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Gerhard Waldherr - Mount Snowdon

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Erhabener Moment: Wenn<br />

der Himmel mal aufreißt,<br />

dann reicht der Blick vom<br />

Gipfel des <strong>Snowdon</strong> über<br />

das Meer bis nach Irland<br />

und zur Isle of Man<br />

<strong>Snowdon</strong>ia heißt das Wunderland. Ein<br />

wildromantischer Nationalpark, in dem Wales’ höchster<br />

Berg thront: der SNOWDON – schroff, roh, tückisch<br />

Das Ur gestein<br />

TEXT GERHARD WALDHERR FOTOS KLAUS BOSSEMEYER<br />

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Die größte Sensation ist das Licht. Immer neu, immer anders<br />

Ständig schlägt das<br />

Wetter Kapriolen: Über den<br />

Gletscherseen Llynnau<br />

Mymbyr zieht der nächste<br />

Wolkenbruch auf. Die<br />

flachen Täler zwischen den<br />

Bergen heißen Cwms<br />

www.merian.de MERIAN 71


Der <strong>Snowdon</strong> ist berühmt, weil ber ühmte Leute ihn bestiegen haben<br />

Seit 1896 zuckelt die<br />

<strong>Snowdon</strong> <strong>Mount</strong>ain Railway,<br />

Großbritanniens einzige<br />

Zahnradbahn, in einer Stunde<br />

auf den Gipfel. Jährlich<br />

erreichen so rund 150000<br />

Menschen die Bergspitze,<br />

weit mehr gehen zu Fuß<br />

Schon Edmund Hillary<br />

trainierte am <strong>Snowdon</strong> für seine<br />

Everest-Besteigung 1953.<br />

Die Region um den Berg wie<br />

hier bei Pen-y-Benglog ist<br />

heute ein großer Freizeitpark –<br />

mit Restaurants, Wanderwegen<br />

und Kletterzentren<br />

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Derber Regen, Nebel wie Milch. Doch das miese<br />

Wetter hielt MERIAN-Autor <strong>Gerhard</strong> <strong>Waldherr</strong> nicht<br />

davon ab, den <strong>Snowdon</strong> zu besteigen ...<br />

Mike lädt seinen Rucksack<br />

aus. »Alles dabei<br />

wie vereinbart?«<br />

Alles dabei: wasserdichte<br />

Bergschuhe,<br />

wasserdichte Hose,<br />

lange Thermounterhose,<br />

Mütze, Handschuhe. Erworben im<br />

»Joe Brown«-Outdoor-Shop für 221<br />

Pfund inklusive Mehrwertsteuer. Mike:<br />

»Und die wasserdichte Jacke?« Hätte<br />

noch mal 170 Pfund gekostet. Tut es<br />

nicht die wasserabweisende Windjacke<br />

mit Fleecefutter? Ein skeptischer Blick:<br />

»Okay, solange die Beine warm bleiben,<br />

werden Sie nicht erfrieren.«<br />

Der dritte Tag nach der Ankunft in<br />

Llanberis. Der Auftrag: Besteigung des<br />

<strong>Snowdon</strong>. Die Erkenntnis bis hierher:<br />

Nordwalisisches Wetter neigt selbst im<br />

Juni zu grober Übellaunigkeit. Regen,<br />

Nebel, heftige Winde. So war es am<br />

Dienstag. So war es am Mittwoch. In<br />

Verbindung mit Bergsteigen keine gute<br />

Nachricht. Der Wetterbericht für heute,<br />

Donnerstag: zeitweilig Regenschauer<br />

donnernde Ausbrüche wahrscheinlich;<br />

Wind aus südlicher Richtung, mit 25<br />

bis 35 Meilen pro Stunde; Wolken beginnend<br />

ab 300 bis 600 Höhenmeter;<br />

Chance auf einen wolkenfreien Gipfel<br />

20 Prozent. »Fantastic«, sagt Mike, »vielleicht<br />

kriegen wir noch was zu sehen.«<br />

Die ersten Regentropfen. »Set off in the<br />

wet, arrive in the dry«, sagen sie am<br />

<strong>Snowdon</strong>. Losgehen im Regen, ankommen<br />

im Sonnenschein.<br />

Der <strong>Snowdon</strong>. 1085 Meter. Entstanden<br />

vor rund 500 Millionen Jahren.<br />

Basalt, Hyalite, Ergussgestein türmten<br />

sich einst so gewaltig wie der Himalaya.<br />

Wind und ewiger Regen reduzierten<br />

ihre Höhe. Die Gletscher der Eiszeiten<br />

hinterließen Täler, Seen, Wasserfälle<br />

und formten eine Pyramide, auf deren<br />

kahle Spitze fünf Felsgrate wie<br />

Strebepfeiler zulaufen. Schroff, roh,<br />

majestätisch. Temperaturen zwischen<br />

30 Grad Celsius im Sommer und 20<br />

Grad minus im Winter. Viel Schnee.<br />

Snaw dun tauften ihn die Engländer<br />

wohl im 12. Jahrhundert. Schneehügel.<br />

Daher sein Name. Wind bis zu 240<br />

Stundenkilometer das ganze Jahr über.<br />

Der englische Schriftsteller George<br />

Borrow notierte 1854: »Natur in ihrer<br />

großartigsten und schönsten Gestalt.«<br />

Dienstag, kurz nach Mittag. In der<br />

Touristeninformation steht ein freundlicher<br />

älterer Herr. »Oh, auf den <strong>Snowdon</strong><br />

wollen Sie?«, sagt Gwilym Parry. Er<br />

schaut durch das Fenster nach draußen.<br />

Es regnet. Parry: »Oh, was für ein Jammer!<br />

Das wird heute wohl nichts mehr.«<br />

Was ist mit morgen? Parry zuckt mit<br />

den Achseln. Aber dann doch wenigstens<br />

am Donnerstag? Parry schaut auf<br />

die Uhr. Er sagt, er hätte gleich Feierabend:<br />

»Ach, kommen Sie, wir machen<br />

eine Rundfahrt mit meinem Wagen.«<br />

Parry fährt und erzählt. Von den sechs<br />

gängigen Routen, die auf den <strong>Snowdon</strong><br />

führen, und dem <strong>Snowdon</strong> Horseshoe,<br />

einem Rundweg mit fantastischen Ausblicken.<br />

Erzählt, wie sie heißen und<br />

warum sie so heißen, wie sie heißen. Von<br />

Sagen, Mythen und Legenden, die den<br />

<strong>Snowdon</strong> bis heute begleiten. Erst nach<br />

Pen-y-Pass, dann zum Pen-y-Gwryd-<br />

Hotel, in dem Edmund Hillary logierte,<br />

während er am <strong>Snowdon</strong> für die Besteigung<br />

des <strong>Mount</strong> Everest 1953 trainierte.<br />

Begegnung mit einer faszinierenden<br />

Landschaft. Grüne Wiesen in schmalen<br />

Tälern, grüne Hänge, die übergehen<br />

in blanke Felswände, über die Nebel<br />

quillt wie Brei. Der Blick zum <strong>Snowdon</strong><br />

eine Symphonie in Grau. Der Gipfel<br />

nicht einmal zu erahnen. Yr Wyddfa<br />

nennen ihn die Waliser. Grabhügel. Der<br />

Die Flüsse des <strong>Snowdon</strong>ia-Parks liefern Trinkwasser bis nach Liverpool und<br />

Manchester: die berühmten Swallow Falls in der Nähe von Betws-y-Coed<br />

Legende nach soll unter dem Gipfel der<br />

Riese Rhita Gawr begraben sein, der<br />

seine Robe aus den Bärten erschlagener<br />

Könige wob. Bis ihn König Artus<br />

niederstreckte. Und natürlich spielen<br />

am und um den Yr Wyddfa zahlreiche<br />

Geschichten des Heros und seiner Ritter<br />

der Tafelrunde. Es muss, glaubt man<br />

den Erzählungen, am <strong>Snowdon</strong> geradezu<br />

gewimmelt haben vor Königen,<br />

Prinzen, Druiden, Barden. Auch der<br />

legendäre Kampf zwischen dem weißen<br />

und roten Drachen der Waliser soll<br />

an seinen dramatischen Hängen stattgefunden<br />

haben. Ein Afanc, ein Wassermonster,<br />

soll er bis heute beherbergen<br />

und diverse Tylwyth Teg, Feen.<br />

Der <strong>Snowdon</strong>, walisisch Yr Wyddfa, ist ein Massiv mit mehreren Gipfeln,<br />

dessen höchster (l.) die perfekte Form eines Berges hat<br />

Eryri, Land der Adler, nennen die<br />

Waliser <strong>Snowdon</strong>ia, den Landstrich,<br />

über dem der <strong>Snowdon</strong> thront. Eryri:<br />

ein Wort wie Felsgeröll und Gewittergrollen.<br />

Eryri war den Walisern von den<br />

Römern über die Normannen bis zu den<br />

Engländern letzte Zuflucht vor Fremdherrschaft<br />

und Unterdrückung. In Eryri<br />

regierte ihr letzter König, hier führte<br />

Llewelyn seine Mannen in die letzte,<br />

vergebliche Schlacht um die Unabhängigkeit.<br />

Es ist ihr Kernland. Wo ihr<br />

kymrisches Herz am längsten schlug,<br />

ihre Sprache am nachhaltigsten überlebte.<br />

Und der höchste Gipfel in seinem<br />

Zentrum, der Feuer, Wasser und<br />

Eis überstand, wurde den Walisern zum<br />

Berg der Berge, zum Symbol des Überlebenskampfes<br />

einer Nation.<br />

Jährlich erklimmen 420 000 Menschen<br />

zu Fuß den <strong>Snowdon</strong>,<br />

150000 mit der <strong>Snowdon</strong> <strong>Mount</strong>ain<br />

Railway, der einzigen Zahnradbahn<br />

Großbritanniens. Sie kommen,<br />

wie Gwilym Parry glaubt, »wegen der<br />

unverdorbenen Schönheit des Berges«.<br />

Wegen der Magie des Lichts, das über<br />

Jahrhunderte Maler wie William Turner<br />

angezogen hat und Poeten wie William<br />

Wordsworth, der am <strong>Snowdon</strong> »grandeur<br />

and desolation« fand. Vielleicht<br />

auch wegen der Wildziegen oder der<br />

Anfang und Ende sind angenehm asphaltiert:<br />

auf dem Miners’ Track, kurz vor Pen-y-Pass<br />

<strong>Snowdon</strong>-Lilie, Lloydia serotina, die<br />

auch in den Alpen und in Nordamerika<br />

wächst. Die meisten jedoch kommen<br />

wegen der Aussicht. George Borrow<br />

blickte vom Gipfel auf »unsäglich grandiose<br />

Landschaft, einen beträchtlichen<br />

Teil des walisischen Landesinneren,<br />

ganz Anglesey, eine schwach sichtbare<br />

Partie von Cumberland, die<br />

Irische See«. Vom <strong>Snowdon</strong> kann man<br />

bis Irland sehen und zur Isle of Man.<br />

Theoretisch jedenfalls.<br />

Mittwoch, zehn Uhr. Es regnet. Über<br />

den Bäumen Nebel wie Milch. An Wandern<br />

nicht zu denken. Dann wenigstens<br />

erst mal hoch mit der Bahn. Am Ostermontag<br />

1896 fuhr die erste Dampflokomotive<br />

der <strong>Snowdon</strong> <strong>Mount</strong>ain Railway.<br />

7,6 Kilometer. Eine Stunde Fahrt. »Eine<br />

der eindrucksvollsten Zugstrecken der<br />

Welt«, so »The Good Britain Guide«.<br />

Drei der ursprünglich vier Lokomotiven<br />

rattern noch heute Richtung Gipfel,<br />

dazu mehrere diesel- und elektrobetriebene<br />

neueren Datums. Sie schieben<br />

die Waggons, die nicht angekoppelt<br />

sind. Die Waggons bremsen bei der<br />

Talfahrt automatisch, wenn sie eine Geschwindigkeit<br />

von 7,5 Meilen pro Stunde<br />

überschreiten. Falls die Lokomotive entgleisen<br />

sollte. Das alles erzählt die nette<br />

Dame am Fahrkartenschalter, über dem<br />

in Leuchtschrift die Nachricht vorüberhuscht:<br />

»Hish winds on the mountain.«<br />

Hish? Keine Übersetzung dazu im Wörterbuch,<br />

man ahnt nichts Gutes.<br />

Ächzend und stampfend setzt sich<br />

der Zug in Bewegung. Über zwei Viadukte,<br />

durch einen Eichenwald, vorbei<br />

an einem Wasserfall. Danach wächst<br />

nichts mehr außer Stechginster, Farn<br />

und gelb-rotes Gras. Schafe hinter<br />

Zäunen. Steine, die wie Schafe aussehen.<br />

Bis der Nebel den Zug vollends<br />

verschluckt. Aus dem Lautsprecher erfahren<br />

die Passagiere, was sie vor den<br />

Fenstern nicht mehr erkennen. Geschichten<br />

über Siedler und ihre Behausungen,<br />

eine Kapelle und die Überreste<br />

des Hauses, in dem der Bischof von<br />

Gloucester vor 400 Jahren meditierte.<br />

»Rechts unten sehen Sie Cwm Brwynog.«<br />

Das Tal des Schilfs. Rechts ist ein<br />

weißes Nichts. Moel Hebog, der Hügel<br />

der Falken? Moel Cynghorion, der<br />

Berg der Berater, wo Llewelyn seinen<br />

Schlachtplan entworfen haben soll?<br />

Nichts als weißes Nichts, während<br />

Windböen den Waggon schütteln.<br />

So geht das bis zur Bergstation,<br />

Beschreibungen und Geschichten,<br />

die Bilder dazu verhüllt von<br />

dunstigem Dampf. Das Plateau<br />

von Glyder Fach, wo Steine liegen so<br />

groß wie in Stonehenge. Im Westen das<br />

Eifl-Massiv, dahinter das Meer. Die<br />

Felsenwand von Clogwyn Du’r<br />

Arddu, steil und mächtig. Wie? Wo?<br />

Wirklich? Was man sieht: Felsbrocken<br />

so groß wie Autos neben den Gleisen.<br />

Wenig später drei mannshohe Schemen.<br />

Zwei Wanderer, die hinter einem Felsen<br />

Schutz suchen. Wird wohl stimmen,<br />

was der Lautsprecher verkündet: Dass<br />

unterhalb des Clogwyn D’ur Arddu ein<br />

Steinbrocken liegt, der magische Kräfte<br />

haben soll. Wenn zwei Menschen dort<br />

übernachten, heißt es, wird einer ein<br />

großer Poet, der andere verrückt. Auf<br />

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www.merian.de MERIAN 75


Endlich oben: keine Wales-Reise ohne<br />

die Besteigung des <strong>Snowdon</strong><br />

dem Gipfel regnet es waagerecht. Die<br />

Bergstation, ein 2009 eingeweihter Koloss<br />

aus Granit und Schiefer, der anmutet<br />

wie ein verirrtes Raumschiff, wird<br />

gestützt von einem Stahlrahmen. »So«,<br />

scherzt ein Passagier, »kann sie wenigstens<br />

nicht weggeweht werden.«<br />

Bis zu fünf Meter Niederschlag<br />

werden jährlich am <strong>Snowdon</strong><br />

registriert. Das Wetter kann<br />

innerhalb von Minuten umschlagen.<br />

Vier Jahreszeiten in einer<br />

Stunde. Thomas Pennant, ein walisischer<br />

Gelehrter, hielt 1781 in »Journey<br />

to <strong>Snowdon</strong>« fest: »Ein unermesslicher<br />

Dunst (…) der Blick nach unten<br />

war schrecklich, er vermittelte einem<br />

die Idee mehrerer Höllen, verdeckt von<br />

dickem Rauch.« Fürst Pückler, der 1828<br />

kam, zelebrierte seine Besteigung mit<br />

Champagner aus einem Kuhhorn, notierte<br />

indes über den Aufstieg: »Es<br />

wurde immer schwärzer und schwärzer<br />

(…) ein derber Regen strömte auf uns<br />

herab.« Hübsch die Passage aus Peter<br />

Sagers Reiseführer, erschienen 1985.<br />

Sager in der alten Gipfelstation, die<br />

Prinz Charles ob ihres verlotterten Zustands<br />

»den höchstgelegenen Slum von<br />

Wales« nannte: »Der Kellner schwärmte<br />

von der Aussicht bei gutem Wetter. Ich<br />

war froh, meine Teetasse zu erkennen.«<br />

Donnerstag. Der Aufstieg, endlich zu<br />

Fuß auf den <strong>Snowdon</strong>. Mike Laing ist<br />

registrierter Bergführer. Er ist in der<br />

Gegend aufgewachsen, seine ersten Begegnungen<br />

mit dem Berg machte er als<br />

Kind; die Schulausflüge führten häufig<br />

zum <strong>Snowdon</strong>. Heute kennt er dort jeden<br />

Stein. Mike hat für den Aufstieg den<br />

Llwybr Pyg gewählt, den Pyg Track, der<br />

gelegentlich auch Pig Track genannt<br />

wird. Weil er über den Bwlch-y-Moch<br />

führt, den Schweinepass? Weil man auf<br />

ihm »pyg«, also Teer, zu Kupferminen<br />

transportierte? Oder wegen des Pen-y-<br />

Die Farbe der Bergseen wechselt wie die Palette eines Malers, mal blau,<br />

mal grün, mal türkis. Blick über den Llyn Gwynant bei Nant Gwynant<br />

Gwryd-Hotels, unter Kennern Pyg-Hotel<br />

genannt? Jeder sagt etwas anderes. Nur<br />

so viel: Der Pyg Track gilt als einer der<br />

anspruchsvollsten Aufstiege. 5,5 Kilometer<br />

bis zum Gipfel, 723 Höhenmeter,<br />

durchschnittliche Gehzeit drei Stunden.<br />

Diesmal mit dem Linienbus nach<br />

Pen-y-Pass. Dort steht eine legendäre<br />

Jugendherberge aus groben Granitsteinen.<br />

Dort beginnt der Pyg Track. Mike<br />

plaudert mit dem für Bergsicherheit zuständigen<br />

Ranger, der von 183 Notfällen<br />

im Jahr zuvor erzählt: »Der <strong>Snowdon</strong> gehört<br />

zum Standard britischer Touristen.<br />

Wie die Vergnügungsparks Blackpool<br />

Pleasure Beach und Alton-Towers. Leider<br />

wechseln die Leute zwischendurch<br />

ihre Kleidung nicht.« Mike zitiert ein<br />

Sprichwort: »Da drüben liegt der <strong>Snowdon</strong>,<br />

ist leicht gesagt. Aber nicht so<br />

leicht, ihn zu besteigen.« Der Regen hat<br />

längst zugenommen. »Spätestens in<br />

zweieinhalb Stunden sind wir oben«,<br />

sagt Mike, »zwei Stunden, wenn wir gut<br />

sind«. In Mikes Rucksack: Verbandskasten<br />

und Rettungszelt.<br />

Er ist ein drahtiger Mann, schmales<br />

Gesicht, graues Haar. 26 Jahre war er<br />

beim Militär. Kuwait. Sierra Leone.<br />

Usbekistan. Bosnien. Mike geht los.<br />

Strammer Schritt. Ein letzter Blick ins<br />

Tal. Die Häuser von Llanberis. Zwei<br />

silbern schimmernde Seen. Der Weg ist<br />

schon nach ein paar hundert Metern<br />

steinig. Der Regen nimmt weiter zu.<br />

Mike sagt: »Normale Situation.« Natürlich<br />

Nebel. Der Weg wird noch steiniger<br />

und steil. Nach einer halben Stunde<br />

taucht unten der Llyn Llydaw auf. Hier<br />

soll Sir Bedivere auf Artus’ Geheiß<br />

dessen Schwert Excalibur versenkt<br />

haben. Mike deutet auf eine Flanke,<br />

über die Nebel kriecht. Bwlch-y-Saethau,<br />

das Tal der Pfeile. Dort soll Artus<br />

tödlich verwundet worden sein im<br />

Kampf gegen Mordred, den Bösen.<br />

Mike raucht eine Zigarette. Linker<br />

Hand Crib Goch, ein bei Extremkletterern<br />

beliebter Bergkamm. Nach einer<br />

Stunde fängt es an zu gießen. »Ah«, sagt<br />

Mike, »fantastic, isn’t it?«<br />

Mike marschiert. Mike erzählt.<br />

Von Owen Glendower und<br />

seinen Freischärlern, die<br />

Henry IV und seinen Soldaten<br />

trotzten, die weniger vor dem Feind<br />

aus Eryri flohen als vor Kälte, Regen<br />

und Hunger. Über dem Glaslyn, dem<br />

blauen See, wird der Weg zur Geröllhalde.<br />

Jeder Schritt ein Balanceakt.<br />

Nach eineinhalb Stunden fängt es an<br />

zu schütten. Aus Pfaden werden Bäche.<br />

Aus Bächen werden Wasserfälle. Es<br />

donnert. Mike: »War das Gewitter?« Im<br />

Zickzack über den Llwybr-y-Mul, den<br />

Maultierweg zu Bwlch Glas, dem blauen<br />

Pass. Nur noch mit Händen und Füßen<br />

zu schaffen. Die Schuhe längst voll<br />

Wasser gelaufen. Die Windjacke durchweicht.<br />

Am Bwlch Glas trifft der Pyg<br />

Track auf die Gleise der <strong>Snowdon</strong><br />

<strong>Mount</strong>ain Railway. Zwei Stunden sind<br />

vorbei, es donnert wieder. »Fantastic«,<br />

sagt Mike, »noch eine Viertelstunde.<br />

Wenn wir Glück haben, machen die<br />

Wolken auf und wir haben eine schöne<br />

Aussicht.« Die Temperatur beträgt maximal<br />

fünf Grad, mit dem Wind gefühlt<br />

um den Gefrierpunkt. Dann endlich<br />

oben auf dem Gipfel. Mike zieht seine<br />

wasserdichte Ersatzjacke aus dem<br />

Rucksack: »Hier, nehmen Sie, ist besser<br />

so.« Von Aussicht keine Rede.<br />

Der Abstieg ist vergleichsweise gemütlich.<br />

Mike sagt: »Ah, wir haben den<br />

Wind im Rücken – fantastic.« Kurz darauf<br />

plaudert er mit einigen Arbeitern,<br />

die Steine und Erde von den Gleisen<br />

der Railway schaufeln. So viel Regen,<br />

sagen die Arbeiter, und schütteln den<br />

Kopf. Der Berg erodiere immer mehr.<br />

Zu viel Getrampel. Dazu der Klimawandel.<br />

Heute falle nur noch halb so<br />

viel Schnee wie vor 20 Jahren. Weniger<br />

Schnee heißt noch mehr Regen. Apropos<br />

Schnee: Im Winter gehen die Wanderer<br />

häufig auf der Strecke der Bergbahn.<br />

Weil es aber neben den Gleisen<br />

Hunderte Meter steil in die Tiefe ginge,<br />

seien vor einigen Jahren innerhalb<br />

weniger Wochen mehrere Menschen<br />

zu Tode gestürzt. »Sie kommen ins<br />

Rutschen«, sagt Mike, »und können<br />

sich nicht mehr halten.«<br />

Begegnungen auf dem Weg nach unten:<br />

ein Mann in Mickey-Mouse-Kostüm;<br />

ein junges Paar mit Flip Flops an<br />

den Füßen; ein Mann in T-Shirt und<br />

einem Baby (ohne Mütze) auf dem<br />

Rücken. Mike schüttelt den Kopf. Eineinhalb<br />

Stunden ringsum nichts als weißes<br />

Nichts. Dann stoppt der Regen.<br />

Die Wiesen leuchten. Magisches Licht.<br />

Mike: »Ah, der Regen hat aufgehört –<br />

fantastic.«<br />

Unten spendiert Mike eine Tasse Tee<br />

und eine Zigarette. Wie er die Tour<br />

fand? »Sintflutartig, das erlebt man hier<br />

vielleicht einmal im Jahr.« Gewitter am<br />

<strong>Snowdon</strong>? »Noch nie gehabt.« Er macht<br />

eine Pause, schaut in den Nebel über<br />

den Bäumen: »Was für ein besonderer<br />

Tag. Ich habe ihn wirklich genossen.«<br />

MERIAN SNOWDON-BESTEIGUNG<br />

Für den Aufstieg zum 1085 Meter hohen<br />

<strong>Snowdon</strong> braucht es auf den sechs<br />

Hauptrouten mindestens 3 Stunden.<br />

Sie sind zwischen 5,5 und 7,5 Kilometer<br />

lang. ABER: Der Aufstieg ist keine<br />

Wanderung, auch wenn die geringe Höhe<br />

des Berges das vermuten lässt. Das<br />

Gelände ist anspruchsvoll, häufig steinig<br />

und nicht selten durchsetzt von steilen<br />

Passagen. Das Wetter ist unberechenbar<br />

und kann die Tour heftig beeinflussen;<br />

mit Regen muss immer gerechnet werden,<br />

im Sommer mit Hitze, im Winter<br />

mit Schneestürmen. Also unbedingt den<br />

Wetterbericht einholen! Gute Schuhe<br />

und bergtaugliche Kleidung (plus Ersatzkleidung)<br />

sind zwingend, ebenso Karte,<br />

Kompass, Erste-Hilfe-Paket, Verpflegung.<br />

Bergsicherheit: www.eryri-npa.gov.uk/<br />

visiting/walking/safety-advice<br />

Llanberis<br />

Der kleine Ort ist die beliebteste Ausgangsbasis.<br />

Hier startet die <strong>Snowdon</strong><br />

<strong>Mount</strong>ain Railway, beginnt hinter deren<br />

Station der Llanberis Path, der am<br />

meisten frequentierte Fußweg zum Gipfel.<br />

Tourist Information Center<br />

Electric <strong>Mount</strong>ain Llanberis<br />

Tel. 0128 6870765, www.llanberis.com<br />

<strong>Snowdon</strong> <strong>Mount</strong>ain Railway<br />

Die Züge starten von der Station in<br />

Llanberis im 30-Minuten-Takt von 9-17<br />

Uhr, die Fahrt dauert ca. eine Stunde.<br />

An der Kasse sind nur Fahrscheine für<br />

hin und zurück erhältlich. Single-Fare-<br />

Tickets auf Vorbestellung und nur in begrenztem<br />

Umfang. In der Hochsaison<br />

besser Tickets im Voraus online ordern!<br />

<strong>Snowdon</strong> <strong>Mount</strong>ain Railway Llanberis<br />

Tel. 0844 4938120<br />

www.snowdonrailway.co.uk<br />

Wege auf den <strong>Snowdon</strong><br />

Llanberis Path<br />

Beginn in Llanberis (s.o.). Er gilt als<br />

einfachster Weg, ist aber der längste.<br />

Folgt über weite Strecken den Gleisen<br />

der <strong>Snowdon</strong> <strong>Mount</strong>ain Railway.<br />

Miners’ Track<br />

Ausgangspunkt siehe Pyg Track. Beginnt<br />

flach, führt über den Llyn Llydaw,<br />

im letzten Streckenabschnitt sehr steil.<br />

Pyg Track<br />

Beginnt gegenüber der Jugendherberge<br />

in Pen-y-Pass. Anspruchsvoller Aufstieg,<br />

vor allem auf dem letzten Drittel.<br />

Rhyd Ddu Path<br />

Beginnt am Parkplatz südlich des Ortes<br />

Rhyd Ddu. Wenig frequentiert, weil<br />

landschaftlich zu Beginn eher reizlos, besseres<br />

Panorama kurz vor dem Gipfel.<br />

<strong>Snowdon</strong> Ranger Path<br />

Beginnt am Parkplatz gegenüber dem<br />

<strong>Snowdon</strong> Ranger Youth Hostel, A 4086.<br />

Gilt als ältester Aufstieg, gleichzeitig als<br />

einer der leichtesten, mündet in seinem<br />

letzten Stück in den Llanberis Path.<br />

Watkin Path<br />

Startet am Pont-Bethania-Parkplatz<br />

nahe Nant Gwynant an der A 498.<br />

Angeblich die anstrengendste der sechs<br />

Hauptrouten (weil größte Höhendifferenz<br />

zwischen Start und Gipfel).<br />

Landschaftlich die schönste.<br />

<strong>Snowdon</strong> Horseshoe<br />

Ausgangspunkt wie bei Pyg und Miners’<br />

Track. 11,5 km, 6-9 Std. (hin und<br />

zurück). Folgt zunächst dem Pyg Track,<br />

führt auf etwa halber Strecke dann<br />

auf den teilweise sehr schmalen Grat Crib<br />

Goch und von da zum Gipfel. Abstieg<br />

über den Gipfel des Y Lliwedd (898 m),<br />

von dort zurück nach Pen-y-Pass. Dramatisches<br />

Panorama, aber nur geeignet<br />

für erfahrene, gut ausgerüstete Kletterer.<br />

<strong>Snowdon</strong><br />

Rhyd<br />

LLANBERIS<br />

•<br />

<strong>Snowdon</strong> <strong>Mount</strong>ain Railway<br />

Llanberis Path<br />

Ranger Path<br />

Ddu<br />

<strong>Snowdon</strong><br />

1085 m<br />

Path<br />

A 4086<br />

Wa t k<br />

i n<br />

Pyg Track<br />

•<br />

Horses h<br />

Path<br />

o e<br />

Pyg-Hotel<br />

•<br />

Miners’ Track<br />

A 498<br />

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