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Die Straßenzeitung aus Jena www.notausgang-jena.de<br />

Lesefrüchte


2<br />

NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

S. 02 Editorial<br />

S. 03 Grußwort des B<strong>und</strong>espräsidenten<br />

Selbsthilfe<br />

S. 04 Chance auf neue Lebensqualität<br />

Bunt wie ein Sommer<br />

S. 05 Hilfe zur Selbsthilfe e. V.<br />

Botschafter in eigener Sache<br />

S. 06 In der Selbsthilfe Kraft <strong>und</strong><br />

Hoffnung schöpfen<br />

S. 06 Er ist dann mal weg<br />

S. 07 Durch Wissen Mut machen <strong>und</strong><br />

Betroffenen Kraft geben<br />

S. 08 Den induviduellen Weg finden<br />

S. 09 Hilfe für Opfer von Straftaten<br />

Zur Arbeit des Weissen Rings<br />

Editorial<br />

EIGENTLICH wollten wir diese Ausgabe<br />

vorrangig der Arbeit der Selbsthilfegruppen<br />

in unserer Stadt widmen.<br />

Eigentlich.<br />

EIGENTLICH wollten wir vorrangig<br />

über unsere Gespräche <strong>und</strong> Kontakte zu<br />

Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen<br />

<strong>und</strong> Initiativen sprechen, die wir zum<br />

Selbsthilfetag 2009 in der Jenaer GoetheGalerie<br />

führten. Eigentlich.<br />

DOCH Ihre Reaktion auf unserer Literaturausgabe<br />

deutschsprachiger Autoren<br />

beeindruckt uns sehr. Wir Mitglieder<br />

des Redaktionsteams fanden uns<br />

darin mit <strong>unseren</strong> Gedanken <strong>und</strong> Intentionen<br />

wieder.<br />

ALSO suchten wir den direkten Gedankenaustausch<br />

mit Ihnen. Wir baten ausgewählte<br />

Leserinnen <strong>und</strong> Leser uns teilhaben<br />

zu lassen an ihren Gedanken, an<br />

dem, was sie spontan mit der Lektüre<br />

des einen oder anderen Beitrages der<br />

Ausgabe verbanden.<br />

I N H A L T<br />

Lesefrüchte<br />

S. 10 Wir lesen, was wir verstehen<br />

Warum vorlesen so wichtig ist<br />

S. 12 Dr. Martin Straub<br />

Keine Feiertagsgedichte<br />

S. 13 Konrad Wendt: Da wäre ich auch<br />

gern dabei gewesen<br />

S. 14 Dr. Erika Block<br />

Weil es die Norm so verlangt?<br />

S. 15 Tilman Hesse<br />

Unpünktlich unter Fre<strong>und</strong>en<br />

S. 16 Mario Jacob:Die Hoffnung stirbt<br />

zuletzt<br />

S. 17 Daniel Pfletscher: Einem Schöpfer<br />

auf Augenhöhe begegnen<br />

Liebe Leserinnen <strong>und</strong> liebe Leser,<br />

„Ja, mach nur einen Plan<br />

sei nur ein großes Licht<br />

<strong>und</strong> mach dann noch 'nen zweiten Plan<br />

gehn tun sie beide nicht.“<br />

Bertolt Brecht, Dreigroschenoper.<br />

DESHALB geben wir Ihnen ein Heft<br />

in die Hand, das den Versuch unternimmt,<br />

das eine wie das andere zu tun.<br />

Jedes auf die ihm gemäße Weise. Und<br />

wir titeln „Lesefrüchte“.<br />

VIELLEICHT gar keine schlechte Idee,<br />

denken wir <strong>und</strong> wünschen Ihnen Freude,<br />

Genuss <strong>und</strong> Anregung, wie wir sie,<br />

jeder einzelne von uns, im Redaktionsteam<br />

fanden in den St<strong>und</strong>en des gemeinsamen<br />

Nachdenkens über: „den alten<br />

Friseur“ (S. 19), „Frantek“ (S. 13), „Steffen“<br />

(S. 14 u. S. 22) <strong>und</strong> Co.<br />

ANGENEHM empfanden Sie die Grafiken<br />

von Angela Giorgi zu den einzelnen<br />

Beiträgen. Da nun hatten wir unser<br />

Problem. Wie wollen wir da angemessen<br />

mit Illustrationen nachfolgen? Ma-<br />

S. 18 Christine Theml<br />

Ich kann die Welt nicht verbessern<br />

S. 19 Dietmar Grocholl: Was ich zum<br />

Leben brauche<br />

S. 20 Janka Voigt: Lesen ist für mich<br />

das Paradies<br />

S. 21 Berit Oberländer: Warum fühl’ ich<br />

mich plötzlich unwohl?<br />

S. 22 Andreas Mützlaff: Was einem<br />

„Steffen“ verborgen bleibt<br />

S. 23 Vermischtes<br />

S. 24 <strong>Dank</strong>sagung an Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

Förderer<br />

Nächste Ausgabe: Mai 2010<br />

Joachim Hennig (links): Die Literaturausgabe<br />

deutschsprachiger Autoren<br />

war eine Premiere für uns. Eine Ausgabe,<br />

die in so enger Zusammenarbeit<br />

mit den Lesern entstand, ist es nicht<br />

minder. Michael Quicker: Und Chance<br />

für einen jeden von uns zu wachsen.<br />

len <strong>und</strong> Zeichnen ist nicht unser Ding.<br />

Also was tun? Matthias Treffs, unser<br />

MAE-Mitarbeiter, unser Mitarbeiter<br />

Michael Quicker (Layout) <strong>und</strong> ich schossen<br />

Fotos, die Michael teilweise verfremdend<br />

bearbeitete. Wir hoffen damit<br />

umso mehr Emotionen freizusetzen <strong>und</strong><br />

zum Nachdenken anzuregen.<br />

Eine gute Zeit wünschen wir <strong>all</strong>en Lesern<br />

mit unserem Heft.<br />

Joachim Hennig <strong>und</strong> Michael Quicker


DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

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Wir bereiteten unsere erste Ausgabe 2010 vor, als uns das Grußwort von B<strong>und</strong>espräsident Horst Köhler für die<br />

Weihnachtsausgaben 2009 der Straßenzeitungen <strong>und</strong> deren Leser erreichte. So ist das mit der Tagesaktualität bei uns,<br />

weil wir nur viermal im Jahr erscheinen. Wir freuen uns, Ihnen, liebe Leserinnen <strong>und</strong> Leser, die uns in unserer<br />

ehrenamtlichen Arbeit ermutigenden Worte unseres B<strong>und</strong>espräsidenten in dieser Ausgabe nachreichen zu können.<br />

Das Redaktionsteam<br />

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Liebe Leserinnen <strong>und</strong> Leser,<br />

kennen Sie die Geschichte von Icke <strong>und</strong> Susi? Sie ist fast ein<br />

bisschen kitschig, zu gut, um wahr zu sein. Susi, eine gläubige<br />

Christin, lernt irgendwann den alkoholabhängigen Obdachlosen<br />

Icke kennen. Sie kümmert sich um ihn, die beiden verlieben<br />

sich <strong>und</strong> heiraten schließlich.<br />

Die Geschichte von Icke <strong>und</strong> Susi, die ihren echten Namen nicht<br />

gedruckt sehen möchte, berührt. Sie stand in einer Straßenzeitung.<br />

Dort lernt man viel über die Schicksale von Obdachlosen.<br />

Sie sind so vielfältig wie die Gründe für Obdachlosigkeit: Arbeitslosigkeit,<br />

Mietschulden, Beziehungsprobleme, manchmal<br />

Drogen oder Alkohol, Krankheiten.<br />

In Straßenzeitungen erfahren wir, wie es ist, auf der Straße zu<br />

leben, welche Probleme <strong>und</strong> Sorgen Obdachlose haben, <strong>und</strong><br />

was wir tun können, um ihnen zu helfen.<br />

Straßenzeitungen informieren auch über andere soziale Themen,<br />

über Projekte für Menschen in Not, aber auch über das Leben<br />

im Kiez, über Angebote für Kinder, Kunstaktionen, Bildungsinitiativen<br />

<strong>und</strong> vieles mehr - <strong>und</strong> das meist aus einem anderen<br />

Blickwinkel als dem, den wir aus den großen Zeitungen kennen.<br />

Vor <strong>all</strong>em aber bieten Straßenzeitungen eine Chance. Eine Chance<br />

für diejenigen, die auf der Straße leben. Durch die Zeitung haben<br />

sie die Möglichkeit, zu arbeiten, Selbstachtung aufzubauen,<br />

sich aufzuraffen, Menschen anzusprechen, sich wieder in ein soziales<br />

Gefüge einzufinden. Manch einem Obdachlosen ist über<br />

den Verkauf der Straßenzeitungen die Rückkehr zu einem geregelten<br />

Leben gelungen.<br />

Viele Straßenzeitungen unterstützen oder organisieren darüber<br />

hinaus soziale Projekte für Obdachlose: Lebensmittel werden<br />

verteilt, Kleidersammlungen durchgeführt oder Notunterkünfte<br />

organisiert. All das macht Straßenzeitungen so wichtig.<br />

Und deshalb bin ich Ihnen dankbar, dass Sie diese Zeitung gekauft<br />

haben. Dass Sie nicht weggeschaut haben, als der Zeitungsverkäufer<br />

Sie angesprochen hat, sondern sich ihm zugewandt<br />

haben, ihm mit Respekt begegnet sind. Zuwendung <strong>und</strong><br />

Respekt sind wir uns schuldig – nicht nur an Weihnachten. Die<br />

Grußwort<br />

Grußwort von B<strong>und</strong>espräsident Horst Köhler an die Leserinnen<br />

<strong>und</strong> Leser der Straßenzeitungen in Deutschland (Weihnachten 2009)<br />

Menschlichkeit unseres Landes misst sich auch daran, wie wir<br />

mit Menschen umgehen, die in Not geraten sind, die am Rande<br />

der Gesellschaft stehen. Schauen Sie also weiter hin, hören Sie<br />

weiter zu, helfen Sie weiter mit, damit Menschen sich selbst helfen<br />

können.<br />

Ich wünsche Ihnen <strong>und</strong> Ihren Familien, den Zeitungsmachern<br />

<strong>und</strong> den Straßenzeitungsverkäuferinnen <strong>und</strong> –verkäufern ein gesegnetes<br />

Weihnachtsfest <strong>und</strong> ein gutes neues Jahr.<br />

3


○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

4<br />

NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Selbsthilfe<br />

W<br />

en die<br />

Selbsthilfetage<br />

über<br />

Jahre interessiert<br />

haben, der wird<br />

sicher die Erfahrung teilen: Alle Jahre<br />

wieder, doch nie dieselben. Oder mit den<br />

Worten von OB Dr. Albrecht Schröter zur<br />

Eröffnung der 19. Selbsthilfetage in der<br />

GoetheGalerie gesprochen, „Sie sind aus<br />

den ges<strong>und</strong>heitspolitischen <strong>und</strong> sozialen<br />

Angeboten, aus dem Miteinander <strong>und</strong> dem<br />

Engagement für den Nächsten in unserer<br />

Stadt nicht mehr wegzudenken“. Wenn wir<br />

in diesem Heft auf diese Tage im vergangenen<br />

Jahr zurückblicken, richtet sich die<br />

Aufmerksamkeit der Initiatoren bereits auf<br />

die nächsten im kommenden Herbst.<br />

„Vielleicht ganz besondere?“ fragte<br />

NOTausgang Frau Gabriele Wiesner,<br />

Leiterin des Beratungszentrums für<br />

Selbsthilfe - IKOS.<br />

Wiesner: Selbsthilfe ist immer etwas Besonderes.<br />

In den meisten Fällen entwickelt<br />

sich Interesse daran aus eigener Betroffenheit.<br />

Seltener treibt uns <strong>all</strong>gemeiner Wissensdurst.<br />

Deshalb bemühen wir uns<br />

immer wieder neue Wege zu gehen, um<br />

der Selbsthilfe notwendige Aufmerksamkeit<br />

zu verschaffen. Mancher hat sich im<br />

Hotel am Stadion oder jetzt in der GoetheGalerie<br />

selbst einmal getraut, mit anderen<br />

Menschen zu sozialen Themen oder<br />

über chronische Erkrankungen aus eige-<br />

hg. Optimistisch <strong>und</strong> bunt in<br />

den Farben der Sonne <strong>und</strong> des<br />

Sommers kam die Ausgabe<br />

2009 „Chance“ Jenaer Selbsthilfezeitung<br />

daher. Rechtzeitig<br />

zum Selbsthilfetag als Mitbringsel<br />

<strong>und</strong> zur anregenden<br />

wie informativen Lektüre<br />

zum Mitnehmen angeboten.<br />

Längst ist die „Chance“ kein<br />

Geheimtipp mehr. Sie ist ges<strong>und</strong>heitspolitischesInstru-<br />

Selbsthilfe ist Chance auf neue Lebensqualität<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

19. Selbshilfetag - 2009 Foto: M. Quicker<br />

ner Betroffenheit zu reden. Oftmals<br />

braucht es diesen ersten Schritt. Die Selbsthilfetage<br />

bieten dazu ausgezeichnete Gelegenheit.<br />

Hier stellen sich Gruppen mit<br />

ihren Angeboten vor, bauen so Brücken,<br />

um Berührungsängste sowie kursierendes<br />

Halbwissen abzubauen. Das hat manchem<br />

bereits Stolpersteine aus dem Weg vor<br />

dem Zugang zur Selbsthilfe geräumt. Dort<br />

angekommen, gibt das Verständnis der<br />

Gruppenmitglieder Sicherheit <strong>und</strong> Halt. Es<br />

lässt Zuversicht wachsen.<br />

Wir freuen uns, dass inzwischen viele ÄrztInnen,<br />

KrankenkassenmitarbeiterInnen<br />

<strong>und</strong> KliniksozialarbeiterInnen zur Selbsthilfe<br />

raten. Die Gruppenarbeit vermittelt<br />

die Erfahrung, dass sie nicht für jeden die<br />

passende Lösung für <strong>all</strong>e Probleme bereit<br />

hält. Aber sie wird oft als Chance auf eine<br />

neue Lebensqualität <strong>und</strong> für Teilhabe<br />

durch ein sinnerfülltes Leben angenommen.<br />

Von daher haben viele SHG-Ver-<br />

Bunt wie der Sommer<br />

ment <strong>und</strong> Unterstützung der<br />

freiwilligen selbsthelferischen<br />

○ ○ ○<br />

Bemühungen der Mitglieder<br />

<strong>und</strong> Mitstreiter in den Selbst-<br />

treterInnen die Zusage von Dezernent<br />

Frank Schenker interessiert aufgenommen,<br />

sich der aufkommenden Probleme des<br />

Zugangs zum Ricarda-Huch-Haus während<br />

der Rekonstruktion des Hauses „Zur<br />

Sonne“ anzunehmen. Für viele Behinderte<br />

braucht es einen barrierefreien Zugang<br />

zu den Gruppenräumen. Der aber wäre<br />

nur durch unvertretbar hohen Aufwand<br />

möglich.<br />

Heute sichern wir bis zu 110 Gruppentreffen<br />

im Monat hier räumlich ab. In der<br />

Rathenaustraße waren das noch 60 Gruppentreffen.<br />

Für neun Selbsthilfegruppen<br />

bemühen wir uns noch, eine geeignete terminlich-räumliche<br />

Lösung zu finden. Wir<br />

arbeiten am Limit, was die Vergabe der<br />

Gruppenräume betrifft. Deshalb sind wir<br />

dankbar für die Aufgeschlossenheit der<br />

Stadt gegenüber <strong>unseren</strong> Bemühungen um<br />

die Selbsthilfe <strong>und</strong> hoffen auf eine diesen<br />

Aspekt berücksichtigende Lösung.<br />

Was den Blick auf die 20. Selbsthilfetage<br />

in diesem Jahr betrifft, gibt es längst noch<br />

keine scharfen Konturen. Es wäre schön,<br />

wenn uns wirklich etwas Neues gelänge.<br />

Warum nicht <strong>all</strong>e sozialen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspolitischen<br />

Angebote, Initiativen <strong>und</strong> Vereine<br />

an solchen Tagen zusammenführen<br />

<strong>und</strong> gemeinsam mit ihrer inhaltlichen Vernetzung<br />

präsentieren? In unserer Arbeit<br />

fördern wir längst die Vernetzung <strong>und</strong> Zusammenarbeit<br />

zwischen den Gruppen.<br />

Aufgeschrieben: Joachim Hennig<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

hilfegruppen. Bunt <strong>und</strong> vielfältig<br />

ist auch das Leben in den<br />

Selbsthilfegruppen, deren Wirken<br />

„aus unserer Stadt nicht<br />

mehr wegzudenken“ ist, das<br />

Dezernent Frank Schenker<br />

zum 19. Selbsthilfetag zu würdigen<br />

wusste.<br />

Informationen zur Selbsthilfe<br />

<strong>und</strong> Restexemplare des Heftes<br />

sind bei der IKOS, Löbdergraben<br />

7 erhältlich.


Dass eine<br />

Suchterkrankung<br />

viele<br />

negative Folgen<br />

für den Betroffenen,<br />

sein familiäres<br />

<strong>und</strong> soziales<br />

Umfeld sowie für<br />

die Gesellschaft<br />

hat, ist unbestritten.<br />

Zu akzeptieren,<br />

von ihr betroffen<br />

zu sein - oftmals ein schwieriger<br />

Prozess.<br />

Bereits langjährig bemüht sich der Verein<br />

„Hilfe zur Selbsthilfe Begegnung Jena<br />

e. V.“ im Bereich der Suchtkrankenhilfe<br />

Betroffene <strong>und</strong> deren Angehörige durch<br />

eine breite Angebotsvielfalt zu unterstützen.<br />

Das würdigten die Beiträge von Klienten<br />

<strong>und</strong> Grußworte aus der Öffentlichkeit<br />

am Tag des 15-jährigen<br />

Bestehens des Vereins im vergangenen<br />

Jahr.<br />

Mit der Tagesstätte für suchtkranke Menschen<br />

(Kontakt: Anja Lorenz, Jena 63<br />

42 30) <strong>und</strong> den Arbeitsmöglichkeiten in<br />

verschiedenen Projekten (Kontakt: Jena<br />

61 89 88) hat sich der Verein arbeitstherapeutische<br />

<strong>und</strong> tagesstrukturierende<br />

Werkzeuge geschaffen, die schon vielen<br />

geholfen haben, ihren Weg in ein zufriedenes<br />

Leben ohne Alkohol zu finden.<br />

Als Botschafter in eigener Sache wissen<br />

die Vereinsmitglieder<br />

(unser<br />

M.Quicker-<br />

Foto), dass der<br />

Weg aus einer<br />

Suchterkrankung<br />

immer mit dem<br />

ersten Schritt, mit<br />

der realistischen<br />

Selbsteinschätzung,<br />

beginnt<br />

<strong>und</strong> dass dieser<br />

Weg erfolgreich zu einer zufriedenen<br />

Abstinenz führen kann. „Diese Idee soll<br />

weitergegeben werden“, so Sozialarbeiter<br />

Dietmar Werner, der als erster<br />

Ansprechpartner für die Hilfesuchenden<br />

da ist. Zugang finden sie <strong>und</strong> Begleitung<br />

zu <strong>all</strong>ererst durch die niedrigschwelligen<br />

Angebote der Begegnungsstätte mit<br />

Tagescafe, Computer-, Sport- <strong>und</strong> Spielmöglichkeiten.<br />

Die Begegnungsstätte ist<br />

ein Ort, an dem man zwanglos mit anderen<br />

zusammenkommen <strong>und</strong> über seine<br />

Probleme sprechen kann. Besonders<br />

an Wochenenden oder an Feiertagen<br />

wird dieses Angebot gern angenommen.<br />

Die Kontaktstelle (Kontakt: Anja Müller<br />

38 66 92), in der erfahrene Sozialarbeiter<br />

informieren, beraten <strong>und</strong> begleiten,<br />

soll dem Einzelnen helfen, seinen persönlichen<br />

Weg aus dem Kreislauf der<br />

Sucht zu finden.<br />

Der Beratungsinhalt werde, so Ina Zent-<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

hg. „Aufgeschlossen“lautet<br />

das Thema des S-Wandkalenders<br />

2010. Aufgeschlossen<br />

ist auch der Vorstand der Sparkasse<br />

Jena-Saale-Holzland traditionell<br />

für die Arbeit von Sozial-,<br />

Kultur - <strong>und</strong> Sportvereinen unserer<br />

Stadt. Mit den Sparkassenkalendern,<br />

die <strong>all</strong>jährlich zum<br />

Weltspartag gratis an die K<strong>und</strong>en<br />

abgegeben werden, verbinden<br />

Botschafter in eigener Sache<br />

„Aufgeschlossen“<br />

die Mitarbeiter-<br />

Innen in den Filialen<br />

eine Spendensammlung . In<br />

diesem Jahr konnte Uta Hegner,<br />

Leiterin der S- Hauptfiliale (2.v.r),<br />

den Erlös (mehr als 5000 Euro)<br />

zu gleichen Teilen an die Telefonseelsorge<br />

Jena, die Initiative Kinderfre<strong>und</strong>liche<br />

Stadt <strong>und</strong> an unsere<br />

Straßenzeitung übergeben.<br />

Vortstand <strong>und</strong> MitarbeiterInnen<br />

sagen herzlich: <strong>Dank</strong>e.<br />

Selbsthilfe<br />

graf, Leiterin<br />

der Einrichtung,<br />

durch den<br />

R a t -<br />

suchenden<br />

mit bestimmt.<br />

Auch wenn mancher einen Weg erfolgreich<br />

gegangen ist, muss dieser Weg den<br />

Nächsten längst nicht an das gewünschte<br />

Ziel führen. Voraussetzung für den<br />

Erfolg der Bemühungen sei, so Dietmar<br />

Werner, die Einsicht, im Umgang mit<br />

dem Alkohol <strong>und</strong> durch ihn Probleme<br />

zu haben <strong>und</strong> die Bereitschaft dazu, das<br />

Nötige zu verändern. Unsere Arbeit soll<br />

den Ratsuchenden befähigen, seine Potenziale<br />

<strong>und</strong> Ressourcen zu entdecken<br />

<strong>und</strong> zu nutzen. „Dazu sind wir auf die<br />

Mitwirkung der Menschen angewiesen“,<br />

so Zentgraf.<br />

Für Angehörige <strong>und</strong> Hilfesuchende bietet<br />

der Verein verschiedene Selbsthilfegruppen<br />

an. Durch gegenseitige Akzeptanz wächst<br />

in den Gruppen die notwendige Offenheit<br />

<strong>und</strong> gegenseitiges Vertrauen. So kann<br />

jeder seine Probleme vorbringen <strong>und</strong> vom<br />

Erfahrungspotenzial der anderen profitieren.<br />

Oft finden die Teilnehmer hier zu ersten<br />

konsequenten Schritten, die aus der<br />

Sucht hinaus führen.<br />

Kontakt:<br />

Hilfe zur Selbsthilfe Begegnung Jena e. V.,<br />

Buchaer Straße 6<br />

Telefon - Jena 61 89 88.<br />

Joachim Hennig<br />

5


6<br />

NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Sich selbst <strong>und</strong><br />

anderen helfen<br />

Bernd Knye-Neczas, Jahrgang<br />

1941, gründete 2001 die<br />

SHG „Prostatakrebs Jena <strong>und</strong><br />

Umgebung“, die er seither<br />

leitet. Als Beweggr<strong>und</strong> für<br />

sein Engagement nennt er den<br />

Wunsch, anderen Betroffen<br />

möglichst zu ersparen, was<br />

ihm widerfahren ist: plötzliches<br />

Vorfinden eines Tumors<br />

im fortgeschrittenem Stadium,<br />

was bei frühzeitiger Information<br />

<strong>und</strong> rechtzeitiger<br />

Vorsorgeuntersuchung vermeidbar<br />

gewesen wäre.<br />

Als Beisitzer im Vorstand des<br />

„B<strong>und</strong>esverbandes Prostatakrebs<br />

Selbsthilfe e. V.“, ein<br />

Zusammenschluss von mehr<br />

als 200 Prostata-Selbsthilfegruppen,<br />

nutzt er seine exklusiven<br />

Kontakte für eine qualifizierte<br />

Informations- <strong>und</strong><br />

Aufklärungsarbeit.<br />

Kontakt<br />

Tel.: 03641-23 27 92<br />

Fax: 03641-23 27 93<br />

E-Mail: pshg-jena@web.de<br />

Schätzungsweise 48.000<br />

Männer erkranken in<br />

Deutschland jährlich an<br />

Krebs der Vorsteherdrüse.<br />

Prostatakrebs ist damit die<br />

häufigste Krebserkrankung<br />

beim Mann. Um die Heilungschancen<br />

steht es sehr<br />

gut, frühzeitige Erkennung<br />

<strong>und</strong> optimale Behandlung<br />

vorausgesetzt. Dazu bedarf<br />

es eingehender Information<br />

<strong>und</strong> Beratung. Ärzten<br />

belässt ihr Zeitbudget<br />

dafür oft nur wenige Minuten<br />

<strong>und</strong> häufig wird vorschnell<br />

eine Operation anderen<br />

Methoden vorgezogen.<br />

Wer weiß darum besser als<br />

von der Erkrankung Betroffene?<br />

Um ihre Erfahrungen<br />

<strong>und</strong> Probleme auszutauschen<br />

<strong>und</strong> weiterzugeben, haben sich<br />

vor neun Jahren fünf Patienten<br />

in der „Prostatakrebs-<br />

Selbsthilfegruppe Jena <strong>und</strong><br />

Umgebung“ zusammengef<strong>und</strong>en.<br />

Ohne feste Regeln<br />

oder gar Vorschriften treffen<br />

sich die inzwischen mehr als<br />

20 Mitglieder regelmäßig. Sie<br />

verstehen sich als offener Gesprächskreis<br />

auch für Patienten,<br />

bei denen die Diagnose<br />

„Prostatakrebs“ gestellt wurde,<br />

eine Therapieentscheidung<br />

jedoch noch aussteht. Auch<br />

wer sich für die Früherkennung<br />

interessiert, kann aus<br />

dem Erfahrungsschatz der<br />

Gruppenmitglieder schöpfen.<br />

Informieren steht ganz vorn<br />

im Angebot der Selbsthelfer.<br />

Dazu nutzen sie seit acht Jahren<br />

auch die „Selbsthilfetage“<br />

der IKOS. Oftmals sind es die<br />

Frauen, Fre<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> Kinder,<br />

die „ihre“ Männer zum<br />

Informationsstand drängen.<br />

Angst vor einem möglichen<br />

Bef<strong>und</strong>, Scham <strong>und</strong> Unwissenheit<br />

sind beim vermeintlich<br />

stärkeren Geschlecht stärker<br />

verbreitet, als <strong>all</strong>gemein<br />

angenommen wird.<br />

Die Partnerinnen der von der<br />

Erkrankung Betroffenen werden<br />

in jedem F<strong>all</strong> in die Gruppenarbeit<br />

einbezogen. Neben-<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

hg. Warum der Jakobsweg<br />

auch Weg der 1.000.000 Schritte<br />

genannt wird, weiß unser<br />

Zeitungsverkäufer Holger Weiß<br />

(Foto) auch nicht.<br />

„Vielleicht, weil in den letzten<br />

Jahren immer mehr Menschen<br />

aus <strong>all</strong>er Herren Länder nach<br />

Santiago de Compostela in Spanien<br />

pilgerten.“ Das sei<br />

besonders in Heiligen Compostelanischen<br />

Jahren so.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Er ist dann mal weg<br />

Die werden begangen, wenn<br />

der Festtag des hl. Jakobus d.<br />

Ä. – 25. Juli – auf einen Sonntag<br />

fällt. Das ist in diesem Jahr<br />

der F<strong>all</strong>. 2004 waren 179.944<br />

Pilger unterwegs. 1987 wurden<br />

gut 3.000 Pilger pro Jahr registriert.<br />

In diesem Jahr wird auch<br />

er sich auf den Weg machen.<br />

Ab März ist er dann mal weg.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

In der Selbsthilfegruppe Kraft<br />

<strong>und</strong> Hoffnung schöpfen<br />

B. Knye-Neczas (links): Information ist Voraussetzung für<br />

aufgeklärte Patienten. Foto: Privat<br />

Auch ihm diene die Pilgerreise<br />

der Besinnung auf das Woher?<br />

<strong>und</strong> Wohin? seines Lebensweges.<br />

Die Pilgertour sei ihm auch<br />

deshalb wichtig.<br />

Der Pilgerweg ziehe Menschen<br />

<strong>all</strong>er Nationen an. Als Jogger<br />

<strong>und</strong> Marathonläufer macht er<br />

sich auch der sportliche Herausforderung<br />

wegen auf den Weg.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

wirkungen <strong>und</strong> Folgen der<br />

Therapie beeinträchtigen<br />

schließlich zumindest zeitweilig<br />

die Lebensqualität, Inkontinenz<br />

<strong>und</strong> eingeschränkte Sexualität<br />

gehören in der Regel<br />

dazu. In der Gruppe ist es<br />

leichter, Depressionen, seelischen<br />

Beschwerden <strong>und</strong> der<br />

Gefahr eines schweigenden<br />

Rückzugs ins soziale Abseits<br />

entgegenzuwirken. Gemeinsame<br />

Unternehmungen wie<br />

Ausflüge, Wanderungen <strong>und</strong><br />

zwanglose Gespräche mit<br />

Fachleuten „auf Augenhöhe“<br />

helfen beim Umgang mit der<br />

veränderten Lebenssituation,<br />

der letztlich schwerer wiegt als<br />

die Erkrankung selbst. K. W.<br />

Seine Vorbereitungen sind abgeschlossen.<br />

- Gute Wiederkehr.<br />

J. Hennig, Foto: Archiv


Wenn bei Claus Hofmann<br />

das Telefon klingelt,<br />

beginnen die Gespräche<br />

meistens mit: „Ich hab’ da mal<br />

eine Frage.“ oder „Bin ich<br />

hier richtig?“ Mit ihm ist jeder<br />

richtig verb<strong>und</strong>en, der Auskunft<br />

über die Selbsthilfegruppe<br />

Harnblasentumor<br />

Thüringen sucht. Zum Selbsthilfetag<br />

war er mit seinen Jenaer<br />

Fre<strong>und</strong>en Ansprechpartner<br />

für Interessierte.<br />

„Es ist interessant, wie unterschiedlich<br />

Männer <strong>und</strong> Frauen<br />

mit dem Thema umgehen“,<br />

sagte er mir, als ich mich<br />

für seine Arbeit interessierte.<br />

„Frauen kommen meist unbefangen<br />

<strong>und</strong> direkt mit ihren<br />

SHG Harnblasentumor<br />

Thüringen<br />

Informationen:<br />

www.harnblasentumorthueringen.de<br />

KONTAKT:<br />

Claus Hofmann,<br />

Tel./ Fax: 03643 – 500370<br />

Nächste Zusammenkunft:<br />

Mittwoch, dem 13.Januar<br />

2010, um 17.00 Uhr im<br />

Evangelischen GemeindezentrumAugust-Bebel-Straße<br />

17 in Jena<br />

Oberstes Prinzip ist stets Diskretion<br />

<strong>und</strong> Vertraulichkeit.<br />

○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○<br />

Durch Wissen Mut machen <strong>und</strong><br />

Betroffenen Kraft geben<br />

Hofmann: „Hier sehen wir für unsere vertraulichen SHG-<br />

Arbeit einen wichtigen Ansatzpunkt: Mut zu machen <strong>und</strong><br />

Kraft zu geben durch Wissen.“ Foto: Michael Quicker<br />

Fragen auf mich zu. Männer<br />

schauen mit mehr als gebührendem<br />

Sicherheitsabstand<br />

auf die ausgelegten Handreichungen.<br />

Das Thema ist eben<br />

eines der Tabu-Themen.“<br />

Herr X war in der Hinsicht<br />

eine Ausnahme. Er formulierte<br />

seine Fragen direkt: „Blasentumore,<br />

wie entstehen<br />

die?“<br />

Hofmann: „Die Ursachen<br />

sind unbekannt. Es gibt aber<br />

Risikofaktoren. Dazu gehören<br />

z.B. Rauchen, Belastung<br />

des Organismus durch verschiedene<br />

Aromen <strong>und</strong> Chemikalien<br />

sowie Medikamentenmissbrauch.<br />

Nicht jeder<br />

Tumor ist bösartig. Krebs<br />

kann nur ein Arzt diagnostizieren.<br />

Blasenkrebs tritt am<br />

häufigsten zwischen dem 60.<br />

<strong>und</strong> dem 70. Lebensjahr auf.<br />

Männer sind davon drei Mal<br />

so häufig betroffen wie Frauen.<br />

Bei Männern ist Blasenkrebs<br />

nach Prostata-, Darm<strong>und</strong><br />

Lungenkrebs die dritthäufigste<br />

Krebsform.“<br />

Herr X: „Welche Achtungszeichen<br />

sind gesetzt?“<br />

Hofmann: Wenn sich der<br />

Urin durch Blut verfärbt - sei<br />

es auch nur zeitweise oder<br />

leicht - ist das ein ernsthaftes<br />

Krankheitssymptom, dessen<br />

Ursache ohne Zeitverzug<br />

durch einen Arzt abzuklären<br />

ist. Frühe Diagnosen verbes-<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

sern die Heilungschancen<br />

deutlich - auch für den F<strong>all</strong><br />

einer Krebsdiagnose.<br />

Weitere Symptome können<br />

sein: Schmerzen, Brennen<br />

während des Wasserlassens,<br />

Harndrang. Jede „chronische<br />

Harnblasenentzündung“ im<br />

Alter ist dabei verdächtig.<br />

Herr X: „Wie werden<br />

Harnblasentumore behandelt?“<br />

Hofmann: Die Behandlung<br />

des Harnblasentumors<br />

ist in einer für uns Laien<br />

nahezu unüberschaubaren Variantenzahl<br />

möglich - operativ<br />

<strong>und</strong> nichtoperativ. Es ist <strong>und</strong><br />

bleibt Aufgabe des Arztes, in<br />

Abstimmung mit dem Patienten<br />

die jeweils optimale Therapie<br />

zu bestimmen.<br />

Aber Betroffene wollen oft<br />

mehr wissen, als in dem sachlich<br />

nüchternen, vielfach von<br />

Zeitknappheit bestimmten<br />

ArztPatientenVerhältnis zu<br />

übermitteln ist. Hier sehen wir<br />

für unsere SHG Arbeit einen<br />

wichtigen Ansatzpunkt: Mut<br />

zu machen <strong>und</strong> Kraft zu geben<br />

durch Wissen. Wir empfehlen,<br />

möglichst zeitnah nach<br />

der Diagnose den Kontakt zu<br />

einer Selbsthilfegruppe zu suchen.<br />

Mir ist sie wichtige Ergänzung<br />

der ärztlichen Behandlung.<br />

J. Hennig<br />

NS. Wer Herr X denn wirklich<br />

ist, muss am Ende nicht<br />

wirklich interessieren. Oder?<br />

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7


Kontakt: - Telefon: 38 707 18 - Sprechzeiten: Di. 10-12 Uhr, Mi. 15-17 Uhr <strong>und</strong> Do. 13-15 Uhr<br />

8<br />

NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Selbsthilfe<br />

Wenn Probleme schwer lasten, tut re<br />

den gut. Doch wo der Partner fehlt,<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e weit weg sind, mit wem will<br />

man dann reden? Und wie den Tag füllen?<br />

Wie endlich mal den Kopf freikriegen<br />

von den drückenden Problemen?<br />

Kontaktmöglichkeiten <strong>und</strong> Beratung speziell<br />

bei psychischen Krankheiten <strong>und</strong> Lebenskrisen<br />

bietet das Zentrum für seelische<br />

Ges<strong>und</strong>heit in der Neugasse 13.<br />

Ob selbst betroffen, oder ratsuchend<br />

wegen der Not eines Nahestehenden - in<br />

der Begegnungsstätte der Diakonie finden<br />

wir Rat <strong>und</strong> Hilfe, stehen uns die Mitarbeiter<br />

tätig zur Seite. NOTausgang suchte<br />

das Gespräch mit Ulrike Senge, Leiterin<br />

der Einrichtung.<br />

„Wir sind ein offenes Angebot“, sagt Frau<br />

Senge. „Durch die zentrale Lage unseres<br />

Hauses sind wir für Betroffene <strong>und</strong> Interessierte<br />

gut zu erreichen. Das ist wichtig.<br />

Psychisch Erkrankte <strong>und</strong> Menschen in<br />

Lebenskrisen brauchen Hilfe oft sofort,<br />

individuell – gewissermaßen maßgeschneidert.“<br />

Wer (einfach nur) Kontakte sucht, der findet<br />

im Café 13 oder einer der Gruppen<br />

seinen Platz. Die Gesprächsgruppen bieten<br />

Diskussion <strong>und</strong> Austausch ähnlich wie<br />

in der Selbsthilfe, jedoch unter der Anleitung<br />

eines ausgebildeten Mitarbeiters, orientieren<br />

auf Aktivität <strong>und</strong> Kreativität.<br />

Den individuellen Lebensweg finden<br />

„Wer sich auf seine<br />

Probleme konzentriert,<br />

wird<br />

blind für seine<br />

Möglichkeiten. Unsere<br />

Arbeit versucht,<br />

den Blick<br />

nach außen zu führen“,<br />

erklärt Frau<br />

Senge. „Wer zu uns<br />

kommt, der kann<br />

sich einbringen <strong>und</strong><br />

gemeinsam mit anderen<br />

Sinnvolles<br />

tun. Wir wollen die Kräfte in dem Menschen<br />

stärken <strong>und</strong> ihm helfen, seine Umwelt<br />

für sich zu nutzen.“ Das Kontaktcafé<br />

ist täglich geöffnet <strong>und</strong> eine Vielzahl von<br />

Angeboten richtet sich an unterschiedliche<br />

Interessen <strong>und</strong> Fähigkeiten.<br />

So wird zum Beispiel in der Kochgruppe<br />

gemeinsam eingekauft <strong>und</strong> Essen zubereitet.<br />

Ein Stück Alltag kehrt zurück. Und<br />

was besonders wichtig ist: das Gefühl,<br />

gebraucht zu sein. Manche der Besucher<br />

organisieren ehrenamtlich ihre eigenen<br />

Angebote, so das Frühstücks- <strong>und</strong> Strickcafé,<br />

den Skattreff, das Seidenmalen sowie<br />

die Schreibwerkstatt.<br />

Für schwierige Fragen gibt es das Einzelgespräch.<br />

„Der Berater kann dabei unterstützen,<br />

Probleme klarer zu erkennen <strong>und</strong><br />

passende Hilfe anzubieten. Damit sind<br />

aber keine festen Antworten gemeint.<br />

Ulrike Senge zu den Selbsthilfetagen<br />

2009 im Informationsgespräch mit einem<br />

interessenten Besucher.<br />

Foto: M. Quicker<br />

Unsere Begleitung soll helfen, den individuellen<br />

Lebensweg zu finden. Wir sind<br />

von der Frage geleitet: Was braucht der<br />

Mensch - was sucht er? Wir vereinbaren<br />

kurzfristig ein Erstgespräch.“<br />

Wer sich so beraten mit sich selbst auseinandersetzt,<br />

der kann neue Ressourcen <strong>und</strong><br />

Impulse entdecken. Der ist mit den drückenden<br />

Problemen nicht mehr <strong>all</strong>eine, ist<br />

sich Frau Senge sicher. „Ziel unserer Bemühungen<br />

ist <strong>all</strong>es zu fördern, was zu<br />

Wohlbefinden <strong>und</strong> einem guten Leben zu<br />

führen vermag, um so auch mit der<br />

Krankheit gut zu leben.“<br />

Tilman Hesse<br />

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Hilfe für Opfer von Straftaten<br />

Ein lautes Klingeln durchbricht die<br />

Stille in der behaglichen Wohnung<br />

in Jena. Monika Prager eilt an das<br />

Telefon. Am anderen Ende der Leitung<br />

ist eine aufgeregte Stimme zu vernehmen.<br />

Völlig aufgelöst erzählt eine Rentnerin<br />

von einem Diebstahl. Beruhigend redet<br />

Monika Prager auf die Frau ein.<br />

Langsam wird diese ruhiger. Sie kam<br />

vom Einkauf. Dann war da dieser<br />

fre<strong>und</strong>liche junge Mann. Er wolle ihr<br />

helfen die schwere Tasche in den 3. Stock<br />

zu tragen, so der Mann. Ich habe mich<br />

darüber sehr gefreut, erzählt unter<br />

Tränen die Frau. Erst in ihrer Wohnung<br />

habe sie dann bemerkt, dass die<br />

Geldbörse verschw<strong>und</strong>en war. Dabei<br />

habe sie diese doch immer vorne in ihrer<br />

Tasche stecken. Als sie an der Haustür<br />

den Schlüssel rausholte, war sie noch da.<br />

Trotz intensiver Suche in der Wohnung<br />

<strong>und</strong> im Treppenhaus blieb die Geldbörse<br />

verschw<strong>und</strong>en. Kein Zweifel, der<br />

„hilfsbereite“ junge Mann hatte der<br />

Rentnerin die Geldbörse gestohlen.<br />

Das sei kein Einzelf<strong>all</strong>, meint Monika<br />

Prager. Es komme oft vor, dass sich<br />

betrogene Senioren bei uns melden. Seit<br />

mehreren Jahren ist die 63-Jährige als<br />

Außenstellenleiterin des WEISSEN<br />

RINGS in Jena tätig. Im Jahre 1976<br />

wurde der Verein in Deutschland<br />

gegründet. Zu den Gründern zählte auch<br />

der bekannte Fernsehjournalist Eduard<br />

Monika Prager <strong>und</strong> Ingrid Illert<br />

Zimmermann, bekannt aus der Sendung<br />

„Aktenzeichen XY... ungelöst“. Die<br />

Außenstelle in Jena gibt es seit 1993.<br />

Seitdem helfen acht Mitarbeiter<br />

ehrenamtlich den Opfern von<br />

Kriminalität. Die Hilfe reiche vom<br />

menschlichen Beistand <strong>und</strong> persönlicher<br />

Betreuung nach einer Straftat, Begleitung<br />

zu Gerichtsterminen, Hilfestellung im<br />

Umgang mit Behörden bis zur<br />

finanziellen Unterstützung, erklärt<br />

Prager. Weiterhin halten die Mitarbeiter<br />

auch Vorträge in Schulen <strong>und</strong><br />

Seniorenheimen. Auch auf den<br />

jährlichen Selbsthilfetagen in der<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

GoetheGalerie sind wir präsent. Nimmt<br />

ein Kriminalitätsopfer mit uns Kontakt<br />

auf, beraten wir die Person telefonisch<br />

oder treffen uns zu einem Gespräch.<br />

Das Treffen erfolgt dann in der<br />

Wohnung des Opfers oder an einem<br />

neutralen Ort, sagt Prager.<br />

Die zahlenmäßig größte Gruppe von<br />

betreuten Personen waren im<br />

vergangenen Jahr Opfer von sexuellem<br />

Missbrauch. Die zweitgrößte Gruppe<br />

bildeten die Opfer von<br />

Körperverletzungsdelikten gefolgt von<br />

Opfern häuslicher Gewalt. Im<br />

vergangenen Jahr haben wir 37 Opfern<br />

mit 7.146 EURO als Sofort- <strong>und</strong><br />

Opferhilfe helfen können, erzählt stolz<br />

Prager. Weiterhin wurden 19 Schecks für<br />

anwaltliche Beratungen sowie sechs<br />

Schecks für psychologische Beratungen<br />

bereitgestellt.<br />

Mario Jacob (Foto: M. Quicker)<br />

Kontakt<br />

Außenstelle Jena<br />

Monika Prager<br />

Postfach 15 01 17<br />

07743 Jena<br />

Selbsthilfe<br />

Telefon: 03641 222844<br />

E-Mail: weisser-ring-jena@gmx.de<br />

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9


10<br />

NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Zum Geleit<br />

Wir lesen, was wir verstehen<br />

Die Literaturausgabe deutschsprachiger<br />

Autoren zum Jahreswechsel 2009/2010<br />

war eine Premiere für die Straßenzeitungen<br />

in der Schweiz, Österreich<br />

<strong>und</strong> Deutschland. Uns<br />

begleitete im Redaktionsteam<br />

die erwartungsvolle<br />

Spannung,<br />

wie unsere Leserinnen<br />

<strong>und</strong> Leser darauf<br />

reagieren würden. Uns war klar, dass<br />

der schlimmste Schreibfehler in den<br />

Manuskripten niemanden davon abhalten<br />

könnte, das zu lesen, was er kennt<br />

<strong>und</strong> auch versteht.<br />

„Beim Lesen lässt sich vortrefflich denken.“<br />

schrieb Leo Tolstoi in Tagebücher,<br />

1857. Wie wahr. Besonders, wenn wir<br />

heute die Oberlehrerfrage (Was will der<br />

Dichter (Schriftsteller)<br />

uns damit sagen?),<br />

nicht zu ernst oder<br />

wichtig nehmen.<br />

„Die Schrift ist ein<br />

toter Buchstabe, den<br />

nur die Einbildungskraft<br />

<strong>und</strong> der Verstand<br />

des Lesens beleben<br />

kann.“ - Christian Garve, Über Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> Einsamkeit.<br />

Der Leser selbst, so erfuhren wir im<br />

gegenseitigen Austausch über das, was<br />

jeder einzelne für sich aus den Beiträ-<br />

Wri lseen, saw irw keenn,<br />

dvaon hlät red shclimsmte<br />

Srcheibfelher sun thcin ab.<br />

Was willst du schon wieder?<br />

Was willst du schon wieder?<br />

Was willst du schon wieder?<br />

Was willst du schon wieder?<br />

Was willst du schon wieder?<br />

Was willst du schon wieder?<br />

gen gewonnen - herausgezogen hat, erteilt<br />

dem Text seine Wirklichkeit, die<br />

nicht zwangsläufig die des Autors sein<br />

muss. „Der wahre Leser muss der erweiterte<br />

Autor sein.“<br />

finden wir als Notat<br />

Novalis, Vermischte Bemerkungen.<br />

Die Lesefrüchte des<br />

Einzelnen können nie<br />

die Antwort auf die Frage sein, was der<br />

Autor uns sagen wollte. Was ein jeder<br />

dazu aufschreiben kann, ist auch längst<br />

nicht die Essenz dessen, was er daraus<br />

gezogen hat. Es kann immer nur<br />

Schlaglicht sein auf den Kosmos, den<br />

das Wort vor ihm ausbreitet.<br />

Die Wahrheit, heißt es, läge bei Gott.<br />

Wir Menschen haben viele Wahrheiten.<br />

Daran teilzuhaben,<br />

gehört zweifelsfrei zu<br />

den „größten Vergnügungen<br />

der menschlichen<br />

Rasse“, wie<br />

Brecht über das Denken<br />

schrieb. Deshalb<br />

haben wir einige Leser<br />

eingeladen uns aufzuschreiben,<br />

wozu sie die Lektüre der<br />

Beiträge angeregt hat. Bleibt mir, bleibt<br />

uns, Ihnen viel Vergnügen zu wünschen.<br />

Joachim Hennig<br />

Warum wollen kleine Kinder bestimmte<br />

Bilderbücher immer<br />

wieder vorgelesen bekommen? Bis sie<br />

diese auswendig können. Um diese<br />

selbst wieder <strong>und</strong> wieder durchzublättern<br />

<strong>und</strong> sich plötzlich eine eigene<br />

Lesefähigkeit vorzuspielen. Lesefähigkeit<br />

bedeutet Denkfähigkeit, sie<br />

führt zu Handlungsmöglichkeiten <strong>und</strong><br />

ist keineswegs nur Ausdruck simpler<br />

Anpassung.<br />

Einerseits wird die Phantasie geschult,<br />

andererseits die Gestaltung von Welt trainiert.<br />

Es gibt geniale Erfindungen, die nur<br />

um den Preis deutlich erhöhter Aufwendungen<br />

überbietbar sind. Das Rad gehört<br />

dazu <strong>und</strong> das Buch als eine Möglichkeit<br />

des geistigen Fortbewegens.<br />

Es geht um den Erwerb der Sprache <strong>und</strong><br />

um die Beherrschung der Schrift. Oder<br />

kann eine funktionierende Demokratie auf<br />

Dauer ein Heer von Analphabeten ertragen?<br />

Die Schrift braucht ihren sinnlichen erlebbaren<br />

Auftritt, <strong>und</strong> das Buch ist ihre kultivierteste<br />

Erscheinungsform. Es stellt die<br />

Schrift in einen Raum, gibt ihr körperliche<br />

Gestalt - eine, die nicht per Knopfdruck<br />

auszulöschen ist. Das Buch verlangt nach<br />

Dauer, weil das, was der Mensch denkt<br />

<strong>und</strong> schreibt, wichtig sein kann. Es ist ein<br />

Halt, nicht nur für die Finger, die das Papier<br />

spüren <strong>und</strong> die Nase riecht es<br />

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vielleicht. Das Buch spricht verschiedene<br />

Sinnesorgane an, <strong>und</strong> das Bilderbuch verknüpft<br />

die hoch abstrakten Schriftzeichen<br />

mit dem bildnerischen Schaffen des Illustrators.<br />

So werden Werte vermittelt, lange bevor<br />

sie in der Schule vorkommen. Das Buch<br />

lehrt auch einen sorgsamen Umgang mit<br />

Material, wenn man es ein zweites oder<br />

ein zwanzigstes Mal lesen will. Es weckt<br />

den Ehrgeiz, weitere Bücher zu lesen. Und<br />

so lange in <strong>unseren</strong> Buchhandlungen noch<br />

Tausende von Büchern in Stapeln von 50<br />

Exemplaren aufgestellt locken - <strong>und</strong> nicht<br />

nur 50 Bücher in Tausenden von Kopien<br />

zum Kauf verführen, stellt der Buchmarkt<br />

einen Platz dar, der zu Individualität, Persönlichkeit<br />

<strong>und</strong> Eigensinn anregt. Denn ein<br />

Buch wird ja nicht von zwei Menschen<br />

auf die gleiche Art gelesen, es regt an zum<br />

Gespräch.<br />

Bücher sind Schlüssel zur Welt. Sie wecken<br />

Neugier <strong>und</strong> befriedigen diese, sie führen<br />

eine vielschichtige Realität sortiert vor: zu<br />

einem guten Ende oder einem nicht so<br />

guten, mit dem sich aber weiterleben lässt.<br />

Anders als in der oft unkontrolliert auf<br />

die Kinder eindringenden konkurrierenden<br />

Bilderflut des Fernsehens führen Bücher<br />

die Welt übersichtlich <strong>und</strong> gestaltbar<br />

vor, aber dennoch vielschichtig. Das Kind<br />

kann eine Seite zurückschlagen <strong>und</strong> nach<br />

Belieben entscheiden, wie lange es ein Bild<br />

<strong>und</strong> wie oft betrachtet. Über ihre Bücher<br />

denken die jungen Nutzer nicht einfach<br />

nach, sie leben <strong>und</strong> träumen sie neu. Das<br />

Erlebnis Bücher lesen zu können, macht<br />

unabhängiger <strong>und</strong> freier. Pathetisch verkürzt<br />

verschafft es eine Art von Freiheit.<br />

Es ist kein Zuf<strong>all</strong>, dass die schwierigen sozialen<br />

Milieus auch die bilderbucharmen<br />

sind. Spielzeugferne Kindheiten (<strong>und</strong> das<br />

Buch ist die anspruchvollste Art des Spielzeugs)<br />

verbauen Heranwachsenden früh,<br />

lustvolles Lernens zu trainieren: Eine<br />

Organisationsfähigkeit für das Erleben, die<br />

weiter führt, angetrieben von einer Neugier<br />

zu agieren statt nur auf Angebote zu<br />

reagieren. Das unterscheidet Lesen vom<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

Lutz Rathenow,<br />

Lutz Rathenow<br />

Warum Vorlesen so wichtig ist<br />

Einschalten des Fernsehens. Und wer das<br />

selbstbewusste Agieren nicht gelernt hat,<br />

für den wird das Spiel mit der Programmbedienung<br />

des Fernsehers oft zum prägenden<br />

frühkindlichen Aktivitätsmuster.<br />

Lesen ist Sozialisierung, damit eine Resozialisierung<br />

gar nicht erst nötig wird.<br />

© 2009 Deutschlandradio<br />

1952 in Jena geboren,<br />

Studium Germanistik/Geschichte.<br />

Kurz<br />

vor dem Examen ‘77<br />

aus politischen Gründen<br />

von der FSU ausgeschlossen.<br />

1977 Übersiedlung nach<br />

Westberlin. Knapp 15. 000 Seiten Stasi-<br />

Akten zeugen von Aktivitäten <strong>und</strong> Repressalien<br />

gegen ihn. Rathenow ist Lyriker, Essayist,<br />

Kinderbuchautor, Satiriker, Kolumnist.<br />

Zusammen mit Harald Hauswald (Fotografie)<br />

schrieb er den erfolgreichen Foto-<br />

Text-Band „Ost-Berlin - Leben vor dem<br />

Mauerf<strong>all</strong>“ (Jaron Verlag, 2005, englisch/<br />

deutsch, 4. erweiterte Auflage 2008). Neue<br />

Bücher: „Ein Eisbär aus Apolda“ (Kindergeschichten.<br />

2006), „Im Lande des<br />

Kohls - Eine Groteske“ Edition Bunteh<strong>und</strong>e,<br />

Regensburg (2008), „Gelächter,<br />

sortiert“ Verlag Ralf Liebe, Herbst 2008,<br />

„Der Liebe wegen“ - Ein Wende-Buch<br />

Edition Bunteh<strong>und</strong>e 2009.<br />

Foto: Dr. Dwars<br />

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NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Dr. Martin Straub<br />

Keine Feiertagsgedichte<br />

Es ist eine Eigenart von Lutz Rathenows<br />

Gedichten, dass sie aus <strong>all</strong>täglichem<br />

Erleben, Eindrücken <strong>und</strong> Stimmungen<br />

wachsen. Und manchmal hat man den<br />

Eindruck, er sagt sich, da schreib ich nun<br />

mal keine Kolumne oder einen Zeitungsartikel,<br />

sondern ich verdichte das Ganze<br />

in Versen. Rathenow ist ein kritischer Kopf.<br />

In der Weihnachtsausgabe des „NOTausgang“<br />

steht zu Beginn seiner lyrischen Beiträge<br />

natürlich ein Weihnachtsgedicht. Aber<br />

da ist dann auch gar nichts von Tannenduft<br />

<strong>und</strong> „süßer die Glocken nie klingen“<br />

12<br />

Gedanken zu:<br />

Lutz Rathenow,<br />

„Gelächter sortiert“<br />

zu lesen. Viel eher von Geschäftsgebaren<br />

<strong>und</strong> Sparzwängen, die die eigentliche Botschaft<br />

des Festes auf den Kopf stellen.<br />

Unwillkürlich ist man an Heinrich Bölls<br />

satirische Geschichte „Nicht nur zur Weihnachtszeit“<br />

erinnert. Hat dieses erste Gedicht<br />

noch einen heiteren Gr<strong>und</strong>ton, wird<br />

Rathenow im zweiten zum bösen Satiriker<br />

<strong>und</strong> Sprachkritiker. Der Mensch als<br />

„Kostenfaktor“. Die aktuellen Diskussionen<br />

kennen wir zur Genüge. Rathenow<br />

lässt sie in dem Wortungeheuer „Kostenfaktorenminderungsangebot“<br />

gipfeln.<br />

„Anzustreben sei die Unterbringung/ be-<br />

Umschlagbild zum Gedichtband von<br />

Lutz Rathenow<br />

Gelächter, sortiert.<br />

Gedichte<br />

Ralf Liebe, Weilerswist 2008.<br />

Ihm sind die besprochenen Gedichte<br />

entnommen.<br />

stattungsnah“. Vielleicht fragt da einer,<br />

dem das Lachen im Halse stecken bleibt,<br />

darf der das? Natürlich darf er! Wie so<br />

oft löckt der Dichter wider den Stachel.<br />

Glücklicher Weise hat er seine Unehrerbietigkeit<br />

behalten. Wohl wissend, dass wir<br />

nicht in der besten <strong>all</strong>er Welten leben.<br />

Sichtlich soll der Leser aufgeschreckt werden.<br />

So auch im dritten Gedicht, „geschrieben<br />

nach einem Besuch von Hitlers<br />

Bergfestung, zufällig am ehemaligen Feiertag<br />

eines wegvereinigten Staates“. Da erinnert<br />

einer vereinigungsselige <strong>und</strong> -unselige<br />

Menschen an die Vorgeschichte <strong>und</strong><br />

schiebt damit das darüber liegende Geröll<br />

zur Seite.<br />

Rathenows Lyrik liebt nicht den hehren<br />

Ton. Vielleicht gibt es ja so etwas wie eine<br />

publizistische Lyrik. Ich weiß, bei diesem<br />

Begriff stehen manchem die Haare zu<br />

Berge. Doch nicht wenige seiner Gedichte<br />

haben eine Nähe zu einer pointierten<br />

Kurzprosa. Mit seinen Worten „in <strong>und</strong> an<br />

<strong>und</strong> auf die Zeit“ will er mit seinen Lesern<br />

in Zwiesprache treten, <strong>und</strong> das „nicht<br />

nur zur Weihnachtszeit“.<br />

Martin Straub,<br />

Dr. phil.,<br />

Germanist,<br />

ehrenamtlicher<br />

Geschäftsführer des Lese-Zeichen e.V.,<br />

Förderverein des Thüringer Schriftstellerverbandes.<br />

Ohne Lesen nichts gewesen.<br />

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Beim ersten Lesen schoss es mir durch<br />

den Kopf: Da wäre ich auch gern<br />

dabei gewesen, inmitten dieser jungen,<br />

gebildeten Leute, beim Experimentieren<br />

auf der Suche nach dem Weg durchs Leben.<br />

Wann lassen sich Gefühle schon intensiver<br />

ausleben, die bestehenden gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse aggressiver<br />

infrage stellen, als in den jungen Lebensjahren?<br />

Locker, leicht <strong>und</strong> beschwingt in<br />

den Tag hinein zu leben, für sein Tun<br />

nicht bis zur letzten Konsequenz verantwortlich<br />

sein zu müssen, das gehört wohl<br />

zu den ewigen Vorrechten der Jugend.<br />

Gedanken zu:<br />

Peter O. Chotjewitz,<br />

„Hommage à Frantek“<br />

Die Blüte der Hippiezeit, das von Studenten<br />

entfesselte Aufbegehren gegen ein<br />

verkrustetes Establishment – dieser von<br />

Pit Chotjewitz reflektierte Geist der<br />

Sechzigerjahre ist mir schon in Erinnerung.<br />

Der Aufforderung des alten Frantek<br />

an seine jungen Fre<strong>und</strong>e, sich die Welt<br />

anzusehen, wäre ich freilich auch gern<br />

gefolgt. Doch der „Eiserne Vorhang“<br />

entstand in eben dieser Zeit <strong>und</strong> war fast<br />

vierzig Jahre lang, im Unterschied zur<br />

Begrenzung des Friedhofes im Prosastück,<br />

unüberwindbar.<br />

Beim zweiten Lesen kam mir der Gedanke:<br />

Das Leben wiederholt sich, un-<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

Konrad Wendt<br />

Da wäre ich auch gern dabei gewesen<br />

beschwerte Jugend mündet in seniles<br />

Alter. Jedes Alter hatte seine Jugend <strong>und</strong><br />

so unterschiedlich ist Beides wohl<br />

letztendlich gar nicht. Spricht nicht die<br />

<strong>all</strong>morgendliche Huldigung des alten<br />

Frantek zum König für einen Gleichklang<br />

der Gefühle? Der Alte fühlt sich<br />

geborgen <strong>und</strong> erinnert sich seiner Jugend<br />

beim anschließenden Spazieren zwischen<br />

den Grabsteinen. Die Jungen umsorgen<br />

ihn liebevoll, weil er sie gewähren lässt.<br />

Seine Ratschläge, hinaus in die Welt zu<br />

gehen, entstammen seiner eigenen Erfahrung,<br />

wie Neues <strong>und</strong> Unbekanntes<br />

das Eigene bereichert, produktiven Wi-<br />

derspruch befördert. Zum letzten Besuch<br />

empfängt Frantek seine Gäste<br />

erstmals durchs Tor – wie nicht zuletzt<br />

durch widerständiges Verhalten vieler<br />

junger Menschen inzwischen aus einem<br />

Loch im „Eisernen Vorhang“ auch für<br />

mich ein „Tor zur Welt“ in <strong>all</strong>e Himmelsrichtungen<br />

geworden ist.<br />

Allen möge es gut gehen – so könnte<br />

die Botschaft der Geschichte lauten. Ob<br />

dieser Traum jemals Wirklichkeit werden<br />

kann? Frei nach dem Ernesto Che<br />

Guevara zugeschriebenen Ausruf: „Seien<br />

wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!“?<br />

Konrad Wendt<br />

Qualitätskontrolleur,<br />

geboren in Jena, 58<br />

Jahre alt. Mitglied des<br />

ehrenamtlichen Redaktionsteams<br />

seit<br />

2001.<br />

Lesen ist für mich auch ein Blick<br />

zwischen die Zeilen.<br />

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14<br />

NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Dr. Erika Block<br />

Weil es die Norm so verlangt?<br />

Die Art, wie der Autor seinen Helden<br />

minutiös in seinen Überlegungen begleitet,<br />

zwingt den Leser , sich in ihn hineinzudenken.<br />

Ich glaube, dieser Passant gehört sicher zu<br />

denen, die bei anonymen Spendenaktionen<br />

bereitwillig etwas geben, obwohl nur<br />

<strong>all</strong>zu oft dubiose Praktiken bekannt wurden<br />

, dass die Gelder die Bedürftigen gar<br />

nicht erreichten. Aber hier, wo er ganz<br />

konkret dem Betroffenen gegenübersteht,<br />

schaltet sich plötzlich etwas dazwischen,<br />

was ihn zögern lässt. Zwischen den spontanen<br />

Impuls helfen zu wollen <strong>und</strong> die Tat<br />

tritt die Frage: Was werden meine Mitmenschen<br />

von mir denken, wenn sie mich<br />

hier sehen?<br />

Gedanken zu: Martin Suter,<br />

„Decision Making“<br />

Und hier liegt für mich das eigentliche<br />

Problem: Er kann eben nicht davon ausgehen,<br />

dass seine fre<strong>und</strong>liche Hilfe gutgeheißen<br />

wird. In der erzählten Episode<br />

kommen dem Helden eine ganze Reihe<br />

Bedenken. Alle kreisen aber um den Kern,<br />

wo sein Stand in der Gesellschaft ist.<br />

Durch die Annäherung an die Ärmsten,<br />

<strong>und</strong> sei es auch nur so eine kleine öffentliche<br />

Geste, glaubt er sein Ansehen gefährdet<br />

in seinen Kreisen. Der Egoismus triumphiert<br />

über das einfach Menschliche,<br />

nicht weil er einen schlechten Charakter<br />

hat, sondern weil die vom Geld diktierte<br />

Norm es so verlangt.<br />

In unserer Geschichte geht eine Frau auf<br />

den Zeitungsverkäufer zu <strong>und</strong> spricht mit<br />

ihm. Aber anstatt dies als Beispiel anzunehmen,<br />

gibt es dem Helden den verzweifelt<br />

gesuchten Vorwand, sich aus der ihm<br />

peinlichen Situation zu befreien. Dabei ist<br />

das wirklich Peinliche die versagte Hilfe.<br />

Und nicht genug damit, demonstriert er<br />

auch noch eine arrogante Haltung.<br />

Dass er sich nicht mit „denen da unten“<br />

gemein machen möchte, sei eben doch<br />

etwas dem Menschen Innewohnendes , im<br />

Gr<strong>und</strong>e eine Verteidigungshaltung, mag da<br />

mancher denken. Aber es gibt gesellschaftliche<br />

Bedingungen, die ein solches Verhalten<br />

begünstigen. Es muss also darum gehen,<br />

eine Gesellschaft zu gestalten, die auch<br />

in der Überwindung von Arbeitslosigkeit<br />

ein wichtiges Ziel sieht.<br />

Dr. Erika Block<br />

Jahrgang<br />

1947.<br />

Studium der<br />

Literaturwissenschaft,<br />

1975 Promotion.<br />

Mitarbeiterin<br />

in der Lehrerausbildung<br />

an der Friedrich-<br />

Schiller-Universität Jena, im Kulturb<strong>und</strong>,<br />

an der Fachschule für Bibliothekare<br />

in Erfurt <strong>und</strong> an der<br />

Volkshochschule Apolda.<br />

Interessen: Malen, Leiterin des<br />

Apoldaer Amateurtheaters.<br />

Lesen ist für mich das Korrespondieren<br />

zwischen eigener<br />

<strong>und</strong> fremder Erfahrung, wodurch<br />

sich mein Horizont erweitert.<br />

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Kennen sie das auch? Sie haben eine<br />

Verabredung nur um Minuten<br />

verpasst, <strong>und</strong> schon werden sie konfrontiert<br />

mit seltsamen Blicken, komischen<br />

Bemerkungen,<strong>und</strong> dem Gefühl,<br />

etwas sehr Schlimmes wäre gerade<br />

passiert.<br />

Mir ist das schon häufiger passiert.<br />

Ganz ohne Absicht natürlich. Trotzdem<br />

hatte ich dann oft ein schlechtes<br />

Gewissen, fühlte mich schuldig, ja sah<br />

mich zu einer Rechtfertigung gedrängt.<br />

Und das beste dabei: <strong>all</strong> das waren<br />

nicht einmal berufliche Termine, sondern<br />

diese entsetzlichen Vorkommnisse<br />

passierten auch in der Familie oder<br />

bei Fre<strong>und</strong>en. Mich hat das zum Nach-<br />

Gedanken zu: D. Glattauer,<br />

„Sich-tum Austria“<br />

denken gebracht. Bin ich wirklich so<br />

unpünktlich? Habe ich die falschen<br />

Fre<strong>und</strong>e? Oder ist Deutschland<br />

vielleicht einfach ein Land von Zeitfanatikern?<br />

Immer mehr tendiere ich zur letztgenannten<br />

Antwort. Wie viele SMS habe<br />

ich schon geschrieben, „komme 5<br />

Minuten später“. Wie viele Anrufe gab<br />

es, wo ich bleiben würde, nur eine<br />

Minute nach der Zeit? Leider kann ich<br />

mich nicht mehr erinnern, wie Verab-<br />

redungen früher, bevor es „Handys“<br />

gab, getätigt wurden.<br />

Es muss wirklich sehr schwierig gewesen<br />

sein, dieses früher. Heute kostet<br />

es mich ziemliche Anstrengen den<br />

Atem ruhig zu halten, wenn ich wieder<br />

so eine seltsame Spitze höre, zwei<br />

Minuten nach. Oder verstehe ich nur<br />

den Humor nicht?<br />

Ich träume von Ländern, wo nicht dieser<br />

Stress herrscht. Wo Fre<strong>und</strong>e sich verabreden<br />

„bis morgen“, <strong>und</strong> wo niemand<br />

auf die Sek<strong>und</strong>e pünktlich ist.<br />

Für mich ist das jedenf<strong>all</strong>s keine gute<br />

deutsche Tugend, sondern ein deutscher<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

Tilman Hesse<br />

Unpünktlich unter Fre<strong>und</strong>en<br />

Fluch. Vielleicht sollte ich nach Österreich<br />

ziehen? Dort scheint das lockerer<br />

als hier zu laufen. Dort wird nicht nach<br />

Gründen geforscht <strong>und</strong> die Schwere der<br />

Schuld genauestens vermessen. Dort sagt<br />

man ganz einfach: „Es hat sich halt nicht<br />

ausgegangen.“ Das finde ich deutlich<br />

sympathischer als das deutsche Gegenstück:<br />

„Wer zu spät kommt, den bestraft<br />

das Leben.“<br />

Tilman Hesse<br />

Jahrgang<br />

1979.<br />

Abitur,<br />

selbstständig<br />

im<br />

Bereich<br />

Medien <strong>und</strong><br />

Videos für<br />

private <strong>und</strong> gewerbliche<br />

Internetpräsentationen<br />

Interessen:<br />

Politik, Musik <strong>und</strong> Ausgehen<br />

Lesen ist für mich<br />

eine prima Möglichkeit,<br />

auch mal die eigene Meinung<br />

zu ändern.<br />

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16<br />

NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Mario Jacob<br />

Die Hoffnung stirbt zuletzt<br />

Da sitzt er nun, der Funker. Alleine in<br />

seiner Funkkabine <strong>und</strong> blättert in alten<br />

Zeitungen. Er wartet, dass irgend was<br />

passiert. Dass sich eine Stimme meldet.<br />

Doch nichts passiert. Niemand meldet sich<br />

auf dem Funkkanal. Dabei erwartet er<br />

doch so sehnsüchtig ihre Stimme zu hören.<br />

Doch schon seit langem meldet sie<br />

sich nicht mehr. Weiß der Teufel, warum<br />

sie sich nicht meldet. Früher hat er jeden<br />

Tag mit ihr gesprochen. Das ist nun schon<br />

lange her. Monate schon. Viel zu lange, findet<br />

der Funker. Hat er was falsch gemacht?<br />

Irgend ein falsches Wort? Irgend was, das<br />

sie missverstanden haben könnte? Er weiß<br />

es nicht. Wenn sie sich doch wieder melden<br />

würde. Nur einmal. Dann könnte er<br />

sie fragen, was los ist.<br />

Selbst die Gespräche mit den anderen<br />

Funkern haben jetzt irgendwie keinen Sinn<br />

mehr. Früher hat er sich doch so auf die-<br />

Gedanken zu: Arno Geiger,<br />

„Der Funker“<br />

se gefreut. Gleichgesinnte unter sich. Gespräche<br />

über die neueste Funktechnik <strong>und</strong><br />

über Gott <strong>und</strong> die Welt. Ja, das war früher..<br />

Jetzt werden mich die anderen Funker<br />

bedauern. Nein, nicht bedauern. Lachen<br />

werden sie über mich. Dabei hätten<br />

sie doch auch gerne mit ihr gesprochen.<br />

So wie er. Doch sie hat nur mit ihm geredet.<br />

Das hat sie bestimmt geärgert. Wenn<br />

sie ihn sehen könnten, wie er hier sitzt <strong>und</strong><br />

wartet. Ja, lachen würden sie. Aber sie lachen<br />

nur, weil sie ihm das nicht gegönnt<br />

haben. So sitzt er da <strong>und</strong> macht sich seine<br />

Gedanken. Die Gedanken des einsamen<br />

<strong>und</strong> hoffenden Funkers.<br />

Sie ist doch nur eine Frau, mit der er sich<br />

nett unterhalten hat. Man lag einfach auf<br />

einer Wellenlänge. Das ist doch nicht neu.<br />

Das hat er doch schon öfters erlebt. Man<br />

spricht über dies <strong>und</strong> das. Lacht <strong>und</strong><br />

scherzt zusammen. Jeden Tag auf ein<br />

Neues. Bis dann irgendwann einer sich<br />

nicht mehr meldet. Dann findet man einen<br />

neuen Gleichgesinnten. Das kennt er<br />

doch. Und das will er doch. Deswegen<br />

sitzt er doch jeden Tag vor dem Funkgerät.<br />

Doch bei ihr war es anders. Er wollte,<br />

dass die täglichen Gespräche nicht aufhörten.<br />

Hatte er sich etwa verliebt? In einen<br />

Menschen, von dem er nur die Stimme<br />

kennt. Geht so was überhaupt? Wenn sie<br />

sich doch noch nur einmal melden würde...<br />

Hat denn nicht schon jeder von uns einmal<br />

so gefühlt wie der Funker? Wenn man auf<br />

etwas wartet, was einfach nicht kommt.<br />

Nicht immer muss es hierbei um eine Frau<br />

gehen. Allein eine ausbleibende Nachricht<br />

von Fre<strong>und</strong>en, Familienangehörigen oder<br />

auch im Beruf reichen da schon aus. Dieses<br />

Gefühl von Hilflosigkeit, enttäuschter<br />

Erwartung <strong>und</strong> Misstrauen. Dieses Gefühl<br />

von unendlichem Hoffen. Am Anfang ist<br />

Anzeige<br />

es noch so voll positiver Energie. Doch<br />

so langsam kommt ein Gefühl von missbrauchtem<br />

Vertrauen auf. Nach einiger<br />

Zeit fühlt man dann nur noch Misstrauen<br />

<strong>und</strong> Unverständnis. Genauso fühlt der<br />

Funker. Wie er da so <strong>all</strong>eine vor seinem<br />

stummen Funkgerät sitzt. Und doch hört<br />

er nicht auf zu hoffen. Vielleicht meldet<br />

sie sich ja noch. So sitzt er <strong>und</strong> wartet <strong>und</strong><br />

hofft... Vielleicht ist der Funker einfach nur<br />

so wie wir <strong>all</strong>e. Einfach nur menschlich.<br />

Wie sagt doch ein altes Sprichwort: Die<br />

Hoffnung stirbt zuletzt.<br />

Mario Jacob,<br />

Jahrgang 1971,<br />

Abitur 1991,<br />

Studium Betriebswirtschaftslehre<br />

(1993/94),<br />

Rechtswissenschaften<br />

(1994 - 2004)<br />

an der FSU.<br />

Ohne Lesen fehlt mir<br />

ein Stück Lebensqualität.<br />

Lesen ist für mich<br />

ein wahrer Genuss.<br />

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„Am Anfang war das Wort…“ (Johannes-Evangelium).<br />

Doch zu welchem Ende<br />

wird es führen? Wenn der Leser eines<br />

Buches in die Buchstabenwelt eindringt <strong>und</strong><br />

bis zur letzten Seite durchhält, ohne etwaige<br />

Abkürzungen zu nehmen, hat der<br />

Schöpfer des Werkes ganze Arbeit geleistet.<br />

Gedanken zu: Ingrid Noll,<br />

„Wie man von seinen Fans um<br />

die Ecke gebracht wird“<br />

Schriftsteller sind Handwerker, die Buchstaben<br />

zu Wörtern fügen <strong>und</strong> diese unter<br />

Einhaltung orthographischer Regeln in<br />

eine grammatikalisch vertretbare Reihenfolge<br />

bringen. Wenn es ihnen gelingt, mit<br />

Wissen, Fantasie <strong>und</strong> Sprachgefühl ihre<br />

lesenden Mitmenschen so in den Bann zu<br />

ziehen, dass viele ihrer Bücher gekauft oder<br />

in Bibliotheken ausgeliehen werden, steigt<br />

die Wahrscheinlichkeit, dass sie von Veranstaltern<br />

eingeladen werden, ihre Bücher<br />

in der Öffentlichkeit zu präsentieren.<br />

Ingrid Noll gehört zu den erfolgreichsten<br />

Krimiautorinnen der Gegenwart. Im letzten<br />

NOTausgang erschien unter dem Titel<br />

„Wie man von seinen Fans um die Ecke<br />

gebracht wird“ ein Auszug aus ihrem Buch<br />

„Falsche Zeugen“, der folgendermaßen<br />

beginnt: „Was macht eine Schriftstellerin,<br />

wenn sie nicht schreibt? Sie zieht als Vorleserin<br />

von Stadt zu Stadt.“<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

Daniel Pfletscher<br />

Einem Schöpfer auf Augenhöhe begegnen<br />

Nicht <strong>all</strong>e Schöpfer sind also unerreichbar.<br />

Schriftsteller, selbst Meister(innen) der<br />

schreibenden Zunft, kann man gegenübertreten,<br />

sie erleben <strong>und</strong> Kontakt zu ihnen<br />

aufnehmen. Öffentliche Lesungen sind<br />

spannender, als mancher denkt, selbst<br />

wenn man das entsprechende Buch schon<br />

im Regal stehen hat. Wer ist diese Frau,<br />

die ihre schauerhaften Krimis mit rabenschwarzem<br />

Humor würzt? Beweist der<br />

Rekordläufer, der in elf Monaten die Welt<br />

umr<strong>und</strong>et hat, wirklich einen langen Atem,<br />

oder geht ihm beim Vorlesen die Puste<br />

aus? Ist der Humorist, der scheinbar jeder<br />

Situation eine Pointe abgewinnen kann,<br />

wirklich schlagfertig, oder selbst eine Lachnummer?<br />

Das Organisieren von Veranstaltungen<br />

gehört zu meinen beruflichen Aufgaben.<br />

Dabei kann ich regelmäßig beobachten,<br />

wie Schriftsteller <strong>und</strong> Musiker auf ihre<br />

Zuhörer wirken, aber auch, wie sie selbst<br />

die Öffentlichkeit wahrnehmen <strong>und</strong> auf<br />

sie reagieren. Was mir immer wieder auffällt:<br />

Schöpfer, die den Empfängern ihrer<br />

Nachrichten in die Augen sehen, bleiben<br />

authentisch.<br />

Daniel Pfletscher,<br />

1980 in<br />

Pößneck<br />

im Saale-<br />

Orla-Kreis<br />

geboren,<br />

wohnt seit<br />

sechs Jahren<br />

in Jena. Beruflichwidmet<br />

er sich<br />

dem geschriebenen Wort, nicht als<br />

Produzent, sondern als Verwalter<br />

<strong>und</strong> Vermittler in Bibliothek <strong>und</strong><br />

Stadtarchiv. Seine kleine, seit letztem<br />

Jahr dreiköpfige Familie zeigt<br />

ihm tagtäglich, dass die Realität<br />

nicht so grau ist, wie er manchmal<br />

denkt.<br />

Lesen ist für ihn nicht nur<br />

Gr<strong>und</strong>lage zum Brötchenerwerb,<br />

sondern auch der<br />

schönste Zeitvertreib für Pausen<br />

vom Alltag.<br />

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NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Christine Theml<br />

Ich kann die Welt nicht verbessern<br />

Ich möchte Österreicherin sein. Ich<br />

möchte mit reinem Gewissen die Zeit<br />

ziehen lassen, mit ges<strong>und</strong>em Magen <strong>und</strong><br />

aus gutem Gr<strong>und</strong> (siehe Daniel Glattauer).<br />

Ich möchte nicht zuständig sein.<br />

Denn was hat man vom Gegenteil?<br />

Man schläft schlecht ein, denn die Erlebnisse<br />

des Tages stecken noch fest im Kopf<br />

oder kreiseln darin, sind putzmunter. Da<br />

wartet jemand auf Deinen Besuch im<br />

Krankenhaus. Da liegt noch eine Briefschuld<br />

an. Da weiß man von einem anderen<br />

widerfahrenen Unrecht <strong>und</strong> ahnt, wie<br />

man ihm zu seinem Recht verhelfen kann.<br />

Gedanken zu:<br />

Daniel Glattauer,<br />

„Sich-tum Austria“<br />

Nein, ich kann die Welt nicht verbessern.<br />

Sie war immer schlecht, sie ist schlecht <strong>und</strong><br />

sie wird schlecht bleiben. Die Österreicher<br />

haben Recht. Was aber mache ich dann<br />

mit meinem bisherigen Leben? „Nicht<br />

ohne uns“ heißt z.B. eine Selbsthilfezeitung<br />

für psychisch kranke Menschen, die ich<br />

herausgebe. Ginge es der Welt besser ohne<br />

uns psychisch kranke Menschen? Stören<br />

wir nur, weil wir immer wieder krank<br />

werden, weil die Mittel nicht gef<strong>und</strong>en<br />

werden, uns zur dauerhaften Ges<strong>und</strong>heit<br />

zu verhelfen? Das wird nicht mal ein<br />

Österreicher bejahen – heute. „Nicht ohne<br />

uns“ zeugt noch vom Aufbegehren, vom<br />

Suchen, vom Wunsch nach Zugehörigkeit<br />

trotz unserer Verletzlichkeit. Den geben wir<br />

nicht auf. Egal ob Österreicher oder Deutscher.<br />

Denn der Humor kommt an seine<br />

Grenze, wenn sonst nur Isolierung oder<br />

gar Beseitigung (Erinnern wir uns!) ansteht.<br />

Wir haben viel Gr<strong>und</strong>, uns zuständig zu<br />

fühlen für uns selbst, für andere schwerer<br />

Betroffene, für die anderen, die wir an uns<br />

gewöhnen müssen. Für uns zustehende<br />

Fachärzte werden viel zu schlecht honoriert,<br />

um die Lust an ihrer Arbeit behalten<br />

zu können. Der Berufszweig niedergelassener<br />

Psychiater wird ausgedünnt. Wir<br />

müssen lernen, uns selbst zu helfen oder<br />

aber die Politik zwingen, umzudenken<br />

oder beides. Die für uns katastrophale<br />

Ökonomisierung <strong>all</strong>er Lebensbereiche<br />

macht uns krank, sie hält uns krank im<br />

ges<strong>und</strong>en Leben. Nicht nur, aber auch. Sie<br />

stößt uns von sich mit ihrem Zwang zum<br />

Tempo, zur Effektivität. Da können wir<br />

nicht mithalten. Es gibt entweder keine<br />

Pause oder immer Pause. Das ist für <strong>all</strong>e<br />

unges<strong>und</strong>. Also gibt es Schnittstellen. Wir<br />

gehören dazu.<br />

Außerdem habe ich noch einen ges<strong>und</strong>en<br />

Magen.<br />

Christine Theml,<br />

Diplomkulturwissenschaftlerin,<br />

seit<br />

20 Jahren im<br />

Schillerhaus<br />

der FSU Jena<br />

angestellt, ehrenamtlich<br />

für<br />

psychisch kranke Menschen engagiert.<br />

Lesen ist Glück.<br />

Lesen ist für mich Aufnehmen verdichteter<br />

Erfahrungen.<br />

Ohne Lesen ist innere Armut.<br />

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In der Kolumne „Beim alten Friseur“ sucht<br />

der Schriftsteller <strong>und</strong> Journalist Daniel<br />

Glattauer den einfachen Haarschneider aus<br />

der alten Zeit. Den „alten Friseur“ kann er<br />

nicht finden. Vorbei ist es mit endlos erscheinender<br />

Wartezeit, wenn nicht gerade Neuigkeiten<br />

ausgetauscht wurden. Über Hinz <strong>und</strong><br />

Kunz: „Ach! Wussten sie schon, …?“ Unter<br />

dem Siegel der Verschwiegenheit wurde laut<br />

ausposaunt, was der Erzählende oft so genau<br />

selbst nicht wusste. Aber Interessenten<br />

fanden sich <strong>all</strong>e Male. Und als Zugabe gab<br />

es einen Kalauer vom Meister persönlich.<br />

So wie in den Medien heute, ob Zeitung,<br />

Radio oder Fernsehen (f<strong>all</strong>s man damals ein<br />

Gedanken zu: Arno Geiger,<br />

„Beim alten Friseur“<br />

Gerät besaß), dominierte der neuste Klatsch<br />

<strong>und</strong> Tratsch. Die Wahrheit (aber wer hat die<br />

schon?) fiel der Erhöhung der Aufmerksamkeit<br />

oft zum Opfer. Der alte Friseur war mehr<br />

als Berufsstand, war Institution <strong>und</strong> schier<br />

unversiegbare Quelle der lokalen Gerüchteküche.<br />

Im Hintergr<strong>und</strong> dudelten im Salonradio<br />

alte Schlager.<br />

Die Frauen hatten einen eigenen Salon. Radio<br />

war da unnötig. Sie hätten unter der<br />

monströsen Trockenhaube nach dem Schneiden,<br />

Waschen <strong>und</strong> Legen ohnehin nichts gehört.<br />

Bei dieser Föhntortur bekam Frau eine<br />

Zeitung <strong>und</strong> war entgegen ihrer femininen<br />

Natur für längere Zeit still. Bevor ein leichter<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

Dietmar Grocholl<br />

Was ich zum Leben brauche<br />

Geruch von Röstbrot aufkam, schaltete Frau<br />

Meisterin die Höllenmaschine aus. Es muss<br />

für die gefolterten Geschöpfe befreiend gewesen<br />

sein, wieder kommunizieren zu können.<br />

Nirgendwo ließ sich sonst im Alltag<br />

solch eine idyllische Oase, solch’ Jungbrunnen<br />

finden. Schließlich wollte sich jede Frau<br />

wie neu geboren fühlen.<br />

Im Herrensalon war die Frisur eher Nebensache<br />

- Haare kurz, lang oder halblang. Mehr<br />

Variation war nicht drin. Einer wie der Andere<br />

- nur Glatzköpfe waren was Besonderes.<br />

Gesicht prägte die Persönlichkeit. Das<br />

reichte als Unterscheidungsmerkmal für<br />

Männer. Für acht Groschen war keine Modefrisur<br />

zu erwarten. Die war auch nicht<br />

gefragt. Ordentlich musste es sein <strong>und</strong> was<br />

das hieß, wusste der Meister.<br />

Er wurde im Wohnbezirk geachtet: das ist<br />

der Friseur. Den musst du grüßen, damit er<br />

dir nicht die Ohren abschneidet <strong>und</strong> schlecht<br />

über dich redet. Vorsicht gar, wenn er dir<br />

einen Zahn zieht.<br />

Heute haben wir „Figaro“ hier, „Figaro“ da,<br />

mehr als Wolfgang Amadeus Mozart in seiner<br />

Oper besang. Immerhin: „Ich hab den<br />

schönsten Beruf der Welt.“ „ Wirklich? Oja,<br />

natürlich! Friseure beraten mich, geben Empfehlungen<br />

zur Haargestaltung. Woher soll ich<br />

wissen, ob Mode ist, was ich will. Schließlich<br />

verändert die Frisur den Mensch äußerlich<br />

<strong>und</strong> das wirkt auf andere. Da kommen ihm<br />

alte Techniken zustatten: Waschen, färben, tönen,<br />

föhnen, schneiden, drehen, glätten, locken<br />

- einlegen. Die hat jeder Figaro drauf.<br />

Doch Mozarts „schönster Beruf der Welt“<br />

nährt Frau oder Mann längst nicht mehr.<br />

Zwischen 3,82 Euro kam er in Sachsen im<br />

ersten Berufsjahr pro St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> auf 5,96<br />

Euro als Salonleiter mit bis zu zehn Angestellten.<br />

Wie kommt das? Gibt es zu viele?<br />

Zahlen wir zu wenig? Geiz jedenf<strong>all</strong>s kann<br />

nicht geil sein. Er lässt nicht nur Friseure darben.<br />

Blutet er die Gemeinschaft nicht aus?<br />

Dietmar Grocholl<br />

EU-Rentner, 56 Jahre<br />

Lesen ist für mich der<br />

schnellste Weg zu<br />

neuen Fragezeichen.<br />

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20<br />

NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Janka Voigt<br />

Lesen ist für mich das Paradies<br />

Lesen ist müßig.<br />

Lesen ist für mich das Paradies.<br />

Ohne Lesen ist wie<br />

blind Rattern im Getriebe.<br />

Mist. Warum hab ich nicht nein gesagt?<br />

Eine gute Gelegenheit, die Neue in<br />

Jena vorzustellen, meinte Andrea. Und sie<br />

muss es wissen, schließlich ist sie unsere<br />

PR-Fachfrau. Nun sitze ich im ICE, morgen<br />

ist Redaktionsschluss <strong>und</strong> ich grüble<br />

schon eine St<strong>und</strong>e, was Lesen für mich<br />

ist. Mein letztes Buch („Der Turm“ –<br />

furchtbar) liegt lange zurück. Ich schiele<br />

zum Nachbarn. „Muße braucht Zeit“ titelt<br />

seine ZEIT. Erleichtert stelle ich fest, was<br />

L e s e n !<br />

für intelligente Redakteure es gibt <strong>und</strong><br />

muss an Lutz Rathenows gar nicht lustiges<br />

Gedicht denken: „Der Gr<strong>und</strong> <strong>all</strong>er<br />

Kosten sind die Kosten“. Ob ich mir das<br />

Feuilleton borgen sollte? Vielleicht erklärt<br />

mir der besorgte Soziologe, warum wir<br />

immer weniger Zeit haben, so dass er<br />

berufen ist, sich für die Muße stark zu<br />

machen. Doch schon sein erster Satz<br />

nimmt mir <strong>all</strong>e Hoffnung: „Nichtstun ist<br />

wertvoll.“ So ein Quatsch. Wert im<br />

hierzulande geltenden Sinne wird nur<br />

durch Arbeit geschaffen. Nichts tun, Muße<br />

z.B. für einen Krimi zu haben, mag para-<br />

diesisch, beglückend <strong>und</strong> erholsam sein.<br />

Dass es das Gegenteil von wertvoll ist,<br />

merkt jeder, der dem zuviel Zeit einräumt,<br />

spätestens an der Lohntüte. Aber unser<br />

Soziologe ist schließlich kein Ökonom <strong>und</strong><br />

meint also, wir hätten sie in unserer schnelllebigen<br />

Zeit bloß verlernt, die Muße. Und<br />

da ist er endlich, der ersehnte Übergang<br />

zum beauftragten Thema dieses Textes.<br />

Denn wer etwas verlernt hat, braucht ja<br />

oft nur eine Erinnerung daran: z.B. wie<br />

schön Müßiggang ist. Die letzte Straßenzeitung<br />

war in dieser Hinsicht vorbildlich.<br />

Ich weiß kaum, von welchem der vorgestellten<br />

Autoren ich zuerst mehr lesen soll.<br />

Unbedingt Daniel Glattauer, auch wenn<br />

ich meine, dass Verantwortungsweitergabe<br />

keine typisch österreichische Neigung<br />

ist. Martin Suter war mein persönliches<br />

Highlight, schlägt er doch in die gleiche<br />

Kerbe: politisch bitterböse, genau beobachtet,<br />

<strong>und</strong> dennoch höchst amüsant. Thea<br />

Dorns „Blowjob“ hab ich gleich meinem<br />

Liebsten – einem Trompeter(!) – mit wohligem<br />

Gruseln vorgelesen. <strong>Dank</strong>e lieber<br />

NOTAusgang für die Erinnerung an die<br />

Genüsse des Vorlesens! Und danke zuletzt<br />

für den Text von Sibylle Berg, von der ich<br />

schon <strong>all</strong>es zu kennen meinte. Denn geht<br />

es nicht wirklich darum: „das Leben<br />

möglichst angenehm herumbringen“?<br />

Janka Voigt,<br />

1976 in Berlin<br />

geboren ,<br />

Magister der<br />

Philosophie<br />

<strong>und</strong> Dipl.-<br />

Betriebswirtin.<br />

Arbeitete<br />

als Produzentin<br />

<strong>und</strong> später<br />

auch als Dramaturgin für zahlreiche<br />

freie Musiktheaterproduktionen auf<br />

Berliner Bühnen. 2007-2009 war sie<br />

am Hessischen Staatstheater Wiesbaden<br />

als Dramaturgin für Oper, Konzert<br />

<strong>und</strong> Tanz sowie als persönliche<br />

Referentin des Generalmusikdirektors<br />

tätig. Geschäftsführerin des Theaterhauses<br />

Jena <strong>und</strong> lebt sehr gern<br />

hier.<br />

Sie erhielt noch nie einen Preis, gilt<br />

jedoch als jüngste Geschäftsführerin<br />

eines deutschen Stadttheaters.<br />

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Spannend scheint die Situation, die Elisabeth<br />

Kabatek in „Dorscht“ beschreibt,<br />

nicht zu sein, eher unangenehm.<br />

Da sitzen Mutter <strong>und</strong> Tochter nach einem<br />

Einkaufsbummel gemütlich in der Straßenbahn,<br />

<strong>und</strong> an einer Stadion steigen zwei<br />

angetrunkene Penner hinzu. Der eine hockt<br />

sich gegenüber, der andere bleibt nah bei<br />

den Frauen stehen, will sich nicht setzen<br />

<strong>und</strong> diskutiert weiter lautstark mit seinem<br />

Kumpel.<br />

Die Frauen ängstigt das, sie wissen nicht,<br />

wie sie sich verhalten sollen. Ihr Gespräch<br />

verstummt <strong>und</strong> sie rücken zusammen. Das<br />

zufällige Zusammenkommen von Men-<br />

Gedanken zu:<br />

Elisabeth Kabatek, „Dorscht“<br />

schen in der Enge der Straßenbahn hat<br />

eine eigenartige Situation heraufbeschworen<br />

<strong>und</strong> Personen werden zusammengewürfelt,<br />

die sich in ihrem Alltag nie so nahe<br />

gekommen wären. Solche Begegnungen<br />

kennen wir <strong>all</strong>e. Ganz dicht ist man da<br />

plötzlich an den Leuten dran, manche unterhalten<br />

sich laut, man muss unweigerlich<br />

lauschen – <strong>und</strong> erfährt für einige Stationen<br />

etwas über einen neuen Kinofilm, den<br />

Türkeiurlaub, das romantische Essen mit<br />

dem neuen Fre<strong>und</strong> oder die fiese Benotung<br />

durch den Professor.<br />

Die Leute mustern sich, spähen heimlich<br />

nacheinander – <strong>und</strong> werden dabei wieder<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

Berit Oberländer<br />

Studentin, 25 Jahre.<br />

Abitur im Jahre 2003,<br />

seit 2007 Studium<br />

der Rechtswissenschaften<br />

an der FSU.<br />

Berit Oberländer<br />

Warum fühl’ ich mich plötzlich unwohl?<br />

von anderen beobachtet. Einmal sitzt mir<br />

ein Kind gegenüber, es versucht unauffällig<br />

in der Nase zu bohren, aber ich sehe es<br />

natürlich trotzdem. Ein Mann erzählt einen<br />

Witz – <strong>und</strong> nicht nur seine Begleitung<br />

lacht, sondern auch die umstehenden Fahrgäste<br />

können sich ein Schmunzeln nicht<br />

verkneifen. Schon eigenartig, wie jeder tut,<br />

als sei er mit sich beschäftigt, <strong>und</strong> doch<br />

mit den anderen konfrontiert ist. Und mit<br />

dieser Situation vielleicht gar nicht recht<br />

umgehen kann, wie die zwei Frauen bei<br />

Elisabeth Kabatek. Gleichzeitig damit aber<br />

umgehen muss, weil einfach Aussteigen ist<br />

auch nicht drin. Aus dem routinierten Fah-<br />

ren mit der Straßenbahn kann plötzlich eine<br />

Art Mutprobe werden, eine Frage nach<br />

der eigenen Zivilcourage <strong>und</strong> dem Umgang<br />

mit anderen Menschen.<br />

Stehe ich für die ältere Frau auf, oder auch<br />

mal für einen vollbepackten Studenten?<br />

Und wieso fühlt man sich seinem Gegenüber<br />

plötzlich unwohl? Warum die Frauen<br />

in „Dorscht“ sich vor den zwei Pennern<br />

fürchteten, lässt sich erahnen. Dass<br />

sie aber keine Angst zu haben brauchten,<br />

zeigt das Ende der Geschichte. Die unheimliche<br />

Anspannung der beiden Frauen<br />

löst sich, als die Männer aussteigen. Ihre<br />

leichte Beklommenheit schüttelt die Tochter<br />

damit ab, indem sie den einen Penner<br />

imitiert: „Dorscht!“ Bei Elisabeth Kabatek<br />

treffen in einer Straßenbahn Menschen<br />

auf Menschen, eine ganz <strong>all</strong>tägliche Situation<br />

<strong>und</strong> doch so spannend.<br />

Lesen ist für mich<br />

stöbern in den niedergeschriebenen<br />

Gedanken anderer Menschen.<br />

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22<br />

NOTAUSGANG Jg. 14 /AUSGABE 1 - 2010<br />

Andreas Mützlaff<br />

Was einem „Steffen“ verborgen bleibt<br />

Angeregt durch Martin Suters „Deci<br />

sion Making“ stellte ich mir vor, was<br />

hätte ich eigentlich für ein soziales Verständnis,<br />

wenn ich nicht vor 4 Jahren für ein<br />

halbes Jahr von Jenarbeit zur Straßenzeitung<br />

„geschickt“ worden wäre. Ich erinnere<br />

mich noch sehr gut an eine meiner<br />

ersten Fragen: Muss ich da etwa die Zeitung<br />

verkaufen? Ich kannte andere soziale<br />

Projekte in der Stadt. Fand gut <strong>und</strong> normal,<br />

dass durch sie bestimmte Hilfen möglich<br />

werden. Doch wie bei Suters Steffen,<br />

unterstellte ich anderen, dass sie ein schlech-<br />

Gedanken zu: Martin Suter,<br />

„Decision Making“<br />

tes Bild von mir bekämen. Ich hatte selbst<br />

genügend Probleme <strong>und</strong> wollte mir nicht<br />

noch neue aufhalsen lassen. Dennoch, mit<br />

dem Projekt begann nun eine spannende<br />

Zeit. Viele „Für <strong>und</strong> Wider“, die jener Steffen<br />

in der Geschichte einfach abtropfen<br />

ließ, konnte ich nun hinterfragen. Abgesehen<br />

von der Hard- <strong>und</strong> Software im Layout-Studio,<br />

waren auch die neuen Kontakte<br />

sehr anregend. Ich merkte, Vorurteile<br />

sind häufig eine bequeme Art die Welt<br />

so zu sehen, wie man sie für sich braucht.<br />

Ohne diese müsste man sich ja vielleicht<br />

ändern. Doch das wäre ein harter Job.<br />

Bei Gesprächen mit (heute sage ich) <strong>unseren</strong><br />

Zeitungsverkäufern oder Recherchen<br />

zu Zeitungsprojekten, legten sich meine<br />

anfangs vorhandenen Berührungsängste<br />

immer mehr. Die Arbeit bei der Straßenzeitung<br />

entwickelte sich ganz gegen meine<br />

Befürchtungen nicht als „Bloßstellung“ vor<br />

meinem Bekanntenkreis, sondern als geachtete<br />

Beschäftigung. Es ist spannend,<br />

sich Herausforderungen zu stellen, ob bei<br />

der Mitarbeit im Verein, bei nachbarschaftlicher<br />

Hilfe oder einfach durch miteinander<br />

Reden <strong>und</strong> Menschen in Not als<br />

Partner zu erleben <strong>und</strong> Erfahrungen mit<br />

ihnen zu teilen.<br />

Was Steffens Frage betrifft, dazu sagt der<br />

Geheimrat aus Weimar:„Man spricht<br />

vergebens viel um zu versagen, der andre hört<br />

von <strong>all</strong>em nur das Nein.“ Also hätte er<br />

schlicht „Nein“ sagen können <strong>und</strong> sich viel<br />

Aufregung <strong>und</strong> „graue Haare“ erspart.<br />

Oder aber er stellt sich sozialen Problemen<br />

verantwortungsbewusst <strong>und</strong> versucht<br />

sie zu verstehen, aufzuarbeiten <strong>und</strong> wenn<br />

möglich auch zu helfen. Das ist natürlich<br />

auch mit Arbeit verb<strong>und</strong>en. Das sage ich<br />

heute, denn nach meiner anfänglichen<br />

Skepsis (eigentlich waren es Unwissenheit<br />

<strong>und</strong> Vorurteil zugleich), konnte ich viele<br />

praktische, lebensnahe Erfahungen sammeln,<br />

die jenem Steffen verborgen blieben.<br />

Ich will sie nicht mehr missen.<br />

Andreas Mützlaff,<br />

geboren 1955<br />

in Eilenburg,<br />

verheiratet, ein<br />

Kind.<br />

Diplomingenieur<br />

für Gerätetechnik<br />

Zur Zeit in der<br />

Thüringer<br />

Universitäts- <strong>und</strong> Landesbibliothek<br />

beschäftigt.<br />

Lesen ist für mich Einblick, Überraschung,<br />

Denkanregung <strong>und</strong> Ausgleich,<br />

in hektischer Welt.<br />

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NOTAUSGANG<br />

Die Straßenzeitung aus Jena<br />

Herstellung <strong>und</strong> Vertrieb erfolgen<br />

im Ehrenamt zu gemeinnützigen<br />

Zwecken.<br />

Redaktion <strong>und</strong> Vertrieb:<br />

Adresse: Markt 19 (Reformhaus<br />

Tonndorf), 07743 Jena<br />

Telefon: 03641 364398 <strong>und</strong> 332353<br />

Telefax: 03641 332355<br />

E-Mail: Strassenzeitung@gmx.net<br />

Redaktionsleiter:<br />

Joachim Hennig (V.i.S.d.P.)<br />

Redaktionsteam:<br />

Heike Bödefeld, Susanne Gliech,<br />

Tilman Hesse, G<strong>und</strong>ela Irmert-<br />

Müller, Mario Jacob, Thomas<br />

Nordmann, Berit Oberländer, Daniel<br />

Pfletscher, Konrad Wendt, Andrea<br />

Körner, Andreas Mützlaff, Dietmar<br />

Grocholl<br />

Layout:<br />

Michael Quicker<br />

Anzeigen <strong>und</strong> Vertrieb:<br />

Liesa Geisenhainer<br />

Bürozeiten:<br />

Montag bis Freitag 8 bis 12 Uhr<br />

Dienstag <strong>und</strong> Freitag 13 bis 14 Uhr<br />

Sitzung des Redaktionsteams:<br />

mittwochs (14-tägig) nach<br />

Vereinbarung<br />

Logo:<br />

Zoom Media<br />

Druckfilm:<br />

Firma Bleysatz<br />

Impressum<br />

Druck:<br />

Saale-Betreuungswerk der<br />

Lebenshilfe Jena gGmbH<br />

Alle namentlich oder durch Initialen gezeichneten<br />

Beiträge geben nicht zwangsläufig<br />

die Meinung der Redaktion<br />

wieder.<br />

Die Autoren zeichnen für den Inhalt eigenverantwortlich.<br />

Die Redaktion behält<br />

sich das Recht vor, die Beiträge zu<br />

DIE STRASSENZEITUNG AUS JENA<br />

bearbeiten <strong>und</strong> zu kürzen. Für unverlangt<br />

zugeschickte Manuskripte <strong>und</strong><br />

Fotos wird keine Haftung übernommen.<br />

Für Termine der Veranstalter<br />

übernehmen wir keine Gewähr. Der<br />

Nachdruck von Beiträgen - auch<br />

auszugsweise - ist nur mit Genehmigung<br />

der Redaktion gestattet. Den Inhalt<br />

der Anzeigen verantworten die Inserenten.<br />

Alle Mitbürger sind zu ehrenamtlicher<br />

Mitarbeit an der Gestaltung<br />

unserer Zeitung eingeladen.<br />

Herausgeber:<br />

Straßenzeitung NOTausgang e.V.,<br />

Markt 19, 07743 Jena<br />

Ilona Eberhardt (Vorsitzende)<br />

Alfred Hertel (stellv. Vorsitzender)<br />

Bankverbindung:<br />

Konto: 11142<br />

bei Sparkasse Jena<br />

BLZ: 830 530 30<br />

Vermischtes<br />

Als unser MAE-Mitarbeiter Matthias Treffs mit Lesern ins<br />

Gespräch kam, wurde er gefragt, ob wir denn nicht einmal<br />

Rätsel im NOTausgang drucken können. Da er für Fre<strong>und</strong>e<br />

<strong>und</strong> Bekannte gelegentlich Sudokos erstellt, fühlte er sich herausgefordert.<br />

Am Ende seiner Einsatzzeit bei uns übergab<br />

er eine Mappe gefüllt mit selbst generierten Zahlenrätseln. Wir<br />

geben die Aufgabe<br />

nun gerne<br />

an Sie, liebe Leser,<br />

weiter.<br />

Aufgabe ist,<br />

jede Zeile <strong>und</strong><br />

jede Spalte mit<br />

den Zahlen von<br />

eins bis neun zu<br />

füllen, darin<br />

darf sich keine<br />

Zahl doppeln.<br />

Viel Spaß.<br />

GEGRÜNDET IM JULI 1997<br />

(Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 20.01.2010)<br />

23


NOTAUSGANG SAGT DANKE<br />

NOTAUSGANG SAGT DANKE<br />

<strong>Dank</strong> <strong>all</strong>en Mitbürgern, Unternehmen, Gemeinschaften,<br />

der Stadt Jena <strong>und</strong> dem Land Thüringen<br />

sowie <strong>all</strong>en Ungenannten, die unsere Arbeit<br />

im Jahre 2009 finanziell unterstützten.<br />

Frau Annedore, Herr Dr. Herrmann Besen <strong>und</strong> Frau Ruth,<br />

Frau Rosemarie Beyer, Herr Max Biertümpfel <strong>und</strong> Frau Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Förderer<br />

Ursula, Herr Peter Bliedung, Frau Gisela Brauer, Herr<br />

Gerhard Cors <strong>und</strong> Frau Eveline, Frau Erika Drechsler, Frau Annelies Engelmann, Frau Ilse<br />

Fernandez-Cabello, Herr Hubert Fröde, Frau Anita Fröhlich, Frau Renate George, Herr<br />

Thomas Glöckner, Frau Lieselotte Göders, Herr Horst Gr<strong>und</strong>mann <strong>und</strong> Frau Christa, Herr<br />

Dieter Hanf <strong>und</strong> Frau Inge, Herr Gerhard Herzog <strong>und</strong> Frau Birgit, Herr Bernd Hesse <strong>und</strong><br />

Frau Gabriele, Frau Ingrid Heuschkel, Frau Monika Hilliger, Herr Andreas Hollneck-Meyer<br />

<strong>und</strong> Frau Cordula, Frau Annelies Högel, Herr Manfred Hösel <strong>und</strong> Frau Brigitte, Herr Kurt<br />

Jahns <strong>und</strong> Frau Margit, Frau Ruth K<strong>all</strong>ies, Frau Regina Klapper, Frau Sarah Köhler, Herr<br />

Andreas Krumbholz <strong>und</strong> Frau Birgit, Frau Heidemarie Leschke, Herr Curt Letsche <strong>und</strong><br />

Frau Lore, Herr Klaus Liebold <strong>und</strong> Frau Bärbel, Frau Tinka Litwinschuh, Herr Klaus Moeckel<br />

<strong>und</strong> Frau Lore, Frau Irene Müller, Frau Dr. Rotraud Neumann, Frau Marie-Luise Ohl,<br />

Herr Silvio Oswald, Herr Rudolf Petzoldt, Herr Richard Petersdorff <strong>und</strong> Frau Sigrid, Herr<br />

Dr. Ulrich Placke <strong>und</strong> Frau Armgard, Herr Siegfried Poser, Herr Peter Popp <strong>und</strong> Frau<br />

Kornelia, Frau Gerda Putze, Herr Lutz Rathenow, Frau Dr. Roswitha Reddersen, Herr Ingo<br />

Reimann, Frau Christina Reiprich, Frau Charlotte Rösch, Herr Burkhard Sattler, Frau Helga<br />

Schadewald, Herr Uwe Sch<strong>all</strong>enberg, Herr Ingo Scharnack, Frau Regine Schau, Frau Sieglinde<br />

Scherbach, Frau Simone Schulz, Herr Michael Schwarzer <strong>und</strong> Frau Carmen, Fam. Spaniel-Weise,<br />

Sparkasse Jena, Frau Gudrun Steiner, Herr Axel Stelzner <strong>und</strong> Frau Ingrid, Frau<br />

Gudrun Thiele, Frau Ute Tschöckel, Frau Gisela Vogt, Frau Marion Völkner, Frau Edith<br />

Wagner, Herr Bernhard W<strong>all</strong>ner <strong>und</strong> Frau Christin, Frau Magdalena W<strong>all</strong>y, Frau Hildegard<br />

Weidig, Frau Tatjana Willms, Frau Hella Willsch, Herr Martin W., Frau Waltraut Zielonka<br />

ASEG mbH, Herr Heinrich Fricke / Augenoptiker<br />

Stegmann, Herr Stegmann / Bestattung von Cha- Anzeigenk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>Sponsoren</strong><br />

mier, Herr Wolf v. Chamier / Blumen u. Trockenfloristik<br />

Buhl, Frau Christine Buhl / Bockwurst-Olaf, Herr Olaf Drescher / Braugaststätte Papiermühle,<br />

Herr Kanz / Buchbinderei & Auftragsbüro SKÜB, Frau Tamara Knopf / Caritas, Frau Sylvia<br />

Klingele Cartridge World, Herr Siegfried Henze / Creative Gartenbauweise Senf, Herr Gregor Senf /<br />

Dailys Shot, Herr Thomas Nordmann / design & marketing, Frau Kerstin Hoppe / Fahrschule Himmelreich,<br />

Frau Brunhilde Himmelreich / Finanzdienst Lux, Herr Klaus Lux / Galerie Am Johannisplatz,<br />

Frau Jutta Schwing Gaststätte am Wehr, Herr Bert Müller / Gaststätte Grünowski, Herr Walter<br />

Stegmaier / Goethe Apotheke, Frau Dr. Eva Bartsch / Hauskrankenpflege & Tagesbetreuung<br />

Schmidt, Frau Heike Schmidt Heimstättengenossenschaft, Frau Heimberger / Hilfe zur Selbsthilfe,<br />

Frau Zentgraf / Internationales Jugendgästehaus IB, Herr Gehlen / IOK Baubetreuung GmbH,<br />

Herr Klug / Janny‘s Eis, Herr Peter Weithase / Jenaer Bücherstube, Herr Gunther Philler / JenaKultur,<br />

Ernst-Abbe-Bücherei, Frau Schubert Kommunalservice Jena, Herr Schorz / Laufladen, Herr Ralf<br />

Janke / Martens & Prahl Versicherungskontor GmbH Jena, Frau Weidlich / Mode-Markt Angelika,<br />

Frau Angelika Neubauer / Physiotherapie Uwe Hübner, Herr Uwe Hübner / Rechtsanwaltskanzlei<br />

Gliech, Frau Susanne Gliech / Reformhaus Tonndorf, Familie Tonndorf / Reisebüro Schumacher,<br />

Frau Petra Schumacher / Restaurant Hercules, Herr Detis / Stadtwerke Jena-Pößneck /<br />

Sparkasse Jena-Saale-Holzland / Steinmetzbetrieb Kalus, Herr Eberhard Kalus / Theaterhaus<br />

Jena GmbH, Herr Jens Hommel / Trachtenstube Birch-Hirschfeld Landhausmode, Frau Birch-<br />

Hirschfeld / Vieh- <strong>und</strong> Fleischhandel Schlachthof Jena, Frau Uta Voigt-Jacob / Wissenschaftliche<br />

Dienstleistungen, Herr Dipl.-Psychologe Dr. Thomas Buhl / Wacker Schott Solar, Herr Mecker / Wohnbau-Konzept<br />

Gierke, Herr Klaus Gierke / Zahntechnik Breest, Frau Christiane Jauch.<br />

<strong>Dank</strong> <strong>all</strong>’ <strong>unseren</strong> <strong>Förderern</strong>,<br />

<strong>Sponsoren</strong> <strong>und</strong> Anzeigenk<strong>und</strong>en

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