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DER<br />
SMARTGUIDE<br />
FÜR<br />
GANZ WIEN<br />
D I E N E U E N S E I T E N D E R S TA D T<br />
2015<br />
5,80 Euro<br />
<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong><br />
<strong>Wien</strong>!<br />
Metropole der<br />
Vielfalt:<br />
Street Food<br />
Poetry Slams<br />
Filmkultur<br />
Austropop<br />
Szene-Hotspots<br />
Boutiquen<br />
Genuss, Spaß<br />
und Spannung:<br />
Das Beste<br />
aus allen Kulturen –<br />
zu Hause in <strong>Wien</strong><br />
> EIN WIEN. FÜR ALLE. STIMMEN FÜR INTEGRATION:<br />
Bürgermeister Michael Häupl, Sandra Frauenberger, Tatjana Oppitz, Marie Therese Harnoncourt, Houchang Allayhari
INHALT<br />
04 <strong>Wien</strong> im Bild<br />
Fotokünstler Severin Koller zeigt sein <strong>Wien</strong>.<br />
10 Armut frisst Demokratie<br />
Bürgermeister Michael Häupl im Gespräch.<br />
14 Migrantinnen in Führung<br />
Tatjana Oppitz, Generaldirektorin IBM Österreich,<br />
Mi-Ja Chon, GF Akakiko, Marie-Therese<br />
Harnoncourt, Gründerin ZT Architekten,<br />
und Selma Prodanovic, GF Brainswork.<br />
20 Österreich in Zahlen<br />
Daten und Fakten zum Thema Frauen &<br />
Integration.<br />
22 Holocaust im Unterricht<br />
Werner Dreier, GF der Plattform erinnern.at<br />
über die pädagogische Aufarbeitung.<br />
26 Kampf der neuen Dichter<br />
Diana Köhle, Frau der ersten Stunde im neuen<br />
österreichischen Dichterwettstreit über das<br />
neue Literaturverständis.<br />
30 Der Geschichtenerzähler<br />
Der preisgekrönte Regisseur Houchang Allahyari<br />
über seine persönliche Geschichte und<br />
die Entwicklung des österreichischen Films.<br />
34 Willkommen in Österreich<br />
Georgij Makazaria, Frontman der Turbo-<br />
Polka-Formation Russkaja, über Musik<br />
als verbindendes Element.<br />
38 Leistung zahlt sich aus<br />
Der in <strong>Wien</strong> und New York praktizierende<br />
<strong>Wir</strong>tschaftsanwalt Robin Lumsden über<br />
Integration durch Leistung.<br />
40 Respekt ist Kopfsache<br />
Stadträtin Sandra Frauenberger im Gespräch<br />
über Respekt und ihre politische Motivation.<br />
42 Streifzug durch Meidling<br />
Auf spannender Entdeckungsreise durch<br />
den Mikrokosmos Meidling.<br />
54 Die neue Generation<br />
Würstelstand<br />
Die besten Food Trucks der Stadt.<br />
58 Es lebe der Austropop!<br />
Die jungen Wilden des<br />
Mundart-Pop im Gespräch.<br />
64 Tanz der Toleranz<br />
Diese couragierten Clubs stehen für<br />
Vielfalt, Fun und Toleranz.<br />
68 Polizei als Spiegel<br />
der Gesellschaft<br />
Zwei Polizisten mit Migrationshintergrund<br />
zeigen vor, wie es geht.<br />
74 Kul-Tour 2015<br />
Film, Theater, Musik, Festivals und<br />
Kunst. Die aufregendsten Event-Tipps<br />
und Veranstaltungen der Stadt,<br />
kompakt auf einen Blick.<br />
75 Fotograf der ersten Stunde<br />
Kurzporträt und Hommage an den<br />
österreichischen Starfotografen<br />
Erich Lessing und seine persönliche<br />
Geschichte vor und nach dem<br />
Staatsvertrag.
<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong> <strong>Wien</strong>!<br />
Mitten im Herzen Europas zeichnet sich <strong>Wien</strong> als eine der lebenswertesten<br />
Städte nicht nur durch hohe Lebensqualität und zahlreiche<br />
Entfaltungsmöglichkeiten aus, <strong>Wien</strong> steht auch für „uns“, für<br />
die Vielfalt der hier lebenden Menschen. Erst diese Menschen, <strong>sind</strong><br />
es nämlich, die die Stadt prägen, formen und entwickeln und sie so<br />
zu einer der spannendsten Städte Europas machen.<br />
Und so widmen wir uns in dieser Ausgabe unseres Smartguide für<br />
GANZ WIEN, DIE NEUEN SEITEN DER STADT vor allem der Vielfalt<br />
und dem unbeschwerten Zusammenleben in unserer Weltstadt.<br />
Die folgenden Seiten <strong>sind</strong> perfekte Gelegenheit, die farbenfrohe<br />
Angebotspalette unserer Stadt besser kennenzulernen, Vorurteile<br />
abzubauen, Filme, Musik, Ausstellungen, Diskussionen, Sprachen<br />
und vieles mehr gemeinsam zu genießen. Und so haben wir ein<br />
schillerndes Paket für Sie zusammengeschnürt. Hier ist garantiert für<br />
jeden Geschmack und „Hintergrund“ etwas dabei. Also entdecken<br />
Sie auch in diesem Jahr die neuen Seiten der Stadt mit uns!<br />
Spannend. Vielfältig. Multikulturell.<br />
Gleich zu Beginn rücken wir <strong>Wien</strong> ins Bild und begeben uns mit<br />
Severin Koller auf einen fotodokumentarischen Streifzug durch die<br />
große Weltstadt abseits bekannter Pfade. Um mehr über den<br />
EDITORIAL<br />
Schmelztiegel <strong>Wien</strong> und die Gemeinschaft der Völker herauszufinden,<br />
haben wir Bürgermeister Michael Häupl ab Seite 12 zum<br />
Interview gebeten. Für eine offene Gesellschaft sprechen sich auf<br />
den folgenden Seiten aber noch mehr Berufene aus: Gleich zu Beginn<br />
erzählen uns vier starke Frauen der Top-Liga ihre Erfolgsstory.<br />
Darunter Tatjana Oppitz, Marie-Therese Harnoncourt und Mi-Ja<br />
Chon, (ab Seite 14); der passionierte Filmemacher und Arzt Houchang<br />
Allahyari erzählt uns im Interview von seinen<br />
Erfahrungen als Einwanderer (ab Seite 30). Danach bitten wir<br />
„Mr. Russkaja“ Georgij Makazaria vor das Mikrofon, um uns seine<br />
Geschichte zu erzählen (ab Seite 34). Ab Seite 42 widmen wir uns<br />
dann wieder verstärkt dem Nachwuchs. Zuerst starten wir eine<br />
Entdeckungsreise durch den Mikrokosmos Meidling, dort durften<br />
wir drei interessante Charaktere kennenlernen (ab Seite 42) und<br />
machten für Sie die besten Food Trucks der Stadt ausfindig<br />
(ab Seite 54). Abschließend haben uns die Austropop-Helden von<br />
heute von ihrer „Amore“ erzählt (ab Seite 58).<br />
Ab Seite 64 gibt es die couragiertesten und coolsten Clubs der<br />
Stadt zu erkunden – be there!<br />
In diesem Sinne: Erfreuen Sie sich mit uns an den neuen, bunten<br />
Seiten der Stadt. Ein Fest für alle Sinne, ein Fest fürs Leben.
WIEN IM BILD<br />
n So macht Kultur Spaß:<br />
Rund um den Stephansdom<br />
erlebt man die Altstadt<br />
<strong>Wien</strong>s hautnah. Historische<br />
Gebäude und legendäre<br />
<strong>Wien</strong>er Küche werden hier<br />
für Besucher aus aller Welt<br />
geboten. Falls Sie im üppigen<br />
Angebot den Faden verloren<br />
haben – fragen Sie<br />
einfach nach. Egal ob<br />
Passant, Lieferant, Fiaker<br />
oder Polizist: Hier finden Sie<br />
den richtigen Tipp.<br />
4 smartguide für GANZ WIEN<br />
<strong>Wir</strong> liebe
Severin Koller<br />
zeigt die Stadt aus seinem<br />
persönlichen Blickwinkel<br />
Zum beliebtesten Street-Fotografie-Fundus zählen Städte wie<br />
Paris, London, Tokio und New York, zumal sie nahezu endloses Potenzial<br />
für Motive des alltäglichen Lebens bieten. Street-Fotografie<br />
und <strong>Wien</strong> ist bis dato ein eher ungewöhnliches Bündnis.<br />
Severin Koller erkennt die Notwendigkeit, <strong>Wien</strong>s unnachamliche<br />
Art fotografisch zu dokumentieren. Zeitlos und retro im modernsten<br />
Sinne schafft er ein einmalig unterhaltsames Stadtporträt. Mit<br />
seinen Werken bespielt er ein bis dato vernachlässigtes Kapitel<br />
des <strong>Wien</strong>er Spektrums der Fotografie. Damit schreibt er sich hinsichtlich<br />
seiner klassischen, analogen Arbeitsweise in die Tradition<br />
berühmter Vertreter der Street-Fotografie, wie Henri Cartier-Bresson,<br />
Robert Frank oder Vivian Mayer ein. Alle haben eines gemeinsam:<br />
Sie porträtierten ihre Wohnorte und formten dadurch einen<br />
Spiegel des Straßenalltags. Auch Severin Koller fotografiert seit<br />
über eine Dekade konsequent schwarz-weiß, vergrößert seine Negative<br />
sorgfältig in der Dunkelkammer und scannt schließlich die<br />
Abzüge eigenhändig ein. In seinem Archiv befinden sich mittlerweile<br />
über 20.000 der spektakulärsten Street-Shots der letzten<br />
zehn Jahre aus <strong>Wien</strong>. Die vorliegende Auswahl macht den Zeitgeist<br />
<strong>Wien</strong>s, den emotionalen Blick des Fotografen auf seine Stadt<br />
augenscheinlich. Viel Spaß und gute Unterhaltung.<br />
Die Ausstellung „Vienna“<br />
läuft bis 31. 5. in der Pop-up Gallery Turnsaal,<br />
Kirchengasse 27, 1070 <strong>Wien</strong>.<br />
www.byseverinkoller.com<br />
n <strong>Wien</strong>!<br />
Der Mann zeigt:<br />
in dieser Stadt ist Platz<br />
für alle. Denn unsere<br />
Stadt steht für<br />
Spannung, Spaß, Kultur<br />
und Vielfalt. Folgen Sie<br />
uns auf den folgenden<br />
Seiten durch das lebhafte<br />
<strong>Wien</strong> und entdecken<br />
Sie die spannensten<br />
Seiten der Stadt.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
5
WIEN IM BILD<br />
n Kultur-Pool: Die Mariahilfer Straße bietet seit jeher größte Vielfalt auf kompaktem Raum. Geschäfte, Boutiquen, Shops, Cafés, Restaurants aus aller Welt<br />
laden zum entspannten Flanieren ein. Daher gilt <strong>Wien</strong>s größte Einkaufsstraße nicht erst seit Kurzem als beliebte Begegnungszone zwischen den Kulturen.<br />
6 smartguide für GANZ WIEN
n Internationales Flair: Wer ein bisschen südländisches Flair vermisst,<br />
der ist hier richtig. Wer sich an seine Städtereise nach Istanbul erinnern<br />
will, auch der ist hier richtig. Andere Seiten von <strong>Wien</strong> zu entdecken,<br />
das macht Spaß. Der Brunnenmarkt und der Yppenplatz zeigen,<br />
was <strong>Wien</strong> auch ist – eine Mischung verschiedener Kulturen und<br />
Lebensarten.<br />
n Gelebte Vielfalt:<br />
<strong>Wien</strong> ist eine Stadt<br />
voller Kreativität,<br />
eine Stadt der Kunst<br />
und der Kulturen.<br />
Kunst und Kultur<br />
ermöglicht Menschen,<br />
ihre Identität zu finden<br />
und diese auszuleben.<br />
n Entspannung pur: Besonders in<br />
der warmen Jahreszeit ist das<br />
MuseumsQuartier ein beliebter<br />
Treffpunkt für junge Menschen in<br />
<strong>Wien</strong>. Einfach abschalten und auf<br />
einer der vielen Sitzgelegenheiten<br />
relaxen – eine Oase der Erholung<br />
inmitten der Großstadt.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
7
WIEN IM BILD<br />
n Raststationen für jedermann: In <strong>Wien</strong> stehen 19.167 Parkbänke. Sie <strong>sind</strong> Zwischenstation oder Zufluchtsort im regen<br />
Alltagstreiben. Hier setzt die Stadt <strong>Wien</strong> buchstäblich Maßstäbe für die Qualität des öffentlichen Raums. Allen Menschen (und<br />
Tieren) soll das Benützen des öffentlichen Raumes ermöglicht werden. Ausreichend breite und barrierefreie Gehwege, sichere<br />
Querungen und natürlich bequeme Sitzbänke fürs Rasten und Verweilen bereichern das Stadtleben.<br />
n Heimat bist du großer Döner: Neben der<br />
Schnitzelsemmel und der Leberkäsesemmel das absolute<br />
Lieblingsweckerl in <strong>Wien</strong>. Fast 200 Döner-Kebap-<br />
Läden gibt es in <strong>Wien</strong>, dazu 25 Bäckereien, die die<br />
Stände mit saftig-luftigem Fladenbrot beliefern.<br />
n Abwechslungsreich: Wo <strong>sind</strong> Sie der kulturellen Vielfalt zuletzt bewusst begegnet?<br />
Im türkischen Supermarkt ums Eck, beim Arzt, der ein Inder ist, im Gespräch mit der<br />
slowakischen Frisörin oder einfach beim Mithören eines Gesprächs junger MigrantInnen<br />
in der Straßenbahn? In <strong>Wien</strong> begegnet man der Vielfalt einfach im Alltäglichen.<br />
8 smartguide für GANZ WIEN
Straßenjunge im Interview<br />
Woran arbeitest du<br />
gerade?<br />
Aufträge bekomme<br />
ich eigentlich spontan rein. Für<br />
regelmäßige Aufträge bräuchte<br />
man eine Agentur, die das übernimmt<br />
– aber auch hier kann<br />
man sich nicht darauf verlassen.<br />
Deswegen muss man sich um<br />
seine Kunden schon selber<br />
kümmern (lacht). Zu meinen<br />
Projekten: Im Sommer möchte<br />
ich ein lange geplantes Porträtprojekt<br />
starten, bei dem ich<br />
durch experimentelle Techniken,<br />
bei der Ausarbeitung in der<br />
Dunkelkammer, beim Spiel mit<br />
der Chemie, Farben und Belichtung,<br />
Effekte erzeugen<br />
möchte und so die Personen ein<br />
Stück weit entfremde. Hier geht<br />
es mir darum, zum Ursprung<br />
zurückzukehren. Also was kann<br />
man alles mit einem Bild &<br />
analoger Technik anstellen, sodass<br />
im Endeffekt etwas Neues<br />
entsteht. Trotzdem bleibt der<br />
Mensch im Hintergrund als<br />
Bild wichtig. Anders als beim<br />
Arbeiten auf Film hat man bei<br />
der digitalen Arbeit<br />
fast schon zu viel Kontrolle<br />
über das Bild. Das lenkt mich<br />
vom Wesentlichen ab.<br />
Siehst du dich als Künstler oder<br />
Fotograf? Worin liegt für dich<br />
der Unterschied und nach welchen<br />
Kriterien nimmst du Aufträge<br />
an?<br />
Mir ist es wichtig zu wissen, was<br />
man mit mir als Künstler oder<br />
Person verbindet. Im Endeffekt<br />
geht es um eine Art Marke, um<br />
ein Image, um Stil, den man natürlich<br />
prägen kann, indem<br />
man auch nur gewisse Dinge<br />
zeigt. Deshalb habe ich nur wenige<br />
ausgewählte Auftragsarbei-<br />
Severin Koller<br />
ten auf meiner Website abgebildet.<br />
Bei Wittmann oder Interlübke<br />
hatte ich zum Beispiel total<br />
freie Hand und habe so fotografiert,<br />
wie wenn ich für mich<br />
selbst fotografiert hätte. Nach<br />
meinem Geschmack und natürlich<br />
analog. Das <strong>sind</strong> für<br />
mich die idealen Aufträge. So<br />
hat der Kunde etwas von der<br />
professionellen Qualität, die ihren<br />
eigenen Stil hat, und ich zeige<br />
es einfach gerne her. Wenn es<br />
darum ginge, für eine karibische<br />
Insel Werbung zu machen,<br />
würde dieser Kunde natürlich<br />
nur die Bilder mit der schönen<br />
Landschaft aussuchen – die kritischen<br />
würden wegfallen. Da<br />
wird es gefährlich. Da muss man<br />
zwischen Auftrag und persönlichem<br />
Ansatz unterscheiden.<br />
Wieso verwendest du überwiegend<br />
Schwarz–Weiß-Bilder?<br />
Die Welt is doch bunt, oder?<br />
Mit der Schwarz-Weiß-Fotografie<br />
habe ich vor zehn Jahren<br />
angefangen. Da hatte ich gerade<br />
einmal meine Matura und vielleicht<br />
ab und zu einen Fotojob.<br />
Damals habe ich mit Freunden<br />
begonnen, Schwarz-Weiß-Filme<br />
zu entwickeln. Zuerst fand<br />
ich die einfachere Handhabung<br />
der Schwarz-Weiß-Filme gut,<br />
um mich auf das Wesentliche<br />
– das<br />
Fotografieren – zu konzentrieren<br />
und weiter zu entwickeln.<br />
Aber auch durch<br />
meine Ikonen, die allesamt<br />
schwarz-weiß fotografiert<br />
haben, habe ich<br />
mich bewusst für dieses<br />
Stilmittel entschieden.<br />
Später habe ich dann gemerkt,<br />
dass dieser Stil sehr zeitlos<br />
ist. Man kann also nicht genau<br />
deuten, in welcher Zeit das<br />
Bild fotografiert wurde. Durch<br />
das Monochrome wirken die<br />
Arbeiten sehr einheitlich und<br />
miteinander verbunden. Wenn<br />
ich in Farbe und digital fotografiert<br />
hätte, hätte ich auf Grund<br />
der Weiterentwicklungen der<br />
Kameras und Objektive der<br />
letzten zahn Jahre immer wieder<br />
unterschiedliche Stile entwickelt.<br />
Ich bin froh, bei diesem Stil geblieben<br />
zu sein, obwohl sich<br />
Schwarz-Weiß-Fotografie oft<br />
schwerer verkaufen lässt. Vielleicht<br />
in vierzig Jahren dann<br />
(lacht).<br />
Deine bevorzugte Kamera?<br />
Für Street-Fotografie Leica M6<br />
und Konica Hexar AF.<br />
Was macht ein gutes Bild aus?<br />
Ein gutes Bild lebt hauptsächlich<br />
von Moment, Komposition<br />
und Licht. Die objektivabhängige<br />
Fotografie, wo es dann überwiegend<br />
um Bildschärfe als Kriterium<br />
geht, finde ich persönlich<br />
nicht so spannend. Mir<br />
geht es darum, eine Geschichte<br />
zu erzählen, und die wird<br />
hauptsächlich durch einen<br />
Moment, ein Gefühl oder eine<br />
Stimmung, die festgehalten<br />
wird, am besten erzählt.<br />
Wie ist dein erstes großes Projekt<br />
„Vienna“ entstanden? Wie<br />
würdest du dein <strong>Wien</strong> beschreiben?<br />
Oft <strong>sind</strong> es die banalen Dinge<br />
wie zum Beispiel: Ein Geschäft<br />
an der Westbahnstraße ist<br />
plötzlich weg. Es war aber da –<br />
dreißig Jahre lang und niemand<br />
hat es fotografiert – oder eben<br />
doch. Hier entstehen durch die<br />
Street-Fotografie auch Zeitdokumente<br />
einer Stadt, die wichtig<br />
<strong>sind</strong>, um die Stadt zu verstehen<br />
und den Charakter zu begreifen.<br />
Für mich trägt die<br />
Street-Fotografie auch etwas<br />
Romantisches, Nostalgisches<br />
mit sich. Sie hat die Aufgabe,<br />
einer Stadt, einem Ort ein Porträt<br />
zu geben. Genau das ist das<br />
Ziel von „Vienna“. So kann<br />
auch das Bild einer Stadt geprägt<br />
werden. Wenn weitere<br />
zehn Fotografen ihr „Vienna“<br />
veröffentlichen würden, wären<br />
wieder andere Blickwinkel und<br />
Situationen zu sehen. Städte, die<br />
viel fotografiert werden, bekommen<br />
ein anderes, vielfältigeres<br />
Image – eigentlich auch<br />
ein bisschen im Sinne von Werbung,<br />
aber eben nicht Mainstream.<br />
Was mir dabei auch<br />
wichtig ist – ich zensiere nicht.<br />
Weder beim Fotografieren<br />
selbst noch bei der Fotoauswahl.<br />
Deswegen finde ich es<br />
auch in Ordnung, Obdachlose<br />
oder Menschen mit Handicap<br />
zu zeigen. Ich diskriminiere<br />
nicht. Diskriminierend wäre es,<br />
diese Menschen nicht zu zeigen.<br />
Mein Fotoband ist also definitv<br />
meine ganz persönliche Hommage<br />
an die Stadt <strong>Wien</strong> in all<br />
ihren Facetten.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
9
ARMUT FRISST<br />
DEMOKRATIE<br />
INTERVIEW: NADIA WEISS FOTOS: SEBASTIAN FREILER<br />
<strong>Wien</strong> wächst um neue Mitbürger. Doch Sorge um sozialen Abstieg und vor<br />
gesellschaftlichen Veränderungen ist auch in Österreich, einem der reichsten<br />
Länder der Welt, spürbar. Warum der <strong>Wien</strong>er Bürgermeister MICHAEL HÄUPL die<br />
Ängste der Bevölkerung ernst nimmt, aber sie ihnen nehmen möchte.<br />
10 smartguide für GANZ WIEN
INTERVIEW<br />
„Wesentlich ist, für<br />
ausgewogene, sozial<br />
gerechte Zustände zu<br />
sorgen.“<br />
Michael Häupl<br />
Ein sonniger Frühlingsmorgen<br />
im Mai. Vor dem <strong>Wien</strong>er<br />
Rathaus herrscht rege Geschäftigkeit.<br />
Mit Life Ball und<br />
Song Contest stehen zwei international<br />
wirksame Großereignisse<br />
ins Haus, denen eine<br />
würdige Bühne geboten werden<br />
soll. Im Inneren des eindrucksvollen<br />
Baus überblickt<br />
der Bürgermeister von seinem<br />
Büro die Szenerie. Den Aufregungen<br />
der kommenden Wochen<br />
und Monate, immerhin<br />
steht ein Wahlkampf vor der<br />
Tür, scheint er mit aufmerksamer<br />
Gelassenheit entgegenzublicken.<br />
Zwischen zwei Terminen<br />
findet er etwas<br />
Zeit für dieses Gespräch.<br />
Herr Bürgermeister, das Jahr<br />
2015 steht nicht zuletzt im<br />
Zeichen von zwei Republiksjubiläen.<br />
Was hat bei Ihnen<br />
persönlich das Gedenken an<br />
das Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
ausgelöst?<br />
Wenn ich mich an meine<br />
Kindheit und Jugend zurück -<br />
erinnere, dann wurden Krieg<br />
und Kriegsende bei mir vorwiegend<br />
in der Familie besprochen.<br />
Mein Vater und<br />
auch mein Großvater waren<br />
das, was man aus heutiger<br />
Sicht als Austrofaschisten<br />
bezeichnen würde, aber<br />
gleichzeitig schärfste Hitler-<br />
Gegner. In der Schule wurde<br />
hingegen der Geschichtsunterricht<br />
mit dem Ende des<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
11
INTERVIEW<br />
„<strong>Wir</strong> werden nur friedlich<br />
miteinander leben können,<br />
wenn wir mit Respekt<br />
und Rücksicht<br />
aufeinander<br />
zugehen.“<br />
Michael Häupl<br />
Ersten Weltkrieges abgeschlossen.<br />
Aber es gab ein imponierendes<br />
Erlebnis. Im Rabaukenalter<br />
von fünfzehn,<br />
sechzehn Jahren, in dem ich<br />
ebenso unpolitisch war wie<br />
viele andere, besuchten wir<br />
mit unserem Mathematik-<br />
Professor das Konzentrationslager<br />
Mauthausen. Der Professor<br />
war jüdischer Abstammung,<br />
illegaler Kommunist<br />
und ehemaliger Häftling von<br />
Mauthausen. Er hatte überlebt,<br />
aber aufgrund von Folter<br />
erhebliche Augenschäden davongetragen.<br />
Bis heute ist es<br />
für mich emotional ungeheuer<br />
berührend, mit welcher<br />
Nüchternheit er uns die Zustände<br />
im Lager geschildert<br />
hat. Währenddessen hat er<br />
uns seine Schlafbaracke gezeigt<br />
und wir <strong>sind</strong> gemeinsam<br />
die Todesstiege zum Steinbruch<br />
hinuntergegangen. Das<br />
war eine wirkliche Wende für<br />
mein Leben und hat mich<br />
mehr politisiert als jeglicher<br />
Unterricht. Daher war und ist<br />
der 8. Mai, der Tag der Befreiung<br />
des KZ Mauthausen, für<br />
mich immer ein besonderer<br />
Tag, und es gab keine Phase<br />
meines Lebens, in der ich<br />
mich mit dem Gedanken<br />
hätte anfreunden können,<br />
dass der Niedergang Hitler-<br />
Deutschlands ein Trauertag<br />
sei.<br />
Der Antifaschismus wurde<br />
zu einem Pfeiler Ihres politischen<br />
<strong>Wir</strong>kens. Haben sich<br />
die Gegner der Demokratie<br />
in den vergangenen Jahren<br />
verändert und wie sollte man<br />
heute den Anfängen wehren?<br />
Wesentlich ist, für ausgewogene,<br />
sozial gerechte Zustände<br />
zu sorgen. Armut frisst Demokratie.<br />
Dies gilt gerade für<br />
ein Europa, in dem die 2009<br />
ausgelöste <strong>Wir</strong>tschaftskrise<br />
das Thema verschärft hat.<br />
Wenn man sich die Jugendarbeitslosigkeit<br />
in manchen Regionen<br />
und Städten wie etwa<br />
Brüssel oder Berlin ansieht,<br />
dann gibt es Situationen, die<br />
wir uns hier in <strong>Wien</strong> nicht<br />
vorstellen können. In Ländern<br />
ohne öffentliches Engagement<br />
wie etwa Ausbildungsgarantie<br />
und ohne überbetriebliche<br />
Lehrwerkstätten nimmt man<br />
einem erheblichen Teil der<br />
jungen Menschen die Lebensperspektive.<br />
Aus allen Arbeitslosenstatistiken<br />
geht hervor,<br />
dass zwei Drittel der Betroffenen<br />
maximal Pflichtschulabschluss<br />
haben und keine Berufsausbildung.<br />
Das heißt,<br />
man muss auf Bildung setzen.<br />
So wie wir das in <strong>Wien</strong> tun.<br />
Die wirtschaftliche Entwicklung<br />
Österreichs deutet<br />
derzeit auf Stagnation hin.<br />
Können wir uns die Ausbil-<br />
12 smartguide für GANZ WIEN
dungsgarantie auch weiterhin<br />
leisten?<br />
<strong>Wir</strong> müssen an ihr festhalten.<br />
Je problematischer eine <strong>Wir</strong>tschaftssituation<br />
ist, umso zentraler<br />
werden die Fragen der<br />
Ausbildung. Ich halte den Vorschlag<br />
von Sozialminister Rudolf<br />
Hundstorfer für wirklich<br />
gut, die Ausbildungspflicht um<br />
vier Jahre zu verlängern.<br />
Bildung als Schlüssel zu<br />
Wohlstand und friedlichem<br />
Miteinander: Wie begegnen<br />
Sie jenen, die vielmehr einen<br />
Krieg der Kulturen prophezeien?<br />
Auch wenn ich diese Ansichten<br />
nicht teile, muss man die<br />
Ängste der Bevölkerung<br />
selbstverständlich ernst nehmen<br />
und an Lösungen arbeiten.<br />
<strong>Wir</strong> werden nur friedlich<br />
miteinander leben können,<br />
wenn wir mit Respekt und<br />
Rücksicht aufeinander zugehen.<br />
Dies heißt nicht, dass es<br />
keine Konflikte mehr gibt. Es<br />
wird Konflikte geben und es<br />
gibt sie bereits, sowohl in<br />
Hausgemeinschaften als auch<br />
in der Gesellschaft. Die Qualität<br />
einer Beziehung definiert<br />
sich jedoch dadurch, wie man<br />
diese löst. <strong>Wir</strong> werben nicht<br />
nur für gewaltfreie Konfliktbewältigung,<br />
sondern auch für<br />
einen offenen, verständnisvollen<br />
Umgang miteinander.<br />
Sorge um die kulturelle Identität<br />
und Skepsis gegenüber<br />
Neuem <strong>sind</strong> sowohl in der<br />
Zuwanderer- wie auch in der<br />
Aufnahmegesellschaft manifest.<br />
Sollten wir uns mit einem<br />
friedlichen Nebeneinander<br />
statt Miteinander zufriedengeben?<br />
Vielleicht trifft dies auf Städte<br />
wie Paris oder Berlin zu, aber<br />
der <strong>Wien</strong>er ist doch einer, der<br />
n Der <strong>Wien</strong>er Bürgermeister beim Gespräch in seinem Amtszimmer: „Die Ängste der Bevölkerung muss man ernst<br />
nehmen und an Lösungen arbeiten .“<br />
mit allen gut auskommen will<br />
und das Miteinander sucht. Er<br />
trägt seine Konflikte zwar gelegentlich<br />
recht impulsiv aus,<br />
vor allem wenn er sich benachteiligt<br />
oder nicht genügend<br />
respektiert fühlt. Aber<br />
im Grunde ist er seinem<br />
Image entsprechend gemütlich.<br />
Wie gesagt, in anderen<br />
Großstädten Europas ist die<br />
Hoffnung auf ein friedliches<br />
Miteinander geschwunden.<br />
Aber was soll man sagen,<br />
wenn beispielsweise in den<br />
Banlieus von Paris neunzig<br />
Prozent der farbigen Jugendlichen<br />
arbeits- und somit hoffnungslos<br />
<strong>sind</strong>? Das Nebeneinander<br />
ist im Sinne der Bildung<br />
von Parallelgesellschaften<br />
immer brandgefährlich.<br />
Gibt es auf europäischer<br />
Ebene in der Städte-Politik<br />
ein gemeinsames Zukunftskonzept?<br />
Gerade in den vergangenen<br />
Jahren hat sich die <strong>Wir</strong>kkraft<br />
der Städte und Regionen innerhalb<br />
der Europäischen<br />
Union gesteigert. Bei den Fragen<br />
von wirtschaftlicher Entwicklung,<br />
Bildung und Forschung<br />
geht es vielfach um die<br />
Erhaltung der kulturellen Unterschiede.<br />
Gewisse Herausforderungen<br />
der Zukunft<br />
können nicht mehr regional<br />
oder national gelöst werden,<br />
wie zum Beispiel die Flüchtlingsströme.<br />
Dass zehn von 28<br />
Staaten der Union die Last<br />
alleine auf ihren Schultern<br />
tragen, geht einfach nicht.<br />
Sie glauben, dass mit einer<br />
gemeinsamen europäischen<br />
Flüchtlingspolitik die Problematik<br />
zu bewältigen ist?<br />
Die gerechte Aufteilung ist ein<br />
mühsamer Weg, wie wir in<br />
Österreich sehr gut wissen,<br />
aber er ist zielführend. Für<br />
eine langfristige Lösung finde<br />
ich den Vorschlag der Innenministerin<br />
Johanna Mikl-Leitner<br />
sehr gut, UNHCR-Stützpunkte<br />
in Afrika zu errichten,<br />
um dort in Flüchtlingslagern<br />
auf einem entsprechenden Niveau<br />
den Asylsuchenden von<br />
vornherein eine Beratung zu<br />
geben. Sie sollen wissen, ob sie<br />
überhaupt Aussicht auf Asyl<br />
haben. Ich habe vollstes Verständnis<br />
dafür, dass jemand<br />
seine wirtschaftliche Lebenssituation<br />
verbessern will. Letztendlich<br />
wird es aber nur dann<br />
funktionieren können, wenn<br />
im eigenen Land die ökonomischen<br />
und somit gesellschaftlichen<br />
Bedingungen<br />
verbessert werden. Allerdings<br />
müssen wir uns unter der<br />
Schirmherrschaft der UNO<br />
und gemeinsam mit den<br />
Freunden aus den Vereinigten<br />
Staaten und Ländern wie<br />
Kanada zu etwas durchringen,<br />
das wir vor siebzig Jahren als<br />
Marshall-Plan kennengelernt<br />
haben. Ein Marshall-Plan beispielsweise<br />
für Länder in Afrika<br />
und Asien, gebunden an<br />
Rechtsstaatlichkeit, Investitionssicherheit<br />
sowie die<br />
Grundprinzipien der Demokratie,<br />
ist sicher ein Anreiz, in<br />
der Heimat und in seinem<br />
sozialen Umfeld zu bleiben.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
13
FRAUEN<br />
Migrantinnen<br />
in Führung<br />
Rein statistisch schafft es nur eine Minderheit der<br />
Migrantinnen in eine leitende Position. Doch fünf<br />
Prozent der Einwanderinnen beweisen das Gegenteil:<br />
Sie sprechen zwei Sprachen fließend, studieren und<br />
arbeiten – vermehrt in Führungspositionen. Für Sie<br />
haben wir vier dieser starken Frauen interviewt. Lesen<br />
Sie hier ihre inspirierende Geschichte.<br />
TEXT & FOTOS : ALEKSANDRA PAWLOFF<br />
Mag. Tatjana Oppitz<br />
Dass Frauen in hohen Positionen<br />
immer noch nicht selbstverständlich<br />
<strong>sind</strong>, ist betrüblich, denn wie<br />
Tatjana Oppitz, Generaldirektorin von<br />
IBM, meint: „Ich kann nicht auf<br />
50 Prozent des Potenzials verzichten.“ Stellen<br />
wir uns doch eine Welt der entspannten<br />
Gleichberechtigung vor: Karenz und Kinderbetreuung<br />
wären unter Männern und<br />
Frauen gleich verteilt: Väter würden selbstverständlich<br />
in Karenz gehen, und ich meine<br />
wirklich in Karenz, nicht die Ich-machedie-zwei-Monate-für-das-Kindergeld-Variante.<br />
Ganz bestimmt profitiert die Elternbeziehung<br />
davon. Die Kinder können sich<br />
auf zwei Elternteile verlassen, der Vater ist<br />
emotional zuständig, eine Bezugsperson in<br />
guten und in schlechten Zeiten. Dann steht<br />
14 smartguide für GANZ WIEN<br />
Jobsharing und Teilzeitarbeit auf der<br />
Wunschliste, und zwar für Männer und<br />
Frauen. Arbeiten und Leben steht auf dem<br />
Programm. Für den Arbeitgeber macht es<br />
die Organisation sicher ein bisschen komplizierter,<br />
aber dafür bekommt er treue und<br />
engagierte Mitarbeiter und trägt zum Bruttonationalglück<br />
bei. Karriere machen? Zu<br />
Hause bleiben? Arbeiten und Hobbys ausleben?<br />
Na klar, aber doch bitte unabhängig<br />
vom Geschlecht. Muss ich es erwähnen,<br />
auch unabhängig von der Herkunft? <strong>Wir</strong><br />
stellen Ihnen vier Frauen vor, die beruflich<br />
erfolgreich auf ganz unterschiedliche Art<br />
und Weise<br />
ihren Weg gegangen <strong>sind</strong>.<br />
Geboren 1962 in Kalkutta/Indien<br />
besuchte die Vienna International School und<br />
das französische Lycée Français in <strong>Wien</strong> und<br />
studierte Handelswissenschaften an der<br />
<strong>Wir</strong>tschsaftsuniversität in <strong>Wien</strong>.<br />
1989 als eine der ersten Frauen im Vertrieb<br />
von IBM.<br />
Begann ihre Managementkarriere als Direktorin<br />
des Softwarebereichs.<br />
Startete 2003 ihre internationale Karriere. Ihre<br />
erste Auslandstätigkeit führte sie in das<br />
IBM-Headquarter nach Paris. Nach ihrer<br />
Rückkehr war sie als Executive international<br />
für den Vertrieb des gesamten IBM-Portfolios<br />
an Großkunden zuständig – bis Ende 2010<br />
als Executive für den Vertrieb für die gesamte<br />
CEE-Region, Central and Eastern Europe,<br />
zu der auch Russland und die CIS Staaten<br />
gehören.<br />
Mit 2011 übernahm Oppitz die Rolle als<br />
Generaldirektorin für Österreich.<br />
Tatjana Oppitz setzt sich seit vielen Jahren<br />
stark für Frauenförderung und Diversity ein.<br />
So ist es ihr ein großes Anliegen, mithilfe gezielter<br />
Mentorings und Coaching-Programme<br />
junge Frauen bei der Definition ihrer persönlichen<br />
Karriereziele zu unterstützen.
„Ich kann nicht<br />
auf 50 Prozent<br />
des Potenzials<br />
verzichten“<br />
Tatjana Oppitz, Generaldirektorin<br />
IBM Österreich<br />
MAG. TATJANA OPPITZ<br />
Wie <strong>sind</strong> Sie aufgewachsen?<br />
Ich bin in Kalkutta geboren,<br />
mein Vater war Diplomat, und<br />
habe das Lycée Français besucht<br />
in <strong>Wien</strong>, habe also einen<br />
recht kosmopolitischen Hintergrund.<br />
Wie selbstverständlich ist es<br />
für Sie, ein Unternehmen als<br />
Frau zu führen?<br />
Für mich war es immer selbstverständlich,<br />
dass es in der<br />
IBM keinen Unterschied<br />
macht, ob ich Mann oder Frau<br />
bin, so bin ich hier groß geworden.<br />
Ich hatte auch bei<br />
Kunden nie schlechte Erfahrungen,<br />
da musste einfach die<br />
Leistung stimmen. In meiner<br />
derzeitigen Positionen als<br />
CEO merke ich, dass die Luft<br />
dünn wird bei meinen Kollegen,<br />
da gibt es viel zu wenige<br />
Frauen.<br />
Was ist am Arbeitsmarkt notwendig,<br />
damit Frauen die<br />
gleichen Chancen bei Karrieren<br />
haben?<br />
Dazu braucht es eine Reihe<br />
von Maßnahmen, denn ich<br />
kann nicht auf 50 Prozent des<br />
Potenzials verzichten. <strong>Wir</strong> leben<br />
in einer alten Gesellschaft,<br />
wir brauchen die Frauen. Also<br />
muss ich als Manager Maßnahmen<br />
setzen und diese zur<br />
Chefsache machen. Bei uns<br />
<strong>sind</strong> die Führungsseminare<br />
und Assessment-Center zum<br />
Beispiel mit gleich viel Männern<br />
wie Frauen besetzt. Das<br />
ist für uns eine Conditio sine<br />
qua non. Teilzeit ist auch so eine<br />
Maßnahme: Das darf kein<br />
Einschnitt in der Karriere sein.<br />
Genauso wenig wie die Karenz.<br />
<strong>Wir</strong> wollen auch die<br />
Männer dazu ermutigen, vielleicht<br />
ist es ja für sie eine tolle<br />
Alternative, sich ein Jahr Auszeit<br />
zu nehmen oder in Karenz<br />
zu gehen. <strong>Wir</strong> wollen, dass Vater<br />
oder Mutter ihr Kind in<br />
den Kindergarten bringen und<br />
mit ihm Quality Time verbringen,<br />
anstatt auf der Tangente<br />
zu stauen. Da ist allen<br />
gedient, der Beziehung, den<br />
Kindern und der Firma. <strong>Wir</strong><br />
suchen auch nach Möglichkeiten<br />
für Jobsharing, denn warum<br />
schließt Teilzeit bis jetzt<br />
aus, eine Führungskraft zu<br />
sein? Das ist nicht nachvollziehbar.<br />
Chancengleichheit<br />
und Flexibilität in der Arbeit<br />
ist eine Win-win-Situation.<br />
Was hat in Ihrem eigenen<br />
Leben dazu geführt, dass Sie<br />
so eine Karriere machen<br />
konnten?<br />
Unsere Eltern haben uns beide,<br />
meine Schwester und mich<br />
sehr gefördert, ohne die geringste<br />
Einschränkung bezüglich<br />
unseres Geschlechts. Ich<br />
bin meinen Eltern sehr dankbar,<br />
das ist schon ein Luxus so<br />
wohlbehütet und mit klaren<br />
Werten aufgezogen zu werden.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
15
FRAUEN<br />
Mi-Ja Chon<br />
Wie <strong>sind</strong> Sie aufgewachsen?<br />
Ich bin als neuntes Kind in<br />
einer kleinen Hafenstadt in<br />
Südkorea geboren. <strong>Wir</strong> waren<br />
arm und meine Mutter<br />
hat zu Hause ein kleines<br />
Lokal aufgemacht. Das rieche<br />
ich bis heute, diese frische<br />
Zwiebel in der Suppe.<br />
Meine Mutter war eine starke<br />
Frau, sie hat uns alleine<br />
großgezogen. Ich denke,<br />
von ihr habe ich meine<br />
Kraft und mein Durchhaltevermögen.<br />
Wie kamen Sie nach<br />
<strong>Wien</strong>?<br />
Die Liebe. Ich habe dann<br />
in Korea nach meiner<br />
Buchhaltungsausbildung<br />
eine Krankenschwesternschule<br />
gemacht und drei<br />
Jahre bis zu meiner<br />
Schwangerschaft als<br />
Krankenschwester gearbeitet.<br />
Danach habe ich<br />
mit meinem damaligen<br />
Mann unser erstes Restaurant<br />
aufgemacht. Das<br />
Akakiko habe ich 1994<br />
mit zwei anderen Partnern<br />
eröffnet.<br />
War es für Sie als Ausländerin<br />
schwierig, in Österreich<br />
Fuß zu fassen?<br />
Erstens hatte ich einen<br />
Mann hier und zweitens<br />
dachte ich, dass ich nach<br />
ein paar Jahren zurückgehen<br />
würde. Das hat es<br />
leichter gemacht. Vor 35<br />
Jahren gab es noch wenige<br />
Asiatinnen in <strong>Wien</strong>, ich<br />
bin natürlich schon komisch<br />
angeschaut worden,<br />
aber ich habe so getan,<br />
als wäre nichts. Ich<br />
habe das total übergangen.<br />
Das Wichtigste ist,<br />
die Sprache zu lernen, um<br />
zu kommunizieren und<br />
Missverständnisse zu vermeiden.<br />
Wie ist es für Sie als Frau,<br />
ein Unternehmen zu leiten?<br />
Ich fühle mich sehr wohl als<br />
Frau, ich arbeite gut mit<br />
Männern zusammen, da<br />
kann ich härter verhandeln.<br />
(lacht)<br />
Wie wäre ihr Leben als<br />
Bub verlaufen?<br />
Ich hätte auch als Bub etwas<br />
Schönes gemacht.<br />
Vielleicht hätte ich es ein<br />
bisschen schwerer gehabt.<br />
Als junge Frau hatte ich<br />
bessere Chancen bei den<br />
Banken, ich war vertrauenserweckender<br />
als ein<br />
Mann, glaube ich.<br />
Was, glauben Sie, hat<br />
besonders zu Ihrem Erfolg<br />
beigetragen?<br />
Ganz wichtig <strong>sind</strong> die Mitarbeiter.<br />
Mein Personal<br />
kommt aus 15 verschiedenen<br />
Ländern, hauptsächlich<br />
aus Asien. Viele von<br />
ihnen hatten es nicht<br />
leicht. <strong>Wir</strong> haben ein gutes<br />
Verhältnis, ich weiß, wie es<br />
ist, wenig zu haben. Ich<br />
glaube nicht, dass sie besser<br />
bezahlt werden als bei<br />
der Konkurrenz, und dennoch<br />
haben wir sehr wenig<br />
Fluktuation. Sie schätzen<br />
das Arbeitsklima, das spürt<br />
auch der Kunde. Eine andere<br />
Sache ist mir auch<br />
wichtig, und zwar Dinge<br />
nicht zu erzwingen. Die<br />
Franchise-Idee kam nicht<br />
von mir, sondern von Kollegen<br />
aus Zypern und<br />
Griechenland. Mittlerweile<br />
beliefern wir auch eine<br />
große Lebensmittelkette,<br />
das war genauso wenig<br />
meine Initiative. Ich lasse<br />
die Dinge fließen wie das<br />
Wasser, nichts mit Gewalt,<br />
das ist mein Motto.<br />
Mi-Ja Chon<br />
Geboren 1957 in Chun-buk/Korea<br />
Die seit 1979 in Österreich lebende und mit<br />
einem Österreicher verheiratete „Migrantin<br />
der ersten Generation“ wurde für ihre wirtschaftlichen<br />
und sozialen Verdienste mit dem<br />
Silbernen Ehrenzeichen der Republik ausgezeichnet.<br />
Die Mutter von vier Kindern gründete 1984<br />
das koreanische Restaurant „Seoul“ im 7.<br />
<strong>Wien</strong>er Bezirk, zehn Jahre später die Unternehmensgruppe<br />
Akakiko mit heute mehr als<br />
170 Beschäftigten und einem durchschnittlichen<br />
Jahresumsatz von etwa 14 Millionen<br />
Euro. Setzt sich mit ihrem Betrieb besonders<br />
für die Integration von Migranten und Migrantinnen<br />
ein. Darüber hinaus ist Akakiko<br />
eines der wenigen österreichischen Gastro -<br />
nomieunternehmen als Franchisegeber im<br />
Ausland.<br />
Vorstandsmitglied der Österreichisch-Koreanischen<br />
Gesellschaft in <strong>Wien</strong>.<br />
16 smartguide für GANZ WIEN
Das<br />
Wichtigste ist,<br />
die Sprache zu<br />
lernen.“<br />
Mi-Ja Chon,<br />
Geschäftsführerin Akakiko<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
17
FRAUEN<br />
„Das Anderssein<br />
ist etwas sehr Wertvolles<br />
und gehört gefördert“<br />
Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs,<br />
Geschäftsführerin ZT Architekten<br />
Marie-Therese<br />
Harnoncourt-Fuchs<br />
Geboren 1967 in Graz<br />
Die Binnenmigrantin übersiedelte nach<br />
<strong>Wien</strong> und schloss dort 1993 an der Universität<br />
für angewandte Kunst <strong>Wien</strong> ab.<br />
Nach Lehraufträgen an der TU <strong>Wien</strong>,<br />
Universität für Angewandgte Kunst<br />
<strong>Wien</strong> und dem Studio École Spéciale<br />
d'Architecure Paris, gründete sie 2000<br />
gemeinsam mit Ernst Fuchs das international<br />
rennomierte Architekturbüro<br />
the next ENTERprise.<br />
Entwarf den Wolkenturm Freiluftbühne<br />
Grafenegg, Österreich 2007, das Seebad<br />
Kaltern, Italien 2006, „ABSOLUT on<br />
the rocks“ Barmöbel für Unit-f, <strong>Wien</strong><br />
2001, „vanishing space“ Design für ein<br />
virtuelles Museum in <strong>Wien</strong> 2001<br />
„Blindgänger“ Kunst im öffentlichen<br />
Bereich, Österreich 2000<br />
Erhielt zahlreiche nationale und internationale<br />
Architekturpreise.<br />
Seit 2014 Mitglied der Jury für das Forum<br />
KÖR – Kunst im öffentlichen Raum<br />
<strong>Wien</strong>.<br />
MARIE-THERESE<br />
HARNONCOURT-FUCHS<br />
Wie <strong>sind</strong> Sie aufgewachsen?<br />
Ich bin in Graz aufgewachsen und komme aus<br />
einer offen denkenden, aber doch auch konservativen<br />
Familie. Ich musste mich davon distanzieren.<br />
Nach <strong>Wien</strong> zu gehen auf die Angewandte<br />
war ein wichtiger Schritt. Dort gab es ein Umfeld,<br />
wo man ohne bestimmtes Ziel, den eigenen<br />
Vorstellungen folgend, versucht hat, Dinge herauszufinden.<br />
Wie man sich am besten vermarktet<br />
und am besten Geld verdient, war überhaupt<br />
kein Thema.<br />
Ist Frau-Sein als Chefin potenziellen Auftraggebern<br />
gegenüber ein Thema?<br />
Es kann mal ein Vorteil, mal ein Nachteil sein. Je<br />
sicherer und emanzipierter ein Mensch ist, desto<br />
weniger ist mein Frau-Sein ein Thema. Wenn<br />
ich als Fachperson nicht so ernst genommen<br />
werde, dann ist das meistens ein Zeichen von<br />
Unsicherheit. Natürlich hat Architektin zu sein<br />
noch immer einen Besonderheitsstatus, das<br />
kann ein Vorteil sein. Vielleicht kann ein Geschäftspartner<br />
mit mir auch genauer seine eigenen<br />
Ziele formulieren und finden, weil ich anders<br />
auf ihn eingehe als ein Mann.<br />
Was ist notwendig, damit Frauen sich mehr<br />
trauen?<br />
Frauen <strong>sind</strong> nicht dazu erzogen, auf ihre eigene<br />
Leistung stolz zu sein und das auch zu vermitteln.<br />
Die Unterstützung, die man in der Schule<br />
und während des Studiums bekommt, ist enorm<br />
wichtig. Die FFG-Forschungsförderungsgesellschaft<br />
macht zum Beispiel Workshops für Frauen<br />
in der Technik. So etwas hilft enorm. Ich<br />
glaube auch, dass das Thema Bildung ein ganz<br />
wichtiges in der Integration ist. Das spezielle<br />
Fördern der Mädchen könnte ein starker Integrationsmotor<br />
sein. Es gibt auch eine große Hilflosigkeit<br />
der Männer, weil sie mit ihren alten<br />
Mustern nicht mehr bestehen. Wenn man über<br />
Emanzipation nachdenkt, muss man auch immer<br />
über das Männerbild nachdenken. Es wird<br />
Männern nicht mehr selbstverständlich das Feld<br />
überlassen. Das erzeugt Angst. Sie müssen ihr<br />
Profil neu finden. Das wird zu wenig berücksichtigt.<br />
Es müssen also auch den Buben in der<br />
Schule neue Wege gezeigt werden.<br />
Finden Sie das Gendern der Sprache wichtig?<br />
Ja, denn die Sprache formt das Denken. Entweder<br />
das weibliche Element existiert in den Büchern<br />
und dem Sprachschatz – oder eben nicht.<br />
Ich glaube, wir kommen nicht darum herum,<br />
genauso wenig wie um die Frauenquote in Aufsichtsräten<br />
und Führungspositionen.<br />
18 smartguide für GANZ WIEN
SELMA PRODANOVIC<br />
Selma Prodanovic<br />
Geboren in Sarajewo,<br />
Bosnien-Herzigowina,<br />
seit 1991 in Österreich<br />
Lebte in verschiedenen Kulturen und<br />
Ländern in Europa und Afrika, wurde in<br />
4 unterschiedlichen Schulsystemen ausgebildet,<br />
kommuniziert und unterrichtet<br />
fließend in 5 Sprachen (Deutsch, Englisch,<br />
Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Französisch<br />
und Spanisch).<br />
Seit 20 Jahren ist Prodanovic in den<br />
Bereichen New Business Development,<br />
Creative Industries und International<br />
Marketing tätig, u. a. für Young & Rubicam<br />
sowie Ogilvy & Mather.<br />
1995 gründete sie die kreative Unternehmensberatung<br />
Brainswork. Prodanovic<br />
ist Initiatorin von „IncrediblEurope“,<br />
dem europäischen Netzwerk für<br />
Innovation, Kreativität und Zukunftsforschung.<br />
Außerdem hat sie viele Initiativen<br />
der Kreativwirtschaft in Österreich,<br />
Bosnien-Herzegowina und Kroatien<br />
koordiniert und beraten.<br />
Für ihre innovative Unternehmensphilosophie<br />
und ihr Bekenntnis zu Unternehmertum<br />
und sozialem Engagement<br />
wurden ihr der „WOMAN Award<br />
2006“, der „MIA-Award 2010“ und<br />
der „Anerkennungspreis der Jury des<br />
Integrationspreises 2010“ verliehen.<br />
2007 und 2010 nominierten sie die<br />
„Austrian Leading Ladies“ zur „Netzwerkerin<br />
des Jahres“.<br />
Wie <strong>sind</strong> Sie aufgewachsen?<br />
Ich bin in Sarajevo geboren und mit meiner Familie<br />
1991, ein Jahr vor dem Krieg, nach <strong>Wien</strong><br />
gekommen. Ich habe in Sarajevo, Madrid und<br />
<strong>Wien</strong> <strong>Wir</strong>tschaft studiert und dann im Business<br />
Development gearbeitet. Nach 15 Jahren<br />
habe ich mich selbstständig gemacht, damit bin<br />
ich total glücklich.<br />
Wären ihre Kunden anders zu Ihnen, wenn<br />
Sie ein Mann wären?<br />
Von der Expertise ist es gleich, aber wahrscheinlich<br />
habe ich mehr Frauen als Kundinnen<br />
als meine Kollegen. Bis jetzt ist die Welt<br />
nur auf Geld aufgebaut, aber heute werden andere<br />
Faktoren immer wichtiger, es geht auch<br />
darum, dass sich Menschen wohlfühlen, dass<br />
sie anerkannt werden in ihrem Unternehmen,<br />
es geht auch um Sinnfragen. Menschen, die<br />
sich an mich wenden, haben sowieso schon eine<br />
anderes Weltbild und kein Problem damit,<br />
dass ich eine Frau bin. Als Person und Unternehmen<br />
mache ich Frauen Mut, den Schritt in<br />
die Selbstständigkeit zu machen, berate sie und<br />
helfe ihnen, einen Investor zu finden.<br />
Ist es für Frauen schwieriger, Investments für<br />
ihr Start-up zu bekommen?<br />
Männer werden ernster genommen, Frauen<br />
machen sich oft ein bisschen kleiner und erwecken<br />
dann damit weniger Vertrauen in ihre Geschäftstüchtigkeit.<br />
Ich bin allerdings davon<br />
überzeugt, dass Männer sehr bald Gründerinnen<br />
als gleichwertige Business Partner ansehen<br />
werden, aus dem einfachen Grund, dass sie als<br />
eventuelle Investoren damit einen Profit machen<br />
können und es ein Verlust wäre, darauf zu<br />
verzichten. Das ist eine Frage der Zeit. Es wird<br />
auch in Zukunft mehr weibliche Investorinnen<br />
geben.<br />
Was brauchen wir, damit sich das ändert?<br />
Role Models und Öffentlichkeit <strong>sind</strong> ganz<br />
wichtig, damit man sieht, dass es für den Einzelnen<br />
und die Gesellschaft als Ganzes etwas<br />
bringt. Im Mai organisieren wir eine Konferenz:<br />
„Women investing in women“, um „Business<br />
Angelinas“, wie ich sie nenne, zu fördern.<br />
„Role Models<br />
<strong>sind</strong> ganz<br />
wichtig“<br />
Selma Prodanovic,<br />
Geschäftsführerin<br />
Brainswork<br />
Die Porträts von Tatjana Oppitz und Marie-Therese<br />
Harnoncourt <strong>sind</strong> dem Foto- und Interview-Buch „Selbstbewusst:<br />
Frauen die ihren Weg gehen“ entnommen.<br />
Zu beziehen über die Buchhandlung Orlando, 1090<br />
<strong>Wien</strong>, Ecke Liechtensteinstraße und Berggasse oder in<br />
anderen gut sortierten Buchhandlungen.<br />
Erschienen im Metro Verlag.<br />
19
ÖSTERREICH IN ZAHLEN<br />
THOMAS TRIMMEL<br />
F R A U E N & M I G R A T I O N I N Ö S T E R R E I C H<br />
HEIMAT GROSSER TÖCHTER<br />
4.3 Millionen Frauen leben 2014 in Österreich, davon wurden 737.798 im<br />
Ausland geboren. Sie engagieren sich im heimischen <strong>Wir</strong>tschaftsprozess und<br />
<strong>sind</strong> als Mitglieder in Vereinen, als Studienkolleginnen oder Nachbarinnen<br />
ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens in diesem Land.<br />
18.900 €<br />
15.400 €<br />
3.500 €<br />
mit österreichischer<br />
Staatsbürgerschaft<br />
ohne österreichische<br />
Staatsbürgerschaft<br />
Gehaltsunterschied<br />
pro Jahr<br />
Ö sterreicherinnen verdienten im Jahr 2012 im Schnitt fast 18.900 Euro.<br />
Bei in Österreich lebenden Frauen ohne Österreichische Staatsbürgerschaft<br />
lag das Nettojahreseinkommen im Schnitt bei 15.400 Euro.<br />
Frauen mit türkischer Staatsbürgerschaft mussten sogar lediglich mit nur<br />
rund 13.200 Euro auskommen (70% des Nettoeinkommens der Österreicherinnen).<br />
300<br />
€Hälfte<br />
der<br />
durchschnittlichen<br />
Monatsmiete<br />
22% der Migrantinnen<br />
haben einen Uni-Abschluss<br />
2013 verfügten rund 17% aller österreichischen<br />
Frauen ohne Migrationshintergrund<br />
über einen akademischen Abschluss. Dieser<br />
Wert betrug bei Frauen mit Migrationshintergrund<br />
etwas mehr als 22%.<br />
146.000<br />
arbeitslose Frauen<br />
Von insgesamt 390.000 arbeitslosen<br />
Personen im Jahr 2014, waren<br />
146.000 Frauen. Problematisch<br />
dabei ist, die grundsätzlich<br />
zu geringe Anzahl an<br />
Arbeitsplätzen.<br />
Migrantinnen<br />
seltener erwerbstätig<br />
Die Erwerbstätigenquote von<br />
Frauen mit Migrationshintergrund<br />
war mit 59% deutlich geringer als<br />
bei Frauen ohne Migrationshintergrund.<br />
Diese lag bei 70%<br />
(Stand 2013)<br />
Fotos: 123rf, Infografik: Halmschlager<br />
20 smartguide für GANZ WIEN
Z A H L E N . D A T E N . F A K T E N .<br />
Der Anteil an Frauen mit Universitätsabschluss stieg unter<br />
Frauen mit österreichischer Staatsbürgerschaft von etwas über 1%<br />
(1971) auf rund 17% (2013). Unter Frauen ohne Österreichischer<br />
Staatsbürgerschaft stieg der Anteil an Universitätsabschlüssen<br />
deutlich stärker: von etwa 3% (1971) auf rund 22% (2013).<br />
Bildungsniveau<br />
von Migrantinnen steigt stärker<br />
Österreichische<br />
Staatsbürgerinnen:<br />
1971 4.000.000<br />
2013 4.352.000<br />
Ausländische<br />
Staatsbürgerinnen:<br />
1971 115.000<br />
2013 529.000<br />
Annerkennung der<br />
Bildung problematisch<br />
Die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse<br />
stellt für viele Migrantinnen<br />
eine besondere Hürde für eine qualifizierte<br />
Beschäftigung dar. Neben den teils<br />
hohen Kosten bestehen häufig formale<br />
Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit<br />
mit einer österreichischen Ausbildung.<br />
Viele Migrantinnen arbeiten deshalb<br />
unter ihrem Qualifikationsniveau. Informationen<br />
zum Thema Anerkennung<br />
unter www.berufsanerkennung.at.<br />
WEIBLICHE<br />
GESAMTBEVÖLKERUNG<br />
4.352.000<br />
100,0%<br />
Österreichische<br />
Staatsangehörige<br />
3.823.000<br />
87,8%<br />
Ausländische<br />
Staatsangehörige<br />
529.000<br />
12,2%<br />
Stand: 1. Jänner 2014<br />
Migrantinnen aus Deutschland an der Spitze<br />
Mit Stichtag 1.1.2014 lebten 113.200 in Deutschland geborene Frauen in Österreich.<br />
Mit weitem Abstand folgten in Bosnien und Herzegowina geborene Frauen (77.500).<br />
Auf Platz drei rangierten 75.500 Frauen mit Geburtsort in der Türkei.<br />
TOP 10 NATIONALITÄTEN<br />
WEIBLICHE BEVÖLKERUNG AM 1.1.2014 nach Geburtsland und Staatsangehörigkeit<br />
GEBURTSLAND<br />
Deutschland<br />
Bosnien Herzigowina<br />
Türkei<br />
Serbien<br />
Rumänien<br />
Polen<br />
Ungarn<br />
Tschechische Republik<br />
Kroatien<br />
Slowakei<br />
STAATSANGEHÖRIGKEIT<br />
113.234 (32% Ö. / 68% andere)<br />
77.509 (36% Ö. / 64% andere)<br />
75.471 (38% Ö. / 62% andere)<br />
69.649 (35% Ö. / 65% andere)<br />
44.117 (32% Ö. / 68% andere)<br />
35.350 (24% Ö. / 76% andere)<br />
30.161 (22% Ö. / 78% andere)<br />
25.520 (69% Ö. / 21% andere)<br />
21.415 (45% Ö. / 55% andere)<br />
20.829 (20% Ö. / 80% andere)<br />
SlowakInnen<br />
Die slowakische Migration fand bereits zur<br />
Zeiten der Österreichisch-Ungarischen<br />
Monarchie statt und hat Tradition. Nach der<br />
Gründung der Tschechoslowakei Ende des<br />
Ersten Weltkriegs kehrten viele SlowakInnen in<br />
ihre ursprüngliche Heimat zurück. Nach Ereignissen<br />
wie dem Zweiten Weltkrieg, und dem Fall des<br />
Eisernen Vorhangs kam es zu einer großen<br />
Re-Migrationsbewegung. Nach dem EU-Beitritt<br />
hat sich die Zahl der slowakischen StaatsbürgerInnen<br />
in Österreich verdreifacht. Viele der<br />
zugezogenen nutzen die Gelegenheit und<br />
pendeln regelmäßig über die Landesgrenzen.<br />
TschechInnen<br />
Auch die erste große tschechische Migrationswelle<br />
fand noch zu zeiten der Monarchie statt.<br />
Damals wanderten vor allem böhmische<br />
Adelsfamilien nach Österreich aus. Diese prägen<br />
bis heute die Club und Vereinslandschaft Österreichs.<br />
Auch findet man vor allem in der Kulinarik<br />
starke Einflüsse der tschechischen Kultur. Beide<br />
Kulturen <strong>sind</strong> enger verbunden.<br />
Das Fazit: Viele TschechInnen nehmen die<br />
österreichische Staatsbürgerschaft an.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
21
HOLOCAUST IM UNTERRICHT<br />
Niemals!<br />
INTERVIEW: JÜRGEN ZACHARIAS<br />
Fotos: www.picturedesk.com(1), beigestellt<br />
22 smartguide für GANZ WIEN
HOLOCAUST IM UNTERRICHT<br />
Der Holocaust, der Genozid an den Armeniern oder<br />
die Verfolgung von Roma und Sinti. Die Geschichten<br />
der Völker zeigen viele Parallelen auf. Was man aus<br />
der Vergangenheit verschiedener Kulturen für die<br />
Gegenwart mitnehmen kann, das lernen Schüler<br />
beim Zeitzeugenseminar. Die Vergangenheit<br />
verstehen – für eine bessere Zukunft.<br />
n Erzählte Geschichte als<br />
Beitrag für eine andere Zukunft:<br />
Zeitzeugengespräche und<br />
zeitgeschichtliche Gedenkarbeit<br />
als Werkzeug der politischen<br />
Bildung gemeinsam mit Schülern<br />
aller Altersstufen organisiert der<br />
Verein erinnern.at<br />
Herr Dreier, der Verein<br />
„erinnern.at“ hat es sich zur<br />
Aufgabe gemacht, über die<br />
Zeit des Nationalsozialismus<br />
und den Holocaust zu informieren.<br />
Warum ist das auch<br />
70 Jahre nach Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs immer noch<br />
wichtig?<br />
Die Gewaltverbrechen während<br />
der Zeit des Nationalsozialismus<br />
wurden in der<br />
Nachkriegszeit aus dem öffentlichen<br />
Bewusstsein verdrängt.<br />
Es gab zwar eine Diskussion<br />
darüber in privaten<br />
Räumen, aber kaum in der<br />
Öffentlichkeit, was zum Paradoxon<br />
führt, dass wir heute als<br />
Gesellschaft viel mehr über<br />
diese Zeit wissen als vor 20<br />
oder 30 Jahren. Unser Ziel ist<br />
es, auf dieser Basis ein Bewusstsein<br />
für die Verbrechen<br />
dieser Zeit zu schaffen, damit<br />
Lehren daraus gezogen werden<br />
können.<br />
„Die Schüler<br />
reagieren auf<br />
persönliche<br />
Erfahrungen<br />
sensibel und<br />
verständnisvoll.“<br />
Werner Dreier<br />
Aber kann und will ein Jugendlicher<br />
heute überhaupt<br />
noch Lehren aus dieser Geschichte<br />
ziehen?<br />
Das ist die zentrale Frage, die<br />
jeder Mensch für sich beantworten<br />
muss. Ist die Geschichte<br />
weit weg oder immer noch<br />
präsent und hat sie für unser<br />
Leben noch eine Bedeutung?<br />
Die Antwort darauf können<br />
wir nicht vorgeben, die muss<br />
sich jeder Mensch selbst klarmachen.<br />
Was wir tun können,<br />
ist Anreize zu geben, damit die<br />
Auseinandersetzung mit der<br />
Geschichte erleichtert wird …<br />
…etwa indem Sie Zeitzeugen<br />
aus ihren Erfahrungen erzählen<br />
lassen?<br />
Genau. Erfahrungen von<br />
Menschen, die in dieser Zeit<br />
zu Opfern gemacht wurden,<br />
die verfolgt wurden, die Angehörige<br />
verloren haben oder<br />
die sich retten konnten, <strong>sind</strong><br />
ganz wesentliche Anreize. Diese<br />
persönlichen Geschichten<br />
zeigen, wie sich die große Geschichte<br />
im Leben von Menschen<br />
niederschlägt und damit<br />
wird diese Zeit auch anschlussfähig<br />
an unser heutiges<br />
Leben.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
23
HOLOCAUST IM UNTERRICHT<br />
Weil wir uns in die<br />
Personen hineinversetzen<br />
können?<br />
Das, und weil wir uns dadurch<br />
auch in diese Zeit hineinversetzen,<br />
Vergleiche anstellen<br />
und daraus etwas lernen können.<br />
Dadurch kann sich auch<br />
unser Blick auf die Welt heute<br />
ändern und darauf, wie wir<br />
uns als Gesellschaft einrichten<br />
und wie wir als Bürger agieren<br />
– viele der von den Zeitzeugen<br />
geschilderten Themen <strong>sind</strong><br />
überraschend aktuell.<br />
Haben Sie dafür ein<br />
Beispiel?<br />
Bei einer Zeitzeugenerzählung<br />
hat eine jüdische <strong>Wien</strong>erin<br />
beispielsweise darüber berichtet,<br />
wie sie als Mädchen aus<br />
Galizien in den 1920er-Jahren<br />
mit ihrer Familie nach <strong>Wien</strong><br />
kam und wie wichtig es für sie<br />
damals war, eine Volksschullehrerin<br />
zu haben, die sie als<br />
nicht gut Deutsch sprechende<br />
Schülerin unterstützt hat.<br />
Schüler, die sich heute in einer<br />
ähnlichen Situation befinden,<br />
können das gut nachvollziehen<br />
und auch was es heißt, einer<br />
religiösen Minderheit anzugehören.<br />
Wie reagieren Jugendliche,<br />
wenn sie mit einem derart<br />
sensiblen Thema wie dem Holocaust<br />
konfrontiert werden?<br />
In den überwiegenden Fällen<br />
einer Zeitzeugenerzählung<br />
<strong>sind</strong> die Schüler sehr interessiert<br />
und verständnisvoll. Und<br />
dabei ist es egal, ob das Schüler<br />
<strong>sind</strong>, die zugewandert <strong>sind</strong><br />
oder nicht, die Migrationshintergrund<br />
aufweisen oder<br />
sprachliche Schwierigkeiten<br />
haben – die Schüler reagieren<br />
auf persönliche Erfahrungen<br />
und Geschichten quer durch<br />
die Bank meist sensibel und<br />
verständnisvoll.<br />
n Marko Feingold wurde 1913 geboren und wuchs in der <strong>Wien</strong>er<br />
Leopoldstadt auf. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten<br />
wurde er verhaftet, 1939 in der Tschechoslowakei eingesperrt und<br />
1940 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Über die Konzentrationslager<br />
Neuengamme und Dachau kam er schließlich 1941 nach<br />
Buchenwald, wo er die Befreiung erlebte. Danach ließ er sich in Salzburg<br />
nieder. Dort ist er seit 1979 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde.<br />
Das lernen Kinder im<br />
Zeitzeugenseminar<br />
Richtiger Umgang mit Vorurteilen: Überall gibt es Vorurteile. Entscheidend<br />
ist aber, wie man diese entkräftet und wie man damit umgeht. Durch politsche<br />
Bildung im Unterricht werden die Schüler im kritischen Umgang mit Abneigung<br />
und Intoleranz geschult und sensibilisiert.<br />
Wie organisiere ich Unterrichtsbesuche?<br />
Schulen können Opfer des Nationalsozialismus als ZeitzeugInnen für Vorträge<br />
zum Themenbereich Nationalsozialismus und Holocaust ab der 8. Schulstufe<br />
einladen. Dadurch können im Unterricht ZeitzeugInnen-Gespräche (Oral<br />
History) – neben der Verwendung von Literatur und schriftlichen ZeitzeugInnen-<br />
Berichten, Videodokumentationen über ZeitzeugInnen und Besuch von<br />
Ausstellungen und Gedenkstätten – zur Vertiefung der zeitgeschichtlichen<br />
Inhalte beitragen.<br />
Mit Vorurteilen sehen Sie<br />
sich also nicht konfrontiert?<br />
Doch, natürlich. Jeder von uns<br />
hat Vorurteile, entscheidend<br />
ist aber, wie man diese entkräftet<br />
und wie man damit<br />
umgeht. Daher gelten bei unseren<br />
Zeitzeugenerzählungen<br />
auch gewisse Regeln, die Respekt<br />
sichern und Verletzungen<br />
vermeiden sollen. Das setzt<br />
aber Vertrauen und Offenheit<br />
voraus – von allen Seiten.<br />
Welche Lehren sollen die<br />
Schüler aus einer Zeitzeugenerzählung<br />
mitnehmen?<br />
<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong> überzeugt, dass wir<br />
heute noch viel aus der Geschichte<br />
lernen können, wir<br />
wollen aber nicht auch schon<br />
die richtige Moral liefern. Welche<br />
Konsequenzen gezogen<br />
werden und welche Zukunftsbilder,<br />
ist das Ergebnis eines<br />
Aushandlungsprozesses, den<br />
wir nur anstoßen können.<br />
n Lucia Heilman wurde 1929 in <strong>Wien</strong> in eine jüdische<br />
Familie geboren. Sie überlebte zusammen mit<br />
ihrer Mutter als eine der wenigen in einem Versteck<br />
in <strong>Wien</strong>, das Reinhold Duschka, der Bergkamerad<br />
ihres Vaters, in seiner Werkstätte im 6. <strong>Wien</strong>er Gemeindebezirk<br />
gebaut hatte. Nach dem Krieg studierte<br />
Lucia Heilman Medizin an der Universität <strong>Wien</strong>.<br />
Sie lebt mit ihrem Mann, zwei Töchtern und zwei<br />
Enkelkindern in <strong>Wien</strong>.<br />
Der Zweite Weltkrieg ist wie<br />
eingangs erwähnt mittlerweile<br />
70 Jahre vorbei: <strong>Wir</strong>d es<br />
vor diesem Hintergrund immer<br />
schwieriger, Zeitzeugen<br />
zu finden?<br />
Viele der Menschen, die die<br />
Zeit bewusst erlebt haben,<br />
<strong>sind</strong> mittlerweile gestorben<br />
oder sehr alt und tun sich daher<br />
zunehmend schwer, in die<br />
Schule zu gehen und öffentlich<br />
aufzutreten. Allerdings<br />
wird seit 20 Jahren darüber<br />
geredet, dass die Zeitzeugengeneration<br />
abtritt – wir erleben<br />
bei unseren<br />
Seminaren aber, dass jedes<br />
Jahr neue dazukommen.<br />
Weil sich immer mehr Menschen<br />
überwinden können,<br />
über ihre Erfahrungen und<br />
Erlebnisse zu sprechen?<br />
Als in den 1980er-Jahren erstmals<br />
Zeitzeugen an Schulen<br />
gingen, waren das überwiegend<br />
Männer mit politischem<br />
Bewusstsein, die vor allem einem<br />
gesellschaftspolitischem<br />
Aufklärungsauftrag nachgekommen<br />
<strong>sind</strong>. Heute sprechen<br />
mehr Frauen und wird mehr<br />
über persönliche Erlebnisse<br />
gesprochen.<br />
Fotos: Sabine Sowieja<br />
24 smartguide für GANZ WIEN
n Paul Grünberg wurde 1923 in <strong>Wien</strong><br />
geboren. Er begann eine Schneiderlehre,<br />
die er aber nach dem „Anschluss“ abbrechen<br />
musste. 1939 wurde er verhaftet<br />
und nach Buchenwald verschleppt.<br />
Dort musste er mit seinem Vater zunächst<br />
im Steinbruch arbeiten. 1942<br />
wurde er ins neu errichtete Lager Buna/Monowitz<br />
(Auschwitz III)<br />
deportiert. Dort arbeitete er in der<br />
Schreibstube. Im Jänner 1945 trieb die<br />
SS die Häftlinge, darunter auch Paul<br />
Grünberg, auf Todesmärsche. Er erlebte<br />
das Kriegsende in Tschechien.<br />
Trotzdem werden Sie sich wohl<br />
Gedanken darüber machen,<br />
wie Sie auch in zehn oder 15<br />
Jahren Zeitzeugenberichte in<br />
die Schule bringen können?<br />
Natürlich machen wir uns die,<br />
und da gibt es im Wesentlichen<br />
zwei große Ideen: Eine davon<br />
basiert auf der Videodokumentation<br />
von Zeitzeugen-Interviews,<br />
wie wir sie etwa auch<br />
schon im Rahmen von zwei<br />
Wanderausstellungen in Schulen<br />
nutzen. Schüler können sich<br />
dort die Geschichten der Menschen<br />
durchlesen und über QR-<br />
Codes kommen sie online zu<br />
den Interviews.<br />
Und was ist der zweite Ansatz?<br />
Dieser Ansatz ist mitten unter<br />
uns, in den Erfahrungen von<br />
vielen von uns gespeichert. Ein<br />
Beispiel: Denken sie an eine<br />
Familie in <strong>Wien</strong>, die heute lebt<br />
und in der mütterlicherseits<br />
beide Elternteile aus verfolgten<br />
Familien stammen. Diese Verfolgungsgeschichte<br />
hat heute<br />
immer noch Auswirkungen auf<br />
das Leben der Familie, die Familienmitglieder<br />
haben ein<br />
ganz anderes Sensorium für<br />
potenzielle Gefahren, benennen<br />
ihre Kinder anders und<br />
wählen andere Formen von Besitz<br />
oder andere Berufe. Dabei<br />
geht es ihnen immer darum,<br />
möglichst flexibel zu sein, um<br />
im Notfall auch anderswo auf<br />
der Welt zurechtzukommen.<br />
Das Sein in der Welt ist dadurch<br />
grundlegend anders,<br />
und diese Erfahrungen mit einer<br />
Gesellschaft zu teilen, die<br />
davon keine Ahnung hat, ist<br />
aus unserer Sicht eine sehr<br />
wichtige Sache.<br />
Das Thema Holocaust und Verfolgung<br />
wird dadurch aber<br />
deutlich breiter an gelegt?<br />
Genau. Es ist interessant zu sehen,<br />
wie sich die Verbrechen zur<br />
Zeit des Nationalsozialismus etwa<br />
zum Genozid an den Armeniern<br />
verhalten oder welche Parallelen<br />
die Verfolgung der Juden<br />
damals mit der Verfolgung<br />
von Roma und Sinti und ihre<br />
Diskriminierung bis heute aufweist.<br />
Welche Muster lassen sich<br />
darin erkennen? Diese Zugangsweise<br />
führt zu einem tieferen<br />
Verständnis des sozialen Prozesses<br />
eines Völkermordes oder der<br />
Verfolgung einer ganzen Bevölkerungsgruppe<br />
und wir lernen<br />
daraus, auf welche Kriterien wir<br />
achten müssen, um kritische<br />
Momente herauszufiltern, in denen<br />
eine Gesellschaft in Massengewalt<br />
abgleiten kann.
KAMPF DER NEUEN<br />
DICHTER<br />
TEXT & INTERVIEW: JÜRGEN ZACHARIAS<br />
Literatur zum Anfassen.<br />
Neu, aufregend, charmant und witzig.<br />
So präsentieren die Dichter von morge<br />
ihre Lyrik. Die Poeten im Wettstreit<br />
<strong>sind</strong> der Importschlager aus Übersee.<br />
Ab sofort wird poetry geslamt!<br />
26<br />
Es ist noch nicht lange her, da<br />
verstopfte die Videoaufnahme<br />
eines Poetry Slams die<br />
sozialen Netzwerke. Darauf<br />
zu sehen: Die 21-jährige Julia<br />
Engelmann, wie sie über ihr<br />
Leben philosophiert. Sie<br />
spricht viel von Feigheit,<br />
Faulheit und Lethargie, noch<br />
mehr über Verpassensangst<br />
und darüber, all die Mutlosigkeit<br />
und Befangenheit endlich<br />
über Bord zu werfen und sich<br />
mit Haut und Haaren auf das<br />
Abenteuer Leben einzulassen.<br />
Mit Zitaten wie „Lass uns<br />
möglichst viele<br />
Fehler machen und möglichst<br />
viel aus ihnen lernen“ sprach<br />
sie vielen Zuhörern des Poetry<br />
Slams in Bielefeld aus der<br />
Seele und so ganz nebenbei<br />
auch der deutschsprachigen<br />
Webcommunity: Mit Stand<br />
heute wurde das Video ihres<br />
Auftritts auf YouTube knapp<br />
acht Millionen mal aufge -<br />
rufen.<br />
Foto: Anna Konrath
SPRACHKULTUR<br />
Für Diana Köhle, Frau der<br />
ersten Stunde der heimischen<br />
Poetry-Slam-Szene und Veranstalterin<br />
des Slam B und<br />
des Tagebuchslams, kommen<br />
Eloquenz und Selbstbewusstsein,<br />
mit der Julia Engelmann<br />
ihre Botschaft mit der Öffentlichkeit<br />
teilte, nicht überraschend.<br />
„Es ist unglaublich<br />
faszinierend, mit welchem<br />
Selbstverständnis junge Leute<br />
heute vortragen und welch<br />
tolle Texte sie präsentieren“,<br />
sagt die Wahl-<strong>Wien</strong>erin. „Immer<br />
wieder in Erstaunen versetzt<br />
mich, wie bereitwillig sie<br />
dabei auch aus ihrem eigenen<br />
Leben erzählen und wie sie<br />
ihre Gedanken, Wünsche und<br />
Träume mit der Öffentlichkeit<br />
teilen.“ Probleme, genügend<br />
Kandidaten für ihre Slams zu<br />
finden, hat Diana Köhle daher<br />
nicht. Erst recht nicht, da bei<br />
dem Dichterwettstreit nicht<br />
nur junge Nachwuchsliteraten<br />
auf die Bühne drängen. „Von<br />
14-Jährigen bis hin zu 89-Jährigen<br />
hatte ich schon alles dabei.<br />
Insgesamt waren bei meinem<br />
Slam B schon mehr als<br />
200 Leute auf der Bühne, von<br />
denen mittlerweile einige auf<br />
Buchveröffentlichungen verweisen<br />
können, und fast jedes<br />
Jahr ist einer unserer Slammer<br />
beim Bachmann-Preis dabei.<br />
Auch das Publikum ist schön<br />
gemischt – Poetry Slam gefällt<br />
quer durch alle Altersschichten.“<br />
Seinen Ursprung hat das Literaturformat<br />
in den USA, 1986<br />
soll Performance-Künstler<br />
Marc Kelly Smith in Chicago<br />
erstmals einen Poetry Slam<br />
veranstaltet haben. Über das<br />
restliche Nordamerika schaffte<br />
die neue Veranstaltungsidee<br />
dann den Sprung nach London,<br />
mit gebotener Verzögerung<br />
irgendwann weiter nach<br />
Mitteleuropa und schließlich<br />
Anfang der Nullerjahre auch<br />
nach Österreich. Meist treten<br />
zwölf Kandidaten zu den literarischen<br />
Wettkämpfen an.<br />
Mriri, Frau Schreiber, Hirschl<br />
oder wie auch immer sich die<br />
Hobbydichter nennen, haben<br />
dann fünf Minuten<br />
Zeit, mit selbstverfassten<br />
Geschichten über<br />
One-Night-Stands,<br />
ihre Hobbys, die<br />
Grauslichkeiten des<br />
Zeitungsboulevards<br />
oder den Diätwahn unserer<br />
Gesellschaft die<br />
Gunst des Publikums zu gewinnen.<br />
Einen schnell zusammengekritzelten<br />
Text einfach<br />
abzulesen, reicht dafür aber<br />
schon lange nicht mehr. „Im<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
27
SPRACHKULTUR<br />
n Ein Poetry Slam ist keine klassische Lesung, sondern es handelt<br />
sich hierbei um einen vielfältigen literarischen Wettkampf<br />
vor allem um die Gunst des Publikums. Als Applausometer ist<br />
die Moderatorin Diana Köhle bei der Entscheidung behilflich.<br />
n Eine lustige Zeitreise in die Abgründe der eigenen und<br />
fremden Pubertät und Kindheit. Der TAGebuch SLAM<br />
führt das Publikum verschiedener Nationen noch einmal<br />
gemeinsam zurück in die eigenen „glory days“.<br />
Regelfall steckt da schon sehr<br />
viel mehr Arbeit dahinter“,<br />
sagt Diana Köhle, „die meisten<br />
Kandidaten lernen ihre Texte<br />
auch auswendig, das ganze<br />
wird immer professioneller.“<br />
Um den Vortrag aufzuwerten,<br />
werden kurze Gesangspassagen<br />
eingebaut, es wird gerappt,<br />
auch Satire und Comedy<br />
<strong>sind</strong> willkommen, Hilfsmittel<br />
und Requisiten <strong>sind</strong><br />
allerdings nicht erlaubt. Die<br />
Lautstärke des Applauses entscheidet<br />
über den Aufstieg in<br />
die nächste Runde und letztendlich<br />
auch den Sieg. Hat<br />
Frau Schreiber die Zuhörer<br />
überzeugt und den meisten<br />
Applaus bekommen, gewinnt<br />
sie ein Buch, mal einen Gutschein<br />
oder andere Anerkennungspreise.<br />
Auf jeden Fall<br />
anerkennende Schulterklopfer.<br />
Denn beim Poetry Slam geht<br />
es nicht um den Sieg allein,<br />
sondern darum, ein Publikum<br />
für lebendig vorgetragene<br />
Literatur zu begeistern.<br />
„Das verbindende Element<br />
zwischen Kandidaten und<br />
Publikum ist die Liebe zur Literatur<br />
und die Lust, sich auf<br />
Neues einzulassen“, sagt Diana<br />
Köhle. „Dadurch, dass wir<br />
nur neue Texte zulassen und<br />
immer wieder andere Leute<br />
auf der Bühne stehen, bekommt<br />
jeder Abend einen eigenen<br />
und unverwechselbaren<br />
Charakter.“ Bei manchen<br />
Texten stehen witzige Pointen<br />
und spaßige Passagen im Vordergrund,<br />
bei anderen geht es<br />
um unser Dasein auf Erden<br />
oder den Ernst des Lebens. „In<br />
Summe überwiegt das Lustige“,<br />
sagt Diana Köhle, „ gerade<br />
zum Jahresanfang war heuer<br />
aber schon auch sehr viel<br />
Ernst in den Texten.“ Da war<br />
etwa der Kuss-Aufreger im<br />
Café Prückel Thema oder<br />
auch der Anschlag auf das<br />
französische Satiremagazin<br />
„Charlie Hebdo“ in Paris.<br />
Fotos: Anna Konrath<br />
28 smartguide für GANZ WIEN
„DURCH DIE<br />
GENERATIONSÜBERGRIEFENDE<br />
LIEBE ZUR LITERATUR ISTJEDER<br />
ABEND ANDERS“<br />
Sind Poetry Slams damit<br />
quasi literarisches Abbild<br />
aktueller öffentlicher Diskussionen<br />
und Probleme?<br />
Auch, der Dichterwettstreit<br />
kann aber noch viel mehr<br />
sein, wie Julia Engelmanns Video<br />
zeigt, die mit ihren fünf<br />
Minuten eine neue, breite<br />
Diskussion über die Zwänge<br />
unseres Alltags erst in Gang<br />
brachte. „Unser Leben ist ein<br />
Wartezimmer und niemand<br />
ruft uns auf“, sprach sie und<br />
regte damit zum Nachdenken<br />
an. Mit Poetry Slams gibt es<br />
praktischerweise auch gleich<br />
einen möglichen Ausgang aus<br />
diesem Wartezimmer, den jeder<br />
für sich selbst beschreiten<br />
kann – bei offenen Slams darf<br />
sich schließlich jeder beim<br />
Veranstalter als Kandidat aufstellen<br />
lassen. Dabei darf man<br />
ein anderes Zitat von Julia Engelmann<br />
durchaus als Warnung<br />
verstehen: „Mach ich<br />
später, ist die Bassline meines<br />
Alltags.“ Also ranhalten und<br />
anmelden. Nicht erst morgen,<br />
sondern heute.<br />
Diana Köhle veranstaltet in<br />
<strong>Wien</strong> seit 2004 regelmäßig<br />
Poetry Slams und hat es mit<br />
ihrem Tagebuch Slam auch<br />
ins ORF-Hauptabendprogramm<br />
geschafft. <strong>Wir</strong> haben<br />
mit ihr über die Faszination<br />
der etwas anderen Literaturveranstaltungen<br />
gesprochen.<br />
Wie läuft ein Poetry Slam ab?<br />
Das Prozedere ist grundsätzlich<br />
immer das gleiche: Es gibt<br />
mehrere Teilnehmer, die meist<br />
fünf Minuten Zeit haben, um<br />
einen eigenen Text unterzubringen,<br />
und eine Jury, die im<br />
Regelfall das Publikum bildet<br />
und darüber entscheidet, welcher<br />
Teilnehmer eine Runde<br />
weiterkommt und den Slam<br />
gewinnt. Wie das Publikum<br />
abstimmt, ist unterschiedlich<br />
– meist entscheidet die Lautstärke<br />
des Applauses, es gibt<br />
aber auch andere Votingsysteme.<br />
Auf welche Art auch immer<br />
wird schlussendlich ein<br />
Teilnehmer zum Sieger des<br />
Abends gewählt.<br />
Welche Texte werden dabei<br />
vorgetragen?<br />
Das ist immer vom Thema<br />
des Slams abhängig. Ich veranstalte<br />
beispielsweise regelmäßig<br />
einen Tagebuch Slam,<br />
bei dem – wie der Name schon<br />
sagt – aus einem Tagebuch<br />
vorgelesen werden muss. Slams<br />
gibt es aber auch zu ganz anderen<br />
Themen und die Art der<br />
Texte reicht dabei von ernst bis<br />
lustig. Alles ist möglich und<br />
jeder muss für sich selbst entscheiden,<br />
welches Thema er<br />
aufgreift und wie er den Text<br />
dann auch rüberbringt.<br />
Es entscheidet also nicht nur<br />
der Inhalt des Textes?<br />
Klarerweise stehen der Text<br />
und dessen Inhalt im Mittelpunkt,<br />
aber auch die Performance<br />
entscheidet. Wichtig ist<br />
es aber in jedem Fall, authentisch<br />
zu bleiben und seine ei-<br />
gene, verschrobene Art zu zeigen.<br />
Kopieren funktioniert<br />
nicht, wichtig ist der eigene Stil.<br />
Ergibt sich aus der Authentizität<br />
der Teilnehmer und deren<br />
unterschiedlichen<br />
Stilen auch die Faszination<br />
von Poetry Slams?<br />
Definitiv. Durch die unterschiedlichen<br />
Texte und Performances<br />
und die generationsübergreifende<br />
Liebe zur<br />
Literatur ist jeder Abend anders,<br />
und das ist es auch, was<br />
mich so süchtig nach Poetry<br />
Slams macht. Man kann nie<br />
im Vorhinein sagen, was passieren<br />
wird, und trotzdem ist<br />
klar, dass es in jedem Fall unterhaltsam<br />
sein wird.<br />
Sie haben zuvor vom Tagebuch<br />
Slam gesprochen, der<br />
es sogar ins Fernseh-Hauptabendprogramm<br />
geschafft<br />
hat.<br />
Genau, wobei ich damit nicht<br />
gerechnet habe. Offensichtlich<br />
<strong>sind</strong> wir aber so voyeuristisch<br />
veranlagt, dass wir<br />
gerne die ganz persönlichen<br />
und intimen Probleme, Gefühle<br />
und Träume anderer<br />
Personen hören. Für mich<br />
zeigt das aber auch, dass Poetry<br />
Slams mittlerweile der<br />
Schritt aus der Nische in die<br />
breite Öffentlichkeit gelungen<br />
ist. Lange Zeit gab es in<br />
<strong>Wien</strong> nur einen Slam, mittlerweile<br />
gibt es jeden Monat<br />
zehn Slams und auch in den<br />
anderen Bundesländern hat<br />
sich eine unglaublich lebendige<br />
Szene entwickelt.<br />
INTERVIEW<br />
INTERVIEW MIT DIANA KÖHLE<br />
Poetry Slams<br />
in Österreich –<br />
eine Auswahl<br />
Tagebuch Slam<br />
Nach der Sommerpause ab<br />
27. September (20.00 Uhr)<br />
wieder jeden Monat im TAG<br />
– Theater an der Gumpendorfer<br />
Straße in <strong>Wien</strong>,<br />
www.liebestagebuch.at<br />
Slam B<br />
Nach der Sommerpause<br />
ab 16. Oktober (20.00 Uhr)<br />
wieder jeden Monat im<br />
Literaturhaus <strong>Wien</strong>,<br />
www.slamb.at<br />
PostSkriptum Poetry<br />
Slam Linz<br />
Einmal monatlich in der<br />
SolarisBar in Linz, Termine<br />
unter www.postskriptum.at<br />
Kultum Slam<br />
Am 16. Oktober (20.00 Uhr)<br />
im Kleinen Minoritensaal in<br />
Graz, www.kultum.at<br />
Bäckerei Poetry Slam<br />
Jeden letzten Freitag im<br />
Monat (20.30 Uhr) in<br />
der Kulturbackstube<br />
Die Bäckerei in Innsbruck,<br />
www.baeckereipoetryslam.<br />
wordpress.com<br />
Poetry Slams in der<br />
ARGEkultur<br />
Regelmäßige<br />
Slam-Veranstaltungen in<br />
der ARGEkultur in Salzburg,<br />
Termine unter<br />
www.argekultur.at/projekte/<br />
poetryslam<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
29
Houchang<br />
Allahyari<br />
ist mit 18 Jahren aus dem Iran<br />
nach Österreich gekommen und<br />
gilt mit seinen zahlreichen<br />
filmischen Arbeiten als einer der<br />
wichtigsten österreichischen<br />
Regisseure. Sein Film Der letzte<br />
Tanz hat bei zuletzt der<br />
Diagonale 2014 den großen<br />
Filmpreis gewonnen.<br />
INTERVIEW: THOMAS BRANDSTÄTTER<br />
PERSISCHER<br />
GESCHICHTEN<br />
ERZÄHLER<br />
Der vielfach preisgekrönte österreichische Filmregisseur HOUCHANG ALLAHYARI<br />
sieht sich lieber als persischer Geschichtenerzähler, denn als Psychiater, der Filme macht.<br />
Ein Gespräch über die zunehmende Ausländerfeindlichkeit, aber auch über die positive<br />
Entwicklung des österreichischen Kinos.<br />
Foto:beigestellt<br />
30 smartguide für GANZ WIEN
INTERVIEW<br />
Was waren die Umstände<br />
ihrer Migration und wie gestaltete<br />
sich die Intergration<br />
in Österreich?<br />
Ich bin Weihnachten 1960<br />
nach <strong>Wien</strong> gekommen, um<br />
zu studieren. Damals hat die<br />
Botschaft im Iran Reklame<br />
für das Studium in Österreich<br />
gemacht. <strong>Wir</strong> haben<br />
Prospekte von der österreichischen<br />
Botschaft und der<br />
Kulturabteilung bekommen.<br />
Ich habe dann meine Unterlagen<br />
zur Uni geschickt, im<br />
europäischen Vergleich war<br />
es auch wirklich in Österreich<br />
am günstigsten und am<br />
leichtesten, einen Studienplatz<br />
zu bekommen. Das ist<br />
überhaupt nicht vergleichbar<br />
mit der heutigen Zeit.<br />
Wollten Sie Film studieren?<br />
Eigentlich wollte ich Filmund<br />
Theaterwissenschaft<br />
studieren, aber das erlaubte<br />
meine Familie nicht, daher<br />
machte ich Medizin, und das<br />
war eigentlich ein sekundäres<br />
Interesse, das erst mit<br />
dem Studium wirklich erwacht<br />
ist, ich war sehr neugierig<br />
und habe überall hineingeschaut,<br />
aber es war innerhalb<br />
der Medizin immer<br />
klar, dass Psychiatrie mein<br />
Fach sein würde.<br />
Wurden Sie hier entsprechend<br />
freundlich aufgenommen?<br />
<strong>Wir</strong> waren damals einfach<br />
Studenten hier, wir waren<br />
Exoten hier und haben bei<br />
weitem nicht erlebt, was ich<br />
dann viel viel später leider in<br />
<strong>Wien</strong> erlebt habe, diese Ausländerfeindlichkeiten<br />
und<br />
das alles, das war damals absolut<br />
nicht, wir waren Studenten<br />
und es war gut, dass<br />
die Studenten hier <strong>sind</strong>.<br />
Steht das im Gegensatz zu<br />
heute?<br />
Die Vorurteile hier im Land<br />
haben sehr stark zugenommen.<br />
Ich schildere hier so rosarote<br />
Zeiten und heute <strong>sind</strong><br />
sie schwarz. Wenn ein Patient<br />
sagt, er geht zum Dr.<br />
Allahyari, der ist Ausländer,<br />
aber ein guter Arzt, so als<br />
würde sich das gegenseitig<br />
ausschließen, dann ist das<br />
für einen vernünftigen Menschen<br />
schon zum Lachen<br />
oder eben zum Weinen.<br />
Wie haben Sie das Regiehandwerk<br />
erlernt?<br />
Ich habe versucht, es selbst<br />
zu lernen, bin autodidaktisch<br />
vorgegangen, selbstorganisiert,<br />
habe eine Menge Kurzfilme<br />
gemacht und habe viele<br />
Preise gewonnen, danach<br />
habe ich viele Seminare gemacht<br />
im Ausland und habe<br />
sehr viele großartige Leute<br />
kennengelernt, Pier Paolo<br />
Pasolini, Federico Fellini, mit<br />
dessen Frau ich auch noch<br />
lange Kontakt hatte, mein<br />
letztes Seminar habe ich bei<br />
Andrej Tarkowski in Italien<br />
gemacht, kurz bevor er starb.<br />
Viele Ihrer Filme <strong>sind</strong> sehr<br />
österreichisch. Hilft Ihnen<br />
Ihre Herkunft beim Blick<br />
auf die österreichische<br />
Gesellschaft?<br />
Ich glaube nicht bewusst.<br />
Aber wenn Sie aus einer anderen<br />
Kultur kommen, diese<br />
Kultur können sie nicht vergessen,<br />
das ist immer vorhanden,<br />
ich denke, dass meine<br />
Filme etwas sehr Orientalisches<br />
in sich haben. Ich mache<br />
aber eigentlich weder<br />
österreichische noch persische<br />
Filme, einfach nur Filme<br />
mache ich. Ich versuche,<br />
dass die Filme mit mir und<br />
meiner Umgebung übereinstimmen.<br />
Ich kann das nicht<br />
so trennen, für mich ist das<br />
quasi eine Einheit.<br />
Würden Sie gerne einmal<br />
einen „iranischen“ Film<br />
machen, also in der Tradition<br />
des großen iranischen<br />
Kinos?<br />
Mein nächstes Experiment<br />
ist ein vier Stunden langer<br />
Dokumentarfilm im Iran.<br />
Aber ich fühle mich deshalb<br />
überhaupt nicht dem iranischen<br />
Kino verpflichtet, oder<br />
dem österreichischen. Selbstverständlich<br />
bin sehr stolz<br />
auf die Entwicklung des<br />
österreichischen Kinos. Ich<br />
habe hier noch die Ära von<br />
Peter Alexander, Gunter Philip<br />
oder Franz Antel erlebt,<br />
der österreichische Film hat<br />
sich enorm entwickelt seither.<br />
Als wir „Geboren in Absurdistan“<br />
mit Karl Markovics<br />
gemacht haben, da<br />
schrieb eine Zeitung, es sei<br />
eine Koproduktion zwischen<br />
Türkei und Iran, und nicht<br />
Österreich. Ich fragte nach,<br />
und man sagte mir, das sei<br />
besser, denn iranische Filme<br />
seien besser als österreichische.<br />
Aber der Ruf hat<br />
sich geändert. Im Iran bin<br />
ich zuletzt mit Filmstudenten<br />
zusammengekommen,<br />
die orientieren sich alle an<br />
Michael Haneke. Keiner seiner<br />
Filme wurde dort im Kino<br />
gezeigt, aber sie kennen<br />
die Filme. Ich bin eigentlich<br />
stolz auf die Filmlandschaften<br />
beider Länder.<br />
„Eine gute<br />
Filmlandschaft ist<br />
wichtig für<br />
gesellschaftliche<br />
Vielfalt“<br />
Houchang Allahyari<br />
Werden nicht zu wenige<br />
österreichische Filme verwirklicht?<br />
Sehr wohl. Die Förderungslandschaft<br />
ist sehr eng. Bei<br />
„Der letzte Tanz“ hat es fünf<br />
Jahre gedauert, bis die Finanzierung<br />
möglich wurde. Einige<br />
Regelungen <strong>sind</strong> kontraproduktiv,<br />
es ist schwierig,<br />
das Handwerk zu üben,<br />
wenn man nur alle paar Jahre<br />
ein Projekt realisieren<br />
kann. Ich habe den österreichischen<br />
Film gerade sehr<br />
gelobt, aber diese Entwicklung<br />
muss auch wahrgenommen<br />
werden und er kommt<br />
international sehr gut an. Da<br />
muss mehr Geld kommen.<br />
Ich habe das goldene Verdienstzeichen<br />
<strong>Wien</strong>s bekommen,<br />
das ehrt mich, aber ich<br />
hätte lieber Geld bekommen,<br />
um einen Film zu machen, es<br />
ist ja dann doch kein Ehrenamt,<br />
Kultur zu machen, eine<br />
gute Filmlandschaft ist wichtig<br />
für die gesellschaftliche<br />
Vielfalt und Filme zu machen<br />
kostet Geld. Man muss<br />
vor allem aufhören, die Förderungsvergabe<br />
am Publikumserfolg<br />
zu messen.<br />
Wie spüren Sie die gesellschaftlichen<br />
Themen auf.<br />
Sind das mehr Erlebnisse<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
31
INTERVIEW<br />
oder Beobachtungen?<br />
Meine Beobachtungen <strong>sind</strong><br />
nicht distanziert, ich bin jemand,<br />
der in Gesellschaft<br />
ist, ich fahre immer mit der<br />
U-Bahn, ich bin immer unter<br />
Leuten, das bringt mir<br />
was, und ich will mich nicht<br />
von Menschen fernhalten,<br />
ich bin immer mit Menschen<br />
zusammen. Die Themen,<br />
die auftauchen, haben<br />
menschliche Aspekte, <strong>sind</strong><br />
menschliche Themen, es<br />
<strong>sind</strong> Tausende Themen in<br />
meinem Kopf, ich habe täglich<br />
40 Patienten, ich erlebe<br />
sehr viel und meine Persönlichkeit<br />
spielt in meinem<br />
Film natürlich eine Rolle.<br />
Der Kontext des Humanitären<br />
taucht oft bei Ihnen<br />
auf. Wie kamen Sie in diesen<br />
Nahbereich von Strafvollzug,<br />
Anstalten und der<br />
Flüchtlingsthematik?<br />
Da haben auch wichtige Zufälle<br />
beigetragen. Ich war<br />
Neurologe im Unfallspital<br />
bei Prof. Lorenz Böhler, und<br />
wollte eine Veränderung. Da<br />
war eine Stelle in der Justiz<br />
ausgeschrieben, und das hat<br />
mir mehr zugesagt. Und mit<br />
Flüchtlingen war ich immer<br />
in Kontakt, weil Frau Bock<br />
meine Schwägerin ist.<br />
„Überall, wo wir den<br />
Teufelskreis von Vorurteilen<br />
durchbrechen, haben<br />
wir etwas gewonnen“<br />
Sie haben damals mit „Ute<br />
Bock for President“ das<br />
Thema im goldrichtigen<br />
Moment aufgegriffen, wie<br />
kam es dazu?<br />
Diese Frau habe ich schon<br />
immer bewundert, ich kenne<br />
sie seit meinem achtzehnten<br />
Lebensjahr, sie ist<br />
mein Liebling in der Familie.<br />
<strong>Wir</strong> haben auch oft zusammengearbeitet.<br />
Bis ich<br />
dann eines Tages sagte:<br />
„Ute, ich möchte einen Film<br />
über dich machen.“ Und<br />
danach kam noch einer, weil<br />
sie so viele Geschichten hat,<br />
dass sie gar nicht einen Film<br />
hineinpassen.<br />
Der Film ist auch im Konfliktfeld<br />
von rechtlicher<br />
und moralischer Schuld<br />
und Unschuld angesiedelt.<br />
Wie stehen Sie zum Strafvollzug?<br />
Ich bin im allgemeinen<br />
nicht gegen die Gesetze. Im<br />
Houchang Allahyari<br />
Film geht es um Sex mit einer<br />
entmündigten Person,<br />
und da gibt es Gesetze, die<br />
die Patienten schützen. Es<br />
kommt auch darauf an, wie<br />
die Gesellschaft das Gesetz<br />
interpretiert, wie viele Vorurteile<br />
vorhanden <strong>sind</strong>,<br />
wenn zum Beispiel alten<br />
Menschen ihre Sexualität<br />
abgesprochen wird, weil das<br />
ein Tabu ist. Da kann dann<br />
ein solcher Vorfall als Vergewaltigung<br />
ausgelegt werden<br />
und die Strafe ist dann eine<br />
andere. Gesellschaftliche<br />
Vorurteile spielen da eine<br />
große Rolle.<br />
Wie kann man Vorurteilen<br />
entgegenwirken?<br />
Ich finde da auch keinen<br />
Ausweg, ich bin kein Guru,<br />
der sagt, wo es langgeht.<br />
Man kann nur versuchen,<br />
die Vorurteile der Leute zu<br />
reduzieren, korrigieren<br />
kann man sie nicht. Im<br />
Hintergrund <strong>sind</strong> diese Vorurteile<br />
immer da, wie schon<br />
gesagt, derzeit sehr stark gegen<br />
Ausländer. Mir gegenüber<br />
ist das nicht so stark,<br />
weil die Leute wollen was<br />
von mir als Arzt, aber die<br />
umgekehrte Situation will<br />
ich mir gar nicht vorstellen,<br />
und die betrifft die meisten.<br />
Können sie irgendeinen<br />
Ursprung dieser Vorurteile<br />
festmachen?<br />
Also zum Beispiel die populistischen<br />
Politiker der letzten<br />
Jahrzehnte erzeugen die<br />
diese Vorurteile, oder<br />
schöpfen sie sie nur ab?<br />
Ich glaube Zweiteres. Die<br />
Fotos:beigestellt<br />
32 smartguide für GANZ WIEN
Der Film „Bock for President“ porträtiert Ute Bock,<br />
eine für ihr Engagement für Flüchtlinge bekannte österreichische<br />
Erzieherin. Nicht nur ihre Arbeit, sondern auch<br />
die aktuelle Situation von Asylwerbern und Flüchtlingen<br />
in Österreich werden dabei thematisiert.<br />
t<br />
In „Der letzte Tanz“ nimmt sich Regisseur Houchang<br />
Allahyari dem Tabu Sexualität im Alter an.<br />
t<br />
Populisten <strong>sind</strong> nicht der<br />
Ursprung. Der Ursprung ist<br />
wohl eher in der Familie.<br />
Wenn zwei, drei Leute zusammenkommen,<br />
beginnen<br />
die Vorurteile. Man wird<br />
mehr oder weniger geimpft.<br />
Und später entwickelt man<br />
sich dann von dort aus. Da<br />
geht es auch um Ängste, die<br />
in der psychodynamischen<br />
Entwicklung entstehen, aus<br />
dem, was man sieht, auch<br />
über Politik, Medien, über<br />
Einflüsse von Freunden und<br />
Bekannten. Ängste <strong>sind</strong><br />
nicht erblich, sie <strong>sind</strong> ein<br />
Verhalten, das man annimmt,<br />
und da muss man<br />
selbst schauen, woher sie<br />
kommen.<br />
Woher kommen die gesellschaftlichen<br />
Ängste?<br />
Politik und Medien spielen<br />
eine große Rolle, die <strong>Wir</strong>tschaft,<br />
die Arbeitslosigkeit<br />
schüren Ängste. Ängste <strong>sind</strong><br />
Emotionen. Es gibt sehr viele<br />
Faktoren, die dazu führen,<br />
dass man emotional vorgeht,<br />
ohne zu wissen warum. Und<br />
eines führt zum anderen.<br />
Die Propaganda, die von<br />
diesen Seiten kommt, verursacht<br />
diesen Teufelskreis.<br />
Und überall, wo wir einen<br />
Teufelskreis durchbrechen,<br />
haben wir was gewonnen, ob<br />
es ein Film ist oder ein Zeitungsartikel.<br />
Das darf man<br />
nicht aufgeben. Es ist nicht<br />
der Tropfen im Meer, sondern<br />
der stete Tropfen, der<br />
den Stein höhlt.<br />
Sie haben lange als Psychiater<br />
in einer Strafanstalt gearbeitet<br />
und in Ihren Filmen<br />
ist Strafvollzug ein<br />
wiederkehrendes Thema.<br />
Wie stehen Sie zum Thema<br />
Verbrechen und Strafe?<br />
Wenn sie jemandem die<br />
Freiheit wegnehmen, kann<br />
er nicht leben. Es gibt Leute,<br />
die leider lernen, in dieser<br />
Atmosphäre zu sein, dadurch,<br />
dass sie so oft dort<br />
waren. Freiheitsentzug kann<br />
die Menschen kaputtmachen.<br />
Eine Gesellschaft ohne<br />
Gefängnisse ist aber leider<br />
eine Utopie.<br />
Wie kann sich unter Freiheitsentzug<br />
bessern?<br />
Das ist sehr ambivalent. Ich<br />
war in der Justizanstalt Favoriten,<br />
einer Therapieanstalt<br />
hauptsächlich für Drogenabhängige<br />
und ich fand<br />
das absurd: Wie kann man<br />
in Unfreiheit eine Therapie<br />
machen. Ich bin eigentlich<br />
dagegen, jemanden für eine<br />
Therapie einzusperren. Man<br />
versucht mittlerweile auch<br />
schon, die Therapie außerhalb<br />
des Gefängnisses zu<br />
machen, wenn der Richter<br />
es erlaubt. Aber trotzdem<br />
<strong>sind</strong> die Gefängnisse voll.<br />
Arzt und Künstler, das hat<br />
sich in der Kunstgeschichte<br />
schon sehr oft als günstige<br />
Mischung erwiesen. Profitieren<br />
die beiden Berufe<br />
direkt voneinander?<br />
Ja tatsächlich, es gibt viele<br />
Mediziner/Künstler, aber<br />
Filmemacher kenne ich eigentlich<br />
keine. Ich habe nie<br />
versucht, einen wissenschaftlich<br />
korrekten psychiatrischen<br />
Film machen, ich<br />
bin dagegen und ich filme<br />
keine psychiatrischen Angelegenheiten.<br />
Ich filme, was<br />
mich bewegt, und ich kann<br />
nicht vermeiden, dass mein<br />
Beruf unbewusst in mir<br />
drinnen ist. Ich gehe nie<br />
sehr bewusst vor. Bei mir<br />
<strong>sind</strong> aber beide Berufe darin<br />
eine Einheit, dass ich mit<br />
Leuten zu tun habe. Ich mag<br />
Vorstellungen, nach denen<br />
ich mit dem Publikum sprechen<br />
kann, am liebsten. ich<br />
mag den Kontakt mit den<br />
Emotionen und Reflexionen,<br />
ebenso ist es auch in<br />
der Arbeit als Arzt.<br />
Danke für das Gespräch.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
33
n Der in Moskau<br />
geborene Sänger<br />
Georgij Makazaria<br />
ist Frontman der<br />
aus „Willkommen<br />
Öster reich“ bekannten<br />
Turbo-Polka-<br />
Formation Russkaja<br />
INTERVIEW: THOMAS BRANDSTÄTTER FOTOS: SEBASTIAN FREILER
INTERVIEW<br />
Mit Russkaja bringt Georgij Makazaria wöchentlich Humor<br />
und Rhythmus in Österreichs Wohnzimmer. <strong>Wir</strong> sprachen mit ihm über seine Anfänge in<br />
Österreich und seine Integration durch Musik.<br />
WILLKOMMEN<br />
(IN) ÖSTERREICH<br />
War es schwierig für Sie,<br />
sich in Österreich zu integrieren?<br />
Absolut nicht. Die Sprache<br />
zu lernen war die größte<br />
Aufgabe. Ich bin 1989 als Jugendlicher<br />
aus Russland gekommen,<br />
also eigentlich aus<br />
der damaligen Sowjetunion<br />
und es ging eigentlich alles<br />
ganz reibungslos. Das war<br />
knapp vor dem Zerfall der<br />
UdSSR.<br />
Worin besteht Integration<br />
für Sie?<br />
Für mich war das das Reinkommen<br />
in die Sozialisierung<br />
mit Österreichern, aber<br />
auch unter den vielen Ausländern<br />
unterschiedlichster<br />
Herkunft, mit denen ich in<br />
der Schule war. Bei der offiziellen<br />
Seite der Integration<br />
hatte ich Glück. Damals gab<br />
es in Russland die Gefahr, in<br />
den Krieg gegen Georgien<br />
eingezogen zu werden, da<br />
hätte ich schon kämpfen<br />
müssen, wenn ich hier nicht<br />
die Staatsbürgerschaft bekommen<br />
hätte. Dafür, dass<br />
mir das erspart wurde, bin<br />
ich sehr dankbar.<br />
Sind Sie auch stark in der<br />
russischen Community in<br />
<strong>Wien</strong> verbunden?<br />
Ich kenne einige Russen bzw.<br />
Leute aus der ehemaligen<br />
Sowjetunion in <strong>Wien</strong>, aber<br />
ich bin heute so ins Familienleben<br />
und in die Arbeit<br />
eingebunden, dass sehr wenig<br />
Zeit bleibt, um auszugehen<br />
und die Kontakte, egal<br />
aus welcher Community, zu<br />
pflegen. Am ehesten kommt<br />
es dazu im Zusammenhang<br />
mit meinem Side-Project<br />
„Russian Gentleman Club“,<br />
da spielen wir von tradi -<br />
tionell über nostalgisch bis<br />
folkloristisch, und bei sol-<br />
„Die Musik war<br />
das verbindende<br />
Element.“<br />
Georgij Makazaria<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
35
INTERVIEW<br />
chen Events wollen die Russen<br />
schon auch einmal Kalinka<br />
hören.<br />
Haben sie schon immer Musik<br />
gemacht?<br />
Ich war in der Sowjetunion<br />
im Pionier-Chor. Die Pio niere<br />
waren die staatliche<br />
Jugendorganisation in der<br />
UdSSR. Der Chorleiter hat<br />
mich eines Tages als erste<br />
Stimme eingeteilt, worauf<br />
meine Mutter mir sofort das<br />
volle Jungtalent-Paket verpasst<br />
hat. Es inkludierte Musikschule,<br />
privaten Klavierunterricht,<br />
Gesangsstunden und<br />
Üben ohne Ende. So hat das<br />
begonnen.<br />
Hat die Musik bei der<br />
Integration geholfen?<br />
Ja, sogar ganz direkt. Die<br />
Musik war das verbindende<br />
Element. Ich kam zuerst in<br />
den Polytechnischen Lehrgang,<br />
und das war ziemlich<br />
in Ordnung, denn das war<br />
ein gutes Einstiegsniveau,<br />
um Deutsch zu lernen.<br />
Jedenfalls konnte ich die<br />
Sprache anfangs noch kaum,<br />
aber ich hatte eine Gitarre.<br />
Mit der saß ich in der Pause<br />
am Gang und hab mir das<br />
Spielen beigebracht. Und<br />
dann kam der Erste und sagte:<br />
„Ich habe zu Hause ein<br />
Schlagzeug, komm einfach<br />
36 smartguide für GANZ WIEN<br />
mal bei mir vorbei.“ Dann<br />
kam noch einer mit einem<br />
Keyboard. Und so kam es<br />
dann schon zur ersten Band.<br />
Und daraus wurde dann die<br />
Musiker-Karriere?<br />
Es ist alles sehr gut aufgegangen<br />
und gewachsen, mittlerweile<br />
ist Russkaja ein internationaler<br />
Act. Begonnen hat<br />
das 2005 im Club Ost und<br />
dann in den Bundesländern.<br />
Das neue Album, das im<br />
Sommer herauskommt, heißt<br />
„Peace, Love and Russian<br />
Roll“. Da hatte ich die Ehre,<br />
im Produzentenduo mit<br />
Engel Mayr zu arbeiten. <strong>Wir</strong><br />
können es alle kaum erwarten,<br />
das neue Album endlich<br />
fertig in der Hand zu haben.<br />
Es wird teilweise punkiger,<br />
teils rockiger, dann balladesk<br />
und sogar countryesk. Aber<br />
es bleibt immer Russkaja,<br />
auch wenn es mal härter zur<br />
Sache geht.<br />
n Russkaja ist eine Band, an der niemand vorbeischauen und –<br />
hören kann. Vor allem, seit das Septett die Studiokapelle von<br />
„Willkommen Österreich“ geworden ist.<br />
Woher kommt die Inspiration<br />
beim Songwriting?<br />
Ach, die Ideen kommen<br />
überall, wo es Geräusche<br />
oder Melodien gibt. Ich singe<br />
alles, was mir einfällt, auf<br />
mein Telefon und schreibe<br />
ganze Songtexte auf Servietten<br />
oder was immer ich in die<br />
Hände bekomme. Einmal habe<br />
ich im Flugzeug einen ganzen<br />
Song auf einem „Speib -<br />
sackerl“ niedergeschrieben,<br />
das hab ich sogar aufgehoben,<br />
weil es so grotesk war.<br />
Wann kam dann das Fernsehen<br />
dazu?<br />
Fotos: Sebastian Freiler, www.picturedesk.com (1)
„Wenn das Leben<br />
dir 100 Gründe<br />
gibt zu weinen,<br />
zeige, dass du<br />
1.000 Gründe hast<br />
zu lachen!“<br />
Georgij Makazaria<br />
„Willkommen Österreich“<br />
begann 2008, als die Produktionsfirma<br />
das Konzept der<br />
Sendung umstrukturierte<br />
und sich für eine Live-Band<br />
entschieden hat, da wurden<br />
wir gefragt.<br />
Wie ist die Arbeit mit Stermann<br />
und Grissemann?<br />
Ich vermute, sie haben uns<br />
genommen, weil es ein guter<br />
Kontrast ist. Allein eine russische<br />
Band in „Willkommen<br />
Österreich“, das passt schon<br />
zu den ironischen, satirischen<br />
Klängen, die da eingeschlagen<br />
werden. Die Arbeit ist tatsächlich<br />
sehr lustig, Dirk und<br />
Christoph <strong>sind</strong> wirklich<br />
spontan, wortgewandt,<br />
manchmal mit erfrischend<br />
scharfer Zunge, das macht<br />
Spaß. Bei der Aufzeichnung<br />
selbst ist konzentrierte Arbeitsatmosphäre<br />
angesagt.<br />
Oft <strong>sind</strong> die misslungenen<br />
Beiträge gerade deswegen<br />
witzig, weil die beiden es sehr<br />
gut meistern, über sich selbst<br />
zu lachen. Es <strong>sind</strong> schon 8<br />
Jahre vergangen, dennoch ist<br />
es nie zur langweiligen Routine<br />
gekommen, jede Sendung<br />
ist eine neue, interessante Herausforderung;<br />
eine Besonderheit<br />
für uns ist jedes Mal,<br />
wenn wir mit musikalischen<br />
Gästen kooperieren.<br />
Es gibt ja am Anfang jeder<br />
„Willkommen Österreich“-<br />
Sendung ein weises Wort<br />
von Ihnen, hätten Sie für unsere<br />
Leser auch eines im Integrationszusammenhang?<br />
Wenn das Leben dir 100<br />
Gründe gibt zu weinen, zeige,<br />
dass du 1.000 Gründe<br />
hast zu lachen. Friede für<br />
dein Zuhause.<br />
Georgij<br />
Makazaria<br />
Georgij Makazaria kam 1989<br />
nach Österreich und<br />
gründete 2005 die Band Russkaja,<br />
die in Österreich den Turbo-<br />
Polka-Balkan-Punk-Hype des<br />
letzten Jahrzehnts einläutete.<br />
Seit 2008 ist Russkaja fester Bestandteil<br />
der wöchentlichen TV-<br />
Show im ORF „Willkommen<br />
Österreich“. Im Sommer 2015<br />
erscheint das neue Album<br />
„Peace, Love & Russian Roll“.<br />
www.russkaja.com<br />
www.r-g-c.at<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
37
INTERVIEW<br />
INTEGRATION<br />
DURCH LEISTUNG<br />
INTERVIEW: THOMAS TRIMMEL<br />
Robin Lumsden ist zugelassener <strong>Wir</strong>tschaftsanwalt in New York und<br />
Österreich. Als Integrationsbotschafter setzt er sich für eine neue<br />
Willkommenskultur ein.<br />
Herr Lumsden,<br />
Sie waren<br />
professioneller<br />
Tennisspieler,<br />
haben<br />
über fünfzehn Jahre in der<br />
AFBÖ (Österreichische Football<br />
Leage) gespielt, eine Ausbildung<br />
beim Jagdkommando<br />
des österreichischen Bundesheeres<br />
absolviert und<br />
<strong>sind</strong> zugelassener Anwalt in<br />
Österreich und New York.<br />
Welche Bedeutung hat für Sie<br />
Leistung im Zusammenhang<br />
mit Integration und Gesellschaft?<br />
Ich habe relativ früh gelernt,<br />
dass es mit einem anderen<br />
Phänotyp, einer anderen<br />
Hautfarbe schon manchmal<br />
schwerer oder komplizierter<br />
ist, seine Ziele zu verwirklichen.<br />
Ich habe mir dann immer<br />
gesagt: „Ich muss zeigen,<br />
was in mir steckt.“ Das habe<br />
ich dann versucht, über meine<br />
Leistungen zu beweisen. Ich<br />
wollte bessere Leistungen erbringen<br />
und so andere von<br />
mir überzeugen.<br />
Sie überspringen also die<br />
Hürden, die Ihnen in den<br />
Weg gestellt werden?<br />
Genau, so in etwa kann man<br />
das sagen.<br />
Wie sehen Sie in diesem<br />
Zusammenhang das Thema<br />
Chancengleichheit?<br />
Vorweg möchte ich sagen,<br />
dass ich immer wieder aufgrund<br />
meiner Ausbildung als<br />
privilegiert erachtet wurde –<br />
das stimmt so nicht ganz. Natürlich<br />
waren meine Eltern als<br />
Vorbilder und Leistungsträger<br />
prägend. Leute, die diese Role<br />
Models nicht haben, haben es<br />
selbstverständlich schwerer. In<br />
Österreich wird bis heute Bildung<br />
und Wohlstand zu<br />
einem großen Teilvererbt.<br />
Bildung ist also stark vom<br />
Elternhaus abhängig. Aber ich<br />
bin schon der Meinung, dass<br />
man mit Leistung und Willen<br />
etwas erreichen kann. Für<br />
mein Studium in Berkeley habe<br />
ich 70.000 Euro Kredit aufgenommen.<br />
Ich habe das Risiko<br />
gewagt und es als Investition<br />
in meine Zukunft gesehen.<br />
Wie gehen Sie und Ihre<br />
Kanzlei mit dem Thema um?<br />
Würden Sie jemandem die<br />
Chance einräumen, sich zu<br />
beweisen?<br />
Ein klares Ja. <strong>Wir</strong> versuchen<br />
unsere Kanzlei sehr offen zu<br />
führen, sodass sich jeder Mitarbeiter,<br />
jede Mitarbeiterin<br />
frei entfalten und entwickeln<br />
kann. <strong>Wir</strong> stellen also nicht<br />
bloß Eliteabsolventen ein, wie<br />
das Anwaltskanzleien in manchen<br />
TV-Serien gerne tun.<br />
Natürlich muss jeder sein Asset<br />
mitbringen. Also irgendeinen<br />
Mehrwert muss er oder<br />
sie der Kanzlei bringen. <strong>Wir</strong>tschaftliches<br />
Verständnis, hohe<br />
Merkfähigkeit, Organisationstalent<br />
oder Ähnliches. <strong>Wir</strong> haben<br />
sogar einen Mitarbeiter<br />
ohne Juskenntnisse, der ist einer<br />
der effizientesten, was Organisation<br />
und Zuarbeit anbelangt,<br />
und ist enorm wichtig<br />
für die Kanzlei.<br />
Zurück zum Sport. Sie <strong>sind</strong><br />
auch im Präsidium des<br />
Österreichischen Tennisverbandes<br />
tätig. Welchen Stellenwert<br />
haben Sport und Vereinskultur<br />
in Österreich für<br />
das Thema Integration?<br />
Der Sport hilft ungemein bei<br />
der Integration. Denn im<br />
Sport ist es nicht wichtig, woher<br />
du kommst, sondern wasdu<br />
leistest. Auch <strong>sind</strong> vielerlei<br />
Fähigkeiten gefragt. Beim<br />
Football benötigen manche<br />
Spieler Ausdauer, manche<br />
Kraft, manche Geschwindigkeit.<br />
Alle bekommen eine<br />
Chance, wenn Sie sich einbringen<br />
und für das Team einsetzen.<br />
Gerade der Teamsport<br />
ist enorm wichtig für den integrativen<br />
Prozess, weil hier<br />
gruppendynamische Entwicklungen<br />
stattfinden, die zusammenschweißen<br />
und aus vielen<br />
Einzelpersonen ein Ganzes<br />
entstehen lassen.<br />
Wie in der Gesellschaft.<br />
Ja, zwischen Sport und Gesellschaft<br />
gibt es viele Parallelen.<br />
Wie sieht es hier mit dem Bereich<br />
der Fachkräfte-Akquise<br />
aus? Gibt es hier eventuell<br />
Dinge, die die <strong>Wir</strong>tschaft<br />
vom Sport lernen könnte.<br />
Das finde ich einen schönen<br />
Gedanken und es ist tatsächlich<br />
so. Beim Sport geht es um<br />
Leistung. Alles andere ist sekundär<br />
und wird dem untergeordnet.<br />
Der Verein signalisiert:<br />
„<strong>Wir</strong> wollen dich. Komm<br />
zu uns und wir schauen, dass<br />
es dir bei uns gut geht.“ Diese<br />
Willkommensmentalität vermisse<br />
ich noch ein bisschen in<br />
Österreich. Es ist an der Zeit<br />
zu sagen: „Ja, wir wollen qualifizierte<br />
Arbeitskräfte und sie<br />
<strong>sind</strong> herzlich willkommen.“<br />
Es hat sich schon sehr viel getan<br />
und das Punktesystem der<br />
Rot-Weiß-Rot-Karte finde ich<br />
grundsätzlich sehr gelungen.<br />
Einige Dinge könnten jedoch<br />
noch Verbessert werden.<br />
Zum Beispiel?<br />
Die Punktvergabe ist meiner<br />
Meinung nach noch nicht<br />
ganz optimal gelöst. Beispielsweise<br />
bekommt ein Bauarbeiter<br />
für grundlegende Sprachkenntnisse<br />
gleich viele Punkte<br />
Foto: beigestellt<br />
38 smartguide für GANZ WIEN
wie zum Beispiel jemand, der<br />
perfektes Fachdeutsch im Bereich<br />
Jus oder Medizin beherrscht.<br />
Auch die Befristung<br />
des Aufenthaltstitels auf ein<br />
Jahr halte ich für kontraproduktiv.<br />
Wenn man zuwandert,<br />
soll man sagen können: „Ich<br />
möchte nach Österreich, weil<br />
ich dort leben möchte“. Das<br />
ist eine langfristige Entscheidung,<br />
da reicht ein Jahr nicht<br />
aus. Aus rein psychologischer<br />
Sicht wirkt das eher abschreckend.<br />
Das heißt, die Rahmenbedingunen<br />
in Österreich sollten<br />
adaptiert werden?<br />
Ja und Nein. Ich finde, Österreich<br />
ist ein sehr pluralistischer,<br />
multikultureller Staat<br />
und ist sich dessen auch bewusst.<br />
Viele Dinge werden bereits<br />
getan, aber natürlich gibt<br />
es noch viel Verbesserungspotenzial.<br />
Hier gibt es zahlreiche<br />
Best Practices aus Kanada und<br />
Australien.<br />
Sprechen Sie von bürokratischen<br />
Hürden?<br />
Ja, ich denke, wenn der Einwanderungsprozess<br />
qualifizierter<br />
Menschen einfacher<br />
gestaltet würde, gäbe es noch<br />
mehr, die sich bewusst für<br />
Österreich als neuen Lebensmittelpunkt<br />
entscheiden würden.<br />
Wie im Sport sollte die<br />
Botschaft sein: „<strong>Wir</strong> wollen<br />
dich.“ Dass die Einwanderunskriterien<br />
transparent gemacht<br />
wurden, finde ich einen<br />
wichtigen Schritt in die<br />
richtige Richtung.<br />
Sie wünschen sich also eine<br />
aktivere Zuwanderungsstrategie<br />
im Sinne einer Willkommenspolitik<br />
für qualifizierte<br />
Fachkräfte?<br />
Genau. Es wäre wichtig, diese<br />
Botschaft zu vermitteln. Aber<br />
man sollte auch daran denken,<br />
diese Menschen zum Bleiben<br />
zu bewegen. Beispielsweise<br />
wird sehr viel Geld im Tourismus<br />
für Österreichwerbung<br />
INTERVIEW<br />
ausgegeben, um die Leute dazu<br />
zu bewegen, kurz in Österreich<br />
zu verweilen, Urlaub zu<br />
machen. Ein Teil dieser Gelder<br />
könnte sicher effektiv für die<br />
Bewerbung Österreichs als Lebensziel,<br />
nicht „bloß“ als Reiseziel<br />
verwendet werden.<br />
Welchen Wert hat für Sie als<br />
international agierender Anwalt<br />
das Thema interkulturelle<br />
Kompetenz?<br />
Andere Kulturen zu verstehen<br />
und zu deuten, ist ein wichtiger<br />
Bestandteil, ein wichtiges<br />
Asset in einer modernen, globalisierten<br />
<strong>Wir</strong>tschaft. Denn<br />
auch wenn man manchmal<br />
dieselbe Sprache spricht, gibt<br />
es doch kulturelle Unterschiede.<br />
Hier gilt es zu vermitteln.<br />
Kulturvielfalt bereichert, wir<br />
sehen das auch in unserer<br />
Kanzlei so. <strong>Wir</strong> haben Mitarbeiter<br />
verschiedenster Nationalitäten.<br />
Oft ist unsere Vielfalt<br />
auch ein Wettbewerbsvorteil<br />
gerade im internationalen<br />
Geschäft.<br />
„<strong>Wir</strong> wollen qualifizierte<br />
Arbeitskräfte<br />
und sie <strong>sind</strong> herzlich<br />
willkommen.“<br />
Robin<br />
Lumsden<br />
Dr. Robin L. Lumsden, LL.M.<br />
(Berkeley) ist Rechtsanwalt in<br />
<strong>Wien</strong> und New York und Honorarkonsul<br />
von Jamaika in Österreich.<br />
Seine juristische Ausbildung<br />
absolvierte er zunächst an<br />
der Universität <strong>Wien</strong>. Anschließend<br />
absolvierte er ein Postgraduate-Programm<br />
an der University<br />
of Berkeley (LL.M. 2005). Er<br />
ist spezialisiert in den Bereichen<br />
<strong>Wir</strong>tschaftsrecht, M&A, Umstrukturierungen,<br />
Gesellschaftsrecht<br />
sowie Vertragsrecht.<br />
Weiters ist Robin Lumsden Vizepräsident<br />
des Österreichischen<br />
Tennisverbandes (ÖTV) und<br />
Integrationsbotschafter von<br />
Österreichs Außenminister<br />
Sebastian Kurz.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
39
INTERVIEW<br />
RESPEKT<br />
IST KOPFSACHE<br />
INTERVIEW: THOMAS BRANDSTÄTTER<br />
Integration ist Ihr Ressort.<br />
Die <strong>Wien</strong>er Stadträtin Sandra Frauenberger über Bewusstseinsbildung,<br />
Respekt und ihre politische Motivation.<br />
Fotos: www.picturedesk.com<br />
40 smartguide für GANZ WIEN
Gab es für Sie<br />
einen konkreten<br />
Auslöser,<br />
um in Frauenfragen<br />
aktiv<br />
zu werden?<br />
Die Ungleichbehandlung von<br />
Frauen hat mich bereits zu<br />
Beginn meiner politischen<br />
Aktivität bewegt. Ich war damals<br />
in der Gewerkschaft und<br />
Johanna Dohnal hat mich in<br />
den Arbeitskreis „Töchter<br />
können mehr“ geholt. Ziel<br />
war es, mehr Mädchen zu untypischen<br />
Berufen zu motivieren.<br />
Die Förderung, das<br />
Stärken von Frauen, ist bis<br />
heute eines meiner zentralen<br />
Anliegen.<br />
Wenn Sie in die Gesellschaft<br />
schauen, sehen Sie in der<br />
Gleichstellung von Frauen<br />
und Männern in der Berufswelt<br />
oder in der Privatwelt<br />
mehr Bedarf für Bewusstseinsbildung?<br />
Bis zur völligen Gleichstellung<br />
zwischen Männern und<br />
Frauen ist es noch ein weiter<br />
Weg. Bewusstseinsbildung ist<br />
dabei sicher ein ganz wichtiger<br />
Aspekt, denn das Private<br />
ist politisch. Mit unserer<br />
Kampagne „4Wände 4Hände“<br />
haben wir versucht, dazu zu<br />
motivieren, sich die unbezahlte<br />
Arbeit wie Kinderbetreuung<br />
und den Haushalt<br />
zwischen Frauen und Männern<br />
gerecht aufzuteilen. Darüber<br />
hinaus müssen wir natürlich<br />
auch gesellschaftliche<br />
Tatsachen erkennen und den<br />
passenden Rahmen zur Verfügung<br />
stellen. Ich denke da<br />
zum Beispiel an ausreichende<br />
und qualitativ hochwertige<br />
Kinderbetreuungsplätze, auch<br />
für unter 3-Jährige. Die Stadt<br />
<strong>Wien</strong> ist hier Vorreiterin und<br />
bietet mit dem Gratiskindergarten<br />
eine wichtige Unterstützung<br />
für Familien an.<br />
Kann man sich als Bürger<br />
auch richtig verhalten, ohne<br />
sich aller Ungerechtigkeiten<br />
unbedingt immer bewusst<br />
zu sein? Gibt es eine Abkürzung<br />
zum gleichgestellten<br />
Miteinander, eine Art<br />
Grundverhaltensregel?<br />
Unsere jüngste Kampagne<br />
„Der Bauch sagt: Respekt ist<br />
Kopfsache!“ setzt genau hier<br />
an. Zu überlegen, wie möchte<br />
ich selbst behandelt werden<br />
und meinem Gegenüber respektvoll<br />
zu begegnen, das<br />
muss eine Selbstverständlichkeit<br />
sein. Hautfarbe, Geschlecht,<br />
Alter oder sexuelle<br />
Orientierung dürfen dabei<br />
keinen Unterschied machen.<br />
Haben Sie schon einmal<br />
Fremdenfeindlichkeit oder<br />
Diskriminierung gegen sich<br />
selbst erfahren bzw. im Ausland<br />
gelebt?<br />
Diskriminierung passiert auf<br />
sehr vielen Ebenen. Ich denke,<br />
dass die meisten von uns<br />
schon einmal damit konfrontiert<br />
waren, wenn auch auf<br />
unterschiedliche Art und<br />
Weise. Das reicht von sexistischen<br />
Bemerkungen bis hin<br />
zu einem Job, den jemand<br />
nicht bekommt, weil er eine<br />
dunklere Hautfarbe hat.<br />
Wie sollte man spontan auf<br />
Ungerechtigkeiten, Gewalt<br />
oder Diskriminierung im<br />
öffentlichen Stadtalltag<br />
reagieren?<br />
Zivilcourage im Alltag ist für<br />
das Zusammenleben sehr<br />
wichtig. Es geht vor allem darum,<br />
nicht wegzusehen. Oft<br />
reicht es schon, einer Person<br />
zu verstehen zu geben, dass<br />
sie nicht alleine ist. Im<br />
schlimmsten Fall muss die<br />
Polizei verständigt werden.<br />
Was wäre der kleinste gemeinsame<br />
Nenner aus den<br />
vielen Agenden, Belangen<br />
und Zielen ihrer Funktion<br />
als Stadträtin?<br />
Das ist keine so leichte Frage.<br />
Mein Ressort reicht von Integration<br />
über die <strong>Wien</strong>er<br />
Märkte bis hin zur Wahlorganisation.<br />
Dabei sehe ich es<br />
nicht als meine Aufgabe, den<br />
kleinsten gemeinsamen Nenner<br />
zu finden, sondern möchte<br />
die Aufgaben in jedem einzelnen<br />
Bereich bestmöglich<br />
erledigen. Meistens dreht es<br />
sich um das Zusammenleben<br />
und das gute Miteinander<br />
aller. Das verstehe ich eher als<br />
das größte gemeinsame Vielfache.<br />
Wie organisiert man sich bei<br />
einer solchen Anzahl von<br />
Themen von gleich hoher<br />
Dringlichkeit? Wie setzt man<br />
Prioritäten?<br />
Gutes Terminmanagement!<br />
Auf Facebook sprachen sie<br />
kritisch vom „langen, steinigen<br />
Weg zur österreichischen<br />
Staatsbürgerschaft“.<br />
Ist das Erlangen der<br />
Staatsbürgerschaft mit dem<br />
Erreichen von Gleichberechtigung<br />
zu vergleichen?<br />
Die Einbürgerungsgesetze in<br />
Österreich gehören zu den<br />
strengsten Europas. Es gibt<br />
vergleichsweise hohe bürokratische,<br />
aber auch finanzielle<br />
Hürden, das habe ich mit<br />
dem „langen und steinigen<br />
Weg gemeint“. Sie müssen<br />
sich vorstellen, unser Recht<br />
macht in Österreich geborene<br />
Kinder zu AusländerInnen.<br />
Diese Kinder <strong>sind</strong> hier geboren<br />
und aufgewachsen, das<br />
Geburtsland ihrer Eltern kennen<br />
sie oft nur aus dem Urlaub.<br />
Dennoch müssen auch<br />
sie diesen teuren und schwierigen<br />
Weg auf sich nehmen,<br />
um rechtlich voll gleichgestellt<br />
zu sein. Denn die Staatsbürgerschaft<br />
ist nach wie vor<br />
der Schlüssel zur Partizipation:<br />
Wer keine Staatsbürgerschaft<br />
hat, darf nicht wählen.<br />
Darüber hinaus hat sich der<br />
Zuzug nach Österreich verändert<br />
und kommt heute vor<br />
allem aus der EU. Diese Menschen<br />
haben kaum Anreize,<br />
österreichische StaatsbürgerInnen<br />
zu werden. Daraus<br />
leite ich vor allem zwei Forderungen<br />
ab: Das Wahlrecht<br />
für AusländerInnen, die sich<br />
in <strong>Wien</strong> ihren Lebensmittelpunkt<br />
aufgebaut haben,<br />
sowie die Doppelstaatsbürgerschaft<br />
für in Österreich<br />
geborene Kinder ausländischer<br />
Eltern.<br />
Sie eilen allwöchentlich von<br />
Event zu Event, langweilen<br />
Sie sich manchmal in dieser<br />
Routine? Wie halten Sie ihr<br />
Interesse am oft „immer<br />
Gleichen“ wach?<br />
Ich kann glücklicherweise<br />
sagen, dass ich meinen Job<br />
wirklich sehr gerne mache.<br />
Kein Tag gleicht dem anderen.<br />
Natürlich gibt es Routinetermine,<br />
aber das gehört<br />
dazu und hat nichts mit Langeweile<br />
zu tun.<br />
Gibt es Ungerechtigkeiten,<br />
bei denen Ihnen „die Hutschnur<br />
platzt“?<br />
<strong>Wien</strong> hat eine klare Haltung<br />
gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit<br />
und jede Form<br />
der Diskriminierung. Wer<br />
<<br />
dagegen arbeitet, wird eine<br />
Gegnerin in mir finden, da<br />
kenne ich kein Pardon.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
41
REPORTAGE<br />
MEI MEIDLING<br />
Eine schillernde Hutkünstlerin,<br />
eine orientalische Kunstgalerie<br />
und ein Stecktuchmacher!<br />
Und das alles in Meidling? Ja – denn so spannend und bereichernd offenbart<br />
sich die Vielfalt in Meidling für jene mit Entdeckergeist. Folgen Sie uns auf eine<br />
faszinierende Reise hinter die drei sehenswertesten Fassaden des 12. Bezirks.<br />
Kunstgalerie für junge Talente<br />
Abd A. Masoud stellt die Ausstellungsräume<br />
seiner Rearte Gallery internationalen<br />
Nachwuchskünstlern gratis zur Verfügung.<br />
Blickt man hinter die<br />
Fassaden, gibt es in<br />
Meidling einiges zu<br />
entdecken: Wer hätte geahnt,<br />
dass es in der Nähe des U4<br />
die wohl spannendste Hutkünstlerin<br />
der Stadt gibt?<br />
Oder dass sich in einer von<br />
außen unscheinbar wirkenden<br />
Mauer ein Haus erstreckt,<br />
das an Hundertwasser<br />
denken lässt? Oder dass<br />
sich in einem noch graueren<br />
Haus jene Wohnung befindet,<br />
von der aus kreative<br />
Stecktücher ihren Weg in die<br />
Modeszene zurückgefunden<br />
haben? Vermutlich könnte<br />
man sogar jeden Tag spannende<br />
Menschen wie jene<br />
entdecken, die hinter diesen<br />
unscheinbaren Fassaden im<br />
12. Bezirk leben und werken.<br />
Denn nicht nur in Meidling,<br />
in der ganzen Stadt lässt sich<br />
die wunderbare Vielfalt der<br />
Gesellschaft finden. Bisweilen<br />
muss man dafür mit offeneren<br />
Augen durch die Stadt<br />
gehen, hinter die Fassaden<br />
blicken und auch einmal eine<br />
Tür öffnen, ohne zu wissen,<br />
ob die Person dahinter einen<br />
freundlich empfängt oder<br />
aber abweist, aus welchen<br />
Gründen auch immer. Das ist<br />
nicht immer angenehm, und<br />
nicht immer öffnen sich die<br />
Türen. Wurden sie jedoch<br />
einmal geöffnet und hält<br />
man die Augen weiterhin offen,<br />
kann man in andere Welten<br />
eintauchen, die das Leben<br />
bereichern. Sie lassen einen<br />
auch erleben, wie bereichernd<br />
Vielfalt auch für die<br />
Gesellschaft selbst ist, wenn<br />
man sie erst einmal wahrnimmt<br />
und vor allem mit ihr<br />
Kontakt aufnimmt.<br />
Von außen wirkt das Haus in<br />
der Spießhammergasse 4 bescheiden,<br />
geradezu unscheinbar.<br />
Doch sobald man durch<br />
die Eingangstür in der Nähe<br />
des Meidlinger Bahnhofs<br />
geht, kommt man aus dem<br />
Staunen nicht mehr heraus.<br />
An den Wänden im Eingangsbereich<br />
hängen eindrucksvolle<br />
Bilder mit Kalligrafien, im<br />
Ausstellungsraum gibt es neben<br />
dem Raum an sich und<br />
den dort ausgestellten Bildern<br />
auch einen wunderschönen<br />
Kamin zu bewundern. Dessen<br />
orientalische Dekoration verweist<br />
auf die Herkunft des<br />
Hausbesitzers: Abd A. Masoud<br />
ist aus Jordanien und<br />
unterhält in dem Haus seit<br />
nunmehr fünf Jahren die „Rearte<br />
Gallery“. Den Ausstellungsraum<br />
stellt er internationalen<br />
Nachwuchskünstlern<br />
gratis zur Verfügung. Inzwischen<br />
ist er über Jahre ausgebucht,<br />
wie er erzählt.<br />
42 smartguide für GANZ WIEN
„Ich komme nun einmal aus einem<br />
mediterranen Land, da ist es einfach<br />
ein bisschen lauter“ Abd A. Masoud<br />
Liebe auf den<br />
ersten Blick<br />
So beschreibt Masoud seine<br />
Beziehung zu diesem Haus.<br />
Denn aus ihrem alten Haus<br />
im 13. Bezirk mussten er und<br />
seine Frau raus. Sie machten<br />
sich also auf die Suche und<br />
stolperten gleich im ersten Inserat<br />
über das Haus, das sie<br />
nun ihr Eigen nennen. „Ich<br />
kann mich erinnern, wie ich<br />
von der Aßmayergasse kam<br />
und dieses Portal mit der Stuckatur<br />
sah. Da habe mir gedacht:<br />
Ach, hoffentlich bekommen<br />
wir das!“, erzählt<br />
Masoud. Auch seine Frau verliebte<br />
sich auf Anhieb in das<br />
Haus. Nach <strong>Wien</strong> kam der<br />
Jordanier Mitte der 80er-Jahre.<br />
Er hatte an einer englischen<br />
Universität auf Zypern<br />
<strong>Wir</strong>tschaft studiert. Danach<br />
musste er sich entscheiden:<br />
<strong>Wien</strong> oder Madrid? „Mein Vater<br />
hat mir nicht erlaubt, nach<br />
Madrid zu gehen, weil die politische<br />
Lage unsicher war. Die<br />
Entscheidung fiel also auf<br />
<strong>Wien</strong>, da es ein bisschen ruhiger<br />
ist und nicht so weit weg.<br />
Man braucht ja nur vier Stunden<br />
nach Jordanien.“ Masoud<br />
schrieb sich also an der Webster<br />
Universität ein. Als im Jahr<br />
1992 die jordanische Botschaft<br />
in <strong>Wien</strong> eröffnete,<br />
fing er dort zu arbeiten an:<br />
„Ich war zuständig für die<br />
Konsularabteilung. Das ist eigentlich<br />
wie ein kleines Standesamt.“<br />
13 Jahre lang arbeitete<br />
er dort, zum Ausgleich<br />
fing er an, alte Möbel zu restaurieren.<br />
Neues Abenteuer<br />
Was dem Paar an ihrem neuen<br />
Haus in Meidling besonders<br />
gefiel, war die Tatsache,<br />
dass es baufällig war. Damit<br />
hatten sie weitgehend freie<br />
Hand bei den Umbauarbeiten.<br />
Doch parallel zum Job in<br />
der Botschaft wären diese<br />
kaum machbar gewesen. Also<br />
kündigte Masoud und ließ<br />
sich auf ein neues Abenteuer<br />
ein – und die Geschichte der<br />
Rearte Gallery nahm ihren<br />
Lauf. Begonnen hatte diese<br />
damit, dass Masoud einen<br />
Raum im Erdgeschoss als<br />
Ausstellungsraum herrichtete.<br />
Dort zeigte er Freunden seine<br />
eigenen Bilder – und dachte<br />
sich eines Tages: „Warum<br />
nicht anderen diese Chance<br />
geben?“ Den schmucken Kamin<br />
im Ausstellungsraum hat<br />
er selbst gebaut und Räume<br />
wie Garten liebevoll hergerichtet.<br />
Nicht ohne Grund wirken<br />
sie wie ein Kunstwerk, denn<br />
Masoud ist selbst Künstler: Er<br />
verarbeitet arabische Handschriften<br />
bzw. Kalligrafien in<br />
seinen Bildern. „Kalligrafien:<br />
einmal anders“ nennt er das.<br />
Anders ist daran, dass er sie<br />
nicht mit schwarzer Farbe auf<br />
weißem Hintergrund anfertigt.<br />
„Kalligrafie ist handwerklich<br />
etwas Schönes. Aber Kalligrafien<br />
<strong>sind</strong> fast wie auf der<br />
Schreibmaschine geschrieben.<br />
Für mich ist das zu hart“, erklärt<br />
er, warum er andere Wege<br />
ging. Im Unterschied zur<br />
traditionellen Kalligrafie arbeite<br />
er außerdem nicht auf<br />
Papier, sondern auf Leinwänden.<br />
Inspiration findet er in<br />
alten Handschriften, oft vermischt<br />
er verschiedene Handschriften<br />
und fügt sie zu einem<br />
neuen Bild zusammen.<br />
Ideen holt er sich aus Manuskripten<br />
zu Themen wie Astronomie,<br />
Mechanik, Zeitberechnung,<br />
Medizin oder Kartografie.<br />
„Ich nehme einzelne<br />
Blätter, sehe sie mir an und<br />
interpretiere sie neu“, erklärt<br />
er. „Es war wichtig, dass ich<br />
eine Nische finde, denn ich<br />
habe ja nicht Kunst studiert.“<br />
Diese Nische hat er in der Tat<br />
gefunden und hat seine Werke<br />
auch schon international ausgestellt.<br />
Neue Heimat<br />
Zugleich hat er in Meidling<br />
eine Heimat gefunden. Die<br />
Vielfalt des Bezirks habe ihn<br />
immer schon fasziniert: „Für<br />
mich ist hier Leben. Ich komme<br />
nun einmal aus einem<br />
mediterranen Land, da ist es<br />
ein bisschen laut“, meint er.<br />
Umso mehr freut er sich darüber,<br />
dass Meidling nun in<br />
Bewegung kommt, seitdem<br />
immer mehr junge Familien<br />
nach Meidling ziehen. „Ich<br />
habe meine schönsten Jahre<br />
hier verbracht“, sagt er. Nicht<br />
zuletzt deshalb freut er sich<br />
über Initiativen wie „<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong><br />
12“, die neuen Schwung in<br />
den Bezirk bringen. Gerade<br />
bei ihnen habe er immer wieder<br />
einen „Aha-Effekt“ erzeugt.<br />
Denn mancher Aktivist<br />
habe erstaunt festgestellt, an<br />
seinem Haus auf dem Weg<br />
zum Kindergarten schon oft<br />
vorbeigekommen zu sein –<br />
ohne zu sehen, welche Schätze<br />
sich hinter den Mauern<br />
verbergen. Stolz ist Masoud<br />
aber auch darauf, dass er in<br />
den fünf Jahren des Bestehens<br />
seiner Galerie bereits 200<br />
KünstlerInnen ausgestellt hat,<br />
die aus allen Kontinenten<br />
kommen, um in Meidling<br />
auszustellen.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
43
REPORTAGE<br />
Die Hutmacherin – mit Liebe und Leidenschaft<br />
für ausgefallene Kopfedeckungen<br />
Meidling und Kunst:<br />
Diese beiden Welten<br />
verbinden Masoud<br />
mit Karin Bergmayer.<br />
Sie hat ihr Atelier in der Nähe<br />
eines anderen Bahnhofs in<br />
Meidling: Gleich um die Ecke<br />
der U-Bahnstation Meidlinger<br />
Hauptstraße. Dass Bergmayer<br />
Hutmacherin geworden<br />
ist, scheint rückblickend<br />
wenig überraschend. „Es gibt<br />
so witzige Fotos, wo ich<br />
schon als Kind immer ein<br />
kleines Huterl aufhatte“,<br />
amüsiert sie sich. Ein solches<br />
findet sich auch auf ihrem<br />
Facebook-Auftritt, dort steht<br />
die Absolventin der Hutklasse<br />
der Modeschule Hetzendorf<br />
auf einem Hocker vor einem<br />
Osterstrauch – auf dem Kopf<br />
eine Art Matrosenhut mit<br />
Bommel. „Und auch da schon<br />
in Meidling“, hat sie darunter<br />
gepostet. Der 12. Bezirk ist<br />
der zweite rote Faden, der<br />
sich neben den Hüten durch<br />
ihr Leben zieht. Denn Bergmayer<br />
hat „ganz, ganz, ganz,<br />
lange, tiefe Meidling-Wurzeln“,<br />
wie sie sagt. Ihre Großmutter<br />
wohnte in dem Haus<br />
in einer Seitengasse der<br />
Schönbrunner Straße, in dem<br />
Bergmayer ihre Hüte kreiert.<br />
Nach dem Tod der Großmutter<br />
war Bergmayer in deren<br />
Wohnung eingezogen, das<br />
Atelier hat sie Ende der<br />
1980er-Jahre dazu gemietet.<br />
„Die andere Großmutter hatte<br />
in der Singrienergasse ein<br />
44 smartguide für GANZ WIEN<br />
Karin Bergmayer alias „Die Hutmacherin“ hat sich als schillerndes<br />
Meidlinger Urgestein ganz dem traditionellen Handwerk verschrieben.<br />
An Konventionen hält sie sich die Kreative trotzdem nicht.<br />
kleines Lebensmittelgeschäft.<br />
Auch meine Eltern <strong>sind</strong> natürlich<br />
aus Meidling und haben<br />
sich hier kennengelernt.“<br />
Bergmayer selbst wohnte bis<br />
zu ihrem siebten Lebensjahr<br />
im 12. Bezirk, nach Meidling<br />
kehrte sie für die Ausbildung<br />
an der Modeschule Hetzendorf<br />
zurück. Dort ging sie ihrer<br />
Hut-Leidenschaft nach<br />
und absolvierte die Hutklasse<br />
– bzw. sie ließ sich zur Modistin<br />
ausbilden, wie der Ausbildungszweig<br />
korrekt heißt.<br />
Hutobjekte: So bezeichnet<br />
Bergmayer ihre Produkte.<br />
Konventionell <strong>sind</strong> ihre Hüte<br />
nicht, vielmehr sehen sie in<br />
der Tat wie Kunstobjekte aus.<br />
Heute stelle sie nur noch<br />
„kleinere“ Hüte aus, denn für<br />
die größeren hat sie in ihrem<br />
Atelier nicht mehr genug<br />
Platz. „Einen ganzen Schrebergarten<br />
am Kopf“: So beschreibt<br />
sie augenzwinkernd
n In Karin Bergmayers<br />
Atelier gibt es Hüte, Kappen<br />
und Kopftücher in unterschiedlichen<br />
Designs –<br />
jedes Objekt ein<br />
Einzelstück.<br />
„Ich nenne mein Label Hutobjekte,<br />
weil es einfach keine normalen Hüte <strong>sind</strong>,<br />
sondern kleine Kunstobjekte“<br />
Karin Bergmayer<br />
diese großen Hutobjekte. Betrachten<br />
kann man sie noch<br />
auf ihrer Homepage: „Die Sachen<br />
habe ich noch, weil die<br />
komischerweise noch keiner<br />
gekauft hat“, sagt sie und<br />
lacht. In ihrem Atelier gibt es<br />
Hüte, Kappen und Kopftücher<br />
in unterschiedlichen Designs<br />
– jedes Objekt ein Einzelstück.<br />
Für Männer gibt es<br />
„Caps“, wie Bergmayer sie<br />
nennt. Die Idee dazu entstand<br />
aus einem eigenen Hobby heraus,<br />
denn sie hört gerne<br />
Swing und hat selbst angefangen<br />
Swing zu tanzen. „In dieser<br />
Szene versuchen sehr viele,<br />
sich einigermaßen authentisch<br />
zu stylen.“ Also fing sie<br />
vor etwa zehn Jahren an, diese<br />
selbst zu produzieren. Die<br />
Männer können sich die Stoffe<br />
selbst aussuchen: „Wenn<br />
jetzt einer zu einem Anzug<br />
dazu das Cap haben will und<br />
noch Stoff übrig hat, aus dem<br />
er den Anzug hat machen lassen,<br />
ist das natürlich eine tolle<br />
G’schicht.“<br />
Schmuckkastel<br />
Ob sie von den Hutkünsten<br />
leben kann? „Man macht’s<br />
nicht in erster Linie, um reich<br />
zu werden, speziell ich nicht “,<br />
stellt sie fest. Um sich die Hutkunst<br />
leisten zu können, hat<br />
Bergmayer immer Nebenjobs<br />
in der Garderobe gemacht – in<br />
den Bundestheatern, der<br />
Oper, bei den Salzburger Festspielen<br />
und im ORF. Außerdem<br />
sei sie nicht anspruchsvoll.<br />
Allerdings bedauert sie<br />
ein wenig, dass sie kein Geschäftslokal<br />
hat. Ihr Atelier<br />
nämlich liegt im Halbstock<br />
und man stolpert nicht unbedingt<br />
darüber, wenn man am<br />
Haus vorbeigeht. „Aber irgendwie<br />
vergeht auch die Zeit<br />
und man richtet sich das her,<br />
hängt total dran und fühlt sich<br />
sehr wohl hier.“ Im Laufe der<br />
Jahre hat Bergmayer aus ihrem<br />
Atelier geradezu ein<br />
Kunstwerk gemacht. Dekorativ<br />
<strong>sind</strong> schon die Wände, die<br />
Hutobjekte auf Regalen und<br />
Ständern <strong>sind</strong> Dekoration und<br />
Ausstellungsstücke zugleich.<br />
Dazu kommen Schmuck und<br />
andere Kunstobjekte, nicht zu<br />
vergessen die neuen Produkte<br />
ihrer Kollektion: „Gschirrln“<br />
für Möpse, die sie unter dem<br />
Label „Mopsfidel“ vertreibt.<br />
„Das ist eigentlich sehr privat<br />
hier, aber es ist auch bewusst<br />
so, weil das ist ja kein Geschäft.<br />
Man sitzt da und plaudert<br />
oder probiert in Ruhe,<br />
das gefällt auch vielen Leuten<br />
auf der anderen Seite wieder.“<br />
In der Tat kann man sich<br />
kaum sattsehen und bekommt<br />
Lust, die verschiedenen<br />
Hüte und Kappen<br />
durchzuprobieren, um das<br />
eine Hutobjekt zu finden, das<br />
wie angegossen auf den eigenen<br />
Kopf passt – oder vielleicht<br />
auch gleich mehrere.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
45
REPORTAGE<br />
n Die Belebung des<br />
Meidlinger Marktes<br />
hat den 12. Bezirk<br />
zu seiner <strong>Wien</strong>er<br />
Heimat werden lassen,<br />
wie Arnim<br />
Wahls erzählt.<br />
Der Kavalier mit Stecktuch<br />
Nicht weit entfernt von<br />
Bergmayers Ateiler<br />
liegt die dritte Entdeckung,<br />
die man in Meidling<br />
machen kann: Die Urban Cavaliers.<br />
Allerdings lässt einen<br />
das Haus an der Adresse, die<br />
auf dem schicken und höchstprofessionellen<br />
Internet-Auftritt<br />
angegeben ist, ratlos zurück:<br />
Vergeblich sucht man<br />
nach einem Firmenschild. Zumindest<br />
eine Boutique würde<br />
man erwarten, in der man die<br />
Stecktücher erstehen könnte,<br />
die von den Urban Cavaliers<br />
vertrieben werden – so überraschend<br />
das inmitten dieser<br />
Meidlinger Wohngegend<br />
auch erscheinen mag. Das ist<br />
nur einer von vielen Widersprüchen,<br />
den Arnim Wahls<br />
ausmacht. Zwar produziert er<br />
so klassische Accessoires wie<br />
Stecktücher, die Meidlinger<br />
Adresse aber ist seine private,<br />
er wohnt dort mit seiner<br />
Freundin Daniela Weihbrecht.<br />
Von ihrer kleinen Dachgeschoss-Wohnung<br />
aus schupfen<br />
die beiden das Stecktuch-<br />
Geschäft. Weihbrecht macht<br />
die Buchhaltung und hilft,<br />
„wo Not am Manne ist“, wie<br />
sie es ausdrückt.<br />
tücher fallen allein schon wegen<br />
der bunten Farben und<br />
kreativen Muster heraus: „Ich<br />
mag an sich lieber unauffällige<br />
Kleidung, aber mit ein paar<br />
Akzenten drinnen. Bunte Socken<br />
oder Schnürsenkel zum<br />
Beispiel. Da haben Stecktücher<br />
perfekt gepasst.“ Es ist<br />
kein Zufall, dass dem Profi-<br />
Webauftritt eine Home-Boutique<br />
gegenübersteht. Für beide<br />
ist der Verkauf der Stecktücher<br />
mehr ein Hobby: „Ich<br />
wollte mir nie finanziellen<br />
Druck machen, dass ich damit<br />
Geld verdienen muss. Sonst<br />
schafft man so ein Projekt<br />
nicht, ohne sich an die Masse<br />
anzupassen“, sagt Wahls. Das<br />
Stecktuch hat Wahls in <strong>Wien</strong><br />
entdeckt: „Hier tragen eigentlich<br />
viele Leute Einstecktücher<br />
Bunte Stecktücher<br />
Es <strong>sind</strong> keine klassischen<br />
Stecktücher, vielmehr spielt<br />
Wahls mit dem Widerspruch.<br />
Von Beruf ist er Personalberater,<br />
wo der Anzug die klassische<br />
wie erwartete Kleidung<br />
des Mannes ist. Ein Stecktuch<br />
würde sich eigentlich perfekt<br />
einreihen, doch Wahls Steckund<br />
sie <strong>sind</strong> mir hier das erste<br />
Mal als Accessoire aufgefallen.“<br />
Genauso international,<br />
wie die Absatzmärkte ist die<br />
Produktion. Die ersten Designs<br />
haben Wahl und Weihbrecht<br />
gemeinsam gemacht.<br />
Die anderen kommen von<br />
Designern aus den USA, Kanada<br />
und Großbritannien, die<br />
sie im Internet gefunden haben.<br />
Firmen zu finden, die<br />
Seidentücher bedrucken, ist<br />
nicht leicht, wie Wahls erzählt.<br />
In den USA wurde er fündig.<br />
Einmal bedruckt, geht die<br />
Ware nach Italien. Dort wiederum<br />
hat Wahls eine Werkstatt<br />
gefunden, welche die<br />
Tücher zu akzeptablem Preis<br />
und in guter Qualität „rollierte“,<br />
ihnen also einen schönen<br />
Rand verpasst. Von Italien aus<br />
46 smartguide für GANZ WIEN
REPORTAGE<br />
n Das Stecktuch<br />
hat Wahls in <strong>Wien</strong><br />
entdeckt: „Hier<br />
tragen eigentlich<br />
viele Leute<br />
Einstecktücher<br />
und sie <strong>sind</strong> mir<br />
hier das erste Mal<br />
als Accessoire<br />
aufgefallen.“<br />
Der Wahlwiener Armin Wahls entdeckte in Meidling seine Passion für bunte<br />
Seidentücher. Unter dem Label Urban Cavaliers vertreibt er mitlerweile seine<br />
modischen Accessoires erfolgreich in aller Welt.<br />
gehen die Stücke retour nach<br />
Meidling – und von dort aus<br />
an die weiteren Bestimmungsorte.<br />
In der Wohnung<br />
stapeln sich die runden Dosen,<br />
in denen er die Stecktücher<br />
verkauft. Diese gehen als<br />
Vorführstücke an Boutiquen –<br />
in der Hoffnung, dass die eine<br />
oder andere sie in ihr Programm<br />
aufnimmt. Dass er international<br />
denkt, hat wohl<br />
mit seiner Biografie zu tun:<br />
Er kommt aus Donaueschingen,<br />
sein <strong>Wir</strong>tschaftsstudium<br />
absolvierte er in Heilbronn<br />
und arbeitete danach in<br />
Ungarn und Rumänien, bis es<br />
ihn nach <strong>Wien</strong> verschlug.<br />
Schon in den Dosen <strong>sind</strong> die<br />
Tücher „zerknüllt“, wie es der<br />
Süddeutsche ausdrückt. Natürlich<br />
ließen sich die Stecktücher<br />
falten, meint er. „Aber sie<br />
<strong>sind</strong> mehr zum wild reinstecken.“<br />
Die Einstecktücher der<br />
britischen Gentlemen waren<br />
im übrigen sorgfältig gefaltet,<br />
wie Wahls erzählt, lachend ergänzt<br />
er: „Es gab die Regel,<br />
dass man zwei Stecktücher<br />
hatte: ‚One to blow and one to<br />
show‘ – also ein schönes weißes,<br />
das man herzeigt, und<br />
eins, das man versteckt und in<br />
das man sich schnäuzt.“ Die<br />
Marke von Wahls und Weihbrecht<br />
nennt sich im Übrigen<br />
Phetberg – im Unterschied<br />
zum <strong>Wien</strong>er Künstler Hermes<br />
Phettberg allerdings mit einem<br />
t. Die Stecktücher seien<br />
eine „Hommage an das Unangepasste“,<br />
das in Österreich<br />
wohl von kaum einer Person<br />
so deutlich verkörpert wird<br />
wie von Phettberg: „Die kleinen<br />
Makel und Ecken machen<br />
das Leben erst interessant<br />
und genau das gleiche<br />
gilt für die Kleidung“, meint<br />
Wahls.<br />
Glücklicher Zufall<br />
In Meidling <strong>sind</strong> Wahls und<br />
Weihbrecht per Zufall gelandet,<br />
inzwischen haben sie dort<br />
so etwas wie eine „Heimat“<br />
gefunden: „Seitdem es diese<br />
Dynamik am Meidlinger<br />
Markt gibt“, sagt Wahls. Er<br />
schwärmt von der dörflichen<br />
Atmosphäre, die dort inzwischen<br />
entstanden ist. Dabei<br />
zieht er Parallelen zwischen<br />
Meidling und seiner Studentenstadt<br />
Heilbronn. Diese<br />
Stadt habe zwar wenig<br />
Charme: „Aber auch da ist in<br />
den kleinen Ecken und Gassen<br />
hinter den grauen Fassaden<br />
viel passiert, das man sich<br />
von außen nicht erwartet hätte.“<br />
So wie im grauen Haus<br />
ohne Boutique und Firmenschild<br />
– und ganz so wie in<br />
den Häusern von Abd Masoud<br />
und Karin Bergmayer.<br />
Porträts der drei Kleinunternehmer<br />
entstanden im Rahmen<br />
des Projekts „Vielfalt12“<br />
des Fotografen Sebastian Philipp<br />
und der Journalistin Sonja<br />
Fercher. Porträts von weiteren<br />
Kleinunternehmern und<br />
Künstlern aus Meidling finden<br />
Sie unter<br />
www.vielfalt12.at.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
47
SERVICE FÜR WIENERINNEN<br />
Die Stadt fürs Leben<br />
Nicht ohne Grund ist <strong>Wien</strong> ein weiteres Mal zur lebenswertesten Stadt gewählt worden. Denn<br />
kulturelle Vielfalt, Bildung, Bewegung, soziale Kompetenz und verantwortliches Handeln<br />
werden großgeschrieben. Verschaffen Sie sich auf den kommenden Seiten einen Überblick über<br />
das reichhaltige Angebot.<br />
Rundum-Service<br />
Zum Beispiel das Amt für Kinder,<br />
Jugend und Familie. Die<br />
MAG ELF unterstützt Familien<br />
dabei, ihren Kindern von<br />
Beginn an ein möglichst sorgenfreies<br />
Aufwachsen zu ermöglichen,<br />
und hilft sozial benachteiligten<br />
Familien bei der<br />
Teilnahme am wirtschaftlichen<br />
und sozialen Leben in der<br />
Stadt <strong>Wien</strong>. Das umfangreiche<br />
Beratungsangebot kann kostenfrei<br />
in Anspruch genommen<br />
werden. Die ExpertInnen<br />
der MAG ELF stehen mit viel<br />
Einfühlungsvermögen und ihunterstützt<br />
Eltern dabei, sich<br />
auf die neue Situation vorzubereiten.<br />
Der Wickelrucksack<br />
kann acht Wochen vor der Geburt<br />
in einem der acht Eltern-<br />
Kind-Zentren der Stadt <strong>Wien</strong><br />
mit dem Mutter-Kind-Pass abgeholt<br />
werden. Im Wickelrucksack<br />
ist auch die Dokumentenmappe<br />
enthalten, die<br />
Informationen für junge Eltern<br />
bereithält. Bei der Abholung<br />
des Willkommensgeschenkes<br />
in den Eltern-Kind-<br />
Zentren ist auch Zeit, Fragen<br />
zu stellen und sich über Serviceangebote<br />
der Stadt <strong>Wien</strong><br />
zu informieren. Es ist eine gute<br />
Gelegenheit, das Eltern-Kind-<br />
Zentrum kennenzulernen.<br />
Fotos: Andrew Rhinky, Houdek, Fahrrad <strong>Wien</strong> Peter Provaznik, Alexandra Krohmus, <strong>Wien</strong>er Linien, MA 42<br />
48 smartguide für GANZ WIEN<br />
rem Fachwissen jedem in den<br />
unterschiedlichsten Problemsituationen<br />
zur Seite. Ein neues<br />
Familienmitglied macht<br />
Freude, erfordert aber auch eine<br />
Menge an Vorbereitungen<br />
und bringt auch die eine oder<br />
andere Frage mit sich. Um<br />
bestmöglich zu unterstützen,<br />
bietet die MAG ELF ein umfassendes<br />
Beratungsangebot<br />
für Eltern an. Neben psychologischer<br />
und sozialer Unterstützung<br />
umfasst das Angebot<br />
auch alle Infos über die anstehenden<br />
Amtswege, zum Beispiel<br />
für die Geburtsurkunde<br />
oder auch die Feststellung der<br />
Vaterschaft. In den Eltern-<br />
Kind-Zentren und Elternberatungen<br />
der Stadt <strong>Wien</strong> bieten<br />
SozialpädagogInnen im Team<br />
mit SozialarbeiterInnen, FachpsychologInnen,<br />
Hebammen<br />
und ÄrztInnen Informationen<br />
über Pflege sowie Ernährung<br />
und beraten bei Fragen zur<br />
Entwicklung und Erziehung<br />
des Kindes.<br />
Wickelrucksack<br />
Mit dem Wickelrucksack begrüßt<br />
die Stadt <strong>Wien</strong> ihre Babys<br />
bereits vor der Geburt und
Entgeltliche Einschaltung<br />
Elternberatung<br />
Doch viele Eltern sehen sich in<br />
der Betreuung ihrer Babys und<br />
Kleinkinder mit immer neuen<br />
Herausforderungen konfrontiert.<br />
In den Elternberatungen<br />
steht die körperliche und gesundheitliche<br />
Entwicklung<br />
und die altersentsprechende<br />
Förderung ihrer Kinder im<br />
Mittelpunkt. Ansprechpartnerinnen<br />
und Ansprechpartner<br />
aus den Bereichen Medizin,<br />
Sozialarbeit und Sozialpädagogik<br />
stehen zur Beratung zur<br />
Verfügung. Darüber hinaus<br />
besteht auch die Möglichkeit,<br />
sich mit anderen Eltern auszutauschen<br />
und Kontakte zu<br />
knüpfen.<br />
Beitragsfreier<br />
Kindergarten<br />
Die stätdischen Kindergärten<br />
<strong>sind</strong> ein weiterer Puzzlestein,<br />
wenn es um die Unterstützung<br />
von Eltern und Kindern<br />
geht. Seit 2009 gibt es in<br />
<strong>Wien</strong> daher den „Gratiskindergarten”.<br />
2014 investierte<br />
die Stadt dafür rund 700 Mio<br />
Euro so konnten rund 3.000<br />
neue Plätze geschaffen werden.<br />
In <strong>Wien</strong> wird der Kindergarten<br />
als erste wichtige<br />
Bildungseinrichtung verstanden.<br />
Die Vereinbarkeit von<br />
Beruf und Familie wird damit<br />
wesentlich erleichtert.<br />
Eingewöhnungsphase<br />
Die Eingewöhnungsphase im<br />
Kindergarten ist besonders<br />
wichtig und wird professionell<br />
betreut. Wenn ein Kind<br />
zum ersten Mal in den Kindergarten<br />
kommt, braucht es<br />
Zeit, um sich an die neue Situation<br />
und Umgebung zu<br />
gewöhnen. Spürt das Kind,<br />
dass seine Eltern Vertrauen<br />
zum Kindergarten und den<br />
Pädagoginnen sowie Pädagogen<br />
haben, fühlt es sich sicher.<br />
Die Eingewöhnung ist<br />
individuell so unterschiedlich<br />
wie die Kinder, sie dauert<br />
durchschnittlich aber vier bis<br />
sechs Wochen. In den ersten<br />
Tagen besucht das Kind meist<br />
gemeinsam mit einer Bezugsperson<br />
für kürzere Phasen<br />
den Kindergarten.<br />
Nachmittagsbetreuung<br />
Aber auch am Nachmittag ist<br />
die Betreuung der Kinder ge-<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
49
SERVICE FÜR WIENERINNEN<br />
währleistet. Der Hort bietet<br />
Nachmittagsbetreuung für<br />
Kinder aus halbtägig geführten<br />
Volksschulen. In einer<br />
Gruppe werden bis zu 25<br />
Volksschulkinder betreut. Eine<br />
Hortpädagogin oder ein Hortpädagoge<br />
ist für die Gruppe<br />
verantwortlich. Dabei wird sie<br />
oder er von einer Hortassistentin<br />
oder einem Hortassistenten<br />
unterstützt.<br />
Angebotsvielfalt<br />
Es ist wichtig, auf die aktuellen<br />
Interessen und Bedürfnisse<br />
der Kinder einzugehen. Kinder<br />
haben so die Möglichkeit, ihren<br />
Kindergartenalltag selbst<br />
mitzubestimmen. Im Kindergarten<br />
sprechen die Bildungsangebote<br />
die gesamte Persönlichkeit<br />
der Kinder an. Gefühl,<br />
Geist und Körper der Kinder<br />
können täglich wachsen und<br />
sich weiterentwickeln. Im Kindergarten<br />
spiegelt sich die gesellschaftliche<br />
Vielfalt wider.<br />
Die Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter der <strong>Wien</strong>er Kindergärten<br />
(MA 10) erleben<br />
dieses Miteinander als bereichernd<br />
mit gegenseitigem Respekt<br />
und viel Spaß. Qualifizierte<br />
Pädagoginnen und Pädagogen<br />
legen individuelle<br />
Bildungsinhalte, Ziele und<br />
Methoden fest. Die städtischen<br />
Kindergärten <strong>sind</strong> mit<br />
qualitativ hochwertigem Spielund<br />
Bildungsmaterial ausgestattet.<br />
In dieser Umgebung<br />
können Kinder spielen und<br />
arbeiten, handeln und reflektieren,<br />
beobachten und nachahmen,<br />
forschen und gestalten.<br />
Diversität<br />
Aber auch der Erwerb sozialer<br />
und kultureller Kompe-<br />
tenz wird in <strong>Wien</strong> großgeschrieben.<br />
<strong>Wir</strong> leben in einer<br />
vielfältigen und vielschichtigen<br />
Gesellschaft. Respekt vor<br />
der Individualität der uns<br />
anvertrauten Kinder ist Voraussetzung<br />
für gelingende<br />
Bildungsprozesse. Das Team<br />
im städtischen Kindergarten<br />
begegnet Kindern offen – im<br />
Gespräch miteinander, im<br />
Spiel, im Begleiten von Konflikten<br />
und im Setzen von<br />
Impulsen und Bildungsangeboten.<br />
So werden die Individualität<br />
und die besonderen<br />
Bedürfnisse jedes einzelnen<br />
Kindes wahrgenommen und<br />
respektiert. Kindergarten ist<br />
eine Chance für alle Beteiligten,<br />
verschiedene Wertmaßstäbe,<br />
Familienformen<br />
und Lebensweisen kennenzulernen,<br />
die über den eigenen<br />
bekannten Familienhorizont<br />
hinausgehen.<br />
Bildung unter<br />
einem Dach<br />
Neben den vielen Vorhaben,<br />
die in Zukunft umgesetzt werden<br />
sollen, gibt es aber auch<br />
bereits heute wichtige Projekte,<br />
die moderne Bildung in<br />
den Mittelpunkt stellen. Mit<br />
dem Projekt Bildungscampus<br />
wird die Vernetzung von Kindergarten-,<br />
Schul- und Freizeitpädagogik<br />
an einem zentralen<br />
Standort als moderner<br />
und visionärer Ansatz zur<br />
weiteren Steigerung der Bildungsqualität<br />
im urbanen<br />
Raum forciert. Gesellschaftliche<br />
Entwicklungen und moderne<br />
pädagogische Prinzipien<br />
wie individuelle Förderung,<br />
Arbeiten in unterschiedlichen<br />
Gruppengrößen, selbst<br />
organisiertes und offenes Lernen<br />
sowie Projektunterricht<br />
waren Anlässe zur Entstehung<br />
des <strong>Wien</strong>er Campusmodells.<br />
Durch die ganztägige Betreuungsform<br />
und die unmittelbare<br />
Nähe der einzelnen Institutionen<br />
können Synergien fließend<br />
genutzt und eine ganzheitliche<br />
Bildungskontinuität<br />
gewährleistet werden. Die Erfahrungen<br />
der ersten Jahre<br />
von Seiten vieler Erziehungsberechtigter,<br />
aber auch der<br />
vielen Kinder und Jugendlichen<br />
<strong>sind</strong> durchwegs positiv.<br />
Derzeit befinden sich der Bildungscampus<br />
Monte Laa im<br />
10. Bezirk, der Bildungscampus<br />
Gertrude Fröhlich-Sandner<br />
im 2. Bezirk, sowie der<br />
Bildungscampus Donaufeld<br />
im 21. Bezirk mit jeweils Kindergarten<br />
und Volksschule im<br />
Einsatz. Der Bildungscampus<br />
Sonnwendviertel, ebenfalls im<br />
10. Bezirk, ging vergangenes<br />
Jahr erstmals mit Kindergarten,<br />
Volksschule und Neue<br />
Mittelschule in Betrieb. Mit<br />
dem Schuljahr 2015/16 eröffnet<br />
weiters der Bildungscam-<br />
Fotos: Stadt <strong>Wien</strong>, MA 42, WKV<br />
50 smartguide für GANZ WIEN
Entgeltliche Einschaltung<br />
pus in „aspern Die Seestadt<br />
<strong>Wien</strong>s“.<br />
Verbindung von<br />
Freizeit und Schule<br />
In der Zeit von 8 bis 15.30<br />
Uhr wechseln sich Lerneinheiten<br />
und Freizeitangebote<br />
ab. Darüber hinaus gibt es bei<br />
Bedarf, orientiert an den Öffnungszeiten<br />
der Kindergärten,<br />
ein Betreuungsangebot<br />
von 6.30 bis 17.30 Uhr. Der<br />
Tagesablauf folgt einem<br />
Rhythmus aus Lern- und<br />
Freizeitphasen, die sowohl<br />
konzentriertes Arbeiten ermöglichen<br />
als auch Ruhe und<br />
Kreativität zulassen. Es gibt<br />
Zeit für Reflexion, Bewegung,<br />
das Miteinander-Reden, ein<br />
gemeinsames Essen und individuelle<br />
Förderung.<br />
Optimale räumliche<br />
Nutzung<br />
Durch die Vernetzung der ein-<br />
zelnen Institutionen können<br />
die vorhandenen Ressourcen<br />
optimal genutzt werden. Eine<br />
wesentliche Rolle beim Zusammenwachsen<br />
von Kindergarten<br />
und Schule spielt die<br />
Architektur der Campus-<br />
Standorte. In der offenen Bildungsarbeit<br />
stehen Räume<br />
und Bereiche des Gebäudes allen<br />
zur Verfügung. Dabei ermöglichen<br />
gemeinsame Projekte,<br />
miteinander und voneinander<br />
zu lernen. Damit der<br />
jeweilige Campus für die Kinder<br />
wie ein „Zuhause“ wird,<br />
gibt es wohnliche Erholungsbereiche<br />
und individuelle<br />
Rückzugsnischen. Solche Bereiche<br />
kommen auch der modernen<br />
Pädagogik und der<br />
Arbeit in Kleingruppen entgegen.<br />
Die Räume müssen die nötige<br />
Flexibilität aufweisen, um<br />
rasch zwischen Arbeits- und<br />
Erholungsbereich zu variieren<br />
und somit die optimale Infrastruktur<br />
für die Lern- und<br />
Freizeitphasen zu bieten. Die<br />
räumliche Abwechslung ist im<br />
Tagesbetrieb ein wesentlicher<br />
Bestandteil.<br />
Schulbauprojekte<br />
Aber auch die Betreuung und<br />
Bildung in der Zukunft wird<br />
bereits heute abgesichert.<br />
Denn alle Zukunftsprogno -<br />
sen weisen auf steigende<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
51
SERVICE FÜR WIENERINNEN<br />
SchülerInnen-Zahlen hin.<br />
Neue Wohnbauten und die<br />
Nachfrage nach Campus-<br />
Standorten und ganztägiger<br />
Betreuung erfordern den Bau<br />
von Bildungseinrichtungen.<br />
Derzeit besuchen rund 86.000<br />
Schülerinnen und Schüler die<br />
rund 380 Pflichtschulen der<br />
Stadt <strong>Wien</strong>. In Zukunft allerdings<br />
wird noch weit mehr<br />
Platz im Bereich der sozialen<br />
Infrastruktur nötig sein, um<br />
allen Kindern und Jugendlichen<br />
einen erfolgreichen Bildungsweg<br />
zu garantieren. In<br />
den vergangenen fünf Jahren<br />
konnte die Stadt <strong>Wien</strong> zusätzlichen<br />
Raum für mehr als<br />
1.000 Schülerinnen und Schüler<br />
schaffen. Die Entwicklungen<br />
im Bereich der Pflichtschulen<br />
gehen rasch<br />
voran und werden mittels<br />
moderner Neubau-, Erweiterungs-<br />
und Sanierungsprojekte<br />
zeitgemäß umgesetzt.<br />
Bildungscampus in<br />
„aspern Die Seestadt<br />
<strong>Wien</strong>s“<br />
Eines dieser ambitionierten<br />
Bauprojekte wird bereits im<br />
Schuljahr 2015/2016 eröffnet.<br />
Dann wird der fünfte Bildung-<br />
scampus die Tore für insgesamt<br />
800 Kinder und Jugendliche<br />
öffnen. Der neue Bildungscampus<br />
in „aspern Die Seestadt<br />
<strong>Wien</strong>s“ wird auf einer<br />
Gesamtfläche von 16.800 Quadratmetern<br />
einem 11-gruppigen<br />
Kindergarten sowie einer<br />
17-klassigen Ganztagsvolksschule<br />
Platz bieten. Auch acht<br />
Klassen, die auf die Bedürfnisse<br />
von Kindern und Jugendlichen<br />
mit Behinderung ausgerichtet<br />
<strong>sind</strong>, wird es an diesem<br />
Standort geben. Das Projekt<br />
zeichnet sich vor allem durch<br />
sonnendurchflutete Terrassen,<br />
eine großzügige Freifläche<br />
und die kurzen Wege zum ersten<br />
Wohnquartier der Seestadt<br />
aus. Das Gartengeschoß beherbergt<br />
Turnsäle und den<br />
Kindergartenbereich, der unmittelbar<br />
an den Garten<br />
grenzt. In Summe werden 800<br />
Kinder und Jugendliche im<br />
Alter bis zum zehnten Lebensjahr<br />
die neue Bildungsadresse<br />
besuchen. Zwei Jahre später<br />
soll in der zweiten Ausbaustufe<br />
ein Bauteil mit Bundesschulen<br />
entstehen. Dann werden<br />
rund 2.000 Kinder und<br />
Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr<br />
hier Platz finden.<br />
Jugendbetreuung<br />
Aber auch die außerschulische<br />
Betreuung wird nicht außer<br />
Acht gelasssen. Die Abteilung<br />
Bildung und außerschulische<br />
Jugendbetreuung (MA 13)<br />
stellt Jugendlichen ein breit gefächertes<br />
Bildungsangebot bereit,<br />
das von der Musikausbildung,<br />
der Vermittlung von<br />
Grundkompetenzen, Leseförderung<br />
und Sprachunterricht<br />
bis hin zur künstlerischen Ausbildung<br />
reicht. Dabei<br />
stehen Chancengleichheit,<br />
Vielfalt und lebensbegleitendes<br />
Lernen im Mittelpunkt des<br />
Bildungsauftrages der Stadt.<br />
Virtuelle Bücherei<br />
Bildung findet in <strong>Wien</strong> jedoch<br />
nicht nur in Räumlichkeiten<br />
Fotos: <strong>Wien</strong>er Wasser/Knie, Houdek, <strong>Wien</strong>er Wohnen<br />
52 smartguide für GANZ WIEN
Entgeltliche Einschaltung<br />
statt. Und so können die <strong>Wien</strong>erInnen<br />
in der Virtuellen<br />
Bücherei <strong>Wien</strong> über 40.000<br />
eMedien aus den Bereichen<br />
Sachbuch und Belletristik<br />
und über 2.500 Kindermedien<br />
per Download ausleihen.<br />
Neben dem monatlich erscheinenden<br />
Kindermagazin<br />
„Dein Spiegel“ gibt es zahlreiche<br />
Abenteuer-, Grusel- und<br />
Fantasy-Romane, Märchen<br />
sowie Sachbücher als eBook<br />
oder digitales Hörbuch. Darunter<br />
finden sich Klassiker<br />
der Kinderliteratur wie „Der<br />
Räuber Hotzenplotz“ und<br />
„Alice im Wunderland“, „Die<br />
drei ???“ oder „Fünf Freunde“.<br />
Voraussetzung für die Nutzung<br />
der Virtuellen Bücherei<br />
ist lediglich eine gültige Büchereikarte<br />
und ein Com puter mit<br />
Internetzugang. Das Service<br />
ist darüber hinaus mit keinen<br />
weiteren Kosten verbunden.<br />
Erwachsenenbildung<br />
Aber nicht nur Kinder lernen.<br />
Lebenslanges Lernen wird zunehmend<br />
zur Voraussetzung<br />
für eine sich schnell entwickelnde<br />
Arbeitswelt. Daher<br />
unterstützt die MA 13 innovative<br />
Bildungsprojekte und<br />
-initiativen sowie im geringen<br />
Ausmaß auch Musikprojekte<br />
und -wettbewerbe. Sie sichert<br />
die Qualitätsstandards der<br />
von ihr geförderten Institutionen<br />
und unterstützt Bildungseinrichtungen<br />
bei der<br />
Entwicklung langfristiger<br />
Konzepte der Wissensvermittlung.<br />
Ziel ist es, allen <strong>Wien</strong>erinnen<br />
und <strong>Wien</strong>ern Zugang<br />
zum Angebot des lebensbegleitenden<br />
Lernens zu ermöglichen.<br />
Durch die Mitwirkung<br />
in zahlreichen regionalen und<br />
nationalen Gremien wird aktiv<br />
an der Entwicklung der<br />
<strong>Wien</strong>er Erwachsenenbildung<br />
mitgestaltet.<br />
Freizeitangebote<br />
Neben Bildung und Weiterbildung<br />
<strong>sind</strong> aber auch Entspannung<br />
und Freizeit wichtig<br />
für Lebensqualität und Regeneration.<br />
<strong>Wien</strong> animiert<br />
junge Menschen zu Kreativität<br />
und vermittelt ihnen Freude<br />
am Aktivsein in der Stadt.<br />
Ebenso fördert <strong>Wien</strong> kulturelle<br />
Vielfalt, Bewegung, soziale<br />
Intelligenz und verantwortliches<br />
Handeln. Ob Spiel und<br />
Spaß im Park, Skaten oder<br />
Slacken: Viele Kinder und Jugendliche<br />
in <strong>Wien</strong> <strong>sind</strong> gerne<br />
spielend und sportlich unterwegs.<br />
Ausgebildete Parkbetreuerinnen<br />
und Parkbetreuer<br />
sowie Trainerinnen und Trainer<br />
unterstützen sie dabei, ihre<br />
Kreativität und Freude an der<br />
Bewegung auszuleben. Dabei<br />
achten sie darauf, dass das respektvolle<br />
Miteinander gefördert<br />
wird und die persönlichen<br />
Grenzen – im Sinne der Risikooptimierung<br />
– nicht überschritten<br />
werden. Auch im Bereich<br />
Medien erhalten junge<br />
Menschen einen (selbst)kritischen<br />
Zugang zum Ausleben<br />
der eigenen Kreativität vor und<br />
hinter einer Filmkamera. Für<br />
alle Musikbegeisterten gibt es<br />
ebenfalls ein breites Angebot –<br />
von Rap, Hip-Hop bis Song -<br />
writing inklusive Auftrittsmöglichkeiten.<br />
Die <strong>Wien</strong>er Parkbetreuung ist<br />
seit mittlerweile 22 Jahren<br />
eines der beliebtesten Freizeitangebote<br />
der Stadt. Sie bietet<br />
in allen 23 Bezirken Kindern<br />
im Alter von sechs bis 13 Jahren<br />
Spiel, Spaß und Action in<br />
Parks, Sport- und Wohnhausanlagen.<br />
<strong>Wien</strong>er Bäder<br />
Besonderes Sommerschmankerl:<br />
Ab Juni gibt es in den<br />
<strong>Wien</strong>er Sommerbädern und<br />
Familienbädern wieder Badespaß<br />
pur. Für unterhaltsame<br />
Abwechslung ist gesorgt.<br />
Beim Bäder-Sommerzauber<br />
wird unter Anleitung geplanscht,<br />
gesportelt und<br />
gespielt. Das Angebot gibt<br />
es täglich außer Montag,<br />
bei Schönwetter von 4. Juli<br />
bis 16. August 2015. Das<br />
genaue Tagesprogramm hängt<br />
am Anschlag im jeweiligen<br />
Bad.<br />
www.kinder.wien.at<br />
www.kindergaerten.wien.at<br />
www.schulbau.wien.at<br />
www.bildungjugend.wien.at<br />
www.buechereien.wien.at<br />
www.virtuellebuecherei.wien.at<br />
www.freizeit.wien.at<br />
www.wienerbaeder.at<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
53
KULINARIK<br />
die neue Generation<br />
Würstelstand<br />
<strong>Wien</strong> ist in Bewegung. Abwechslungsreiches und hochwertiges Essen von mobilen Ständen<br />
liegt im Trend. Nach New York, London und Berlin boomen die “Food Trucks” auch in der<br />
Welthauptstadt des Würstelstandes.<br />
TEXT: THOMAS TRIMMEL<br />
Unter Street Food verstand man in<br />
<strong>Wien</strong> bis vor kurzem am ehesten ein<br />
Käsekrainer Hot Dog oder eine aufgeschnittene<br />
Bosna-Wurst. Dabei kann Street<br />
Food so viel mehr sein als ein fetttriefendes<br />
Würstchen in einem senfverschmierten Weckerl.<br />
Es kann bio sein, vegan oder deftig, jedenfalls<br />
schmackhaft und nicht unbedingt ungesund.<br />
Mit dem Phänomen der Food Trucks<br />
ist <strong>Wien</strong> etwas spät dran. Das mag auch am<br />
magistratischen Wesen liegen, das bei der Vergabe<br />
von Zulassungen und Standplätzen nicht<br />
immer eine leichte Hand beweist. Der Hunger<br />
setzt sich aber durch: <strong>Wien</strong>s kulinarischer<br />
Fuhrpark umfasst derzeit schon ein gutes Dutzend<br />
Anbieter. Es reicht von kunstvollendet gefüllten<br />
Rollen („WrapStars“) bis zur feinen<br />
Biokost („Hy Kitchen“), darunter eine ganze<br />
Flotte dreirädriger Espressomobile, die man<br />
speziell nach einem guten Mittagessen gern in<br />
der Nähe weiß.<br />
Immer in Bewegung<br />
Die meisten Betreiber der Food Trucks achten<br />
darauf, frische regionale Produkte zu verwenden.<br />
Im Vordergrund steht dennoch die Geschwindigkeit<br />
- lange auf sein Essen warten<br />
muss man bei den mobilen Imbissständen nie.<br />
Die Food Trucker versuchen neben ihren Speisen<br />
auch durch ihre Fahrzeuge aufzufallen. Je<br />
bunter, desto besser, scheint das Motto zu sein.<br />
Die Trucks haben den Vorteil, nicht an einen<br />
Standort gebunden zu sein. So stehen sie einmal<br />
im Gewerbegebiet, um berufstätige Menschen<br />
in der Mittagspause zu versorgen, dann<br />
wieder vor Universitäten, bei Festivals, Sportveranstaltungen<br />
oder vor Nachtklubs.<br />
<strong>Wien</strong>er Street Food Pioniere<br />
Als eine der ersten begannen vor bereits zwei<br />
Jahren Wrapstars und Hy-kitchen für<br />
hochwertiges Street Food, zu sorgen.<br />
Ziel war schnelles, leckeres Essen anzubieten<br />
das nicht tagelang im Magen<br />
liegt. Aber auch die Street Food Nachzügler<br />
und Neulinge stellen ihr Können unter Beweis.<br />
Wie alles begann<br />
Wrapstars – das <strong>sind</strong> Marko und Matthias,<br />
die für das Unternehmen vor zwei Jahren ihr<br />
Studium unterbrochen haben um sich um<br />
<strong>Wien</strong>s kulinarische Vielfalt zu kümmern.<br />
Hinter der Hy-kitchen steht Monica Kranner,<br />
die als Ernährungsberaterin arbeitet und ein<br />
Drittel des Jahres in London lebt. Beiden Unternehmen<br />
<strong>sind</strong> frische, handgemachte Lebensmittel<br />
wichtig, die am besten auch regional<br />
produziert <strong>sind</strong>. „Es geht um Qualität“,<br />
sagt Monica Kranner „und es fließen neue<br />
Foodtrends mit ein.“ Street Food trifft einen<br />
Nerv, wie auch Marko Ertl von den Wrapstars<br />
erkannt hat: „Für viele <strong>Wien</strong>er war es am Anfang<br />
ungewohnt hochwertiges Essen auf der<br />
Straße zu bekommen, aber die Nachfrage<br />
nach handgemachtem Essen in Fast Food Geschwindigkeit<br />
steigt”. Die Hy-kitchen und<br />
Wrapstars waren vor zwei Jahren die ersten<br />
Anbieter in <strong>Wien</strong>, die von mobilen Verkaufsständen<br />
aus verkauften. „Da macht es Sinn<br />
sich zu unterstützen“, sagt Ertl. Also taten sie<br />
sich 2015 als Artisan Food Collective zusammen.<br />
„<strong>Wir</strong> wollen ein Sprachrohr für Street<br />
Food sein. Mit unserem Know-How können<br />
wir auch Ansprechpartner für andere Trader<br />
sein“, meint Marko Ertl, „damit nicht mehr<br />
jeder Trader alleine für seine Locations kämpfen<br />
muss.“ Daneben wollen sie Events organisieren<br />
und permanente Street Food Standorte<br />
etablieren, damit <strong>Wien</strong> ein bisschen wie London<br />
oder San Francisco wird.<br />
Hy-kitchen<br />
Feine Biokost<br />
Die Hy-kitchen befindet sich<br />
in einem cremefarbigen Citroen-Kleintransporter<br />
aus<br />
der Nachkriegszeit und wird<br />
von Monica Kranner betrieben,<br />
die sich in London die<br />
Inspiration für ihren Food<br />
Truck geholt hat. Drei Tage<br />
die Woche verköstigt sie nun<br />
an der Freyung die Passanten<br />
mit hochwertigem Street<br />
Food. Auf der Speisekarte<br />
stehen dabei meistens Burger<br />
und Quiche, die allerdings in<br />
immer anderen Variationen<br />
auf den Teller kommen. Top<br />
<strong>sind</strong> neben dem Essen auch<br />
die Gin Tonics, die Monika<br />
aus ihrer Hy-Kitchen heraus<br />
serviert.<br />
Standorte & Speisen unter:<br />
Facebook --> Hy-kitchen<br />
Fotos: beigestellt<br />
54 smartguide für GANZ WIEN
Dongdong Fan<br />
Asia on the Road<br />
Dongdong fan ist ein kulinarisch integratives<br />
Stadtprojekt, das den <strong>Wien</strong>ern „die chinesische<br />
Küche“ näherbringen möchte. Auf dem Dreirad,<br />
das als fahrbarer Küchenraum dient, wird dabei<br />
abwechselnd von ChinesInnen, die in <strong>Wien</strong> leben,<br />
gekocht. Das Dreirad zieht dabei von Standort zu<br />
Standort – bevorzugt werden Leerstände und bisher<br />
ungenutzte Örtlichkeiten, wo dann einfaches<br />
chinesisches Straßenessen, wie liangmian “kalte<br />
Nudeln“ mit speziellen Nudeln aus Bohnen- oder<br />
Tapiokastärke mit geraspelten Gurken und einer<br />
kräftigen Würzsauce oder jianbing – chinesische<br />
Crêpes serviert werden.<br />
Standorte & Speisen unter: Facebook --><br />
dondong fan<br />
Gourmet Nomaden<br />
Köstlichkeiten aus aller Welt<br />
Mit den Gourmet Nomaden ist seit diesem Jahr ein neuer Food Truck<br />
in <strong>Wien</strong> unterwegs, welcher die <strong>Wien</strong>erInnen mit Köstlichkeiten aus<br />
aller Welt verköstigt. Auf der Speisekarte stehen Eintöpfe, Curries,<br />
Schmorgerichte aber auch diverse frische Salate und Sandwiches. Die<br />
Speisen werden jeden Tag frisch zubereitet und kommen ohne Konservierungsmittel<br />
und Zusatzstoffe aus.<br />
Standorte & Speisen unter: Facebook --> Gourmet Nomaden<br />
Road<br />
Crêpe<br />
Crêpes in allen Variationen<br />
Road Crêpe steht für Fast Superfood<br />
auf 3 Rädern. Die süßen und<br />
pikanten Crêpe-Kreationen werden<br />
von Marc Schweiger in seiner<br />
Piaggio Ape frisch zubereitet. Großes<br />
Augenmerk legt er dabei auf<br />
frische, nährstoffreiche und saisonale<br />
Bio-Zutaten aus der Region.<br />
Und das schmeckt man einfach.<br />
Die köstlichen Crêpes gibt’s<br />
regelmäßig an fixen Standorten,<br />
wie z.B. dem Naschmarkt (hinter<br />
dem Marktamt) oder dem Meidlinger<br />
Markt. Darüber hinaus ist<br />
Road Crêpe aber fleißig in ganz<br />
<strong>Wien</strong> unterwegs.<br />
Standorte & Speisen unter:<br />
www.roadcrepe.at<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
55
KULINARIK<br />
Wrapstars<br />
Fastfood ohne Chemie<br />
Fast Food ohne Bullshit versprechen die<br />
Wrapstars und das halten sie auch. <strong>Wien</strong>s erster<br />
Food Truck ist mittlerweile seit über zwei<br />
Jahren auf den Straßen <strong>Wien</strong>s unterwegs und<br />
versorgt die hungrigen <strong>Wien</strong>er mit köstlichen<br />
Wraps. Dabei setzen sie auf simples Essen,<br />
mit den besten Zutaten der Saison, mit Liebe<br />
hausgemacht und ohne unnötige Chemie zubereitet.<br />
Um diesen strengen Anforderungen<br />
gerecht zu werden, haben die beiden Gründer<br />
Marko und Matthias sogar einen Ehrenkodex<br />
ins Leben gerufen. Und dies schmeckt man<br />
den Wraps, die in den Varianten Tasty By Nature,<br />
Pepper Ann und Soulja Boy serviert<br />
werden, einfach an.<br />
Standorte & Speisen unter: www.wrapstars.at<br />
Hildegard Wurst<br />
Hot Dogs aus aller Welt<br />
<strong>Wien</strong>s erstes American Hot Dog Mobil auf<br />
3 Rädern ist mittlerweile eines der Pioniere<br />
des mobilen Fast Food in der Hauptstadt.<br />
Egal, wo es hinkommt der feuerrote Flitzer<br />
von Hildegard Wurst verbreitet mit seinen<br />
American Hot Dogs Central Park Feelding<br />
in <strong>Wien</strong>. Demnächst ist gibt’s die verschiedenen<br />
Hot Dog Variationen, wie Malmö,<br />
Amsterdam oder Tijuana dann auch ganz<br />
unmobil in der Operngasse, dort eröffnen<br />
die Betreiber von Hildegard Wurst nämlich<br />
ihr erstes Lokal.<br />
Standorte & Speisen unter: www.hildegardwurst.at<br />
Fotos: beigestellt<br />
56 smartguide für GANZ WIEN
Spritzer Flitzer<br />
Erfrischungsgertränke<br />
Der Spritzer Flitzer ist eine mobile Pop-Up-Bar und versorgt die durstigen <strong>Wien</strong>erInnen an der alten Donau und bei diversen Freiluftevents<br />
mit gut gekühlten Spritzwein. Verkauft werden Hugo, Aperol, Spritzer und Bier aus einer umgebauten Ape. Neben dem fixen<br />
Standort bei der Roma-Wiese an der alten Donau ist der Spritzer Flitzer den ganzen Sommer über immer wieder bei Open Airs anzutreffen.<br />
Standorte & Speisen unter: Facebook --> Spritzer Flitzer<br />
Espresso to go<br />
Wer in <strong>Wien</strong> gerne mal einen<br />
Coffee to go trinkt, der kommt<br />
am Espressomobil nicht vorbei.<br />
Das erste Espressomobil erblickte<br />
bereits 2012 das Licht der<br />
Welt. Mittlerweile düsen 11 umgebaute<br />
dreirädrige Vespa-Cars<br />
durch die Stadt und versorgen<br />
an vielen Plätzen in <strong>Wien</strong> Kaffeliebhaber<br />
mit erstklassigem Kaffee.<br />
Im alten AKH im Hof 1, bei<br />
der TU <strong>Wien</strong>, im Stadt- und im<br />
Votivpark, beim Volkstheater<br />
und bei der Publizistik in Währingerstr.,<br />
beim CAT <strong>Wien</strong> Mitte<br />
und in Grinzing <strong>sind</strong> die Espressomobile<br />
regelmäßig anzutreffen.<br />
Darüber hinaus ist das Espressomobil<br />
bei vielen Veranstaltungen<br />
in <strong>Wien</strong> und Österreich<br />
gern gesehener Gast.<br />
Standorte & Speisen unter:<br />
www.espressomobil.at<br />
Espressomobil<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
57
MUSIK KULTUR<br />
Austro<br />
Der pop ist tot.<br />
Es lebe der Austropop!<br />
Der Dialekt ist zurück! Dank Bands wie Wanda und Bilderbuch wurde der<br />
Mundart-Pop fulminant aus der Versenkung katapultiert. Mit sich bringt er<br />
die wieder spürbare Begeisterung für die Vielfalt der österreichischen<br />
Sprache.<br />
TEXT: MARKUS DEISENBERGER<br />
Das „wieder wer sein“<br />
überstrahlt derzeit<br />
alles in Österreich.<br />
Blitzgescheite, auch noch gut<br />
aussehende Burschen, echte<br />
Rockstars, stehen wieder<br />
einmal breitbeinig vorne<br />
und sagen Sätze wie „<strong>Wir</strong><br />
gehen durch die Mitte“<br />
(Maurice Ernst von Bilderbuch<br />
in einem Special der<br />
Bayrischen Jugendradiosendung<br />
Zündfunk über die<br />
„neue Pophauptstadt<br />
<strong>Wien</strong>“) oder „<strong>Wir</strong> trauen<br />
uns“ (Marco Michael Wanda).<br />
Was dabei aber nicht<br />
aus den Augen verloren werden<br />
sollte, ist die Vielfalt der<br />
österreichischen Popszene,<br />
die diesem Moment des begeisterten<br />
Konsenses überhaupt<br />
erst den nötigen Boden<br />
bereitet hat. Eine ungeheuer<br />
produktive Integrationsfigur<br />
ist auch der lange<br />
medial geächtete, jetzt allseits<br />
geliebte Ernst Molden.<br />
Erst sang er in <strong>Wien</strong> hochdeutsch,<br />
dann befreite er an<br />
der Wende zu den Zehnerjahren<br />
die Form des Dialekt-<br />
Songs vom bis dahin noch<br />
strikt verleugneten Austropop-Mief<br />
der 1970er und<br />
1980er. Dabei fand er eine<br />
gemeinsame Wellenlänge<br />
mit seinem jüngeren Eigenbrötler-Kollegen<br />
Der Nino<br />
aus <strong>Wien</strong>, der seinerseits das<br />
Solo-Talent Raphael Sas in<br />
seiner Band beherbergte.<br />
Tatsache ist, dass kein Musikmagazin,<br />
kein Formatradio<br />
derzeit an Bands wie Bilderbuch<br />
oder Wanda vorbeikommt.<br />
Ob „Maschin“ mit<br />
seinem einprägsamen Hook<br />
und dieser Schneidbrenner-<br />
Gitarre oder „Amore“ mit<br />
seinem unwiderstehlichen<br />
Mitsing-Refrain. Es gibt sie<br />
wieder, deutschsprachige<br />
Pop-Songs „Made in A“, die<br />
das Zeug zu großen Hits haben.<br />
Und Bilderbuch und<br />
n Gruppenbild mit Hangover: Wanda<br />
inszenieren sich auf ihrem Debüt-<br />
Album „Amore“ über den Dächern<br />
der italienischen Stadt Bologna als<br />
räudige Großstadt-Romantiker.<br />
Das Rezept ging voll auf, die Hallen<br />
in Österreich und Deutschland <strong>sind</strong><br />
ausverkauft.<br />
Fotos: beigestellt,<br />
58 smartguide für GANZ WIEN
„Als ich<br />
begonnen habe,<br />
gab es nichts<br />
Skurrileres<br />
als das, was<br />
ich mache“<br />
Ernst Molden<br />
n „Unser Österreich: Auf ihrem<br />
gemeinsamen Album covern Ernst<br />
Molden und der Nino aus <strong>Wien</strong> ihre<br />
liebsten Austropop-Songs.<br />
Altbekanntes, aber auch<br />
Unerwartetes findet sich da.<br />
Wanda <strong>sind</strong> ihre derzeitigen<br />
Aushängeschilder.<br />
Dialekt? Verpönt?<br />
Austropop galt ja lange Zeit<br />
als verpönt. Anfang der<br />
1990er-Jahre war es vielleicht<br />
cool, einer Grunge-<br />
Band anzugehören oder später<br />
Teil eines DJ-Kollektivs<br />
zu sein. Aber deutsche Texte?<br />
Und noch dazu im Dialekt?<br />
Ernst Molden, heute<br />
so etwas wie der Grand Seigneur<br />
der neuen Austropop-<br />
Szene, erinnert sich: „Als ich<br />
begonnen habe, war gerade<br />
die <strong>Wien</strong>er Elektronik en<br />
vogue. Da gab es nichts<br />
Skurrileres als das, was ich<br />
mache. Ich habe damals aber<br />
nichts anderes können und<br />
daher einfach mit einer gewissen<br />
Beharrlichkeit weitergemacht.“<br />
Und diese Beharrlichkeit<br />
hat sich letztlich<br />
bezahlt gemacht. Auch wenn<br />
er sich „eine Zeit lang der<br />
Gleichgültigkeit, des Hohns<br />
und der Ablehnung erwehren<br />
musste“, wie er sagt.<br />
Fünfzehn Jahre sei es sehr<br />
schwer und nur unter Gefährdung<br />
seiner Existenz gelaufen.<br />
„Erst seit fünf, sechs<br />
Jahren läuft es wirklich gut.“<br />
Sein Album „Ho Rugg“<br />
(gemeinsam mit Resetarits,<br />
<strong>Wir</strong>th und Soyka) kann man<br />
getrost als Meilenstein dieser<br />
neuen Austropop-Bewegung<br />
bezeichnen. Obwohl<br />
es die heimischen Radios<br />
kaum spielten, wurde es<br />
zum stillen Verkaufshit.<br />
Sein aktuelles, ein „Unser<br />
Österreich“ genanntes Austropop-Album<br />
mit dem Nino<br />
aus <strong>Wien</strong>, könnte ein<br />
ebensolcher werden. Darauf<br />
werden Nummern der Altvorderen<br />
Ludwig Hirsch,<br />
Georg Danzer und Sigi Maron<br />
gecovert. Nur mit Gitarre<br />
und entsprechendem Understatement.<br />
Falcos legendär-morbides<br />
„Ganz <strong>Wien</strong>“<br />
entwickelt da fast so etwas<br />
wie einen Lagerfeuer-<br />
Charme. Und wenn dieses<br />
Album eines zeigt, dann dass<br />
der Austropop viel Gutes<br />
hervorgebracht hat und das<br />
Gute vor allem auch dort<br />
schlummert, wo man es<br />
nicht vermuten würde.<br />
Denn wer hätte gedacht,<br />
dass einen „Nachtflug“ –<br />
eine Nummer aus Falcos<br />
später Phase –, wenn man<br />
es vom Bombast der Überproduktion<br />
befreit, als funkelndes<br />
Kleinod anstrahlt?<br />
Austropop ist eben nicht<br />
nur der Bababanküberfall,<br />
er steht auch für Leute,<br />
die man, wenn man gemeinhin<br />
von Austropop spricht,<br />
oft vergisst: Sigi Maron mit<br />
seiner Unangepasstheit,<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
59
MUSIK KULTUR<br />
n Um Gustavs Debüt-Album „Rettet<br />
die Wale“ gab es einen ähnlichen<br />
Hype wie um die jüngsten Arbeiten<br />
von Wanda und Bilderbuch:<br />
Gekonnt bewegt sie sich darauf<br />
zwischen Pop und Protestlied.<br />
Ludwig Hirsch mit seiner<br />
tiefen Traurigkeit und André<br />
Heller mit seiner Poesie.<br />
Rückfall in alte<br />
Klischees?<br />
Umgekehrt: Dass Austropop<br />
so lange verpönt war, und<br />
sich viele Bands in den<br />
1990er- und 2000er-Jahren<br />
eher das Ohr abgetrennt als<br />
auf Deutsch gesungen hätten,<br />
lag wohl auch daran,<br />
dass es nicht nur den frühen,<br />
sondern auch den späten<br />
Ambros gab, und dass<br />
sich jemand wie Falco vom<br />
Trendsetter zum Brigitte<br />
Nielsen-Duett-Partner entwickelte.<br />
Der Austropop, der<br />
sich in seiner Anfangsphase<br />
als ein bewusster<br />
Gegentrend zum britischamerikanisch<br />
dominierten<br />
Radio-Einheitsbrei verstanden<br />
hatte und dann allmählich<br />
seinen eigenen Stil entwickelte,<br />
hatte sich totgelaufen,<br />
weil er sich selbst genügte.<br />
Irgendwann wurde<br />
nichts Neues mehr geschaffen,<br />
sondern man beschränkte<br />
sich darauf, alte<br />
Klischees zu reproduzieren.<br />
Eine Sorge, die der <strong>Wien</strong>er<br />
Musikjournalist Robert Rotifer<br />
auch aktuell hat. Im<br />
Österreichischen Wochenmagazin<br />
„Profil“ schrieb er,<br />
dass der neue Austropop<br />
Gefahr laufe, in alte Klischees<br />
zurückzukippen. Und<br />
er zitiert dabei Andreas<br />
Spechtl, Sänger und Mastermind<br />
von Ja, Panik – eine<br />
überaus erfolgreiche Band,<br />
die schon früh den Weg<br />
nach Berlin suchte, weil ihnen<br />
<strong>Wien</strong> zu eng war.<br />
Spechtl scheint der Medienrummel<br />
um den neuen Austro-Pop<br />
zuwider. „Da wird<br />
mit Kunst wieder einmal nationale<br />
Selbstbestätigung<br />
betrieben. Und niemand<br />
von den Protagonisten<br />
wehrt sich wirklich dagegen.<br />
Weil’s ja auch eine gut funktionierende<br />
Marke ist.“ Robert<br />
Rotifer befürchtet gar,<br />
die Charts würden bald wie<br />
Ski-WM-Klassements mit<br />
(AUT) hinter den Bandnamen<br />
gelesen und tritt auf<br />
die Euphoriebremse. Seltsamerweise<br />
empfindet er gerade<br />
die Hinwendung von<br />
Molden/Nino zu den alten<br />
Wurzeln in „Unser Österreich“<br />
als Ausweg aus der<br />
Sackgasse, weil die lokale<br />
Pop-Geschichte auf für Hurra-Patriotismus<br />
ungeeignet<br />
brüchige Art interpretiert<br />
werde.<br />
Goldkettchen und<br />
Guerilla-Gigs<br />
Aber warum gehen Wanda<br />
und Bilderbuch – die beiden<br />
Aushängeschilder des neuen<br />
Trends – gerade so durch die<br />
Decke? Warum <strong>sind</strong> sie in<br />
Deutschland so beliebt? Ein-<br />
Fotos: beigestellt,<br />
60 smartguide für GANZ WIEN
„<strong>Wir</strong> wollten<br />
weg vom Einheitsbrei“<br />
Maurice, Bilderbuch<br />
mal, weil sie Bands <strong>sind</strong>, die<br />
nicht gemacht wurden, sondern<br />
sich selber machten.<br />
Viel zu lange hat man in der<br />
Branche nach dem „neuen<br />
Falco“ gesucht und dabei<br />
schlicht und ergreifend<br />
übersehen, dass die wirklich<br />
erfolgversprechenden Pflanzen<br />
in den Nischen wuchsen.<br />
Gustav, Ja, Panik oder<br />
Attwenger: Sie alle wurden<br />
nicht von irgendeiner großen<br />
Plattenfirma entdeckt,<br />
sondern kamen aus dem<br />
Underground und suchten<br />
sich ihren teils mühevollen<br />
Weg selbst. Bei all der derzeit<br />
herrschenden Euphorie<br />
vergisst man leicht, dass Bilderbuchs<br />
„Schick Schock“<br />
ihr bereits drittes Album ist.<br />
Die beiden ersten wurden<br />
weit weniger begeistert aufgenommen.<br />
Dass man<br />
nichts geschenkt bekam,<br />
sondern sich den Platz, den<br />
man heute hat, hart erkämpfen<br />
musste, belegt die<br />
Geschichte, dass Bilderbuch<br />
beim Popfest 2013 einen<br />
Guerilla-Gig geben mussten,<br />
weil sie im offiziellen<br />
Line-up nicht vorgesehen<br />
waren. Uneingeladen enterte<br />
man die Bühne des Brut.<br />
Dem Publikum gefiel’s. Neben<br />
Können und dem<br />
Kampf dafür, dieses Können<br />
auch ans Publikum zu bringen,<br />
ist es aber auch dieser<br />
ungezwungene, geradezu<br />
spielerisch leichte Umgang<br />
mit der musikalischen Vergangenheit.<br />
Man höre nur<br />
Bilderbuchs „Schick<br />
Schock“. Da wird nach allen<br />
Regeln der Kunst zitiert, bearbeitet.<br />
„Goldkettchen und<br />
Falco-Pose“ nannte es der<br />
deutsche Spiegel. Und gerade<br />
da ortete Rotifer die Gefahr,<br />
dass man durch das Arbeiten<br />
mit Zitaten, das Verwursten<br />
all dieser Klischees<br />
sehr leicht ins Klischee zurückkippt.<br />
Das stimmt<br />
schon, greift aber zu kurz.<br />
Denn zwar erkennt man das<br />
exaltierte Auftreten und<br />
auch das Spiel mit den Klischees<br />
wieder. Die Musik<br />
aber ist zu vielschichtig, um<br />
sie mit einem Verweis allein<br />
erklären zu können. Sich<br />
seiner Geschichte bewusst<br />
zu sein, sich aber nicht von<br />
ihr erdrücken zu lassen, ist<br />
das erklärte Ziel. So klingen<br />
Wanda zwar ein wenig nach<br />
Austropop, <strong>sind</strong> aber gleichzeitig<br />
unglaublich lässig. Das<br />
muss man erst mal schaffen.<br />
„<strong>Wir</strong> wollten weg vom Einheitsbrei“<br />
erklärt es Bilderbuch-Sänger<br />
Maurice Ernst.<br />
Die Musik sei als Trotzreaktion<br />
darauf gedacht, wie<br />
merkwürdig klein Österreich<br />
in den letzten Jahren<br />
gedacht hat. Womit wir<br />
beim Thema wären. Oft<br />
braucht es gerade für das<br />
Formatradio den<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
61
MUSIK KULTUR<br />
MUSIK-TIPPS<br />
Bilderbuch:<br />
Schick Schock (Vorhin<br />
Records/Universal Music)<br />
Wanda: Amore (Problembär<br />
Records/rough trade)<br />
Molden/Resetarits/Soyka/<br />
<strong>Wir</strong>th: Ho Rugg (monkeymusic)<br />
Molden & Nino aus <strong>Wien</strong>:<br />
Unser Österreich<br />
(monkey/rough trade)<br />
Ja, Panik: Libertatia<br />
(Staatsakt/rough trade)<br />
n Ja, Panik haben <strong>Wien</strong> den<br />
Rücken gekehrt, um ihren Traum<br />
von der erfolgreichen Rock-Band<br />
zu verwirklichen. Ab und zu kehren<br />
die Wahl-Berliner aber in die alte<br />
Heimat zurück, um ausverkaufte<br />
Konzerte zu spielen.<br />
Anstoß von außen, um<br />
überhaupt erst zu bemerken,<br />
wie außergewöhnlich<br />
ein bestimmtes Stück<br />
österreichi scher Popmusik<br />
ist. Man denkt zu klein. So<br />
auch bei Bilderbuch. Ich<br />
kann mich noch gut erinnern,<br />
als beim letzten Popfest<br />
ein verärgerter Walter<br />
Gröbchen (Musikmanager,<br />
monkeymusic) in Richtung<br />
Ö3, die Bilderbuch in all<br />
ihren Rotationen damals<br />
geflissentlich ignorierten,<br />
meinte: „Ihr werdet sie<br />
schon noch spielen!“ Und<br />
recht sollte er behalten,<br />
jedoch erst, nachdem sie in<br />
Deutschland durch die<br />
Decke gegangen waren.<br />
Rosige Zukunft<br />
Was bringt die Zukunft? Ist<br />
der Plafond erreicht? Mitnichten!<br />
Es ginge noch viel<br />
mehr. Eine Lied wie „Malipop“<br />
etwa von Ernst Molden<br />
hätte es sich aufgrund seiner<br />
Ohrwurmqualität verdient,<br />
in Radio <strong>Wien</strong> auf und ab<br />
gespielt zu werden. Ein Publikum<br />
wäre ihm gewiss. Bilderbuch<br />
und Wanda haben<br />
das Zeug, mit dem nächsten<br />
Album nachzulegen und<br />
noch erfolgreicher zu werden.<br />
Ja, Panik und Kreisky<br />
werden weiter unbeirrt ihren<br />
Weg gehen. Was man bei aller<br />
Austropop-Glückseligkeit<br />
allerdings nicht vergessen<br />
darf, ist, wie unglaublich<br />
reichhaltig die Szene hierzulande<br />
in den vergangenen<br />
Jahren geworden ist. Bei<br />
Weitem nicht nur im<br />
deutschsprachigen Pop,<br />
sondern in nahezu jedem<br />
Genre gibt es zahllose Acts,<br />
die wirklich Klasse haben<br />
und keinen internationalen<br />
Erfolg zu scheuen brauchen.<br />
Das sieht man allein schon<br />
daran, wie bunt Veranstaltungen<br />
wie das <strong>Wien</strong>er Popfest<br />
oder auch das Donauinselfest<br />
programmiert <strong>sind</strong>.<br />
Das sieht man aber auch daran,<br />
wie groß das Interesse<br />
im Ausland an Acts wie<br />
HVOB (Elektronik/Pop)<br />
oder Elektro Guzzi (Techno<br />
in Band-Besetzung) ist.<br />
Fotos: beigestellt<br />
62 smartguide für GANZ WIEN
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Du kommst hier nicht<br />
rein! Wer diesen Satz<br />
vorm Club eingang<br />
vom Türsteher zu hören bekommt,<br />
für den ist der<br />
Abend gelaufen, bevor er<br />
überhaupt begonnen hat.<br />
Nicht selten fühlen sich Partygäste<br />
nach einer solchen<br />
Abweisung persönlich angegriffen.<br />
Diskussionen über<br />
die Türpolitik gibt es selten.<br />
Türpolitik<br />
Dass an den Türen der Clubs<br />
nicht immer die richtigen<br />
Entscheidungen getroffen<br />
werden und das zu Frust<br />
führt, weiß auch der Festivalkurator<br />
Georg Russegger.<br />
Unter dem Projektnamen<br />
Club Courage beschäftigen<br />
sich er und ein Kernteam<br />
von rund sechs Personen seit<br />
November damit, mehr Zivilcourage<br />
und Toleranz in<br />
Österreichs Nachtleben zu<br />
bringen. Club Courage<br />
möchte für soziales Handeln<br />
im Rahmen von Clubs, Discos,<br />
Musikveranstaltungen<br />
und Partys einstehen. Auf<br />
der Unterstützerliste finden<br />
sich bereits in der <strong>Wien</strong>er<br />
Clubszene bekannte Namen<br />
wie die Grelle Forelle oder<br />
das WUK. Werbeveranstalter<br />
für einzelne Festivals oder<br />
Veranstaltungen will der<br />
Club Courage aber nicht<br />
sein. Viel mehr will die Plattform<br />
ein Sprachrohr sowohl<br />
für die Veranstalter als auch<br />
das Publikum sein. In Zukunft<br />
soll es in regelmäßigen<br />
Abständen einen Stammtisch<br />
geben, zu dem Veranstalter<br />
eingeladen werden, um über<br />
ihre Erfahrungen zu diskutieren.<br />
Dabei soll nicht nur<br />
die Türpolitik der Clubs<br />
n Paul Smith ließ auf dem<br />
Konzert von Maximo Park in der<br />
<strong>Wien</strong>er Arena so virtuos die<br />
Hüften kreisen, dass zum<br />
Schluss sogar die hartnäckigsten<br />
Tanzverweigerer ihre müden<br />
Knochen schütteln mussten.<br />
Fotos: Fotolia (1), beigestellt<br />
64 smartguide für GANZ WIEN
NACHTLEBEN<br />
Die Initiative „Club Courage“ von Georg Russegger<br />
steht für ein friedliches Miteinander in Stadt<br />
und Land. <strong>Wir</strong> zeigen Ihnen, welche Clubs für<br />
couragiertes Engagement und Toleranz im<br />
Nachtleben eintreten.<br />
der<br />
Toleranz<br />
Thema sein. Auf der Agenda<br />
stehen auch die Auseinandersetzung<br />
mit dem Publikum<br />
oder die Preispolitik der<br />
Clubs.<br />
Clubs mit Charakter<br />
Eine der zentralen Fragen für<br />
den Club Courage im Moment<br />
ist, wie alle Leute in das<br />
Projekt integriert werden<br />
können, ohne dass sich andere<br />
auf den Schlips getreten<br />
fühlen. Der Club soll eine<br />
freie Flächte für Leute sein,<br />
die sich austoben wollen. „Es<br />
gibt in der Clubszene wenig<br />
tiefe Reflexion darüber, was<br />
das bedeutet. Die Clubszene<br />
hat kein Gesicht. Oft geht es<br />
nur ums Feiern und Saufen.<br />
Hier wollen wir etwas gestalten“,<br />
sagt Russegger. Für die<br />
Gründung der Initiative ausschlaggebend<br />
war unter<br />
anderem der Ausgang der<br />
Nationalratswahl 2013.<br />
Damals postete der <strong>Wien</strong>er<br />
Club Grelle Forelle auf<br />
Facebook, dass FPÖ-Wähler<br />
dort keinen Platz haben.<br />
„Man merkt ein verstärktes<br />
Verlangen von Veranstaltern<br />
und der Clubszene, sich<br />
zu gesellschaftspolitischen<br />
Themen zu äußern“, sagt<br />
Russegger.<br />
Statement gegen Rechts<br />
Die Grelle Forelle unterstützt<br />
nun den Club Courage, man<br />
wolle für eine gemeinsame<br />
Sache eintreten und einen<br />
Teil dazu beitragen, das Bewusstsein<br />
von Gast und Personal<br />
hinsichtlich eines<br />
friedlichen Beisammenseins<br />
sowie Toleranz im Nachtleben<br />
zu schärfen.<br />
Verhalten positiv gestalten<br />
Der Club Courage soll nicht<br />
„gegen etwas“ sein. „Das<br />
Projekt ist positiv konnotiert<br />
und keine Gegenbewegung“,<br />
sagt Russegger. Ein Manifest,<br />
wie man sich zu verhalten<br />
hat, wird es vom Club Courage<br />
nicht geben. „<strong>Wir</strong> wollen<br />
Dinge vorschlagen und<br />
nichts aufdoktrinieren.“ So<br />
soll zum Beispiel bei Türstehern<br />
ein Bewusstsein geschaffen<br />
werden, um mit<br />
Gästen – auch bei einer Abweisung<br />
– auf Augenhöhe<br />
umzugehen.<br />
n Georg Russegger steht für<br />
eine Welt ohne Fremdenfeindlichkeit<br />
und Ausgrenzung.<br />
DIE CLUBS<br />
Fluc + Fluc Wanne<br />
Praterstern 5, 1020 <strong>Wien</strong><br />
www.fluc.at<br />
Elektro Gönner<br />
Mariahilfer Straße 101, 1060 <strong>Wien</strong><br />
www.elektro-g.at<br />
The Loft<br />
Lerchenfelder Gürtel 37<br />
1160 <strong>Wien</strong>, www.theloft.at<br />
Oben<br />
Lehargasse 7,1060 <strong>Wien</strong><br />
www.schaunachoben.at<br />
Grelle Forelle<br />
Spittelauer Lände 1, 1090 <strong>Wien</strong><br />
www.grelleforelle.com<br />
Der Club als Wohnzimmer<br />
Am Ende <strong>sind</strong> es aber dennoch<br />
die Clubs, die das Publikum<br />
gestalten. „Ein Club ist<br />
kein Park, sondern ein<br />
Wohnzimmer, in dem die Regeln<br />
des Besitzers gelten“, sagt<br />
Russegger. Diese sollten laut<br />
ihm aber zumindest transparent<br />
sein. Man hofft nun auf<br />
eine junge, aufgeklärte Szene,<br />
die Lust hat mitzumachen.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
65
SERVICE FÜR WIENERINNEN<br />
Vielfältig wie die Stadt<br />
Das Erfolgsmusical „Mary Poppins“ im Ronacher, Pink in der <strong>Wien</strong>er Stadthalle, Wellness in der<br />
Therme <strong>Wien</strong>, der <strong>Wir</strong>tschaftsstandort Neu Marx, der Twin City Liner u. v. m.<br />
Alle diese Projekte haben eines gemeinsam:<br />
Sie wurden von der<br />
<strong>Wien</strong> Holding realisiert.<br />
Rund 75<br />
Unternehmen<br />
bündelt die <strong>Wien</strong><br />
Holding derzeit unter ihrem<br />
Dach. So vielfältig wie die<br />
Projekte <strong>sind</strong> auch die MitarbeiterInnen,<br />
die in dem städtischen<br />
Konzern arbeiten. Internationalität<br />
und Integration<br />
wird hier großgeschrieben.<br />
Ob Pink-Konzert in der<br />
Stadthalle, entspannen in der<br />
Therme <strong>Wien</strong> oder per Twin<br />
City Liner auf der Donau von<br />
<strong>Wien</strong> nach Bratislava cruisen<br />
– die <strong>Wien</strong> Holding hat diese<br />
Projekte realisiert.<br />
n Mauro Novello<br />
arbeitet an der<br />
Verbesserung der<br />
Effizienz von EU-<br />
Programmen.<br />
Der städtische Konzern erfüllt<br />
kommunale Aufgaben<br />
und ist gleichzeitig stets bestrebt,<br />
die Lebensqualität in<br />
der Stadt zu erhöhen. Die<br />
rund 75 Unternehmen <strong>sind</strong><br />
im Kulturbereich, in der Entwicklung<br />
von Immobilien, im<br />
Logistik-, Umwelt- und Mediensektor<br />
tätig. Vielfalt spielt<br />
hier eine wichtige Rolle.<br />
Nicht nur auf Projekt- und<br />
Kundenebene – ein guter Teil<br />
der rund 2.900 MitarbeiterInnen<br />
ist international oder hat<br />
Migrationshintergrund. Integration<br />
ist in den Unternehmen<br />
der <strong>Wien</strong> Holding gelebte<br />
Praxis.<br />
Für ein besseres<br />
Europa<br />
Mauro Novello arbeitet und<br />
lebt seit 2005 in Österreich. Ursprünglich<br />
kommt er aus Italien,<br />
wo er in der Nähe von Venedig<br />
aufgewachsen ist. Seit<br />
2008 ist er Abteilungsleiter bei<br />
INTERACT, einem Projekt der<br />
EU-Förderagentur, das die Effizienz<br />
der EU-Programme vorantreibt.<br />
Er und sein Team,<br />
bestehend aus MitarbeiterInnen<br />
aus der gesamten EU, erarbeiten<br />
Seminare, Studien, Arbeitsprozesse<br />
und IT-Werkzeuge,<br />
um so gemeinsam zu einer<br />
besseren und effizienteren EU<br />
beizutragen. Gerade dieser Gemeinschaftsgedanke<br />
und die<br />
internationale Zusammenarbeit<br />
liegen<br />
ihm besonders<br />
am Herzen. „Unser<br />
bisher größter Erfolg<br />
war die Entwicklung<br />
einer<br />
Monitoring-Software,<br />
die den EU-<br />
SteuerzahlerInnen<br />
über 15 Millionen<br />
Euro gespart hat.<br />
Projekte wie dieses<br />
<strong>sind</strong> gut für<br />
die EU-Länder<br />
und auch gut<br />
für <strong>Wien</strong>“, so<br />
Mauro Novello.<br />
In Österreich<br />
fühlt er sich inzwischen<br />
schon wie zu Hause,<br />
denn „die ÖsterreicherInnen<br />
<strong>sind</strong> den ItalienerInnen ähnlicher<br />
als gedacht“, lacht er.<br />
Kunstliebhaberin aus<br />
Leidenscha<br />
Lalaine Cerrada ist seit 2004<br />
im Aufsichtsbereich und als<br />
„Guide“ im Kunst Haus <strong>Wien</strong><br />
im Einsatz. Sehr passend, wollte<br />
sie doch immer Künstlerin<br />
werden. Ihre Mutter hingegen<br />
wollte, dass sie zuerst ein<br />
„greifbares“ Studium absolviert.<br />
Also hat sie Marketingmanagement<br />
belegt, „den einzigen<br />
Bereich der <strong>Wir</strong>tschaft,<br />
in dem Kunst vorkommt“,<br />
lacht sie. In ihrer Heimat, den<br />
Philippinen, war Cerrada als<br />
Modedesignerin tätig, in<br />
Österreich hat sie dann als erste<br />
Ausstellung gleich eine Modeausstellung<br />
betreut. Neben<br />
n Lalaine Cerrada ist Künstlerin<br />
und Modedesignerin und setzt sich<br />
für das Kunst Haus <strong>Wien</strong> ein.<br />
66 smartguide für GANZ WIEN
Entgeltliche Einschaltung<br />
n Zuhdija Begic ist Betriebsleiter<br />
der <strong>Wien</strong>er Stadthalle und sorgt für<br />
den reibungslosen Ablauf bei<br />
Events und Konzerten.<br />
n Angela Djuric engagiert sich als<br />
studierte Kommunikationswirtschafterin<br />
im Marketing der<br />
<strong>Wien</strong> Holding.<br />
Fotos: Eva Kelety,Katrin Bruder, <strong>Wien</strong> Holding<br />
dem Einsatz für das Kunst<br />
Haus <strong>Wien</strong> ist Lalaine Cerrada<br />
nach wie vor als Künstlerin tätig<br />
und experimentiert liebend<br />
gern mit neuen Materialien.<br />
Ihren Arbeiten kann man auf<br />
www.lalaine-art.com einen Besuch<br />
abstatten.<br />
fen: Er war Bühnenmeister,<br />
Hallenmeister und Maschinist.<br />
Heute führt er 80 KollegInnen<br />
aus den Bereichen Hallen-,<br />
Ton- und Lichttechnik sowie<br />
Mechanik, Portiere und Reinigung.<br />
„Ein volles Haus ist das<br />
Schönste. Ich krieg’ noch immer<br />
eine Gänsehaut, wenn<br />
16.000 Menschen jubeln“, sagt<br />
Zuhdija Begic über seine Arbeit.<br />
Arbeiten, wo die Stars<br />
zu Hause <strong>sind</strong><br />
Zuhdija Begic ist Betriebsleiter<br />
in der <strong>Wien</strong>er Stadthalle. Von<br />
den KollegInnen wird er meist<br />
„Sudo“ genannt, da die Aussprache<br />
seines seltenen bosnischen<br />
Vornamens „Zuhdija“<br />
den ÖsterreicherInnen<br />
schwerfällt. Zuhdija Begic, geboren<br />
am 23. März 1957 in<br />
Boskrupa im Norden Bosnien-<br />
Herzegowinas, ist im Alter von<br />
13 Jahren seinen Eltern nach<br />
<strong>Wien</strong> gefolgt. Seit mittlerweile<br />
30 Jahren gehört der gelernte<br />
Maschinenschlosser fest zum<br />
Betrieb der Stadthalle und hat<br />
hier viele Stationen durchlaubeit<br />
tätig. Als bisher jüngste<br />
Teilnehmerin machte sie im<br />
Managementprogramm der<br />
<strong>Wien</strong> Holding mit. Ihre Wurzeln<br />
liegen am Balkan, aufgewachsen<br />
ist sie in <strong>Wien</strong>. Hier<br />
wird sie immer Migrantin<br />
bleiben, in Bosnien immer<br />
Auswanderin. Sie selbst<br />
sagt, dass sie sich weder als<br />
Österreicherin noch als Bosnierin<br />
fühlt, sondern<br />
als <strong>Wien</strong>erin.<br />
„Deswegen arbeite ich auch<br />
gerne bei der <strong>Wien</strong> Holding.<br />
<strong>Wien</strong> ist eine großartige Stadt<br />
und hat so viel zu bieten, immer<br />
ist irgendetwas los. Mit<br />
ihren Tochterunternehmen<br />
trägt die <strong>Wien</strong> Holding viel<br />
dazu bei und ich finde es toll,<br />
hier auch dazuzugehören.“<br />
Vom Ferialjob zur<br />
Marketing-Lady<br />
Angela Djuric wurde 1989 in<br />
Brcko in Bosnien-Herzegowina<br />
geboren und zog im Alter<br />
von zwei Jahren mit ihren<br />
Eltern nach <strong>Wien</strong>. In der <strong>Wien</strong><br />
Holding arbeitete Angela Djuric<br />
zum ersten Mal im Jahr<br />
2008 als Ferialpraktikantin.<br />
Seit Oktober 2011, kurz nach<br />
ihrem Bachelorabschluss in<br />
„Kommunikationswirtschaft“,<br />
ist sie Vollzeit im Bereich Marketing<br />
und Öffentlichkeitsarwww.wienholding.at
POLIZEI & GESELLSCHAFT<br />
„Das schaffst<br />
*erschienen in: DIE ZEIT 03/2015<br />
du nie“<br />
Will sie die Gesellschaft widerspiegeln,<br />
braucht die Polizei Migranten. Doch die<br />
österreichische Exekutive tut sich schwer –<br />
trotz gegenteiliger Beteuerungen.<br />
TEXT: JUDITH E. INNERHOFER* FOTOS: GIANMARIA GAVA<br />
68 smartguide für GANZ WIEN
Die österreichische Polizei<br />
lernte Mladen<br />
Mijatovic in Traiskirchen<br />
kennen. Im Juli 1993,<br />
der Jugoslawienkrieg war im<br />
vollen Gang, strandete der<br />
damals sechsjährige Junge<br />
mit seiner kroatischen Mutter<br />
in der Erstaufnahmestelle<br />
für Flüchtlinge südlich von<br />
<strong>Wien</strong>. Sie waren aus dem völlig<br />
zerstörten Sarajevo geflohen,<br />
der Vater, ein bosnischer<br />
Serbe, blieb im Kriegsgebiet.<br />
35 Polizisten wachten in diesem<br />
Sommer über das Lager,<br />
patrouillierten zwischen den<br />
Schlafhütten und notierten<br />
an der Eingangspforte jeden,<br />
der das Kasernenareal betreten<br />
und verlassen wollte. Als<br />
Flüchtling nach Traiskirchen<br />
zu kommen bedeutete Fingerabdrücke<br />
abgeben, Formulare<br />
ausfüllen, Fragen beantworten,<br />
kontrolliert werden.<br />
Mehr als zwei Jahrzehnte<br />
später sitzt der Ex-Asylwerber<br />
wieder bei der Polizei.<br />
Doch nicht als Delinquent,<br />
wie es sich zornige Wutbürger<br />
und rechte Populisten<br />
gerne ausmalen. Mladen Mijatović<br />
trägt selbst die blaue<br />
Uniform der Gesetzeshüter.<br />
Aus dem Flüchtlingskind<br />
wurde ein Polizist.<br />
Verständigung in der<br />
Muttersprache<br />
Ein grauer Wintermorgen in<br />
<strong>Wien</strong>-Meidling, Polizeiinspektion<br />
Hufelandgasse. Hinter<br />
einer zusätzlichen Sicherheitstür<br />
versteckt sich im ersten<br />
Stock das Referat Minderheitenkontakte.<br />
Es wurde<br />
2010 geschaffen, mit dem<br />
Anspruch, das angeschlagene<br />
Verhältnis zwischen Polizei<br />
und Migranten zu verbessern.<br />
Im Flur weist ein Hin-<br />
weisschild, auf dem "Revierinspektor<br />
Mladen Mijatović"<br />
steht, in ein enges Dienstzimmer<br />
linker Hand, wo sich der<br />
heute 29-Jährige über den<br />
vielleicht langweiligsten Teil<br />
des Jobs bei der Polizei beugt:<br />
Protokolle. Solche von Gesprächen<br />
mit einem Imam<br />
zum Beispiel oder von Einsätzen,<br />
bei denen ihn Kollegen<br />
von der Streife als Übersetzer<br />
zu Hilfe gebeten haben.<br />
"Natürlich macht es einen<br />
Unterschied, wenn ein<br />
Migrant wie ich Polizist ist",<br />
sagt Mijatović dann – und<br />
zwar in astreinem <strong>Wien</strong>erisch.<br />
Er spricht schnell und<br />
überzeugend. In <strong>Wien</strong>-Favoriten,<br />
einem Bezirk mit hohem<br />
Migrantenanteil, wird er<br />
immer wieder gerufen.<br />
Jüngst etwa bei einem Notruf<br />
wegen Gewalt in der Familie.<br />
Die Stimmung sei geladen<br />
gewesen, erzählt Mijatović,<br />
und der Täter vom Eintreffen<br />
der Polizei wenig angetan.<br />
Mijatović spricht ihn in seiner<br />
Muttersprache an, "und<br />
allein damit habe ich die Situation<br />
beruhigt".<br />
Kulturvermittler<br />
Ob als Dolmetscher, Kulturvermittler<br />
oder Milieu-Experten:<br />
Spät, aber doch hat<br />
man auch in Österreich entdeckt,<br />
dass die Polizei Migranten<br />
in den eigenen Reihen<br />
braucht. Seit 2007 wirbt die<br />
<strong>Wien</strong>er Exekutive mit dem<br />
Slogan "<strong>Wien</strong> braucht Dich"<br />
um sie. Ein Jahr später, nach<br />
den Nationalratswahlen<br />
2008, folgte die Bundesregierung<br />
der schon lange zuvor<br />
ausgesprochenen Empfehlung<br />
des Europarates und<br />
schrieb die Agenda erstmals<br />
im Koalitionsvertrag fest. "Ja,<br />
wir wollen mehr Polizisten<br />
mit Migrationshintergrund",<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
69
POLIZEI & GESELLSCHAFT<br />
heißt es bei der <strong>Wien</strong>er Polizei<br />
ebenso wie im Inenministerium.<br />
Nur: Polizisten wie<br />
Mladen Mijatović <strong>sind</strong> noch<br />
immer selten. Einerseits, weil<br />
sich alte Muster zäh halten<br />
innerhalb dieser auf Hierarchie<br />
und uniforme Werte angelegten<br />
Organisation, in der<br />
sich Recht und rechts nicht<br />
immer klar trennen lassen.<br />
Und andererseits, weil sich<br />
Österreich insgesamt schwer<br />
mit seinen "Fremden" tut.<br />
70 smartguide für GANZ WIEN<br />
„Es braucht Menschen die gewisse Dinge<br />
authentisch rüberbringen können. “<br />
SKB Christian Doneis<br />
In Berlin ist jeder fünfte<br />
neu eingestellte Polizist<br />
Migrant<br />
Damals, vor sieben Jahren, als<br />
Politik und Polizeiführung<br />
erstmals das Thema Migranten<br />
in Uniform in den Mund<br />
nahmen, traten sie auf der<br />
rechten Flanke das erwartbare<br />
Sturmgeheul los. Im Gegensatz<br />
zu Deutschland stand<br />
die österreichische Staatsbürgerschaft<br />
als Zugangskriterium<br />
zwar nie zur Debatte,<br />
doch vielen scheint der Pass<br />
alleine noch nicht genug:<br />
Vom drohenden "Migrantenbonus"<br />
tönte die FPÖ-nahe<br />
Polizeigewerkschaft<br />
AUF/Exekutive, der ein<br />
"Schlag ins Gesicht" sei "für<br />
jeden aus Österreich stammenden<br />
Bewerber". Die Fakten<br />
geben den rechten Ängsten<br />
nicht recht, im Gegenteil:<br />
Zwar werden keine Zahlen<br />
erhoben – "vor einem Stempel<br />
›Migrant‹ in den Personalakten<br />
würde mir grauen",<br />
lautet ein Argument aus der<br />
Sicherheitsdirektion. Am<br />
ehesten lässt sich ein Migrationshintergrund<br />
aber bei den<br />
Polizeianwärtern ablesen:<br />
Wer etwa Türkisch, Polnisch<br />
oder Urdu als Zusatzqualifikation<br />
angibt, hat mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit familiäre<br />
Wurzeln im Ausland. 2007<br />
gab es demnach nicht mehr<br />
als ein Prozent solcher Bewerber<br />
in der Bundeshauptstadt.<br />
Mittlerweile sollen es<br />
sieben bis acht Prozent sein.<br />
Anwerben von<br />
Zuwanderern<br />
In <strong>Wien</strong>, wo der Migrantenanteil<br />
weit höher ist als in den<br />
Bundesländern, versehen insgesamt<br />
rund 7.000 Polizisten<br />
ihren Dienst. In der Beantwortung<br />
einer parlamentarischen<br />
Anfrage der FPÖ sprach<br />
ÖVP-Innenministerin Johanna<br />
Mikl-Leitner im vergangenen<br />
Sommer davon, dass 175<br />
Migranten die blaue Uniform<br />
in der Hauptstadt tragen würden,<br />
Polizeischüler inklusive.<br />
Damit zählt die <strong>Wien</strong>er Polizei<br />
nicht mehr als 2,5 Prozent Zuwanderer<br />
in erster oder zweiter<br />
Generation, während es in<br />
der <strong>Wien</strong>er Bevölkerung fast<br />
jeder zweite ist. In Paris und<br />
Berlin ist man längst weiter.<br />
Die Polizeiapparate der beiden<br />
Metropolen werben seit<br />
Langem intensiv um Zuwanderer.<br />
In der deutschen Bundeshauptstadt<br />
ist von den im<br />
Herbst 2014 eingestellten Polizisten<br />
im mittleren Dienst bereits<br />
mehr als jeder Fünfte Migrant<br />
erster Generation. Unlängst<br />
hat auch Daueragitator<br />
Thilo Sarrazin das Thema für<br />
sich entdeckt und über eine<br />
angebliche Bevorzugung von<br />
türkischen und arabischen<br />
Bewerbern gewettert. Zu breiterer<br />
Empörung reichte dieser<br />
These in Deutschland allerdings<br />
nicht aus. In Österreich<br />
hat hingegen Gewicht, was<br />
Freiheitliche und ihre Gewerkschafter<br />
in Sachen Polizei<br />
anzumerken haben. Blau ist in<br />
der Republik nicht nur die<br />
Uniform: Jeder vierte Exekutivbeamte<br />
hat bei den jüngsten<br />
Gewerkschaftswahlen für<br />
die AUF votiert, Tendenz steigend.<br />
Das blaue Lager versteht<br />
„Ja, wir wollen mehr Polizisten mit Migrationshintergrund.“<br />
<strong>Wien</strong>er Polizei
sich gut darauf, die Befindlichkeiten<br />
der Law-and-Order-Organisation<br />
zu bedienen.<br />
Nicht jedem AUF- und<br />
FPÖ-Wähler in Uniform darf<br />
Xenophobie vorgeworfen werden.<br />
Dennoch, ebenso wie die<br />
FPÖ tut sich die Polizei<br />
schwer mit Ausländern. Das<br />
Zeugnis, das NGOs wie die<br />
Rassismusbeobachtungsstelle<br />
Zara der Polizei ausstellen, ist<br />
ebenso nachhaltig schlecht<br />
wie der Länderbericht der Europäischen<br />
Kommission gegen<br />
Intoleranz und Rassismus<br />
Ecri. Weit über die Hälfte aller<br />
befragten Afrikaner gab in einer<br />
Studie 2012 an, innerhalb<br />
eines Jahres mindestens einmal<br />
von der Polizei angehalten<br />
und kontrolliert worden<br />
zu sein. Jeder Zweite hatte dabei<br />
den Eindruck, die Amtshandlung<br />
sei nicht korrekt<br />
verlaufen.<br />
Erfolgsgeschichte<br />
Als Christian Doneis vor 30<br />
Jahren zum ersten Mal die<br />
<strong>Wien</strong>er Polizeischule betrat,<br />
sei es still geworden, "mucksmäuschenstill",<br />
erzählt er. "Jemanden<br />
wie mich, das hatte<br />
man dort noch nie gesehen."<br />
Mit "das" meint Doneis Teint<br />
und Gesichtszüge: milchkaffeefarben<br />
und leicht afrikanisch,<br />
das Erbe der niederösterreichischen<br />
Mutter und<br />
des Vaters, der als Medizinstudent<br />
aus Nigeria gekommen<br />
war. Abgesehen davon, ist der<br />
50-jährige Doneis Österreicher<br />
durch und durch, spricht<br />
außer Deutsch nur Englisch<br />
und hat von Afrika wenig mitbekommen.<br />
Aber als erster<br />
farbiger Polizist Österreichs<br />
war er in den 1980ern eine<br />
Kuriosität. Doneis fällt auch<br />
zwischen den uniformierten<br />
Beamten auf, die an diesem<br />
„Das Interesse für den Polizistenjob ist<br />
unter Zuwanderern gering. Weil man<br />
als hochqualifizierter Migrant eher<br />
eine Stelle in einer Anwaltskanzlei<br />
anstreben möchte.“<br />
Freitagmorgen durch die fahlen<br />
Flure und Zimmer des<br />
Siebziger-Jahre-Bürohauses<br />
am Schottenring streifen, des<br />
Sitzes der <strong>Wien</strong>er Landespolizeidirektion.<br />
Ein sportlicher<br />
Hüne in Sneakers, Jeans und<br />
Kapuzensweater, der früher<br />
einmal Tormann werden<br />
wollte, jetzt locker in den<br />
Stuhl rutscht und ebenso<br />
zwanglos von Fußball und der<br />
dazugehörigen Fanszene erzählt.<br />
Match für Match begleitet<br />
er seit elf Jahren als "Fanpolizist"<br />
den harten Kern der<br />
Gefolgschaft von Rapid <strong>Wien</strong><br />
und übt sich im Dribbling auf<br />
der Linie zwischen Vertrauen<br />
und Mahnen, Vermitteln und<br />
Strafen. "Ein bisschen ist das<br />
schon wie in einer großen Familie",<br />
sagt Doneis, der wie alle<br />
szenekundigen Beamten<br />
nur Zivil trägt. "Man verbringt<br />
so viel Zeit miteinander,<br />
dass man sich mit manchen<br />
längst nicht mehr nur<br />
über Fußball unterhält." Bei<br />
Polizeisoziologe Reinhard Kessl<br />
Auswärtsfahrten dauert ein<br />
Einsatz schon einmal über 24<br />
Stunden, immer in der Hoffnung,<br />
dass es nicht zu größeren<br />
Eskalationen kommt wie<br />
etwa beim berüchtigten <strong>Wien</strong>er<br />
Derby 2007. Auch da<br />
stand Christian Doneis mittendrin,<br />
während Anhänger<br />
der beiden Erzrivalen das<br />
Horr-Stadion in ein Schlachtfeld<br />
verwandelten und außer<br />
die jeweiligen Gegner auch die<br />
Sicherheitsbeamten attackierten.<br />
Angst? Die wäre fehl am<br />
Platz, sagt der bullige Beamte.<br />
"Aber Respekt muss man<br />
schon haben, niemand ist unverletzlich."<br />
Und Rassismus<br />
im Fußball, ein Dauerthema?<br />
Nicht wirklich, meint Doneis.<br />
Rechte Hooligans seien in<br />
Österreich nur eine Randerscheinung.<br />
"Und vielleicht ist<br />
mein Anderssein auch ein<br />
Vorteil in der Szene, weil ich<br />
nicht ganz dem typischen Kieberer<br />
entspreche."<br />
n XXit Yves Chikuru unterwegs am Schöpfwerk in <strong>Wien</strong>: „Hier fühle<br />
ich mich wohl, hier ist man lebendig.“<br />
Polizeialltag<br />
Früher spielte die Hautfarbe<br />
sehr wohl eine Rolle. Mitte der<br />
1980er trat Doneis als Revierinspektor<br />
am Karlsplatz seinen<br />
Dienst an, dem langjährigen<br />
<strong>Wien</strong>er Drogendrehkreuz.<br />
Ein damals dunkles, muffiges<br />
Wachzimmer war sein Büro,<br />
der Arbeitsalltag einsatzintensiv<br />
und hart wie nirgendwo<br />
sonst: Unter österreichischen<br />
Polizisten steht die Zuteilung<br />
zu dieser Dienststelle bis heute<br />
im Ruf einer Strafversetzung.<br />
"Scheiß Kieberer", sagt Doneis<br />
leise lächelnd, das sei noch die<br />
netteste Form der Ansprache<br />
gewesen. Der bürgerlich-behütet<br />
aufgewachsene Sohn des<br />
nigerianischen Mediziners<br />
blieb zehn Jahre lang und erlebte<br />
damit an vorderster<br />
Front das Aufkommen jener<br />
offenen Drogenszene, die bis<br />
heute das Vorurteil vom<br />
Schwarzen als Drogenhändler<br />
prägt. Es liegt vielleicht gerade<br />
an dieser intensiven Erfahrung<br />
zwischen Spritzen, Verwahrlosung<br />
und Brutalität,<br />
dass es der Halbnigerianer<br />
nicht wirklich übel nimmt,<br />
wenn bei Kollegen "der Polizeialltag<br />
auf gewisse Denkschemata<br />
abfärbt". Bestes Gegenmittel,<br />
meint er: der Kontakt<br />
zu Migranten und Minderheiten<br />
abseits von Einsätzen<br />
und Anzeigen, auch zu<br />
Kollegen wie ihm selbst oder<br />
Mladen Mijatović.<br />
Chancengleichheit<br />
Nur bleibt das Interesse für<br />
diesen Job bei Zuwanderern<br />
aus, und zwar auch, darauf<br />
weist Polizeisoziologe Reinhard<br />
Kreissl vom Institut für<br />
Rechts- und Kriminalsoziologie<br />
hin, "weil ich als hoch qualifizierter,<br />
mehrsprachiger Migrant<br />
eher eine Stelle in einer<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
71
POLIZEI & GESELLSCHAFT<br />
Anwaltskanzlei annehme".<br />
Mladen Mijatovic wurde von<br />
seinem Umfeld von der Bewerbung<br />
teils abgeraten: "Das<br />
schaffst du doch nie", waren<br />
manche Verwandten überzeugt.<br />
"Nicht weil sie mir das<br />
nicht zugetraut hätten, sondern<br />
aus ethnischen Gründen."<br />
Ein bosnisch-kroatischserbischer<br />
Ex-Asylant kriege<br />
keine Chance, waren die<br />
Freunde überzeugt. Dazu<br />
komme in manchen Communitys<br />
noch eine ganz grundsätzliche<br />
Polizeiskepsis, sagt<br />
Mijatović. "Wo die Erfahrungen<br />
im Herkunftsland besonders<br />
schlecht <strong>sind</strong>, wie etwa in<br />
afrikanischen Bürgerkriegsländern,<br />
gilt ein Landsmann<br />
in Uniform oft sogar als Verräter."<br />
An alledem ändern gelegentliche<br />
Werbeveranstaltungen,<br />
Broschüren und<br />
Schulbesuche nur wenig. Bislang<br />
jedenfalls hält Kreissl den<br />
Wunsch nach mehr Migranten<br />
in Uniform für ein Lippenbekenntnis.<br />
Zwar gebe es<br />
durchaus starke Bemühungen,<br />
den Polizeiapparat insgesamt<br />
zu modernisieren. Aber:<br />
"Lieber hält man den Laden<br />
ruhig und verharrt im Status<br />
quo, anstatt das Ziel zu exakt<br />
zu formulieren und laut über<br />
konkrete Maßnahmen nachzudenken."<br />
Die Durchfallquoten<br />
beim Deutschtest <strong>sind</strong><br />
enorm, nicht nur unter<br />
Migranten<br />
Diskussionen wie etwa über<br />
eine Quote wären verlässliches<br />
Wasser auf populistische<br />
Mühlen. Da müsse, wie ein<br />
Vertreter der FPÖ einmal<br />
unkte, "auch die Frage erlaubt<br />
sein, was dann als<br />
Nächstes kommt – etwa eine<br />
Quote für Homosexuelle?" In<br />
72 smartguide für GANZ WIEN<br />
„Natürlich macht es einen Unterschied,<br />
wenn ein Migrant wie ich Polizist ist.“<br />
Revierinspektor Mladen Mijatovic<br />
der Sicherheitsdirektion will<br />
man den Vorwurf der "Minderqualifizierung"<br />
vermeintlicher<br />
Quotenpolizisten gar<br />
nicht erst aufkommen lassen:<br />
"<strong>Wir</strong> wollen keine Zwei-Klassen-Polizei."<br />
Ähnliche Erfahrungen<br />
habe man in Österreich<br />
gewissermaßen schon<br />
gemacht, als in den 1990ern –<br />
mit enormer Verspätung im<br />
internationalen Vergleich –<br />
Frauen in den Exekutivdienst<br />
aufgenommen und gefördert<br />
wurden. Hierarchien haben<br />
eine starke Tendenz zur Homogenisierung.<br />
Diese Tendenz<br />
verstärke sich umso<br />
mehr, wenn aufgrund von<br />
Quotenregelungen Minderqualifizierung<br />
unterstellt<br />
wird, sagt ein Sprecher des<br />
Innenministeriums. Immer<br />
wieder sei zu beobachten,<br />
"wie stark manche Frauen einen<br />
männlichen Habitus angenommen<br />
haben, um ihre<br />
Zugehörigkeit zu beweisen".<br />
Umgelegt auf uniformierte<br />
Migranten bedeute das:<br />
"Muss er oder sie dann besonders<br />
viele Leberkässemmeln<br />
essen und Bier trinken,<br />
um als richtiger Österreicher<br />
dazuzugehören?"<br />
Quote? Nein Danke.<br />
Es ist Mittagszeit bei den Polizisten<br />
vom Minderheitenreferat<br />
in der Hufelandgasse. Im<br />
Gemeinschaftsraum wird<br />
selbst gemachte Maronicreme<br />
mit Schlag herumgereicht.<br />
Mladen Mijatović, den die<br />
Kollegen wegen seines akkuraten<br />
Arbeitsstils lächelnd "den<br />
General" nennen, interessiert<br />
sich jetzt aber nicht für Süßes.<br />
Eine Quote? "Da würde man<br />
sich selbst auch nichts Gutes<br />
tun, im Sinne der Anerkennung",<br />
sagt er. Auf dem Weg<br />
zurück in sein penibel aufgeräumtes<br />
Dienstzimmer mit<br />
den kroatischen und den<br />
österreichischen Fähnchen<br />
und Wimpeln kommt Mijatović<br />
noch einmal darauf zurück.<br />
Migrantenvorteil? "Es<br />
gibt bestimmte formale Erfordernisse.<br />
Für alle." De facto<br />
heißt das auch für ihn: Perfekt<br />
Bosnisch, Serbisch und Kroatisch<br />
zu sprechen spielt weder<br />
eine Rolle, wenn es um Karriere<br />
geht, noch spielte es damals<br />
eine im Rekrutierungstest.<br />
Denn mehr als Fitness<br />
und der Psychotest zählen<br />
dort deutsche Rechtschreibung<br />
und Grammatik. Die<br />
Durchfallquoten im Deutschtest<br />
seien enorm – nicht nur<br />
unter Migranten, betont das<br />
Innenministerium. Dort<br />
spricht man offen über die<br />
Mängel eines überholten Verfahrens,<br />
in dem sich ein mäßig<br />
erfolgreiches Deutschdiktat<br />
zwar durch eine sportliche<br />
Spitzenleistung, nicht aber<br />
durch Mehrsprachigkeit wettmachen<br />
lässt.<br />
Keine Diskriminierung<br />
Einmal im Dienst, geht es<br />
auch um Chancen und Stimmung<br />
innerhalb der Behörde.<br />
Dabei betonen uniformierte<br />
Migranten, die sich wie der<br />
Ex-Asylwerber Mijatović oder<br />
der Halbnigerianer Doneis öffentlich<br />
dazu äußern, im Kollegenkreis<br />
nie diskriminiert<br />
worden zu sein. Und das hat<br />
seinen Grund: Sie <strong>sind</strong> ebenso<br />
sehr Vorzeige-Polizisten wie<br />
Vorzeige-Österreicher, integriert<br />
und qualifiziert, akzentund<br />
reibungsfrei. Modellkandidaten,<br />
die als Werbeträger<br />
gerne vorgeschickt werden,<br />
von denen man mit leisen politischen<br />
Absichtsbekundungen<br />
alleine nicht genügend<br />
finden wird. Nervt es eigentlich,<br />
der Vorzeige-Farbige der<br />
Polizei zu sein? Überhaupt<br />
nicht, sagt Christian Doneis<br />
und lächelt wieder ziemlich<br />
entspannt. "Es braucht halt<br />
Menschen, die gewisse Dinge<br />
authentisch rüberbringen<br />
können. Und wenn mir die<br />
Hautfarbe dabei hilft: auch<br />
gut so."
Auf sozialer Schiene<br />
31 Flüchtlinge absolvieren gerade ihre Lehre bei den ÖBB. Im Rahmen der<br />
integrativen Lehrausbildung werden die Jugendlichen gezielt unterstützt und<br />
gefördert.<br />
Entgeltliche Einschaltung<br />
Fotos: ÖBB, ÖBB/Eisenberger<br />
Die ÖBB <strong>sind</strong> einer<br />
der wenigen<br />
integrativen<br />
Lehrbetriebe, wo<br />
auch Jugendliche<br />
aufgenommen werden, die<br />
es auf dem Arbeitsmarkt besonders<br />
schwer haben. Aktuell<br />
absolvieren 31 Flüchtlinge ihre<br />
Lehre bei den ÖBB. 2015 stehen<br />
weitere 14 Ausbildungsplätze<br />
für dieses Projekt zur<br />
Verfügung. Die Jugendlichen<br />
werden meist über Vereine –<br />
wie lobby.16 oder Caritas –<br />
empfohlen. Die Ausbildungsplätze<br />
bei den ÖBB werden im<br />
Vorfeld mit dem AMS abgestimmt.<br />
Ohne den Einsatz des<br />
ÖBB-Ausbildungsbereiches mit<br />
speziellen Förderprogrammen<br />
wäre dieses Lehrlingsprojekt<br />
nicht umsetzbar. Eine Berufsausbildung<br />
ist gerade für Menschen<br />
mit Flüchtlingsstatus<br />
die Basis für den weiteren<br />
Lebensweg. Die Jugendlichen<br />
haben alle ein schweres Schicksal<br />
und einen erschütternden<br />
Lebenslauf. Durch ihre oft<br />
dramatische Flucht und ihren<br />
Kampf ums Überleben haben<br />
sie ungeheure Kräfte entwickelt.<br />
Sie haben einen überdurchschnittlichen<br />
Ehrgeiz,<br />
lernen sehr rasch mit neuen<br />
Herausforderungen umzugehen<br />
und <strong>sind</strong> für die ÖBB eine<br />
riesige Chance. Das ÖBB-<br />
Flüchtlingsprojekt befindet<br />
sich heuer im dritten Ausbildungsjahr.<br />
Gelungene Integration<br />
Der ÖBB-Mitarbeiter Rajesh<br />
Mukherjee – Spitzname „Muki“<br />
– startete seine Lehre zum Metallbearbeiter<br />
im Rahmen der<br />
Integrativen Berufsausbildung<br />
in der ÖBB-Lehrwerkstätte Floridsdorf.<br />
„Muki“, geboren 1988<br />
in Kalkutta/Indien, kam mit seiner<br />
Familie 2004 nach <strong>Wien</strong>.<br />
2009 schloss er seine Lehrausbildung<br />
mit „Ausgezeichnetem Erfolg“<br />
ab und ist seither in der<br />
ÖBB-Servicestelle Floridsdorf<br />
beschäftigt. Inzwischen hat<br />
„Muki“ eine Ausbildung zum<br />
Werkstätten-Lokführer gemacht<br />
und absolviert nun eine Schulung<br />
zum Thema „Zerstörungsfreie<br />
Überprüfung für Metalle“.<br />
Ismet Parmaksiz stammt aus der<br />
Türkei. Er absolvierte seine Lehre<br />
in der ÖBB-Lehrwerkstätte<br />
Floridsdorf im Rahmen der Integrativen<br />
Berufsausbildung mit<br />
„Gutem Erfolg“. Nach Beendigung<br />
seiner Lehrzeit wurde ihm<br />
eine freie Stelle bei ÖBB-Technische<br />
Services im Werk Floridsdorf<br />
angeboten – wo er bereits<br />
im Rahmen eines Praktikums<br />
mit seinem Fleiß gepunktet hat.<br />
Außerdem hat er seither einen<br />
Kran- und einen Staplerschein,<br />
eine Schweißprüfung sowie<br />
Schulungen, die für Revisionsbedingtes<br />
Arbeiten notwendig<br />
<strong>sind</strong>, gemacht.<br />
Top Lehrlingsausbilder<br />
Die ÖBB bieten derzeit insgesamt<br />
1.724 Lehrlingen eine fundierte<br />
Ausbildung in 22 Lehrberufen.<br />
Bemerkenswert: Rund die<br />
Hälfte der weiblichen ÖBB-<br />
Lehrlinge entschied sich für<br />
einen technischen Lehrberuf.<br />
Im Vergleich zur Ausbildungs -<br />
situation in Gesamtösterreich,<br />
die insgesamt nur 12 Prozent<br />
weibliche Lehrlinge in technischen<br />
Berufen aufweist, ist der<br />
starke weibliche Techniknachwuchs<br />
ein beeindruckendes<br />
Signal. Die ÖBB gehören zu<br />
den größten Lehrlingsausbildungsbetrieben<br />
Österreichs –<br />
und als Ausbilder in technischen<br />
Berufen <strong>sind</strong> sie sogar die klare<br />
Nummer eins.<br />
oebb.at/lehre<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
73
FREIZEIT<br />
<strong>Wien</strong>er Kultourkalender 2015<br />
Mai bis Juni<br />
MUSIK – Musikfest der<br />
Vielfalt 2015<br />
Das „Musikfest der Vielfalt“ in<br />
Österreich widmet sich dem<br />
Thema der Vielfalt im Sinne der<br />
„UNESCO-Konvention über den<br />
Schutz und die Förderung der<br />
Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“<br />
und will damit gleichermaßen<br />
eine öffentliche Feier der Musik<br />
sowie ein Bekenntnis des harmonischen<br />
Dialoges der Vielfalt.<br />
www.musikfestdervielfalt.at<br />
4. bis 6. Juni<br />
MUSIK – Rock in Vienna<br />
<strong>Wien</strong> ist bekanntlich eine Musikstadt<br />
– im Sommer 2015 wird es<br />
nun auch zu einer Rockfestival-<br />
Stadt. Das erste Rock in Vienna<br />
Festival geht an den Start. Mit<br />
dabei: Metallica, Muse, Kiss und<br />
viele mehr. www.rockinvienna.at<br />
4. bis 6. Juni<br />
MUSIK – 36. Blasmusikfest<br />
Insgesamt 26 Blasmusikkapellen<br />
aus allen österreichischen<br />
Bundesländern und aus Südtirol<br />
präsentieren sich am Samstag,<br />
6. Juni 2015 in <strong>Wien</strong>.<br />
Höhepunkt: Ein gemeinsames<br />
Abschlusskonzert mit 1.200<br />
Musikerinnen und Musikern<br />
am Rathausplatz bildet den<br />
Schlussakkord der Veranstaltung.<br />
www.blasmusik.at<br />
74 smartguide für GANZ WIEN<br />
n Bootskonzert der anderen Art: Mit Funkkopfhörern leise durch die Nacht<br />
feiern.<br />
13. Juni<br />
KUNST – StraßenKunstFest<br />
Buntes Treiben am Brunnenmarkt!<br />
Das StraßenKunstFest findet<br />
im Brunnenviertel zwischen<br />
Payergasse und Grundsteingasse<br />
sowie rund um den Yppenplatz<br />
statt. Unterschiedliche Straßen<br />
Musik-Acts, Spiele und Akrobatik,<br />
Konzerte und Performances,<br />
Workshops, Zirkus und Tanz<br />
bilden ein vielfältiges Programm,<br />
das vom Nightshopping und<br />
einem Kunsthandwerkmarkt<br />
ergänzt wird.<br />
www.brunnenpassage.at<br />
n Metallica: Wer sie noch nicht live<br />
erlebt hat, der hat noch nichts erlebt!<br />
21. Juni<br />
MUSIK – Silent Bootskonzert<br />
Zwei Funkkopfhörer-Konzerte in<br />
Booten! Am längsten Tag des<br />
Jahres lädt das WIR SIND<br />
WIEN.FESTIVAL 2015 zu einem<br />
Funkkopfhörer-Special auf der<br />
Alten Donau, bei dem der Medienkünstler<br />
Oliver Hangl sowohl<br />
Musiker als auch Publikum aufs<br />
Wasser schickt! So schwärmen<br />
20 Boote individuell aus, um<br />
mit der Müßig Gang feat. SKERO<br />
quasi lautlos durch die sanften<br />
Wellen zu elektro-tret-rudern.<br />
Die Kabinenparty am Land wird<br />
von DJane Mazery befeuert.<br />
www.olliwood.at<br />
Sommer 2015<br />
FESTIVAL –<br />
Holi Festival der Farben<br />
Das Frühlingsfest aus Indien erobert<br />
Europa! 10 österreichische<br />
Städte werden 2014 HOLI-Luft<br />
schnuppern, einige davon zum<br />
ersten Mal. HOLI bedeutet: ein<br />
schönes friedliches Fest mit viel<br />
Farbe auf Kleidung, Körper und in<br />
der Luft! Gemeinsam mit einem<br />
abwechslungsreichen Band- und<br />
DJ-Programm feiern wir das bun-<br />
teste Fest Österreichs!<br />
Termine & Städte unter:<br />
http://holiopenair.at<br />
16. Juni bis 18. Juli<br />
FILM – Kino unter Sternen<br />
Zum sechsten Mal schlägt das<br />
Kino unter Sternen seine Zelte<br />
am Karlsplatz auf; diesmal mit<br />
Schwerpunkten zu Endzeitszenarien<br />
und Filmschaffenden im<br />
Exil. Weitere Film- und Public-<br />
Viewing- Locations unter<br />
www.sommerkino.at<br />
4. bis 11. Dezember<br />
FILM – Internationales<br />
Filmfestival der<br />
Menschenrechte<br />
Als Mitglied des internationalen<br />
Human Rights Film Network<br />
(HRFN) präsentiert das Festival<br />
jährlich rund 90 Spiel-, Dokumentar-<br />
und Kurzfilme, die von<br />
Panels, Diskussionen und<br />
Vorträgen begleitet werden.<br />
http://thishumanworld.com<br />
IMPRESSUM<br />
Medieninhaber und Herausgeber:<br />
QMM Quality Multi Media GmbH,<br />
Beatrixgasse 32, 1030 <strong>Wien</strong><br />
Redaktion: Mariahilfer Straße 51/Top 33,<br />
5. Stiege, 1060 <strong>Wien</strong>, Tel. 01/342 242-0,<br />
E-Mail: office@qmm.at, www.qmm.at<br />
Herausgeber: Andreas Dressler<br />
Artdirektion: Gottfried Halmschlager<br />
Redaktionsleitung: Thomas Trimmel<br />
Fotoredaktion: Natascha Senegacnik<br />
Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />
Jürgen Zacharias, Nadia Weiss, Aleksandra<br />
Pawlov, Markus Deisenberger, Thomas<br />
Trimmel, Sonja Fercher, Judith E. Innerhofer<br />
Büro: Brigitte Janko, Tel. 01/342 242-0,<br />
E-Mail: b.janko@qmm.at<br />
Geschäftsführung: Andreas Dressler,<br />
Günther Havranek<br />
Redaktionsadresse:<br />
Mariahilfer Straße 51/5. Stiege, 1060 <strong>Wien</strong>,<br />
Tel. 01/342 242-0, www.qmm.at<br />
Coverfoto: Getty Images<br />
Hersteller:<br />
Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H.<br />
Fotos :beigestellt
Ohne Erich Lessing<br />
wäre <strong>Wien</strong> um ein gutes<br />
Stück ärmer<br />
Die Bilder des österreichischen<br />
Fotografen Erich Lessing gingen<br />
um die Welt. Sein legendäres<br />
Foto anlässlich des österreichi -<br />
schen Staatsvertrages wurde zu einer<br />
Ikone des neuen Österreich. Erich<br />
Lessing erlebte als jüdisches Kind die<br />
Verfolgung und Deportation seiner<br />
Familie aus <strong>Wien</strong>, ihm selbst gelang<br />
die Flucht nach Palästina. Er begann<br />
als Fotograf zu arbeiten und wurde<br />
nach seiner Rückkehr nach Österreich<br />
1945 Fotoreporter bei Associated<br />
Press, Mitglied bei Magnum Photos<br />
und 1956 zum fotografischen Chronisten<br />
des ungarischen Volksaufstandes.<br />
Zum Schwerpunkt 1945/2015,<br />
„Um ein gutesFoto zu machen,<br />
braucht man zwei Augen“<br />
den das Jüdische Museum <strong>Wien</strong> mit<br />
der Ausstellungschiene „<strong>Wien</strong> und die<br />
Welt nach 1945“ begeht, hat Hannah<br />
Lessing, Generalsekretärin des Österreichischen<br />
Nationalfonds, eine persönliche<br />
Auswahl von Bildern ihres<br />
Vaters getroffen. „Lessing zeigt Lessing“<br />
bietet einen sehr privaten Einblick in<br />
die Arbeit des großen österreichischen<br />
Fotografen von seinen politischen<br />
Dokumentarfotos bis zu den Girls of<br />
the Sixties.<br />
Die Ausstellung „Lessing zeigt Lessing“<br />
ist noch bis 6. September 2015<br />
im Jüdischen Museum <strong>Wien</strong> zu sehen.<br />
www.jmw.at<br />
www.lessingimages.com<br />
SCHLUSSPUNKT<br />
Neuer <strong>Wien</strong>er alter Schule: Sein<br />
legendäres Foto anlässlich des<br />
österreichischen Staatsvertrages<br />
mit Leopold Figl und den alliierten<br />
Außenministern auf dem Balkon<br />
des Belvedere wurde zu einer Ikone<br />
des neuen Österreich.<br />
smartguide für GANZ WIEN<br />
75
PROGRAMM<br />
ERLEBEN!<br />
Alle Führungen unter backstage.ORF.at<br />
Hotline: (01) 877 99 99