Freie Sicht
ISBN 978-3-86859-251-1
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Hans Zitko und Anne Marie Freybourg (Hrsg.)<br />
Werner Hofmann (1928–2013) gewidmet, von dem ich lernte, die Kraftlinien der Kunst zu begreifen.<br />
Adam Jankowski<br />
FREIE SICHT : Adam Jankowski<br />
und Künstler aus seiner Malereiklasse an der HfG Offenbach 1987-2013<br />
Dirk Baumanns<br />
Dorothee Diebold<br />
Bea Emsbach<br />
Goekhan Erdogan<br />
Oliver Flössel<br />
Parastou Forouhar<br />
Sebastian Heinrich<br />
Xenia Lesniewski<br />
Clemens Mitscher<br />
Sabine Moritz<br />
Julia Oschatz<br />
Erik Pfeiffer<br />
Röther von Wangenheim<br />
Frank Schylla<br />
Marcus Sendlinger<br />
Henning Strassburger<br />
Cornelia Thomsen<br />
Nasan Tur<br />
Tatiana Urban<br />
Markus Weisbeck<br />
Dan Zhu<br />
Peter Zizka<br />
Nassauischer Kunstverein Wiesbaden 2013<br />
2 Adam Jankowski<br />
3
Inhalt<br />
Bernd Kracke<br />
Adam Jankowski<br />
Elke Gruhn<br />
Adam Jankowski<br />
Philipp von Wangenheim<br />
Geleitwort<br />
Dank<br />
Zur Ausstellung<br />
<strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong>, oder die Welt, wie sie ist<br />
Fünf Uhr morgens<br />
7<br />
10<br />
11<br />
12<br />
20<br />
<strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Clemens Mitscher<br />
Sabine Moritz<br />
Peter Zizka<br />
Markus Weisbeck<br />
Marcus Sendlinger<br />
Julia Oschatz<br />
Bea Emsbach<br />
Frank Schylla<br />
Parastou Forouhar<br />
Nasan Tur<br />
Henning Strassburger<br />
Tatiana Urban<br />
Röther von Wangenheim<br />
Oliver Flössel<br />
Erik Pfeiffer<br />
Cornelia Thomsen<br />
Dirk Baumanns<br />
Goekhan Erdogan<br />
Dorothee Diebold<br />
Sebastian Heinrich<br />
Xenia Lesniewski<br />
Dan Zhu<br />
Adam Jankowski<br />
21<br />
22<br />
26<br />
30<br />
34<br />
38<br />
42<br />
46<br />
50<br />
54<br />
58<br />
62<br />
66<br />
70<br />
74<br />
78<br />
82<br />
86<br />
90<br />
94<br />
98<br />
102<br />
106<br />
110<br />
Anne Marie Freybourg<br />
Ohne Utopie geht es nicht<br />
Zur Malerei von Adam Jankowski<br />
114<br />
Hans Zitko<br />
Das paradoxe Unternehmen der Malerei<br />
Zu einigen Bildern von Adam Jankowski<br />
118<br />
Adam Jankowski<br />
Anhang zur Lehre<br />
Ansichten der Klasse<br />
Aus dem Arbeitstagebuch 1987<br />
Independent Artists<br />
Die Segel<br />
Beschreibungstexte der Lehrveranstaltungen<br />
Ausstellungen/Publikationen der Klasse<br />
Exkursionen<br />
Index/Diplomanden<br />
134<br />
136<br />
138<br />
141<br />
148<br />
150<br />
152<br />
154<br />
158<br />
Impressum<br />
160<br />
4 Sven Schuppar : »Goldrausch« 2008<br />
5
Bernd Kracke<br />
Geleitwort<br />
»So trifft man sich wieder«, dachte ich damals, als ich als neu berufener Professor für Elektronische<br />
Medien Adam Jankowski 1999 in der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach<br />
traf, wo er schon seit 1987 als Professor für Malerei tätig war. Unsere erste Begegnung<br />
lag gut 25 Jahre zurück. 1974 lernten wir uns erstmalig in Hamburg an der Hochschule für<br />
bildende Künste kennen, im Atelier der Klasse von Almir Mavignier in der Spaldingstrasse<br />
am Berliner Tor; es war eine angemietete Atelier-Expositur im rauen innenstädtischen Industriegebiet<br />
der Hansestadt – auch damals hatten Kunsthochschulen schon mit Platzproblemen<br />
zu kämpfen, ähnlich wie derzeit die HfG Offenbach.<br />
Nun, nach 26 Jahren Lehrtätigkeit an der HfG Offenbach, geht Adam Jankowski, der Hamburger<br />
aus Wien, von Bord. Ein gutes Vierteljahrhundert hat der in Danzig geborene und<br />
aufgewachsene, in Wien und Hamburg studierte und dort auch ansässige, in der Welt weit<br />
herumgekommene Künstler das Lehrgebiet Malerei geprägt – und auch ein Stück weit die<br />
gesamte HfG.<br />
Sven Schuppar, »Arche«, 2008<br />
Dazu trugen nicht nur sein unermüdliches Engagement in der künstlerischen Lehre und der<br />
programmatischen Entwicklung der Hochschule bei: Auch bei zentralen Publikationen war<br />
er immer wieder mitverantwortlich für Konzeption und Redaktion. Als Beispiele seien hier<br />
die erste Selbstverständnis- und Übersichtsbroschüre der HfG von 1991 oder die Festschrift<br />
»Gestalte/Create« genannt, die 2007 anlässlich des 175–jährigen Jubiläums unserer Institution<br />
erschienen ist.<br />
Adam Jankowski hat die Kunst, die Malerei, auch als eine theoretische Disziplin verstanden<br />
und gelehrt; schließlich war seinem Studium der bildenden Kunst in Hamburg ebendort<br />
auch ein Studium der Kunstgeschichte gefolgt.<br />
Bemerkenswert fand ich immer, dass er davor Maschinenbau studierte. Man muss sich eine<br />
solche Entscheidung, einen solchen Schritt einschließlich der Konsequenzen, erst einmal<br />
vergegenwärtigen. Da ist ein Maschinenbauer, der sich in die Kunst verliebt. Davon gibt es<br />
sicherlich viele, aber hier ist einer, der den Rechenschieber in der Schublade wegschließt<br />
und zum Pinsel greift. Und nicht nur das: Er schwört seinem alten Glauben an das rein<br />
rationale Denken ab und heiratet die mitunter doch recht launische Malerei und bleibt ihr<br />
treu. Und sie ist ihm treu. So wie es aussieht wohl ein Leben lang. Kein Märchen, sondern<br />
der Lebensweg von Adam Jankowski.<br />
6 Geleitwort<br />
Bernd Kracke : Geleitwort 7
Geleitwort<br />
Unaufhörlich beschäftigt sich Jankowski neben seiner künstlerischen Arbeit mit theoretischen<br />
Fragen zu den Begrifflichkeiten der Gestaltung sowie zu allgemeinen philosophischästhetischen,<br />
historisch-gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Prozessen und Erkenntnissen:<br />
Kunst mit Gefühl und Verstand.<br />
In seinen Bildern, die sich von realistischer Malerei hin zu einer abstrakten, mit Unschärfe<br />
agierenden Bildsprache entwickelte, verhandelte er auch seine theoretischen Reflexionen.<br />
Sein Lehrgebiet an der HfG Offenbach umschrieb er in einem Satz: »Forschungsschwerpunkt:<br />
Landschaftsmalerei im Zeitalter der digitalen Bildtechnologien«. Hier zeigt sich<br />
insbesondere – als Konzentrat – die Relevanz der Verzahnung alter und neuer Bildtechnologien<br />
für die Lehre an der HfG – mitgeprägt und mitgetragen von der Lehr- und Künstlerpersönlichkeit<br />
Adam Jankowski, der auch als langjähriger Dekan von 1989 bis 2000 und<br />
von 2006 bis 2011 den Fachbereich Visuelle Kommunikation leitete und konturierte.<br />
Sicher ist es auch die Disziplin, die seine Arbeit, seine Lehre kennzeichnet; eine mitunter<br />
eiserne, wie man sie zum Rennradfahren benötigt, also für Adams sportliches Hobby, dem<br />
er in seiner Freizeit leidenschaftlich frönt. Ehrlich, geradeaus, authentisch, ... Adam Jankowski<br />
hat es nie interessiert in ruhigem Gewässer zu schwimmen, vielmehr sind es die<br />
Ecken und Kanten, die Reibungen, die ihn charakterisieren – im Leben, der Lehre wie in<br />
der Kunst. Das wird fehlen.<br />
Umso mehr freue ich mich über die Ausstellung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden<br />
anlässlich seines Abschieds von der Hochschule, die mit seinen eigenen Werken und denen<br />
seiner Studierenden und Absolventen bestückt ist. Die Vielfalt – die TeilnehmerInnen<br />
kommen aus den Bereichen der Kunst und der Medien – verdeutlicht einmal mehr Adam<br />
Jankowskis Offenheit für Neues und sein nachhaltiges Wirken an der Hochschule, für das<br />
ich ihm an dieser Stelle nochmals herzlich danken möchte.<br />
Mein herzlicher Dank geht auch an den Nassauischen Kunstverein Wiesbaden, der mit der<br />
Ausstellung »<strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong>: Adam Jankowski und Künstler aus seiner Malereiklasse an der<br />
HfG Offenbach 1987–2013«, der Offenbacher Kunsthochschule eine sehr attraktive Gelegenheit<br />
eingeräumt hat, einen Teil seiner künstlerischen Leistungsfähigkeit in architektonisch<br />
sehr stimmungsvollen, zentral gelegenen Räumen der Landeshauptstadt Wiesbaden<br />
der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Es ist eine interessante und produktive Zusammenarbeit,<br />
über deren Fortsetzung ich mich sehr freuen würde.<br />
Christian Janecke, Robert Lettner, Burghart Schmidt, Adam Jankowski, Bernd Kracke,<br />
Peter Ballmaier, Eröffnung der Ausstellung »Adam Jankowski/Robert Lettner: Philosophie der Landschaft«,<br />
Kunststation Kleinsassen/Fulda, März 2012, Foto: Fuldaer Nachrichten<br />
Prof. Bernd Kracke<br />
Präsident der Hochschule für Gestaltung Offenbach/M<br />
8 Geleitwort<br />
Bernd Kracke : Geleitwort 9
Dank<br />
Elke Gruhn<br />
Zur Ausstellung<br />
Ausstellungsprojekte mit einem Umfang wie »<strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong>« sind nicht selbstverständlich<br />
und entstehen nicht von selbst. Mein Dank für engagierte Mitwirkung an der Ausstellung<br />
und der Produktion des Katalogbuches gilt daher zuallererst den ausstellenden Künstlern.<br />
Ich bedanke mich auch bei den Autoren Dr. Anne Marie Freybourg und Dr. Hans Zitko, die<br />
mich mit ihren profund elaborierten Texten überrascht und erfreut haben.<br />
Als mitwirkende Künstler sind wir alle Frau Elke Gruhn und Frau Sara Stehr vom Nassauischen<br />
Kunstverein Wiesbaden für die Einladung zur Ausstellung und für die Unterstützung bei der<br />
Realisation des Projekts zu großem Dank verpflichtet. Auch dem gesamten Team des NKV<br />
Wiesbaden danke ich für seine tatkräftige Hilfe beim Aufbau. Zu danken ist weiterhin dem<br />
Art Regio Kulturengagement der Sparkassen Versicherung und dem Verein der Freunde<br />
und Förderer der HfG Offenbach/M, die mit ihren Zuwendungen die Ausstellung gefördert<br />
haben.<br />
Ohne eine großzügige Förderungszuwendung seitens des Hessischen Ministeriums für<br />
Wissenschaft und Kunst hätte der Druck dieser Publikation im vorliegenden Umfang<br />
nicht realisiert werden können – hier gilt mein besonderer Dank Frau Staatsministerin<br />
Eva Kühne-Hörmann. Ich danke auch Herrn Jochen Visscher vom jovis Verlag Berlin, und<br />
Herrn Philipp Sperrle, dem unerbittlichen Lektor mit scharf fokussierenden Augen, für ihre<br />
begeisterte Zusammenarbeit bei der Produktion dieses Buches.<br />
Mein besonders großer Dank geht an Herrn Prof. Bernd Kracke, Präsident der Hochschule<br />
für Gestaltung Offenbach/M, für seine vorausschauende Hilfestellung bei der Planung<br />
und Bewältigung des Projekts. Mit Dankbarkeit denke ich auch an andere Kollegen und<br />
Kolleginnen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an der Hochschule, die mich – nicht nur im<br />
vorliegenden Fall, sondern auch allgemein in der Lehre und bei der künstlerischen Arbeit<br />
– auf vielfältige Art mit Rat und Tat unterstützt und ermuntert haben – immer engagiert<br />
und mit viel Mutterwitz.<br />
And last but not least: Besonders herzlich möchte ich mich bei unserem Professor für<br />
Kunstgeschichte und Theorie der aktuellen Kunst, Herrn Dr. Christian Janecke, bei Herrn<br />
Dr. Burghart Schmidt, von 1997–2012 Professor für Sprache und Ästhetik an der HfG, und<br />
auch bei Herrn Dr. Hans Zitko, Professor für Wahrnehmungstheorie, für ihre klugen und<br />
kompetenten Anregungen bedanken und für ihre meist nachdenklich stimmenden, jedoch<br />
stets ermutigenden Analysen zur Kunst und Zeit.<br />
Adam Jankowski<br />
Adam Jankowski beendet in diesem Jahr seine Lehrtätigkeit als Professor an der renommierten<br />
Hochschule für Gestaltung in Offenbach, deren positive Entwicklung er entscheidend<br />
mitgeprägt hat. Bezeichnend gleichermaßen für seinen kompromisslosen Stil<br />
der Lehre und die eigene künstlerische Laufbahn war und ist der Austausch mit anderen<br />
Künstlerinnen und Künstlern. Entsprechend konsequent gestaltet er das Resümee seiner<br />
Lehrtätigkeit in Form einer Gruppenausstellung in Kooperation mit Alumni aus seiner Klasse.<br />
Die Grundlage für sein ambitioniertes Ausstellungskonzept bildet der bis heute bestehende,<br />
sehr gute Kontakt zu den ehemaligen Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und<br />
Studenten aus 26 Jahren Lehrtätigkeit. Den Grundsatz seiner Lehre »FREIE SICHT« – als<br />
Formel für eine unabhängige künstlerische Entwicklung — wählt Adam Jankowski auch als<br />
Ausstellungstitel. Bis heute ist er bestens vertraut mit der künstlerischen Entwicklung der<br />
jüngeren Generation, wodurch es ihm gelingt, eine harmonische Ausstellung mit kontrapunktischer<br />
Raffinesse zu komponieren, die die Zielsetzung seiner Lehre als Melodie durch<br />
alle Räume des Kunstvereins trägt.<br />
Die Förderung zeitgenössischer Kunst und deren Vermittlung bilden die zwei Hauptaufgaben<br />
des Nassauischen Kunstvereins Wiesbaden, der programmatisch neben thematischen<br />
Gruppenausstellungen und dynamisch-experimentellen Einzelpositionen auch immer wieder<br />
Klassen der umliegenden Kunsthochschulen zeigt, um die aktuelle Entwicklung stichprobenhaft<br />
zu dokumentieren. Ein Unterfangen, das in der Landeshauptstadt Hessens auch<br />
als politisches Statement verstanden werden darf. Eine bilanzierende Ausstellung mit einer<br />
ganzen Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, deren Gemeinsamkeit zwar ein bestimmtes<br />
Element ihrer Ausbildung war, die jedoch heute „independent“ und etabliert, geografisch<br />
weit verstreut ihren eigenen Weg gehen, war für uns als gastgebende Institution<br />
spannendes Neuland — an dieser Stelle möchte ich allen Künstlerinnen und Künstlern für<br />
ihr großes Engagement danken. Für uns waren es neue Namen aber auch alte Bekannte, die<br />
zum Teil ihre Ausstellungslaufbahn bei uns im Haus starteten, aber immer eine Inspiration.<br />
»FREIE SICHT« versammelt Werke aus den unterschiedlichsten Bereichen und Medien der<br />
Kunst: Malerei, Zeichnung, Objekte, Künstlerfotografie, Rauminstallation, Designentwürfe,<br />
die in tradierten und digitalen Formen präsentiert werden. Diese Vielseitigkeit fasst Adam<br />
Jankowski treffend zusammen: „Die Formen der Kunst sind vielfältig wie das Leben“ – ihm<br />
gilt der Dank für sein Lebenswerk.<br />
Elke Gruhn<br />
Künstlerische Leiterin Nassauischer Kunstverein Wiesbaden<br />
freunde der hfg<br />
10 Adam Jankowski : Dank an Förderer und Kooperationspartner Elke Gruhn : Zur Ausstellung 11
Adam Jankowski<br />
<strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong>, oder die Welt wie sie ist<br />
Galerie nächst St. Stephan Wien 1969, Ausstellung<br />
»10 über 10«, 2 »Strukturelle Konstellationen« von<br />
Adam Jankowski, vorne Objekt von Uta Beckmann<br />
Bilder malen ist schön. Ausstellungen machen ist auch schön. Woher stammt jedoch meine<br />
Lust an dem Zusammenstellen und Aufbauen von Ausstellungen? Die Erklärung liefern –<br />
wie so häufig – vermutlich Erlebnisse des Künstlers aus seinen Anfängen, aus jener Zeit,<br />
als er als junger Mann noch lernte, ein Künstler zu sein. Im Jahre 1968 – ich war gerade<br />
20 Jahre alt und studierte im ersten Jahr an der Wiener Kunstakademie – suchte mich in<br />
meinem mir von der Akademie gestellten Atelier, das sich im 3. Bezirk in der Keinergasse<br />
befand, der Bildhauer Oswald Oberhuber 1 auf. Als Assistent von Monsignore Otto Mauer,<br />
des damaligen Leiters der Galerie Nächst St. Stephan, war er gerade dabei, für die damals<br />
höchst angesehene Galerie – sie agierte noch nicht als leblose Kommerzbude, sondern als<br />
intellektuell vitale Programmgalerie – eine Ausstellung mit Arbeiten der jungen Generation<br />
zusammenzustellen. Oswald, genannt Ossi, Oberhuber schaute sich kurz in meinem Atelier<br />
um, hielt die Nase in den eingetrockneten Kochtopf mit den gebackenen Bohnen, würdigte<br />
die sorgfältig aufgebauten Bilder nur eines flüchtigen Blickes und sagte im Weggehen: »In<br />
der Ausstellung bist du dabei - schickst zwei große Bilder und baust ein Objekt auf.« Von<br />
nun an war ich in Oswald Oberhubers Umfeld und verfolgte sein künstlerisches Treiben<br />
mit angemessener Neugier. 1969 sah ich die von ihm ausgerichtete thematische Gruppenausstellung<br />
»Kunst ohne Künstler: Surrealisten ohne Surrealismus, Surrealismus ohne<br />
Surrealisten«, war aufmerksamer Gast bei mehren »Internationalen Kunstgesprächen«<br />
und besuchte seine Einzelausstellungen, unter anderem auch die Ausstellung »Galerie in<br />
Ruhe«. Mit solchen Aktivitäten gelang es Oswald Oberhuber, die bis dahin vom biederen,<br />
missverstandenen Surrealismus verkrustete österreichische Kunstszene für internationale<br />
Kunstformen zu öffnen. Für mich wurde dadurch klar, dass ein diskursiv ausgerichteter<br />
Künstler seine künstlerischen Projekte auch in Form von Ausstellungsprojekten realisieren<br />
und vorantreiben konnte. In dieser Hinsicht war Oberhuber wieder mal ganz vorne, diesmal<br />
im Medium der Sozialen Plastik.<br />
Tobias Kasan Nasew 2012<br />
Öl auf Leinwand, 70 x 50 cm<br />
Seit meinen künstlerischen Anfängen habe ich also gern Ausstellungen konzipiert und inszeniert.<br />
Als Lehrender an einer Kunsthochschule war ich froh darüber, dass das Machen<br />
von Ausstellungen zu den Pflichtübungen der künstlerischen Lehre gehört (siehe auch den<br />
Anhang zur Lehre). In der Ausstellung »<strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong>«, mit der ich nach 26 Jahren meine<br />
Lehrtätigkeit an der HfG Offenbach beende, habe ich Künstler und Künstlerinnen versammelt,<br />
die erstens als treibende Persönlichkeiten in meiner Klasse tätig waren und die zweitens<br />
auch noch heute, trotz aller widrigen Umstände, als erfolgreiche Künstler agieren.<br />
Mit ihren Werken verfolgen sie in unterschiedlichen Medien scheinbar unterschiedliche<br />
Konzeptionen, die man grob als neue Wege des zeitgenössischen Realismus oder eines<br />
aktuellen Surrealismus, einer mehr oder weniger subversiven Antikunst und sogar eines<br />
künstlerisch verstandenen Kommunikationsdesigns ... einordnen kann. Alle künstlerischen<br />
Positionen sind dabei natürlich kontextuell auf das Zeitalter der elektronischen Medien<br />
bezogen, die die heutigen Bildproduktionen bestimmen. Diese stilistisch mannigfaltigen<br />
Künstlerpositionen stellen jeweils individuelle Narrationen über unsere »Welt, die nicht<br />
weiß, warum sie da ist« 2 dar. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die aktuellen Wirklichkeiten<br />
reflektieren, also die Ambivalenzen der Welt so beschreiben, wie wir sie hervorbringen und<br />
zu verstehen versuchen. Mit unterschiedlichen Formen der innovativen Ästhetik gehen sie<br />
der Frage nach, ob zeitgenössische Künstler relevante Aussagen zu einer immer komplexer<br />
werdenden Welt, einer neuen Welt ohne kohärente und homogene Systeme überhaupt noch<br />
liefern können.<br />
12 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Adam Jankowski : <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong> 13
Marcus Sendlinger malt klar aufgeräumte Bildkompositionen von großer farbiger Raffinesse:<br />
Farbe und Form auf höchstem ästhetischem Niveau, Schicht um Schicht aus der Tiefe<br />
des Bildraumes aufgebaut, Struktur um Struktur sauber verbunden. Man könnte meinen,<br />
seine Malerei sei ein abstrakter, geometrischer Kosmos aus dem althergebrachten, formstrengen<br />
Konstruktivismus, doch das Atelier von Marcus Sendlinger ist keine mit esoterischen<br />
Dogmen gefüllte Mönchszelle, sondern eine von Altöl geschwärzte Garage: Zwischen<br />
den Leinwänden sind überall Teile von zerlegten Motoren auszumachen, die als Ausgangspunkt<br />
für formale Bildeinfälle dienen oder als Readymades einfach ins Bild montiert werden.<br />
In seiner bildhauerischen Arbeit erweckt Sendlinger als kundiger Kenner der automobilen<br />
Vehikel historische Bikes, Autos und Wohnwagen zu neuem Leben; als Maler lässt er<br />
sich von der anorganischen Ästhetik der Maschinen zu seinen gemalten Bildkompositionen<br />
inspirieren, die Abstraktion und Realität dialektisch verklammern. Sendlingers Malerei und<br />
Installatio-nen zeugen nicht von der naiven Technophilie, von der die Gründungsväter der<br />
Moderne getragen wurden, sondern sind durchdrungen von einer Melancholie der Technik,<br />
die vom Ende des Zeitalters der Mechanik zu berichten weiß.<br />
Markus Weisbeck arbeitet im Bereich der angewandten und freien Grafik. Mit seiner Auffassung<br />
der angewandten Form steht er László Moholy-Nagy und anderen Gestaltern des<br />
Bauhaus nahe, denn seine Formensprache wurzelt in der konstruktivistischen Abstraktion,<br />
allerdings erweitert um die Erfahrungen des Minimalismus und Konzeptualismus der<br />
Gegenwart. Den anorganischen, kristallinen Formen und Strukturen, die Weisbeck für die<br />
Plakatserie zu Liam Gillicks Auftritt auf der Biennale Venedig 2009 entworfen hat, liegen<br />
keine realen dreidimensionalen Körper zugrunde, auch keine digitalen Verfremdungen,<br />
sondern reale Lichterscheinungen - energetisch aufgeladene Lichtstrahlen, gebeugt und<br />
gebrochen durch Prismen, deformieren typografische Zeichen. Die so imaginierten Formationen<br />
erinnern an Vergrößerungslinsen der Naturwissenschaftler, aber auch an Blicke<br />
in die Glaskugeln von Wahrsagerinnen, die damit Auskünfte über die Zukunft zu erlangen<br />
hoffen. Die vierte Dimension Zeit wird in diesen, die rationalen kartesischen Koordinaten<br />
auflösenden, Arbeiten als ein irreversibler Ablauf ohne umkehrbare Richtung beschworen.<br />
Auf diesen Aspekt weist auch der reflektierte rotierende Lichtstrahl der Arbeit » ... nach<br />
Joost Schmidt«.<br />
Der Maler Frank Schylla entwickelte seine Malerei gleichsam aus der Erfahrung der Optik<br />
eines Mikroskops. Seine Kunst basiert ebenfalls auf der Beobachtung der empirischen<br />
Naturprozesse, allerdings speist sich seine Bildwelt nicht aus der Physik, sondern aus den<br />
Phänomenen der Biologie und Humanmedizin, die ihm seit seiner Kindheit – und aus einem<br />
abgebrochenen Studium – vertraut sind. Auf der Leinwand erzeugt Frank Schylla mit seinen<br />
raffinierten Malverfahren einen Mikrokosmos aus Formen und Farben, der aus feinsten<br />
Binnenstrukturen und nuancierten Farbüberlagerungen besteht. Jeweils für sich betrachtet<br />
entwickeln diese Mikroteilchen eine eigene visuelle Wirkung. Aus einer gehörigen Entfernung<br />
betrachtet, schließen sie sich zu einer neuen Wirklichkeit zusammen und bieten dem<br />
Betrachter einen spannenden Einblick in poetische gefasste, abstrakte Landschaften und<br />
komplexe Formkomplikationen.<br />
Der Maler Oliver Flössel konzentriert sich in seiner Malerei auf Formphänomene und Inhalte,<br />
die nur in einem anderen, einem größeren Maßstab beobachtet werden können. Flössel<br />
arbeitet auf den Spuren des gestischen abstrakten Expressionismus, dessen Bildsprache er<br />
mit Formen aus den Straßengraffiti und mit den Attitüden des HipHop anreichert, setzt sich<br />
aber bewusst von den cremigen Farbkrusten ab, die die internationalen expressionistischen<br />
Neuwild-Maler mittels der von ihnen bevorzugten Schweinsborstenpinseln erzeugten. Flössels<br />
Bilder sind schrille, pseudopathetische Chiffren und Spuren jener psychologischen<br />
Aufgeregtheiten, die unser von Konsumzwängen der Werbung und von den Verblendungskulissen<br />
der Kulturindustrie geprägtes Leben in urbanen Unterhaltungsparadiesen hervorbringt.<br />
Es sind zugleich Versuche, im allgegenwärtigen Hintergrundrauschen der neuen<br />
Unübersichtlichkeit eine Sinnhaftigkeit zu entdecken.<br />
Auch die Malerei von Erik Pfeiffer kreist um das Thema der urbanen Konsum- und Mediengesellschaft.<br />
Seine in der polyfokalen Bildsprache eines modernen Kubismus aufgebauten<br />
Bilder zeigen komplexe Stadtlandschaften: Neubauten, bunt getüncht oder bereits im<br />
Einsturz begriffen, Durchblicke auf längst ausgebrannte, ehemals blühende Landschaften,<br />
absurde Brachen, Brücken und Schreberhäuschen. Alles bizarr zerklüftet, fragmentarisiert<br />
und durcheinandergeworfen. Erik Pfeiffers Darstellungen von bewohnten Interieurs lenken<br />
den Blick auf Billigmöbel und sonstigen Tinnef aus dem Supermarkt: schöner Schein, Erosionen,<br />
Implosionen, Medienterror ... In die große Komposition mit dem schönen, modernen<br />
Titel »e:\bilder\gesehen\scherbenbrandschatzen.jp«, die Erik Pfeiffer als ein »combine<br />
painting« angefertigt hat, ist ein Kontrollmonitor integriert, der Bilder einer Beobachtungskamera<br />
ins Bild bringt, die an einem an das Tableau geschraubten Metallgestell befestigt<br />
ist.<br />
Nadine Röther und Philipp von Wangenheim bilden das Künstlerduo Röther von Wangenheim.<br />
In dieser Konfiguration entwickeln sie konzeptuelle Skulpturen mit ironischem Charakter,<br />
wie dies exemplarisch in ihrer in Schwarzlicht getauchten Installation »Undercover«<br />
zum Vorschein kommt. Hier wird eine große Anzahl von dilettantisch gekritzelten, aber<br />
gerahmten Zeichnungen auf das Kostbarste illuminiert und zum Leuchten gebracht. Es ist<br />
eine seltene Technik, aber erst kürzlich bin ich in der Hamburger Ausstellung von Roberto<br />
Matta einem Bild begegnet, das von dem großen chilenischen Maler mit speziellen Farben<br />
für eine Präsentation im Schwarzlicht angefertigt worden ist. In ihrer individuellen Arbeit<br />
widmet sich Nadine Röther der Anfertigung von Objekten aus brüchigen Materialien und<br />
von höchst fragiler Erscheinung, während Philipp von Wangenheim sich immer mehr zu<br />
einem Beatschriftsteller entwickelt hat, der als singender Rockpoet seine Texte in Form von<br />
Post-Punk-Songs in die Ohren des Publikums trägt. Philipp von Wangenheim: »Der Mann<br />
mit Rummm«.<br />
Der poetische Kosmos, den Julia Oschatz in ihren Zeichnungen, Malereien, Animationen,<br />
Installationen und Performances vor uns ausbreitet, ist eine düstere Welt, die ohne die<br />
glitzernden Oberflächen der Konsumgesellschaft auskommt. Das befremdlich anmutende<br />
Tun und Treiben der von ihr entwickelten – und meistens auch von der Künstlerin dargestellten<br />
– Protagonisten findet in merkwürdigen Maskierungen an menschenleeren Örtlichkeiten<br />
von urzeitlicher Anmutung statt. Die Imaginationen rufen dem Betrachter die<br />
existenzialistischen Miserabilitäten in Erinnerung, wie sie etwa in Becketts »Warten auf<br />
Godot« oder in Ciorans nihilistischen Aphorismen zur Sprache kommen. Doch die so traurig<br />
und pessimistisch scheinende Welt von Julia Oschatz zeigt auch die komischen Aspekte<br />
der menschlichen Existenz. Sie offenbaren sich vor allem in ihren theatralisch konzipierten<br />
Videos. Hier agiert die Künstlerin in Rollen und Verkleidungen, deren Figuren den Betrachter<br />
auch an die absurden Späße der Dadaisten denken lassen, die diese in ihrem Züricher<br />
Theater Cabaret Voltaire zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zelebrierten. Aber auch so<br />
manches eigene Erlebnis – im wahren Leben wie im Traum – kommt einem da in den Sinn.<br />
Auch Xenia Lesniewski inszeniert raumfüllende Installationen, die sich durch das Zusammenspiel<br />
mehrerer Medien auszeichnen: starkfarbige Zeichnungen, Texte, Papierobjekte<br />
und banale Fundstücke, Neonlampen, Projektionen und Abspielgeräte von Zeichentrickfilmen<br />
laden in eine hybride Welt von großer Signifikanz ein. Das komplexe Durcheinander<br />
der hier um die Aufmerksamkeit des Betrachters wetteifernden Informationen bringt Anna<br />
Oppermans komplex geschichtete »Ensembles« in Erinnerung. Xenia Lesniewskis Installationen<br />
präsentieren sich offener, nämlich als ein vitaler, stark aufgeladener Neo-Lettrismus;<br />
sie sind bunt, sinnlich, voll sexueller Anspielungen, lesbar und zugleich auch nicht<br />
lesbar, statisch und bewegt, flächig und räumlich, digital und analog, scheinbar fröhlich<br />
und doch voll Trauer ... »Große Abstraktion« und »große Realistik«, von der einst Riegl und<br />
Kandinsky sprachen, kommen hier zusammen und verschmelzen lebendig und kraftvoll in<br />
einer vielstimmigen Wechselwirkung.<br />
14 Adam Jankowski : <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Adam Jankowski : <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong> 15
Dorothee Diebold beschäftigt sich in ihrer Malerei mit Themen und gesellschaftlichen Rollen,<br />
denen man als moderne Frau nicht entkommen kann: gutes Aussehen, geschicktes<br />
Schminken, Sich-vorteilhaft-kleiden und Sich-verkleiden, ... Die Konstruktion des weiblichen<br />
Ichs als Erfüllung der von Medien und Werbung sozial definierten Rollen und Dresscodizes<br />
wird von der Malerin mit rauer Malerei in unbunten Farben auf lebensgroßen Formaten<br />
als eine albern anmutende Maskerade geschildert, die im normalen Leben ihren<br />
Höhepunkt im Schmuck eines royal anmutenden Hochzeitskleids findet. Oder eben in der<br />
ebenso fragwürdigen Fiktionalisierung der Frau als Nixe im infantilisierenden Ballettkleidchen<br />
oder ihrer Idealisierung als eine verführerische Madonna: »Flodde Biene«.<br />
Cornelia Thomsen erlernte in ihrem ersten Leben, das sich in den Kulissen der untergegangen<br />
DDR abspielte, in der bekannten Meißen-Manufaktur das akribische Handwerk einer<br />
Porzellanmalerin. In ihrem zweiten Leben, das im vereinigten Deutschland stattgefunden<br />
hat, gründete sie eine Familie und absolvierte ihr Kunststudium. Das dritte Leben brachte<br />
sie nach New York, wo sie angefangen hat, ihre »Streifenbilder« zu malen. Die akkurat<br />
auf Leinwand mit Ölfarben gemalten Streifenabstraktionen entwickelte Cornelia Thomsen<br />
aus Inspirationen, die sie auf Long Island beim Beobachten der Wellen des atlantischen<br />
Ozeans erlebt hat. Die Übersetzung der Wellenbewegung in neutrale und direkte Streifen<br />
führte zu einer abstrakten Arbeit, die sich mit grundlegenden Fragen der Farbe und der<br />
Linie beschäftigt. Das vertikale Format schließt jegliche Erinnerung an Landschaft aus, nur<br />
die Farbgebung stellt die Beziehung zum Wasser her. Cornelia Thomsen begann mit ihrem<br />
Zyklus der »Stripe Paintings«, bevor Gerhard Richter ähnliche Abstraktionen als digitale<br />
Figurationen in einem Buch veröffentlichte; der große deutsche Maler hat seine Kompositionen<br />
sicher aus ganz anderen künstlerischen Beweggründen entwickelt. Eine bewusste<br />
Affinität zu den fotografischen Bildwelten im Frühwerk von Gerhard Richter stellen aber<br />
Cornelia Thomsens autobiografisch aufgeladenen Erinnerungsbilder an ihr erstes Leben in<br />
der DDR dar: Ihre Serie »Role Models« fokussiert die exponierten Bonzen eines entrechtenden<br />
Systems.<br />
Bea Emsbach ist eine virtuose Meisterin der feinen Linie. Die Wesen und Visionen, die sie mit<br />
ihren formal perfekten Lineaments entwirft – und neuerdings auch als Figuren aus Wachs<br />
anfertigt –, muten im ersten Moment wie Gnome aus den Märchen der Brüder Grimm an,<br />
lassen uns aber auch an die Erfindungen und Eingebungen denken, mit denen Hieronymus<br />
Bosch seinen Zeitgenossen den richtigen Weg ins himmlische Jerusalem weisen wollte.<br />
Moderner denkenden Betrachtern fallen vielleicht die Experimente im Laboratorium des<br />
Herrn Viktor Frankenstein ein. Die Zeichnungen und Figuren von Bea Emsbach eröffnen<br />
uns Blicke in die Zukunft unserer zoologischer Spezies; sie erscheinen als künstlerische<br />
Vorwegnahmen von Mutanten aus den Giftküchen der avanciertesten Gentechnologien und<br />
Anthropotechniken, also als Geschöpfe, die nach uns unsere Welt bevölkern werden.<br />
Früher, in vorindustriellen Zeiten der Romantik, erlebte ein Reisender die Landschaft mit<br />
ihren uralten Tälern und Bergen, denen diverse Eiszeiten im Verlauf von Jahrmillionen ihre<br />
Form gegeben haben, als einen imposanten Ausdruck der Erhabenheit, der der Ewigkeit<br />
eigen ist. Ähnliche Ergriffenheit verspürte der romantisch geprägte Mensch gegenüber den<br />
lebendigen Formen der Natur, also den die Landschaften bewohnenden und sie schmückenden<br />
Pflanzen und Tieren, die in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit auch eine Verkörperung<br />
von Zeit und Ewigkeit darstellen. Tatiana Urban definiert in ihrer Malerei den modernen<br />
Menschen als einen Fremdling, der durch die Ökonomie des aktuellen Verschwendungskapitalismus<br />
aus der Natur herausgetreten ist und sich nun vor der dritten Natur durch<br />
Überlebensanzüge aus Kunststoff schützen muss. Es bleibt offen, ob der Zwang zur schützenden<br />
Verhüllung sich aus einer zwar auf das Üppigste gedeihenden, jedoch ins Feindliche<br />
verwandelten Natur ergibt oder aus dem Verlust der Immunität resultiert, den die menschliche<br />
Gattung erlitten hat.<br />
Auch der Maler und Performer Dirk Baumanns reflektiert in seiner Malerei und in seinen<br />
bemalten Skulpturen die Zerstörung der natürlichen Umwelt und der Potenziale der<br />
Naturressourcen. Seine großformatigen Gemälde zeigen apokalyptische Landschaften, die<br />
den Mythos von der alle Existenzprobleme heilenden Kraft des grenzenlosen Wirtschaftswachstums<br />
als einen Selbstbetrug entlarven. Parallel zur Beschäftigung mit dem gemalten<br />
Bild ist Dirk Baumanns intensiv als Performance-Künstler aktiv: als »Farbenfresser und<br />
Farbenspucker, Farbenkotzer und Farbenerbrecher ... « nimmt sein verkleideter, mit diversen<br />
Farbpumpen aufgerüsteter Körper buntschillernde Gestalten an und verwandelt den<br />
performenden Künstler in einen Mutanten, der direkt aus der Farbenküche der radioaktiven<br />
Elementarteilchen zu kommen scheint.<br />
Die Welt als Setzung, Handlung und Tatsache. Die Objekte und Installationen von Sebastian<br />
Heinrich entstehen als Transformationen und Metamorphosen von Readymade-<br />
Gegenständen, die als plastische Reaktion auf In-Situ-Raumsituationen entwickelt werden.<br />
Auf den ersten Blick wirken sie so nüchtern wie die positivistischen Theoreme von Ludwig<br />
Wittgenstein und anderer Verfechter der formalen Logik, die in dem Wiener Kreis versammelt<br />
waren. Sebastian Heinrich verhilft den Alltagsgegenständen durch seine formstrengen<br />
formalen Eingriffe zu einer neuen Gestalt, wodurch sie nicht nur eine neue Form, sondern<br />
auch eine neue Bedeutung erlangen. Sie erfahren eine neue semantische Aufladung und<br />
verwandeln sich in neue Wirklichkeiten. Was zuerst wie ein formaler Kommentar zum gebauten<br />
Raum oder zum Thema Objektskulptur aussieht, ist zugleich auch Kommentar zum<br />
sozialen Raum und zu den geistigen Dimensionen, die diesen füllen.<br />
Henning Strassburger ist ein Konzeptmaler, dessen Bilder ohne die Kenntnis der programmatischen<br />
Kontexte und theoretischen Codierungen, in die sie involviert sind, nur schwer<br />
zugänglich scheinen. Doch alle Theorie ist grau und folglich verfügen die häufig als Interventionen<br />
in den Raum platzierten Malereien von Henning Strassburger, unabhängig<br />
von der selbstreflexiven Distanz, die die bewusste theoretische Aufladung diesen Werken<br />
verleiht, über eine starke, unmittelbare Wirkung. Getragen von der Aura eines melancholischen<br />
Glamour, deklinieren Strassburgers Leinwände und Rauminstallationen konsequent<br />
die widersprüchliche und brüchige Ästhetik von »schön« und »hässlich«. Seine neuesten<br />
Bildobjekte rufen beim Betrachten intensive, weitergehende Assoziationen auf; etwa dann,<br />
wenn die Ornamentik der trivialen Teppiche oder die dekorativen Impulse der in sie einmontierten<br />
Tierfell-Trophäen 3 in Widerstreit treten mit der Antimalerei der auf Leinwände<br />
aufgetragenen Strukturen. Der in den Fesseln einer irrationalen Gläubigkeit gefangene<br />
Orient und der seit langen aus allen metaphysischen Wolken auf den Boden der Tatsachen<br />
gefallene Okzident werden formal miteinander in Beziehung gesetzt und verweisen so auf<br />
Realitäten, die die politischen Unternehmungen unserer Zeit bestimmen.<br />
Wir sind im mittleren Osten angekommen. Parastou Forouhar ist eine iranische Künstlerin<br />
und eine mutige und konsequente Frau, die seit Jahren unnachgiebig ihre Abrechnung mit<br />
den iranischen Mullahs vorantreibt, die ihre Eltern ermorden ließen. Vor Jahren bewarb<br />
sich Parastou Forouhar für das Gaststudium an der HfG Of mit farbigen, akademischen<br />
Studien. Die im Iran entstandenen, farbig gefassten Akte und Menschengruppen zeigten<br />
seltsam geschlechtslose Wesen, deren Sexualität und Sinnlichkeit von der repressiven und<br />
regressiven Doppelmoral der Mullahs vernichtet worden ist. Die Bilder hatten ästhetisch<br />
etwas sehr Spezielles und Parastou wurde in meine Studentengruppe aufgenommen. Schon<br />
bald entwickelte Parastou Forouhar aus der Tradition der iranischen Schrift – und aus der<br />
charakteristischen Ornamentik der iranischen Alltagsbildlichkeit – eine moderne Bildsprache,<br />
die es ihr ermöglichte, ihre Revolte gegen die Entrechtung von Mann und Frau durch<br />
die schiitischen Glaubenseiferer in unterschiedlichsten künstlerischen Medien zu artikulieren.<br />
Schon ihre ersten Arbeiten legen die Vermutung nahe, dass Parastou Forouhar zu<br />
den ersten Künstlerinnen gehört, die das Thema des Tschadors explizit im Kunstexkurs der<br />
Westkunst ästhetisch zu reflektieren und zu untersuchen begonnen haben.<br />
16 Adam Jankowski : <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Adam Jankowski : <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong> 17
Am anderen Ende der Welt herrschen andere Vorstellungen von dem, was wir Kunst nennen.<br />
Zeitgenössische Kunst aus China realisiert sich in der Regel entweder als Missverständnis,<br />
nämlich als seelenloser Abklatsch einer fehlinterpretierten westlichen Kunstmarktkunst,<br />
oder sie ist gefangen in Gefälligkeiten und Konventionen des Traditionellen. Das Einzigartige<br />
einer individuellen poetischen Phantasie ist in einem Staatsgebilde mit zwei Milliarden<br />
Menschen nicht vorgesehen und ergo in der zeitgenössischen Kunst aus China nur sehr<br />
selten auffindbar. Um so schöner sind die poetischen Paradiesgärten, die Dan Zhu in ihren<br />
Zeichnungen und Malereien vor uns ausbreitet; ihre Arbeiten zitieren traditionelle Anmutungen<br />
der chinesischen Tuschemalerei als kalligrafisch gewonnene Landschaft, bevölkern<br />
diese schwarzen Gärten und Landschaften jedoch mit einem höchst privaten Personal geheimnisvoller<br />
Menschen, Tiere und Mischwesen. Eingebungen aus individuellen Träumereien<br />
und traditionelle Formen der chinesischen Malerei werden miteinander versöhnt und<br />
in Einklang gebracht. Dan Zhus Bildfabeln strahlen einen unschuldigen Zauber aus und<br />
entführen unsere Phantasie in ein Zwischenreich fernöstlicher Capriccios.<br />
Der Künstler Goekhan Erdogan – sein Name weist auf türkische Wurzeln hin – geht in<br />
seinen Arbeiten den Problemen der Identität nach. Die Fragen »Wer bin ich, wer kann ich<br />
sein und werden?« werden ausgehend von fotografischen Selbstporträts von ihm sozusagen<br />
empirisch aufgeworfen und mit minimalistischen ästhetischen Mitteln zur Geltung gebracht:<br />
Das Subjekt will Bild werden. Obwohl Goekhan Erdogan fast immer mit Fotografien<br />
seiner selbst arbeitet, scheinen die privaten Implikationen der schwankenden Emigrantenexistenz<br />
für ihn nicht im Zentrum seiner Suche zu stehen, sondern die tiefergehenden<br />
Formen der Erscheinung und Greifbarkeit dieses Konfliktpotenzials, also die möglichen<br />
Freiheitsgrade in der Konstruktion von Persönlichkeit und Individualität, die unsere sich<br />
immer mehr ausdifferenzierende postmoderne Konsumgesellschaft den Menschen noch<br />
zugesteht.<br />
Auch die Biografie von Nasan Tur ist durch einen Migrationshintergrund geprägt. Es verwundert<br />
nicht weiter, dass auch er in vielen seiner Arbeiten Fragen der Identität und kulturellen<br />
Entwurzelung bearbeitet. Nasan Tur verbindet mit dieser Problematik jedoch nicht<br />
nur seine privaten, psychologischen Bezüge – exemplarisch festgehalten in der Fotoarbeit<br />
»Abschied von der Mutter« –, sondern thematisiert in seinen konzeptuell positionierten<br />
Arbeiten auch weitergehende soziale und politische Implikationen, mit denen die unterschiedlichen<br />
Generationen der Gastarbeiter in der Bundesrepublik konfrontiert wurden und<br />
werden. Nasan Tur greift in seiner Arbeit bewusst künstlerische Strategien der von Joseph<br />
Beuys propagierten »Sozialen Plastik« auf und verbindet sie häufig mit den ironischen<br />
und subversiven Impulsen der Fluxus-Bewegung. Die Objektinstallation »Like New«, die<br />
aus ausgelatschten Herrenschuhen besteht, denen durch sorgfältiges Polieren der Glanz<br />
des Neuzustands zurückgegeben wurde, gibt hier ein gutes Beispiel, ebenso wie die Arbeit<br />
»Breaking Records«, in der unser verinnerlichter Zwang zum Weiter, Schneller, Mehr ... mit<br />
sanfter Ironie aufs Korn genommen wird.<br />
Clemens Mitscher ist ein Fotografiekünstler, der seine Kunst der Fotografie konzeptuell und<br />
politisch positioniert hat. Dabei bedient er sich nicht nur des Blickes durch das Objektiv der<br />
Kamera und der digitalen Bildfundstücke, die er in den unendlichen Tiefen des virtuellen<br />
WorldWideWeb findet, sondern auch der manipulativen Eingriffe in Bildrealität, die die<br />
Kräfte der digitalen Photoshop-Technik dem zeitgenössischen Fotografen zur Verfügung<br />
stellen. In seiner künstlerischen Arbeit agiert Mitscher als ein wacher Analytiker der politischen<br />
Widersprüche. Da er ursprünglich aus dem Ansatz der Bildgebenden Fotografie<br />
kommt, inszeniert er in seinem verklausulierten Selbstbildnis den Fotokünstler als einen<br />
modernen Kampfpiloten, dessen Survivalkit und Erlebnisraum sich sowohl aus Ausrüstungsgegenständen<br />
aus der Pilotenwirklichkeit als auch aus einer fiktionalen Gegenständlichkeit<br />
zusammensetzt. Die Arbeit »Contextual Networks (Distribution, Enlightenment, Army, Illiquidity)«<br />
thematisiert im inhaltlichen Kontrast dazu die abstrakten Transfusionsprozesse<br />
des zeitgenössischen Finanzkapitalismus.<br />
Auch viele Arbeiten von Peter Zizka, der sein künstlerisches Selbstverständnis aus der<br />
Doppelidentität des Künstlers und des Kommunikationsdesigners bezieht, stellen bewusste<br />
Statements zu politischen Vorgängen dar. Seine konzeptuellen Skulpturen sind künstlerische<br />
Interventionen im öffentlichen Raum, die kompromisslos in den politischen Raum<br />
ausstrahlen. Die Installation »Das virtuelle Minenfeld«, die Peter Zizka bereits auch im<br />
Berliner Gebäude des Auswärtigen Amtes eingerichtet hat, lenkt die Aufmerksamkeit des<br />
Betrachters auf niederträchtigste Formen der modernen Barbarei, genauso wie seine im<br />
fernen Burundi durchgeführte Aktion »Symbiosis 1,5 Tonnen globale Verwicklung«, die<br />
sich der Unschädlichmachung von modernen automatischen Sturmgewehren widmet, die<br />
in Afrika von regulären Soldaten und marodierenden Rebellen alltäglich als Instrumente<br />
des tödlichen Terrors eingesetzt werden. Und dies nicht nur dort, sondern fast überall in der<br />
Welt; viele dieser Tötungsinstrumente stammen aus deutscher Produktion.<br />
Die Bilder von Sabine Moritz zeigen Tötungsmaschinen. Hubschrauber, Kriegsschiffe, Flugzeuge<br />
... alles Kriegsapparaturen, die im nicht abreißenden Flow die Seiten der Nachrichtenmedien<br />
füllen, aber in der Unterhaltungskunst des zeitgenössischen Kunstrummels<br />
kaum vorkommen. Es ist die Welt, wie sie ist, wie sie Abend für Abend uns in den Nachrichten<br />
präsentiert und im Bundestag zerredet wird. Im Kölner Atelier von Sabine Moritz gibt<br />
es eine weitere Werkfolge von größeren Ölbildern, die Szenen aus dem Russlandfeldzug<br />
festhalten: todmüde Soldaten, verwundete Partisanen, ein deutsches Exekutionskommando,<br />
verzweifelte Stadtbewohner, eine russische Ruinenstadt ... Diese Bilder sind radikal, so<br />
radikal, wie es nur junge, unbekümmerte Maler malen können. Sabine Moritz malt gegen<br />
das Vergessen des Individuellen – siehe auch ihren »Jena-Lobeda-Zyklus« – und gegen<br />
die Verdrängung und Verbiegung des Allgemeinen. Sie holt Geschichtliches wieder ins Gegenwärtige<br />
zurück.<br />
Für diese Ausstellung habe ich aus meiner Produktion ein Bild aus der aktuell entstehenden<br />
Serie der neuen Fenster-Bilder ausgewählt. Auf seine Weise imaginiert auch dieses Bild das<br />
alte Thema Krieg und Frieden und wird in der Ausstellung einen schöne Ergänzung zu den<br />
bildnerischen Statements meiner jungen KollegenInnen bilden.<br />
Die unterschiedlichen Künstlerbeiträge der Ausstellung fokussieren illusionslos und polyfokal<br />
widersprüchliche Fragmente unserer Welt und verbinden durch ihr Zusammenwirken<br />
das Reale und das Utopische. Sie tun es auf der Basis einer humanistischen Skepsis.<br />
In ihrem Zusammenspiel entfalten sie ein komplexes Panorama der Weltbetrachtung, das<br />
die Welt so zeigt, wie sie ist: verführerisch, chaotisch, partikularisiert, polyzentrisch, widersprüchlich,<br />
unsentimental und ungerecht, ständig in Veränderung begriffen und doch<br />
ständig auf der Stelle tretend, ständig den Sinn für das große Ganze verlierend und doch<br />
unablässig nach einem Sinn suchend ... Genau hier setzt die Arbeit derjenigen Künstler ein,<br />
die über einen freien Blick verfügen. Sie positionieren sich als ungebrochene Denker, die<br />
noch immer die Hoffnung nicht aufgegeben haben, unsere aus den Fugen geratene Welt<br />
durch ihre ästhetischen Interventionen vor ihrem Untergang bewahren zu können.<br />
1. Oswald Oberhuber gehört neben Werner Hofmann und Monsignore Otto Mauer zu den tragenden und<br />
prägenden Gestalten der Modernisierung der österreichischen Kunst nach dem Kriege; ihnen gebührt das<br />
Verdienst der Befreiung Österreichs von der Kitschepidemie der Wiener Schule des phantastischen Realismus<br />
und der Öffnung des österreichischen Kunstgeschehens im Sinne der internationalen ästhetischen<br />
Avantgarden. Oberhubers Verdienste als Künstler, Ausstellungsmacher, Galerieleiter, als auch Autor von<br />
kunsttheoretischen Publikationen (u. a. »Beispiele«, Edition Tusch, Wien 1970; »Wie Kunst entsteht«,<br />
Metroverlag, Wien 2009), als Lehrender und Rektor an der Akademie für Angewandte Kunst am Oskar-<br />
Kokoschka-Platz, Wien, können nicht hoch genug bewertet werden.<br />
2. So Werner Hofmann in seinem Vortrag über Gustave Courbet an der Goethe-Universität Frankfurt/M am<br />
Main am 20. November 2011.<br />
3. Der spanische König Juan Carlos hat unlängst mit dem Abschuss eines afrikanischen Elefanten auf den<br />
wahren Charakter der Tiertrophäe hingewiesen, nämlich auf die abgrundtiefe Spießigkeit ihrer Sammler.<br />
18 Adam Jankowski : <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Adam Jankowski : <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong> 19
Clemens Mitscher Contextual Networks (Distribution, Enlightenment, Army, Illiquidity) 2010<br />
4 Inkjet Prints, je 100 x 230 cm<br />
24 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Clemens Mitscher 25
Sabine Moritz Macbeth 2005<br />
Öl auf Papier, 42 x 63 cm<br />
Sabine Moritz Ambush 2007<br />
Öl auf Leinwand, 55 x 65 cm<br />
Sabine Moritz Dust 2008<br />
Öl auf Leinwand, 60 x 70 cm<br />
Sabine Moritz Skint 2005<br />
Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm<br />
28 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Sabine Moritz 29
Markus Weisbeck Liam Gillick. Deutscher Pavillon Venedig 2009/2012<br />
Fine Art Pigment Print auf Tecco Barytpapier, 80 x 60 cm Expl. 1/3 (+ 1 a. p.)<br />
Kamera Jörg Baumann, Courtesy Kai Middendorf Gallery Frankfurt/M<br />
36 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Markus Weisbeck 37
Marcus Sendlinger Ausstellung »White Paintings«, 2008, Galerie Jean-Luc & Takako Richard, Paris<br />
links Wedges 2008, rechts P.F.G.-U. or Peinture Pour Adultes 2008, Acryl und Lack auf Leinwand, 160 x 260 cm<br />
Marcus Sendlinger Ausstellung »Genesis«, Galerie Jette Rudolph, Berlin 2007, links Genesis 2006, Acryl und Lack auf<br />
Leinwand, 160 x 290 cm, Privatsammlung, Zürich; rechts Semabrava 2007, Öl, Acryl und Lack auf Leinwand, 190 x<br />
250 cm, aus der Serie »Black Paintings«<br />
Marcus Sendlinger The V-oid 2009, Acryl und Lack auf Leinwand, 240 x 180 cm, aus der Serie »HiLos«<br />
40 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Marcus Sendlinger<br />
41
44 Adam Jankowski Adam Jankowski 45
Parastou Forouhar<br />
Geboren 1962 in Teheran/Iran /1984–90 Kunststudium an der Universität Teheran /seit 1991 in Deutschland<br />
/1992–94 Aufbaustudium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach/M /1995–2000 Mitglied des<br />
Kunstprojektes Fahrradhalle Of /2001 Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung /Arbeitsstipendium<br />
der Kunstfonds–Stiftung /2004 Stipendium Schloss Balmoral /2005 Atelierstipendium Gertrude Zentrum<br />
für Zeitgenössische Kunst, Melbourne /2006 Co-Kuratorin, »Treibsand«, DVD Magazin für zeitgenössische<br />
Kunst/Teheran-Ausgabe /Stipendium der Villa Massimo /2007 Stipendium der BM Contemporary Art Center,<br />
Istanbul /2012 Co-Kuratorin, »Omid ist mein Name und der steht für Hoffnung«, JBS Anne Frank,<br />
Frankfurt/M /Einzelausstellungen u. a. /2001 »Blind Spot«, Kulturhaus Stavanger, Norwegen /2002<br />
»Schuhe ausziehen«, Ausstellungsraum de Ligt, Frankfurt/M / »Blind Spot«, Golestan Art Gallery, Teheran<br />
(wurde verboten) /2003 »Tausendundein Tag«, Hamburger Bahnhof, Berlin /2005 »Parastou Forouhar<br />
in Deutschen Dom«, Berlin / »Spielmannszüge«, Forum im Dominikanerkloster, Frankfurt/M / Saarland<br />
Künstlerhaus, Saarbrücken /2006 »Blind Spot«, Galerie Karin Sachs, München /2007 »Just A Minute«,<br />
Fondazione Pastificio Cerere, Rom /2009 »Parastou Forouhar«, Galerie Karin Sachs München / »Ich Ergebe<br />
Mich«, Azad Galerie Teheran / »Links of Violence«, Orgel Fabrik, Karlsruhe /2010 »Parastou Forouhar<br />
at RH Gallery«, NYC / »Parastou Forouhar at Leighton House Museum«, London /2011 »Written Room«,<br />
Fondazione Merz, Turin /2012 »Kein Heimspiel«, Kunst-Raum-Akademie, Weingarten /2013 »Die Poesie<br />
der ungeliebten Wahrnehmung«, Kunst Galerie Fürth / »Ornament and Crime«, Law Warshaw Gallery of<br />
Macalester College, St. Paul / »Der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß«, Römer 9, Frankfurt/M /Gruppenausstellungen<br />
u.a. /2001 2. Berlin Biennale, Berlin / »Frankfurter Kreuz«, Schirn Kunsthalle, Frankfurt/M<br />
/ »Szenenwechsel XIX«, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/M / »Wegziehen«, Frauenmuseum, Bonn<br />
/2002 »Die Quelle als Inspiration«, Franckesche Stiftung, Halle /2003 »M_ARS – Kunst und Krieg«, Neue<br />
Galerie Graz, Österreich / Zan-e-irani, Frauenmuseum, Bonn /2004 Gabriele Münter Preis, Martin Gropius<br />
Bau, Berlin / Frauenmuseum, Bonn / »Die Zehn Gebote«, Deutsches Hygiene Museum, Dresden / 4. Busan<br />
Biennale, Busan, Süd Korea /2005 »Intersections«, Jüdisches Museum Melbourne / Jüdisches Museum<br />
San Francisco /2006 »Das kritische Auge«, NKV Aschaffenburg /2007 »Global Feminisms«, Brooklyn<br />
Museum, NYC / »Retracing Territories, Kunsthalle Fribourg / »Mahrem«, Santral Istanbul, Istanbul /2008<br />
»Mahrem«, Kunsthalle Wien / Tanas, Berlin / »Naqsh«, Pergamonmuseum, Berlin /2009 »Die Macht Des<br />
Ornaments«, Belvedere, Wien / »Traum und Wirklichkeit«, Zentrum Paul Klee, Bern / »In Istanbul zwischen<br />
Ankunft und Abfahrt«, BM Contemporary Art Center, Istanbul / TASWIR, Martin Gropius Bau, Berlin<br />
/2010 »Iran di Verso: Black or White?«, Verso Artecontemporanea, Turin / »Nagsh and Raghsh«, Museum<br />
für Islamische Kunst, Sharja / »21st Century«, Queensland Art Gallery, Brisbane /2011 »ZENDEGI«, Beirut<br />
Exhibition Center / »Ornamental Structures«, Stadtgalerie Saarbrücken / »Medi(t)ation« Asian Art Biennial,<br />
Museum of Fine Arts Taiwan /2012 »Töten«, Kunstpalais, Erlangen / »The Elephant in the Dark«, Devi<br />
Foundation, Dehli / »Feminist and ...«, Matrass Factory Museum, Pittsburgh / 7th Asia Pasific Triennal of<br />
Contemporary Art, Queensland Art Gallery /Publikationen: /2003 »Tausendundein Tag«, W. König Verlag<br />
Köln /2010 »Parastou Forouhar – Art, Life and Death in Iran«, Saqi Books /2011 »Das Land, in dem meine<br />
Eltern umgebracht wurden – Liebeserklärung an den Iran«, Herder Verlag Freiburg /2012 »Im Namen<br />
Irans«, Selbstverlag Offenbach/M /2013 »Die Poesie der ungeliebten Wahrnehmung«, Kunst Galerie Fürth<br />
/www.parastou-forouhar.de<br />
oben: Parastou Forouhar Flashing 2009<br />
Fotografie auf Dibond, 60 x 80 cm<br />
rechts: Villa Massimo - Roman Martyrs 2006<br />
Fotostill aus einer Performance, Rom<br />
54 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
55
Henning Strassburger Reinheit, Purheit, Klarheit 2011<br />
Öl auf Leinwand, 180 x 150 cm<br />
Henning Strassburger Ponyface 2011<br />
Öl auf Leinwand, 180 x 150 cm<br />
64 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Henning Strassburger<br />
65
Oliver Flössel Trinata 2011/12 Öl, Acryl, Lack, Ölkreide auf Leinwand, 160 x 270 cm<br />
Courtesy Schwarz Contemporary Berlin<br />
76 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Oliver Flössel 77
Adam Jankowski<br />
Goekhan Erdogan Split 2012 Offsetdrucke verleimt, 80 x 115 x 5 cm<br />
92 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Goekhan Erdogan 93
Sebastian Heinrich rechts: The Peacock Skirt 2012/2010<br />
Stahlkette, Saugnäpfe, Maße variabel, hier ca. 220 x 160 x 2 cm<br />
Sebastian Heinrich<br />
Geboren 1980 in Darmstadt /2002–13 Studium<br />
der visuellen Kommunikation an der Hochschule<br />
für Gestaltung Offenbach/M / Typografie bei<br />
Friedrich Friedl und Malerei bei Adam Jankowski<br />
/Ausstellungen /2013 »objectz hood«, HfG-Satellit<br />
(mit Sven Schuppar) Berlin /2012 »eine/r von siebzehn«,<br />
Auswahlausstellung Stipendium Vordemberge-Gildewart,<br />
Museum Wiesbaden / »Eindringen«,<br />
zusammen mit Studierenden der EBABX, Galerie<br />
Cortex Athletico, Bordeaux /2011 »COOP 5« Diamantenbörse,<br />
Frankfurt/M /2010 »Immer die<br />
schönste Malerei...«, Galerie Haasner, Wiesbaden<br />
doppelrock@web.de<br />
Sebastian Heinrich o. T. 2010<br />
grundiertes Baumwollgewebe, Keilrahmen, Klebeband, ca. 180 x 320 cm<br />
98 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
99
Anne Marie Freybourg<br />
Ohne Utopie geht es nicht<br />
Zur Malerei von Adam Jankowski<br />
Kann Malerei extrem sein? Davon ist Adam Jankowski überzeugt und diese Ansicht prägt<br />
sein Werk ebenso wie seine Lehrtätigkeit. Trotzdem, noch einmal nachgefragt: Kann Malerei<br />
überhaupt extrem sein? Wie sähe extreme Malerei aus? Schaut man heute noch einmal<br />
auf die frühen Werke von Jankowski, zeichnen sich darin erste Linien für eine Konzeption<br />
ab, wie und warum Malerei radikal sein kann. Als Adam Jankowski nach der Hochschule in<br />
seinem ersten eigenen Atelier einen Blick aus dem Fenster warf, fand er ein Motiv, wie es<br />
nicht passender für den jungen Künstler sein konnte. Damals, in der maritimen Hansestadt<br />
Hamburg, sah Jankowski noch keine Seelandschaft. Dem rauen Landschaftsmotiv des<br />
Seestücks würde er sich erst später, nach den ersten eindrücklichen Segeltörns auf der Elbe<br />
und durch die Ostsee zuwenden. Er schaute auch noch nicht auf Medienbilder, die in der<br />
Presse über Weltraumeroberung und Raketentechnologie berichteten, die er dann später<br />
malte. Zuerst mutet seine Entscheidung für ein Bildmotiv, das den klassischen Malerblick<br />
aus dem Atelierfenster fasst, konventionell und fast bescheiden an. Aber Jankowski<br />
erschien es trotzdem wertvoll genug, dass es unbedingt gemalt werden müsste.<br />
Ein Bild aus dieser Motivserie zeigt das modernistische, in den 1960er Jahren erbaute<br />
Hochhaus der Hamburger Polizei. Darüber fliegt ein Helikopter, der gleich auf dem Flugplatz<br />
oben auf dem Dach des Polizeihochhauses landen wird. Solche »action« verbindet man eher<br />
mit dem Kino, aber nicht mit gewöhnlicher Polizeiarbeit. Klassisch wären Polizisten auf<br />
der Straße, unsere Helfer und Beschützer; oder Kriminalbeamte, die das große wie kleine<br />
Verbrechen aufdecken. Was ist das also für eine Polizeiarbeit, die Adam Jankowski mit dem<br />
Blick aus seinem Atelierfenster darstellt? Dabei ist völlig offen und auch gleichgültig, ob<br />
er das Geschehen real beobachtet oder sich vorgestellt hat. Entstanden ist diese Bildserie<br />
1978/79. Die Blicke aus dem Atelierfenster im Hamburger Stadtteil St. Georg sind, wie<br />
auch die zur gleichen Zeit entstandenen Nachtlandschaften trostloser Hinterhöfe oder<br />
der für die Putzkolonnen erleuchteten Firmensitze von Siemens oder Philipps, von der<br />
bedrückenden Atmosphäre des Deutschen Herbstes 1977 geprägt.<br />
Zu dieser Zeit entwickelten sich in der Kunst neue Formen wie Performance, Happening<br />
und »expanded cinema«, die man zuerst einmal eher als extrem bezeichnen würde, weil<br />
sie meist mit totalem Körpereinsatz operieren und auf eine radikale Konfrontation des<br />
Zuschauers aus sind. Aber diese Art des Extremen intendierte Adam Jankowski nicht.<br />
Er wollte nicht die Auflösung des klassischen Mediums Malerei, er wollte weder die<br />
gezielte Verstörung des Betrachters noch eine Zerstörung von Material und Form. Seine<br />
schon damals gereifte Überzeugung, dass man auch in modernen Zeiten mit Malerei zu<br />
Erkenntnisgewinnen und vor allem zu einem veränderten und kritischen Bildverständnis<br />
beitragen kann, haben ihn darin bestärkt, darauf zu achten, dass das Extreme nicht als<br />
Anti-Ästhetik wie eine Gewalt auf das Medium der Malerei selbst durchschlägt. Damit wäre<br />
Malerei dann nämlich beendet gewesen. Und sie wurde ja genau im Zuge dieser neuen<br />
entgrenzten und negativen Ästhetik für tot erklärt.<br />
Als kritischer Aufklärer kann Adam Jankowski keine Affinität zu einer destruktiven Gewalt,<br />
wie sie mit bestimmten Formen extremistischer Kunst einherging, haben. Ihm, der die<br />
Form liebt, ist der Schnitt durch das Bild und die Parzellierung des Bildraums in einzelne<br />
Bildabschnitte genug. Er setzt harte Montageschnitte, die er von der revolutionären Malerei<br />
der 1920er Jahre gelernt hat, zwischen höchst differente Bildteile. Aber er will die Kunst<br />
nicht so weit ins Fragmentarische treiben, dass sich die Form auflöst. Der Betrachter soll<br />
in den Bildern noch etwas zu sehen haben, er soll noch in ein, sei es realistisches oder<br />
abstraktes, imaginäres Bildliches eintauchen können. Die große Lust eines jeden Malers ist,<br />
ein Bild zu entwerfen, das den Betrachter verführt. Das ihn eventuell auch überwältigt, ihn<br />
aber vor allem ins Bild hineinzieht und ihm die Augen für das Sehen öffnet; für das Sehen<br />
des Malers und für das eigene Sehen.<br />
Adam Jankowski Atelierausblick St. Georg Nr. 1 1978<br />
Acryl auf Leinwand, 200 x 130 cm<br />
Diese Idee von Malerei führt Adam Jankowski mit Vehemenz fort. Folglich hält er nichts<br />
von der Behauptung, die Malerei sei tot. Und dass heute aus Vorsicht und Geschichts-<br />
114 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Anne Marie Freybourg 115
Hans Zitko<br />
Das paradoxe Unternehmen der Malerei<br />
Zu einigen Bildern von Adam Jankowski<br />
Adam Jankowski Im Wattenmeer 2002 Acryl auf Leinwand, 240 x 200 cm<br />
Sucht man nach übergreifenden Themen oder Motiven, die für die Malerei Adam Jankowskis<br />
kennzeichnend sind, so stößt man auf die Frage nach der Wahrheit und Geltung von Bildern:<br />
Was zeigen Bilder? Was zeigen sie nicht? Was verbergen sie? Täuschen sie womöglich das<br />
Subjekt, wie skeptische Theoretiker behauptet haben? Die Implikationen und Antworten<br />
auf die hier mit den Mitteln der Malerei selbst aufgeworfenen Probleme sind komplex. Die<br />
Betrachtung kann dort ansetzen, wo die Arbeit am Bild im buchstäblichen Sinne beginnt:<br />
Bei der Auswahl und Vorbereitung des Bildträgers, also jener Ebene, die die tragende Basis<br />
des malerischen Geschehens abgibt. Der Maler überlässt hier kaum etwas dem Zufall, er<br />
wählt diese oder jene Sorte roher Leinwand, spannt sie auf einen Keilrahmen, leimt sie,<br />
grundiert und schleift sie, bevor er die ersten Schichten auf die so entstandene Bildfläche<br />
aufträgt. In diesem Vorgehen äußert sich kein anachronistischer Verfahrenskonservatismus,<br />
sondern die klare Einsicht in die fundamentale Bedeutung des Bildgrundes für die Prozesse<br />
der Malerei. Die ästhetisch relevanten Entscheidungen beginnen bereits bei der Gradation<br />
und Dichte des Gewebes, der aufgetragenen Grundierung und dem Maß der Glättung des<br />
Bildkörpers. Dort, wo die Malerei sich im Bewusstsein der ihr immanenten Möglichkeiten<br />
entfaltet, behandelt sie die Leinwand nicht als ein neutrales und gleichgültiges Medium,<br />
sondern als ein visuell-taktiles Milieu, das sich in den aufgetragenen Strukturen stets in<br />
dieser oder jener Weise Geltung verschafft. Die Produktion von Werken hat es immer auch<br />
mit den Problemen des Austaxierens der Beziehungen zwischen Unter- oder Hintergründen<br />
und darüber gelegten Bildschichten zu tun, denn das, was auf den Bildkörper aufgetragen<br />
wird, bleibt in seiner Wirkung von den tragenden Voraussetzungen abhängig.<br />
118 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong><br />
Hans Zitko 119
seiner zwischen Violett, Gelb und Blau changierenden Farbigkeit lässt das Bild zunächst<br />
Erinnerungen an die alte Orientmalerei aufsteigen, mit der europäische Künstler die<br />
fremde arabische Kultur in eine anziehende exotische Idylle verwandelten. Doch dieser<br />
bildhistorischen Assoziation treten gegenläufige Motive an die Seite. So lassen die vorund<br />
zurückspringenden Konturen von Farbflächen, mit denen der Maler an die Rolle des<br />
Ornaments in der orientalischen Welt erinnert, zugleich an Sägeblätter oder Panzerketten<br />
denken; der linke Teil der Komposition ähnelt darüber hinaus der Wand eines beschädigten<br />
Gebäudes mit Fenstern, die den Blick auf offenbar brennende Innenräume freigeben. Die<br />
sichtbaren Zeichen militärischer Gewalt verändern den Charakter der Leinwand: Das Bild,<br />
in dem zunächst versöhnliche Züge hervortreten, präsentiert sich schließlich als Schauplatz<br />
eines düster-apokalyptischen Geschehens, das an entsprechende Darstellungen bei Pieter<br />
Bruegel oder Hieronymus Bosch denken lässt; sämtliche Momente der Szene scheinen in<br />
dieser Wahrnehmungsperspektive von einem Prozess der Zerstörung erfasst zu sein. Dass in<br />
der Wahrnehmung des Bildes neben den Spuren des Schreckens die Reminiszenz an die alte<br />
Orientmalerei präsent bleibt, vermittelt der Komposition eine irritierende Doppeldeutigkeit,<br />
die sich durch keine Reflexionsanstrengung auflösen lässt. Doch mit dieser Konstellation<br />
ist das Ausdrucksspektrum des Bildes nicht erschöpft, denn dessen komplexe Struktur<br />
kehrt immer wieder auch den Charakter einer karnevalesken Inszenierung hervor. Was der<br />
Gedanke kaum zu leisten vermag, bewerkstelligt das Bild: Die Motive des Verhängnisses<br />
und des exotischen Traums erscheinen im Gewand einer Posse, die Heiterkeit provozieren<br />
würde, wenn nicht deren Implikationen dem Bewusstsein gegenwärtig wären.<br />
Mit diesem heterogenen Komplex rührt der Maler an entsprechende Phänomene in der<br />
Rezeption der Massenmedien, denn hier vermischen sich nicht selten Informations-,<br />
Erlösungs- und auch Unterhaltungsbedürfnisse. Die leitende Frage nach dem Verhältnis<br />
von Wahrheit und Schein betrifft nun nicht mehr nur die selektiven Operationen beim<br />
Bereitstellen von Nachrichten, sondern zugleich die Formen des Umgangs mit denselben<br />
auf Seiten der Adressaten, deren Bedürfnisse selbst auf die öffentliche Informationspolitik<br />
zurückwirken. Das Bild »Monitor Nr. 11« liefert einen skeptischen Blick auf dieses<br />
Geschehen und nährt den Zweifel, ob Wahrheit, wenn sie denn medial vermittelt würde,<br />
auch als solche behandelt und wirksam werden könnte. In jedem Fall führt die Frage nach<br />
der Wahrheit der Bilder und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung auf die mit ihr verknüpfte<br />
Frage nach der Reflexions- und Differenzierungskraft des Medien verwendenden Subjekts,<br />
denn ohne entsprechende Kompetenzen bei den Nutzern ist der medial produzierte Schein<br />
nicht zu durchbrechen.<br />
Vergleichbare Implikationen besitzt »Monitor Nr. 6« (Abb. S. 130). Diese Leinwand<br />
zeigt eine leicht nach links verschobene, polychrome Fläche, die an die klassische<br />
Farbfeldmalerei erinnert; gerahmt wird diese Fläche durch ein dichtes Gefüge über- und<br />
ineinandergeschobener Segmente, die selbst wiederum von der freiliegenden Untermalung<br />
der Komposition eingefasst sind. Auch in diesem Fall kann man an einen Leuchttisch<br />
denken, auf dem Informationsmaterial ausgelegt, geschnitten und montiert wird. In der<br />
Betrachtung dieser Komposition stößt man auf eine irritierende Provokation: Während die<br />
zentral platzierte Farbzone das Bildgeschehen dominiert und aufgrund ihres Kontextes<br />
entsprechende Erwartungen aufkommen lässt, verweigert sie sich einer an konkreten<br />
Informationen interessierten Wahrnehmung; sie gibt nichts preis, sondern ähnelt einem<br />
dunstigen Himmel oder auch einem Bildschirm, auf dem nur noch eine Art von visuellem<br />
Rauschen sichtbar ist. Das Bild, das den Betrachter mit dem Zustand einer entropischen<br />
Entregelung jeder Ordnung konfrontiert, liefert einen fast ironischen Kommentar zu den<br />
Folgen einer zunehmenden Verdichtung von Informationsraten im Raum der öffentlichen<br />
Medien; gleichwohl verschwindet auch unter diesen Bedingungen die Wahrheit nicht.<br />
Jankowski greift zu den Mitteln der Malerei und demonstriert deren Potenzial in Zeiten<br />
eines kollabierenden Informationsaustausches. Das klassische Tafelbild dient ihm<br />
als Reflexionsorgan, dessen Differenzierungs- und Auflösungskraft mit den Defiziten<br />
apparativer Kommunikation stetig angewachsen ist. Mit der Perspektive der Wahrheit<br />
stirbt auch die Hoffnung nicht. Immer wieder greift der Maler auch in den apokalyptisch<br />
Adam Jankowski Monitor Nr. 6 2003<br />
Acryl und Tesa auf Leinwand, 240 x 200 cm<br />
Adam Jankowski Monitor Nr. 11 2006 Acryl, Zeitung und Tesa auf Leinwand, 240 x 180 cm<br />
130 <strong>Freie</strong> <strong>Sicht</strong> Hans Zitko 131
Anhang zur Lehre<br />
Hochschule für Gestaltung<br />
Offenbach am Main<br />
1987–2013<br />
134 Adam Jankowski Adam Jankowski 135
6. 4. 1987, Mo 12 h 1. Lehrveranstaltung<br />
0. LEHRANGEBOT: Theorie & Praxis moderner Malerei / Farbe<br />
Im Spezialbezug Visuelle Kommunikation<br />
1. VORSTELLUNG 1:<br />
Was ist Malerei?<br />
Welchen Sinn hat Malerei heute?<br />
Tagebuch, Sinnlichkeit, Freisein, Abenteuer<br />
Neuland, Entdeckungsfahrt/Reise, Identität,<br />
Egoismus, Unendlichkeit, Sprache,<br />
öffentliches Austragen individueller Konflike<br />
Sprechen durch Bilder, Verschärfte Wahrnehmung<br />
Gegenwelt, Lebensform,<br />
Denkweise, > Rücksichtslosigkeit!<br />
Wer spricht, der muß was zu sagen haben (Thema) und achtet auf die Art<br />
und Weise / Aussprache), wie er spricht (Form / Gestaltung), die Ursache<br />
seines Redens (Grund / Motiv) und reflektiert die Entwicklung seiner Äußerungen<br />
(Geschichte / Repertoire).<br />
Malerei = Bewusstseinsbildung<br />
+ Wirklichkeitsaneignung<br />
+ Wirklichkeitsbewältigung<br />
2. VORSTELLUNG: Der Dozent<br />
Biografie Ausbildung<br />
Werdegang<br />
Standpunkt<br />
Anspruch Fremdanspruch = Intensivierung des Lehrgebietes<br />
persönliche Konflikte:<br />
WIE ORGANISIERE ICH MEINE LEHRE UND FORSCHUNG?<br />
WIE ORGANISIERE ICH MEINE LEBENSUMSTÄNDE?<br />
WIE ORGANISIERE ICH MEINE ARBEIT?<br />
Situation also:<br />
UMBRUCH / AUFBRUCH / ANFANG<br />
Anfang: man steht vor dem Nichts<br />
Chance sich gemeinsam Einzurichten<br />
keine Routine<br />
Seminarsituation: Anfang / Impuls /<br />
gemensames Krisenmanagement<br />
Hindernisse : mangelnde Erfahrung<br />
# Strukturkenntnisse<br />
Geschichtslosigkeit/Kontinuierlichkeit<br />
LINIE:<br />
ANFANG – AUFBRUCH – ATELIER – AUGENKUNST<br />
Malerei nicht nur Denkform, sondern Handeln,<br />
Handwerk, konkreter Lebensraum:<br />
Der WEG ZUM MALER BEGINNT BEIM ANSTREICHEN DES<br />
ATELIERS/DER KLASSE<br />
3. VORSTELLUNG 3. : die Seminarteilnehmer<br />
Biografien, Werkansätze, Erwartungen<br />
Konzeptionen de Arbeit<br />
4. VORSTELLUNG DER ARBEITSBEDINGUNGEN<br />
Klassenraum + Einrichtungsgegenstände<br />
Werkzeuge<br />
Materialien<br />
anwesend etwa 10 Studenten,<br />
alle sehr ruhig. Klassenraum ein Sauhaufen.<br />
Nachmittags zum Mainhafen,<br />
Atelier besichtigen, das OK.<br />
Di. 7. 4. 1987<br />
2. Lehrveranstaltung<br />
A. Hauptproblem entrümpeln des Raumes + Ausmalen<br />
Einrichtung der Arbeitsplätze: Kochplatte<br />
Geschirr<br />
Radiorecorder<br />
Pinnwand<br />
Klassenbibliothek<br />
Kühlschrank<br />
B. Literaturliste: John Berger „Sehen“<br />
David Sylvester „Gespräche mit Francis Bacon“<br />
Harald Küppers „Das Grundgesetz der Farbenlehre“<br />
Max Dörner „Malmaterial“<br />
„New Spirit of Painting“ / „ZEITGEIST“ / „Deutsche<br />
Kunst seit 1945“<br />
Kunstdossier Die ZEIT Nr. 14 / 27. 3. 87<br />
Bourdieu P, „Die feinen Unterschiede“<br />
Arnold Hauser<br />
Eindrücke: Schule gespalten in Theoretiker/Handwerker<br />
die Verbindungslinie zu wenig ausgeprägt<br />
Koordinierung des Lehrangebots,<br />
Beziehungen stiften, Das Zusammenwirken der Disziplnen fördern<br />
keine Sektenbildung<br />
Studenten: schüchtern, ängslich, uninformiert,<br />
kleingehalten, vital, unselbstständig, gehemmt,<br />
unfrei, unter ihren Möglichkeiten.<br />
Offenbach/Frankfurt: trüb, trist, kleinbürgerlich, mutlos, unelegant, reduziert.<br />
C. Vorstellung der Studenten<br />
Biografien, Arbeitsproben, Motive, Erwartungen, Konzepte<br />
1. Oliver M. 6. Sem. Hauptstudium<br />
Malbuch „Selbstportrait“ > Grundfarben erotisch<br />
Markus A. 6. Sem. HpSt<br />
Malerei / Bildhauerei / Installation<br />
2. Uli W. 6. Semester<br />
abstrahierte Landschaften auf Papier<br />
kalte, erdfarbige Palette, Materialeinbauten + Skizzenbuch<br />
„Schöner Wohnen“<br />
Markus R.<br />
3. Martina S. 6. Semester<br />
schwarze Zeichnungen mit Fett, > Tiere<br />
„Schuhe + Winterlandschaft“, surreal<br />
4. Karola W. 6. Semester<br />
Ergebnis: als erstes Klasse entrümpeln und einrichten.<br />
Hauptproblem: ÄNGSTLICHKEIT<br />
Wenn jemand ängstlich malt, dann denkt<br />
er ängstlich. Wenn jemand ängstlich denkt,<br />
dann ist er unfrei. Wenn jemand unfrei ist,<br />
dann ist er nur ein Teil, ein Bruch<br />
seiner Selbst. Er liefert also nur ein<br />
Bruchteil seiner ab, also ein unwahres<br />
Bild seiner Fähigkeiten. Er bleibt unter seinem möglichen Standard.<br />
Dabei: Papier ist geduldig, die Farbe beisst nicht und künstlerisch kochen alle<br />
nur mit Wasser!<br />
Folge; Radikalisierung & Entschiedenheit. Ängste besiegen, frei werden,<br />
Enthemmung,<br />
MOTTO:<br />
vom Hasenfuß zum Himmelsstürmer!<br />
# zum Löwenherz!<br />
Skizzenbücher anlegen. Dialogmalereien.<br />
Psychogramme, Materialien sammeln. Vorräte anlegen<br />
Die Affen-geilsten Bilder müssen her,<br />
wer malt das schönste blau, rot oder grün?<br />
DESIGN IST VERPACKUNGSKUNST<br />
MALEREI IST AUFDECKUNGSKUNST<br />
1. REDUKTION<br />
2. KONZENTRATION<br />
3. RADIKALISMUS > SPARSAMKEIT, RUHE<br />
Kategorien f. Einschätzung von ästhetischen Gegenständen (nach Rudolf<br />
Arnheim)<br />
logische TRANSPARENZ<br />
materielle PRÄSENZ<br />
formale STRENGE<br />
inhaltliche IRRITATION<br />
BILDER SIND EXPLOSIONEN IM AUGE / GEHIRN<br />
DES BETRACHTERS<br />
Wie kann Malerei über ein Psychogramm hinausgeghen?<br />
KONVENTIONEN der Illustration, des Designs<br />
überwinden, um größtmöglichen Freiraum<br />
der Eigenständigkeit zu bekommen/<br />
MALEN nicht ABMALEN !<br />
DESIGN und ANTIDESIGN<br />
GESTALTUNGSGUERILLA<br />
F. Bacon - Eigenschaften eines Malers:<br />
a. Kunstgeschichte<br />
b. sich lächerlich machen<br />
c. ein Thema finden<br />
MALEN ALS INTELLEKTUELLE GESCHWINDIGKEIT<br />
13. 4. 1987 3. Lehrveranstaltung<br />
Ziel des Seminars: Ausbildung eines autonomen<br />
individuellen ästhetischen Bewußtseins / Handelns.<br />
Konzept für gestalterisches Handeln,<br />
individuelle Bildwelt<br />
Stoff sind Empfindungen, Gefühle, visuelle Ideen & Prozesse,<br />
Materialaktionen, Entwicklungen, Reaktionen<br />
individuelle Bildwelten müssen sind einmalig<br />
und müssen entsprechend behutsam behandelt werden!<br />
5. Tobias b. 8. Sem, Farb. Zeichnungen, Köpfe auf brüchigem Papier<br />
6 Bettina B., 4. Sem., lange abstrakte Landschaften, umgesetzte Spiegelungen,<br />
SW<br />
7. Annette K., 4. Sem., Strukturen für Buch, parallele Bilder<br />
8. Markus R., Kompositionen mit Tesa<br />
Lochstreifenbilder<br />
9. Susanne W., 4. Sem (Bühne)<br />
Köpfe in Kohle, s/w, vegetative Formen, Reihungsprinzip, Stichsäge<br />
14. 4. 1987 4. Lehrveranstaltung<br />
Farbkarte<br />
Schuhe<br />
Arbeitskluft<br />
gehemmt, ängstlich, anspruchslos, unfrei =<br />
KONVENTIONELL - wie abgefragte Gedichte<br />
-----<br />
Themenvorschläge: das Gehirn<br />
Musik-Partituren!<br />
Spiegelungen<br />
gelb-blau-rot<br />
SPIEGELUNGEN<br />
Partituren > BILDGESCHICHTEN<br />
visuelle Erzählungen<br />
PARADIESE<br />
Collagen aus Tesa<br />
Silberfolie<br />
Wellpappe<br />
Farbpapier<br />
3. Lehrveranstaltung 21. April 87<br />
1. Vorstellungsgespräche – Ende<br />
2. Korrektur erster Ergebnisse<br />
3. Film „6 Maler“<br />
Bilder. Farbobjekte - Farbräume<br />
Anhang zur Lehre<br />
138 Anhang zur Lehre : Aus dem Arbeitstagebuch 1987<br />
Anhang zur Lehre : Aus dem Arbeitstagebuch 1987 139
Beschreibungstexte der Lehrveranstaltungen<br />
103 Jankowski, Farbiges Gestalten. Seminar,<br />
wöchentlich, mittwochs, pünktlich. Bemerkung:<br />
Zum ersten Termin bitte Mappe mit Arbeitsproben<br />
mitbringen.<br />
Farbe und Form. Einführende Lehrveranstaltung<br />
zur Praxis des farbigen Gestaltens und zu den<br />
Techniken der freien Malerei anhand von definierten<br />
Aufgaben. Erprobung der Gestaltungselemente<br />
der Farbe und anderer Repertoires des malerischen<br />
Ausdrucks: Farbwert, Fläche und Raum, das Spiel<br />
der Kontraste, Proportion und Rhythmus, Komposition<br />
und Spannung, Struktur und Gestus ... Damit<br />
verbunden die Darstellung von Farbraum, Raum,<br />
Licht, Landschaft und Stimmung, Augenschein<br />
und Vision ... Verschärfte Wahrnehmung und das<br />
Denken in Bildern. Überlegungen zur Entstehungsweise,<br />
Wirkung und Funktion farbiger Bilder. Einführende<br />
Malmaterialkunde. Acryltechniken und<br />
Wasserfarben. Einführung in die Grundlagen der<br />
Farbtheorie und Farbsystematik. <strong>Freie</strong> künstlerische<br />
Arbeit an eigenen Bildwelten und Formenrepertoires<br />
in Form von Skizzen und Skizzenbüchern<br />
mit dem Ziel der Erkundung eigener Anliegen,<br />
Themen und Aussagen. Durchführung und Präsentation<br />
eigener Übungsaufgaben. Voraussetzungen<br />
für den Erwerb eines Leistungsnachweises: regelmäßige<br />
Teilnahme, erfolgreiches bildnerisches<br />
Arbeiten. Literatur siehe Aushang.<br />
111 Jankowski, Malerei I/II. Seminar, wöchentlich,<br />
donnerstags, pünktlich. Einzureichen sind ein<br />
schriftlich formuliertes Arbeitsvorhaben und eine<br />
persönliche Literaturliste. Bemerkung: Neue Studierende<br />
im 3. Semester legen eine repräsentative<br />
Auswahl ihrer künstlerischen Arbeiten mit allen<br />
Medien vor.<br />
Einführende Lehrveranstaltung bis zum Vordiplom.<br />
<strong>Freie</strong>s künstlerisches Arbeiten in Form von formalen<br />
Experimenten, Übungspräsentationen und Ausstellungsbeiträgen.<br />
Grundlegende Beschäftigung<br />
mit Praxis, Technik und Theorie moderner Malerei<br />
in eigener Fragestellung. Fortführung eigener<br />
thematischer Anliegen und Aussagen in Form von:<br />
Arbeiten auf Papier, Malerei, Farbobjekte, Farbräume,<br />
Installationen, Modelle für den architektonischen<br />
Raum, freie Druckgrafik, freie Illustration<br />
etc. Einführung in die Geschichte und Theorie der<br />
modernen Kunst und in die theoretischen Probleme<br />
der zeitgenössischen Malerei. Studium der<br />
kunsthistorischen Vorgaben und Begegnungen mit<br />
aktuellen Erscheinungsformen moderner Kunst<br />
durch Vorträge, Ausstellungsbesuche und Exkursionen.<br />
Künstlerische Auseinandersetzung mit Gestaltungs-<br />
und Kommunikationstechniken der Neuen<br />
Medien: Design-Programme, Photoshop, Internet<br />
etc. Teilnahmevoraussetzungen: Schein Farbiges<br />
Gestalten und eigene bildnerische Arbeiten.<br />
Voraussetzungen für den Erwerb eines Leistungsnachweises:<br />
Formulierung eines Semestervorhabens,<br />
Präsentation eigener Arbeitsergebnisse.<br />
Semesterthema: Wie werde ich ein »Independent<br />
Artist?« »The Responsive Eye/Das empfindsame<br />
Auge« lautete in den 60er Jahren der Titel einer<br />
großen Op-Art-Ausstellung. Die Formulierung<br />
knüpft direkt an Eugène Delacroix‘ Postulat Ein<br />
Bild muss ein Fest fürs Auge sein! an und artikuliert<br />
die Erkenntnis, dass Malerei ihre Wirkung<br />
nicht nur den von ihr transportierten literarischen<br />
Inhalten, sondern auch ihren visuellen Inventionen<br />
und Innovationen verdankt. Das ist die<br />
Auffassung der Moderne. Die Theorie der Postmoderne<br />
behauptet seit dem Ende der 70er Jahre,<br />
dass formale Erfindungen nicht mehr möglich<br />
seien und propagiert den Rückgriff auf Stile und<br />
Inhalte, die an längst vergangene historische<br />
Epochen gebunden sind. Das hat Erfolg, denn es<br />
knüpft an redundante Sehgewohnheiten an, die<br />
dem Massenpublikum vertraut sind. Und an dessen<br />
Bedürfnis nach eingängiger Unterhaltung. Die Problematik<br />
des Fortschritts in der/durch die Malerei<br />
wird also in den letzten Jahren bewusst aus dem<br />
Kunstdiskurs ausgeblendet, doch die Frage bleibt<br />
bestehen, welche Folgen es für die Kultur und<br />
Gesellschaft gäbe, wenn z. B. auch die technischen<br />
Naturwissenschaften und ihre Technologiefächer<br />
nach einem solchem Verdikt agieren würden. Globalisierte<br />
Informationsgesellschaft schnurstracks<br />
zurückgebeamt ins 19. Jahrhundert? Oder kurz gefragt:<br />
Wie muss, wie kann Malerei nach Kandinsky,<br />
Picasso und Mondrian aussehen? Literatur? Wird<br />
per Aushang bekannt gegeben.<br />
125 Jankowski, Malerei III. Seminar, wöchentlich,<br />
donnerstags, pünktlich. Einzureichen sind ein<br />
schriftlich formuliertes Arbeitsvorhaben und eine<br />
persönliche Literaturliste. Neue Studierende im<br />
Hauptstudium legen eine repräsentative Auswahl<br />
ihrer künstlerischen Arbeiten aus aller Medien<br />
vor. Vertiefende Beschäftigung mit der zeitgenössischen<br />
Malerei in eigener Fragestellung. Individuelle<br />
analytische Arbeit an eigenständigen und<br />
innovativen Bildkonzeptionen, persönlichen Formenrepertoires,<br />
Farbpaletten und Malprozessen.<br />
<strong>Freie</strong> Druckgrafik. Auseinandersetzung mit den<br />
ästhetischen Techniken und Potenzialen der Neuen<br />
Medien (Fotografie, Video, digitales Zeichnen und<br />
Malen, Animation, 3-D-Simulation ...) im Hinblick<br />
auf ihre Integration bzw. Anwendung im eigenen<br />
Werkansatz. Vertiefende Beschäftigung mit der<br />
Geschichte und Theorie der modernen Kunst und<br />
Auseinandersetzung mit den aktuellen kunsttheoretischen<br />
Diskursen. Begegnungen mit aktuellen<br />
Erscheinungsformen moderner Kunst durch Vorträge,<br />
Ausstellungsbesuche und Exkursionen. <strong>Freie</strong><br />
künstlerische Projekte in Form von selbstständigen<br />
Ausstellungen und Präsentationen, Entwürfen<br />
und Modellen für den öffentlichen und urbanen<br />
Raum. <strong>Freie</strong> Illustration und künstlerischer Plakatentwurf.<br />
Texte zur eigenen Arbeit; Selbstdarstellungsbroschüren,<br />
Kataloge, Dokumentationen<br />
(analog und digital). Max. Teilnehmerzahl: 15.<br />
Teilnahmevoraussetzungen: Leistungsnachweise in<br />
Malerei I und II und Vordiplomprüfung in Malerei<br />
bzw Zeichnen, Illustration, Bildhauerei, Fotografie,<br />
Kommunikationsdesign, Elektronische Medien,<br />
Film, etc.; Teilnahme an den Lehrveranstaltungen<br />
in Kunsttheorie, Kunstgeschichte, Mediensoziologie,<br />
Ästhetik und Kunstphilosophie ... Voraussetzungen<br />
für den Erwerb eines Leistungsnachweises:<br />
Formulierung der eigenen Semestervorhaben und<br />
regelmäßige Präsentationen eigener Projekte<br />
während der Semester 5 bis 9.<br />
Semesterthema: »Der neue Mensch«. Die Frage<br />
nach dem Handlungsmodus eines jeweils „Neuen<br />
Menschen“ stand stets im Zentrum der Kunstdebatten<br />
der jeweiligen Etappen der Moderne,<br />
ob nun im Jugendstil der Jahrhundertwende, im<br />
Konstruktivismus der 20er Jahre, in der verlogenen<br />
Propagandakunst der Nazis bzw. Stalinisten oder<br />
der PopArt der nach 1945 startenden Konsumgesellschaft.<br />
Zu Beginn des 21sten Jahrhunderts<br />
scheinen alle diese Entwürfe einer neuen Existenz<br />
gescheitert: Trotz allem Gewinn an rationaler Erkenntnis<br />
und humanistischer Aufklärung setzt die<br />
Gesellschaft des ungeregelten Finanzkapitalismus<br />
die irreversible Nivellierung der Lebensformen,<br />
die Zerstörung aller Lebensräume und Lebensressourcen<br />
fort. Die politische und ökonomische<br />
Versklavung der Welt wird durch digitale Technik<br />
perfektioniert: Weltweit treiben Oligarchen ihr<br />
Unwesen, ohne dass ihnen widersprochen wird.<br />
Die Helden der klassischen Moderne sind von<br />
Depressionen geplagt und müde und dröhnen<br />
sich mit Surrogaten zu. Die Frage nach neuen und<br />
zukunftsträchtigen Entwürfen für individuelle und<br />
kollektive Überlebensstrategien und Existenzformen<br />
in der Desinformationsgesellschaft des Verbrauchskapitalismus<br />
wird immer akuter: eine neue<br />
Herausforderung für Kunst und Künstler. Literatur?<br />
Wird per Aushang bekannt gegeben.<br />
Tobias Kasan, Rundgang 2012<br />
Tobias Kasan, Rundgang 2012<br />
150 Anhang zu Lehre : Die Lehrveranstaltungen<br />
Adam Jankowski 151
Ausstellungen und Publikationen der Klasse<br />
1989 »Der letzte Stand des Irrtums«, Ina Bruchlos,<br />
Sabine Hartung, Jörg Hofmann, Bernd Meckes,<br />
Memory, Clemens Mitscher, Alex Oppermann,<br />
Oliver Raszewski, Gabi Schirrmacher, Heyne-Fabrik<br />
Offenbach/M<br />
2003 »Kunstpositionen«, zweite Ausstellung der<br />
HfG Off in der AHBR Bank Frankfurt/M. Katalog<br />
mit Arbeiten von u. a. Denise Bettelyoun, Oliver<br />
Flössel, Maike Häusling, Nadja Milenkovic, Nadine<br />
Röther<br />
Erik Pfeiffer, »COOP 5« Diamantenbörse FFM 2011<br />
Sandip Shah und Burghart Schmidt<br />
bKI Darmstadt 2006<br />
Eröffnung AHBR Bank FFM 2006, von links: Tatiana Urban, Lisa M. Klein, Adam Jankowski,<br />
Sabine Freund, Henning Strassburger, Cornelia Thomsen<br />
Ausstellungen der Klasse<br />
Sven Schuppar, »COOP 5«, Diamantenbörse FFM 2011<br />
Goekhan Erdogan, HfG-Ölhalle 2011<br />
»COOP 5«, Diamantenbörse FFM 2011, mit Philippe Bouthier (links)<br />
und Franck Eon, Wandmalerei Tatiana Defraine<br />
1990 »HfG DA«, Ausstellung der HFG Offenbach in<br />
der Kunsthalle Darmstadt, Katalog<br />
1994 Symposion »Kunstanwender: Kunstsponsoring<br />
und Künstlerförderung«, Katalog »Kunstanwender«,<br />
Redaktion Alexander von Zaluskowski,<br />
Gabi Schirrmacher und Sabine Hartung, Gestaltung<br />
Oliver Raszewski<br />
1995 »Housewarming · Phase I – III«, Eröffnung<br />
der Fahrradhalle, Offenbach/M, danach bis 2004<br />
zahlreiche Austellungen von Studierenden, u. a.<br />
Ina Bruchlos, Sabine Hartung, Gabi Schirrmacher,<br />
Parastou Forouhar, Oliver Raszewski, Bea Emsbach,<br />
Sandip Shah, Edwin Schäfer / »Wycieczka<br />
do Polski / Ausflug nach Polen«, Ausstellung in<br />
der Kunstakademie Krakau. Katalog mit Arbeiten<br />
von Denise Bettelyoun, Delphine Buhro, Bea Emsbach,<br />
Sonja Gummert, Ralf Hubers, Eva Köstner,<br />
Markus Oeffinger, Edwin Schäfer, Frank Schylla,<br />
Marcus Sendlinger, Georgia Wilhelm, Oliver<br />
Raszewski. Texte von den Künstlern und von Adam<br />
Jankowski: »Es gibt zu wenig Künstler in Hessen«<br />
1996 »ZVEH+HFG«, mit Thomas Baumgärtel, Bea<br />
Emsbach, Michael Moos, Julia Oschatz, Markus<br />
Oeffinger, Frank Schylla und Marcus Sendlinger,<br />
Zentralverband der Deutschen Elektrohandwerke<br />
Frankfurt/M / »Ultraschall*Transformer«, Ausstellungsprojekt<br />
der Malereiklasse mit Unterstützung<br />
der Schering AG, Galerie Art to Use Frankfurt/M.<br />
Katalog mit Thomas Baumgärtel, Bea Emsbach,<br />
Eva Köstner, Michael Moos, Markus Oeffinger,<br />
Bernd Reich, Julia Oschatz, Marcus Sendlinger,<br />
Frank Schylla, Texte: die Künstler und Adam<br />
Jankowski<br />
1999 »Freiheit–Brüderlichkeit–Tolereanz«, Katolog<br />
zum Wettbewerb der Freimaurerloge Charlotte<br />
zur Treue Offenbach/M / »Vor dem Börsengang«,<br />
Ausstellung der HfG Off in der Landeszentralbank<br />
in Hessen, Frankfurt/M, Katalog mit u. a. Bea Emsbach,<br />
Julia Oschatz, Frank Schylla<br />
2002 »Kunstpositionen«, erste Ausstellung der<br />
HfG Off in der AHBR Bank Frankfurt/M. Katalog<br />
mit Arbeiten u.a. von Sonja Gummert, Jan Lotter,<br />
Michael Moos, Bernd Reich, Stefan Reiling, Frank<br />
Schylla<br />
2004 »Kunstpositionen«, dritte Ausstellung der<br />
HfG Off in der AHBR Bank Frankfurt/M, Katalog<br />
mit Arbeiten von u. a. Romana Alferi, Jos Diegel,<br />
Markus Georg, Sven Schuppar<br />
2005 »Kunstpositionen«, vierte Ausstellung der<br />
HfG in der AHBR Bank Frankfurt/M, Katalog mit<br />
Arbeiten von u. a. Gokhan Erdogan, Elisa Jolas,<br />
Cornelia Thomsen, Tatiana Urban<br />
2006 »Immer die Schönste Malerei aus der Klasse<br />
Prof. Adam Jankowski«. Ausstellung von Elisa<br />
Jolas, Oliver Flössel, Lisa Marei Klein, Henning<br />
Strassburger, Cornelia Thomsen, Tatiana Urban»<br />
in der Galerie k9 aktuelle Kunst Hannover, Februar/März<br />
2009. Katalog Hg. HfG Off, Gestaltung<br />
Maike Ossenberg<br />
2010 »Wer will schon den ganzen Tag die Welt<br />
verändern« Ausstellung von Dirk Baumanns,<br />
Eugen El, Goekhan Erdogan, Sebastian Heinrich,<br />
Anne-Kathrin Huisken, Xenia Lesniewski, Erik<br />
Pfeiffer, Sven Schuppar in der Galerie Brigitte<br />
Haasner Wiesbaden zur Aktion ZusammenKUNST<br />
Wiesbaden, September 2010. Katalog mit Texten<br />
von Adam Jankowski und Christian Janecke<br />
2011 »COOP 5«, Ausstellung der HfG-Malereiklasse<br />
mit Dirk Baumanns, Tanja Herzen, Erik Pfeiffer,<br />
Dorothee Diebold, Tobias Kasan, Lisa Klinger,<br />
Kosta Tsobanides, Rosamaria Aquillar, Burak<br />
von Verstand, Christine Mederer, Dan Zhu, Prea<br />
Pupityastaporn, Oriana Fenwick, Markus Lüttgau,<br />
Sven Schuppar, Sebastian Heinrich – zusammen<br />
mit Studierenden von der Ecole des Beaux Arts<br />
Bordeaux mit Laurianne Bixhain, Leny Bernay,<br />
Clémentine Coupau, David Chastel, Tatiana Defraine,<br />
Mikael Igos, Laurent Daubisse, Jean-Pierre<br />
Dang, Marine Courillon, ehemalige Diamantenbörse,<br />
Frankfurt/M, Dezember 2011<br />
2012 »Spieglein Spieglein«, Studierende der Kunstgeschichte<br />
der Goethe-Universität Frankfurt/M,<br />
über Arbeiten von Studierenden aus der HfG-Malereiklasse<br />
Prof. Adam Jankowski und Fotografieklasse<br />
Prof. Martin Liebscher«, Katalog zur Ausstellung<br />
im ehemaligen Haus des Börsenvereins<br />
Frankfurt/M. 27. Nov. – 16. Dez. 2012<br />
152 Anhang zur Lehre : Ausstellungen und Publikationen<br />
Anhang zur Lehre : Ausstellungen und Publikationen<br />
153
Stuttgart 2006, mit Christian Janecke (in türkis)<br />
Venedig 2009<br />
Paris 2008<br />
Krakau 1995<br />
Loreley 2004<br />
Düsseldorf 2012, mit Hans Zitko<br />
Wien 2008, mit Wolfgang Luy und Burghart Schmidt<br />
Bonn 2011<br />
Paris 2008, vor dem Atelier Eugene Delacroix<br />
Exkursionen<br />
Rolandseck 2009, mit Martin Liebscher, Christian Janecke und Burghart Schmidt<br />
Kassel 2012, mit Franck Eon, Philippe Bouthier und Wolfgang Luy<br />
Paris 2008<br />
Baden-Baden 2006<br />
156 Anhang zur Lehre : Exkursionen<br />
Anhang zur Lehre : Exkursionen 157