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004 | GUSTAV KLIMT: LIEGENDE | 1914<br />
Bleistift auf Packpapier, Privatbesitz<br />
Zeitlebens hat der Wiener Künstler sich mit dem Thema „Frau“ auseinandergesetzt<br />
<strong>und</strong> eine hohe Anzahl von Aktstudien gezeichnet. <strong>Klimt</strong> wollte die in der Kunst<br />
bislang verheimlichte Erotik <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Probleme offenlegen <strong>und</strong><br />
hatte durch diese Provokation immer wieder mit Schwierigkeiten zu kämpfen.
„Der Zeit<br />
ihre Kunst <strong>–</strong><br />
der Kunst<br />
ihre Freiheit“<br />
IN GOLDENEN LETTERN PRANGT DER WAHLSPRUCH<br />
DER KÜNSTLERGRUPPE ÜBER DEM EINGANG DES<br />
WIENER SECESSIONSGEBÄUDES<br />
11
005 | GRUSS VOM TIVOLI: POSTKARTE<br />
VON GUSTAV KLIMT AN SEINEN<br />
NEFFEN JULIUS ZIMPEL | 1909<br />
Privatbesitz<br />
„Eine männlich-schöne Erscheinung: die<br />
Gestalt von Mittelgröße, fast stämmig in<br />
ihrer kraftvollen Ebenmäßigkeit, aber<br />
turnerhaft biegsam <strong>und</strong> schlank; Hanteln<br />
liegen umher, <strong>und</strong> so sieht er aus: wie<br />
jener Held in Maupassants Notre coeur,<br />
der täglich die stählernen Muskeln spielen<br />
lässt, ehe er in das dolce far niente<br />
seiner Träume versinkt. Die Kleidung<br />
gewählt nach dem letzten Schnitt, sogar<br />
ein bisschen betont modern. Der dichte<br />
braune Bart wohlgepflegt, das Kopfhaar,<br />
das sich gern ein wenig kräuseln möchte,<br />
sorgsam nach links <strong>und</strong> rechts geteilt,<br />
die Nase von fröhlicher Wiener Art <strong>–</strong><br />
wenn er mit offenem Rock,<br />
den Hut etwas ins Gesicht<br />
gezogen, leichten Schrittes<br />
so durch die Gassen geht,<br />
könnte man leicht glauben,<br />
einen munteren Herrn zu<br />
sehen, den es zieht, sein<br />
Amüsement zu suchen.<br />
12
006 | GUSTAV KLIMT IN SCHÖNBRUNN AUF DEM WEG ZUM TIVOLI | 1914<br />
Silbergelatine, Privatbesitz<br />
<strong>Klimt</strong> war Frühaufsteher <strong>und</strong> spazierte nahezu täglich am<br />
frühen Morgen in das Café Tivoli neben dem Schloss Schönbrunn.
Gustav<br />
<strong>Klimt</strong><br />
16<br />
Als das alte Österreich-Ungarn in Trümmern<br />
lag, starb auch Gustav <strong>Klimt</strong> <strong>–</strong> am<br />
6. Februar 1918 in Wien an den Folgen<br />
eines Schlaganfalls. <strong>Klimt</strong> wurde nur 56<br />
Jahre alt, genau wie sein Vater <strong>und</strong> genau,<br />
wie er es für sich selbst vorhergesagt<br />
hatte.<br />
Welch ein Künstler, was für eine Persönlichkeit!<br />
Ein Mann, der zeit seines <strong>Leben</strong>s<br />
mit sich rang, höchste Ansprüche an seine<br />
Kunst stellte <strong>und</strong> nichts weniger als eine<br />
kulturelle Revolution erreichen wollte.<br />
Der gleichzeitig mit sich haderte, zweifelte<br />
<strong>und</strong> überbordend liebte. <strong>Klimt</strong> ist heute<br />
unbestritten ein international anerkannter<br />
Künstler, der auch durch die millionenfache<br />
Reproduktion des immer Gleichen<br />
nicht zu einer „Kalenderblatt-Ikone“ herabgewürdigt<br />
werden kann. Selbst kuriose<br />
Geschenkartikel scheinen seinem <strong>Werk</strong>
„Gustav <strong>Klimt</strong>.<br />
Ein Künstler von<br />
unglaublicher<br />
Vollendung. Ein<br />
Mensch von seltener<br />
Tiefe. Sein <strong>Werk</strong><br />
ein Heiligtum.“ 2<br />
EGON SCHIELE<br />
Nachruf auf Gustav <strong>Klimt</strong><br />
nichts anhaben zu können. Das Liebespaar<br />
aus Porzellan in einer Spieluhr oder<br />
Badeenten im <strong>Klimt</strong>-Outfit zeugen eher<br />
noch von der Qualität seines <strong>Werk</strong>es. Dass<br />
beides nebeneinander bestehen kann, ist<br />
das Verdienst einer der wichtigsten <strong>und</strong><br />
interessantesten Künstlerpersönlichkeiten<br />
des beginnenden 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, die<br />
schon zu Lebzeiten großen Einfluss auf<br />
ihre Zeitgenossen ausübte.<br />
008 | GUSTAV KLIMT | UM 1887<br />
Silbergelatine, Belvedere, Wien<br />
<strong>Klimt</strong> war von der Fotografie<br />
als künstlerischem Hilfsmittel sehr angetan.<br />
Bei dem im Nachbarhaus seines Ateliers<br />
untergebrachten Fotoatelier von Karl<br />
Schuster konnte er das Medium eingehend<br />
studieren <strong>und</strong> erproben. Dabei entstand<br />
wohl auch diese Aufnahme.<br />
17
019 | MORIZ NÄHR: GUSTAV KLIMTS<br />
GEBURTSHAUS IN DER LINZER<br />
STRASSE 247 IN WIEN | 1918<br />
Silbergelatine, Privatbesitz<br />
018 | GUSTAV KLIMT: KINDERBILDNIS | UM 1883<br />
Öl auf Elfenbein, Silberfassung, 4 cm, Privatbesitz<br />
Schon in seiner Kindheit malte Gustav <strong>Klimt</strong> Miniaturporträts nach<br />
Fotografien, die sein Vater inSilberfassungen montierte <strong>und</strong> verkaufte.<br />
<strong>Klimt</strong>s Geburtshaus stand im ländlichen<br />
Baumgarten, einem ehemaligen Vorort Wiens.<br />
Das Gebäude wurde 1967 abgebrochen.<br />
24<br />
Gustav <strong>Klimt</strong> stammte aus armen<br />
V erhältnissen, aufgewachsen zusammen<br />
mit zwei Brüdern <strong>und</strong> vier Schwestern,<br />
der Vater ein einfacher Goldgraveur mit<br />
böhmischen Wurzeln, in dessen Fußstapfen<br />
der erstgeborene Sohn Gustav<br />
treten sollte. Gold, das Material <strong>und</strong><br />
die Farbe seines <strong>Leben</strong>s, wurde ihm<br />
sozusagen schon in die Wiege gelegt.<br />
Zeitlebens bildeten die engste Familie<br />
<strong>und</strong> das Wissen um die prekäre Situation<br />
der Anfangsjahre das feste Band,<br />
das dem fragenden, suchenden, kreativen<br />
Menschen <strong>Klimt</strong> den notwendigen Rückhalt<br />
in seinem <strong>Leben</strong> geben sollte. Alle<br />
Söhne der Familie, Gustav, der älteste,<br />
sowie die Brüder Ernst <strong>und</strong> Georg folgten<br />
der künstlerischen Begabung des Vaters,<br />
studierten an der Kunstgewerbeschule<br />
des k. k. Österreichischen Museums für<br />
Kunst <strong>und</strong> Industrie in Wien <strong>und</strong> verdienten<br />
ihren ersten <strong>Leben</strong>sunterhalt in<br />
diesem Metier. Das Gehalt eines selbstständigen<br />
Graveurs reichte allerdings<br />
kaum aus, die neunköpfige Familie zu<br />
ernähren, alle Söhne waren daher in der<br />
Pflicht, ihre schmalen Verdienste mit<br />
der Familie zu teilen. Dass die Eltern<br />
trotz der finanziellen Schwierigkeiten<br />
die Ausbildung <strong>und</strong> das Talent der Söhne<br />
unterstützten, sei ihnen noch heute hoch<br />
angerechnet.<br />
020 | KARL SCHUSTER: GUSTAV KLIMT<br />
MIT GEHSTOCK UND GIRARDIHUT | 1892<br />
Silbergelatine, Wien Museum
033 | MORIZ NÄHR: GUSTAV KLIMT VOR SEINEM<br />
ATELIER IN DER JOSEFSTÄDTER STRASSE 21 | 1911<br />
Silbergelatine, Privatbesitz
034 | ANTON JOSEF TRČKA:<br />
GUSTAV KLIMT IM MANTEL | 1914<br />
Silbergelatine, Privatbesitz<br />
Ab 1901 zeigt sich Gustav <strong>Klimt</strong> auch<br />
öffentlich in seinem blauen Malerkittel.<br />
An den Schultern ließ er sich von<br />
Mitgliedern der Wiener <strong>Werk</strong>stätte<br />
gezeichnete Ornamente sticken.<br />
Der Erfolg <strong>und</strong> die Anerkennung der<br />
Arbeiten der Künstler-Compagnie ermöglichten<br />
es den drei Fre<strong>und</strong>en, 1892<br />
in ein Atelier in der Josefstadt zu ziehen.<br />
„Es war in der Josefstädter Straße 21,<br />
in einem Garten <strong>–</strong> einem der alten, ver bor -<br />
genen Gärten, an denen gerade die Josefstadt<br />
noch so reich ist <strong>–</strong>, wo am Ende, von<br />
hohen Bäumen umschattet, ein niedriges<br />
mehrfenstriges Häuschen stand.<br />
Durch eine verglaste Tür kam man zuerst<br />
in einen Vorraum, wo aufgespannte Leinwandrahmen<br />
<strong>und</strong> sonstiges Mal material<br />
aufgestapelt waren, <strong>und</strong> daneben schlossen<br />
sich drei weitere Arbeitsräume an. Am Fußboden<br />
lagen H<strong>und</strong>erte von Handzeichnungen<br />
umher. <strong>Klimt</strong> trug stets einen blauen,<br />
bis an die Fersen reichenden, großfaltigen<br />
Kittel. So kam er entgegen, wenn an die<br />
Glastür Besucher <strong>und</strong> Modelle klopften“, 7<br />
Zwischen Blumen <strong>und</strong> Efeu ging man hin.<br />
So schilderte Egon Schiele seine Eindrücke<br />
von der langjährigen Kunstwerkstatt<br />
<strong>Klimt</strong>s.<br />
35
„Ich habe keine Zeit,<br />
mich persönlich in<br />
dieses Gezänke einzumengen.<br />
Es ist mir auch<br />
schon zu dumm, immer<br />
<strong>und</strong> immer wieder gegen<br />
dieselben starrköpfigen<br />
Leute aufzutreten. Wenn<br />
ich ein Bild fertig<br />
hab‘, so will ich nicht<br />
noch Monate verlieren,<br />
es vor der ganzen Menge<br />
zu rechtfertigen.<br />
Für mich entscheidet<br />
nicht, wie vielen es<br />
gefällt, sondern wem<br />
es gefällt. Nun <strong>und</strong> <strong>–</strong><br />
ich bin zufrieden.“ 10<br />
GUSTAV KLIMT<br />
Wiener Morgenzeitung, 22. März 1901<br />
47<br />
050 | MORIZ NÄHR: GUSTAV<br />
KLIMT IN DER SECESSION | 1902<br />
Silbergelatine, Privatbesitz
Goldraus<br />
50<br />
Der Goldgr<strong>und</strong>, der im 4. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
n. Chr. von Byzanz aus Europa eroberte,<br />
war ursprünglich Heiligen- <strong>und</strong> Herr scherbild<br />
nissen vorbehalten. Gold galt als<br />
Symbol der Sonne <strong>und</strong> stand für die trans -<br />
zendente Sphäre des Göttlichen. Wie<br />
jeder Künstler machte sich auch <strong>Klimt</strong> in<br />
Begleitung seiner Malerfre<strong>und</strong>e mehrfach<br />
auf den Weg nach Italien. Am 3. Mai 1899<br />
besuchte er mit der damals 19-jährigen<br />
Alma Schindler (verh. Alma Mahler) die<br />
Basilica di San Marco in Venedig. Alma<br />
erinnert sich an das gemeinsame Erlebnis:<br />
„In der Früh Marcuskirche. Beim Eintritt:<br />
grau, mit Goldgeflimmer, beim Nähertreten<br />
die herrlichen Mosaiks.“ Die<br />
„Goldene Periode“ <strong>Klimt</strong>s fand hier<br />
wohl definitiv ihren Anfang. Wiederholt<br />
besuchte <strong>Klimt</strong> Venedig <strong>und</strong> reiste 1903<br />
nach Ravenna, wo die erhebende Wirkung<br />
der Goldmosaiken in der frühchristlichen<br />
Kirche San Vitale nachhaltigen Eindruck<br />
hinterließ: „Gestern Abend bei Regen<br />
wohlbehalten hier angekommen <strong>–</strong> ganze<br />
Nacht Gussregen <strong>–</strong> sogar im Hotelzimmer<br />
vom Plafond herunter <strong>–</strong> heute endlich<br />
Sonne <strong>–</strong> in Ravenna viel Armseliges <strong>–</strong> die<br />
Mosaiken von unerhörter Pracht.“ 12
ch<br />
053 | GUSTAV KLIMT:<br />
SALOME | 1909<br />
Öl auf Leinwand, 178 x 46 cm,<br />
Galleria Internazionale<br />
d´Arte Moderna, Ca´ Pesaro,<br />
Fondazione Musei Civici Venezia<br />
052 | GUSTAV KLIMT:<br />
JUDITH | 1901 | DETAIL<br />
Öl, Blattgold, Goldfarbe<br />
auf Leinwand, 84 x 42 cm,<br />
Belvedere, Wien<br />
Die Assoziation von Tod <strong>und</strong><br />
Sexualität, von Eros <strong>und</strong><br />
Thanatos hat nicht nur <strong>Klimt</strong><br />
<strong>und</strong> Sigm<strong>und</strong> Freud fasziniert,<br />
sondern das ganze Europa der<br />
damaligen Zeit.<br />
51
Die<br />
Fraue<br />
58<br />
<strong>Klimt</strong>, der Maler der Frauen <strong>–</strong> jedes seiner<br />
Frauenporträts ist umwoben von einem<br />
Gespinst aus Gerüchten, Mutmaßungen,<br />
Belegen oder Vermutungen über die erotischen<br />
Eskapaden dieses Malers. „Ohne<br />
Frauen, die sich seiner Kunst als Morgengabe<br />
darbringen, ist <strong>Klimt</strong> schlechtweg<br />
<strong>und</strong>enkbar. Wie ein Gewinde blühender<br />
Blumen umstehen sie gleichsam sein<br />
<strong>Werk</strong>. Wienerinnen sind es, Mädchen des<br />
Volkes <strong>und</strong> Damen der vornehmen Gesellschaft,<br />
Jüdinnen <strong>und</strong> Aristokratinnen. Er<br />
kannte sie genau, lebte gleichsam in ihrem<br />
Duftkreise. Und er wurde ihr Ruhmesverkünder<br />
<strong>–</strong> einer der ganz wenigen, die<br />
die moderne europäische Frau überhaupt<br />
gef<strong>und</strong>en hat“, schrieb 1912 der Journalist<br />
Franz Servaes über Gustav <strong>Klimt</strong>.
n<br />
058 | GUSTAV KLIMT: MARIE HENNEBERG | 1901/02<br />
Öl auf Leinwand, 140 x 140 cm, Staatliche Galerie Moritzburg,<br />
Halle a. d. Saale
063 | GUSTAV KLIMT UND<br />
EMILIE FLÖGE | UM 1899<br />
Ferrotypie, Privatbesitz<br />
Emilie<br />
64<br />
Der „<strong>Leben</strong>smensch“ Gustav <strong>Klimt</strong>s,<br />
seine Wegbegleiterin, Vertraute <strong>und</strong><br />
Geliebte Emilie Flöge nahm eine ganz<br />
besondere Rolle in seinem <strong>Leben</strong> ein.<br />
Vielleicht auch oder gerade, weil sie sich<br />
den Künstler mit anderen Frauen teilen<br />
musste. <strong>Klimt</strong>s <strong>Leben</strong> war von Frauen<br />
bestimmt, er brauchte sie, liebte sie,<br />
benutzte <strong>und</strong> bezahlte sie. Er teilte mit<br />
seiner Mutter <strong>und</strong> seinen beiden Schwestern<br />
Hermine <strong>und</strong> Klara die Wohnung<br />
in der Westbahnstraße, sie führten ihm<br />
den Haushalt, er zeugte angeblich bis zu<br />
14 Kinder, hatte mehrere Affären gleichzeitig,<br />
<strong>und</strong> doch blieb Emilie Flöge die<br />
einzige wirkliche „Beziehung“ in seinem<br />
<strong>Leben</strong>.<br />
Sehr wahrscheinlich dürfte der Kontakt<br />
zwischen Emilie Flöge <strong>und</strong> Gustav<br />
<strong>Klimt</strong> über dessen Bruder Ernst zustande<br />
gekommen sein. Ernst <strong>Klimt</strong> hat Emilies<br />
Schwester Helene 1891 kennengelernt.<br />
Zahlreiche gemeinsame Reisen, meist<br />
an den Attersee, vertieften das familiäre<br />
<strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftliche Verhältnis. Die<br />
folgenden Sommermonate verbrachte
064 | EMILIE FLÖGE UND GUSTAV KLIMT IM GARTEN DER<br />
VILLA OLEANDER IN KAMMERL AM ATTERSEE | 1910<br />
Silbergelatine, Privatbesitz
Alma<br />
76<br />
Als im April 1897 in Wien die revolutionäre<br />
„Secession“ gegründet wurde, ging<br />
<strong>Klimt</strong> als ihr Präsident fast täglich bei<br />
seinem Kollegen Carl Moll, der als Vizepräsident<br />
amtierte, ein <strong>und</strong> aus. Viele<br />
Künstler verkehrten dort, unter ihnen<br />
auch Joseph Maria Olbrich, Josef Hoffmann<br />
<strong>und</strong> Koloman Moser. <strong>Klimt</strong> traf<br />
dort auf Molls erst 17-jährige Tochter<br />
Alma <strong>und</strong> fand sofort Gefallen an dem<br />
intelligenten, hübschen Mädchen. Alma<br />
ihrerseits fühlte sich angezogen von dem<br />
schon als Verführer bekannten Maler <strong>und</strong><br />
verliebte sich in ihn. Sie vertraute ihre<br />
Gefühle <strong>und</strong> Erlebnisse ihrem Tagebuch<br />
an, das erst 1960 veröffentlicht wurde:<br />
„Gustav <strong>Klimt</strong> wurde der erste Präsident.<br />
Als sehr junges Ding lernte ich ihn bei<br />
einer dieser geheimen Zusammenkünfte<br />
kennen. Er war der begabteste von allen,<br />
fünf<strong>und</strong>dreißigjährig, in der Fülle seiner<br />
Kraft, schön in jedem Sinne <strong>und</strong> schon<br />
damals hochberühmt. Seine Schönheit<br />
<strong>und</strong> meine frische Jugend, seine Genialität,<br />
meine Talente, unser beider tiefe<br />
<strong>Leben</strong>smusikalität stimmten uns auf<br />
gleichen Ton. Ich war von einer sträflichen<br />
Ahnungslosigkeit in Dingen der Liebe <strong>–</strong> er<br />
erfühlte <strong>und</strong> fand mich überall. Er war an<br />
h<strong>und</strong>ert Orten geb<strong>und</strong>en: Frauen, Kinder,<br />
ja Schwestern, die aus Liebe zu ihm einander<br />
feind wurden.“ 19<br />
<strong>Klimt</strong> folgte Alma während einer Urlaubsreise<br />
bis nach Italien. Sie trafen sich<br />
heimlich, <strong>und</strong> Alma war bereit, ihm ewige<br />
Treue zu schwören. Der erste Kuss
077 | RICORDO DEL LIDO | 2. MAI 1899<br />
Sitzend von l n r: Alma Maria Schindler,<br />
Wilhelm Legler, Grete Schindler,<br />
Stehend von l n r: Carl Moll, Josef Engelhart,<br />
Hugo Henneberg, Gustav <strong>Klimt</strong><br />
Ferrotypie, Alma Mahler-Archiv,<br />
Philadelphia<br />
zwischen den Liebenden wurde von<br />
Carl Moll entdeckt <strong>und</strong> führte zu einem<br />
schweren Zerwürfnis zwischen den<br />
Männern. Moll zwang <strong>Klimt</strong> zur Abreise<br />
<strong>und</strong> dieser musste versprechen, sich in<br />
Zukunft von Alma fernzuhalten.<br />
Ein 13-seitiger Entschuldigungsbrief<br />
von <strong>Klimt</strong> an Almas Stiefvater Carl Moll<br />
vom 19. Mai 1899 zeugt <strong>–</strong> wie der fast<br />
zeitgleich entstandene Brief an Marie<br />
Zimmermann, die ein Kind von ihm<br />
erwartet <strong>–</strong> von der aus den Fugen geratenen<br />
Verfassung des Malers: „Alma<br />
ist schön, ist klug, geistreich, sie hat<br />
alles, was ein anspruchsvoller Mann von<br />
einem Weibe verlangen kann, im reichsten<br />
Maße, ich glaube, wo sie hinkommt,<br />
hinschaut in die Männerwelt, ist sie<br />
078 | ALMA MARIA SCHINDLER | UM 1900
092 | OSKAR KOKOSCHKA: PLAKAT<br />
KUNSTSCHAU 1908 | 1908<br />
Farblithografie, 97 x 67 cm, Privatbesitz<br />
1908<br />
Kunstsch<br />
88<br />
1908 fand auf dem Gelände des heutigen<br />
Wiener Konzerthauses die „Kunstschau“ 22<br />
statt, eine Kunst- <strong>und</strong> Kunsthandwerksausstellung,<br />
die anlässlich des 60-jährigen<br />
Thronjubiläums von Kaiser Franz<br />
Joseph I. abgehalten wurde. Gustav<br />
<strong>Klimt</strong> <strong>und</strong> Josef Hoffmann bildeten das<br />
Ausstellungskomitee, das besonderen<br />
Wert auf die Durchdringung von Kunst<br />
<strong>und</strong> Architektur legte. Diese Ausstellung<br />
mit mehr als 900 Objekten zählt heute<br />
zu den bahnbrechenden Ereignissen der<br />
Wiener Moderne. In seiner Eröffnungsrede<br />
formu lierte <strong>Klimt</strong> den Anspruch der<br />
ausstellenden Künstler, Kunst <strong>und</strong> <strong>Leben</strong><br />
zusammenzuführen. Die Künstler hätten<br />
sich „eigens zum Zweck dieser Ausstellung<br />
zusammengef<strong>und</strong>en, verb<strong>und</strong>en<br />
einzig durch die Überzeugung, dass kein<br />
Gebiet menschlichen <strong>Leben</strong>s zu unbedeutend<br />
<strong>und</strong> gering ist, um künstlerischen<br />
Bestrebungen Raum zu bieten, dass, um<br />
mit den Worten Morris‘ zu sprechen,<br />
auch das unscheinbarste Ding, wenn es<br />
vollkommen ausgeführt wird, die Schönheit<br />
dieser Erde vermehren hilft, <strong>und</strong><br />
dass einzig in der immer weiter fortschreitenden<br />
Durchdringung des ganzen<br />
<strong>Leben</strong>s mit künstlerischen Absichten der<br />
Fortschritt der Kultur gegründet ist.“ 23
093 | KUNSTSCHAU 1908<br />
Silbergelatine, Privatbesitz Rechts außen Gustav <strong>Klimt</strong>.<br />
094 | DER GUSTAV KLIMT GEWIDMETE<br />
AUSSTELLUNGSRAUM NR. 22 | IN DER KUNSTSCHAU 1908<br />
Repr. aus Die Kunst, X. Jg., Bd. 18, München 1908, S. 523<br />
au<br />
Koloman Moser gestaltete den <strong>Klimt</strong>-Saal,<br />
das künstlerische Zentrum der Schau,<br />
den <strong>Klimt</strong> mit 16 Gemälden ausstattete.<br />
Die Monumentalikone Liebespaar (Der<br />
Kuss) stand <strong>–</strong> obwohl noch unfertig <strong>–</strong><br />
sofort im Mittelpunkt des Interesses aller<br />
Besucher. Und noch während der Kunstschau<br />
erwarb das k. k. Ministerium für<br />
Cultus <strong>und</strong> Unterricht auf einstimmigen<br />
Vorschlag der Kunstkommission Gustav<br />
<strong>Klimt</strong>s Monumentalikone für die Moderne<br />
Galerie. 24 Die Schriftstellerin <strong>und</strong> Kunstkritikerin<br />
Berta Zuckerkandl feierte<br />
das Ereignis in der Wiener Allgemeinen<br />
Zeitung: „Endlich ist ein unbe greifliches<br />
Versäumnis gutgemacht worden. Endlich<br />
ist die kaum glaubliche Tatsache,<br />
dass Österreichs Moderne Galerie von<br />
Österreichs größtem Meister kein repräsentatives<br />
<strong>Werk</strong> bis jetzt besessen,<br />
aus der Welt geschaffen. Dem Ministerium<br />
Marchet blieb es vorbehalten, die<br />
<strong>Klimt</strong>-Angst, die seit Jahren in gewissen<br />
wohldenkenden bürokratischen Kreisen<br />
herrschte, überw<strong>und</strong>en zu haben.“ 25 Der<br />
exorbitant hohe Ankaufspreis <strong>–</strong> der Betrag<br />
sollte in zwei gleich großen Raten an den<br />
Künstler angewiesen werden 26 <strong>–</strong> versteht<br />
sich sehr wahrscheinlich als eine Art<br />
„Ausgleichszahlung“, mit der Gustav<br />
89
Attersee<br />
96<br />
Um die Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts entdeckten<br />
die Wiener den Attersee als Ziel<br />
<strong>und</strong> Refugium für ihre Sommerfrische.<br />
Nach <strong>und</strong> nach verbesserten sich die<br />
Reisebedingungen, eine Zugverbindung<br />
ersetzte den mühevollen Eselsritt, was<br />
eine stetige Zunahme des Tourismus <strong>und</strong><br />
die Entstehung einer Vielzahl von großbürgerlichen<br />
Sommervillen <strong>und</strong> Hotels<br />
am Ufer des Sees zur Folge hatte. Heute<br />
kann in der Gegend um den Attersee noch<br />
immer das Wirken <strong>Klimt</strong>s nachvollzogen<br />
werden. Die meisten seiner nahezu 50<br />
Landschaften sind hier entstanden oder<br />
durch diese Region inspiriert worden.<br />
<strong>Klimt</strong> kam erstmals im Sommer 1900 auf<br />
Einladung der Familie Paulick an den<br />
Attersee. Von da an verbrachte er so viel<br />
Zeit wie möglich in der für die bürger lichen<br />
Städter so angenehmen wie notwendigen<br />
Sommerfrische. Viele Fotoaufnahmen<br />
dokumentieren ausgedehnte Ruderbootausflüge<br />
zusammen mit Emilie, entspannte<br />
Spiele mit Gertrude, der Tochter von<br />
Hermann Flöge <strong>und</strong> zeigen Schnappschüsse<br />
<strong>und</strong> Freizeitaktivitäten während<br />
des Sommers in der Villa Paulick. <strong>Klimt</strong><br />
versuchte, diese Sommertage wenn möglich<br />
mit Emilie abzustimmen, oft reiste sie<br />
aber schon voraus, weil er seine Arbeiten<br />
in Wien nicht rechtzeitig abschließen<br />
konnte. 1901 schreibt er an Emilie:
100 | RUDOLF VON<br />
ALT: VILLA PAULICK<br />
IN SEEWALCHEN AM<br />
ATTERSEE | 1878<br />
Aquarell, Privatbesitz<br />
101 | GUSTAV KLIMT UND EMILIE IM<br />
RUDERBOOT, SEEWALCHEN AM ATTERSEE | 1909<br />
Silbergelatine, Privatbesitz
soll komm<br />
„Die<br />
Emilie<br />
112<br />
Am Morgen des 11. Januar 1918 erlitt<br />
<strong>Klimt</strong> einen Schlaganfall, der ihn halbseitig<br />
lähmte. Nach den Aufzeichnungen<br />
seiner Schwester Hermine, die gleich zu<br />
ihm eilte, waren seine ersten Worte deutlich:<br />
„die Emilie soll kommen“. Emilie<br />
Flöge, sein „<strong>Leben</strong>smensch“, zu der er<br />
zeit seines <strong>Leben</strong>s das größte Vertrauen<br />
aufgebaut hatte, die ihn in- <strong>und</strong> auswendig<br />
kannte <strong>und</strong> die auch in Notzeiten<br />
immer für ihn da war. Sie sollte ihn auch<br />
auf seinem letzten Weg begleiten. <strong>Klimt</strong><br />
starb am 6. Februar 1918.<br />
Vermögen hinterließ <strong>Klimt</strong> keines,<br />
obwohl er immer Höchstpreise für seine<br />
Bilder erzielen konnte. Er hatte nie etwas<br />
für Sparen übrig, das meiste Geld gab<br />
er für seinen <strong>Leben</strong>sunterhalt <strong>und</strong> den<br />
seiner Familie aus, die Materialkosten für<br />
seine <strong>Werk</strong>e waren immens, seine Modelle<br />
bezahlte er verhältnismäßig üppig.<br />
<strong>Klimt</strong>s Verhältnis zu Geld <strong>und</strong> Vermögen<br />
blieb ein praktisches, auch mit zunehmendem<br />
Erfolg gönnte er sich selbst<br />
kaum Luxus. <strong>Klimt</strong> war kein Malerfürst,<br />
kein in Rausch <strong>und</strong> Exzessen seinen
en!“<br />
118 | GUSTAV KLIMT: DAME MIT FÄCHER | 1917<br />
Öl auf Leinwand, 100 x 100 cm, Privatbesitz<br />
Ruhm feiernder Potentat: „Es bleibt eine<br />
üble Gemeinheit, Kapitalien anzuhäufen.<br />
Das verdiente Geld muss man trachten,<br />
rasch auszugeben. Könnte man alle<br />
Menschen dazu verpflichten, dann hätte<br />
sicherlich alle wirtschaftliche Not der<br />
Erde ihr endliches Ende.“ 36<br />
Nach seinem Tod teilten Emilie Flöge<br />
<strong>und</strong> seine beiden Schwestern sowie sein<br />
Bruder Georg die in seinem Atelier aufgef<strong>und</strong>enen<br />
Grafiken <strong>und</strong> unvollendeten<br />
Bilder unter sich auf.<br />
119 | MORIZ NÄHR: GUSTAV KLIMTS<br />
ATELIER IN DER FELDMÜHLGASSE | 1918<br />
Silbergelatine, Privatbesitz<br />
113
129 | ANTON JOSEF TRČKA: GUSTAV KLIMT | 1914<br />
Bromöldruck, Privatbesitz
„Die Kunst hat<br />
Gewaltiges<br />
verloren, die<br />
Menschheit<br />
mehr.“ 38<br />
AUSSCHNITT AUS DER TODESANZEIGE<br />
FÜR GUSTAV KLIMT VOM<br />
„BUND ÖSTERREICHISCHER KÜNSTLER“<br />
AM 7. FEBRUAR 1918<br />
123