<br />
Talente mit gemeinsamen<br />
Interessen für<br />
eine gute Sache einstehen.»<br />
Claude Guelbert<br />
FotoS: ZVG<br />
che Mitarbeit bei der Kampagne zum<br />
Referendum über das Partnerschaftsgesetz.<br />
Die heutigen Schwerpunkte liegen<br />
verstärkt in der internationalen<br />
Menschenrechtspolitik und in der Auseinandersetzung<br />
mit Organisationen<br />
<strong>im</strong> Inland, die aus traditionellen, religiösen<br />
oder ideologischen Gründen homophobe<br />
Grundhaltungen vertreten.<br />
«Network» setzt sich aber auch mit<br />
weiteren Themen der schwul-lesbischen<br />
Welt auseinander, beispielsweise<br />
der Kultur. Alle zwei Jahre wird der mit<br />
15 000 Franken dotierte Network-<br />
Kulturpreis verliehen. Dieser würdigt<br />
herausragende Leistungen in Bezug auf<br />
Publikmachung schwuler Anliegen, direktes<br />
Wirken in der Gay-Szene oder<br />
für künstlerisches Schaffen.<br />
Hervorzuheben ist der hauseigene<br />
Solidaritätsfonds, der aus Spenden<br />
und Legaten finanziert wird. Unterstützt<br />
werden soziale und karitative<br />
Tätigkeiten, aber auch unterstützungsbedürftige<br />
Personen – die Mitgliedschaft<br />
ist dafür nicht zwingend. Zudem<br />
bietet «Network» seinen Mit gliedern<br />
ein umfassendes Angebot, z. B.<br />
Rückhalt bei Fragen rund um die Stellung<br />
schwuler Männer in Beruf und<br />
Gesellschaft.<br />
Das Aufnahmeverfahren<br />
Es gibt also eine ganze Reihe an Aktivitäten,<br />
die einem Aussenstehenden<br />
nicht <strong>im</strong>mer bewusst sind. Dabei agiert<br />
«Network» mittlerweile in der ganzen<br />
Schweiz. Die aktuelle Mitgliederzahl<br />
beläuft sich auf 450 Personen, welche<br />
sich auf Regionalgruppen in Basel,<br />
Bern, Genf, in der Innerschweiz, in<br />
Lausanne, in der Ostschweiz, in Zürich<br />
und <strong>im</strong> Tessin verteilen.<br />
Wenn es überhaupt einen Kritikpunkt<br />
geben sollte, wäre vielleicht das<br />
Aufnahmeverfahren zu nennen. Dieses<br />
Prozedere trennt die Spreu vom<br />
Weizen. Anders als in den meisten<br />
Vereinen wird die Mitgliedschaft genau<br />
kontrolliert und ist nicht sofort<br />
erhältlich. Interessierte Männer sollen<br />
in erster Linie in ihrer Arbeitswelt<br />
eine «führende» Rolle inne haben und<br />
Bereitschaft zeigen, sich in das Netzwerk<br />
des Vereins einzuleben.<br />
Es klingt ambitioniert, aber auch<br />
ein wenig ironisch, wenn ein Interessierter<br />
sich zunächst über seinen Status<br />
definieren lassen muss, bevor er<br />
«unverbindlich an einigen Apéros teilnehmen»<br />
kann, so die Aussage auf der<br />
Webseite. Ist diese Hürde genommen,<br />
kommt man in die Aufnahmephase,<br />
«Ich bin bei Network, weil<br />
es wichtig ist, sich politisch,<br />
gesellschaftlich und sozial<br />
zu engagieren.»<br />
Dennis Morlock<br />
die drei bis sechs Monate dauert. Freilich<br />
bleibt man dabei nicht sich selbst<br />
überlassen, sondern wird begleitet von<br />
zwei «Göttis», die dem potentiellen<br />
Mitglied mit Rat und Tat sowie Argusaugen<br />
zur Seite stehen. War auch diese<br />
Phase erfolgreich, so stellt die Regionalleitung<br />
dem nationalen Vorstand<br />
einen Antrag – dieser entscheidet abschliessend<br />
über die Aufnahme.<br />
Ein Mitglied bezahlt schliesslich<br />
einen Jahresbeitrag von 650 Franken<br />
pro Jahr, nicht mit eingerechnet die<br />
zusätzlichen Aktivitäten, wie die bereits<br />
erwähnten Club-Dinners, welche<br />
noch ein zusätzliches Budget erfordern,<br />
über das nicht alle verfügen. Am<br />
Ende steht «Network» aber für einen<br />
Verein mit klaren Prinzipien und Visionen.<br />
Die eingangs erwähnten Legenden<br />
gehören wohl zu den <strong>im</strong>mer amüsanten<br />
Geschichten, welche die Herren<br />
an ihren vielen Anlässen zu vielsagendem<br />
Schmunzeln anregen.<br />
Alle Informationen zum Verein unter<br />
www.network.ch.<br />
4 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 5
Thema | Network – Hinter den Kulissen<br />
«Ich bin bei Network<br />
dabei, weil Network<br />
nicht nur Geselligkeit<br />
in den Vordergrund<br />
stellt, sondern sich auch<br />
aktiv für die LGBTI-<br />
Rechte einsetzt.»<br />
PUBLIREPORTAGE<br />
Wir kaufen uns<br />
ein Haus<br />
Dominik Bachmann<br />
«Ich bin bei Network, weil<br />
es mir wichtig ist, dass<br />
‹schwul› und ‹für die Gesellschaft<br />
von Bedeutung<br />
sein› zusammen passen.<br />
Besonders weil das heutzutage<br />
noch nicht auf jeder<br />
Etage in der Geschäftswelt<br />
angekommen ist.»<br />
Hans Siegwart<br />
Text: Dr. iur. Stefan Heitmann* und<br />
Cordula E. Niklaus, Fürsprecherin LL.M.<br />
Der Haus- oder Wohnungskauf<br />
birgt für<br />
schwule Paare spezielle<br />
Herausforderungen.<br />
Falsche Planung und<br />
mangelnde Beratung<br />
können unschöne<br />
Konsequenzen nach<br />
sich ziehen. Wohl<br />
denen, die sich informieren.<br />
Valentin Rüst, Head of Mortgages bei MoneyPark und Stefan Heitmann,<br />
MoneyPark-CEO kennen sich aus in der Welt der Hypotheken.<br />
Interview | Network-Präsident Luzius R. Sprüngli<br />
«Network orientiert sich ganz besonders an den<br />
Bedürfnissen von Führungskräften.»<br />
<strong>Cruiser</strong>: Luzius Sprüngli, für wen ist nun<br />
eigentlich «Network» gedacht?<br />
Luzius Sprüngli: Für Führungskräfte,<br />
Kader, Unternehmer, Künstler, Politiker<br />
und Priester.<br />
Was genau macht Network?<br />
Network enragiert sich vor allem in der<br />
Politik, in der Situation von Schwulen<br />
Führungskräften am Arbeitsplatz und<br />
in der Kultur. Wir zählen momentan<br />
450 Mitglieder.<br />
Wie finanziert sich Network?<br />
Die Mitgliederbeiträge ermöglichen<br />
den Verein.<br />
Network-Präsident Luzius R. Sprüngli<br />
Warum braucht es einen Verein wie<br />
Network?<br />
Weil Network zusätzlich zu den anderen<br />
LGBT Organisationen Dinge in Politik,<br />
Wirtschaft und Gesellschaft bewegen<br />
kann und sich ganz besonders<br />
an den Bedürfnissen von Führungskräften<br />
orientiert. Nur schon durch die<br />
Existenz von Network wird gezeigt,<br />
dass es so etwas wie schwule Führungskräfte<br />
gibt und so wird einer<br />
breiteren Bevölkerung gezeigt, wie<br />
sehr wir Schwule Teil der Gesellschaft<br />
als Ganzes sind.<br />
FotoS: ZVG<br />
Sich mit dem Lebenspartner ein Haus<br />
oder eine Wohnung zu kaufen, ist für<br />
viele ein grosser Lebenstraum. Besonders<br />
für homosexuelle Paare gibt es<br />
dabei aber einiges zu beachten und zu<br />
regeln. Gut zu wissen ist es vorab, dass<br />
es keinen direkten Einfluss auf die<br />
Möglichkeiten des gemeinsamen Immobilienkaufs<br />
hat, ob Gays nun in einer<br />
eingetragenen Partnerschaft leben<br />
oder nicht: Häuser oder Wohnungen<br />
können Sie unabhängig davon entweder<br />
als so genanntes Mit- oder Gesamteigentum<br />
erwerben.<br />
Miteigentum ist dann möglich,<br />
wenn die Liegenschaft «aussonderbare<br />
Teile» hat. Das ist z. B. dann der Fall,<br />
wenn Sie sich ein Mehrfamilienhaus<br />
kaufen. In diesem Fall können beide<br />
Partner wie Alleineigentümer über<br />
ihren Anteil verfügen. Häufiger erwerben<br />
schwule Paare ihr Eigenhe<strong>im</strong><br />
aber als Gesamteigentum.<br />
Gesamteigentum kann <strong>im</strong>mer dann<br />
entstehen, wenn die Käufer durch Gesetz<br />
oder Vertrag zu einer Gemeinschaft<br />
verbunden sind. Hier besteht<br />
jedoch ein wesentlicher Unterschied<br />
zu Hetero-Paaren: Bei eingetragenen<br />
Partnerschaften gilt grundsätzlich die<br />
so genannte Gütertrennung, d. h. jeder<br />
behält seine Vermögenswerte. Im Rahmen<br />
eines Vermögensvertrags kann<br />
dieses Prinzip jedoch abgeändert werden.<br />
Das funktioniert mittels Partnergesellschaft.<br />
Eine solche kann auch<br />
stillschweigend entstehen, z. B. indem<br />
Sie den Kaufvertrag mit Ihrem Partner<br />
unterschreiben. Aufgrund der dadurch<br />
entstehenden Rechtsunsicherheit rate<br />
ich davon aber ab.<br />
Eine schriftliche Abmachung, in<br />
der die Folgen einer Auflösung der<br />
Partnerschaft und das Vorgehen bei<br />
Unst<strong>im</strong>migkeit zwischen den Partnern<br />
geregelt sind, kann Unsicherheiten<br />
vermeiden. Aufgrund der Schutzrechte<br />
in eingetragenen Partnerschaften<br />
ist es indes nicht möglich, sämtliche<br />
Verfügungsrechte durch eine Generalvollmacht<br />
auf einen Partner zu beschränken.<br />
Die oben erwähnten Schutzrechte<br />
sind auch bei allen gewichtigen Entscheidungen<br />
zur Bewirtschaftung einer<br />
Liegenschaft zu respektieren. Eine<br />
ausdrückliche Zust<strong>im</strong>mung beider<br />
Partner ist beispielsweise bei grösseren<br />
Renovationsarbeiten, be<strong>im</strong> Verkauf<br />
sowie bei der Aufnahme, Verlängerung<br />
oder Erhöhung der Hypothek<br />
notwendig. Die Kosten der Bewirtschaftung<br />
der Immobilie müssen zudem<br />
gemeinsam getragen werden. Das<br />
gilt für eingetragene sowie auch für<br />
nicht eingetragene Partnerschaften.<br />
Dennoch empfehle ich eine ausdrückliche<br />
Regelung der Kostentragung insbesondere<br />
dann, wenn sie nicht zu<br />
gleichen Teilen erfolgen soll. So vermeiden<br />
Sie Konflikte von Anfang an.<br />
Die Hypothekarberater bei Money-<br />
Park sind Spezialisten in allen Finanzierungsfragen<br />
rund um die Immobilie<br />
und kennen sich mit den Schwierigkeiten<br />
be<strong>im</strong> gemeinsamen Haus- oder<br />
Wohnungskauf bestens aus. Money-<br />
Park bietet individuelle Beratung in<br />
persönlicher Atmosphäre in einer der<br />
mittlerweile sieben Filialen des Unternehmens<br />
(Zürich, Basel, Bern, Baar,<br />
Baden, Luzern und Wil). Dank über 70<br />
Finanzierungspartnern – d. h. Banken<br />
und Versicherungen, die Hypotheken<br />
anbieten – finden wir zusammen mit<br />
Ihnen die bestmöglichen Konditionen<br />
für die Finanzierung.<br />
*CEO MoneyPark<br />
www.moneypark.ch<br />
6 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />
<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 7
Aktuell | Promis<br />
Die neue Leichtigkeit<br />
des Seins<br />
Text: Daniel Diriwächter<br />
«Er steht klar auf Frauen, hat aber – weil er<br />
sexuell sehr aktiv und exper<strong>im</strong>entierfreudig sei –<br />
auch schon Erfahrungen mit Männern<br />
gesammelt.»<br />
{ <br />
Dominik Kaiser, Senderchef von 3+, über die sexuellen<br />
}<br />
Präferenzen von Bachelorette-Kandidat Emanuel Brunner <strong>im</strong> «Blick».<br />
Bruce Jenner<br />
War es Kalkül oder ein Befreiungsschlag?<br />
Bruce Jenner, Mitglied der<br />
Fernsehfamilie Kardashian, gestand<br />
jüngst vor laufender Kamera, dass er<br />
bzw. sie eine Frau sei. Im Grunde war<br />
das nichts Neues, galt Bruce doch als<br />
einziger in dieser öffentlichkeitsgeilen<br />
Familie als jene Person, die eine gewisse<br />
Leistung erbracht hatte. Wenn eine<br />
solch maskuline Person vor den Augen<br />
der Öffentlichkeit langsam weibliche<br />
Züge ann<strong>im</strong>mt, ja geradezu provoziert,<br />
so ist das mehr als ein Gag. Bruce Jenner,<br />
dies gilt es zu wissen, erreichte<br />
einst Weltrekorde <strong>im</strong> Zehnkampf <strong>im</strong><br />
Jahre 1974. Allerdings verlief die danach<br />
angestrebte Filmkarriere <strong>im</strong> Sand.<br />
Heute kennt man Bruce als liebenden<br />
Vater, der zu seiner Weiblichkeit steht.<br />
Sie weiss, sie ist eine Transfrau und<br />
erntete dafür in den Staaten Beifall von<br />
allen Seiten. Auch die Familie steht<br />
hinter ihr. Sicher, die Metamorphose<br />
kann eine gewinnbringende Komponente<br />
in der sich tot laufenden Reality-Show<br />
Man kennt Bruce als liebenden Vater,<br />
der zu seiner Weiblichkeit steht.<br />
darstellen. Bruce, die ihren Namen vorerst<br />
behält, dürfte aber bald noch mehr<br />
von sich reden machen: Bei einem vermutlich<br />
von ihr selbst verursachten Autounfall<br />
in Malibu starb eine Frau –<br />
Bruce Jenner wurde daraufhin angeklagt.<br />
Miley Cyrus<br />
Die einstige Hannah Montana erweist<br />
sich seit geraumer Zeit als Enfant Terrible<br />
der amerikanischen Pop-Szene.<br />
Aus dem süssen Fratz wurde eine Sexbombe<br />
– mit durchaus emanzipatorischen<br />
Zügen. Doch wo ein Justin Bieber<br />
wegen seines sinnlos schlechten Benehmens<br />
angeh<strong>im</strong>melt wird, fällt Miley<br />
Cyrus schnell in die Kategorie «Schlampe»<br />
- wohl deswegen, weil sie eine junge<br />
Frau ist, die tut war ihr gefällt. Ihr<br />
selbst, so hat es den Eindruck, mögen<br />
die negativen St<strong>im</strong>men nichts anhaben.<br />
Sie streckt nach wie vor die Zunge raus,<br />
zeigt ihre Brüste und scheut sich nicht,<br />
auch mal einen Joint auf der Bühne zu<br />
rauchen. Nun überraschte der vermeintlich<br />
gefallene Kinderstar mit einem<br />
ambitionierten Projekt: Miley Cyrus<br />
gründete die Stiftung «Happy Hippie<br />
Founda tion». Diese n<strong>im</strong>mt sich obdachloser<br />
LGBT-Jugendlichen an, die wegen<br />
ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer<br />
Geschlechtsidentität von den Eltern verstossen<br />
wurden. Die Sängerin weiss, dass<br />
in den Staaten 40 Prozent der bis zu 1,6<br />
Millionen jungen Obdachlosen in den<br />
USA schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell<br />
seien - und zitiert damit eine Studie<br />
aus dem Jahr 2006. Bei soviel Courage<br />
lassen wir uns gerne provozieren.<br />
Måns Zelmerlöw<br />
Ein schwedischer Sonnyboy folgt auf die<br />
österreichische Drag-Queen Conchita<br />
Wurst: Måns Zelmerlöw gewann den<br />
Euro vision Song Contest <strong>2015</strong>. Sein<br />
Song «Heroes» und besonders seine<br />
Darbietung vermochten die heuchlerischen<br />
Russen auszuschalten. Ein fahler<br />
Nachgeschmack bleibt: Måns Zelmerlöw<br />
bezeichnete <strong>im</strong> Vorfeld des Musikwettbewerbs<br />
Homosexualität als «abnormal».<br />
FotoS: 3+ (1), YouTube (1), RCA Records (1), Thomas Hanses (EBU) (1)<br />
Gottogottogottogott!<br />
Text: Bruno Bötschi<br />
Kolumne | Bötschi klatscht<br />
Es gab kaum eine Provinz-Diva, die sich seinem Urteil <strong>im</strong> «Tagblatt der<br />
Stadt Zürich» entziehen konnte. Auf der anderen Seite: So manche Mutter,<br />
die sein Foti in der Zeitung sah, wünschte sich den Bötschi als Schwiegersohn.<br />
Ende 2011 verabschiedete er sich jedoch als Kolumnist. Und jetzt<br />
die gute Nachricht: Bötschi is back.<br />
«Welcher Pinsel hat<br />
den neuen Besitzer<br />
Marcel ‹Bossi› Bosshard<br />
geritten, als er entschied,<br />
aus seiner Beiz einen<br />
Bunker zu machen?»<br />
Ich bin eine Kolumnen-Schlampe.<br />
Jahrelang erschien meine Klatschkolumne<br />
<strong>im</strong> «Tagblatt der Stadt Zürich».<br />
Heute, mehr als vier Jahre nachdem<br />
meine letzte Kolumne erschienen ist,<br />
werde ich deswegen auf der Strasse<br />
<strong>im</strong>mer noch angesprochen. Momoll.<br />
Letztes Jahr feierte die Kolumne ein<br />
kurzes, wenig erfolgreiches Comeback<br />
<strong>im</strong> Heftli «Attika». Und jetzt bin ich<br />
also <strong>im</strong> «<strong>Cruiser</strong>» gelandet. Der Chefredaktor,<br />
Herr Empl, sagte, er wolle<br />
mich. Unbedingt. Und weil ich auch<br />
nicht mehr der Jüngste bin, sagte ich<br />
(nach einigem Gezicke und harten<br />
Lohnverhandlungen) schlussendlich<br />
zu. Wer weiss, ob je wieder einmal so<br />
heftig um mich geworben wird? Dabei<br />
wollte ich aufs Alter freundlich, nett<br />
und langweilig werden. Und reich, wenigstens<br />
ein bisschen.<br />
Das Grauen hat einen neuen Namen<br />
in Zürich: Restaurant Kaufleuten.<br />
Welcher Pinsel hat den neuen Besitzer<br />
Marcel «Bossi» Bosshard geritten, als<br />
er entschied, aus seiner Beiz einen<br />
Bunker zu machen? Vor bald 20 Jahren<br />
hat Pia Schmid <strong>im</strong> «Kaufleuten»<br />
einen Trend konzipiert: Die Architektin<br />
verwandelte die trüb-dunkle Halle<br />
in ein luftig-helles Prachtslokal, vermittelte<br />
<strong>im</strong> Millionen-Zürich einen<br />
Hauch von Weltstadt. Und jetzt kommt<br />
Bunker-Bossi, macht über Nacht alles<br />
kaputt und lässt die Wände dunkelgrau<br />
streichen. Donnerwetter nochmals!<br />
Ich bin nicht der einzige, der das<br />
neue Design grauenhaft findet und<br />
motzt. Erfahren habe ich, dass die drei<br />
fetten Kristallleuchter an der Decke<br />
demnächst ausgewechselt werden sollen.<br />
Ob die Maler nochmals vorbei kommen,<br />
entzieht sich meiner Kenntnis.<br />
Erwähnt sei noch: Der Service <strong>im</strong> «neuen»<br />
Kaufleuten ist erfrischend freundlich<br />
und das Essen schmeckte mir.<br />
Vom Essen zum, äh, zur Hunger –<br />
Hunger Sophie, der allseits gelobten<br />
Berner Musikerin. Die Gute hat mich<br />
verärgert. Vor fünf Jahren. Ich bin<br />
nachtragend, ein bisschen. Ich wollte<br />
ein Interview mit Frau Hunger führen.<br />
Sie zickte, ich blieb hart und mailte<br />
fleissig weiter. Immerhin, ich hatte<br />
nach jeder Antwort von Hungers<br />
Manager etwas zu lachen: Christian<br />
Fighera unterschreibt mit dem Kürzel<br />
«Fig». Schliesslich und endlich klappte<br />
es doch mit dem Interview. Frau Hunger<br />
verriet mir schriftlich, dass sie als<br />
Kind Undercoveragent einer gehe<strong>im</strong>en<br />
Regierungseinheit werden wollte. Später<br />
entdeckte sie Charlie Chaplin und<br />
wollte wie er werden. Wollte werden<br />
wie, das denke ich oft, wenn ich die<br />
Hunger reden höre. Ich finde, die will<br />
was sein, was sie nicht ist. Die Diplomatentochter,<br />
die bürgerlich Emilie<br />
Jeanne-Sophie Welti heisst, ist klug,<br />
gebildet, weltgewandt und fühlt sich<br />
trotzdem an wie Plastik, wenn sie<br />
redet, parliert, sich wichtig macht.<br />
Sophie, lass los! Schrei! Endlich! Laut!<br />
Aber richtig!<br />
Speiübel, aber richtig, wurde mir<br />
be<strong>im</strong> Blutbad, welches der Churer Bischof<br />
Vitus Huonder <strong>im</strong> Kanton Uri angerichtet<br />
hat. Huonder zwang Pfarrer<br />
Wendelin Bucheli aus Bürglen ein<br />
Communiqué zu unterschreiben, in<br />
dem geschrieben steht, der Priester bedauere,<br />
dass «durch die Segnung eines<br />
gleichgeschlechtlichen Paars viele<br />
Menschen verletzt wurden». Wusste<br />
gar nicht, dass bei Segnungen in der<br />
katholischen Kirche Waffen eingesetzt<br />
werden. Gottogottogottogott! – Haben<br />
die Urner nicht seinerzeit dem Teufel<br />
ein Schnippchen geschlagen? Und die<br />
sind doch auch sonst ein einig-mutiges<br />
Völkchen? Aber warum haben sie<br />
dem Huonder jetzt nicht mitgeteilt:<br />
Klappe halten! Oder noch besser: Sie<br />
hätten dem Bischof einfach ein paar<br />
Bibelsprüche um die Ohren hauen sollen<br />
– zum Beispiel diesen: «Wer unter<br />
euch ohne Sünde ist, der werfe den<br />
ersten Stein auf sie.»<br />
www.brunoboetschi.ch<br />
8 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />
<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 9
Thema | EuroPride Riga<br />
Homophobie<br />
als Chance?<br />
Text: Bastian Baumann<br />
Am 20. <strong>Juni</strong> <strong>2015</strong> findet in Riga die nächste EuroPride statt. Das Land ist<br />
konservativ, den Organisatoren des grossen LGBT-Events werden unzählige<br />
Steine in den Weg gelegt. Wie plant man ein Event, dem nur 1% der<br />
Bevölkerung positiv gegenübersteht?<br />
Wie klug ist es, eine Europride in einem stockkonservativen Land wie Lettland<br />
durchzuführen?<br />
Das Land ist klein. Doch es hat eine<br />
schwere Geschichte. Von unzähligen<br />
anderen Nationen wurde es kontrolliert<br />
oder beeinflusst: Schweden, Polen,<br />
Deutschland, Russland. Am 4. Mai 1990<br />
erklärte Lettland seine Unabhängigkeit,<br />
nach leidvoller Geschichte. Diese<br />
Erklärung, der die sogenannte «Singende<br />
Revolution» vorausgegangen<br />
war, wurde seitens der Sowjetunion<br />
am 21. August 1991 gemeinsam mit<br />
der Unabhängigkeit Litauens und<br />
Estlands anerkannt.<br />
Anfangs galt Lettland politisch und<br />
wirtschaftlich als instabil. Dem Land<br />
stellte sich die Aufgabe, die nationale<br />
Identität mit der Identität der ethnischen<br />
Letten und derjenigen der nicht<br />
lettischen Ethnien in Lettland in Einklang<br />
zu bringen, was durch eine umstrittene<br />
Minderheitenpolitik versucht<br />
wurde. Zugleich mussten das politische<br />
und das wirtschaftliche System<br />
des Kommunismus in westliche Demokratie<br />
und Marktwirtschaft transformiert<br />
werden. Am 20. September 2003<br />
st<strong>im</strong>mten in einem Referendum 67%<br />
der Letten für den Beitritt ihres Landes<br />
zur EU, der am 1. Mai 2004 erfolgen<br />
sollte. Nach EU fühlt sich dieses Land<br />
aber nicht an. Und doch wird die Euro-<br />
Pride in wenigen Tagen dort stattfinden.<br />
Dieses wichtige und paneuropäische<br />
LGBT-Event wird dieses Jahr<br />
erstmals in einem Land der ehemaligen<br />
Sowjetunion durchgeführt, das<br />
gleichzeitig eine gemeinsame Grenze<br />
mit Russland hat. Ein Pulverfass –<br />
aber ein spannendes!<br />
Viele Gegner<br />
Über 63% der Lettinnen und Letten<br />
sagen, sie würden die Pride nicht unterstützen.<br />
Lediglich eine vernichtend<br />
kleine Zahl von 1% der Umfrageteilnehmer<br />
geben an, sie befürworteten<br />
die anstehende Pride voll und ganz.<br />
Gelder werden kaum gesprochen, Politiker<br />
äussern sich negativ. Der Vize-<br />
Stadtpräsident von Riga, Andris<br />
Ameriks, meinte Mitte Mai: «Euro-<br />
Pride fördert kein Verständnis innerhalb<br />
der Gesellschaft. Die Verfassung<br />
verbietet keine solchen Events, deshalb<br />
hat die Stadtverwaltung auch<br />
keine Möglichkeit, das Event nicht zu<br />
bewilligen.» Danke, Verfassung! Und<br />
der lettische Parlamentssekretär des<br />
Justizministeriums, Janis Iesalnieks,<br />
besch<strong>im</strong>pfte die LGBT-Gemeinschaft<br />
bisher öffentlich unter anderem als<br />
«faggot mafia» (Schwuchtel-Mafia)<br />
und Strukturen wie «NoHomo@LV»<br />
bekämpfen die Pride offen, unverfroren<br />
und mit grosser Unterstützung aus<br />
der Bevölkerung.<br />
An den letzten Prides wurden die<br />
Teilnehmer mit Eiern und Fäkalien beworfen.<br />
Einer kleinen Zahl von Teilnehmenden<br />
stand eine grosse Anzahl<br />
Protestierender gegenüber. Auch in<br />
diesem Jahr rechnet die EuroPride mit<br />
Gegendemonstranten, die Polizei wird<br />
Fotos: mangostock (1), ZVG (1)<br />
die Teilnehmer/innen aber genügend<br />
schützen (müssen), schliesslich hält<br />
das Land die aktuelle EU-Ratspräsidentschaft<br />
und kann sich keinen Menschenrechtsskandal<br />
leisten. So oder so<br />
scheint es so kurz vor der Pride grosse<br />
Nervosität zu geben, verbunden mit<br />
einer gespenstischen Ruhe. Die Standpunkte<br />
scheinen sich zu polarisieren.<br />
Bei Angriffen auf die EuroPride werden<br />
die St<strong>im</strong>men lauter, die sich für<br />
den Event einsetzen. Anderseits werden<br />
die Angriffe aber auch <strong>im</strong>mer lauter<br />
und spitzer. Die Frage bleibt: Wie<br />
werden die Letten selber die Pride erleben?<br />
Was werden sie mitnehmen?<br />
Wird man am Ende vielleicht doch<br />
stolz sein auf die vielen Gäste <strong>im</strong><br />
Land? Auf die vielen Konsumenten?<br />
Auf die über 50 Events während der<br />
Pride-Woche? Wird man überrascht<br />
sein über die vielen «normalen» Leute<br />
<strong>im</strong> Umzug? Dragqueens sind <strong>im</strong> Umzug<br />
explizit erlaubt, jedoch bitten die<br />
Organisatoren die Besucher, auf nackte<br />
Oberkörper oder Fetischkostüme zu<br />
verzichten. Was werden die Leute am<br />
Strassenrand also von den LGBT lernen?<br />
Werden sie am Ende vielleicht sogar<br />
enttäuscht sein, nicht das gesehen<br />
zu haben, was sie erwarten haben?<br />
Warum in Lettland?<br />
Immer wieder hört man St<strong>im</strong>men, dass<br />
Lettland so oder so nicht bereit sei für<br />
die Pride. «Veränderung erreicht man<br />
nicht, wenn man sich der Mehrheit anpasst»,<br />
meint dazu Kaspars Zalitis,<br />
Co-Präsident der EuroPride in Riga. Er<br />
kämpft täglich gegen mächtige Windmühlen,<br />
Gruppierungen, die gegen homosexuelle<br />
Menschen arbeiten. «LGBT-<br />
Menschen werden die Stadt Riga besuchen,<br />
einkaufen, übernachten, chic<br />
essen gehen und die Oper besuchen,<br />
das ist doch viel attraktiver und besser<br />
als die englischen Touristen, die kürzlich<br />
das Staatsdenkmal betrunken<br />
angepinkelt haben». Ganz generell ist<br />
Zalitis ein Macher, der es versteht,<br />
Menschen und Organisationen für die<br />
EuroPride zu gewinnen und Wege zu<br />
finden, wie LGBT in einem homo- und<br />
transphoben Umfeld doch irgendwo<br />
Platz finden.<br />
Auf die Bevölkerung kann Euro-<br />
Pride wohl nicht zählen. Die Firmen<br />
fürchten sich vor einem Reputationsschaden<br />
und der Mann von der Strasse<br />
sieht in Schwulen <strong>im</strong>mer noch den<br />
Verfall der Moral. Homosexuelle werden<br />
als Pädosexuelle dargestellt, als<br />
nackte und kopulierende Tiere. Ein<br />
«An den letzten Prides<br />
wurden die Teilnehmer<br />
mit Eiern und Fäkalien<br />
beworfen.»<br />
Bild, das von russischer Propaganda<br />
und dem Fehlen von Vorbildern herrührt.<br />
Kaum ein VIP hat sich in Lettland<br />
geoutet und wenn, dann lebt er/<br />
sie <strong>im</strong> Ausland. Die Unterstützung der<br />
Organistoren und das Anstossen eines<br />
Veränderungsprozesses zu einer verbesserten<br />
Lebensqualiät der LGBT in<br />
Lettland wäre also eine politische Aufgabe.<br />
Hier versagt aber das gesamte<br />
politische Establishment. Keine Partei<br />
unterstützt die Bemühungen und<br />
Anliegen von LGBT-Menschen. Die<br />
Sae<strong>im</strong>a, das lettische Parlament, bleibt<br />
Wird es in Riga zu Protesten kommen?<br />
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GAY-<br />
in der Schweiz!<br />
also still. Nicht still war dagegen für<br />
kurze Zeit der lettische Aussenminister<br />
Edgars Rinkēvičs, der sich in einem<br />
Anflug von Stolz und Mut als schwul<br />
geoutet hat. Die Nachricht war eine<br />
Sensation <strong>im</strong> baltischen Land, Medien<br />
weltweit berichteten über den kurzen<br />
Twitter-Tweet («I proudly announce<br />
I'am gay ... Good luck all of you ...»),<br />
etliche LGBT-Organisationen zollten<br />
Rinkēvičs Respekt und gratulierten<br />
dem Minister. Verhalten hat sich stets<br />
die lettische LGBT-Organisation Mozika<br />
geäussert, denn sie wusste, was kommen<br />
würde: Rinkēvičs Umfragewerte<br />
sackten in den Keller.<br />
Schwierige Geldbeschaffung<br />
Die Folgen der Untätigkeit von Politik<br />
und Firmen sind dramatisch. Der Euro-<br />
Pride geht das Geld aus. Ausgaben für<br />
die Konferenz, die Parade oder die Bühne<br />
können bis jetzt nicht vollständig<br />
gedeckt werden. Die Organisatoren sind<br />
auf internationale Unterstützung und<br />
.CH
Thema | EuroPride Riga<br />
Über 10 000 Euro konnten der Euro-<br />
Pride dank der Sammelaktion von Pink<br />
Cross überreicht werden.<br />
Geldgeber angewiesen. Für einen Teil<br />
der Kosten springen nun Botschaften<br />
ein, zum Beispiel aus Deutschland,<br />
USA oder den Niederlanden. Den<br />
grossen Rest versuchen die lettischen<br />
Männern und Frauen jetzt mit internationalen<br />
Spenden zu finanzieren.<br />
Doch die Suche nach Geld ist schwierig.<br />
Die Frage, warum genau es mit der<br />
Solidarität klemmt, macht ratlos. Vielleicht<br />
klingt Lettland einfach zu wenig<br />
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sexy für die LGBT in Zürich, Berlin<br />
oder London? Oder die Probleme <strong>im</strong><br />
EU-Land werden einfach masslos unterschätzt.<br />
So oder so versuchen mehrere<br />
Partner der EuroPride, darunter<br />
auch «Pink Cross», auf die Problematik<br />
der mangelnden finanziellen Unterstützung<br />
aufmerksam zu machen.<br />
Die baltische Airline als<br />
Vorreiterin<br />
Es gibt auch Leuchttürme <strong>im</strong> unruhigen<br />
Pride-Wasser. Auf die Frage, warum<br />
ausgerechnet sein Unternehmen<br />
die EuroPride ohne zu Zögern unterstützt,<br />
sagt Janis Vanags, Vize-Präsident<br />
der Unternehmenskommunikation<br />
von Air Baltic, kurz und bündig: «Weil<br />
ich keinen Grund sehe, EuroPride nicht<br />
zu unterstützen». Der Entscheid der<br />
grössten baltischen Airline, dieses Jahr<br />
das LGBT-Event kommunikativ zu unterstützen,<br />
ist vor allem dem jungen<br />
und innovativen Vanags zu verdanken.<br />
Mit seinem Entscheid provozierte<br />
Vanags auch eine Anfrage seines Chefs,<br />
was genau denn die Airline nun unterstütze,<br />
als dem CEO klar wurde, für<br />
welches Event die Airline einsteht.<br />
«Natürlich gab es intern Diskussionen<br />
darüber, ob unser Engagement sinnvoll<br />
sei, aber wir sind ein internationales<br />
Unternehmen mit offenen Werten und<br />
dazu stehen wir voll und ganz.» Mittlerweile<br />
ist die Airline stolzer Partner<br />
und wird auf den Flügen zur EuroPride<br />
auch in den offiziellen Ansagen <strong>im</strong><br />
Flugzeug auf den Event aufmerksam<br />
machen.<br />
Künstler und Designer als<br />
Supporter<br />
Am Ende können sich die LGBT in Lettland<br />
auch auf kreative Köpfe und<br />
Vordenker verlassen. So designt Elina<br />
Dobele einen EuroPride-Schuh. «Ich<br />
wollte ein Leben lang Architektin werden,<br />
habe studiert und dann irgendeinmal<br />
bemerkt, dass ein Schuh auch<br />
ein architektonisches Bauwerk ist; mit<br />
seiner Form, seiner Statik und seinem<br />
Design». Elina besitzt einen schmucken<br />
Für Ihre Nachkommen:<br />
Erhalten Sie die Früchte Ihrer<br />
Arbeit mit einer sicheren<br />
Nachfolge-Regelung.<br />
Fotos: zvg<br />
Über 63 Prozent der Lettinnen und Letten sagen, sie werden die Pride nicht<br />
unterstützen.<br />
Schuhladen, in dem jeder Schuh noch<br />
in der hauseigenen Werkstadt hergestellt<br />
wird. Gleiches tun die Designerin<br />
und der Designer von «I'M Your Shirt»,<br />
ebenfalls eine lettische Manufaktur,<br />
«Es ist jetzt an der Zeit,<br />
sich zu engagieren.»<br />
die <strong>im</strong>portierte Stoffe aus England zu<br />
sehr individuellen Hemden näht und<br />
in die Welt verschickt. Indra Miklava,<br />
Designerin bei «I'M Your Shirt» verbindet<br />
einen ganz persönlichen Grund<br />
mit ihrem Engagement für die Pride:<br />
«Auch wir Frauen haben Jahrzehnte<br />
lang für unsere Rechte gekämpft. Ich<br />
habe viele LGBT-Freunde und es ist<br />
mir ein persönliches Anliegen und für<br />
mich selbstverständlich, mich auch<br />
für die Anliegen von homosexuellen<br />
Menschen einzusetzen». Sie tut dies<br />
zusammen mit Kaspars Komarovs,<br />
dem Geschäftspartner von Indra. Beide<br />
haben für ihre Hemden einen kleinen<br />
gestickten EuroPride-Button entworfen,<br />
den die Kunden optional<br />
applizieren können. Auch die Besitzerin<br />
von Aristīds, einer Hipster-Bar mit<br />
einem Eingang ohne Name oder Logo,<br />
sieht den gesellschaftlichen Wandeln<br />
nur langsam kommen. «Wir sind eine<br />
Gruppe von Menschen, die Neues<br />
schaffen wollen. Darum haben wir diese<br />
Bar gebaut, und darum freuen wir<br />
uns auch unhe<strong>im</strong>lich, Gay-Events bei<br />
uns zu haben.»<br />
Endspurt<br />
Im Mozaika-Büro, einem etwas kahlem<br />
Büro <strong>im</strong> Untergeschoss eines noblen<br />
Bürohauses, stecken Kaspars und sein<br />
Team <strong>im</strong>mer wieder die Köpfe zusammen<br />
und beraten sich, wie die nächste<br />
Hürde zu überspringen sei. Und <strong>im</strong>mer,<br />
wenn eine Mail mit einer neuen Spende<br />
aufploppt, hellen sich die Gesichter auf<br />
und Freude steigt auf. Die Schweizer<br />
LGBT-Organisationen konnten vor wenigen<br />
Wochen den Machern der EuroPride<br />
einen Scheck über 10 000 Euro<br />
überreichen und leisten damit einen<br />
wichtigen Beitrag zum Veränderungprozess<br />
in Lettland.<br />
Veränderung durch uns<br />
EuroPride wird also wieder zu dem,<br />
wofür der Anlass eigentlich steht: ein<br />
verbindendes Element, ein Event, der<br />
die Unterstützung aller LGBT erfordert.<br />
Schon an der Europride 2009 in<br />
Zürich traten einige Sprecherinnen<br />
und Sprecher auf, die Westeuropa aufforderten,<br />
auch die Anlässe <strong>im</strong> Osten<br />
zu besuchen, und mit der Präsenzmarkierung<br />
zu zeigen, wie wichtig es ist,<br />
sich auch dort für die Rechte der LGBT<br />
einzusetzen. Es ist jetzt an der Zeit,<br />
sich zu engagieren. Und gemeinsam –<br />
ganz nach dem Motto der EuroPride in<br />
Riga – selber Teil einer Bewegung zu<br />
sein und die Geschichte ins Positive<br />
umzuschreiben.<br />
Riga Infos<br />
Spenden: http://ej.uz/ep15donate<br />
Informationen: www.europride<strong>2015</strong>.eu<br />
Gay-Organisation: Mozaika<br />
(www.mozaika.lv)<br />
Anreise: Ab Zürich mit AirBaltic oder<br />
Swiss EuroPride Partner Reisebüro für<br />
Schweiz, Deutschland und Österreich:<br />
Pink Cloud (www.pinkcloud.ch)<br />
Bar & Party: Die einzige richtige Gay-<br />
Bar in Riga. Täglich geöffnet, am<br />
Wochenende sehr gut besucht:<br />
Golden Bar (www.mygoldenclub.com)<br />
Einmal <strong>im</strong> Monat mit einer Gayfriendly-<br />
Party: Aristīds www.facebook.com/<br />
aristidsbar<br />
Schöne Atmosphäre und Konzerte:<br />
Kanepes kultūras centrs (während<br />
Euro Pride auch das offizielle Pride<br />
House) (www.kanepes.lv)<br />
Essen: Gayfriendly-Cafe mit gutem und<br />
günstigem Essen, Geburtsstätte von<br />
Mozika Osiris (www.cafeosiris.lv)<br />
Spezielle Shopping-Ideen: In der<br />
schönen Altstadt von Riga. Bei «I’M<br />
your shirt» (www.<strong>im</strong>yourshirt.com)<br />
oder der Schuhdesignerin Elina Dobele<br />
(www.elinadobele.com)<br />
Riga ist durchaus einen Besuch wert.<br />
<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 13
Serie | Mannsbild – Berufsbild<br />
«Ja, ich mache<br />
die Welt bunt ...»<br />
Text: Andreas Faessler<br />
In seinem Reich gehts um weit mehr als schöne Raumausstattungen und<br />
st<strong>im</strong>mige Farbkonzepte: Ohne ein breites handwerkliches Wissen und vor<br />
allem technische Fachkenntnisse könnte Michael Wössner seinen Beruf<br />
nicht ausüben.<br />
Michael in Action. Ein gestandener Mann mit Flair fürs Schöne.<br />
Gemäss gängiger Klischees ist ein Beruf<br />
in der Wohnungs- und Hauseinrichtungsbranche<br />
alles andere als «unschwul».<br />
Chic soll es aussehen, farblich<br />
und in der Wahl der Materialien soll<br />
alles aufeinander abgest<strong>im</strong>mt sein. Ein<br />
in jeder Hinsicht durchdachtes Wohnkonzept<br />
ist ja nicht selten dem ausgeprägten<br />
Sinn für Ästhetik und Design<br />
homosexueller Männer zu verdanken,<br />
die in dieser Berufsgattung ihre Erfüllung<br />
suchen und finden.<br />
tier am Stadtrand von Pforzhe<strong>im</strong> erblickt.<br />
Der Rest hier spricht eine ganz<br />
andere Sprache: Im lichtdurchfluteten<br />
Lokal füllen Behälter mit Klebstoffen,<br />
Lösungsmitteln, Verdünnern die Regale.<br />
Es stapeln sich Säcke mit Spachtelmassen<br />
und Rohmaterial für Verputz<br />
aller Arten. Hier eine reiche Palette an<br />
He<strong>im</strong>werksmaschinen und Spezialgeräten,<br />
dort an der Wand Muster für Lacke<br />
und Lasuren, Parkette, Laminate, Teppiche.<br />
Gegenüber Werkzeuge, Arbeits-<br />
Fotos: Andreas FAEssler<br />
Michael, versiert <strong>im</strong> Umgang mit<br />
Maschinen.<br />
Im Geschäft von Michael Wössner<br />
dreht sich vieles ebenfalls um He<strong>im</strong>ausstattung.<br />
Links in der Ecke liegen<br />
farblich und nach Machart kategorisierte<br />
Produktmuster und Kataloge.<br />
Davon ein Riesenwälzer mit Designs<br />
von Harald Glööckler. «Das fliegt aber<br />
demnächst aus dem Sort<strong>im</strong>ent», sagt<br />
Geschäftsführer Wössner mit einem<br />
Augenzwinkern. Es ist derzeit auch<br />
das einzige «Schwul-Assoziierte», das<br />
man <strong>im</strong> Laden in einem Gewerbequarschutzutensilien,<br />
alle möglichen Sorten<br />
von Bürsten und Pinseln sowie<br />
Farbrollen. Und alles dominierend:<br />
E<strong>im</strong>er- und büchsenweise Farben und<br />
Lack aller erdenklicher Arten und<br />
Nuancen. Und doch ist das Reich des<br />
33-Jährigen kein Baumarkt, sondern<br />
ein Fachgeschäft, das sich hauptsächlich<br />
auf den Bereich Farben, Tapeten,<br />
Bodenbeläge und Werkzeuge spezialisiert.<br />
Michael Wössner leitet die<br />
hiesige Niederlassung eines in Baden-<br />
Württemberg und Bayern tätigen<br />
Grosshandelsunternehmens.<br />
Der gebürtige Heilbronner war von<br />
Anfang an in der Farb- und Lackbranche<br />
tätig, hat seine Lehre bei einer<br />
Einzelhandelsfirma absolviert. Nach<br />
dem Abschluss als Kaufmann <strong>im</strong><br />
Gross- und Aussenhandel bildete er<br />
sich weiter zum Handelsfachwirt und<br />
schliesslich zum Betriebswirt. Seit<br />
2006 ist er in der süddeutschen Firma<br />
tätig und hat sich als Fachmann auf<br />
seinem Gebiet schon längst etabliert.<br />
«Hübsche farbige Sachen»<br />
Mit «schwulen» Vorurteilen aber wird<br />
der athletische Bartträger mit sonorer<br />
St<strong>im</strong>me und tiefblauen Augen trotzdem<br />
<strong>im</strong>mer mal wieder konfrontiert.<br />
«Hübsche farbige Sachen» verkaufe er<br />
gemäss einiger, sagt er und lacht. «Ja,<br />
ich mache halt die Welt bunt. Einige<br />
nennen mich scherzhaft ‹Trulla de<br />
Couleur›.» Darüber sieht er amüsiert<br />
hinweg. Was für ein enormes Fachwissen<br />
nämlich über Technik, Chemie und<br />
Physik hinter all dem steckt, davon<br />
hat kaum einer eine Ahnung. «Natürlich<br />
brauche ich ein Auge für Ästhetik<br />
und vor allem für Farben und Farbkombinationen,<br />
um die Kunden beraten<br />
zu können», erklärt Wössner. «Aber<br />
viel wichtiger ist das Wissen, wie und<br />
ob etwas überhaupt umgesetzt werden<br />
kann.» Hierbei gilt es unter anderem<br />
Vorschriften zu beachten, für die es<br />
etwa umfangreiche baurechtliche<br />
Kennt nisse braucht. «Kann die nötige<br />
Wärmedämmung ausgeführt werden?»,<br />
führt er Beispiele an. Oder: "Ist der<br />
Kalkputz mit dem passenden Material<br />
überzogen, damit die erforderliche<br />
Karbonisierung nicht verhindert wird?<br />
Wird die Energiesparverordnung des<br />
Bundes eingehalten? Und so weiter ... »<br />
Auch mit dem Denkmalschutz arbeitet<br />
er <strong>im</strong>mer wieder zusammen, beispielsweise<br />
dann, wenn ein Kulturdenkmal<br />
restauriert wird. Und dabei ist es essentiell,<br />
dass die richtigen Materialien<br />
zur Anwendung kommen, um nicht<br />
etwa der historischen Bausubstanz zu<br />
schaden.<br />
«Was für ein enormes<br />
Fachwissen über Technik,<br />
Chemie und Physik<br />
hinter all dem steckt,<br />
davon hat kaum einer<br />
eine Ahnung.»<br />
Stets auf dem aktuellen<br />
Wissensstand<br />
Das Wissen des Schwaben wird auch<br />
für öffentliche Bauten herangezogen,<br />
beispielsweise für Tunnel- oder Brückenbeschichtungen.<br />
«Es ist eine Branche,<br />
die einer ständigen Entwicklung<br />
unterliegt», sagt Wössner. Neue Erkenntnisse<br />
und Produkte erfordern es,<br />
dass auch er selbst wissenstechnisch<br />
stets auf dem aktuellen Stand ist. Interne<br />
Weiterbildungen gehören fix zu<br />
seinem Berufsleben. Dass der in einer<br />
Beziehung lebende Wahlpforzhe<strong>im</strong>er<br />
seine Fachkenntnisse und Fertigkeiten<br />
auch sich selbst zunutze gemacht und<br />
seine Wohnung entsprechend gestaltet<br />
hat, ist so gut wie selbstredend. Privat<br />
gibt er sich genauso natürlich und bodenständig<br />
wie <strong>im</strong> Job, pflegt seinen<br />
Freundeskreis, treibt regelmässig Sport,<br />
ist gerne in der Natur oder mit dem<br />
Motorrad unterwegs.<br />
Anpacken<br />
Der Arbeitsplatz Michael Wössners ist<br />
nicht nur der Verkaufsladen mit eigenem<br />
Lager. Regelmässig fährt er zu<br />
den Baustellen, etwa um die Machbarkeit<br />
abzuklären, anhand der Situation<br />
vor Ort einzuschätzen, wovon es wie<br />
viel braucht. Und anpacken muss er<br />
ebenfalls können, das zuweilen schwere<br />
Material bewegt sich schliesslich<br />
nicht von selbst.<br />
Als Niederlassungsleiter und Vorgesetzter<br />
von vier Mitarbeitern erledigt<br />
Michael auch die ganze Administration<br />
– frühmorgens steht er <strong>im</strong> Laden<br />
und bereitet alles vor, punkt 7 Uhr öffnet<br />
sich die Tür. «Das Administrative<br />
macht etwa 50 Prozent meiner Arbeit<br />
aus.» Die Beratung sei jedoch sein bevorzugtes<br />
Gebiet, sagt er. Dabei schätzt<br />
er den Umgang mit den Menschen und<br />
ihren Wünschen. «Jeder sucht etwas<br />
anderes, eine ganz individuelle Lösung.<br />
Dabei gestaltet sich auch die<br />
Beratung in jedem Fall ganz anders,<br />
weil ja jedes Gebäude respektive jede<br />
Situation unterschiedliche Voraussetzungen<br />
mit sich bringt.»<br />
Doch jetzt verabschiedet sich<br />
Michael Wössner von all dem für den<br />
Moment, hängt den Farbe<strong>im</strong>er an die<br />
Wand und übergibt die Leitung des<br />
Geschäfts seinem Stellvertreter. Drei<br />
Wochen wird er mit dem Auto durch<br />
den Südwesten der USA fahren. «Seit<br />
langem überfällige Urlaubszeit», stellt<br />
er fest. «Das habe ich mir verdient.»<br />
<strong>Cruiser</strong> zeigt Männer <strong>im</strong> Berufsalltag.<br />
Dass Sexualität nichts mit der Berufswahl<br />
zu tun haben muss, beweisen unsere gestandenen<br />
Männer. Bisher portraitiert:<br />
Schiffbauingenieur, Maschinenbauer, Seelsorger.<br />
Hast du einen spannenden Beruf?<br />
Mail uns: redaktion@cruisermagazin.ch<br />
14 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 15
www.cruisermagazin.ch<br />
Tagesaktuelle News. Jederzeit. Überall.<br />
PUBLIREPORTAGE<br />
Gleichstellung ohne<br />
Grenzen – Was muss getan<br />
werden?<br />
Das Motto der diesjährigen Zurich Pride klingt genial: Gleichstellung ohne<br />
Grenzen! Wer könnte das nicht unterschreiben? Doch während hier in<br />
der Schweiz Gleichstellung auf höchstem Niveau diskutiert wird, ist<br />
Homo sexualität in über 80 Ländern <strong>im</strong>mer noch verboten, und in Dutzenden<br />
von Ländern haben LGBTI wenig bis keine Rechte und landen wegen<br />
ihrer Lebensweise <strong>im</strong> Gefängnis oder müssen um ihr Leben bangen.<br />
Foto: Fotolia-Piotr Marcinski-Internet<br />
Foto: iStock-Huskystudio<br />
Niemand soll sich mehr<br />
verstecken müssen.<br />
Besonders zu spüren bekommt diese<br />
Stigmatisierung und Isolierung die<br />
MSM- und Transgender-Bevölkerung<br />
in den betroffenen Ländern. Neben<br />
den rechtlichen Konsequenzen haben<br />
diese gesellschaftlichen Ausgrenzungen<br />
auch negative Auswirkungen auf<br />
die Gesundheit: Hohe HIV-Infektionsraten,<br />
psychische Erkrankungen und<br />
ein schlechter Zugang zur Gesundheitsversorgung<br />
bei MSM und Transgender<br />
sind offensichtliche Folgen.<br />
Bereits seit 1992 setzt sich das globale<br />
Programm «Positive Action» für die<br />
Verbesserung der Lage in diesen Bereichen<br />
ein. Seit 2009 wird das Programm<br />
von ViiV Healthcare, einem<br />
auf HIV-Therapien spezialisierten Unternehmen,<br />
geführt.<br />
Internationale Studien haben ergeben,<br />
dass das HIV-Infektionsrisiko in diesen<br />
Gruppen fast 50 Mal höher ist als<br />
in der heterosexuellen Bevölkerung. 1<br />
Weltweit gesehen hat gemäss einer<br />
Weltbankstudie nur etwa jeder zehnte<br />
MSM oder Transmensch Zugang zu<br />
den rud<strong>im</strong>entärsten präventiven Mass -<br />
nahmen. 2 Auch in der medizinischen<br />
Versorgung von Menschen mit HIV<br />
gibt es Lücken, die dringend beseitigt<br />
werden müssen.<br />
Kürzlich wurde nun die neue Initiative<br />
«Positive Action MSM and Transgender<br />
Programme» gestartet, die diese<br />
Missstände bekämpfen will. Das<br />
globale Programm unterstützt in den<br />
kommenden zwei Jahren mit fast<br />
3 Millionen Franken verschiedenste<br />
Ansätze für den Support von MSM<br />
und Transgender-Organisationen weltweit.<br />
Ein Fachbeirat, bestehend aus<br />
Schlüsselpersonen der globalen MSM-,<br />
«Die gesellschaftlichen<br />
Ausgrenzungen<br />
haben auch negative<br />
Aus wirkungen auf die<br />
Gesundheit.»<br />
Trans gender und HIV-Community, beurteilt<br />
die eingereichten Projekte auf<br />
den Bedarf und die Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
mit den Zielsetzungen des Programms.<br />
Weltweit konnten dank dem «Positive<br />
Action Programm» seit 1992 Hunderte<br />
von Projekten in diversen Ländern<br />
umgesetzt werden. Die Verbesserung<br />
der Lebensumstände und ein adäquater<br />
Zugang zu gesundheitlicher<br />
Behandlung von MSM und Transmenschen<br />
sind wichtige Zielsetzungen, die<br />
nach Einschätzung der Programmverantwortlichen<br />
einen Schlüsselfaktor<br />
darstellen, um <strong>im</strong> internationalen<br />
Kampf gegen die HIV-Epidemie wesentliche<br />
Fortschritte zu machen.<br />
1 Baral SD, et al. Worldwide bureden of HIV in<br />
transgender women: a systematic review and<br />
meta-analysis. Lancet Infect Dis. 2013:13:214-22<br />
2 The World Bank Report, The Global HIV Epidemics<br />
among Men Who Have Sex with Men 2011<br />
Mehr dazu an der<br />
Zurich Pride<br />
In der Schweiz ist die Gleichstellung an<br />
vielen Orten erreicht. Aber auch hier<br />
gibt es noch diverse Themen, die PINK<br />
CROSS, der Schweizer Dachverband der<br />
Schwulen, <strong>im</strong> Auge hat. Ein gesetzlicher<br />
Diskr<strong>im</strong>inierungsschutz, die erleichterte<br />
Einbürgerung, die Adoption und der Zugang<br />
zu den Methoden der medizinisch<br />
unterstützten Fortpflanzung für eingetragene<br />
Paare, gleiche Rechte bei der<br />
Religionsausübung sowie be<strong>im</strong> Sport<br />
sind die grossen Themen auf der Gleichstellungsagenda<br />
von PINK CROSS. Weitere<br />
Informationen zum Thema sowie zu<br />
den Aktivitäten von Positive Action gibt<br />
es am Stand von PINK CROSS und ViiV<br />
Healthcare an der Zurich Pride.<br />
16 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />
<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 17
Thema | Chemsex<br />
Von Zaubertränken,<br />
Chemsex und<br />
Drugchecking<br />
Text: Martin Ender<br />
Gerade an der Pride werden verschiedene psychoaktive Substanzen konsumiert.<br />
Ihr Gebrauch geht bis in die Steinzeit zurück. Über all die Jahre haben<br />
Drogenverbote nie gefruchtet. Ein besserer Ansatz ist zu wissen, was man<br />
reinschmeisst. An der Pride erhält man am Stand des «Checkpoint» Auskunft<br />
über Drogen und kann sie auch auf ihren Inhalt hin testen lassen.<br />
Die Idee von einem Zaubertrank, der<br />
den Heissbegehrten dazu bringt, sich<br />
in einen zu verlieben, ist vermutlich<br />
so alt wie die Menschheit. Heute haben<br />
wir uns von dieser magischen Vorstellung<br />
verabschiedet und an die Stelle<br />
«Es existieren Hinweise<br />
darauf, dass die<br />
Wirkung des Fliegenpilzes<br />
in Sibirien bereits<br />
mehr als 3000 Jahre<br />
v. u. Z. bekannt war.»<br />
Für die, die's nicht lassen können. Drogentest an der Pride. Szene aus dem Film<br />
«Death becomes Her» – Goldie Hawn und Bruce Willis mit einem Zaubertrank.<br />
des Liebestrankes sind «Wundermittel»<br />
getreten, die sexuelle Lust und Potenz<br />
entfachen sollen – bei sich selbst wie<br />
be<strong>im</strong> Partner. Die Angebotspalette erstreckt<br />
sich vom enthemmenden Alkohohl<br />
bis hin zu chemischen Substanzen,<br />
die noch nie dagewesene sexuelle<br />
Höhenflüge versprechen. Die Suche<br />
nach Aphrodisiaka war und ist recht<br />
fantasievoll, die Wirkung nicht <strong>im</strong>mer<br />
fantastisch. «Kein Aphrodisiakum hat<br />
(…) dauerhaft die Hoffnungen erfüllt»,<br />
heisst es hierzu nüchtern <strong>im</strong> Schülerduden<br />
Sexualität. Kein Wunder, entwickelt<br />
sich die «Forschung» dauernd<br />
weiter und wirft neue Produkte auf<br />
den Markt.<br />
Der Gebrauch psychoaktiver Substanzen<br />
lässt sich bereits für die Jungsteinzeit<br />
nachweisen. Schon 6000<br />
Jahre vor unserer Zeitrechnung. wurde<br />
<strong>im</strong> westlichen Zentralasien Weinbau<br />
betrieben, und spätestens 3000 v.<br />
u. Z. wurde <strong>im</strong> alten Ägypten und in<br />
Mesopotamien Bier gebraut. Von den<br />
Assyrern wurde Cannabis bereits in<br />
vorchristlicher Zeit als Räucherwerk<br />
verwendet und die berauschende Wirkung<br />
wird auch in den indischen<br />
Veden erwähnt. Im 4. Jahrtausend<br />
v. u. Z. begann in Vorderasien die Kultivierung<br />
des Schlafmohns, von wo<br />
aus er sich <strong>im</strong> Mittelmeerraum sowie<br />
in Asien bis hin nach China verbreitete.<br />
Es existieren Hinweise darauf, dass<br />
die Wirkung des Fliegenpilzes in Sibirien<br />
bereits mehr als 3000 Jahre v. u.<br />
Z. bekannt war. Um 300 v. u. Z. beschrieb<br />
Theophrastos von Eresos die<br />
psychoaktiven Eigenschaften des<br />
Stechapfels; ungefähr für dieselbe Zeit<br />
Foto: Universal Pictures<br />
ist der Tabakgebrauch auf dem amerikanischen<br />
Kontinent belegt.<br />
Drogen gehören also seit jeher zu<br />
unserem Leben. Der früh entdeckte<br />
Alkohol ist <strong>im</strong>mer noch die Droge<br />
Nummer eins und verursacht gesundheitliche<br />
Schäden bis hin zum Organversagen<br />
mit Todesfolge. Aber er ist<br />
legal und gesellschaftsfähig. Immerhin<br />
ist man hier – dank Kontrollen –<br />
vor schädlichern Inhaltsstoffen ziemlich<br />
sicher. Ausnahmen gibts auch<br />
hier, wie die Be<strong>im</strong>ischung von Glykol<br />
(Frostschutzmittel) be<strong>im</strong> Wein Mitte<br />
der 1980er Jahre zeigte.<br />
Bei illegalen Drogen fehlt generell<br />
die Gewissheit, dass auch wirklich<br />
«drinsteckt, was draufsteht», oder eben<br />
versprochen wird. Drogenkonsum,<br />
insbesondere Chemsex, ist somit oft<br />
eine Gratwanderung zwischen Höhenflug<br />
und Absturz – allenfalls mit Todesfolge.<br />
Die Neugier der Konsumenten<br />
auf die Wirkung der Substanzen<br />
ist vielfach stärker ist als die Angst<br />
vor «Nebenwirkungen» oder der Abhängigkeit.<br />
Probieren geht über Studieren<br />
ist eine Devise, die be<strong>im</strong> Reinschmeissen<br />
unbekannter Substanzen<br />
fehl am Platz ist. Bei diesem Thema ist<br />
das Wissen darum, was man gerade<br />
einn<strong>im</strong>mt und wie die Wirkungsweise<br />
auf Körper und Psyche ist, einfach lebenswichtig.<br />
Entsprechende Auskünfte<br />
kann man das ganze Jahr hindurch<br />
be<strong>im</strong> DIZ (Drogeninformationszentrum)<br />
einholen und demnächst während<br />
der Pride am Stand des Checkpoint<br />
Zürich.<br />
Das Drogeninformationszentrum<br />
(DIZ) ist die erste Fachstelle in der<br />
Schweiz, die neben Drogeninformation<br />
und -beratung auch ein Drug<br />
Checking anbietet. Im DIZ wird über<br />
Wirkung und Gefahren psychoaktiver<br />
Substanzen informiert sowie über die<br />
Risiken des eigenen Konsumverhaltens<br />
aufgeklärt. Das Drug Checking<br />
ermöglicht eine genaue Aufklärung<br />
über Dosierung und Inhaltsstoffe der<br />
abgegebenen Substanzen sowie über<br />
die Auswirkungen, welche diese Inhaltsstoffe<br />
auf den Konsumenten haben<br />
könnten. Die Nutzung des DIZ ist<br />
anonym und kostenlos; eine Anmeldung<br />
ist nicht erforderlich.<br />
Die Fachleute solcher Beratungsstellen<br />
aktualisieren ihr Wissen ihrerseits<br />
anhand von Studien. Speziell<br />
zum Thema Chemsex wurde kürzlich<br />
eine Untersuchung durchgeführt. Ziel<br />
dieser Untersuchung war ein Vergleich<br />
möglichst vieler deutscher und europäischer<br />
Städte hinsichtlich des Konsums<br />
von Chemsex-Drogen bei MSM.<br />
Generell werden unter Chems Drogen<br />
verstanden, die verschiedene Formen<br />
von Sex intensiver oder durch Abbau<br />
von Barrieren überhaupt möglich<br />
werden lassen. (z. B. in dem sie eine<br />
langandauernde Erektion, eine hohe<br />
Entspannung der (Anal)muskulatur<br />
ermöglichen oder die Kommunikation<br />
erleichtern). Mit «Chems» können unterschiedliche<br />
Substanzen gemeint<br />
sein: Poppers, Ecstasy, Kokain, GHB,<br />
Ketamin oder Chrystal Meth und vieles<br />
mehr.<br />
«Die Nutzung des<br />
Drogeninformationszentrums<br />
ist anonym<br />
und kostenlos; eine<br />
Anmeldung ist nicht<br />
erforderlich.»<br />
Ausgehend von den Gruppeninterviews<br />
definierte die Forschergruppe<br />
Chemsex als Sex zwischen Männern<br />
unter dem Einfluss von Substanzen,<br />
die unmittelbar vor oder während der<br />
Sex-Session konsumiert werden. Hierbei<br />
handelte es sich insbesondere um<br />
Mephedron, GHB/GBL, und Crystal<br />
Meth. Aber auch Ketamin und Kokain<br />
wurden in solchen Kontexten häufig<br />
konsumiert.<br />
Einige der Ergebnisse sind durchaus<br />
auch interessant für unsere Leser. So<br />
war der Konsum der genannten Substanzen<br />
besonders ausgeprägt in Manchester<br />
und London, gefolgt von<br />
Amsterdam, Barcelona und Zürich. Es<br />
folgen Dublin, Madrid und Valencia,<br />
dann Paris und Berlin.<br />
Der Anstieg der Kurven für den<br />
Konsum mindestens einer der vier zusammengefassten<br />
Substanzen ist in<br />
allen betrachteten Städten nahezu linear,<br />
was für einen hohen Anteil an<br />
Personen mit eher sporadischem Gebrauch<br />
spricht. Die vergleichsweise<br />
niedrigen Prozentwerte für MSM, die<br />
Chemsex-Drogen in den letzten sieben<br />
Tagen konsumiert haben, sprechen<br />
wiederum für einen eher kleinen Anteil<br />
an Personen mit regelmässigem<br />
Gebrauch. Zum Vergleich: Chemsexdrogen<br />
werden nicht so häufig konsumiert,<br />
wie z. B. Tabak. Weiter zeigt<br />
sich, dass MSM mit bekannter HIV-<br />
Diagnose und MSM mit vielen Sexualpartnern<br />
zwar häufiger Chemsex-<br />
Drogen konsumieren, aber dass die<br />
Unterschiede zwischen den Städten<br />
bzw. zwischen den Länderkontrollgruppen<br />
unabhängig von Partnerzahl<br />
und HIV-Diagnose sind.<br />
Der Besuch von Darkrooms, schwulen<br />
Sex-Clubs oder öffentlichen<br />
schwulen Sex-Partys war in den der<br />
Befragung vorangehenden vier Wochen<br />
besonders ausgeprägt in Amsterdam<br />
(28%), Berlin und Zürich (25%).<br />
Etwa jeder zweite schwule Mann in<br />
Amsterdam, Manchester und London,<br />
der an einer privaten Sexparty teilgenommen<br />
hat, berichtet über den Konsum<br />
von Chemsex-Drogen; ebenso jeder<br />
dritte schwule Mann in Barcelona<br />
und Zürich. Die Ergebnisse legen nahe,<br />
dass in den lokalen schwulen Szenen<br />
europäischer Metropolen durchaus unter<br />
schiedliche Kulturen <strong>im</strong> Gebrauch<br />
von Chemsex-Drogen vorherrschen.<br />
Checkpoint an der Pride<br />
Samstag, 13. <strong>Juni</strong>, 13–17 Uhr,<br />
Konradstrasse 1, 8005 Zürich.<br />
Das Drogeninformationszentrum DIZ<br />
öffnet speziell für die Zurich-Pride-<br />
Besucher, die sich auf die Partywoche<br />
vorbereiten und wissen wollen, was sie<br />
einnehmen. Drogen mitbringen und<br />
testen lassen.<br />
Freitag, 19. <strong>Juni</strong> ab 16 Uhr, Checkpoint-Zelt,<br />
Kasernenareal. Beratung,<br />
HIV-/Syphilis-Tests und Atraktionen.<br />
Samstag, 20. <strong>Juni</strong>, 13 Uhr,<br />
Helvetiaplatz. Checkpoint-Wagen am<br />
Zurich Pride Umzug: Alle für die<br />
schwule Gesundheit! Von Coming-out<br />
bis Alterspflege.<br />
Samstag, 20. <strong>Juni</strong>, 13–23 Uhr Checkpoint-Zelt,<br />
Kasernenareal. Beratung,<br />
HIV-/Syphilis-Tests, Drugchecking und<br />
Attraktionen. Mobiles Drugchecking<br />
by saferparty.ch – Drogen, mitbringen<br />
und testen lassen.<br />
18 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />
<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 19
News | National<br />
Nationale News<br />
Text: Daniel Diriwächter<br />
«Er bedauert auch die Unannehmlichkeiten, die er dem Bischof von Chur<br />
bereitet hat und in dessen Auftrag er in Bürglen tätig ist.»<br />
{ }<br />
Der Churer Generalvikar Martin Grichting über die Versöhnung mit Pfarrer Bucheli<br />
Das offizielle Logo der Pride Valais <strong>2015</strong><br />
Die malerische Berner-Landschaft diente<br />
jüngst als Kulisse für eine Filmproduktion<br />
aus Hongkong. Obwohl mitfinanziert<br />
von der Zürcher Firma The Badger<br />
Society, stammt das Drehbuch aus der<br />
Feder des verstorbenen Chinesen Julian<br />
Lee, als Regisseur wurde dessen Freund<br />
Kit Hung verpflichtet. Der Film mit dem<br />
Titel «Stoma» basiert auf einer wahren<br />
Geschichte: Ein schwuler Krebskranker<br />
aus Hongkong lässt sich in der Schweiz<br />
operieren, da er eine Beziehung mit<br />
einem Schweizer pflegt. Kraft tankt er<br />
aber in der Ruhe des Emmentals.<br />
Zürich<br />
Gleichstellung<br />
ohne Grenzen<br />
Die Pride <strong>2015</strong> will den Zürcher<br />
Schwung nutzen und setzt auf<br />
ein spannendes Programm.<br />
«Jetzt erst recht!» lautete das Motto<br />
der Pride 2014. Mit diesem Motto wies<br />
die Zurich Pride darauf hin, dass in Sachen<br />
Gleichstellung noch viel zu tun ist.<br />
Mit dem diesjährigen Motto «Gleichstellung<br />
ohne Grenzen» wird der Faden<br />
weitergesponnen. Als nationales Vorbild<br />
in Bezug auf LGBT-Rechte dient den<br />
Organisatoren die he<strong>im</strong>ische L<strong>im</strong>matstadt,<br />
die laut deren Ansicht die internationale<br />
Hauptstadt in diesem Bereich<br />
wurde. Das mag laut jüngsten Erkenntnissen<br />
ein wenig Wunschdenken sein,<br />
Schönmalerei ist es keineswegs.<br />
Das offizielle Pride-Logo <strong>2015</strong><br />
Schliesslich kann Zürich viele Meilensteine<br />
vorweisen: So war der Kanton<br />
selbst einer der ersten mit dem Partnerschaftsgesetz,<br />
mit einer Fachstelle für<br />
Gleichstellung, einer lesbischen Stadtpräsidentin<br />
sowie der Kampagne für homosexuelle<br />
Pfegeeltern. Nicht zuletzt<br />
hat der Film «Der Kreis» die Entwicklung<br />
der Zwinglistadt eindrücklich dargelegt.<br />
Die Zurich Pride erinnert aber<br />
auch daran, dass es neben den hiesigen<br />
Erfolgen noch <strong>im</strong>mer über 80 Länder<br />
gibt, in denen Homosexualität verboten<br />
ist. Weswegen positive LGBT-Entwicklungen<br />
auch global gemessen werden<br />
müssen. Das Pride-Programm bietet<br />
diverse Events, welche sich für das diesjährige<br />
Motto starkmachen. Sei es die<br />
Podiumsdiskussion <strong>im</strong> Volkshaus zum<br />
Thema «Equality without Borders»<br />
(15. <strong>Juni</strong>) oder die offizielle Pride Party<br />
«Wonderword Antarctica» <strong>im</strong> Club Xtra<br />
(20. <strong>Juni</strong>). Nicht zu vergessen das Herzstück<br />
der Pride: Der Umzug am 20. <strong>Juni</strong><br />
sowie das Festival auf dem Kasernenareal<br />
und dem Zeughausplatz.<br />
Zurich Pride <strong>2015</strong><br />
Woche 14. - 21. <strong>Juni</strong><br />
Festival 19. und 20. <strong>Juni</strong><br />
Demonstration 20. <strong>Juni</strong><br />
Alle Daten unter www.zhpf.ch<br />
Stigmatisierung<br />
und Selbst-<br />
Stigmatisierung<br />
Gleichstellung ohne Grenzen –<br />
auch unter Schwulen?<br />
Die Reihe «Checkpoint <strong>im</strong> Gespräch»<br />
widmet sich <strong>im</strong> <strong>Juni</strong> dem Pride-Thema<br />
«Gleichstellung ohne Grenzen» – allerdings<br />
innerhalb der Szene. Die Stigmatisierung<br />
in den eigenen Reihen wird am<br />
Beispiel HIV beschrieben: In der Zürcher<br />
Schwulenszene ist schätzungsweise jeder<br />
sechste Mann HIV-positiv, doch nur<br />
knapp die Hälfte der Männer, die bei<br />
Testaktionen <strong>im</strong> Jahr 2014 einen Fragebogen<br />
beantworteten, gaben an, in ihrem<br />
Bekanntenkreis keinen einzigen Mann<br />
mit HIV zu kennen. Das weist darauf<br />
hin, dass HIV ein Tabu ist, das wohl mit<br />
Stigmatisierung, der Angst vor einer<br />
eventuellen Stigmatisierung und sicher<br />
mit Selbst-Stigmatisierung zu tun hat.<br />
Am 18. <strong>Juni</strong> informiert und diskutiert<br />
Heinz Marty, Fachpsychologe SBAP in<br />
klinischer Psychologie, Psychotherapie<br />
und Notfallpsychologie, über Gründe<br />
und individuelle Möglichkeiten <strong>im</strong> Umgang<br />
mit Stigmatisierung. Wie <strong>im</strong>mer<br />
ab 18 Uhr <strong>im</strong> Zürcher Restaurant Bubbles.<br />
Schwule Finanzen<br />
Finanzfragen von homosexuellen<br />
Paaren und Singles gewinnen<br />
an Bedeutung.<br />
Für homosexuelle Paare und Singles<br />
stellen sich bisweilen andere Finanzfragen<br />
als für die heterosexuelle Bevölkerung.<br />
Der Zivilstand der eingetragenen<br />
Partnerschaft hat grossen Einfluss auf<br />
die Finanzen der homosexuellen Partner.<br />
Zudem leben viele Lesben und<br />
Schwule <strong>im</strong> Konkubinat, was spezielle<br />
Regelungen erforderlich macht. Das<br />
Vermögens-Zentrum, kurz VZ, n<strong>im</strong>mt<br />
sich dieser Fragen an und führt am 11.<br />
und 16. <strong>Juni</strong> Informationsveranstaltungen<br />
mit dem Thema «Finanzfragen von<br />
homosexuellen Paaren und Singles»<br />
durch. Die Veranstaltungen finden in<br />
der «Wirtschaft Neumarkt» in Zürich<br />
statt.<br />
Alle Informationen unter<br />
www.vermoegenszentrum.ch<br />
Fotos: zvg<br />
Sitten<br />
Das Wallis feiert<br />
den Pride-Monat<br />
Zum zweiten Mal wird in Sitten<br />
für die Gleichberechtigung demonstriert.<br />
Bereits am 13. <strong>Juni</strong> wird <strong>im</strong> Hauptort des<br />
Kanton Wallis das Westschweizer Pendant<br />
zur Pride stattfinden: Die Pride<br />
Valais setzt ganz auf das Motto «Ich<br />
muss dir etwas sagen. Ich liebe… das<br />
Wallis» – passend zum kantonalen 200.<br />
Jubiläumsjahr. Dass eine dortige Demonstration<br />
für LGBT-Rechte <strong>im</strong>mer noch<br />
zwingend ist, zeigen die Anfeindungen <strong>im</strong><br />
Vorfeld. Erzkatholiken und Ewig-Gestrige<br />
durften wie 2001, als die erste Demo<br />
stattfand, medienwirksam ihre konservativen<br />
Sorgen verkünden. Davon liessen<br />
sich die mutigen Organisatoren nicht<br />
beirren und setzen auf ein vielfältiges<br />
Programm. Erwartet werden rund 4000<br />
Teilnehmer aus der ganzen Schweiz.<br />
Alle Informationen unter<br />
www.pride<strong>2015</strong>.ch<br />
Basel<br />
Ein Schiff wird<br />
kommen<br />
Am 6. <strong>Juni</strong> liegt das Gay-Basel<br />
Schiff <strong>im</strong> Rheinhafen vor Anker.<br />
Die beliebte Basler-Party beginnt um 19<br />
Uhr mit einem Apéro an der mobilen<br />
Zischbar auf dem Freideck, u.a. mit Aktivitäten<br />
der Aids-Hilfe beider Basel<br />
und mit musikalischer Unterhaltung von<br />
DJ Mary. Wer danach gerne ein marit<strong>im</strong>es<br />
Dinner geniessen möchte, kann dies<br />
<strong>im</strong> Bordrestaurant Treibgut tun. Um 22<br />
Uhr öffnen sich die Türen zu den zwei<br />
Dance-Floors auf dem Mitteldeck sowie<br />
dem Clubdeck. Mit dem Erlös aus der<br />
Veranstaltung wird die Präsenz der lesbischschwulen<br />
Kultur in Basel und der<br />
Region durch digitale Vernetzung und<br />
Inserate gefördert und kommt dem<br />
HIV / Aids-Präventions-Fonds der Aidshilfe<br />
beider Basel zu Gute.<br />
Alle Informationen unter www.gaybasel.ch<br />
Flyermotiv für das Gayschiff <strong>2015</strong><br />
Bern<br />
Schwulendrama <strong>im</strong><br />
Emmental<br />
Der chinesische Regisseur<br />
Kit Hung drehte einen Film <strong>im</strong><br />
Berner Mittelland.<br />
Schweiz<br />
Schweiz auf Platz 31<br />
Helvetia fällt <strong>im</strong> internationalen<br />
Ranking der LGBT-Rechte zurück.<br />
Wie «Pink Cross» mitteilte, erfüllt die<br />
Schweiz nur gerade 28 Prozent der Kriterien<br />
zur vollständigen Gleichstellung.<br />
Damit fällt sie <strong>im</strong> internationalen<br />
Ranking der ILGA Europe von Platz 26<br />
auf Platz 31. Die Schwachpunkte der<br />
Schweiz liegen am Fehlen eines allgemeinen<br />
Anti-Diskr<strong>im</strong>inierungsgesetzes.<br />
Darüber hinaus gibt es grosse Rechtslücken<br />
<strong>im</strong> Bereich Familien (z. B. Adoption),<br />
Hate Cr<strong>im</strong>e/Hate Speech-Gesetzgebung,<br />
Asylrecht und Intersexualität.<br />
Und besonders wenig Punkte kann die<br />
Schweiz be<strong>im</strong> Thema Geschlechtsidentität<br />
machen.<br />
Schwules Blut<br />
unerwünscht<br />
Swissmedic will am Blutspendeverbot<br />
für Schwule festhalten.<br />
Im Mai sprachen sich «Pink Cross», die<br />
BDP und der Blutspendedienst SRK<br />
Schweiz deutlich gegen das Blutspendeverbot<br />
für homosexuelle Männer aus.<br />
Die BDP reichte sogar einen Vorstoss <strong>im</strong><br />
Parlament ein. Swissmedic, das Schweizerische<br />
Heilmittelinstitut, will allerdings<br />
weiterhin am Verbot festhalten.<br />
Begründet wird dies damit, dass die<br />
HIV-Rate bei schwulen Männern <strong>im</strong> Vergleich<br />
zu heterosexuellen Menschen signifikant<br />
höher sei. Dem widerspricht<br />
Bastian Baumann, Geschäftsleiter von<br />
«Pink Cross», in der Presse: «Das Beispiel<br />
anderer Länder zeigt, dass die antiquierte<br />
Haltung von Swissmedic längst überholt<br />
ist.»<br />
20 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />
<strong>Cruiser</strong> Mai | <strong>2015</strong> 21
News | International<br />
Internationale News<br />
Text: Daniel Diriwächter<br />
«Es klingt vielleicht seltsam, aber schwule Männer verstehen<br />
es häufig besser, auch die weiblichen Anteile für sich zu akzeptieren<br />
und in ihre Gesamtpersönlichkeit zu integrieren.»<br />
{ }<br />
Journalist David Berger in der Huffington Post (7 Dinge, die ein schwuler Chef besser macht)<br />
Das österreichisches Magazin Vangardist wurde mit HIV-positivem Blut gedruckt.<br />
A propos «Blaue Seiten»: Das Internetportal<br />
PlanetRomeo, einst des Schwulen<br />
liebste Datingseite, veröffentlichte <strong>im</strong><br />
Mai die Resultate einer hauseigenen<br />
Umfrage mit dem Titel «Gay Happiness<br />
Index (GHI)», die auch in Zusammenarbeit<br />
mit der Universität Mainz durchgeführt<br />
wurde. 115 000 Männer aus 127<br />
Ländern machen darin Angaben über<br />
ihre Lebenssituation. Die Verantwortlichen<br />
der Studie berechneten die Umfrageergebnisse<br />
auf die gesamte Weltbevölkerung<br />
und präsentierten ein<br />
schockierende Ergebnis. Dieses besagt,<br />
dass demnach vier Millionen homosexuelle<br />
Männer 2014 Opfer von ernsthafter<br />
physischer Gewalt wurden; dass 13 Millionen<br />
von ihren Familien ausgeschlossen<br />
wurden; dass 41 Millionen ihr He<strong>im</strong>atland<br />
verlassen wollten und dass 66<br />
Millionen gegenüber ihren Eltern nicht<br />
geoutet sind.<br />
Gery Keszler bei seiner bewegenden<br />
Rede.<br />
Wien<br />
Geständnis am<br />
Life Ball<br />
Der 23. Life Ball war nicht nur<br />
ein riesiger Event, sondern auch<br />
ein Abend der Ehrlichkeit.<br />
Bereits zum 23. Mal ging Mitte Mai der<br />
Life Ball in Wien über die Bühne. Einst<br />
als kleiner HIV/Aids-Charity-Event geboren,<br />
entwickelte sich der Anlass zum<br />
globalen Mega-Ereignis, das be<strong>im</strong><br />
durchschnittlichen Zuschauer oft die<br />
Prävention vergessen lässt. Auch heuer<br />
setzte man sowohl auf viel nackte<br />
Haut,als auch auf eine Armada an<br />
(Welt-)Stars, die wahlweise sich oder<br />
den guten Zweck ins rechte Licht rückten.<br />
Als offizielles «Poster-Girl» amtete<br />
Conchita Wurst in der Rolle der Adele<br />
Bloch Bauer, stilgerecht als Kl<strong>im</strong>t-Kopie.<br />
Homosexuelle Ampelmännchen vermochten<br />
weiter konservative Kräfte zu<br />
schockieren. Was nach dem Ball besonders<br />
in Erinnerung bleibt, ist die bewegende<br />
Rede von Organisator Gery Keszler.<br />
Er gestand dem Publikum, dass er seit<br />
20 Jahren das HI-Virus in sich trägt.<br />
Warum er gerade an diesem Abend seine<br />
Erkrankung öffentlich gemacht hat,<br />
lag laut seinen Worten am unerwarteten<br />
Tod eines Freundes, der jahrelang<br />
für den Life Ball gearbeitet hat. Gery<br />
Keszler widmete ihm den Event.<br />
Blut statt<br />
Druckerfarbe<br />
Das österreichische Gay-Magazin<br />
Vangardist wollte ein Zeichen<br />
setzen.<br />
Das Magazin Vangardist wird üblicherweise<br />
nur online veröffentlicht. Im Monat<br />
des Life Balls wollte die Redaktion<br />
aber ein Zeichen setzen und den Kampf<br />
gegen HIV fortführen. Zu diesem Zweck<br />
wurde die aktuelle Ausgabe in einer l<strong>im</strong>itierten<br />
Auflage von 3000 Stück gedruckt.<br />
Speziell ist, dass die Druckfarbe<br />
mit dem Blut von HIV-infizierten Personen<br />
versetzt wurde. Vangardist konnte<br />
auf drei Spender zählen - eine Frau und<br />
Mutter, einen homosexuellen und einen<br />
heterosexuellen Mann. Dass die Aktion<br />
gar nicht so Fehl am Platz war, machten<br />
ängstliche St<strong>im</strong>men in Online-Foren<br />
deutlich. Es musste tatsächlich betont<br />
werden, dass bei der Lektüre kein<br />
HIV-Risiko bestehe.<br />
Iran<br />
Schwule Frisuren<br />
verboten<br />
Best<strong>im</strong>mte Haarschnitte sind<br />
<strong>im</strong> Iran ab sofort verboten.<br />
Mohammend Govahi, der iranische Chef<br />
des Herrencoiffeurverbandes, entschied<br />
<strong>im</strong> Mai per neuem Regelwerk, dass best<strong>im</strong>mte<br />
Frisuren nicht mehr zulässig seien,<br />
ja sogar Satans Werk darstellen würden.<br />
Darin soll auch stehen, dass<br />
best<strong>im</strong>mte Schnitte, wie Homosexuelle<br />
sie tragen, verpönt sind. Eine genaue Definition<br />
dessen blieb er seinen Landsleuten<br />
jedoch schuldig, wie das iranische<br />
Nachrichtenmagazin ISNA berichtete.<br />
Weiter seien Tattoos, der Besuch von Solarien<br />
und das Zupfen der Augenbrauen<br />
ebenfalls nicht mehr erlaubt.<br />
Schweden<br />
«Hier lang, wenn<br />
ihr schwul seid»<br />
Sollten russische U-Boote<br />
in schwedischen Gewässern<br />
tauchen, werden sie warm<br />
empfangen.<br />
FotoS: Live Ball (1), Vangardist (1), ZVG (1)<br />
Die Schwedische Gesellschaft für Frieden<br />
und Schlichtung (SFSF) hat ein besonderes<br />
«Unterwasserverteidigungssystem»<br />
gegen russische U-Boote installiert,<br />
dies, weil in jüngster Zeit<br />
russisch-nautisches Treiben in schwedischen<br />
Gewässern gesichtet wurde.<br />
Also liess SFSF einen «Singenden Matrosen»,<br />
sprich einen Kasten vor dem<br />
Stockholmer Schärengarten ins Wasser,<br />
der per Morse-Code ständig die<br />
Nachricht «Hier lang, wenn ihr schwul<br />
seid» sendet. Auch eine Anspielung auf<br />
das russische Gesetz, das «Homo-<br />
Propaganda» verbietet.Auf dem besagten<br />
Kasten selbst ist in Neonfarben ein<br />
Matrose abgebildet mit der Aufschrift<br />
«Willkommen in Schweden – Gay seit<br />
1944». In diesem Jahr wurden in Schweden<br />
homosexuelle Handlungen legalisiert.<br />
Premierminister Xavier Bettel ist unter<br />
der Haube.<br />
Luxemburg<br />
Hochzeit für schwulen<br />
Premierminister<br />
Xavier Bettel gab seinem Partner<br />
Gauthier Destenay das Ja-Wort.<br />
Im Mai ging der erste Premierminister<br />
der Welt den Bund der Ehe mit einem<br />
Mann ein: Xavier Bettel, seit 2013 Chef<br />
der Liberalen in Luxemburg, gab seinem<br />
Freund nach fünfjähriger eingetragener<br />
Partnerschaft in einer privaten Zeremonie<br />
das Ja-Wort. Im Anschluss feiert das<br />
Paar mit rund 500 Gästen. Gleichgeschlechtliche<br />
Ehen können in Luxemburg<br />
seit Januar <strong>2015</strong> geschlossen werden.<br />
Weltweit<br />
Homophobe Gewalt<br />
in Zahlen<br />
Eine Studie unter 115 000<br />
schwulen Männern präsentiert<br />
Schockierendes.<br />
USA<br />
Kein Safer Sex:<br />
60 Jahre Haft<br />
Ein 23-jähriger HIV-positiver<br />
Student wurde bis ins Rentenalter<br />
weggesperrt.<br />
Weil er einen Mann wissentlich mit HIV<br />
infiziert haben soll, wurde <strong>im</strong> US-Bundesstaat<br />
Missouri ist ein 23-jähriger<br />
Student zu 60 Jahren Haft verurteilt.<br />
Der Verurteilte beteuerte, dass er seinen<br />
Sexpartner informiert habe, selbst aber<br />
nicht viel über HIV wusste. Die Geschworenen<br />
Jury der Stadt St. Charles<br />
wollten dies nicht glauben und sorgten<br />
nun für ein Urteil, dass Aids-Aktivisten<br />
weltweit empört.<br />
Freiburg<br />
Schwuler Koch<br />
sorgte für<br />
Hungerstreik<br />
70 Häftlinge verweigerten<br />
die Nahrungsaufnahme –<br />
Grund: Homophobie.<br />
Medienberichten zufolge traten <strong>im</strong> Mai<br />
rund 70 Insassen der Justizvollzugsanstalt<br />
Freiburg in den Hungerstreik, weil<br />
in der Gefängnisküche ein angeblich<br />
schwuler Koch am Werk war. Bei den<br />
Häftlingen soll es sich um Russlanddeutsche<br />
handeln. Andere Medien<br />
schrieben hingegen von mangelnder<br />
Hygiene in der Küche als Grund für den<br />
Streik.<br />
22 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 23
Serie | Homosexualität in Geschichte<br />
und Literatur<br />
Davids unerschrockener<br />
Freund<br />
Michelangelos David –<br />
die Originalstatue.<br />
Text: Alain Sorel<br />
Ein Männerkörper präsentiert sich ganz unverhüllt. Michelangelos «David»,<br />
die Statue in Florenz, ist seit Jahrhunderten zum Steinwurf gegen Goliath<br />
bereit. Der gelang dem David aus Fleisch und Blut einst blitzschnell. Legendär<br />
ist auch seine Freundschaft zu Jonathan.<br />
Da steht er, nackt, wie Gott oder – in<br />
dem Fall – eher, wie der Künstler ihn<br />
erschuf. Der Kopf mit dem gekrausten<br />
Haar ist nach links geneigt, die linke<br />
Hand umschliesst einen Gegenstand,<br />
der über die Schulter gelegt ist. Der<br />
rechte Arm hängt nach unten, lässig,<br />
dürfte man meinen, doch der Eindruck<br />
täuscht: Die Finger sind nicht ausgestreckt,<br />
sondern halten etwas fest,<br />
verstecken etwas. Ausgeprägt ist die<br />
Halsmuskulatur des jungen Mannes<br />
über seinem kräftig gebauten Brustkasten.<br />
Der Bursche ist topfit.<br />
«David gegen Goliath»<br />
widerspricht dem<br />
fürchterlichen «Recht<br />
des Stärkeren».<br />
Wir reden von der berühmten Kolossalstatue<br />
in Florenz, die den David<br />
darstellt, den David aus dem Alten<br />
Testament, den David, der mit der<br />
Steinschleuder wie nebenbei den Riesen<br />
Goliath besiegte. Die Geschichte<br />
von David ist der Beweis dafür, dass<br />
nicht schiere Stärke und physische<br />
Masse jemanden von vorneherein unüberwindbar<br />
machen und einen anderen<br />
zwangsläufig auf verlorenem Posten<br />
stehen lassen, sondern dass<br />
Wendigkeit, Gewandtheit und Wachsamkeit<br />
ihre Chancen haben können.<br />
Der Kampf «David gegen Goliath» ist<br />
zu einem geflügelten Wort geworden.<br />
Es widerspricht dem fürchterlichen<br />
«Recht des Stärkeren», das leider schon<br />
allzu oft unermessliches Leid über<br />
Länder und Völker gebracht hat.<br />
David ist die <strong>im</strong>merwährende Hoffnung<br />
jener, die <strong>im</strong> Falle von Gefahr<br />
über sich hinauswachsen und Kräfte<br />
freisetzen, die sie sich selber nicht zugetraut<br />
hätten.<br />
Heisses Herz<br />
Geschaffen wurde der David von<br />
Michelangelo Buonarroti (1475 bis<br />
1564), einem Genie – Bildhauer, Maler,<br />
Architekt und Dichter in einem. In den<br />
drei Jahren, in denen der Meister dieses<br />
Wunderwerk aus dem Carrara-<br />
Marmor schlug, war der Stein unter<br />
seiner Hand zum Leben erwacht. Überliefert<br />
ist vom ihm der Satz: «Nur die<br />
Hand, die ganz dem Geist gehorcht,<br />
erreicht das Bild <strong>im</strong> Steine.»<br />
Den Geist hatte Michelangelo, aber<br />
es brauchte auch ein heisses Herz –<br />
emotionale Glut, um solch eine Figur<br />
wie den David aus dem Stein zu<br />
meisseln, einen Menschen aus einem<br />
Material zu formen. Angefacht wurde<br />
diese Glut von Michelangelos Liebe<br />
zum männlichen Körper. Er faszinierte<br />
ihn, er wollte ihn spüren. Hautnah.<br />
Die Ansicht hat sich durchgesetzt,<br />
dass Michelangelo schwul war. Von<br />
einem in Gedichten verherrlichten Geliebten,<br />
Tommaso dei Cavalieri, ist die<br />
Rede. Die muskulösen, gut konditionierten<br />
Männer auf Michelangelos<br />
Fresken in der Sixtinischen Kapelle in<br />
Rom sollen eine auffallende Ähnlichkeit<br />
mit Strichern haben, die zu Lebzeiten<br />
des Künstlers an einschlägigen<br />
Orten Roms verkehrten … Wie dem<br />
auch sei: Persönlichkeit und Leistung<br />
Michelangelos sind nicht <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
mit seinen geschlechtlichen<br />
Vorlieben zu beurteilen.<br />
Das Original des David steht nicht<br />
mehr an seinem ursprünglichen<br />
Standort auf der Piazza della Signoria<br />
be<strong>im</strong> Palazzo Vecchio in Florenz, weil<br />
der Zahn der Zeit gefährlich am Monument<br />
nagte. Es hat eine geschützte<br />
Stätte in der Accademia gefunden.<br />
Dort, wo es sich vorher befand, wurde<br />
eine Kopie hingestellt, die ihrerseits<br />
ein Publikumsmagnet geworden ist.<br />
Michelangelos Eigenschöpfung ist<br />
über fünf Meter gross und etwa sechs<br />
Tonnen schwer. David wurde wie einst<br />
Goliath ein Riese, die angereisten Florenz-Touristen<br />
sind Zwerge gegen ihn.<br />
So verschieben sich Perspektiven.<br />
«Die Touristen sind<br />
Zwerge gegen den<br />
David.»<br />
Foto: Julie Workman<br />
Bei Michelangelos David ruht die<br />
Schleuder über der Schulter, der Stein<br />
in der rechten Hand ist wurfbereit. Er<br />
wird Goliath von den Füssen hauen.<br />
Im Unterschied zu vielen Darstellungen<br />
dieser biblischen Szene, auf denen<br />
der unerschrockene Bursche mit dem<br />
abgeschlagenen Kopf des Riesen zu sehen<br />
ist, steht dieser David in Florenz<br />
noch vor seiner Bewährungsprobe. Die<br />
Spannung, die dadurch in Davids Körper<br />
liegt, teilt sich dem Betrachter mit,<br />
was nur möglich ist dank der Nacktheit<br />
des jungen Kriegers. Davids Augen<br />
suchen den Gegner. Seine Gestik<br />
sendet eine einzige Botschaft aus: «Ich<br />
bin bereit.» Er darf seinem Körper und<br />
der Kraft, die darin liegt, vertrauen.<br />
Im Triumph<br />
Zeitenwechsel, Szenenwechsel. Zwei<br />
Heere stehen sich kampfbereit gegenüber:<br />
Israeliten gegen Philister. In jenem<br />
11. Jahrhundert vor Christus bedrängen<br />
die Philister <strong>im</strong>mer wieder die<br />
Israeliten und sind für diese eine recht<br />
bedeutende Gefahr. Die Sache steht auf<br />
der Kippe, zum Nachteil der Israeliten.<br />
Einer aus dem Heer der Philister mit<br />
Namen Goliath, über drei Meter lang,<br />
fordert den Stärksten der Israeliten<br />
zum Zweikampf heraus, doch keiner<br />
ist dazu bereit. Schliesslich ist es ein<br />
unbekannter Gefolgsmann von Israels<br />
König Saul, David, der sich Goliath gegenüberstellt.<br />
Der Stein von Davids<br />
Schleuder, seiner einzigen Waffe,<br />
dringt in Goliaths Stirn ein, das Un-<br />
getüm stürzt zu Boden und David<br />
schlägt ihm den Kopf ab. Im Triumph<br />
kehrt er zu Saul zurück.<br />
Gut möglich, dass einer die Vorgänge<br />
beobachtete und ein Auge auf den<br />
Sieger warf: Jonathan, der älteste<br />
Sohn Sauls, der Kronprinz. David wird<br />
in der Bibel (1. Buch Samuel, Kapitel<br />
16) als «bräunlich, mit schönen Augen<br />
und guter Gestalt» beschrieben. Es gab<br />
gute Gründe, von David angetan zu<br />
sein, einerseits seines Mutes wegen,<br />
den er gegen Goliath bewiesen hatte,<br />
anderseits auch der Musik wegen. David<br />
konnte Harfe spielen wie kein<br />
zweiter. Deswegen war er auch an<br />
Sauls Hof berufen worden, um den König<br />
aufzuheitern, dessen Gemütszustand<br />
sich <strong>im</strong>mer wieder verdüsterte.<br />
Hatte Saul eine Krise, so nahm David<br />
«die Harfe und spielte mit seiner Hand;<br />
so erquickte sich Saul und es ward<br />
besser mit ihm, und der böse Geist<br />
wich von ihm». Das war eine frühe<br />
Form von Musiktherapie, wie sie auch<br />
in unserer Zeit angewendet wird.<br />
Kleidertausch<br />
David war gemäss Altem Testament<br />
physisch attraktiv und hatte auch seelischen<br />
Tiefgang. Und so begann eine<br />
Freundschaft, die <strong>im</strong> Alten Testament<br />
ihresgleichen sucht. Die Freundschaft<br />
zwischen dem Königssohn Jonathan<br />
und dem Mann aus dem Volk, David.<br />
Die Bibel beschreibt sie wortmächtig<br />
und direkt, auch wenn die Sprache<br />
heute ungewohnt anmutet. Es «verband<br />
sich das Herz Jonathans mit dem<br />
Herzen Davids, und Jonathan gewann<br />
24 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 25
Serie | Homosexualität in Geschichte<br />
und Literatur<br />
ihn lieb wie sein eigen Herz. (…) Und<br />
Jonathan zog aus seinen Rock, den er<br />
anhatte, und gab ihn David, dazu seinen<br />
Mantel, sein Schwert, seinen Bogen<br />
und seinen Gürtel.» Ein Vertrauensbeweis<br />
ohnegleichen. Jonathan<br />
entsagte für seinen Freund dem königlichen<br />
Glanz. Freundschaft war ihm<br />
wichtiger als die äusseren Attribute<br />
seines Ranges. Ein frühes Indiz für<br />
eine innere Grösse, die er, wie der Lauf<br />
der Geschehnisse klarmachte, auch<br />
tatsächlich besass. Jonathan ahnte die<br />
höhere Berufung Davids, war bereit,<br />
einfach Wegbereiter zu sein und ins<br />
zweite Glied zu treten, obwohl er selbst<br />
ein formidabler Krieger und Kämpfer<br />
war und das Zeug zum Herrscher ohne<br />
weiteres gehabt hätte.<br />
Seine Worte zu David waren prophetisch:<br />
«Du wirst König werden über<br />
Israel, so will ich der Nächste um dich<br />
sein. (…)» Ein früher Hinweis von Seiten<br />
des Königssohnes, dass in seinem<br />
Herzen Eifersucht keinen Platz bekommen<br />
würde. Im Klartext signalisierte<br />
er David: «Ich möchte einfach<br />
bei dir bleiben, lass mich in deiner<br />
Nähe sein.» Gegen Einflüsterungen<br />
seines Vaters Saul, er, Jonathan, werde<br />
von David um Amt, Würden, Reich<br />
und Leben gebracht, war der Königssohn<br />
<strong>im</strong>mun.<br />
«Jonathan entsagte<br />
für seinen Freund dem<br />
königlichen Glanz.»<br />
Jonathan hatte keine leichte Position,<br />
aber er zögerte keine Sekunde und<br />
stellte sich auf die Seite des Freundes,<br />
ohne den Vater zu verlassen, dessen<br />
Verhältnis zu David sehr zwiespältig<br />
wurde. Die Schwermut machte Saul<br />
unberechenbar. Der erste König Israels<br />
litt darunter, dass er laut Altem Testament<br />
von Gott verworfen worden war.<br />
Er argwöhnte zudem bald, David werde<br />
ein Herausforderer, ein Rivale <strong>im</strong><br />
Kampf um die Macht.<br />
Einsatz für den Freund<br />
Saul empfand eine Hassliebe für David.<br />
Mal wollte er ihn bei sich haben,<br />
dann wieder stiess er ihn weg und verfolgte<br />
ihn. Er gab ihm seine Tochter<br />
Michal zur Frau und trachtete ihm<br />
gleichzeitig nach dem Leben. David<br />
musste Hals über Kopf fliehen. Michal<br />
rettete David einmal vor den Häschern<br />
«Ohne einander hielten<br />
es die zwei Freunde auf<br />
die Dauer nicht aus.»<br />
Sauls – aber vorab war es Jonathan,<br />
der seinen Freund über die Lage am<br />
Hof aufklärte und ihm, halb krank vor<br />
Sorge um den Flüchtling, verschlüsselte<br />
Warnungen zukommen liess. Er<br />
sprach mit dem Vater, erinnerte ihn an<br />
Davids segensreiches Wirken mit der<br />
Harfe, er riskierte sogar sein Leben für<br />
ihn, indem der jähzornige Saul seinen<br />
Speer nach dem eigenen Sohn warf,<br />
als dieser David verteidigte.<br />
David wurde nach und nach ein Militärführer<br />
aus eigener Anstrengung<br />
und schlug Schlachten. Ganz wandte<br />
er sich nie von Saul ab, verschonte<br />
zwe<strong>im</strong>al dessen Leben. Schliesslich<br />
war Saul der Vater seines besten<br />
Freundes. Die Zeit aber arbeitete für<br />
David: Nach Sauls Tod wurde er erst<br />
König von Juda, dann von ganz Israel.<br />
Doch in den Jahren, in denen Saul<br />
noch lebte und kämpfte, hielten es die<br />
zwei Freunde auf die Dauer ohne einander<br />
nicht aus. Sie trafen sich he<strong>im</strong>lich,<br />
waren in einem emotionalen<br />
Ausnahmezustand «und sie küssten<br />
sich miteinander und weinten miteinander,<br />
David aber am allermeisten»,<br />
wie <strong>im</strong> Alten Testament (1. Buch Samuel,<br />
Kapitel 20) geschrieben steht.<br />
Nutzten David und Jonathan die Gunst<br />
der Stunde, fielen die letzten Schranken,<br />
gab es, weil sie einander unbedingt<br />
Halt geben wollten, kein Halten<br />
mehr? Für ein kurzes Glück? Oder war<br />
ihre seelisch-geistige Verbundenheit<br />
so stark, dass Sex gar keinen Platz<br />
hatte in ihrer Beziehung? Über die sexuelle<br />
Orientierung von David und Jonathan<br />
wird heiss debattiert, und bei<br />
einigen Argumentationen gegen eine<br />
körperliche Liebe hat man den Verdacht,<br />
sie erfolgten nach dem Motto<br />
«weil nicht sein kann, was nicht sein<br />
darf».<br />
Was feststeht: Die Zärtlichkeit zwischen<br />
den beiden Freunden bedingte<br />
einen engen Körperkontakt. David und<br />
Jonathan hatten keine Berührungsängste.<br />
Unbestechliche Quelle dafür:<br />
die Bibel.<br />
Dem toten Freund sandte David<br />
dann einen letzten, bewegenden Gruss.<br />
Jonathan war in einer Schlacht seines<br />
Vaters, an der David nicht beteiligt<br />
war, ums Leben gekommen, Saul hatte<br />
sich <strong>im</strong> Angesicht der Niederlage ins<br />
Schwert gestürzt. In seinem Klagelied<br />
um Jonathan – und Saul! – liess David<br />
keinen Zweifel aufkommen, was er für<br />
Jonathan empfunden hatte: «Mir ist<br />
weh um dich, / mein Bruder Jonathan:<br />
/ ich habe grosse Freude und / Wonne<br />
an dir gehabt; / deine Liebe ist mir<br />
kostbarer / gewesen / denn Frauenliebe<br />
ist.»<br />
David heiratete Batseba, die ihm einen<br />
Sohn schenkte – einen Erben, den<br />
späteren grossen Salomo.<br />
<strong>Cruiser</strong>-Serie: Homosexualität<br />
in Geschichte<br />
und Literatur<br />
Mehr oder weniger versteckt findet<br />
sich das Thema Männerliebe in der<br />
Weltgeschichte, in antiken Sagen und<br />
traditionellen Märchen – in der Literatur<br />
ganz allgemein – <strong>im</strong>mer wieder.<br />
<strong>Cruiser</strong> greift einzelne Beispiele heraus,<br />
würzt sie mit etwas Fantasie, stellt sie<br />
in zeitgenössische Zusammenhänge und<br />
wünscht bei der Lektüre viel Spass –<br />
und hie und da auch neue oder zumindest<br />
aufgefrischte Erkenntnisse. Die<br />
dritte Folge befasst sich mit einem<br />
Freundespaar aus der Bibel – unzertrennlich,<br />
bis der Tod es schied.<br />
Auch Frauen<br />
finden bei<br />
gayPARSHIP<br />
eine passende<br />
Partnerin.<br />
Ich suche nicht irgendwen,<br />
deshalb suche ich<br />
auch nicht irgendwo -<br />
sondern bei gayPARSHIP.<br />
26 <strong>Cruiser</strong> Mai | <strong>2015</strong>
Thema | Gedanken zur Pride<br />
Unmögliches möglich<br />
machen<br />
Text: Janis McDavid<br />
Wie man auch ohne Arme und Beine seine Füsse hochlegen und auf der<br />
Tanzfläche stehen kann. Gedanken zum Pride-Monat.<br />
Foto: KATY OTTO<br />
Stehe oder sitze ich auf dem Pride-Wagen?<br />
Gebe ich jemandem meine Hand<br />
oder meinen Arm zur Begrüssung?<br />
Und wie entspanne ich mich abends –<br />
indem ich meine Füsse hochlege?<br />
Freunde und andere Menschen um<br />
mich herum vergessen häufig, dass ich<br />
ohne Arme und Beine geboren wurde<br />
und fragen mich manchmal, ob ich<br />
dieses oder jenes halten oder ihnen<br />
meine Handschuhe leihen könnte. Für<br />
mich ist das das grösste Lob, die grösste<br />
Bestätigung, die man mir geben<br />
kann, denn in solchen Situationen<br />
weiss ich, dass ich mein Ziel erreicht<br />
habe: Mein Ziel, meiner «Behinderung»<br />
in meinem Leben keine Hauptrolle<br />
zu geben. In diesen Momenten<br />
weiss ich, dass ich als Mensch und nicht<br />
als «schwerstbehinderter, schwerhöriger,<br />
oder geistig eingeschränkter<br />
Rollstuhlfahrer» oder «hilflose Person»<br />
gesehen werde.<br />
«Mein Ziel ist es,<br />
meiner ‹Behin derung›<br />
in meinem Leben keine<br />
Hauptrolle zu geben.»<br />
Wenn ich mit freiem Oberkörper auf<br />
dem CSD-Wagen stehe und mir eine<br />
Sektflasche in die Hand gedrückt wird,<br />
spielt meine «Behinderung» auch nur<br />
eine Nebenrolle. Dann bin ich mitten<br />
drin in der LGBT-Community, die <strong>im</strong><br />
<strong>Juni</strong> – unserem Pride Monat – für ihre<br />
Akzeptanz und Wertschätzung kämpft.<br />
Man sieht in diesem Monat viele nackte<br />
Oberkörper und zurechtgemachte<br />
Menschen und könnte sich fragen, ob<br />
und wie man als Rollstuhlfahrer dazu<br />
passt. Man kann aber ebenso einfach<br />
hingehen und mitmischen. Selbst<br />
wenn ich in den Augen vieler keinen<br />
«perfekten» Körper habe, bin ich vom<br />
Gegenteil überzeugt, auch wenn ich<br />
gerade keine Handschuhe dabei habe<br />
oder Sektflaschen halten kann.<br />
Auf CSDs und in Discos ist die Frage<br />
nach dem perfekten Körper eine<br />
sehr wichtige. Doch wann ist ein Körper<br />
«perfekt»? Wenn er makellos ist?<br />
Wenn er komplett ist? Nein, denn<br />
«perfekt» ist, was wir – jeder Einzelne<br />
von uns – daraus machen. Ich habe<br />
meinen Körper so angenommen, wie er<br />
ist, und versuche das entsprechend<br />
auszustrahlen. Wenn ich dann gefragt<br />
werde, was für Schuhe ich zuhause<br />
habe, zeigt mir diese Frage, dass meine<br />
Ausstrahlung erfolgreich ist.<br />
Das mag jetzt seltsam klingen und<br />
oft ist es denjenigen, die mich noch<br />
nicht gut kennen, anschliessend sehr<br />
peinlich, weil sie das Gefühl haben, in<br />
ein Fettnäpfchen getreten zu sein oder<br />
eine Grenze übertreten zu haben. Ich<br />
kann dazu nur sagen: Wer nicht über<br />
sich selbst lachen kann, hat schon verloren.<br />
Wenn Freunde mir solche Fragen<br />
stellen, bin ich glücklich und wenn ich<br />
<strong>im</strong> Flugzeug ein Upgrade in die Business<br />
Klasse bekomme, freue ich mich<br />
über die zusätzliche Beinfreiheit.<br />
Das Leben ist viel zu schön, um<br />
<strong>im</strong>mer ernst zu sein und daher gehe<br />
ich jetzt zum Sofa, lege meine Füsse<br />
hoch und freue mich über die Ausdrucksmöglichkeiten<br />
der deutschen<br />
Sprache.<br />
Der Kämpfer<br />
Janis McDavid ist 23 Jahre alt und<br />
lebt in Bochum, er geht seinen Lebensweg<br />
selbstbest<strong>im</strong>mt. Derzeit studiert<br />
er Wirtschaftswissenschaften in<br />
Witten, macht ein Praktikum bei IBM<br />
in Berlin und engagiert sich be<strong>im</strong><br />
deutschen schwul-lesbischen Jugendnetzwerk<br />
Lambada. In seinen Ferien<br />
geht er gerne auf Reisen. Janis McDavid<br />
setzt sich dafür ein, dass Individualität<br />
die neue Normalität ist und kann<br />
auch für Vorträge engagiert werden.<br />
Als öffentliche Person ist er <strong>im</strong> Internet<br />
(www.janis-mcdavid.de) sowie auf<br />
Facebook zu finden.<br />
28 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 29
Kolumne | Pia Spatz<br />
Der Krieg der<br />
Schwestern?<br />
Text: Pia Spatz<br />
Pia trägt <strong>im</strong> <strong>Juni</strong> ihren Büstenhalter <strong>im</strong>mer mit Stolz, statt ihn zu<br />
verbrennen. Und sie informiert sich in Sachen Drogen.<br />
Ihr Lieben, der <strong>Juni</strong> ist da – eine<br />
Zeit, um stolz zu sein und um auf die<br />
Strasse zu gehen. BHs werden wir keine<br />
verbrennen – wir werden sie tragen!<br />
Zeigen wir den Bünzlis, dass wir noch<br />
<strong>im</strong>mer eine St<strong>im</strong>me und Stilgefühl haben!<br />
Die Pride, oder auch s<strong>im</strong>pel liebevoll<br />
CSD genannt, erinnert an 1969,<br />
als sich unsere Schwestern in New<br />
York beherzt gegen die Obrigkeit auflehnten<br />
(sie hatten übrigens damals<br />
mehr Fummel an, als heute manche<br />
Demonstrierenden <strong>im</strong> Schrank haben).<br />
Doch dürfen wir wirklich stolz sein?<br />
Natürlich! Denn das Wort PRIDE ist<br />
das Gegenteil von Scham. Wir alle<br />
wollten schon mal vor Scham <strong>im</strong> Boden<br />
versinken, weshalb sich also nicht<br />
aus Stolz wie ein Phoenix aus der<br />
Asche erheben? Fakt ist aber, wenn in<br />
diesen Wochen die lesbisch-schwule<br />
Familie auf heile Welt macht, ist das<br />
eben nur die Spitze des Lippenstifts.<br />
Die Stigmatisierung hat längst Einzug<br />
in unsere Nische gehalten. Nichts ist<br />
so einfach, wie das sprichwörtliche<br />
Schubladendenken. Auf meinen Streifzügen<br />
durch die Nacht werde auch ich<br />
ab und an diskreditiert. Was natürlich<br />
(m)ein Gezeter und Mordio nach sich<br />
zieht. Alles nur, weil ich besonders<br />
schön sein wollte – das ist echt fies.<br />
Ein Krieg der Schwestern? Vielleicht.<br />
Stigmatisierung kommt überall vor.<br />
HIV-objektiv sind wir ja zum Beispiel<br />
noch lange nicht. Aber auch sonst<br />
rümpfen wir schnell die Nase. Unsere<br />
Nächsten sind uns zu alt, zu dick, tragen<br />
die falsche Brille ... Kurzum: Aktuell<br />
darf ich doch die Gleichstellung<br />
ohne Grenzen innerhalb unser Community<br />
zumindest ein bisschen in Frage<br />
stellen. Und dann stehen wir uns ja<br />
«BHs werden wir keine<br />
verbrennen – wir werden<br />
sie tragen! Zeigen wir<br />
den Bünzlis, dass<br />
wir noch <strong>im</strong>mer eine<br />
St<strong>im</strong>me und Stilgefühl<br />
haben!»<br />
auch selbst <strong>im</strong> Weg und stigmatisieren<br />
uns auch selbst. Im «Checkpoint <strong>im</strong><br />
Gespräch» <strong>im</strong> <strong>Juni</strong> gehts genau darum<br />
und wie ich «stolz» auf etwas sein<br />
kann, auch wenn die anderen auf mir<br />
rumhacken.<br />
Um nochmals auf die Spitze des Lippenstifts,<br />
bzw. des Eisbergs zurückzukommen<br />
– da denke ich unweigerlich<br />
auch an sogenannten Schnee, an weisses<br />
Pulver, das so herrlich wach macht.<br />
Oder an kleine Pillen, winzige Tröpfchen<br />
... Drogen sind in der Schwulen-Szene<br />
(nicht nur!) weitverbreitet.<br />
Einige meiner Pappenhe<strong>im</strong>er können<br />
sich oft nur sexuell entfalten, wenn sie<br />
was intus haben. Aber auch hier unterscheiden<br />
wir uns. Es gibt die, die konsumieren,<br />
ganz offen und cool, dann<br />
diejenigen, die <strong>im</strong>mer mal wieder komplett<br />
tschüss sind, aber meinen, sie<br />
könnten es gehe<strong>im</strong> halten und dann<br />
gibts noch die Gruppe jener, die keine<br />
Drogen nehmen und ein Problem damit<br />
haben, dass die anderen es tun. Da haben<br />
wir wieder die Schubladen und die<br />
Stigmatisierung, aber das nur so nebenbei.<br />
Ich finde halt, jeder so wie es<br />
ihm Spass macht, aber informiert euch!<br />
Und so komme ich zum Punkt: Meine<br />
Jungs vom «Checkpoint» kennt ihr<br />
schon – das sind die Experten bezüglich<br />
schwulem Sex und allen Infos<br />
drumherum. Die sind natürlich auch<br />
an der Pride. Und dieses Jahr bringen<br />
sie die Experten von saferparty.ch<br />
gleich mit. Sie können deine kleinen<br />
Muntermacher kontrollieren – besser<br />
auf Information setzten, statt aus<br />
Scham schlechte Ware konsumieren,<br />
oder?<br />
So ihr Lieben, lasst uns feiern und<br />
ein Zeichen setzen, seid eingeladen, um<br />
an der Pride mit meinen Jungs vom<br />
Checkpoint bei deren Wagen mitzulaufen!<br />
Garantiert gefahrlos, aber ungemein<br />
spassig und ach so sinnvoll.<br />
Dr. Gay<br />
Verliebt in einen HIVpositiven<br />
Mann<br />
Lieber Dr. Gay, ich habe <strong>im</strong> Chat einen<br />
netten Mann kennengelernt, mit dem<br />
ich mich gerne treffen möchte. Nun<br />
hat er mir gesagt, dass er HIV-positiv<br />
ist. Er hat mir versichert, dass er seine<br />
Medikamente regelmässig n<strong>im</strong>mt und<br />
nicht ansteckend ist. Trotzdem habe ich<br />
Bedenken. Worauf muss ich achten?<br />
Darf ich ihn ohne Kondom blasen? Was<br />
ist mit dem Lusttropfen? Wie gross ist<br />
das Risiko, wenn er mit seinem Schwanz<br />
an meinem Hintern reibt und dabei ein<br />
Lusttropfen rauskommt? Was, wenn er<br />
auf mich abspritzt? Darf ich ihn r<strong>im</strong>men?<br />
Vielleicht übertreibe ich etwas,<br />
aber mir ist es wirklich wichtig, gesund<br />
zu bleiben. Alexander (20)<br />
Hallo Alexander<br />
Vermutlich hattest du schon früher<br />
mal Sex mit einem HIV-positiven<br />
Mann, ohne es zu wissen. Dass du nun<br />
über den Serostatus deines Sexpartners<br />
Bescheid weisst, ändert eigentlich<br />
nichts. Halte dich einfach an die<br />
ANZEIGE<br />
Safer-Sex-Regeln (Analverkehr nur<br />
mit Kondom und kein Sperma in den<br />
Mund nehmen). Der Lusttropfen birgt<br />
be<strong>im</strong> Blasen kein HIV-Risiko, weil darin<br />
zu wenig Viren für eine Infektion<br />
vorhanden sind. Ebenso wenig ist<br />
Sperma auf der Haut oder R<strong>im</strong>men ein<br />
HIV-Risiko. Das Reiben des Penis am<br />
Anus ist auch unbedenklich, solange<br />
kein Eindringen stattfindet und kein<br />
Lusttropfen in den Hintern gelangt.<br />
Wenn dein Sexpartner unter wirksamer<br />
antiretroviraler Therapie (ART)<br />
ist, ist seine Viruslast so tief (nicht<br />
nachweisbar), dass er nicht ansteckend<br />
ist. Trotzdem empfehle ich bei anonymen<br />
Gelegenheitskontakten die Safer<br />
Sex-Regeln einzuhalten, weil du nicht<br />
sicher sein kannst, ob er seine Medikamente<br />
regelmässig n<strong>im</strong>mt bzw. ob<br />
seine Viruslast tatsächlich nicht nachweisbar<br />
ist. In einer festen Beziehung<br />
zwischen einem serodiskordanten<br />
Paar kann nach Rücksprache mit dem<br />
behandelnden Arzt über das Weglassen<br />
des Gummis diskutiert werden.<br />
Weitere Informationen dazu findest du<br />
<strong>im</strong> Sex-Wiki auf www.drgay.ch unter<br />
EKAF.<br />
Alles Gute, Dr. Gay<br />
BRUNO BÖTSCHI<br />
<strong>im</strong> Gespräch mit prominenten<br />
Tagträumern<br />
Im Buchhandel und auf www.applausverlag.ch<br />
Ratgeber Aids-Hilfe | Dr. Gay<br />
Wie gefährlich ist<br />
ein Blow-Job?<br />
Lieber Dr. Gay, ich hatte Sex mit einen<br />
Mann und dabei be<strong>im</strong> Analverkehr<br />
ein Kondom benutzt. Danach habe ich<br />
seinen Schwanz geblasen und er hat in<br />
meinem Mund abgespritzt. Das Sperma<br />
habe ich nicht geschluckt, sondern<br />
sofort ausgespuckt. Ist das gefährlich?<br />
Soll ich einen HIV-Test machen?<br />
Jan (26)<br />
Hallo Jan<br />
Hauptübertragungsweg von HIV ist ungeschützter<br />
Analverkehr. Darum ist es<br />
gut, dass du dich und deinen Partner<br />
be<strong>im</strong> Analverkehr mit einem Kondom<br />
geschützt hast. Aber auch Sperma <strong>im</strong><br />
Mund kann ein HIV-Risiko sein. Du<br />
hast zwar richtig gehandelt und das<br />
Sperma sofort ausgespuckt. Trotzdem<br />
empfehle ich dir einen HIV-Test. Dieser<br />
ist bereits 15 Tage nach der Risikosituation<br />
möglich. Der Test schliesst eine Infektion<br />
aber nicht ganz aus. Um alle<br />
Zweifel auszuräumen, solltest du nach 3<br />
Monaten einen Bestätigungstest machen.<br />
Ich rate dir, Sperma nicht in den<br />
Mund zu nehmen. Sollte dir versehentlich<br />
wieder mal jemand in den Mund<br />
spritzen, kannst du das Risiko min<strong>im</strong>ieren,<br />
indem du (wie du es gemacht hast)<br />
das Sperma ausspuckst und anschliessend<br />
den Mund mit Flüssigkeit spülst<br />
(nicht Zähneputzen!). Eine empfehlenswerte<br />
Adresse für Test und Beratung ist<br />
der Checkpoint (www.mycheckpoint.ch)<br />
Alles Gute, Dr. Gay<br />
Dr. Gay ist eine Dienstleistung<br />
der Aids-Hilfe Schweiz<br />
30 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong>
Kultur | Schweiz<br />
Die Kultur-Tipps<br />
<strong>im</strong> <strong>Juni</strong><br />
Text: Daniel Diriwächter<br />
Eine spannende Saison neigt sich dem Ende zu, aber vor dem Sommer darf<br />
noch einmal ganz <strong>im</strong> Sinne der Kultur gefeiert werden.<br />
Der Stoff, aus dem Sommernachtsträume sind?<br />
Zürcher Festspiele:<br />
Geld. Macht. Liebe.<br />
Die Festspiele Zürich widmen sich vom<br />
12. <strong>Juni</strong> bis 12. Juli den vielleicht wichtigsten<br />
Themen des Lebens, die zeitgleich<br />
auch die literarische Welt eines<br />
der grössten Dichters aller Zeiten beherrschten:<br />
«GeldMachtLiebe – Shakespeare<br />
und andere Gewalten». Das Jahr<br />
<strong>2015</strong> liegt genau zwischen dem 450.<br />
Jahrestag von William Shakespeares<br />
Geburt (1564) und seinem 400. Todesjahr<br />
(1616). Eine Steilvorlage für die<br />
Festspiele Zürich, die damit nicht nur<br />
den Lebens- und Schaffensweg des<br />
Künstlers, sondern auch seine Zeit zu<br />
reflektieren vermögen. Die an den Festspielen<br />
beteiligten Kulturinstitutionen<br />
legen den Fokus teils auf historische,<br />
teils auf zeitgenössische Aspekte der<br />
allgemein gültigen Themen Geld, Macht<br />
und Liebe, um die sich auch heute noch<br />
die Welt dreht. Über 150 Veranstaltungen<br />
von 34 Veranstaltern locken an 26<br />
verschiedenen Orten in der Stadt und<br />
bieten etwas für jeden Geschmack.<br />
Trotzdem wagen wir es, einige Highlights<br />
besonders hervorzuheben: Im<br />
eröffnenden Festvortrag <strong>im</strong> Schauspielhaus<br />
wird der Schriftsteller Adolf<br />
Muschg die zeitlose Bedeutung des universalen<br />
Geistes Shakespeares und<br />
seines Werks zum Thema machen (13.<br />
<strong>Juni</strong>).<br />
In der Gessneralle best<strong>im</strong>mt die<br />
«Männliche Liebe» das Geschehen: Mit<br />
der Performance «Traumboy» von Daniel<br />
Hellmann erlebt das Publikum einen<br />
jungen Mann, der sich gern prostituiert.<br />
Einziges Problem: das Stigma. Im Privatleben<br />
hat er seinen Nebenjob bislang<br />
gehe<strong>im</strong> gehalten (ab 13. <strong>Juni</strong>). Am Pfauen<br />
selbst ist am 22. <strong>Juni</strong> passenderweise<br />
nochmals «Ein Sommernachtstraum» in<br />
der Inszenierung von Daniela Löffner zu<br />
sehen. Das Zürcher Filmpodium setzt in<br />
dieser Zeit auf die Reihe «Shakespeare<br />
<strong>im</strong> Kino» – gezeigt werden unter anderem<br />
«Romeo und Julia» in diversen Versionen<br />
oder – logisch – «Shakespeare in<br />
Love» (diverse Daten). Nicht zu vergessen<br />
der traditionelle Sommernachtsball<br />
<strong>im</strong> Zürcher Hauptbahnhof am 4. Juli. Es<br />
darf also gefeiert werden - «Sein oder<br />
Nichtsein» dürfte für Kulturfreudige die<br />
best<strong>im</strong>mende Frage des Monats werden.<br />
Alle Informationen unter<br />
www.festspiele-zuerich.ch<br />
Kultur<br />
Ticket<br />
Das offizielle Poster der Festspiele<br />
Zürich.<br />
San Andreas<br />
Machen wir uns nichts vor: Katastrophenfilme<br />
erfreuen sich auch in der<br />
schwulen Familie enormer Beliebtheit,<br />
sofern sie als sogenannte «A-Lister» geführt<br />
werden. Es muss ja nicht <strong>im</strong>mer<br />
ein französisches Drama sein. Tragisch<br />
nur, wenn die sogenannten Desaster-Streifen<br />
von der Realität überholt<br />
werden. So geschehen bei «San<br />
Andreas», der das gefürchtete grosse<br />
Erbeben in Kalifornien auf Zelluloid gebannt,<br />
aber wegen den furchtbaren Geschehnissen<br />
in Nepal leicht geändert<br />
wurde. Trotzdem verspricht der Film mit<br />
dem oft unterschätzten Dwayne Johnson<br />
spannende Unterhaltung mit einem<br />
durchaus realen Hintergrund: Bei der<br />
San-Andreas-Verwerfung, einer gut<br />
1100 Kilometer sichtbaren Bruchlinie in<br />
Kalifornien, treffen die Pazifische und<br />
die Nordamerikanische Platte aufeinander.<br />
In der Realität beträgt die Verschiebung<br />
rund sechs Zent<strong>im</strong>eter pro<br />
Jahr. Im Film selbst prallen die beiden<br />
tektonischen Platten mit voller Wucht<br />
gegeneinander. Regisseur Brad Peyton<br />
schürt mit «San Andreas» gekonnt die<br />
Angst vor dem «Big One»; der Titelsong<br />
von Sia, eine Coverversion des Klassikers<br />
«California Dreamin», entfacht Gänsehaut<br />
pur.<br />
Ab 28. Mai <strong>im</strong> Kino<br />
Stéphanie Berger –<br />
Höllelujah<br />
Eines muss man Stéphanie Berger lassen:<br />
Sie hat wirklich vieles getan, um<br />
nicht in der Versenkung zu verschwin-<br />
32 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 33<br />
Fotos: Matthias Horn (2), Warner Bros. (1), ZVG (1), Miller’s Studio (1)<br />
Filmplakat zu «San Andreas»<br />
den. Seit 20 Jahren gehört sie zur sogenannten<br />
Cervelat-Prominenz; damals<br />
noch als Miss Schweiz, die unbedingt<br />
gross hinaus wollte. In der Tat war es<br />
ihre Schönheit, die faszinierte – von der<br />
«Sirene in Blond» bis zum «blonden<br />
Gift» – Kritiker und Anhänger wurden<br />
gleichermassen bedient und die Berger,<br />
wie es so markant heisst, liess sich von<br />
bösen Zungen nicht beirren und hielt<br />
sich tapfer in Amt und Würden. Nach<br />
dem Amtsjahr als Schönheitskönigin<br />
versuchte sie sich als Sängerin und erreichte<br />
einige Erfolge. Als Moderatorin<br />
und Schauspielerin war (und ist) sie<br />
ebenfalls <strong>im</strong> Einsatz. Trotz schnöder<br />
Kritiken – die Berger lässt sich nicht<br />
beirren, vielleicht auch, weil sie einst<br />
als selbsternannte «Baby-Christin» das<br />
Göttliche entdeckt hat. Seit geraumer<br />
Zeit steht nun «Comedy» stellvertretend<br />
für den flammenden Busch <strong>im</strong><br />
Berger-Universum. Nach den zaghaften<br />
Versuchen <strong>im</strong> Schweizer Fernsehen geht<br />
die Ex-Miss als Komödiantin auf<br />
Tournee – und legt erfrischende Selbstironie<br />
an den Tag. Mit «Miss-Erfolg»<br />
etablierte sie sich in der Szene und veralberte<br />
ihr altes Image mit Genuss. Das<br />
neue Programm «Höllelujah» verspricht<br />
ebenfalls urkomisch zu werden.<br />
Daten:<br />
4. <strong>Juni</strong>, Forum Würth, Arleshe<strong>im</strong><br />
10. <strong>Juni</strong>, Das Zelt, Wiesendangen<br />
16. <strong>Juni</strong>, Bernhard-Theater, Zürich<br />
Spektakuli –<br />
Alles<br />
meschugge?<br />
Stéphanie Berger – Sirene in Blond<br />
oder blondes Gift?<br />
In diesem Jahr setzt das<br />
Festival «Spektakuli» <strong>im</strong><br />
Zürcher Miller’s Theater einen<br />
Themenschwerpunkt,<br />
um den Festivalcharakter zu<br />
stärken: Vor siebzig Jahren<br />
endete der Zweite Weltkrieg,<br />
aus diesem Grund widmet<br />
sich das Festival mit einer<br />
Reihe hochkarätiger Darbietungen,<br />
prominent besetzten<br />
Diskussionsrunden sowie mult<strong>im</strong>edialer<br />
Ausstellung dem<br />
Themenkreis «Exilkabarett zur<br />
Zeit des Dritten Reiches». Unter<br />
dem Motto: «Alle meschugge!»<br />
werden damit die Wurzeln des<br />
Wiener Kabaretts entdeckt, das<br />
in der Zwischenkriegszeit besonders<br />
von jüdischen Künstlern geprägt<br />
war. Das vielfältige Programm beginnt<br />
am 28. Mai mit T<strong>im</strong> Fischer und dessen<br />
legendärem Programm «T<strong>im</strong> Fischer singt<br />
Kreisler». Neben den zehn Tagen voller<br />
Aufführungen ist <strong>im</strong> Mühle rama die Ausstellung<br />
«Alles meschugge?» zu sehen.<br />
Das Restaurant Blaue Ente bietet derweil<br />
ebenfalls Wiener Spezialitäten an.<br />
Mühle Tiefenbrunnen, Zürich<br />
Vom 28. Mai bis 6. <strong>Juni</strong><br />
Alle meschugge!<br />
Kabarett – Ausstellung – Kulinarik<br />
Alles meschugge, oder was?<br />
Kabarettfestival<br />
28. Mai bis<br />
6. <strong>Juni</strong> <strong>2015</strong><br />
© Jüdisches Museum Wien
Serie | Persönlichkeiten<br />
Was macht eigentlich …<br />
Text: Haymo Empl<br />
Mark Wahlberg<br />
Mark Wahlberg war die Gay-Ikone der 90er. Obschon er das nie wollte.<br />
<strong>Cruiser</strong> hatte die Möglichkeit, das einstige Unterhosenmodel (mittlerweile<br />
ist er längst ein Blockbuster-Film-Star) telefonisch zu interviewen … und<br />
wir hätten gerne den Mythos des starken, aber sensiblen Mannes weiter<br />
zementiert. Aber eben …<br />
Mark Wahlberg, einstige Gay Ikone und<br />
mittlerweile der unschwulste Mann,<br />
den es wohl gibt.<br />
Der einstige Rapper – das frühere Model<br />
und der spätere Filmstar Mark<br />
Wahlberg – war und ist in Hollywood<br />
für seine Entourage von Freunden und<br />
Mitbewohnern genau so berühmt wie<br />
für seine Arbeit. Stets zeigte er sich<br />
mit Männern, und die eine oder andere<br />
kumpelhafte Umarmung wurde von<br />
den Gays gerne als int<strong>im</strong>es Geständnis<br />
der Neigung zum eigenen Geschlecht<br />
interpretiert. Unvergesslich, wie Mark<br />
Wahlberg am T<strong>im</strong>e Square auf überlebensgrossen<br />
Plakaten – nur in Calvin-<br />
Klein-Unterhosen – posierte. Wir wollten<br />
wissen, wie schwul denn nun Mark<br />
wirklich ist und durften mit ihm telefonieren.<br />
Nun handelte es sich natürlich<br />
nicht nur um eine einfache Plauderei,<br />
denn das Management hörte<br />
mit, und Mark Wahlberg sollte eigentlich<br />
seine Serie «Entourage» auf dem<br />
Sender HBO sowie die Realityshow<br />
«Wahlburgers» auf dem Sender A&E<br />
promoten, und zudem schon gluschtig<br />
auf den Film «Ted 2» machen.<br />
Nun ist das so eine Sache mit den<br />
Amis. Die wissen gar nicht so recht,<br />
welche Sender wir hierzulande empfangen.<br />
Beste Voraussetzungen für<br />
den <strong>Cruiser</strong> also, um allerhand anderes<br />
zu erfragen. Wenn da das Management<br />
nicht auch mitgehört hätte. Und<br />
so verliess uns der Mut, denn wir hatten<br />
schlicht Schiss, dass das Gespräch<br />
abgebrochen würde, wenn wir zu viele<br />
«schwule» Fragen stellen würden. Es<br />
war auch nie so ganz klar, ob Mark eigentlich<br />
wusste, was der «<strong>Cruiser</strong>» ist.<br />
Und selbst wenn: Bei solchen Promo-<br />
Telefonaten ist der arme Kerl best<strong>im</strong>mt<br />
froh, wenn dieses nicht zu lange dauert.<br />
Immerhin, eine schöne St<strong>im</strong>me hat<br />
er, der Mark. In diesem Sommer wird<br />
Wahlberg also in «Ted 2» spielen,<br />
Schauspielerin Amanda Seyfried ersetzt<br />
Mila Kunis als Johns (Wahlberg)<br />
neue Angebetete.<br />
«Wir hatten schlicht<br />
Schiss, dass das Gespräch<br />
abgebrochen würde, wenn<br />
wir zu viele ‹schwule›<br />
Fragen stellen würden.»<br />
«Entourage» wiederum ist eine<br />
Dramedy-Serie des US-Fernsehsenders<br />
HBO. Die Show handelt von der gerade<br />
erst beginnenden Hollywoodkarriere<br />
des jungen Schauspielers Vincent<br />
Chase und seiner Entourage, einer<br />
Gruppe aus Familie und engsten Freunden<br />
aus Vincents Jugend in Queens<br />
(New York), die ihm dabei hilft, sich in<br />
der ungewohnten Welt Hollywoods zurechtzufinden.<br />
Mark Wahlberg, der <strong>im</strong> <strong>Juni</strong> 44 wird,<br />
ist mit dem Ex-Model Rhea Durham<br />
(36), verheiratet, mit der er vier Kinder<br />
hat: Ella (11), Michael (8), Brendan (6)<br />
und Grace (4). Die Familie lebt in einer<br />
riesigen neuen, etwa zweieinhalb Hektar<br />
grossen French-Style-Villa in Beverly<br />
Hills. (Soviel also zu seiner möglichen<br />
Homosexualität. Wenn jemand<br />
VIER Kinder macht, dann … Nun ja.)<br />
<strong>Cruiser</strong> (etwas nervös): Im Film<br />
«Entourage» und auch in «Wahlburgers»<br />
sieht man dich <strong>im</strong>mer mit Kumpels zusammen.<br />
In der HBO Serie «Entourage»<br />
eigentlich auch nur mit Männern. Was<br />
ist Fiktion, was Realität?<br />
WAHLBERG: Die Jungs in Entourage<br />
haben alle eine gewisse Ähnlichkeit<br />
mit mir und meinen Freunden. Aber<br />
das Skript beruht nur grob auf unseren<br />
Leben und ist nicht unbedingt autobiografisch.<br />
Das Lustige daran ist,<br />
dass ich eigentlich nie vorhatte, mit<br />
meinen Freunden in einem grossen<br />
Haus zu wohnen. Ich habe mein erstes<br />
Haus in Hollywood mit dem Gedanken<br />
gekauft, dass ich heiraten und eine Familie<br />
gründen würde. Aber dann kamen<br />
die Jungs vorbei und haben angefangen,<br />
das Haus abzuchecken, um zu<br />
sehen, welche Z<strong>im</strong>mer sie nehmen<br />
würden! (Lacht) Sie sind einfach davon<br />
ausgegangen, dass sie bei mir<br />
wohnen würden und haben Sachen gesagt<br />
wie «Komm schon, du willst heiraten<br />
und Kinder bekommen, das muss<br />
doch ein Scherz sein ...!?»<br />
Fotos: getty <strong>im</strong>ages<br />
War es dir manchmal zu viel, den grössten<br />
Teil deiner Zeit in Hollywood <strong>im</strong>mer<br />
von den gleichen Jungs umgeben zu sein?<br />
Ich hänge <strong>im</strong>mer noch mit ihnen rum,<br />
aber natürlich wohnen sie nicht mit<br />
mir und meiner Frau in meinem Haus.<br />
Aber es waren tolle Zeiten damals. Ich<br />
wollte die Leute um mich haben, denen<br />
ich vertrauen konnte und mit denen<br />
ich abhängen konnte, während ich<br />
meine Filme machte. Wir haben diese<br />
tolle Freundschaft und Kameradschaft<br />
über die Jahre sehr genossen. Es ist<br />
gut, seinen Wurzeln treu zu bleiben.<br />
Das erdet dich und erinnert dich daran,<br />
dass, obwohl du vielleicht mehr<br />
Geld und eine gewisses Image hast,<br />
deine Freunde <strong>im</strong>mer wissen werden,<br />
wer du wirklich bist.<br />
<strong>Cruiser</strong> (hofft, dass das Management<br />
diese Frage zu lässt, was es tut): Du bist<br />
ein gläubiger Mensch, so kann man<br />
überall lesen. Wie wichtig ist dir der<br />
katholische Glaube in deinem Leben?<br />
Ich bete jeden Tag und versuche, jeden<br />
Tag in die Kirche zu gehen. Mein Glaube<br />
an Gott macht mich jeden Tag zu<br />
einem besseren Menschen. Er ist der<br />
wichtigste Teil meines Lebens. Ich bete<br />
dafür, dass ich meiner Absicht, der<br />
beste Ehemann und Vater zu sein, gerecht<br />
werde. Ich bete auch zu Gott,<br />
dass er meine Familie und meine<br />
Liebsten beschützt. Ohne meinen<br />
Glauben wäre es mir niemals möglich<br />
gewesen, mein Leben zu ändern und<br />
den Erfolg und die Liebe zu erfahren,<br />
die meine Welt heute best<strong>im</strong>men.<br />
Mark Wahlberg, als er sich noch Marky Mark nannte.<br />
<strong>Cruiser</strong> (nun etwas desillusioniert): Du<br />
kokettierst damit, jemand zu sein, der<br />
es liebt, hart zu arbeiten und der nie zu<br />
viel Zeit ohne ein Telefonat oder ein<br />
laufendes Projekt verbringt. Und du bist<br />
vierfacher Vater. Wie schaffst du all<br />
diese Aufgaben?<br />
Ich mag es, eine Struktur zu haben.<br />
Ich stehe früh um 4.30 Uhr auf, trainiere<br />
eine halbe bis ganze Stunde,<br />
frühstücke dann und bringe danach<br />
«Mein Glaube an Gott<br />
macht mich jeden Tag<br />
zu einem besseren<br />
Menschen.»<br />
die Kinder zur Schule. Den Rest des<br />
Tages verbringe ich in meinem Büro,<br />
wo ich mein Skript laut lese, wenn ich<br />
mich auf einen Film vorbereite. Das<br />
mache ich mindestens zwe<strong>im</strong>al am<br />
Tag, weil ich es mag, <strong>im</strong>mer gut vorbereitet<br />
zu sein, wenn ich anfange, an<br />
einem Film zu arbeiten. Ich möchte<br />
das ganze komplette Skript von vorn<br />
bis hinten kennen, bevor ich ans Set<br />
gehe. Ich möchte niemals der Typ sein,<br />
der unvorbereitet auftaucht. Zwei Wochen,<br />
bevor ein Film beendet wird, beginne<br />
ich damit, das nächste Skript<br />
durchzublättern. Dafür werde ich bezahlt.<br />
Das ist mein Job. Ich muss professionell<br />
sein.<br />
<strong>Cruiser</strong> (mümmelt nun trotzig Chips<br />
während des Gesprächs und stellt die<br />
folgende Frage, weil sie gemäss Vorgabe<br />
des Managements gestellt werden<br />
muss): Was kannst du über den Film<br />
«Ted 2» bereits verraten?<br />
Interessant daran ist, dass Tom Brady<br />
(der mit Wahlbergs geliebten New<br />
England Patriots gerade seinen vierten<br />
Super-Bowl-Titel als Quarterback gewonnen<br />
hat – das steht in den Presseunterlagen.<br />
Anm. <strong>Cruiser</strong>) in unserem<br />
Film eine echt erstaunliche<br />
Leistung abliefert. Tom spielt auch in<br />
«Entourage» mit. Er ist echt gut und<br />
sehr lustig.<br />
<strong>Cruiser</strong> (nun sachlich, weil Mark Wahlberg<br />
wohl nie in der Redaktion in Zürich<br />
Oerlikon auftauchen wird und weil<br />
Mark Wahlberg echt nicht viel zu erzählen<br />
hat): Du bist ein hingebungsvoller<br />
Vater und Familienmensch. Wird der<br />
Umgang mit den eigenen Kindern mit<br />
der Zeit eher einfacher oder schwieriger?<br />
Es wird schwieriger, je älter sie werden.<br />
Ich bin mir sicher, dass meine<br />
Frau und ich alle Hände voll zu tun<br />
haben werden, wenn sie einmal Teenager<br />
sind. (Lacht) Aber es ist toll, sie<br />
aufwachsen zu sehen und es ist interessant<br />
zu beobachten, wie sich ihre<br />
Persönlichkeiten entwickeln. Ich versuche<br />
einfach, so viel wie möglich für<br />
sie da zu – ein Vater, von dem sie<br />
wissen, dass er sich <strong>im</strong>mer um sie<br />
kümmern und sie <strong>im</strong>mer mit Leib und<br />
Seele lieben wird.<br />
34 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />
<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 35
Kolumne | Michi Rüegg<br />
Dante <strong>im</strong><br />
Möbelhaus<br />
Abo<br />
Text: Michi Rüegg<br />
Seit ich denken kann, war meine<br />
Mutter <strong>im</strong>mer besonders schrecklich<br />
drauf, wenn ein Besuch be<strong>im</strong> Gynäkologen<br />
anstand. Die jährliche Kontrolle<br />
ihrer Geschlechtsteile vermochte aus<br />
einer an sich fröhlichen Frau während<br />
Tagen vor der Untersuchung ein keifendes<br />
Räf zu machen. Was ist so<br />
schl<strong>im</strong>m daran, dachte ich jeweils,<br />
Beine Spreizen und Entspannen.<br />
Heute kann ich nachempfinden, wie<br />
es vielen Frauen geht. Ich kenne das<br />
Gefühl überirdischer Beklemmung.<br />
Den Wunsch, aus dem eigenen Körper<br />
zu fahren. Das Herzrasen, die Schweiss -<br />
ausbrüche, die Panik, die sich der Wirbelsäule<br />
entlang erst über die Schultern<br />
legt, dann in die Beine fährt und<br />
schliesslich den ganzen Körper erfasst.<br />
All das kenne ich seit meinem ersten<br />
Besuch bei IKEA.<br />
«Wenn ich einen Wunsch<br />
frei hätte, dann lautete er,<br />
nie wieder in meinem<br />
Leben eine IKEA betreten<br />
zu müssen.»<br />
IKEA ist neben Waterboarding, der<br />
chinesischen Bambusfolter und einem<br />
Konzert von «Oesch’s den Dritten» in<br />
etwa das Schl<strong>im</strong>mste, was man einem<br />
Menschen antun kann. Wenn ich einen<br />
Wunsch frei hätte, dann lautete er,<br />
nie wieder in meinem Leben eine IKEA<br />
betreten zu müssen. Doch leider<br />
kommt man irgendwie nicht drum<br />
rum. IKEA ist ein Kollateralschaden<br />
der Zivilisation, wie Müllberge und<br />
CO2-Ausstoss. Zudem ist das schwedische<br />
Einrichtungshaus eine durch und<br />
durch teuflische Einrichtung. Das<br />
kann ich sogar belegen.<br />
Die mir leider bestbekannte IKEA-<br />
Filiale Dietlikon, zum Beispiel, orientiert<br />
sich <strong>im</strong> Aufbau an Dante Alighieris<br />
Inferno. Man beginnt oben («Lasst, die<br />
ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!»),<br />
in der Hölle der Sünder der Masslosigkeit.<br />
Dort stehen Sofas, Betten, ganze<br />
Kinderz<strong>im</strong>mer. Und es zerren mit ausgeleierten<br />
Lumpen behangene Heteropaare<br />
ihre Leons und Hannas in Zeitlupe<br />
durch die Gänge. Im mittleren<br />
Bereich, demjenigen für die Sünder<br />
der Bosheit finden sich Geschirr, Lampenschirme,<br />
Teppiche, Z<strong>im</strong>merpflanzen<br />
und gerahmte Fotografien des<br />
Chrysler Buildings oder Nahaufnahmen<br />
von Marienkäfern. Übermotivierte<br />
Studentinnen füllen ihre Wagen mit<br />
Tand aus den Sweatshops des Erdballs,<br />
der die neue WG dekorieren soll. Und<br />
unten, <strong>im</strong> Selbstbedienungslager, tummeln<br />
sich die Sünder des Verrats. Sie<br />
irren mit Zettelchen durch die Gänge,<br />
auf der Suche nach H8, B4 und E9.<br />
Während man den Irrgarten durchschreitet,<br />
büsst man, Zent<strong>im</strong>eter für<br />
Zent<strong>im</strong>eter für alle begangenen Sünden.<br />
Das Gefühl von Ekel, das sich<br />
dabei bei einstellt, ist von einer derartigen<br />
Intensität, dass ich jeweils Zweifel<br />
an meinem eigenen Menschsein<br />
hege. Mehr als einmal überkam mich<br />
das augenblickliche Verlangen, meiner<br />
Existenz vor Ort ein Ende zu bereiten.<br />
So schritt ich einmal in die Küchenabteilung<br />
und versuchte, mir mit dem<br />
Küchenmesser HACKIG die Pulsadern<br />
aufzuschneiden. Doch es war zu<br />
stumpf. Einmal trachtete ich danach,<br />
mir mit Mörser ÄDELSTEN selber die<br />
Birne einzuschlagen. Doch er zerbrach<br />
an meinem Schädel. Ein anderes Mal<br />
wollte ich mich an der Hängeleuchte<br />
SVIRVEL aufknöpfen, doch das Kabel<br />
riss. Ein jeder meiner Suizidversuche<br />
scheiterte an der Qualität der dargebotenen<br />
Ware.<br />
Ich hatte ein jedes Mal keine andere<br />
Wahl, als das Leiden zu erdulden, und<br />
mich, vorbei an den dargestellten<br />
Höllenqualen, Richtung Ausgang zu<br />
begeben. Immer wieder erschrak ich<br />
ob der Werbung für den einen Franken<br />
teuren Hotdog aus Hühnerfleisch. Ob<br />
die Hühner dafür auch derart gelitten<br />
haben, wie ich <strong>im</strong> Moment des Betrachtens?<br />
Ich mag Hühner, aber ich<br />
hasse Huhn. Sollte ich je tatsächlich in<br />
der Hölle landen, gibts dort nur Poulet.<br />
«Einmal trachtete ich<br />
danach, mir mit Mörser<br />
ÄDELSTEN selber die<br />
Birne einzuschlagen. Doch<br />
er zerbrach an meinem<br />
Schädel.»<br />
Kasse, zahlen. Nein, keine IKEA-<br />
Family-Card. Nichts soll mich daran<br />
erinnern, je an diesem grässlichen Ort<br />
gewesen zu sein. Ich werde mich eine<br />
Stunde unter die Dusche stellen, mit<br />
Stahlwolle in der einen und Cif in der<br />
anderen Hand. Noch Monate werde ich<br />
schweissgebadet mitten in der Nacht<br />
aufwachen, eh das neuerliche Trauma<br />
sich zu den anderen gesellt und mich<br />
weitgehend in Frieden lässt. Zumindest,<br />
bis ich genügend davon für einen<br />
stationären Aufenthalt in der Psychiatrie<br />
gesammelt habe.<br />
Wenn man sich endlich aus den<br />
schwefeligen Eingeweiden des Parkhauses<br />
befreit hat, den Fuss auf dem<br />
Gaspedal Richtung Oberwelt – man<br />
erkennt bereits die Lichter! –, taucht<br />
plötzlich jener Gedanke auf, des alles<br />
noch viel schl<strong>im</strong>mer macht: Es fällt<br />
einem ein, dass man den ganzen<br />
Scheissdreck, den man gekauft hat,<br />
auch noch zusammenbauen muss. Und<br />
so n<strong>im</strong>mt man es mit ins traute He<strong>im</strong>,<br />
ein Stück der Hölle, die man hinter<br />
sich zu lassen geglaubt hat.<br />
Lass ihn zu dir kommen!<br />
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Ort<br />
36 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong>
Thema | Definition Begriff schwul<br />
Ist gay noch okay, oder ist<br />
schwul jetzt uncool?<br />
Der Wertewandel des Begriffs «schwul»<br />
Text: Thomas Borgmann<br />
«Schwul» ist heute <strong>im</strong> deutschsprachigen Raum das am meisten verwendete<br />
Synonym für männliche Homosexualität. In der Jugendsprache wird<br />
es seit einigen Jahren aber <strong>im</strong>mer häufiger auch als Sch<strong>im</strong>pfwort für alles<br />
eingesetzt, was irgendwie «ätzend» ist. Die Schwulenbewegung nahm das<br />
Wort in den frühen 1970er Jahren bewusst auf, um es von seiner negativen<br />
Bedeutung zu befreien. Ist sie damit gescheitert?<br />
«Schwul kannte man<br />
als beleidigendes<br />
und abfälliges Sch<strong>im</strong>pfwort<br />
für Männer, die<br />
Männer lieben.»<br />
Auch als sich die Betroffenen selbst<br />
schon lange als schwul bezeichneten,<br />
taten sich viele tolerante und vor allem<br />
nicht homosexuelle Menschen mit<br />
dem Begriff noch schwer. Schwul<br />
kannte man als beleidigendes und abfälliges<br />
Sch<strong>im</strong>pfwort für Männer, die<br />
Männer lieben, weshalb manche lieber<br />
wertneutral von Homosexuellen sprachen<br />
– auch wenn das sehr klinisch<br />
klingt. 2001 betonte der damalige<br />
Schweizer Bundespräsident Moritz<br />
Leuenberger be<strong>im</strong> Christopher Street<br />
Day in Zürich: «Ihrer Beharrlichkeit<br />
ist es zu verdanken, dass ich heute die<br />
Worte schwul oder lesbisch viel leichter<br />
über die Lippen bringe. In meiner<br />
Jugend waren dies obszöne Sch<strong>im</strong>pfwörter,<br />
und ich wunderte mich später<br />
darüber, dass Sie sich nicht einen anderen,<br />
weniger belastenden Namen geben.<br />
Heute muss ich Sie dazu beglückwünschen.<br />
Sie sind auf diese Weise<br />
zwar den schmerzlicheren Weg gegangen,<br />
aber Sie haben etwas in Bewegung<br />
gebracht. Sie haben Sch<strong>im</strong>pf und<br />
Schande auf sich genommen, aber Sie<br />
38 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />
sind daran, die Worte schwul und lesbisch<br />
salonfähig zu machen; ich meine<br />
inhaltlich akzeptiert.»<br />
Dass es heute <strong>im</strong> öffentlichen Sprachgebrauch<br />
und auch in der Schriftsprache<br />
<strong>im</strong> Allgemeinen keine Beleidigung<br />
oder Besch<strong>im</strong>pfung mehr ist, einen<br />
homosexuellen Mann als Schwulen zu<br />
bezeichnen, hat sich die Schwulenbewegung<br />
in der Tat schwer erkämpfen<br />
müssen. Die wohl wirkungsvollste<br />
Verwendung des Wortes gab es bei der<br />
Premiere des Films «Nicht der Homosexuelle<br />
ist pervers, sondern die Situation,<br />
in der er lebt» bei den Berliner<br />
Filmfestspielen 1971. Der Film des Regisseurs<br />
Rosa von Praunhe<strong>im</strong> gilt als<br />
Initialzünder der Schwulenbewegung<br />
<strong>im</strong> deutschsprachigen Raum und führte<br />
dort zur Gründung erster Schwulengruppen.<br />
Erstmals wurde in diesem<br />
Film das bislang ausschliesslich negativ<br />
konnotierte Wort «schwul» von homosexuellen<br />
Männern bewusst und<br />
provokativ als Selbstbezeichnung aufgegriffen,<br />
um seine Bedeutung und<br />
damit letztlich die Betroffenen selbst<br />
vom Stigma des abartigen und perversen<br />
Sexualverhaltens zu befreien.<br />
Von warmen Brüdern und<br />
Schwulitäten<br />
Wie und wann das Wort «schwul»<br />
überhaupt <strong>im</strong> Sinne von «homosexuell»<br />
verwendet wurde, lässt sich heute<br />
nur mehr annäherungsweise best<strong>im</strong>men.<br />
Häufig wird sein Ursprung auf<br />
das niederdeutsche Wort «schwul» für<br />
«drückend heiss» zurückgeführt. Im<br />
17. Jahrhundert wurde es ins Hochdeutsche<br />
übernommen und <strong>im</strong> 18.<br />
Jahrhundert – wahrscheinlich durch<br />
Beeinflussung des ähnlich klingenden<br />
Antonyms «kühl» – in «schwül» umgewandelt.<br />
Im 19. Jahrhundert wurde<br />
das Wort in seiner alten Form «schwul»<br />
«Häufig wird sein<br />
Ursprung auf das<br />
niederdeutsche Wort<br />
‹schwul› für ‹drückend<br />
heiss› zurückgeführt.»<br />
in der Berliner Mundart und in der<br />
Gaunersprache Rotwelsch in Anlehnung<br />
an «warm» schliesslich auf «homosexuell»<br />
übertragen. In der Folge<br />
wurden Homosexuelle auch als warme<br />
Brüder bezeichnet – also als Männer,<br />
die gegenüber ihren Geschlechtsgenossen<br />
nicht kühl, sondern warm<br />
empfinden. Da das Wort «schwul» aber<br />
ausschliesslich abfällig und beleidigend<br />
für Homosexuelle verwendet<br />
wurde, lehnte der deutsche Arzt, Sexualforscher<br />
und Pionier der Homosexuellen-Bewegung,<br />
Magnus Hirschfeld,<br />
dessen Verwendung zu Beginn<br />
des letzten Jahrhunderts noch kategorisch<br />
ab. In der damals noch jungen<br />
Sexualwissenschaft suchte er mit Begriffen<br />
wie «Homophile», «Homoero-<br />
Foto: pololia<br />
Bist du schwul oder was? Wie negativ ist der Begriff heutzutage noch behaftet?<br />
ten» oder «drittes Geschlecht» nach<br />
einer eigenen wertneutralen Terminologie<br />
für Homosexuelle. Auch in den<br />
1940er und 1950er Jahren gab es in<br />
der Schweizer Zeitschrift «Der Kreis»<br />
<strong>im</strong>mer wieder Versuche, passende und<br />
positive Alternativen zu dem medizinischen<br />
Terminus «homosexuell» zu<br />
finden, da «dieses Wort <strong>im</strong> Bewusstsein<br />
der Mehrheit abstossende Bilder<br />
und einen Beigeschmack von Perversion<br />
erzeugt». Die gefundenen Wortschöpfungen<br />
konnten sich aber allesamt<br />
nicht durchsetzen, und so blieb<br />
«schwul» auch weiterhin die umgangssprachliche,<br />
aber abfällige Bezeichnung<br />
für Homosexuelle.<br />
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In den USA nahm die emanzipatorische<br />
Homosexuellenbewegung mit<br />
dem 28. <strong>Juni</strong> 1969 ihren entscheidenden<br />
Anfang. An diesem Tag formierte<br />
sich der erste bekannt gewordene Homosexuellen-Aufstand<br />
gegen die gewaltsame<br />
Polizeirazzia in der Bar<br />
«Stonewall Inn» in der New Yorker<br />
Christopher Street, weshalb heute<br />
weltweit der jährliche Christopher<br />
Street Day (CSD) gegen Diskr<strong>im</strong>inierung<br />
und Ausgrenzung sexueller Minderheiten<br />
gefeiert wird. Während die<br />
deutsche vorwiegend studentisch geprägte<br />
Schwulenbewegung der frühen<br />
1970er Jahre bewusst den negativ geprägten<br />
Begriff «schwul» aufgriff, um<br />
ihm den Charakter eines Sch<strong>im</strong>pfwortes<br />
zu nehmen, ging die angelsächsische<br />
Homosexuellen-Bewegung zunächst<br />
genau den umgekehrten Weg:<br />
Sie verwendete das Wort «gay» (fröhlich,<br />
vergnügt), um damit eine positiv<br />
besetzte Alternative zu dem klinischen<br />
Begriff «Homosexualität» populär<br />
zu machen. Im Zuge der Act-Up-Bewegung<br />
während der AIDS-Krise wird<br />
in den USA aber seit den 1990er Jahren<br />
mit dem Begriff «queer» (sonderbar,<br />
seltsam) parallel dazu eine ähnliche<br />
Strategie wie <strong>im</strong> deutschsprachigen<br />
Raum verfolgt. Ziel ist auch hier, das<br />
Wort durch die öffentliche Diskussion
Thema | Definition Begriff schwul<br />
Kolumne | Weissbergs warme Weissheiten<br />
Der Begriff «Gay» würde eigentlich<br />
«fröhlich» bedeuten. Sind wir das?<br />
anders zu bewerten und politisch positiv<br />
zu besetzen, um die Öffentlichkeit<br />
damit zu einer Auseinandersetzung<br />
mit ihren Vorurteilen zu provozieren.<br />
Sowohl <strong>im</strong> deutsch- als auch englischsprachigen<br />
Raum vollzog sich der<br />
Bedeutungswandel der Wörter «schwul»<br />
beziehungsweise «queer» und «gay»<br />
aber nicht ausschlielich in Richtung<br />
einer positiven Neubewertung. Alle<br />
drei Wörter werden auch als Sch<strong>im</strong>pfwörter<br />
eingesetzt. In der Jugendsprache<br />
<strong>im</strong> deutschsprachigen Raum wird<br />
«schwul» quasi als Gegenbegriff zu<br />
dem Wort «geil» verwendet. Losgelöst<br />
von seiner sexuellen Bedeutung ist<br />
«schwul» dort ein allgemein abwertendes<br />
Adjektiv für alles, was nervt, stört<br />
oder einfach nur blöd ist. Die Frage,<br />
«Bist du schwul, oder was?» zielt also<br />
nicht unbedingt auf die sexuelle Orientierung<br />
ab, sondern kann einfach<br />
nur bedeuten: «Bist du blöd?» oder<br />
«Geht’s noch?» Die Verwendung des<br />
Wortes in diesem Sinne hat sich in jugendlichen<br />
Kreisen schon so weit<br />
etabliert, dass <strong>im</strong> Online-Wörterbuch<br />
von Wikipedia die Wörter «blöd,<br />
scheisse, uncool» als Zweitbedeutung<br />
für «schwul» angegeben werden. 72<br />
Prozent der Jugendlichen zwischen 13<br />
und 18 Jahren verstehen «schwul» in<br />
erster Linie als Sch<strong>im</strong>pfwort. Der massi -<br />
ve negative Gebrauch des Wortes unter<br />
Jugendlichen resultiert aus schwulen -<br />
feindlichen Texten <strong>im</strong> deutschsprachigen<br />
Hip-Hop. Diese homophoben<br />
Strömungen haben wiederum ihren<br />
Ursprung <strong>im</strong> jamaikanischen Reggae,<br />
von wo aus sie sich über die Gangster-<br />
Rapper in den USA bis in die deutschsprachige<br />
Hip-Hop-Musik verbreiteten.<br />
Emanzipations- und Sch<strong>im</strong>pfwort<br />
zugleich<br />
Sind die Bemühungen der Schwulenbewegung<br />
zum Wertewandel dieses<br />
Wortes also gescheitert, und ist zu befürchten,<br />
dass der Begriff auf seine<br />
ursprünglich negative Bedeutung zurückfällt?<br />
Keineswegs, vielmehr sind<br />
«Das Wort ‹gay›<br />
(fröhlich, vergnügt) stellt<br />
eine positiv besetzte<br />
Alternative zu dem<br />
klinischen Begriff<br />
‹Homosexualität› dar.»<br />
die Wörter «schwul», «gay» und «queer»<br />
mittlerweile Emanzipations- und<br />
Sch<strong>im</strong>pf wörter zugleich. Parallel zur<br />
Popularisierung des Wortes mit negativer<br />
Bedeutung unter Jugendlichen<br />
hat sich «schwul» auch als wertneutrale<br />
Bezeichnung für Homosexuelle in<br />
der breiten Gesellschaft <strong>im</strong>mer mehr<br />
etabliert. Nachdem sich konservative<br />
Medien lange Jahre mit der Verwendung<br />
des Wortes äusserst schwer taten<br />
und es bestenfalls in Anführungszeichen<br />
veröffentlichen, um sich von der<br />
beleidigenden Verwendungsweise zu<br />
distanzieren, ist «schwul» als Selbstbezeichnung<br />
mit positivem Inhalt jetzt<br />
überall in Zeitschriften und Medien zu<br />
finden. Sogar die New York T<strong>im</strong>es verwendet<br />
«gay» inzwischen als einen<br />
wertneutralen Ausdruck. Auch die Politik<br />
setzt das Wort inzwischen unbefangener<br />
ein. Nachdem konservative<br />
Kreise <strong>im</strong> deutschen Bundestag die<br />
Verwendung der in der Schwulen- und<br />
Lesbenbewegung längst selbstverständlich<br />
gewordenen Wörter «schwul»<br />
und «lesbisch» lange mit dem Argument<br />
verweigerten, dass sie keine Begriffe<br />
der Hochsprache seien, hat spätestens<br />
der ehemalige Berliner Bürgermeister<br />
Klaus Wowereit auf einem Sonderparteitag<br />
am 10. <strong>Juni</strong> 2001 ein Tabu gebrochen.<br />
Seine legendär gewordenen<br />
Worte «Ich bin schwul, und das ist gut<br />
so» wurden in der Öffentlichkeit eher<br />
als Ausdruck seiner Glaubwürdigkeit<br />
gewertet als ein Vergreifen <strong>im</strong> Tonfall.<br />
Dass «schwul» also inzwischen auch<br />
als Sch<strong>im</strong>pfwort wieder populär geworden<br />
ist, muss die Bemühungen der<br />
Schwulenbewegung nicht schmälern.<br />
Der negative Gebrauch des Wortes<br />
durch die Jugend kann auch als Lust<br />
an der Provokation interpretiert werden,<br />
bei der wertende Begriffe häufig<br />
aus dem Bereich der Sexualität stammen<br />
und stets das gesellschaftlich Akzeptierte<br />
negativ besetzt und das gesellschaftlich<br />
Abgelehnte ins Positive<br />
gewendet wird. Wenn «schwul» also<br />
von Jugendlichen heute wieder in negativer<br />
Weise missbraucht wird, kann<br />
das durchaus auch ein Beleg dafür<br />
sein, dass der Begriff in der breiten<br />
Gesellschaft angekommen und dort<br />
vorwiegend positiv oder zumindest<br />
neutral bewertet wird. Dass aber ein<br />
aus heterosexueller Sicht vielleicht<br />
«harmloses» Sch<strong>im</strong>pfwort für den<br />
Schwulen selbst wiederum diskr<strong>im</strong>inierend<br />
wirken kann, steht natürlich<br />
ausser Frage. Selbstverständlich kann<br />
sich die negative Bedeutung des Wortes<br />
«schwul» für alles, was «uncool»<br />
ist, vor allem bei ungeouteten oder<br />
erst vor kurzem geouteten Jugendlichen<br />
hemmend oder negativ auf die<br />
Persönlichkeitsentwicklung auswirken.<br />
Den jugendlichen Ausspruch «Bist<br />
du schwul, oder was?» dann tatsächlich<br />
mal mit einem «Ja» zu beantworten,<br />
erfordert zwar eine Menge Mut,<br />
kann aber auch dazu beitragen, seine<br />
Umgebung für die diskr<strong>im</strong>inierende<br />
und oft unüberlegte Verwendung des<br />
Begriffs zu sensibilisieren.<br />
Foto: focus pocus<br />
Foto: Marianne Weissberg<br />
Bitte strengen Sie<br />
mich nicht an!<br />
Text: Marianne Weissberg<br />
Kolumnistin Marianne Weissberg weiss diesmal: Anstrengung kann tödlich<br />
enden! Und drum hat sie in ihrem Leben längst den Schongang eingelegt<br />
und wäre froh, wenn alle um sie herum das auch endlich täten.<br />
Ehrlich gesagt, wollte ich erst über<br />
ein kompliziertes Thema kolumnieren.<br />
Um mich vom anstrengenden Nachdenken<br />
zu entspannen, las ich ein wenig<br />
in meinen Memoiren in progress<br />
nach und war sofort gestresst: Ogott,<br />
was habe ich mich doch über jenen<br />
Verschwurbelten genervt. Jedes Date<br />
war ein Nervenzusammenbruch. Jedenfalls<br />
bei mir. Schliesslich legte ich<br />
die Seiten beiseite und gelobte: NIE<br />
WIEDER, mach Schabbes damit! Das<br />
ist ein jiddischer Seufzer, der besagt,<br />
dass man sich <strong>im</strong> Leben nicht endlos<br />
anstrengen soll, denn das kann böse<br />
enden.<br />
Ohhhm: Frau Weissbergs vierbeinige<br />
Muse Irettli liebt es unangestrengt und<br />
wird dafür von allen heiss bewundert.<br />
Haben Sie auch gelesen, dass der<br />
Gatte von Facebook-Mitscheffin Sheryl<br />
Sandberg in den Ferien gestorben ist,<br />
mit 47?! Kaum war das Vorzeige-<br />
Power-Paar <strong>im</strong> Luxusressort angelangt,<br />
seckelte er aufs Laufband, kollabierte<br />
vor Anstrengung, schlug hart<br />
«Was nützen denn all<br />
die erschufteten<br />
Billionen, wenn man<br />
sich sogar an freien<br />
Tagen dummer weise zu<br />
Tode anstrengt?»<br />
auf und lag stundenlang sterbend <strong>im</strong><br />
Fitnessraum. Jetzt frage ich Sie: Wieso<br />
sind die beiden nicht händchenhaltend<br />
am Strand flaniert, haben gemeinsam<br />
gefaulenzt? Was nützen denn all die<br />
erschufteten Billionen, wenn man sich<br />
sogar an freien Tagen dummerweise zu<br />
Tode anstrengt? Jetzt liegt der umtriebige<br />
Dave tot <strong>im</strong> Sarg. Der nicht<br />
mal opulent verziert war, denn bei uns<br />
Juden kriegen alle denselben schlichten<br />
Sarg, egal, ob man sich <strong>im</strong> Leben<br />
angestrengt hat oder nicht. Das finde<br />
ich pädagogisch wertvoll, man sollte<br />
dies aber zu Lebzeiten schon realisieren<br />
und sich sagen: Wenig ist mehr!<br />
Die zweite Inspiration wider die Anstrengung<br />
fiel mir <strong>im</strong> Pedicuresalon<br />
Orion zu. Dort arbeitet Frölein A. Sie<br />
sah <strong>im</strong>mer aus wie Schneewittchen:<br />
Elfenbeinteint, rabenschwarze Locken,<br />
ein liebliches Lächeln, dazu best pedicure<br />
ever. Dann legte sich A. einen<br />
festen Freund zu, mit dem sie bald zusammenzog.<br />
Ich war skeptisch. Be<strong>im</strong><br />
letzten Termin war ihr Gesicht teigig<br />
unrein, das Haar stumpf, der Salon-Z<strong>im</strong>merbrunnen<br />
donnerte plötzlich<br />
wie die Niagarafälle, statt wie<br />
sonst beruhigend zu plätschern, das<br />
Radio schepperte misstönend und Frau<br />
A. war so anstrengend missmutig, dass<br />
ich ernsthaft überlege fernzubleiben.<br />
Vielleicht liege ich falsch, aber ich vermute,<br />
die einst so Gelassene hat einen<br />
gaaanz anstrengenden Macker, für den<br />
sie alles macht und mit dem sie<br />
schlechten, anstrengenden Sex hat.<br />
Und das wirkt sich aufs Allgemeinbefinden<br />
aus. Leider auch auf meins.<br />
Nervige Leute sind ansteckend. Drum<br />
meide ich sie neuerdings wie die Pest.<br />
Jetzt muss ich lachen, denn nun kämen<br />
wir ja zur Kolumnen-Pointe, aber<br />
es fällt mir nichts ein, obwohl ich mich<br />
mächtig anstrenge. Sehr passend. Also<br />
gehe ich mit Irettli, meiner vollreifen<br />
Haushündin, spazieren. Und was begegnet<br />
uns da? Ein Jogger, der wie eine<br />
Dampfmaschine schnaubend, mit irrem<br />
Blick die steile Strasse hinaufrast, an<br />
Irettli vorbei, die mit versonnenem<br />
Ausdruck schon minutenlang an einem<br />
Blättchen am Strassenrand schnuppert.<br />
Ich könnte wetten, dass sie grad<br />
ein bisschen meditiert. Dann spazieren<br />
wir gemütlich nach Hause, und ich<br />
schreibe diesen Schluss. Ganz entspannt.<br />
Sie sind es jetzt hoffentlich<br />
auch? Ooohhhm.<br />
Marianne Weissberg<br />
ist Historikerin, Autorin & Inhaberin<br />
des Literaturlabels Edition<br />
VOLLREIF (www.vollreif.ch).<br />
Ihre Werke u. a. «Das letzte Zipfelchen<br />
der Macht» oder die Kolumnen kolle ktion<br />
«Tränen ins Tiramisu» sind Kult.<br />
40 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong><br />
<strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong> 41
Interview | Andreas Lehner<br />
Das war «Break The<br />
Chains» <strong>2015</strong><br />
Text: Dani Diriwächter und Haymo Empl<br />
Die Kampagne «Break The Chains» ist für dieses Jahr Geschichte. Andreas<br />
Lehner, Programmleiter <strong>im</strong> Bereich MSM der Aids Hilfe Schweiz, blickt auf<br />
bewegend Wochen zurück. Im <strong>Cruiser</strong>-Interview erzählt er von den Höhepunkten<br />
der Aktion, aber auch von den Schwierigkeiten.<br />
takt und können die Kampagne hautnah<br />
miterleben. Und als schwule Männer<br />
sitzen wir ja nicht nur in der<br />
Zentrale sondern trinken durchaus<br />
mal ein Kaltgetränk in einer Bar.<br />
«Im Frühling werden in<br />
allen Pflanzen, Tieren<br />
und Menschen die Säfte<br />
aktiv und die ersten<br />
schönen Tage bringen<br />
die Libido zurück.»<br />
<strong>Cruiser</strong>: Die Kampagne «Break The Chains»<br />
ging nun schon die vierte Runde – was<br />
war in diesem Jahr anderes, gab es Unterschiede<br />
zu anderen Jahren?<br />
Andi: «Break The Chains» ist jedesmal<br />
leicht anders, der Kern aber bleibt:<br />
Kein Risiko <strong>im</strong> April, <strong>im</strong> Mai gemeinsam<br />
mit den Sexpartnern zum Test.<br />
Dieses Jahr fokussierten wir weniger<br />
auf die Community als auf den Einzelnen.<br />
Mit dem Risikocheck auf www.<br />
breakthechains.ch oder in einem Gespräch<br />
<strong>im</strong> «Checkpoint» oder in einer<br />
anderen Beratungsstelle konnte jeder<br />
für sich herausfinden, wie sein persönliches<br />
Risikoprofil aussieht.<br />
Wir versuchten dieses Jahr, «Break<br />
The Chains» mit wenig Schnickschnack,<br />
klar und einfach zu kommunizieren.<br />
Also keine Voucher mehr, keine App,<br />
nur eine klar strukturierte Website.<br />
Im Vergleich zu den früheren Jahren<br />
fehlte diesmal das Spielerische, wie etwa<br />
die Tierchen oder die Apps, warum?<br />
Eine App zu programmieren ist eine<br />
sehr kostspielige Angelegenheit. Und<br />
innerhalb einer Laufzeit von vier Wochen<br />
nicht zufriedenstellend machbar.<br />
Das Geld haben wir in die Arbeit vor<br />
Ort investiert. In allen Regionen der<br />
Schweiz. Die Tierkostüme haben wir<br />
noch. Vielleicht setzen wir sie nächstes<br />
Jahr wieder ein? Dieses Jahr war<br />
für uns die Kunstfigur Trudi Vanbrekken<br />
de Chaîne in der Deutschschweiz<br />
unterwegs. Auf Facebook hat sie ihr<br />
Profil. Da gibts auch Bilder. Ich finde<br />
Kreativität wichtig, und dass wir sie<br />
nie verlieren.<br />
Hat die Zielgruppe verstanden, worum<br />
es bei der «Break The Chains»-Kampagne<br />
eigentlich geht?<br />
Wie sieht «die Zielgruppe» aus? Wir<br />
Schwulen sind doch so individuell wie<br />
alle anderen. Viele kennen die Kampagne<br />
und auch den Inhalt. Einige kennen<br />
das Logo und den Auftritt, wissen<br />
aber nicht genau, worum es geht. Und<br />
da kommt die Arbeit vor Ort ins Spiel.<br />
Mit Beratung vor Ort und <strong>im</strong> Mai HIV-<br />
Tests vor Ort. Oder in den angeschlossenen<br />
Beratungszentren während der<br />
ganzen Laufzeit.<br />
«Wir Schwulen sind<br />
doch so individuell wie<br />
alle anderen.»<br />
Wie war die Resonanz in der Zielgruppe<br />
auf die Kampagne?<br />
Es gibt viele, die «Break The Chains»<br />
kennen und mögen, es gibt aber auch<br />
einige, die noch nie etwas davon gehört<br />
haben. Wieder andere können<br />
«Break The Chains» schon nicht mehr<br />
hören. Aber der Auftritt dieses Jahr<br />
kam sehr gut an.<br />
Was ist für Dich das Tolle an der Kampagne?<br />
Mir gefällt das Evolutionäre und Kreative<br />
an der Kampagne. Wir können<br />
«Break The Chains» jedes Jahr neu erfinden.<br />
Die Learnings des vorangegangenen<br />
Jahres verändern. Ich schätze vor<br />
allem auch die Zusammenarbeit mit<br />
und in den Regionen. Zusammen mit<br />
den Outreach-Workern, den «Checkpoints»<br />
und anderen Organisationen<br />
diskutieren wir alle Aktivitäten und<br />
Pläne. Das macht auch sehr viel Spass.<br />
Könnte man die HIV-Pr<strong>im</strong>oinfektion<br />
nicht auch anders thematisieren?<br />
Klar könnte man das. Wir wollen aber<br />
einmal <strong>im</strong> Jahr speziell darauf hinweisen.<br />
Und Teil des Konzeptes der<br />
Senkung der Virenlast in der Community<br />
ist eben auch das Zeitgleiche.<br />
Denn wir wollen nicht nur informieren<br />
über die Pr<strong>im</strong>oinfektion. Wir wollen<br />
den Sex für uns alle sicherer machen.<br />
Warum findet die BTC Kampagne<br />
eigentlich <strong>im</strong> Frühling statt? Könnte ja<br />
auch <strong>im</strong> Herbst sein …<br />
Eigentlich wollten wir damals die Kampagne<br />
<strong>im</strong> Februar machen. Wegen der<br />
Kürze des Monats. Nein, Spass beiseite.<br />
Frühling machte für uns Sinn, weil da<br />
in allen Pflanzen, Tieren und Menschen<br />
die Säfte aktiv werden und die<br />
ersten schönen Tage die Libido zurückbringen.<br />
Aber theoretisch könnte die<br />
Kampagne auch <strong>im</strong> Herbst stattfinden.<br />
Was ist bis dato der grösste Erfolg der<br />
Kampagne?<br />
Für mich persönlich ist der grösste Erfolg<br />
der Kampagne die Zusammenarbeit<br />
mit hoch motivierten Menschen<br />
aus allen Landesteilen. Dieses Miteinander<br />
hilft uns auch während des restlichen<br />
Jahres.<br />
Foto: Aids-Hilfe Schweiz, Marilyn Manser<br />
Andreas Lehner, Programmleiter MSM<br />
Was kann als Misserfolg gewertet werden?<br />
Es gibt und gab <strong>im</strong>mer wieder Situationen,<br />
die als Misserfolg gewertet<br />
werden. Indem wir aber konsequent<br />
miteinander kommunizieren, können<br />
wir aus Misserfolgen Erfolge für die<br />
Zukunft machen. Ich würde aber eher<br />
von Fehlern als von Misserfolgen<br />
reden. Denn die Kampagne an sich<br />
scheint erfolgreich zu sein, zu funktionieren.<br />
Dieses Jahr wird die Kampagne<br />
auch evaluiert. Verschiedene<br />
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Danya Care<br />
Wissenschafter überprüfen die Wirksamkeit<br />
und die Kosteneffizienz von<br />
«Break The Chains» <strong>2015</strong>.<br />
Wie habt ihr in der «Zentrale», bzw. in<br />
der AHS die Resonanz der Kampagne erlebt?<br />
Gab es Feedback?<br />
Wir arbeiten in den Regionen mit Regionalkoordinatoren.<br />
Mit Vinicio in<br />
der Deutschschweiz und Julio in der<br />
Romandie. Sie stellen die Zusammenarbeit<br />
in den Regionen sicher. So sind<br />
wir stets mit unseren Kollegen in Kon-<br />
Danya Care GmbH, Badenerstrasse 549<br />
CH-8048 Zürich, Telefon: +41 (0) 43 210 96 60<br />
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Kann man etwas zu den Testzahlen<br />
sagen?<br />
Im Mai nach «Break The Chains» und<br />
<strong>im</strong> Oktober während der Syphilis-Testwochen<br />
steigen die Testzahlen in der<br />
Schweiz unter Schwulen und anderen<br />
Männern, die Sex mit Männern haben,<br />
sprunghaft an. Die Testzahlen werden<br />
wir aber erst <strong>im</strong> Laufe des <strong>Juni</strong> ausgewertet<br />
haben. Die grosse Frage bleibt<br />
aber: Testen wir die Richtigen? Und<br />
das versuchen wir dieses Jahr durch<br />
die Evaluation herauszufinden.<br />
Wird es auch BTC 2016 geben?<br />
Ich gehe davon aus und würde mir es<br />
auch wünschen. Und für mich wäre<br />
die Zielrichtung auch schon klar. Für<br />
2016 würde ich gerne die Frage beantworten,<br />
wie wir an die Leute kommen,<br />
für die «Break The Chains» zwar relevant<br />
wäre, die aber <strong>im</strong> Gefühl und mit<br />
der Sicherheit leben, dass sie nicht<br />
zum Zielpublikum gehören.<br />
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42 <strong>Cruiser</strong> <strong>Juni</strong> | <strong>2015</strong>
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CH/HIV/0003/15/20.05.<strong>2015</strong>/05.<strong>2015</strong>