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Ausgabe 4-2011 - I-g-z.de

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17. Jahrgang<br />

VKZ 17248<br />

IGZ<br />

DIE ALTERNATIVE<br />

4<br />

<strong>2011</strong><br />

Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin<br />

Pro und Contra zum Vorschlag <strong>de</strong>s FVDZ<br />

Editorial:<br />

Am Anfang stand <strong>de</strong>r Leistungswille ........................ 3<br />

Dr. Karl-Heinz Sundmacher:<br />

Das Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin <strong>de</strong>s Freien<br />

Verban<strong>de</strong>s Deutscher Zahnärzte (FVDZ) ................. 4<br />

Matthias Ernst / Prof. Dr. Wolfgang Seger:<br />

Die historische Entwicklung <strong>de</strong>s politischen Konzeptes<br />

<strong>de</strong>r Gesundheitsprämie / Kopfpauschale.....8<br />

Dr. Wolfgang Eßer:<br />

Qui bono? Zum Vorschlag <strong>de</strong>s FVDZ zur<br />

Einführung eines Prämienmo<strong>de</strong>lls Zahnmedizin. 11<br />

Dr./RO Eric Banthien:<br />

Das Prämienmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s FVDZ................................... 14<br />

Dr. Thomas Einfeldt:<br />

Zahnmedizin raus aus <strong>de</strong>r GKV?<br />

Zum Vorschlag <strong>de</strong>s FVDZ............................................ 16<br />

Anna Sax:<br />

Solidarität mit Schönheitsfehlern<br />

Das Schweizer Finanzierungsmo<strong>de</strong>ll als<br />

sozialpolitische Herausfor<strong>de</strong>rung............................ 17<br />

Interessengemeinschaft Zahnärztlicher Verbän<strong>de</strong><br />

in Deutschland IGZ e.V.


eDItOrIaL |<br />

Benn Roolf<br />

Am Anfang stand <strong>de</strong>r Leistungswille<br />

und nicht das Anspruchs<strong>de</strong>nken.<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

es scheint eine gewisse Müdigkeit zu geben, über große<br />

Entwürfe für das <strong>de</strong>utsche Gesundheitssystem zu<br />

re<strong>de</strong>n. Das betrifft auch die Diskussion um das Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

Zahmedizin - ein Vorschlag <strong>de</strong>s Freien<br />

Verban<strong>de</strong>s Deutscher Zahnärzte, <strong>de</strong>r die Herausnahme<br />

<strong>de</strong>r Zahnmedizin aus <strong>de</strong>r heutigen Finanzierung<br />

<strong>de</strong>r Gesetzlichen Krankenversicherungen vorsieht<br />

und alternativ die zahnärztlichen Leistungen aus einkommensunabhängigen<br />

Prämien finanzieren will. Ein<br />

Konzept, das <strong>de</strong>n großen Wurf will und keine kleinen<br />

Schritte. Und das mit guten Grün<strong>de</strong>n:<br />

Wir stehen vor dramatischen <strong>de</strong>mografischen Problemen<br />

- das streitet heute niemand ernsthaft ab.<br />

Auf Grund <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Zahl älterer Menschen<br />

wer<strong>de</strong>n die Aufwendungen für Rente und Gesundheit<br />

explodieren. Gleichzeitig sinkt die Zahl <strong>de</strong>r Beitragszahler.<br />

In <strong>de</strong>r gesetzlichen Rentenversicherung<br />

be<strong>de</strong>uten weniger Beitragszahler weniger Beitrag und<br />

damit weniger Rente für die Rentner. Die langfristige<br />

Absenkung <strong>de</strong>r gesetzlichen Rente ist inzwischen<br />

beschlossen und die entstan<strong>de</strong>ne Rentenlücke muss<br />

eigenverantwortlich mit privater Altersvorsorge ausgeglichen<br />

wer<strong>de</strong>n. Im Bereich <strong>de</strong>r Krankenversicherung<br />

sieht es an<strong>de</strong>rs aus. Hier wird <strong>de</strong>r voraussehbar<br />

stärkere Bedarf - <strong>de</strong>r Kieler Gesundheitsökonom<br />

Fritz Beske geht von einer Verdreifachung <strong>de</strong>r Gesundheitsausgaben<br />

bis zum Jahre 2060 aus - von<br />

<strong>de</strong>r Politik noch ignoriert. Und das, obwohl mehr<br />

o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r allen Beteiligten klar ist, dass bei gleichbleiben<strong>de</strong>n<br />

äußeren Parametern die Leistungen <strong>de</strong>r<br />

GKVen eingeschränkt wer<strong>de</strong>n müssen, weil sie aus<br />

<strong>de</strong>m begrenzten Beitragsaufkommen nicht mehr finanzierbar<br />

sind.<br />

Politik lebt von Zuspitzungen. Wer etwas verän<strong>de</strong>rn<br />

will, kontrastiert die Sachzwänge, um gehört zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Wer sich durch Prognosen bedroht fühlt, wird<br />

die Probleme kleinre<strong>de</strong>n, solange es möglich ist. So<br />

überrascht uns das wissenschaftliche Institut <strong>de</strong>r<br />

AOK, WIdO, im aktuellen Versorgungs-Report 2012<br />

„Gesundheit im Alter“ mit Berechnungen, nach <strong>de</strong>nen<br />

die Gesundheitsausgaben auf Grund <strong>de</strong>s wachsen<strong>de</strong>n<br />

Anteils älterer Menschen bis 2050 nur um 19% steigen<br />

sollen. Wiewohl man sich bei so viel Optimismus<br />

ungläubig die Augen reibt, zeigt doch die AOK-Veröffentlichung,<br />

dass die Zukunft nun begonnen hat und<br />

die Diskussion langsam in Gang kommt.<br />

Wie soll sich <strong>de</strong>r Berufsstand nun in diese Diskussion<br />

einbringen? Wolfgang Eßer fragt in seinem Beitrag<br />

völlig zu Recht, warum ausgerechnet die Zahnärzteschaft<br />

voranstürmen soll, um die Probleme <strong>de</strong>r GKV zu<br />

lösen. Dennoch kochen beim Thema Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

Zahnmedizin die Emotionen hoch, aber selbst viele<br />

von <strong>de</strong>nen, die prinzipiell hinter <strong>de</strong>m Vorschlag stehen,<br />

mögen ihn nicht auf die politische Tagesordnung<br />

setzen. Zu groß ist die Befürchtung, unkalkulierbare<br />

Risiken heraufzubeschwören. Zu frisch noch die Erinnerung<br />

an <strong>de</strong>n Scherbenhaufen, <strong>de</strong>n die stan<strong>de</strong>spolitische<br />

Fundamentalopposition hinterlassen hat.<br />

Und nicht zuletzt: Zu <strong>de</strong>utlich dürfte sein, dass <strong>de</strong>r<br />

Vorschlag <strong>de</strong>s FVDZ selbst unter <strong>de</strong>r schwarz-gelben<br />

Koalition aktuell kaum eine Chance hat.<br />

Warum diskutieren wir also <strong>de</strong>nnoch über das Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

Zahnmedizin? Die Antwort lautet: Weil das<br />

Konzept - abseits aller Inhalte, aller realistischen und<br />

unrealistischen Gestaltungsvorschläge - auch einen<br />

kulturellen Konflikt artikuliert. Es geht um das tiefe<br />

Unbehagen eines Angehörigen <strong>de</strong>r Freien Berufe inmitten<br />

eines politischen Klimas von Vollversorgungsmentalität,<br />

Anspruchs<strong>de</strong>nken und Flatratemedizin.<br />

Die hartnäckige For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Zahnärzteschaft, die<br />

Budgetflatrate zugunsten einer am tatsächlichen Leistungsgeschehen<br />

orientierten Entlohnung zurückzuschrauben,<br />

war nicht nur <strong>de</strong>r legitime Einsatz für die<br />

eigenen Interessen, son<strong>de</strong>rn vor allem auch ein Ausdruck<br />

<strong>de</strong>r Empörung über die Verkehrung von Werten.<br />

Es war schlicht ein Skandal, das Morbiditätsrisiko<br />

von <strong>de</strong>n Schultern <strong>de</strong>r Krankenkassen zu nehmen<br />

und <strong>de</strong>n Zahnärzten aufzubür<strong>de</strong>n - eine Entscheidung,<br />

die nun zumin<strong>de</strong>st teilweise korrigiert wur<strong>de</strong>.<br />

Was bleibt, ist ein tiefsitzen<strong>de</strong>s Misstrauen <strong>de</strong>r Kolleginnen<br />

und Kollegen gegenüber <strong>de</strong>r Politik, das immer<br />

wie<strong>de</strong>r neue Nahrung bekommt - wie im Fall <strong>de</strong>r<br />

enttäuschen<strong>de</strong>n GOZ-Novellierung. Teilhabe muss<br />

ernst gemeint sein und auf Augenhöhe stattfin<strong>de</strong>n -<br />

erst dann kann die Politik von <strong>de</strong>n Ressourcen ihrer<br />

Partner wirklich profitieren. Die Zahnärzteschaft hätte<br />

hier die klassischen Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Freiberuflichkeit<br />

einzubringen, ein liberaler Wertekanon, <strong>de</strong>r - in die<br />

Politik übertragen - einst <strong>de</strong>n wirtschaftlichen Aufstieg<br />

Deutschlands angestoßen hat. Am Anfang stand<br />

<strong>de</strong>r Leistungswille und nicht das Anspruchs<strong>de</strong>nken.<br />

Daran zu erinnern, dürfte heute nicht weniger produktiv<br />

als vor 150 Jahren sein.<br />

Benn Roolf<br />

Redakteur<br />

IGZ Die Alternative<br />

IGZ DIe Al t e r n A t I v e nr. 4/<strong>2011</strong> |<br />

3


| Sc h w e r p u n k t t h e m a<br />

Karl-Heinz Sundmacher<br />

Das Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

Zahnmedizin <strong>de</strong>s FVDZ<br />

Dr. Karl-Heinz Sundmacher<br />

Bun<strong>de</strong>svorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Freien<br />

Verban<strong>de</strong>s Deutscher Zahnärzte<br />

(FVDZ)<br />

Einleitung<br />

Wie immer, wenn eine For<strong>de</strong>rung nach Wan<strong>de</strong>l und<br />

Neuerung das Gewohnte und Eingefahrene in Frage<br />

stellt, kommen die „Realpolitiker“ aus <strong>de</strong>m Busch<br />

und stellen „systemrelevante“ Fragen. Diese haben<br />

zumeist <strong>de</strong>n Zweck, die Unmöglichkeit <strong>de</strong>s Projekts<br />

vom heutigen Standpunkt aus zu beweisen. Sie kranken<br />

allerdings daran, dass sie stillschweigend von <strong>de</strong>r<br />

„Alternativlosigkeit“ <strong>de</strong>s jetzigen Systems ausgehen,<br />

also nicht berücksichtigen, dass nach <strong>de</strong>m gefor<strong>de</strong>rten<br />

Systemwechsel an<strong>de</strong>re Parameter entschei<strong>de</strong>nd<br />

wer<strong>de</strong>n und die heutigen eingefahrenen Strukturen<br />

also nur sehr begrenzte Gültigkeit behalten wer<strong>de</strong>n.<br />

Solche Diskussionen sind dadurch charakterisiert,<br />

dass man aneinan<strong>de</strong>r vorbeire<strong>de</strong>t. Dieser Beitrag<br />

soll helfen, das Aneinan<strong>de</strong>rvorbeire<strong>de</strong>n zu been<strong>de</strong>n<br />

und eine sachliche und ergebnisoffene Diskussion<br />

anzustoßen.<br />

Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte arbeitet seit<br />

nahezu zwanzig Jahren systematisch an Lösungen,<br />

mit <strong>de</strong>nen angesichts <strong>de</strong>r Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>mographischen Wan<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>r kontinuierlich<br />

steigen<strong>de</strong>n Kostenbelastung durch <strong>de</strong>n medizinischtechnischen<br />

Fortschritt unser Gesundheitswesen zukunftsfester<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n kann. Natürlich unter<br />

beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>r Zahnmedizin, ihrer<br />

Stellung in <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung und<br />

ihres Stellenwertes in unserer Gesellschaft.<br />

Seit Anfang <strong>de</strong>r 1990er Jahre gibt es die For<strong>de</strong>rung<br />

nach einer Aufglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r zahn/medizinischen<br />

Leistungen <strong>de</strong>r GKV in Grund- und Wahlleistungen<br />

– gegen <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand aus Sozialverbän<strong>de</strong>n, Politikern<br />

und auch aus <strong>de</strong>n eigenen Reihen. Im Jahr<br />

2000 hat die Hauptversammlung <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s<br />

in Köln das Grundsatzpapier „Eckpunkte<br />

zur Neustrukturierung <strong>de</strong>s Gesundheitswesens“ verabschie<strong>de</strong>t,<br />

das „Grundsätze für eine obligatorische<br />

Krankenversicherung“ <strong>de</strong>finiert und „Vertrags- und<br />

Wahlleistungen als Grundlage für ein finanzierbares<br />

Gesundheitswesen“ for<strong>de</strong>rt.<br />

Zu <strong>de</strong>n Kernfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s gehört<br />

<strong>de</strong>s Weiteren, dass es im Zuge <strong>de</strong>r gefor<strong>de</strong>rten grundlegen<strong>de</strong>n<br />

Umstrukturierung <strong>de</strong>s Gesundheitswesens<br />

auch zu einem an<strong>de</strong>ren Finanzierungsmix kommt: Weniger<br />

von <strong>de</strong>r Hand in <strong>de</strong>n Mund (= Umlagefinanzierung<br />

über lohnbezogene Beiträge), mehr längerfristige<br />

Vorsorge (= kapitalge<strong>de</strong>ckte Finanzierung über<br />

Prämien). In einem ersten Schritt kann dies für <strong>de</strong>n<br />

Bereich Zahnmedizin erfolgen, <strong>de</strong>r, wie kein an<strong>de</strong>rer<br />

Leistungsbereich <strong>de</strong>r GKV, seit mehr als 30 Jahren<br />

von privatrechtlichen Strängen durchzogen ist.<br />

Das Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin<br />

Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r vorgenannten Überlegungen<br />

und geleitet von <strong>de</strong>r Gewissheit, dass in <strong>de</strong>n nächsten<br />

dreißig Jahren die Auswirkungen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mographischen<br />

Entwicklung und <strong>de</strong>s medizinisch-technischen Fortschritts<br />

eine dramatisch kritischer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Unterfinanzierung<br />

<strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung<br />

zur Folge haben wer<strong>de</strong>n, hat <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>svorstand <strong>de</strong>s<br />

FVDZ im ersten Halbjahr 2010 die Grundstrukturen<br />

eines Prämienmo<strong>de</strong>lls für die Finanzierung <strong>de</strong>s GKV-<br />

Bereichs Zahnmedizin beschrieben.<br />

Zur Absicherung <strong>de</strong>r theoretischen Ergebnisse hat<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>svorstand das „Institut für Mikrodatenanalyse“<br />

(Leiter: Dr. Thomas Drabinski) beauftragt,<br />

die Machbarkeit <strong>de</strong>r Vorstellungen <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s<br />

zu überprüfen. Die Studie mit <strong>de</strong>m Titel „Gesundheitsprämie<br />

im Mo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin“ liegt seit<br />

Juni 2010 vor.<br />

Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r oben erwähnten Beschreibung<br />

<strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>svorstands und <strong>de</strong>r Machbarkeitsstudie von<br />

Dr. Drabinski hat die Hauptversammlung <strong>de</strong>s Freien<br />

Verban<strong>de</strong>s im Oktober 2010 mit großer Mehrheit<br />

<strong>de</strong>n Beschluss zum „Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin“<br />

gefasst, mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Gesetzgeber aufgefor<strong>de</strong>rt wird<br />

„<strong>de</strong>n GKV-Leistungsbereich Zahnmedizin kurzfristig<br />

von <strong>de</strong>r Umlage- in die Prämienfinanzierung zu<br />

überführen.“ In einer ausführlichen Anlage wer<strong>de</strong>n<br />

die Grundzüge <strong>de</strong>s FVDZ-Mo<strong>de</strong>lls Zahnmedizin beschrieben<br />

(Stand: Oktober 2010):<br />

1. Der Leistungsbereich Zahnmedizin wird [Anm.:<br />

zum Stichtag X] aus <strong>de</strong>m Leistungskatalog <strong>de</strong>r<br />

GKV ausgeglie<strong>de</strong>rt. Der FVDZ schlägt vor, die Finanzierung<br />

durch einen einkommensunabhängigen<br />

Arbeitnehmerbeitrag („Prämie Zahnmedizin“)<br />

zu sichern.<br />

2. Es besteht die Pflicht zur Versicherung <strong>de</strong>r „Prämie<br />

Zahnmedizin“ – genau so, wie es heute für<br />

diesen Leistungsbereich die Pflichtversicherung<br />

GKV gibt.<br />

3. Unverän<strong>de</strong>rt besteht auch im „Mo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin“<br />

Kontrahierungszwang und Diskriminierungsverbot.<br />

4. Die „Prämie Zahnmedizin“ wird für je<strong>de</strong>n bisherigen<br />

GKV-Versicherten über 18 Jahre erhoben;<br />

Kin<strong>de</strong>r und Jugendliche unter 18 Jahren zahlen<br />

keine separate Prämie.<br />

4 | IGZ DIe Al t e r n A t I v e nr. 4/<strong>2011</strong>


Sc h w e r p u n k t t h e m a |<br />

5. Die heutigen Eckdaten für die Einstufung als „Härtefall“<br />

sollen auch im „Mo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin“ berücksichtigt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

6. Der Versicherte hat einen Leistungsanspruch,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m bisherigen GKV-Leistungsumfang entspricht.<br />

7. Die Berechnung <strong>de</strong>r „Startprämie“ erfolgt auf <strong>de</strong>r<br />

Basis <strong>de</strong>r aktuellsten verfügbaren Daten über die<br />

GKV-Leistungsausgaben für <strong>de</strong>n Gesamtbereich<br />

Zahnmedizin und <strong>de</strong>r Gesamtzahl <strong>de</strong>r GKV-Versicherten<br />

über 18 Jahre.<br />

8. Die Differenzierung <strong>de</strong>r „Startprämie“ nach Arbeitnehmer-<br />

und Arbeitgeberanteilen erfolgt auf<br />

<strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r aktuellen Rechtslage.<br />

9. Der allgemeine GKV-Beitragssatz muss um <strong>de</strong>n in<br />

die zahnmedizinische Prämienfinanzierung ausgeglie<strong>de</strong>rten<br />

Beitragssatzanteil abgesenkt wer<strong>de</strong>n.<br />

10. Die Leistungsabrechnung erfolgt im „Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

Zahnmedizin“ direkt über <strong>de</strong>n Patienten<br />

(das Mitglied, <strong>de</strong>n Versicherten) nach <strong>de</strong>m Kostenerstattungsprinzip.<br />

11. Die Versicherten im „Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin“<br />

können je<strong>de</strong>n Zahnarzt ihrer Wahl aufsuchen.<br />

Die Umstellung auf eine Prämienfinanzierung<br />

soll nach genau <strong>de</strong>finierten<br />

Leistungssektoren erfolgen.<br />

Begründungen und Erläuterungen<br />

Die Prämienfinanzierung lediglich als an<strong>de</strong>re Form<br />

<strong>de</strong>r GKV-Beitragserhebung zu installieren ist aus<br />

Sicht <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s Deutscher Zahnärzte <strong>de</strong>r<br />

falsche Weg. Mit einer alleinigen Umstellung <strong>de</strong>r Finanzierungssystematik<br />

und <strong>de</strong>m Beibehalten <strong>de</strong>r bisherigen<br />

Strukturen wäre die Chance einer grundsätzlichen<br />

Umstrukturierung nicht genutzt.<br />

Der Freie Verband setzt sich dafür ein, dass die Umstellung<br />

auf eine Prämienfinanzierung grundsätzlich<br />

nach genau <strong>de</strong>finierten Leistungssektoren erfolgt.<br />

Eine Umstellung nach reinen Prozentanteilen<br />

vom Gesamtausgabevolumen ohne nachvollziehbaren<br />

Bezug zum Leistungsgeschehen halten wir aus<br />

systematischen Grün<strong>de</strong>n für falsch.<br />

Die Umstellung auf Prämienfinanzierung nach genau<br />

<strong>de</strong>finierten Leistungssektoren hat <strong>de</strong>n Vorteil,<br />

- dass die Leistungen für diesen Bereich inhaltlich<br />

genau beschrieben und gegenüber an<strong>de</strong>ren Bereichen<br />

abgegrenzt wer<strong>de</strong>n können;<br />

- dass im Zuge dieses Definitionsprozesses <strong>de</strong>r bisherige<br />

Leistungskatalog <strong>de</strong>r Krankenversicherung<br />

um versicherungsfrem<strong>de</strong> Leistungen bereinigt<br />

wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Der Freie Verband hält es für unbedingt erfor<strong>de</strong>rlich,<br />

dass mit <strong>de</strong>r Umstellung eines Leistungsbereichs wie<br />

<strong>de</strong>r Zahnmedizin auf Prämienfinanzierung auch das<br />

Sachleistungssystem been<strong>de</strong>t und an <strong>de</strong>ssen Stelle<br />

die Direktabrechnung mit Kostenerstattung und<br />

einer sozial abgefe<strong>de</strong>rten Eigenbeteiligung gesetzt<br />

wird. Die Beibehaltung <strong>de</strong>r Sachleistungssystematik<br />

in einem Prämiensystem wäre systemwidrig. Für<br />

die Frage <strong>de</strong>r möglichen Überfor<strong>de</strong>rung von finanziell<br />

schwachen Versicherten durch die Kostenerstattung<br />

können pragmatische, vor allem unbürokratische<br />

Lösungen gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Weil bereits ab 2015 die Finanzierungsproblematik<br />

<strong>de</strong>r GKV noch stärker als bisher zunehmen wird und<br />

für viele, heute als selbstverständlich angesehene Leistungen<br />

kein Geld mehr vorhan<strong>de</strong>n sein wird, muss es<br />

das Ziel sein, im Rahmen <strong>de</strong>r Gesamtumstrukturierung<br />

<strong>de</strong>s Gesundheitswesens das Sachleistungssystem<br />

auf einen Kernbereich medizinisch unabdingbar<br />

notwendiger Leistungen – wie z.B. die stationäre Behandlung<br />

– zu reduzieren.<br />

Ergänzungen aus heutiger Sicht<br />

Ungeachtet aller fixierten Überzeugungen muss man<br />

zugeben, dass es vergleichsweise leicht ist, Grundzüge<br />

zu beschreiben und vergleichsweise schwierig,<br />

daraus resultieren<strong>de</strong> Detailregelungen festzulegen,<br />

als da z.B. sind:<br />

1. Fortschreibung <strong>de</strong>s Leistungsumfangs bzw.<br />

-inhalts<br />

2. Arbeitgeberanteil und Prämienzahlung<br />

3. Berechnung und Finanzierung <strong>de</strong>s Sozialausgleichs<br />

4. Prämienhöhe und -anpassungen<br />

Die bisherigen Überlegungen hierzu sehen so aus:<br />

ad 1. Fortschreibung <strong>de</strong>s Leistungsumfangs bzw.<br />

-inhalts<br />

Grundsätzlich ist nicht daran gedacht, das Leistungspaket<br />

durch die Aufnahme weiterer Leistungen zu erweitern.<br />

So wie auch heute schon wären neue Leistungen<br />

als Leistungen zu <strong>de</strong>finieren, die nicht zum<br />

Versicherungspaket Zahnmedizin gehören und daher<br />

vom Behandler mit <strong>de</strong>m Versicherten/Patienten<br />

separat zu vereinbaren respektive vom Versicherten<br />

zusätzlich zu versichern wären.<br />

Es bietet sich im Gegenteil an, so wie im Beschluss <strong>de</strong>r<br />

Hauptversammlung gesagt, <strong>de</strong>n Umstellungsprozess<br />

auf die Prämienfinanzierung dazu zu nutzen, <strong>de</strong>n aktuellen<br />

Leistungskatalog auf nicht notwendige und/<br />

o<strong>de</strong>r versicherungsfrem<strong>de</strong> Leistungen zu durchforsten<br />

und um diese zu bereinigen.<br />

IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong> | 5


| Sc h w e r p u n k t t h e m a<br />

Die <strong>de</strong>mografischen Probleme<br />

liegen nicht erst in ferner Zukunft.<br />

Bereits ab 2015 wer<strong>de</strong>n<br />

die ersten Auswirkungen spürbar<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

ad 2. Arbeitgeberanteil und Prämienzahlung<br />

Der Arbeitgeber wird auch zukünftig anteilig an <strong>de</strong>n<br />

Kosten <strong>de</strong>r Prämie Zahnmedizin beteiligt. Die Berechnung<br />

<strong>de</strong>s Arbeitgeberanteils erfolgt analog zur<br />

heute gelten<strong>de</strong>n gesetzlichen Regelung. Da es sich<br />

nach <strong>de</strong>n Vorstellungen <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s bei <strong>de</strong>r<br />

Prämie Zahnmedizin um eine private Versicherung<br />

han<strong>de</strong>lt, wird <strong>de</strong>r Arbeitgeberanteil mit <strong>de</strong>m Gehalt<br />

ausgezahlt und <strong>de</strong>r Arbeitnehmer wird für die Zahlung<br />

<strong>de</strong>r Prämie verantwortlich.<br />

ad 3. Berechnung und Finanzierung <strong>de</strong>s Sozialausgleichs<br />

Für die Berechnung <strong>de</strong>s Sozialausgleichs hat Dr. Drabinski<br />

in seiner Studie „Gesundheitsprämie im Bereich<br />

Zahnmedizin“ die rechtlichen Grundlagen erläutert<br />

und fundierte Berechnungen vorgenommen.<br />

Allerdings trifft diese Tatsache auch auf <strong>de</strong>n von Dr.<br />

Drabinski in seiner Studie berechneten systeminternen<br />

Sozialausgleich zu, wenn auch in geringerem Ausmaß.<br />

Sehr wohl benötigt aber auch diese Form <strong>de</strong>s<br />

Sozialausgleichs Steuermittel. Und zwar in steigen<strong>de</strong>r<br />

Höhe, also auch über steigen<strong>de</strong> Schul<strong>de</strong>n.<br />

Die Entscheidung, ob ein Sozialausgleich über eine<br />

systemexterne o<strong>de</strong>r systeminterne Finanzierung erfolgen<br />

soll, hat uns <strong>de</strong>r Gesetzgeber allerdings bis auf<br />

Weiteres abgenommen: Er hat mit <strong>de</strong>m GKV-Finanzierungsgesetz<br />

<strong>de</strong>n so genannten Zusatzbeitrag umstrukturiert<br />

und bestimmt, dass <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>ne<br />

Sozialausgleich systemextern über das Steuersystem<br />

erfolgt. Ergo können wir heute davon ausgehen, dass<br />

auch alle weiteren Verän<strong>de</strong>rungen in Sachen GKV-Finanzierung<br />

diese Grundstruktur beibehalten: Ist ein<br />

Sozialausgleich gesetzlich vorgesehen, dann erfolgt<br />

er über das Steuersystem – mit allen heute erkennbaren<br />

Risiken für die Realisierung.<br />

Foto: fotorf / Fotolia.com<br />

Sie sollen und können aus Platzgrün<strong>de</strong>n hier nicht<br />

wie<strong>de</strong>rholt wer<strong>de</strong>n. Entschei<strong>de</strong>nd ist aber die Antwort<br />

auf die Frage, wie <strong>de</strong>r Sozialausgleich finanziert wer<strong>de</strong>n<br />

soll? Systemextern über das Steuersystem o<strong>de</strong>r<br />

systemintern innerhalb <strong>de</strong>r GKV.<br />

Aus ordnungspolitischen Grün<strong>de</strong>n hat <strong>de</strong>r Freie Verband<br />

immer für einen systemexternen Sozialausgleich<br />

über das Steuersystem votiert. Angesichts <strong>de</strong>r auch<br />

für Deutschland hochbrisanten Staatsschul<strong>de</strong>nkrise<br />

wäre es allerdings höchst fahrlässig, diese Position<br />

nicht zu hinterfragen.<br />

Dass die Problematik keinesfalls neu ist, zeigt die<br />

Tatsache, dass auch Dr. Drabinski vor 18 Monaten<br />

bereits auf die „finanziell schlechten Rahmenbedingungen<br />

<strong>de</strong>r öffentlichen Haushalte“ verwies und explizit<br />

hervorhob, dass im Falle eines extern finanzierten<br />

Sozialausgleichs ein Teil <strong>de</strong>r dafür erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Mittel über neue Schul<strong>de</strong>n finanziert wer<strong>de</strong>n müsste.<br />

ad. 4 Prämienhöhe und -anpassungen<br />

Für die Weiterentwicklung <strong>de</strong>s Prämienmo<strong>de</strong>lls Zahnmedizin<br />

<strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s hat das Vorgesagte die<br />

einfache Konsequenz, dass die etwas sperrig formulierte<br />

Grundfor<strong>de</strong>rung Nr. 9 <strong>de</strong>s HV-Beschlusses 2010<br />

wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Tisch ist: „Der allgemeine GKV-Beitragssatz<br />

muss um <strong>de</strong>n in die zahnmedizinische Prämienfinanzierung<br />

ausgeglie<strong>de</strong>rten Beitragssatzanteil<br />

abgesenkt wer<strong>de</strong>n.“<br />

Wie sich das auf die Höhe <strong>de</strong>r Prämie auswirkt, soll<br />

kurz in Form einer Überschlagsrechnung dargestellt<br />

wer<strong>de</strong>n:<br />

Anfang Januar <strong>2011</strong> erwartete <strong>de</strong>r Schätzerkreis <strong>de</strong>r<br />

gesetzlichen Krankenversicherung bei einem Beitragssatz<br />

von 15,5% ein Aufkommen in Höhe von<br />

181,6 Mrd. Euro. Die Kosten für die zahnmedizinische<br />

Behandlung aller GKV-Versicherten (ohne Verwaltungskostenanteil)<br />

wur<strong>de</strong>n für <strong>2011</strong> auf 11,9 Mrd.<br />

Euro geschätzt, was einem Beitragsanteil von 1,016<br />

Prozentpunkten entspricht. Wer<strong>de</strong>n die 11,9 Mrd. Euro<br />

durch die Zahl <strong>de</strong>r erwachsenen GKV-Versicherten<br />

(ca. 56,430 Mio.) geteilt, so ergibt sich ein Betrag von<br />

knapp 17,60 Euro/Monat, <strong>de</strong>n die Finanzierung <strong>de</strong>r<br />

zahnmedizinischen Behandlung aller GKV-Versicherten<br />

auf heutigem Niveau erfor<strong>de</strong>rt und <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mzufolge<br />

je<strong>de</strong>r Prämienpflichtige aufbringen müsste.<br />

Realistischerweise entstehen auch im Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

Zahnmedizin Verwaltungskosten. Fügt man <strong>de</strong>n reinen<br />

Behandlungskosten aus Vereinfachungsgrün<strong>de</strong>n die<br />

von Dr. Drabinski errechneten 667 Mio. Euro GKV-<br />

Verwaltungskosten hinzu, dann erhöht sich <strong>de</strong>r zu finanzieren<strong>de</strong><br />

Gesamtaufwand auf 12,567 Mrd. Euro;<br />

das entspricht einer Monatsprämie von knapp 18,60<br />

Euro für je<strong>de</strong>n erwachsenen Versicherten.<br />

So weit, so einfach. Wir sind uns alle darüber im Klaren,<br />

dass die Umstellung auf ein Prämiensystem mehr<br />

6 | IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong>


Sc h w e r p u n k t t h e m a |<br />

ist als die Berechnung einer Durchschnittsprämie<br />

o<strong>de</strong>r die Absenkung <strong>de</strong>s allgemeinen Beitragssatzes<br />

um <strong>de</strong>n Anteil <strong>de</strong>r zahnmedizinischen Leistungsausgaben.<br />

Weil verlässliche politische Entscheidungen<br />

und langfristig wirken<strong>de</strong> Weichenstellungen fehlen,<br />

können wichtige Detailfragen daher nur mit politischen<br />

For<strong>de</strong>rungen beantwortet wer<strong>de</strong>n, wie z.B. die<br />

Frage, in welchem System die Prämie Zahnmedizin<br />

etabliert wer<strong>de</strong>n soll? Der FVDZ for<strong>de</strong>rt: Im PKV-System.<br />

Dass eine solche Entscheidung eine grundsätzlich<br />

an<strong>de</strong>re Herangehensweise an Umsetzungsfragen<br />

präjudiziert als im Falle <strong>de</strong>s Verbleibs im bisherigen<br />

GKV-System, dürfte je<strong>de</strong>m einleuchten. Insofern<br />

setzt auch die Antwort auf die Frage nach <strong>de</strong>m Mechanismus<br />

von Prämienanpassungen die vorherige<br />

Entscheidung voraus: In welchem System wird die<br />

Prämie Zahnmedizin angesie<strong>de</strong>lt?<br />

Diskussion<br />

Der Vorschlag <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s Deutscher Zahnärzte,<br />

die zahnmedizinische Versorgung <strong>de</strong>r Bürger<br />

von <strong>de</strong>r Umlage- auf die Prämienfinanzierung umzustellen,<br />

darf nicht isoliert gesehen wer<strong>de</strong>n. Er ist<br />

nicht Selbstzweck, son<strong>de</strong>rn Teil einer Gesamtstrategie,<br />

die das Ziel hat, <strong>de</strong>n eingangs angesprochenen<br />

ungeheuren Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r nächsten Jahrzehnte<br />

gerecht zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Schon heute sind die Möglichkeiten <strong>de</strong>r lohnabhängigen<br />

Finanzierung über das Umlageverfahren durch<br />

alle möglichen Tricks längst fahrlässig über<strong>de</strong>hnt:<br />

Praxisgebühr, Krankenhaustagegebühr, Medikamentenzuzahlungen.<br />

Das sind nur drei Beispiele für Umgehungstatbestän<strong>de</strong>,<br />

die vorgenommen wer<strong>de</strong>n, um<br />

zu verschleiern, dass das Geld aus <strong>de</strong>n Beitragseinnahmen<br />

nicht reicht. Die Höhe <strong>de</strong>s allgemeinen GKV-<br />

Beitragssatzes hat ein Niveau erreicht, das kaum noch<br />

zumutbar erscheint. Und ein En<strong>de</strong> ist angesichts <strong>de</strong>r<br />

in <strong>de</strong>n nächsten 3-4 Jahren „schwungvoll“ einsetzen<strong>de</strong>n<br />

Rentnerwelle nicht abzusehen.<br />

Angesichts dieser absehbaren Probleme muss die Politik<br />

jetzt beginnen, ihre Verantwortung gegenüber<br />

<strong>de</strong>r nächsten Generation wahrzunehmen. Der erste<br />

Schritt kann nur so aussehen, dass man <strong>de</strong>n Menschen<br />

endlich die Wahrheit über die sinken<strong>de</strong> Leistungsfähigkeit<br />

<strong>de</strong>r Sozialsysteme und natürlich auch<br />

<strong>de</strong>r GKV sagt. Die zwei wichtigsten unangenehmen<br />

Botschaften lauten:<br />

1. Kranksein wird zukünftig teurer.<br />

2. Die sog. Solidargemeinschaft kann nicht mehr alle<br />

wünschenswerten Behandlungen bezahlen.<br />

Wünschenswert wäre, dass auch die Konsequenzen<br />

aus diesen Wahrheiten erklärt und Lösungshinweise<br />

gegeben wer<strong>de</strong>n:<br />

- Ihr müsst mehr selber bezahlen.<br />

Das Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin muss<br />

als erster Schritt einer weitergehen<strong>de</strong>n<br />

Umstrukturierung <strong>de</strong>r GKV-Finanzierung<br />

gesehen wer<strong>de</strong>n.<br />

- Es wird Leistungseinschränkungen geben – die<br />

notwendigen Behandlungen aber wer<strong>de</strong>n garantiert.<br />

Wir Zahnärzte sind mit diesen Wahrheiten vertraut,<br />

wir leben seit Jahren mit ihnen. Der für viele<br />

als angenehm empfun<strong>de</strong>ne Status quo hat aber keine<br />

Ewigkeitsgarantie. Die <strong>de</strong>mographische Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

mit ihrem Zwang zur Konzentration auf<br />

das Wesentliche wird ihn wegwischen. Denn die immer<br />

weiter aufgehen<strong>de</strong> Schere zwischen sinken<strong>de</strong>n<br />

Einnahmen und steigen<strong>de</strong>n <strong>Ausgabe</strong>n ist durch keine<br />

noch so populistische o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>magogische Rhetorik<br />

zu schließen.<br />

Das Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin muss als erster<br />

Schritt einer weitergehen<strong>de</strong>n Umstrukturierung <strong>de</strong>r<br />

GKV-Finanzierung gesehen wer<strong>de</strong>n: Abgrenzbare<br />

Versorgungsbereiche wer<strong>de</strong>n auf Prämienfinanzierung<br />

umgestellt. In <strong>de</strong>r medizinischen Versorgung<br />

sind hierzu sicherlich einige Facharztbereiche wie z.B.<br />

Augenheilkun<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r HNO <strong>de</strong>nkbar. Und: Die verfügbaren<br />

Mittel müssen auf die wesentlichen medizinischen<br />

Behandlungen konzentriert wer<strong>de</strong>n. Es ist<br />

keine Nestbeschmutzung, wenn man feststellt, dass<br />

nur ein geringer Teil <strong>de</strong>s zahnmedizinischen Therapiespektrums<br />

zu <strong>de</strong>n „wesentlichen medizinischen<br />

Behandlungen“ zu zählen ist.<br />

Für uns Zahnärztinnen und Zahnärzte hat das Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

Zahnmedizin <strong>de</strong>n Vorteil, dass es weiterhin<br />

einen durch versicherungstechnisch abgesicherte Leistungszusagen<br />

stabil finanzierten zahnmedizinischen<br />

Markt gibt. Darüber hinaus wird die Finanzierung<br />

dieser Leistungen von <strong>de</strong>n zunehmen<strong>de</strong>n Problemen<br />

<strong>de</strong>r Finanzierung <strong>de</strong>r medizinischen Versorgung abgekoppelt,<br />

sie kommt in ruhigeres Fahrwasser.<br />

Für unsere Patienten hat das Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin<br />

<strong>de</strong>n Vorteil, dass es ihnen auch weiterhin<br />

eine zahnmedizinische Versorgung auf <strong>de</strong>m heutigen<br />

GKV-Niveau zu bezahlbaren Preisen sichert und<br />

dass die von ihnen gezahlte Prämie Zahnmedizin ausschließlich<br />

zur Finanzierung ihrer Zahngesundheit und<br />

nicht – wie heute – zur Quersubventionierung an<strong>de</strong>rer<br />

GKV-Leistungsbereiche eingesetzt wird.<br />

Und ganz wichtig: Es gibt im Bereich Zahnmedizin<br />

keinen altersabhängigen Anstieg <strong>de</strong>r <strong>Ausgabe</strong>n und<br />

damit wird es auch keinen durch eine Zunahme <strong>de</strong>r<br />

Morbidität bedingten altersabhängigen Anstieg <strong>de</strong>r<br />

Prämie geben.<br />

IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong> | 7


| Sc h w e r p u n k t t h e m a<br />

Matthias Ernst / Wolfgang Seger<br />

Die historische Entwicklung <strong>de</strong>s<br />

politischen Konzeptes <strong>de</strong>r Gesundheitsprämie<br />

/ Kopfpauschale.<br />

Foto<br />

Matthias Ernst,<br />

Bachelor of Arts (B.A.) Nursing<br />

MDK Nie<strong>de</strong>rsachsen<br />

Foto<br />

Prof. Dr. med.<br />

Wolfgang Seger,<br />

MDK Nie<strong>de</strong>rsachsen<br />

Der vorliegen<strong>de</strong> Beitrag ist <strong>de</strong>r<br />

Zeitschrift „Sozialer Fortschritt“<br />

Nr. 4-5/<strong>2011</strong>, S. 105-107, entnommen.<br />

Duncker & Humblot,<br />

Berlin. Nachdruck ohne Quellenverzeichnis,<br />

Literatur bei<br />

<strong>de</strong>n Autoren.<br />

1. Einleitung<br />

Die Debatte um eine Reform <strong>de</strong>s bestehen<strong>de</strong>n Finanzierungsmo<strong>de</strong>lls<br />

in <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung<br />

(GKV) wird von zwei entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Vorstellungen<br />

geprägt. Dies sind zum einen <strong>de</strong>r Begriff<br />

<strong>de</strong>r einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie<br />

/ Kopfpauschale und zum an<strong>de</strong>ren das Konzept <strong>de</strong>r<br />

Bürgerversicherung. Im Laufe <strong>de</strong>r andauern<strong>de</strong>n gesundheitspolitischen<br />

Diskussionen haben sich diese<br />

bei<strong>de</strong>n Begrifflichkeiten als Synonyme für eine grundsatzpolitische<br />

Positionierung verfestigt.<br />

Konzeptionell lassen sich das politische Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r<br />

Gesundheitsprämie bei <strong>de</strong>r aktuellen Regierungskoalition<br />

und das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Bürgerversicherung eher<br />

bei <strong>de</strong>r Opposition verorten. Diese unterschiedlichen<br />

Konzeptentwürfe ließen sich schon im Bun<strong>de</strong>stagswahlkampf<br />

2005 erkennen und führten als Konsequenz<br />

<strong>de</strong>s damaligen Wahlergebnisses unter an<strong>de</strong>rem<br />

zur Einführung <strong>de</strong>s Gesundheitsfonds. Obwohl<br />

sich Elemente bei<strong>de</strong>r Entwürfe auch im jeweils an<strong>de</strong>ren<br />

Konzept i<strong>de</strong>ntifizieren lassen, beziehen sich die<br />

Konfliktpunkte in erster Linie auf die Vermischung<br />

von gesellschaftlichen Umverteilungsanliegen und<br />

grundsätzlichen Versicherungsaspekten. Weitere<br />

Streitpunkte sind in diesem Kontext z. B. die finanziellen<br />

und wirtschaftlichen Dimensionen einer Versicherungsstruktur,<br />

die langfristigen gesellschaftspolitischen<br />

Auswirkungen und <strong>de</strong>ren Wirkung auf die<br />

soziale Gerechtigkeit innerhalb <strong>de</strong>r Sozialsysteme.<br />

Um diese aufgeheizte Diskussion zu versachlichen<br />

und gleichzeitig ein besseres Verständnis für die gegenteiligen<br />

Positionen zu erreichen, ist das Ziel dieses<br />

Artikels eine historische Aufarbeitung <strong>de</strong>r politischen<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Gesundheitsprämie. Zu<br />

diesem Zweck wur<strong>de</strong>n die verschie<strong>de</strong>nen politischen<br />

Beschlüsse <strong>de</strong>r CDU/CSU und <strong>de</strong>r FDP (seit 2003)<br />

auf Aussagen zu diesem Konzept untersucht. Mit <strong>de</strong>m<br />

Wissen um die Ursprünge <strong>de</strong>s politischen Konzeptes<br />

ist <strong>de</strong>r Betrachter in <strong>de</strong>r Lage, die aktuelle Diskussion<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Regierungskoalition und die teilweise<br />

sehr wi<strong>de</strong>rsprüchlichen Aussagen <strong>de</strong>r beteiligten<br />

Partner zu diesem Themenbereich nachzuvollziehen<br />

und sich mit diesem Verständnis wie<strong>de</strong>r auf die wissenschaftlichen<br />

Fakten und Sachargumente <strong>de</strong>s Mo<strong>de</strong>lls<br />

zu konzentrieren.<br />

2. CDU/CSU – Historische Entwicklung<br />

<strong>de</strong>s politischen Konzeptes<br />

Mit <strong>de</strong>n Gutachten <strong>de</strong>s Sachverständigenrates für die<br />

konzertierte Aktion im Gesundheitswesen aus <strong>de</strong>m<br />

Jahr 2003 und <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>r Kommission zum Thema<br />

„Nachhaltigkeit in <strong>de</strong>r Finanzierung <strong>de</strong>r sozialen<br />

Sicherungssysteme“ wur<strong>de</strong> das Konzept <strong>de</strong>r Kopfpausschale<br />

/ Gesundheitsprämie mit seinen verschie<strong>de</strong>nen<br />

Varianten als eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung<br />

in <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung vorgestellt.<br />

Obgleich bereits vor diesem Zeitpunkt verschie<strong>de</strong>ne<br />

Mo<strong>de</strong>lle vorlagen, rückte dieses Konzept im Rahmen<br />

<strong>de</strong>r damaligen Diskussion um eine umfassen<strong>de</strong> Reform<br />

<strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung in <strong>de</strong>n<br />

Mittelpunkt <strong>de</strong>r politischen Meinungsbildung. Neben<br />

<strong>de</strong>n vorgeschlagenen Mo<strong>de</strong>llen zur Gesundheitsprämie<br />

wur<strong>de</strong>n auch Vorschläge zum Konzept einer<br />

Bürgerversicherung dargestellt.<br />

Schon zu diesem Zeitpunkt war erkennbar, dass die<br />

Vorstellung dieser Konzepte eine umfassen<strong>de</strong> gesellschaftliche<br />

und politische Diskussion auslösen wird.<br />

Obwohl die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Sachverständigenrates<br />

und <strong>de</strong>r Kommission bereits innerhalb <strong>de</strong>r Gutachten<br />

auf die Gemeinsamkeiten, Unterschie<strong>de</strong> und die<br />

Auswirkungen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Konzepte hinwiesen,<br />

konzentrierte sich die gesundheitspolitische Diskussion<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Parteien in erster Linie auf die<br />

grundsätzliche Frage über die Ausgestaltung <strong>de</strong>s sozialen<br />

Ausgleichs und <strong>de</strong>m Einfluss auf <strong>de</strong>n Wettbewerbsfaktor<br />

Arbeit.<br />

Vor <strong>de</strong>m Hintergrund dieser Gutachten erhielt das<br />

Konzept einer einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie<br />

erstmalig einen breiten Raum auf <strong>de</strong>m<br />

17. Parteitag <strong>de</strong>r CDU in Dres<strong>de</strong>n. Im Gegensatz zu<br />

<strong>de</strong>n Beschlüssen vorheriger Parteitage wur<strong>de</strong>n die<br />

Konzepte innerhalb <strong>de</strong>s Parteitagsbeschlusses namentlich<br />

benannt und es erfolgte eine Ablehnung<br />

<strong>de</strong>s Mo<strong>de</strong>lls <strong>de</strong>r Bürgerversicherung. Auf <strong>de</strong>m Parteitag<br />

wur<strong>de</strong> eine ein<strong>de</strong>utige Befürwortung <strong>de</strong>r einkommensunabhängigen<br />

Gesundheitsprämie inklusive<br />

eines steuerfinanzierten Sozialausgleichs als zukünftiges<br />

Finanzierungsmo<strong>de</strong>ll beschlossen. Die Entscheidung<br />

für dieses Mo<strong>de</strong>ll wur<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>m Hintergrund<br />

<strong>de</strong>r formulierten Zielstellung zur Reform <strong>de</strong>r GKV<br />

getroffen und zum einen mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mographischen<br />

8 | IGZ DIe Al t e r n A t I v e nr. 4/<strong>2011</strong>


Sc h w e r p u n k t t h e m a |<br />

Wan<strong>de</strong>l und zum an<strong>de</strong>ren mit <strong>de</strong>n steigen<strong>de</strong>n Lohnnebenkosten<br />

begrün<strong>de</strong>t.<br />

Diese politischen Leitlinien zum Gesundheitssystem<br />

fin<strong>de</strong>n sich in leicht abgeän<strong>de</strong>rter Form auch in <strong>de</strong>n<br />

aktuellen Konzepten <strong>de</strong>r Regierungskommission zur<br />

Reform <strong>de</strong>r Finanzierung <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung<br />

und im Gutachten <strong>de</strong>s Wissenschaftlichen<br />

Beirats beim Bun<strong>de</strong>sministerium für Wirtschaft<br />

und Technologie (BMWi) „Zur Reform <strong>de</strong>r Finanzierung<br />

<strong>de</strong>r Gesetzlichen Krankenversicherung“ wie<strong>de</strong>r.<br />

auf. Die Notwendigkeit für finanzielle Reformen im<br />

Bereich <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung wird<br />

nur sehr allgemein beschrieben und nicht mehr mit<br />

Berechnungsmo<strong>de</strong>llen verknüpft.<br />

Zusammenfassend ist erkennbar, dass sich die politische<br />

Diskussion innerhalb <strong>de</strong>r CDU/CSU von einem<br />

klaren Bekenntnis zum Konzept <strong>de</strong>r Gesundheitsprämie<br />

und hin zu einem allgemeinen finanziellen Reformbedarf<br />

innerhalb <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung<br />

verschoben hatte.<br />

Die politische Diskussion innerhalb <strong>de</strong>r CDU/CSU hat sich von einem<br />

klaren Bekenntnis zum Konzept <strong>de</strong>r Gesundheitsprämie hin zu einem<br />

allgemeinen finanziellen Reformbedarf innerhalb <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung<br />

verschoben.<br />

Dort dienen sie zur Begründung für <strong>de</strong>n empfohlenen<br />

Maßnahmenkatalog <strong>de</strong>r Regierungskommission<br />

zur Gesundheitsprämie.<br />

Auf <strong>de</strong>m 18. Parteitag <strong>de</strong>r CDU wur<strong>de</strong> das Mo<strong>de</strong>ll einer<br />

einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie noch<br />

einmal beschlossen und die Ablehnung <strong>de</strong>r Bürgerversicherung<br />

auch im Namen <strong>de</strong>r CSU bekräftigt. Wie<br />

bereits beim Parteitag 2003 wur<strong>de</strong> eine entsprechen<strong>de</strong><br />

Mo<strong>de</strong>llrechnung aufgeführt und die Entkopplung<br />

<strong>de</strong>r Arbeitgeberbeiträge von zukünftigen Kostensteigerungen<br />

als weiteres Ziel beschrieben.<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>s 19. und 20. Parteitags in <strong>de</strong>n Jahren<br />

2005 / 2006 wur<strong>de</strong> die Thematik <strong>de</strong>r Gesundheitsprämie<br />

bzw. <strong>de</strong>r Reform <strong>de</strong>s Gesundheitswesens nicht<br />

weiter behan<strong>de</strong>lt und folglich wur<strong>de</strong>n keine neuen Beschlüsse<br />

zur Gesundheitsprämie verabschie<strong>de</strong>t. Erst<br />

mit <strong>de</strong>r Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms<br />

auf <strong>de</strong>m 21. Parteitag 2007 wur<strong>de</strong> die Reform<br />

<strong>de</strong>s Gesundheitssystems erneut thematisiert. In <strong>de</strong>n<br />

Beschlüssen „Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für<br />

Deutschland.“ und „Chancen für alle – Bildung. Arbeit.<br />

Wohlstand.“ wird auf die Reformnotwendigkeit<br />

und die Umgestaltung <strong>de</strong>r Finanzierung verwiesen.<br />

Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass <strong>de</strong>r Begriff<br />

„Gesundheitsprämie“ in bei<strong>de</strong>n Papieren nicht<br />

mehr erscheint und das Konzept mit an<strong>de</strong>ren Begrifflichkeiten,<br />

wie beispielsweise „solidarische Prämienelemente“<br />

umschrieben wird.<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>s 22. Parteitages in 2008 wur<strong>de</strong>n keine<br />

weiteren Beschlüsse zur Reform <strong>de</strong>s Gesundheitswesens<br />

gefasst. Das gemeinsame Wahlprogramm <strong>de</strong>r<br />

CDU/CSU zur Bun<strong>de</strong>stagswahl 2009 verzichtet weiterhin<br />

auf die Begrifflichkeit <strong>de</strong>r Gesundheitsprämie<br />

und führt im Kapitel „Zukunftsfähige Politik für Gesundheit<br />

und Pflege“ die bekannten Leitlinien zum<br />

Gesundheitssystem aus <strong>de</strong>n Beschlüssen 2003 / 2004<br />

Diese Einschätzung wird auch durch die entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Beschlussdokumente <strong>de</strong>r CSU belegt. Der<br />

Beschluss <strong>de</strong>s „Kleinen Parteitags“ <strong>de</strong>r CSU vom 14.<br />

Mai 2005 beinhaltet im Bezug auf die gefor<strong>de</strong>rte Senkung<br />

<strong>de</strong>r Lohnnebenkosten nur eine kurze Aussage<br />

zur Einführung eines solidarischen Gesundheitsprämienmo<strong>de</strong>lls<br />

in <strong>de</strong>r GKV ohne weitere Erläuterungen.<br />

Im Grundsatzprogramm aus <strong>de</strong>m Jahr 2007 fin<strong>de</strong>n<br />

sich keine Aussagen zur Gesundheitsprämie, jedoch<br />

wer<strong>de</strong>n für die Krankenversicherung eine zukunftsfähige<br />

Struktur und Finanzierung unter Einbeziehung<br />

solidarischer Aspekte gefor<strong>de</strong>rt. Im Rahmen <strong>de</strong>r Klausurtagung<br />

<strong>de</strong>s CSU-Parteivorstan<strong>de</strong>s am 4. / 5. April<br />

2008 in Wildbad Kreuth wur<strong>de</strong> eine Entschließung<br />

zur Gesundheitspolitik verabschie<strong>de</strong>t, die sich zum<br />

damaligen Zeitpunkt ausdrücklich zum innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Großen Koalition verabschie<strong>de</strong>ten gesundheitspolitischen<br />

Kompromiss und <strong>de</strong>m GKVWettbewerbsstärkungsgesetz<br />

(GKV-WSG) bekannte.<br />

3. FDP – Historische Entwicklung<br />

<strong>de</strong>s politischen Konzeptes<br />

Mit <strong>de</strong>m Beschluss <strong>de</strong>s FDP-Präsidiums vom 15.<br />

September 2003 wur<strong>de</strong> das Konzept <strong>de</strong>r Bürgerversicherung<br />

abgelehnt und eine strukturelle Reform<br />

<strong>de</strong>r gesetzlichen Kranversicherung gefor<strong>de</strong>rt. In <strong>de</strong>n<br />

Beschlüssen zum 55. und 57. Bun<strong>de</strong>sparteitag 2004<br />

/2007 erfolgte eine Konkretisierung dieser Reformvorschläge<br />

und i<strong>de</strong>ntisch zu <strong>de</strong>n Beschlüssen <strong>de</strong>r<br />

CDU/CSU wur<strong>de</strong> eine Entkopplung von <strong>de</strong>n Lohnnebenkosten<br />

gefor<strong>de</strong>rt. Im Beschluss von 2004 wur<strong>de</strong><br />

das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Kopfpauschale <strong>de</strong>r CDU unter <strong>de</strong>m<br />

Aspekt <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>r Lohnanbindung begrüßt,<br />

aber als insgesamt unzureichen<strong>de</strong> Alternative abgelehnt.<br />

Die in <strong>de</strong>n Beschlüssen von 2004 und 2007<br />

verabschie<strong>de</strong>ten Reformvorschläge stellten eine ka-<br />

IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong> |<br />

9


| Sc h w e r p u n k t t h e m a<br />

Während innerhalb <strong>de</strong>r CDU eine gewisse<br />

Präferenz für das Mo<strong>de</strong>ll einer Gesundheitsprämie<br />

besteht, liegen die Vorstellungen<br />

<strong>de</strong>r CSU und <strong>de</strong>r FDP in dieser Frage<br />

diametral auseinan<strong>de</strong>r.<br />

pitalge<strong>de</strong>ckte Versicherungslösung mit einer steuerfinanzierten<br />

Unterstützung für Bedürftige zur Diskussion<br />

und gingen in diesen Punkten <strong>de</strong>utlich über<br />

das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Gesundheitsprämie hinaus. Dieser<br />

gefor<strong>de</strong>rte Systemwechsel wur<strong>de</strong> bereits im Wahlprogram<br />

von 2005 mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung nach einem<br />

privaten Krankenversicherungsschutz mit sozialer<br />

Absicherung bekräftigt.<br />

Das Wahlprogramm <strong>de</strong>r FDP zur Bun<strong>de</strong>stagswahl<br />

2009 benennt das Fehlen einer nachhaltigen Finanzierung<br />

als größtes Problem innerhalb <strong>de</strong>s Gesundheitssektors.<br />

Die Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r Bürgerversicherung<br />

und <strong>de</strong>r Gesundheitsprämie wer<strong>de</strong>n als nicht lösungsorientierte<br />

Konzepte abgelehnt und gleichzeitig<br />

wird eine grundlegen<strong>de</strong> Neuorientierung <strong>de</strong>s Gesundheitssystems<br />

gefor<strong>de</strong>rt.<br />

Als bestimmen<strong>de</strong> Elemente eines freiheitlichen Systems<br />

wur<strong>de</strong>n in diesem Kontext eine Balance aus<br />

Solidarität und Eigenverantwortung genannt. Um<br />

dieses Ziel zu erreichen beinhaltet das Programm<br />

die Einführung eines leistungsgerechten Prämiensystems,<br />

die Abschaffung <strong>de</strong>s bestehen<strong>de</strong>n Umlageverfahrens<br />

und eine Entkopplung <strong>de</strong>r Beiträge vom<br />

Arbeitslohn. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Beschlüssen <strong>de</strong>r<br />

CDU/CSU for<strong>de</strong>rt die FDP zusätzlich eine generationsgerechte<br />

Verteilung <strong>de</strong>r Lasten. Ein Vorschlag<br />

zum sozialen Ausgleich soll aus <strong>de</strong>m Krankenversicherungssystem<br />

in ein steuerfinanziertes Transfersystem<br />

ausgelagert wer<strong>de</strong>n.<br />

4. Koalitionsvertrag zwischen<br />

CDU, CSU und FDP 2009<br />

Der Koalitionsvertrag <strong>de</strong>r 17. Legislaturperio<strong>de</strong> führt<br />

die unterschiedlichen Positionen <strong>de</strong>r beteiligten Partner<br />

zusammen und <strong>de</strong>finiert die For<strong>de</strong>rung nach einem<br />

innovationsfreundlichen, leistungsgerechten<br />

und <strong>de</strong>mographiefesten Gesundheitssystem. Weiterhin<br />

wird das Ziel einer zukunftsfesten und verlässlichen<br />

Finanzierung unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r<br />

Faktoren Solidarität und Eigenverantwortung heraus<br />

gestellt.<br />

Für das Erreichen dieses Ziels wer<strong>de</strong>n die Inhalte<br />

<strong>de</strong>r Leitlinien aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Beschlüssen<br />

<strong>de</strong>r CDU/CSU und <strong>de</strong>r FDP zusammengefasst und<br />

in einzelnen Absätzen konkretisiert. Diese For<strong>de</strong>rungen<br />

beziehen sich zum Beispiel auf mehr Wettbewerb<br />

im Gesundheitssystem, einer Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s morbiditätsorientierten<br />

Risikostrukturausgleichs, einer<br />

flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n und bedarfsgerechten Versorgung<br />

und einer verbesserten Prävention.<br />

Obwohl die Begrifflichkeit <strong>de</strong>r einkommensunabhängigen<br />

Gesundheitsprämie im Koalitionsvertrag nicht<br />

erwähnt wird, enthält <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong> Absatz zur<br />

Finanzierung zentrale Elemente dieses Konzeptes.<br />

Dies sind beispielhaft die Entkopplung <strong>de</strong>r Beiträge<br />

von <strong>de</strong>n Lohnnebenkosten, die Einführung von einkommensunabhängigen<br />

Arbeitnehmerbeiträgen, das<br />

Einfrieren <strong>de</strong>r Arbeitgeberbeiträge und die Schaffung<br />

eines sozialen Ausgleichs).<br />

5. Resümee<br />

Zusammenfassend führt die Analyse <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Beschlussdokumente zu einem überraschen<strong>de</strong>n<br />

Ergebnis und liefert Erklärungsmuster für die aktuellen<br />

Schwierigkeiten und Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen in<br />

<strong>de</strong>r Regierungskoalition. Im Gegensatz zur weitverbreiteten<br />

gesellschaftlichen und politischen Meinung,<br />

besteht zwischen <strong>de</strong>n Koalitionspartnern keine einheitliche<br />

Festlegung auf das Konzept <strong>de</strong>r Gesundheitsprämie.<br />

Während innerhalb <strong>de</strong>r CDU eine gewisse<br />

Präferenz für das Mo<strong>de</strong>ll einer Gesundheitsprämie<br />

besteht, liegen die Vorstellungen <strong>de</strong>r CSU und <strong>de</strong>r<br />

FDP in dieser Frage diametral auseinan<strong>de</strong>r. Die programmatischen<br />

Schwerpunkte <strong>de</strong>r CSU <strong>de</strong>cken sich in<br />

weiten Teilen mit Aspekten <strong>de</strong>r Bürgerversicherung<br />

und for<strong>de</strong>rn einen Finanzierungsmix aus Beiträgen<br />

von Arbeitnehmern und Arbeitgebern als umlagefinanziertes<br />

System. Die Positionen <strong>de</strong>r FDP fokussieren<br />

sich auf die Abschaffung <strong>de</strong>r Umlagefinanzierung<br />

und die Einführung eines leistungsgerechten Prämiensystems<br />

mit Kapital<strong>de</strong>ckung und <strong>de</strong>r Entkopplung<br />

von <strong>de</strong>n Lohnkosten. Vor diesem Hintergrund erhält<br />

das aktuell verabschie<strong>de</strong>te Konzept <strong>de</strong>r Regierungskoalition<br />

eine erweiterte Be<strong>de</strong>utung. Es zeigt in seinen<br />

beschlossenen Maßnahmen <strong>de</strong>n inneren Konflikt <strong>de</strong>r<br />

Koalitionspartner auf und bringt sie auf <strong>de</strong>n kleinsten<br />

gemeinsamen Nenner zusammen.<br />

Unabhängig von dieser Problematik führt die Umsetzung<br />

<strong>de</strong>r geplanten Elemente, wie zum Beispiel<br />

die Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Zusatzbeiträge und das<br />

Einfrieren <strong>de</strong>r Arbeitgeberbeiträge zu einem Einstieg<br />

in <strong>de</strong>n Ausstieg aus <strong>de</strong>r paritätischen Beitragsfinanzierung.<br />

10 | IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong>


Sc h w e r p u n k t t h e m a |<br />

Wolfgang Eßer<br />

Qui bono ?<br />

Zum Vorschlag <strong>de</strong>s FVDZ zur Einführung eines<br />

Prämienmo<strong>de</strong>lls Zahnmedizin<br />

Die <strong>de</strong>mografische Entwicklung und <strong>de</strong>r medizinischtechnische<br />

Fortschritt stellen die Finanzierung <strong>de</strong>r<br />

GKV zweifelsfrei vor große Herausfor<strong>de</strong>rungen. Die<br />

zahnmedizinische Versorgung gerät dabei immer wie<strong>de</strong>r<br />

in <strong>de</strong>n Fokus für gesetzgeberische Bemühungen<br />

um eine Lösung <strong>de</strong>r Finanzierungsfragen <strong>de</strong>r GKV.<br />

Wie<strong>de</strong>rholt hat auch <strong>de</strong>r FVDZ dieses Thema auf seine<br />

Agenda genommen und hierzu kürzlich das sogenannte<br />

Prämienmo<strong>de</strong>ll vorgestellt. Dieses weckt viele<br />

Hoffnungen in <strong>de</strong>r Zahnärzteschaft, lässt aber die<br />

Beantwortung grundlegen<strong>de</strong>r Fragen offen.<br />

Das Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s<br />

Deutscher Zahnärzte will die Finanzierung <strong>de</strong>r<br />

zahnmedizinischen Versorgung <strong>de</strong>r gesetzlich Versicherten<br />

von <strong>de</strong>r Umlage- auf eine Prämienfinanzierung<br />

umstellen. Die Pflichtversicherung soll durch eine<br />

Pflicht zur Versicherung ersetzt wer<strong>de</strong>n. Der FVDZ<br />

setzt dabei auf ein Versicherungssystem mit einkommensunabhängigen<br />

Prämien und steuerfinanziertem<br />

Sozialausgleich. Statt <strong>de</strong>r bisherigen Sachleistung soll<br />

für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r zahnmedizinischen Versorgung<br />

eine Direktabrechnung mit Kostenerstattung eingeführt<br />

wer<strong>de</strong>n. Das „Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r kleinen Zahnprämie“<br />

soll dazu beitragen, <strong>de</strong>n allgemeinen Beitragssatz<br />

zur gesetzlichen Krankenversicherung um <strong>de</strong>n<br />

bisherigen Anteil <strong>de</strong>s Versorgungsbereichs Zahnmedizin<br />

zu senken. Die I<strong>de</strong>e ist nicht neu: Teilbereiche<br />

<strong>de</strong>r zahnmedizinischen Versorgung wur<strong>de</strong>n bereits<br />

aus <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen<br />

und sollten per zusätzlicher, einheitlicher Pauschale<br />

bezahlt wer<strong>de</strong>n. Der FVDZ selber hat in seinem früheren<br />

Ansatz die komplette Ausglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Zahnmedizin<br />

aus <strong>de</strong>r GKV gefor<strong>de</strong>rt. Diese For<strong>de</strong>rung ist<br />

von <strong>de</strong>r Politik nicht aufgegriffen wor<strong>de</strong>n. Sie wäre<br />

vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r Tatsache, dass <strong>de</strong>r Gesetzgeber<br />

respektive <strong>de</strong>r Verordnungsgeber autark über<br />

die Vergütung zahnärztlicher Leistungen befin<strong>de</strong>n<br />

kann, möglicherweise ein wirtschaftliches Debakel<br />

für die Zahnärzteschaft gewor<strong>de</strong>n.<br />

Ein einkommensunabhängiger Zusatzbeitrag mit<br />

Sozialausgleich, wie er von <strong>de</strong>r schwarz-gelben Regierungskoalition<br />

mit <strong>de</strong>m GKV-Finanzierungsgesetz<br />

eingeführt wur<strong>de</strong>, steht im Fokus gesundheitspolitischer<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen. SPD und Grüne<br />

haben ihre jeweiligen Bürgerversicherungsmo<strong>de</strong>l-<br />

le vorgestellt und angekündigt, die Zusatzbeiträge<br />

wie<strong>de</strong>r rückgängig zu machen und zu einer paritätischen<br />

Finanzierung zurückzukehren. Das Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

Zahnmedizin wür<strong>de</strong> genau in dieses Fahrwasser<br />

hineingeraten.<br />

Die ersten Erfahrungen mit <strong>de</strong>m GKV-Finanzierungsgesetz<br />

lassen einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag<br />

bzw. eine Prämie mit Sozialausgleich aus<br />

Steuermitteln fraglich erscheinen: Über <strong>de</strong>n Hebel<br />

<strong>de</strong>s Sozialausgleichs bestimmt zunehmend <strong>de</strong>r Finanzminister<br />

das Geschehen und tritt als Verfechter<br />

strikter Budgetpolitik mit <strong>de</strong>m Ziel auf, <strong>Ausgabe</strong>nzuwächse<br />

zu verhin<strong>de</strong>rn. Ähnliche Überlegungen haben<br />

bei <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>s Basistarifs dazu geführt, dass<br />

die Abrechnung bei Basistarifversicherten zwar auf<br />

<strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r GOZ, aber zu gebun<strong>de</strong>nen (ge<strong>de</strong>ckelten)<br />

Gebühren auf Bema-Niveau erfolgt.<br />

Vor diesem Hintergrund wirft das Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

Zahnmedizin <strong>de</strong>s FVDZ eine Reihe von Fragen auf,<br />

die im Berufsstand noch nicht diskutiert und bis dato<br />

vom FVDZ auch unbeantwortet geblieben sind.<br />

Verfassungsrechtlich mag <strong>de</strong>r Ansatz <strong>de</strong>s FVDZ zulässig<br />

sein, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>m Bun<strong>de</strong>sgesetzgeber steht nach<br />

<strong>de</strong>m Grundgesetz für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Sozialversicherung<br />

grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum<br />

zu. So war auch in <strong>de</strong>r Vergangenheit <strong>de</strong>r Leistungsbereich<br />

Zahnersatz bis zur Einführung <strong>de</strong>r befundbezogenen<br />

Festzuschüsse im Jahre 2005 eine wahre Spielwiese<br />

gesetzgeberischer Bemühungen. Es sei erinnert<br />

an das Beitragsentlastungsgesetz, das am 1.1.1997 in<br />

Kraft trat und mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Anspruch auf Zuschüsse<br />

zum Zahnersatz für unter 18jährige gestrichen wur<strong>de</strong>.<br />

Statt<strong>de</strong>ssen wur<strong>de</strong>n Maßnahmen <strong>de</strong>r Individualprophylaxe<br />

insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>n bis zu 18jährigen<br />

neu geregelt. Mit <strong>de</strong>m 2. GKV-Neuordnungsgesetz<br />

wur<strong>de</strong>n ab 1.7.1997 die Leistungen bei Zahnersatz reduziert,<br />

erstmals Festzuschüsse eingeführt und das<br />

Verhältnis Vertragszahnarzt – Patient auf eine privatrechtliche<br />

Beziehung gestellt. Bei <strong>de</strong>r Versorgung<br />

mit Zahnersatz wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 50 – 60%ige Zuschuss <strong>de</strong>r<br />

gesetzlichen Krankenkassen um 5% abgesenkt und<br />

durch standardisierte Festzuschüsse in bestimmten<br />

Versorgungsformen ersetzt, die durch <strong>de</strong>n seinerzeitigen<br />

Bun<strong>de</strong>sausschuss <strong>de</strong>r Zahnärzte und Kran-<br />

Dr. Wolfgang Eßer<br />

Stellvertreten<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Kassenzahnärztlichen<br />

Bun<strong>de</strong>svereinigung<br />

IGZ DIe Al t e r n A t I v e nr. 4/<strong>2011</strong> |<br />

11


| Sc h w e r p u n k t t h e m a<br />

Es muss sich die Frage stellen, wieso gera<strong>de</strong> die Zahnärzteschaft<br />

die Probleme <strong>de</strong>r GKV lösen und die damit verbun<strong>de</strong>nen<br />

Risiken schultern sollte?<br />

kenkassen festgelegt wur<strong>de</strong>n. Der Versicherte wur<strong>de</strong><br />

diesbezüglich wie ein Privatpatient behan<strong>de</strong>lt. Schon<br />

mit <strong>de</strong>m GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz wur<strong>de</strong>n ab<br />

<strong>de</strong>m 1.1.1999 alle Elemente <strong>de</strong>r privaten Krankenversicherung<br />

im Bereich <strong>de</strong>r zahnärztlichen Versorgung<br />

wie<strong>de</strong>r zurückgenommen und die vor <strong>de</strong>m 1.1.1997<br />

gelten<strong>de</strong> Rechtslage wie<strong>de</strong>rhergestellt. Nach<strong>de</strong>m es<br />

zu keiner Einigung über die geson<strong>de</strong>rte Finanzierung<br />

<strong>de</strong>s Zahnersatzes in <strong>de</strong>r GKV kam, wur<strong>de</strong> unter<br />

Beibehaltung <strong>de</strong>s Leistungsanspruchs die Ausglie<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s Zahnersatzes aus <strong>de</strong>m allgemeinen<br />

Leistungskatalog und die Einführung einer obligatorischen<br />

Satzungsregelung für Zahnersatz ebenso wie<br />

die Wahlmöglichkeit zur privaten Krankenversicherung<br />

rückgängig gemacht. Zahnersatz wur<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r<br />

zur Sachleistung und <strong>de</strong>r Ausschluss <strong>de</strong>r Zahnersatzleistung<br />

für nach 1978 Geborene wie<strong>de</strong>r rückgängig<br />

gemacht. Das Gesetz zur Anpassung <strong>de</strong>r Finanzierung<br />

bei Zahnersatz (ZahnFinAnpG) vom 15.12.2004 führte<br />

für bereits abgeschlossene private Zusatzversicherungen<br />

ein Son<strong>de</strong>rkündigungsrecht ein. Erst mit <strong>de</strong>m<br />

GKV-Gesundheitsmo<strong>de</strong>rnisierungsgesetz wur<strong>de</strong> zum<br />

1.1.2005 erneut ein System befundbezogener Festzuschüsse<br />

vorgesehen, das bis heute unter allen Beteiligten<br />

eine sehr hohe Akzeptanz genießt. Damit ist<br />

für GKV-Versicherte die Teilhabe am medizinischen<br />

Fortschritt Realität gewor<strong>de</strong>n. Das Festzuschusssystem<br />

garantiert ein hohes Versorgungsniveau in <strong>de</strong>r<br />

Prothetik. Es ist sozial gerecht, transparent, unbürokratisch<br />

und entwickelt eine positive Steuerungswirkung<br />

auf die GKV-<strong>Ausgabe</strong>n. Mit <strong>de</strong>m Erfolg <strong>de</strong>s<br />

Festzuschusssystems ist die prothetische Versorgung<br />

aus <strong>de</strong>m Fokus politischer Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen gerückt.<br />

Vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r erneuten Diskussion,<br />

die Zahnheilkun<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r GKV auszuglie<strong>de</strong>rn,<br />

muss die Frage gestellt wer<strong>de</strong>n, ob sich <strong>de</strong>r Berufsstand<br />

selbst wie<strong>de</strong>r ins Fa<strong>de</strong>nkreuz politischer Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />

rücken will und wenn ja, welche<br />

betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen für<br />

<strong>de</strong>n Berufsstand bei erfolgter Ausglie<strong>de</strong>rung Realität<br />

wer<strong>de</strong>n könnten?<br />

Die Erfahrungen zeigen, dass generell ein gesellschaftlicher<br />

Konsens besteht, Versicherte vor finanzieller<br />

Überfor<strong>de</strong>rung zu schützen und ein System <strong>de</strong>r sozialen<br />

Abfe<strong>de</strong>rung bereitzustellen. Diesem Grundgedanken<br />

wird das Prämienmo<strong>de</strong>ll Zahnmedizin nicht gerecht,<br />

wenn die Pflichtversicherung durch eine Pflicht zur<br />

Versicherung ersetzt wer<strong>de</strong>n soll. Eine solche For<strong>de</strong>rung<br />

ist darüber hinaus mit nicht unerheblichen Risiken<br />

verbun<strong>de</strong>n. Erinnert sei dabei an die Einführung<br />

eines Basistarifs, die notwendigerweise die Frage<br />

eines Sozialausgleichs aufgeworfen hat. Das Mo<strong>de</strong>ll<br />

lässt offen, wie die Direktabrechnung mit Kostenerstattung<br />

und einer sozial abgefe<strong>de</strong>rten Eigenbeteiligung<br />

konkret umgesetzt wer<strong>de</strong>n soll. Zur Frage einer<br />

möglichen Überfor<strong>de</strong>rung von finanziell schwachen<br />

Versicherten durch die Prämienzahlung und Kostenerstattung<br />

wird auf pragmatische, vor allem unbürokratische<br />

Leistungen verwiesen, ohne dass näher auf<br />

die Umsetzung eingegangen wird.<br />

Weitere grundsätzliche Fragen wie die Sicherstellung<br />

einer bedarfsgerechten, wohnortnahen, flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n<br />

Versorgung, die Anpassung an <strong>de</strong>n medizinischen<br />

Fortschritt und die <strong>de</strong>mografische Entwicklung<br />

sind ungeklärt. Die Berechnungen zur Höhe<br />

<strong>de</strong>s Beitrages im Prämienmo<strong>de</strong>ll und die Finanzierung<br />

<strong>de</strong>r Härtefälle sind nicht nachvollzogen. Das<br />

Prämienmo<strong>de</strong>ll grün<strong>de</strong>t sich auf <strong>de</strong>r bekannten Annahme<br />

<strong>de</strong>s FVDZ, außerhalb <strong>de</strong>s engen Rahmens <strong>de</strong>r<br />

GKV bringe eine neue GOZ <strong>de</strong>n Zahnärzten mehr betriebswirtschaftliche<br />

Freiheit. Wie sich spätestens im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r anstehen<strong>de</strong>n GOZ-Novellierung gezeigt<br />

hat, ist dies nicht <strong>de</strong>r Fall, weshalb <strong>de</strong>r FVDZ diese<br />

Novelle mit einer gewissen Konsequenz in toto abgelehnt<br />

hat. Vor allem aber kann nicht ausgeschlossen<br />

wer<strong>de</strong>n, dass für <strong>de</strong>n Fall einer Ausglie<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r Zahnmedizin aus <strong>de</strong>r GKV die Frage <strong>de</strong>s Sozialausgleichs<br />

politisch ähnlich wie im Basistarif mit<br />

generell gebun<strong>de</strong>nen Gebühren beantwortet wer<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>, verbun<strong>de</strong>n mit katastrophalen Folgen für die<br />

Zahnärzteschaft.<br />

Außer<strong>de</strong>m muss sich die Frage stellen, wieso gera<strong>de</strong><br />

die Zahnärzteschaft die Probleme <strong>de</strong>r GKV lösen und<br />

die damit verbun<strong>de</strong>nen Risiken schultern sollte? We<strong>de</strong>r<br />

ist sie Kostentreiber in <strong>de</strong>r GKV noch sind irgendwelche<br />

Aktivitäten innerhalb <strong>de</strong>r Politik zu erkennen,<br />

die darauf hin<strong>de</strong>uten könnten, dass <strong>de</strong>n berechtigten<br />

Interessen <strong>de</strong>r Zahnärzte auf Planungssicherheit und<br />

angemessene Vergütung heute o<strong>de</strong>r in Zukunft hin-<br />

12 | IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong>


Sc h w e r p u n k t t h e m a |<br />

reichend Rechnung getragen wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Vielmehr<br />

wird auch eine neue Gebührenordnung für Zahnärzte<br />

nicht von <strong>de</strong>r Zahnärzteschaft festgelegt, son<strong>de</strong>rn<br />

alleine vom Gesetzgeber verordnet. Auch weiterhin<br />

wird <strong>de</strong>r Zahnärzteschaft kein Verhandlungsrecht<br />

eingeräumt, es gibt auch keine Anpassungsklausel,<br />

die zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>n Inflationsausgleich sicherstellen<br />

wür<strong>de</strong>. Die Zahnärzteschaft ist also auch weiterhin<br />

darauf angewiesen, dass sich <strong>de</strong>r Gesetzgeber bei einer<br />

Novellierung <strong>de</strong>r GOZ ihre Argumente zu eigen<br />

macht o<strong>de</strong>r nicht. Die Tatsache, dass es <strong>de</strong>r Gesetzgeber<br />

im anstehen<strong>de</strong>n Novellierungsverfahren nach<br />

über 23 Jahren nicht für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten hat,<br />

eine Anhebung <strong>de</strong>r GOZ-Punktwerte vorzunehmen,<br />

mag beredtes Beispiel dafür sein, womit die Zahnärzteschaft<br />

zu rechnen hätte.<br />

Die KZBV hat sich nicht nur zum System <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Krankenversicherung bekannt, son<strong>de</strong>rn mit<br />

<strong>de</strong>m Mehrkosten- und Festzuschusssystem nachhaltig<br />

und konsequent das Prinzip <strong>de</strong>r Grund- und Wahlleistungen<br />

in <strong>de</strong>r zahnmedizinischen Versorgung <strong>de</strong>r<br />

gesetzlich Krankenversicherten etabliert.<br />

Die Mehrkostenregelungen und das Festzuschusssystem<br />

sind die Antworten <strong>de</strong>r Zahnärzteschaft auf<br />

mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen. Sie sichern<br />

<strong>de</strong>n Patienten die Teilhabe am medizinischen Fortschritt<br />

und stärken auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>r freien Zahnarztwahl<br />

die direkte Beziehung zwischen Patient und<br />

Zahnarzt. Gleichzeitig bahnt das Festzuschusssystem<br />

<strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>r Kostenerstattung durch <strong>de</strong>n<br />

Patienten unter gleichzeitigem Abbau von bürokratischen<br />

Hür<strong>de</strong>n. Die Kostenerstattung zu liberalisieren<br />

und <strong>de</strong>n Versicherten <strong>de</strong>n barrierefreien Zugang<br />

zur Kostenerstattung zu gewährleisten bleibt ebenso<br />

erklärtes Ziel <strong>de</strong>r KZBV wie <strong>de</strong>n Versicherten die<br />

freie Wahl zwischen Kostenerstattung und Sachleistung<br />

zu ermöglichen, wobei das Recht auf freie Arztwahl<br />

unangetastet bleiben muss. Dabei <strong>de</strong>finiert die<br />

KZBV ihre Aufgabe innerhalb <strong>de</strong>r Selbstverwaltung<br />

auch weiterhin dahingehend, eine sozial ausgewogene,<br />

wohnortnahe, flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong> Versorgung sicherzustellen.<br />

Die im Rahmen <strong>de</strong>s Versorgungsstrukturgesetzes<br />

erreichten Ziele im Hinblick auf eine Vergütungsreform<br />

im Bereich <strong>de</strong>r vertragszahnärztlichen<br />

Versorgung schaffen die Basis, die Folgen <strong>de</strong>r Budgetierung<br />

zu beseitigen und eine am tatsächlichen<br />

Versorgungsbedarf <strong>de</strong>r Versicherten orientierte Anpassung<br />

<strong>de</strong>r Gesamtvergütungen durchzusetzen. Auf<br />

diesen Grundlagen will die KZBV auch weiterhin die<br />

Grundversorgung <strong>de</strong>r Versicherten innerhalb <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Krankenversicherung gewährleisten und<br />

gleichzeitig die wettbewerblichen und unternehmerischen<br />

Möglichkeiten <strong>de</strong>s Gesundheitssystems für<br />

die Zahnärzteschaft erhalten und weiter öffnen. Insofern<br />

bleibt <strong>de</strong>r Nutzen eines Prämienmo<strong>de</strong>lls zunächst<br />

im Unklaren.<br />

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IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong> |<br />

13


| Sc h w e r p u n k t t h e m a<br />

Eric Banthien<br />

Das Prämienmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s FVDZ<br />

Dr./RO Eric Banthien,<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r IGZ,<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r KZV Hamburg<br />

Neue Zeiten bringen neue Herausfor<strong>de</strong>rungen und<br />

diese rufen dann auch nach neuen Lösungen. Den<br />

Kopf in <strong>de</strong>n Sand zu stecken hat da noch nie geholfen.<br />

Insofern ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass<br />

<strong>de</strong>r Freie Verband Deutscher Zahnärzte erneut die<br />

Diskussion um die Finanzierung <strong>de</strong>r zahnärztlichen<br />

Versorgung in <strong>de</strong>r gesetzlichen Krankenversicherung<br />

(im Weiteren GKV genannt) anstößt. Der <strong>de</strong>mographische<br />

Wan<strong>de</strong>l und <strong>de</strong>r medizinische Fortschritt wer<strong>de</strong>n<br />

die Kosten <strong>de</strong>r medizinischen Versorgung in <strong>de</strong>n<br />

nächsten Jahren stark ansteigen lassen und es steht<br />

zu befürchten, dass die Politik dieses wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m<br />

Rücken <strong>de</strong>r Leistungsträger abla<strong>de</strong>n wird.<br />

Um zu erklären, warum dies immer so einfach möglich<br />

ist, muss man zunächst einmal unsere Position<br />

(und die <strong>de</strong>r Ärzte) in unserem Gesundheitssystem<br />

beleuchten. Seit <strong>de</strong>n Bismarckschen Sozialgesetzen,<br />

noch mehr in <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>r sozialen Marktwirtschaft<br />

hat sich zunächst ganz langsam, aber stetig<br />

zunehmend in unserem Land die Auffassung verfestigt,<br />

dass bestimmte Dinge, die einst ganz natürlich<br />

in <strong>de</strong>n Verantwortungsbereich <strong>de</strong>s Individuums fielen,<br />

nun zu <strong>de</strong>n unveräußerlichen Rechten <strong>de</strong>s Menschen<br />

gehören, und <strong>de</strong>r Staat die Pflicht hat, diese zu<br />

gewährleisten. Dazu gehört, neben einem Leben in<br />

materieller Absicherung (jetzt noch ALG II, aber die<br />

Rufe nach einem bedingungslosen Grun<strong>de</strong>inkommen<br />

wer<strong>de</strong>n immer lauter...), auch eine gute Gesundheit -<br />

wobei immer erst die Versorgungspflicht <strong>de</strong>s Staates<br />

eingefor<strong>de</strong>rt wird, während die Pflicht <strong>de</strong>s Individuums<br />

zur eigenverantwortlichen Vorsorge mehr und<br />

mehr aus <strong>de</strong>m Blick gerät. Die gesun<strong>de</strong> Balance zwischen<br />

„För<strong>de</strong>rn und For<strong>de</strong>rn“ löst sich in <strong>de</strong>r praktischen<br />

Politik schnell auf: Das Verteilen von Wohltaten<br />

ist allemal populärer als das Einfor<strong>de</strong>rn von Pflichten.<br />

Und so schürt die Politik - in einer Art vorauseilen<strong>de</strong>m<br />

und falschem Populismus - die Auffassung,<br />

<strong>de</strong>r Staat habe neben vielen an<strong>de</strong>ren Aufgaben auch<br />

die Pflicht, die Gesundheit <strong>de</strong>r Bürger zu erhalten<br />

o<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rherzustellen. Ärzte und Zahnärzte wer<strong>de</strong>n<br />

insofern nur noch als Erfüllungsgehilfen dieser<br />

staatlichen Aufgaben wahrgenommen. Dass sie diese<br />

Aufgabe mit eigenem unternehmerischen Risiko wahrnehmen,<br />

ja dass sie sogar qualifizierte Arbeitsplätze<br />

zur Verfügung stellen und somit nicht unwesentlich<br />

zur Gesamtwirtschaft beitragen, wird hierbei völlig<br />

ignoriert. Mit dieser Tätigkeit ein Einkommen zu erzielen<br />

gilt im Gegenteil fast schon als anrüchig. Das<br />

Einkommen interessiert nur insoweit, als man es als<br />

ungerechtfertigt hoch <strong>de</strong>nunzieren kann. „Das muss<br />

ja wohl reichen“ ist ständig <strong>de</strong>r Tenor, mit <strong>de</strong>m man<br />

protestieren<strong>de</strong> Heilberufler <strong>de</strong>r Geldgier bezichtigt.<br />

Wo an<strong>de</strong>re Wirtschaftszweige regelmäßig für steigen<strong>de</strong><br />

Umsätze gelobt wer<strong>de</strong>n, und steigen<strong>de</strong> Geschäftszahlen<br />

zuverlässig positive Indikatoren sind, da tauchen<br />

diese im öffentlichen Diskurs über das Gesundheitssystem<br />

stets nur als steigen<strong>de</strong> Kosten und somit als<br />

Belastung für die Gesellschaft auf. Und die Schuldigen<br />

an je<strong>de</strong>r Kostensteigerung sind zuverlässig die<br />

Heilberufler, <strong>de</strong>ren Tun es durch kostendämpfen<strong>de</strong><br />

Maßnahmen Einhalt zu gebieten gilt!<br />

Warum habe ich diese <strong>de</strong>primieren<strong>de</strong> Bestandsaufnahme<br />

vorangestellt? Weil wir uns bei unseren Vorschlägen<br />

zur Reform <strong>de</strong>s Gesundheitswesens immer<br />

auch dieser unserer Position bewusst sein müssen.<br />

Sie legt unserer Phantasie gewisse Fesseln an, weil alles,<br />

was wir vorschlagen immer beson<strong>de</strong>rs misstrauisch<br />

beäugt wird. Und da stehen wir nun, sehen <strong>de</strong>n<br />

wachsen<strong>de</strong>n Bedarf an zahnmedizinischer Behandlung<br />

heraufdräuen, und müssen über einen Ausweg<br />

selbst nach<strong>de</strong>nken. Einen Ausweg, <strong>de</strong>r das GKV-System<br />

vor <strong>de</strong>r wachsen<strong>de</strong>n Belastung schützt, ohne die<br />

(Zahn)Ärzte wie<strong>de</strong>r zu Zahlern zu machen. Die IGZ<br />

hat damit schon vor langer Zeit begonnen und Lösungen<br />

angeboten, die zum Abschluss dieser Erörterung<br />

erneut vorgebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Grundi<strong>de</strong>e, die Gesundheitsversorgung über eine<br />

Prämie, statt über einen prozentualen Beitrag zu versichern,<br />

ist auch <strong>de</strong>r IGZ nicht fremd. Tatsächlich hat<br />

die IGZ als ein Mittel gegen die Unterfinanzierung <strong>de</strong>s<br />

Gesundheitswesens schon früher wie<strong>de</strong>rholt eine versicherungstechnisch<br />

sauber gerechnete Prämie vorgeschlagen.<br />

Diese Prämie wür<strong>de</strong> allerdings die Beitragslast<br />

insgesamt erhöhen: Wenn damit wirklich alle<br />

Leistungen bezahlt wer<strong>de</strong>n sollen, muss mehr Geld<br />

ins System. Das ist eher unrealistisch, und somit sind<br />

wir bei <strong>de</strong>r zweiten Übereinstimmung zwischen IGZ<br />

und Freiem Verband. Auch die IGZ hat immer wie<strong>de</strong>r<br />

gefor<strong>de</strong>rt, dass <strong>de</strong>r Leistungskatalog <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Krankenkassen durchforstet wer<strong>de</strong>n muss. Er<br />

muss auf <strong>de</strong>n Umfang reduziert wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n zu bezahlen<br />

die GKV in <strong>de</strong>r Lage ist.<br />

Der Unterschied besteht darin, dass die IGZ nie dafür<br />

war und auch nicht sein wird, die Zahnmedizin<br />

14 | IGZ DIe Al t e r n A t I v e nr. 4/<strong>2011</strong>


Sc h w e r p u n k t t h e m a |<br />

von <strong>de</strong>r Medizin abzukoppeln o<strong>de</strong>r gar in ein separates<br />

Versicherungssystem zu stecken, wie es <strong>de</strong>r Freie<br />

Verband will. Mehr noch schlägt <strong>de</strong>r Freie Verband<br />

vor, die Leistungen nach GOZ zu berechnen und die<br />

dazugehörige Versicherung im Bereich <strong>de</strong>r Privaten<br />

Krankenversicherungen (im Weiteren PKV) anzusie<strong>de</strong>ln.<br />

Das wirft nun mehrere Probleme auf. Wie<br />

weiter oben erläutert brauchen solche Vorschläge,<br />

wenn sie eine Chance haben sollen, zunächst einmal<br />

Akzeptanz. Wenn das Publikum aber nur versteht,<br />

dass <strong>de</strong>r gesetzliche Versicherungsschutz für<br />

Zahnbehandlungen verschwin<strong>de</strong>n soll, je<strong>de</strong>r dagegen<br />

verpflichtet wird, sich privat zu versichern, wird<br />

zunächst einmal wie<strong>de</strong>r die „Gier-Diskussion“ eröffnet<br />

wer<strong>de</strong>n. „Zahnärzte wollen nur noch Privatpatienten“,<br />

ist da eine mögliche Schlagzeile. Das mag<br />

<strong>de</strong>m einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren feige klingen, aber ein guter<br />

Vorschlag, <strong>de</strong>r durchsetzbar ist, ist allemal besser als<br />

eine himmelstürmen<strong>de</strong> I<strong>de</strong>e, die im politischen Diskurs<br />

keine Chance hat.<br />

Es gibt aber auch praktische Erwägungen: Die IGZ<br />

hat immer unterstrichen, dass wir nicht befugt sind,<br />

im Namen unserer Patienten auf das Recht auf Behandlung<br />

zu verzichten. Im Gegenteil ist und bleibt<br />

es Credo <strong>de</strong>r IGZ, dass die Gel<strong>de</strong>r, die in <strong>de</strong>r GKV<br />

für Zahnbehandlung vorgesehen sind, weiterhin für<br />

Zahnbehandlung zur Verfügung stehen sollen. Es besteht<br />

und bestand immer die Gefahr, dass die Zahnmedizin,<br />

rein aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kostendämpfung, zu<br />

Gunsten an<strong>de</strong>rer Bereiche <strong>de</strong>r Medizin ausgeschlossen<br />

o<strong>de</strong>r reduziert wird; <strong>de</strong>m sollten wir nicht auch<br />

noch Vorschub leisten.<br />

Und drittens ist <strong>de</strong>r Vorschlag <strong>de</strong>s FVDZ in <strong>de</strong>r Lage,<br />

die Trennung zwischen PKV- und GKV-System aufzuweichen<br />

und damit <strong>de</strong>r Konvergenz <strong>de</strong>r Versicherungssysteme<br />

weiteren Vorschub zu leisten. Eine Zahnversicherung,<br />

die systematisch noch <strong>de</strong>r GKV zugehörig<br />

ist, ihren Versicherten auch einen <strong>de</strong>r GKV nachempfun<strong>de</strong>nen<br />

Leistungsumfang versichert, aber in GOZ-<br />

Positionen abgerechnet wird, nach GOZ erstattet und<br />

in <strong>de</strong>r privaten Krankenversicherung angesie<strong>de</strong>lt ist,<br />

wird das zweite Einfallstor <strong>de</strong>r GKV ins PKV-System<br />

nach <strong>de</strong>m Basistarif. Hier liegt wohl <strong>de</strong>r größte Fehler<br />

<strong>de</strong>s Vorschlages <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s. Was haben<br />

wir uns dagegen gewehrt, als die Systematik <strong>de</strong>r<br />

GKV in die Verträge <strong>de</strong>r privaten Krankenversicherung<br />

übertragen wer<strong>de</strong>n sollte, und jetzt for<strong>de</strong>rn wir<br />

es selbst? Das kann nicht <strong>de</strong>r richtige Weg sein!<br />

Zusätzlich problematisch macht <strong>de</strong>n Vorschlag <strong>de</strong>r<br />

Wust an weiterer Bürokratie, <strong>de</strong>r dadurch ausgelöst<br />

wird. Die Medizin soll ja weiter in <strong>de</strong>r GKV bleiben.<br />

Und die Zahnmedizin wird nicht wirklich reine Privatleistung.<br />

Die sozialen Komponenten wer<strong>de</strong>n zusätzlich,<br />

aber in einer an<strong>de</strong>rn Systematik, weiterhin<br />

berücksichtigt. Die Prämie sozial abzufe<strong>de</strong>rn wird<br />

notwendig sein, soweit richtig. Zuschüsse aus Steuermitteln<br />

in eine private Krankenversicherung zu zahlen<br />

scheint aber systemwidrig. Die Eigenbeteiligung<br />

bei Behandlungskosten sozial abzufe<strong>de</strong>rn wird in <strong>de</strong>r<br />

Systematik <strong>de</strong>r PKV noch schwieriger. Soll <strong>de</strong>r Patient<br />

sie beim Lohnsteuerjahresausgleich als beson<strong>de</strong>re<br />

Belastung einreichen und solange in Vorlage treten?<br />

Das ist eher illusorisch. Diese Mittel hat <strong>de</strong>r Härtefall-Versicherte<br />

nicht eben mal herumliegen.<br />

Schließlich ist auch die Trennung von Zahnmedizin<br />

und Medizin in verschie<strong>de</strong>ne Versicherungssysteme<br />

dazu geeignet, die Zahnmedizin in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Publikums<br />

zu einer weniger wichtigen Medizin zu machen.<br />

Wie weiter oben ausgeführt ist <strong>de</strong>r Mensch bei<br />

uns gewohnt, alle wirklich wichtigen Lebensbereiche<br />

in einem staatlichen System versichert zu wissen. Es<br />

wäre zu befürchten, dass die Abson<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Zahnmedizin<br />

hier Scha<strong>de</strong>n verursacht.<br />

Die IGZ ist aus allen diesen Grün<strong>de</strong>n nicht für eine<br />

Ausglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Zahnmedizin aus <strong>de</strong>m GKV-System.<br />

Und auch nicht für eine Preisgabe <strong>de</strong>r Gel<strong>de</strong>r,<br />

die in diesem System für zahnärztliche Behandlung<br />

vorgesehen sind. Unsere Patienten sollen in die Praxis<br />

kommen und wissen, dass die notwendigen Grundleistungen<br />

versichert sind. Sie sollen sich mittels Zuzahlungen<br />

<strong>de</strong>r ganzen Palette <strong>de</strong>r Zahnmedizin erfreuen<br />

dürfen, sollen aber nie notwendige Behandlungen<br />

aufschieben müssen aus Angst vor entstehen<strong>de</strong>n Kosten.<br />

Die Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Demographie und<br />

beson<strong>de</strong>rs die <strong>de</strong>s medizinischen Fortschritts müssen<br />

daher über Festzuschusssysteme und Mehrkostenvereinbarungen<br />

abgefe<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, während das<br />

strikt Notwendige immer angstbarrierefrei zugänglich<br />

bleibt. Der Leistungskatalog muss ständig angepasst<br />

und überprüft wer<strong>de</strong>n, die als notwendig erkannten<br />

Leistungen über eine versicherungstechnisch sauber<br />

kalkulierte Prämie finanziert. Diese sollte dann<br />

aus Steuermitteln sozial abgefe<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Auf je<strong>de</strong>n<br />

Fall aber muss alles dieses innerhalb <strong>de</strong>s GKV-<br />

Systems passieren, in <strong>de</strong>r privaten Krankenversicherung<br />

hat die gesetzliche Zahnbehandlung weiterhin<br />

nichts zu suchen!<br />

IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong> |<br />

15


| Sc h w e r p u n k t t h e m a<br />

Thomas Einfeldt<br />

Zahnmedizin raus aus <strong>de</strong>r GKV?<br />

Zum Vorschlag <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s, die Zahnmedizin aus<br />

<strong>de</strong>m Leistungskatalog <strong>de</strong>r GKV herauszulösen<br />

Dr. Thomas Einfeldt<br />

Vorstandsmitglied <strong>de</strong>r Zahnärztekammer<br />

Hamburg<br />

„Das sukzessive Herauslösen klar abgegrenzter Bereiche<br />

aus <strong>de</strong>m Leistungskatalog <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Krankenversicherung sowie <strong>de</strong>ren Finanzierung über<br />

Prämien ist <strong>de</strong>r beste Weg für eine nachhaltige Entwicklung.“<br />

FVDZ-Chef Sundmacher nimmt eine alte<br />

For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Freien Verban<strong>de</strong>s erneut auf. Es ist<br />

<strong>de</strong>r Glaube, dass die „Privatisierung“ uns Zahnärzte<br />

aus <strong>de</strong>n Budgetbegrenzungen und <strong>de</strong>n Honorarzwängen<br />

herausbringen könnte. Auf <strong>de</strong>r diesjährigen<br />

Hauptversammlung wird ein Schweizer Ökonom als<br />

Sachverständiger bemüht, <strong>de</strong>r aufzeigt, wie ein Prämienmo<strong>de</strong>ll<br />

dieses Vorhaben finanzieren kann. Fraglich<br />

ist, ob nun ausgerechnet die Schweiz und <strong>de</strong>ren<br />

vergleichsweise teures Gesundheitssystem ein Spar-<br />

Vorbild für Deutschland sein.<br />

Grundsätzlich ist aber zu klären, was die <strong>de</strong>utsche Gesellschaft<br />

will was sie für gerecht und fair hält. Der<br />

<strong>de</strong>utsche Verbraucher möchte eine soli<strong>de</strong> Grundversorgung<br />

seiner Gesundheit (und zwar in allen Teilgebieten)<br />

und hat sich im Bereich <strong>de</strong>r Zahnmedizin<br />

an Zusatzleistungen gewöhnt, ist bereit, dafür sogar<br />

Zusatzversicherungen abzuschließen.<br />

Die IGZ hat stets die Überzeugung bekun<strong>de</strong>t, dass<br />

die Zahnmedizin an das ärztliche System angeglie<strong>de</strong>rt<br />

bleiben muss. Zahn-Medizin und Medizin müssen<br />

verbun<strong>de</strong>n bleiben. „Gesund beginnt im Mund“<br />

hieß ein Slogan <strong>de</strong>r BZÄK, <strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>utlich machen<br />

sollte, wie wichtig die Zahnmedizin für die Allgemeingesundheit<br />

<strong>de</strong>s Patienten ist. Die Verursacher-Frage<br />

o<strong>de</strong>r das „Selber-Schuld-putzt-nicht-Prinzip“ ist<br />

zu simpel und wird - wie beispielsweise im Bereich<br />

<strong>de</strong>r Parodontologie <strong>de</strong>n Ursachen nicht gerecht -, ist<br />

unsozial und führt in die falsche Richtung. Zahnmedizin<br />

ist kein Bereich, <strong>de</strong>n man aus <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Krankenversicherung herauslösen sollte. Die Zahnmediziner<br />

haben lange dafür gekämpft, dass KZVen<br />

eingerichtet wur<strong>de</strong>n, die die Versorgung sicher stellen,<br />

und dafür, dass durch die freie Arztwahl alle Vertragszahnärzte<br />

alle gesetzlich Versicherten behan<strong>de</strong>ln<br />

konnten. Das war aber nicht immer so!<br />

In jüngster Zeit war es <strong>de</strong>r BZÄK ein großer Erfolg,<br />

die „Öffnungsklausel“ in <strong>de</strong>r GOZ abzuwehren und<br />

somit „Einkaufsmo<strong>de</strong>lle“ <strong>de</strong>r privaten Krankenversicherungen<br />

zu verhin<strong>de</strong>rn. Die Zahnmedizin aus <strong>de</strong>m<br />

medizinischen Versicherungssystem herauszulösen,<br />

mit einer „Pflicht zur Versicherung“ zu versehen und<br />

durch einkommensunabhängige Prämien zu finanzieren,<br />

die steuerfinanzierte Sozialausgleiche benötigen,<br />

ist ein großes Wagnis. Welche Signale gingen von so<br />

einem Vorhaben aus?<br />

1. Zahnmedizin ist nicht so wichtig wie Augenheilkun<strong>de</strong>,<br />

HNO, Chirurgie o<strong>de</strong>r Orthopädie.<br />

2. Zahnmedizin wird zum Anhängsel <strong>de</strong>r Medizin.<br />

Statt Zahnärzten können auch Dentisten die nötigen<br />

Dienstleistungen erbringen und ihr „Handwerk“<br />

auf Fachhochschulniveau erlernen. Ernsthafte<br />

Erkrankungen <strong>de</strong>r Mundhöhle wer<strong>de</strong>n von<br />

MKG-Chirurgen und HNO-Ärzten behan<strong>de</strong>lt.<br />

3. Zahnmedizin ließe sich künftig so versichern wie<br />

eine Auto-Kasko-Versicherung. Statt um die Gesundheit<br />

von Patienten ginge es um die Behebung<br />

von Scha<strong>de</strong>nsfällen - ein Schub in Richtung Vergewerblichung<br />

<strong>de</strong>s Berufsstan<strong>de</strong>s.<br />

4. Wenn es steuerfinanzierte Sozialausgleiche für<br />

die Prämien geben soll, dann holen wir mit <strong>de</strong>m<br />

Finanzminister einen Finanzier an <strong>de</strong>n Verhandlungstisch,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Punktwert in <strong>de</strong>r GOZ seit 1988<br />

nicht erhöht hat.<br />

Die IGZ hat vor etlichen Jahren erfolgreich die Festzuschüsse<br />

in die gesundheitspolitische Diskussion<br />

eingebracht. Im ZE-Bereich haben sie sich sinnvoll<br />

ausgewirkt und die Budgetierung been<strong>de</strong>t. Zuzahlungen<br />

existieren im Kons-Bereich für Füllungen und<br />

entsprechen schon fast <strong>de</strong>n Festzuschüssen. Festzuschüsse<br />

könnte es auch im Bereich PAR, Kfbr und<br />

Endo geben.<br />

Es ist unklug, die Zahnmedizin von <strong>de</strong>r Medizin abzukoppeln.<br />

Im Gegenteil, es muss <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n,<br />

dass zahnmedizinische Leistungen eine Grundlage für<br />

Gesundheit sind. Der Anteil <strong>de</strong>r Zahnmedizin an <strong>de</strong>n<br />

GKV-<strong>Ausgabe</strong>n ist in <strong>de</strong>n letzten Jahren gesunken, obwohl<br />

ihre Be<strong>de</strong>utung gestiegen ist. Eigentlich müssten<br />

wir mehr aus <strong>de</strong>m GKV-Topf bekommen, weil gera<strong>de</strong><br />

im Beratungsbereich und in <strong>de</strong>r Prävention viel mehr<br />

geleistet wird – zu alten Honoraren.<br />

Ob wir eine Bürgerversicherung bekommen, wie die<br />

SPD und Grünen sie for<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r eine einkommensunabhängige<br />

Kopf-Pauschale/Prämie mit steuerfinanzierten<br />

Sozialausgleich – das wer<strong>de</strong>n wir sehen,<br />

aber es wäre falsch, sich freiwillig von <strong>de</strong>m Finanzierungssystem<br />

<strong>de</strong>r Ärzte abzukoppeln.<br />

16 | IGZ DIe Al t e r n A t I v e nr. 4/<strong>2011</strong>


Sc h w e r p u n k t t h e m a |<br />

Anna Sax<br />

Solidarität mit<br />

Schönheitsfehlern<br />

Das Schweizer Finanzierungsmo<strong>de</strong>ll als sozialpolitische<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

Die Schweiz gehört weltweit zu <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>n<br />

höchsten Gesundheitsausgaben. Finanziert wer<strong>de</strong>n<br />

diese <strong>Ausgabe</strong>n größtenteils über Kopfpauschalen<br />

für die soziale Krankenversicherung und eine hohe<br />

Selbstbeteiligung <strong>de</strong>r Patientinnen und Patienten.<br />

Diese Art <strong>de</strong>r Finanzierung führt zu einer überdurchschnittlichen<br />

Belastung <strong>de</strong>r Haushalte mit<br />

kleinen und mittleren Einkommen. Reformvorhaben<br />

gehen vor allem in die Richtung einer För<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r integrierten Versorgungsnetze und eines<br />

verfeinerten Risikostrukturausgleichs zwischen <strong>de</strong>n<br />

Krankenkassen.<br />

Wie in fast allen OECD-Län<strong>de</strong>rn wachsen auch in <strong>de</strong>r<br />

Schweiz die Gesundheitskosten kontinuierlich an. Sie<br />

sind 2009 auf einer Höhe von etwas über 6000 Euro<br />

pro Kopf und Jahr angelangt, was weltweit einer <strong>de</strong>r<br />

höchsten Werte ist. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) liegt wie in Deutschland bei rund 11.5%.<br />

Dieser Anteil ist seit 10 Jahren in etwa stabil geblieben,<br />

die Gesundheitsausgaben entwickelten sich mithin<br />

im Gleichschritt mit <strong>de</strong>m Wirtschaftswachstum.<br />

Überdurchschnittlich fiel das Wachstum in <strong>de</strong>n letzten<br />

Jahren bei <strong>de</strong>n ambulanten Leistungen <strong>de</strong>r Krankenhäuser<br />

ins Gewicht. Die Kostenverlagerung vom<br />

stationären zum ambulanten Bereich zeitigt gewisse<br />

Umverteilungswirkungen zu Lasten <strong>de</strong>r tieferen Einkommensschichten,<br />

was mit <strong>de</strong>m schweizerischen<br />

Finanzierungssystem zu tun hat: Die ambulante Gesundheitsversorgung<br />

wird – abgesehen von Zuzahlungen<br />

<strong>de</strong>r Patientinnen – vollständig über einkommensunabhängige<br />

Kopfpauschalen finanziert, während<br />

die Krankenhausrechnungen zur Hälfte über Steuergel<strong>de</strong>r<br />

beglichen wer<strong>de</strong>n.<br />

Finanzierungs-Mix führt zu sozialen Härtefällen<br />

Die soziale Krankenversicherung ist für die ganze Bevölkerung<br />

obligatorisch. Sie wird von rund 80 Krankenkassen<br />

durchgeführt und <strong>de</strong>ckt die Grundversorgung<br />

ab – mit Ausnahme <strong>de</strong>r Zahnarztkosten, die von<br />

<strong>de</strong>n Patienten direkt bezahlt o<strong>de</strong>r über eine private<br />

Zusatzversicherung ge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n können. Ebenfalls<br />

privat versichert wer<strong>de</strong>n kann <strong>de</strong>r Aufenthalt<br />

im Einzelzimmer o<strong>de</strong>r die Behandlung durch einen<br />

bevorzugten Arzt im Krankenhaus. Insgesamt <strong>de</strong>ckt<br />

die obligatorische Grundversicherung rund ein Drittel<br />

<strong>de</strong>r Gesundheitsausgaben ab. Ein weiteres Drittel<br />

wird über an<strong>de</strong>re Sozialversicherungen (Unfall- und<br />

Invali<strong>de</strong>nversicherung, Altersvorsorge), Privatversicherungen<br />

o<strong>de</strong>r Steuergel<strong>de</strong>r finanziert und das<br />

letzte Drittel wird schließlich durch die Patientinnen<br />

und Patienten direkt aus <strong>de</strong>r eigenen Tasche bezahlt.<br />

Dieser Out-of-pocket Anteil von über 30% ist<br />

zumin<strong>de</strong>st innerhalb <strong>de</strong>r OECD-Län<strong>de</strong>r mit Abstand<br />

<strong>de</strong>r höchste. Er setzt sich zusammen aus wählbaren<br />

Franchisen (Selbstbehalten), einer Selbstbeteiligung<br />

von 10%, selbst gekauften Arzneimitteln, unge<strong>de</strong>ckten<br />

Pflegekosten im Alter und Zahnarztbehandlungen.<br />

Zusammen mit <strong>de</strong>n einkommensunabhängigen<br />

Kopfpauschalen zur Finanzierung <strong>de</strong>r obligatorischen<br />

Grundversicherung ergibt sich so eine hohe finanzielle<br />

Belastung <strong>de</strong>r Haushalte mit kleinen und mittleren<br />

Einkommen und insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Familien.<br />

Die Kopfpauschalen zur Finanzierung <strong>de</strong>r Krankenversicherung<br />

waren seit ihrer Einführung im Jahr<br />

1996 immer wie<strong>de</strong>r ein Thema in <strong>de</strong>n gesundheitspolitischen<br />

Diskussionen in <strong>de</strong>r Schweiz. Ihre Abschaffung<br />

ist jedoch nicht mehrheitsfähig und bereits mehrfach<br />

in Volksabstimmungen gescheitert. Der Grund<br />

dafür dürfte darin liegen, dass <strong>de</strong>r Mittelstand eine<br />

Mehrbelastung durch einkommensabhängige Beiträge<br />

befürchtet. Jedoch wird mit individuellen Prämienverbilligungen<br />

(staatlichen Zuschüssen an die Krankenkassenprämien<br />

einkommensschwacher Haushalte)<br />

versucht, einen sozialen Ausgleich zu schaffen, was<br />

bei <strong>de</strong>r Gruppe mit <strong>de</strong>n kleinsten Einkommen tatsächlich<br />

gelingt. Für die mittleren Einkommensschichten<br />

jedoch, <strong>de</strong>ren Einkünfte knapp über <strong>de</strong>r Schwelle <strong>de</strong>s<br />

Anspruchs auf Prämienverbilligung liegen, bleibt <strong>de</strong>r<br />

Anteil <strong>de</strong>r Gesundheitsausgaben am Haushaltsbudget<br />

hoch. Die Situation verschärft sich zusätzlich durch<br />

die oben erwähnte Leistungsverschiebung vom stationären<br />

zum ambulanten Bereich, weil dadurch die<br />

Versicherungsbeiträge im Vergleich zu <strong>de</strong>n Gesamtkosten<br />

überdurchschnittlich ansteigen.<br />

Solidarität mit Einschränkungen<br />

Hinter <strong>de</strong>m Finanzierungsmo<strong>de</strong>ll über Kopfpauschalen<br />

mit individueller Prämienverbilligung liegt ursprünglich<br />

<strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>r Solidarität: Gesun<strong>de</strong> sollen die<br />

Kosten <strong>de</strong>r Gesundheitsversorgung ebenso mittragen<br />

wie Kranke. Allerdings erfährt diese Solidarität Einbußen,<br />

dies vor allem aus vier Grün<strong>de</strong>n: Erstens wirkt<br />

das Prämienverbilligungssystem nicht im gewünschten<br />

Maß und ist zu<strong>de</strong>m in <strong>de</strong>n Kantonen unterschied-<br />

Anna Sax, lic.oec.publ. MHA,<br />

Gesundheitsökonomin,<br />

Dozentin und Redakteurin <strong>de</strong>r<br />

Schweizerischen Ärztezeitung<br />

IGZ DIe Al t e r n A t I v e nr. 4/<strong>2011</strong> |<br />

17


| Sc h w e r p u n k t t h e m a<br />

lich ausgestaltet. Zweitens gibt es die Möglichkeit einer<br />

wählbaren Franchise; das heißt, in<strong>de</strong>m sie sich<br />

verpflichten, auf einer abgestuften Skala die ersten<br />

300 bis 2500 Franken (240 bis 2000 Euro) aus <strong>de</strong>r<br />

eigenen Tasche zu bezahlen, können die Versicherten<br />

ihre Beiträge um maximal 40% reduzieren; es versteht<br />

sich von selbst, dass diese Möglichkeit in erster Linie<br />

von wohlhaben<strong>de</strong>ren Personen mit einem eher guten<br />

Gesundheitszustand wahrgenommen wird. Drittens<br />

variieren die Kopfpauschalen innerhalb <strong>de</strong>r Schweiz<br />

stark: Bei <strong>de</strong>r gleichen Krankenversicherung kann<br />

die Grundversicherung in Genf doppelt so teuer sein<br />

wie in Appenzell, <strong>de</strong>nn die Prämien richten sich unter<br />

an<strong>de</strong>rem nach <strong>de</strong>n effektiv anfallen<strong>de</strong>n Gesundheitskosten<br />

in <strong>de</strong>n Kantonen. Viertens schließlich – und<br />

das ist für viele Experten <strong>de</strong>r wichtigste „Schönheitsfehler“<br />

im System – fehlt es an einem genügend fein<br />

austarierten Risikostrukturausgleich zwischen <strong>de</strong>n<br />

Krankenkassen. Dies hat zur Folge, dass es an koordinierten<br />

Versorgungsprogrammen für chronisch<br />

und mehrfach kranke Versicherte fehlt, weil die Krankenkassen<br />

kein Interesse daran haben, diese Patientengruppen<br />

mit attraktiven Angeboten „anzulocken“.<br />

Dieser Systemfehler soll allerdings in absehbarer Zeit<br />

korrigiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Kopfpauschalen stehen trotz einiger Probleme,<br />

die sie verursachen, nicht ernsthaft zur Debatte. Diskutiert<br />

wird jedoch zunehmend die Frage, welcher<br />

Out-of-pocket Anteil an <strong>de</strong>r Finanzierung noch vertretbar<br />

sei. Franchisen, Zuzahlungen an die Arzt-<br />

In einer Genfer Untersuchung gaben 15% <strong>de</strong>r Befragten an,<br />

aus Kostengrün<strong>de</strong>n auf Arztbesuche zu verzichten, am häufigsten<br />

wird ein Besuch beim Zahnarzt aufgeschoben.<br />

Finanzierung <strong>de</strong>s Schweizer Gesundheitswesens nach Direktzahlern<br />

Staat<br />

Krankenversicherung KVG<br />

(Grundversicherung)<br />

Übrige Sozialversicherungen<br />

Privatversicherungen<br />

Private Haushalte<br />

An<strong>de</strong>re private<br />

Finanzierung<br />

Der Staat beteiligt sich an <strong>de</strong>r Finanzierung einerseits in Form von verschie<strong>de</strong>nen Subventionen an die stationären Betriebe<br />

<strong>de</strong>s Gesundheitswesens und an Einrichtungen wie die Spitex, und an<strong>de</strong>rerseits in Form von Dienstleistungen zu<br />

Gunsten <strong>de</strong>r Bevölkerung: Verwaltung <strong>de</strong>s öffentlichen Gesundheitswesens, Prävention und Rettungsdienste.<br />

Der Finanzierungsanteil <strong>de</strong>r Haushalte setzt sich zusammen aus <strong>de</strong>n Zahlungen für Leistungen, die nicht von <strong>de</strong>n Versicherungen<br />

abge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Kostenbeteiligungen und Selbstbehalten bei <strong>de</strong>r Krankenversicherung.<br />

Stand: 9.09.<strong>2011</strong>, Quelle: Bun<strong>de</strong>samt für Statistik, Kosten und Finanzierung <strong>de</strong>s Gesundheitswesens,<br />

© BFS - Statistisches Lexikon <strong>de</strong>r Schweiz<br />

und Krankenhauskosten, hohe Eigenbeteiligungen<br />

bei <strong>de</strong>n Kosten <strong>de</strong>r Langzeitpflege und insbeson<strong>de</strong>re<br />

die nicht durch die Krankenkassen ge<strong>de</strong>ckten<br />

Zahnbehandlungen wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n einen als sinnvoller<br />

Anreiz zu mehr Eigenverantwortung wahrgenommen,<br />

von an<strong>de</strong>ren jedoch als unsozial gebrandmarkt.<br />

Tatsächlich zeigen Untersuchungen über die<br />

Auswirkungen hoher Eigenbeteiligungen, dass diese<br />

bei vulnerablen Gruppen wie Migrantinnen, bildungsfernen<br />

und/o<strong>de</strong>r einkommensschwachen Schichten<br />

zu einer Unterversorgung führen können. Eine Vergleichsstudie<br />

zwischen <strong>de</strong>r Schweiz und Deutschland 1<br />

hat gezeigt, dass Personen in <strong>de</strong>r Schweiz weniger<br />

oft zum Arzt gehen als in Deutschland, was als positives<br />

Signal für die Wahrnehmung von Eigenverantwortung<br />

interpretiert wer<strong>de</strong>n kann. Allerdings zeigt<br />

sich bei <strong>de</strong>r Schweizer Bevölkerung ein unterschiedliches<br />

Verhalten je nach sozialem Status: Je tiefer das<br />

Einkommens- und Bildungsniveau und je schlechter<br />

<strong>de</strong>r Gesundheitszustand, <strong>de</strong>sto stärker negativ wirkt<br />

sich die Zuzahlungspflicht auf die Inanspruchnahme<br />

ärztlicher Leistungen aus. In einer Genfer Untersuchung<br />

2 gaben 15% <strong>de</strong>r Befragten an, aus Kostengrün<strong>de</strong>n<br />

auf Arztbesuche zu verzichten; am häufigsten<br />

wird ein Besuch beim Zahnarzt aufgeschoben. Auch<br />

hier sind die Gruppen mit niedrigen Einkommen am<br />

stärksten vertreten.<br />

Die hohen und weiter steigen<strong>de</strong>n Kopfpauschalen<br />

zusammen mit <strong>de</strong>m hohen Anteil selbst bezahlter<br />

Kosten könnten über kurz o<strong>de</strong>r lang zu einer sozialen<br />

Zerreißprobe führen. Bei einer repräsentativen<br />

Bevölkerungsbefragung im Frühjahr <strong>2011</strong> bezeichneten<br />

52% <strong>de</strong>r Befragten die <strong>Ausgabe</strong>n für die Kranken-<br />

1 Huber Carola A., Kostenbeteiligungen: Scha<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Nutzen für die Gesundheitsversorgung?<br />

Eine vergleichen<strong>de</strong> Wirkungsanalyse zwischen Deutschland und <strong>de</strong>r Schweiz,<br />

Bern 2009<br />

2 Wolff Hans u.a., Health care renunciation for economic reasons in Switzerland, in:<br />

Swiss Medical Weekly <strong>2011</strong>;141:w13165<br />

18 | IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong>


Sc h w e r p u n k t t h e m a |<br />

kassenprämien als „gelegentliches o<strong>de</strong>r dauerhaftes<br />

Problem“ 3 . Bei <strong>de</strong>n unteren Einkommensschichten<br />

steigt dieser Anteil auf 75%. Die Zahl <strong>de</strong>r Versicherten,<br />

die mit <strong>de</strong>r Zahlung ihrer Prämien im Rückstand<br />

sind und so riskieren, nur noch im Notfall auf ärztliche<br />

Hilfe zählen zu können, ist <strong>de</strong>nn auch seit einigen<br />

Jahren im Steigen begriffen. <strong>Ausgabe</strong>n für zahnärztliche<br />

Behandlungen können ein Haushaltsbudget zusätzlich<br />

aus <strong>de</strong>m Lot bringen. So kann die Zahnkorrektur<br />

für ein Kind ohne weiteres mehrere Tausend<br />

Franken kosten. Immer mehr Schweizerinnen und<br />

Schweizer suchen einen Zahnarzt im benachbarten<br />

Ausland auf, um Kosten zu sparen, o<strong>de</strong>r sie verzichten<br />

sogar auf notwendige Zahnarztbesuche.<br />

Zahnärztliche Versorgung im Wan<strong>de</strong>l<br />

Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite gibt es auch Hinweise darauf,<br />

dass die selbst zu finanzieren<strong>de</strong>n Zahnarztkosten die<br />

Prävention und die Eigenverantwortung för<strong>de</strong>rn. Tatsächlich<br />

ist die Zahngesundheit <strong>de</strong>r Schweizer Bevölkerung<br />

gut, <strong>de</strong>r Kariesbefall ist seit Jahren rückläufig.<br />

Zu<strong>de</strong>m fin<strong>de</strong>t ein Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>r zahnärztlichen Versorgung<br />

statt. Unter <strong>de</strong>n Zahnarztpraxen hat ein verstärkter<br />

Wettbewerb eingesetzt, und die hohen Preise<br />

sind in <strong>de</strong>n letzten Jahren unter Druck gekommen. An<br />

die Stelle von frei praktizieren<strong>de</strong>n Zahnärzten treten<br />

Praxisketten mit angestellten Zahnärzten, die dank<br />

<strong>de</strong>r Personenfreizügigkeit mit <strong>de</strong>r EU mehrheitlich<br />

aus <strong>de</strong>m europäischen Ausland rekrutiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Patientinnen und Patienten holen vor einer größeren<br />

zahnärztlichen Behandlung immer öfter Kostenvoranschläge<br />

ein, um Preisvergleiche anstellen zu<br />

können. Unter <strong>de</strong>m Strich lässt sich feststellen, dass<br />

das Kostenwachstum in <strong>de</strong>r Zahnmedizin hinter <strong>de</strong>m<br />

Wachstum <strong>de</strong>r Gesundheitsausgaben zurück geblieben<br />

ist. Wirtschaftsliberale Gesundheitsökonomen<br />

führen dies auf die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

in <strong>de</strong>r Branche zurück. Anzufügen ist allerdings<br />

auch hier, dass beispielsweise in <strong>de</strong>r Migrationsbevölkerung<br />

eine zahnärztliche Unterversorgung<br />

festzustellen ist: Kariesbildung, bei <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

insgesamt im Rückgang, ist bei Kleinkin<strong>de</strong>rn ausländischer<br />

Herkunft zunehmend anzutreffen.<br />

Geplante und beschlossene Reformen<br />

Verschie<strong>de</strong>ne Reformprojekte sind <strong>de</strong>rzeit in <strong>de</strong>r<br />

schweizerischen Gesundheitspolitik in Arbeit o<strong>de</strong>r<br />

bereits verabschie<strong>de</strong>t:<br />

• Bereits ab 2012 wer<strong>de</strong>n die Leistungen <strong>de</strong>r Krankenhäuser<br />

mit diagnosebezogenen Fallpauschalen<br />

DRG abgerechnet, wie es in Deutschland schon<br />

seit längerem <strong>de</strong>r Fall ist. Davon erhofft man sich<br />

effizientere Abläufe und mehr Transparenz über<br />

Leistungen und Kosten im stationären Bereich.<br />

3 Interpharma/gfs Gesundheitsmonitor <strong>2011</strong>. Download: http://www.interpharma.ch/<br />

<strong>de</strong>/pdf/Schlussbericht_gfs_Monitor_<strong>2011</strong>.pdf<br />

Unter <strong>de</strong>n Zahnarztpraxen hat ein verstärkter<br />

Wettbewerb eingesetzt, und die<br />

hohen Preise sind in <strong>de</strong>n letzten Jahren<br />

unter Druck gekommen. An die Stelle von<br />

frei praktizieren<strong>de</strong>n Zahnärzten treten<br />

Praxisketten mit angestellten Zahnärzten.<br />

• En<strong>de</strong> September <strong>2011</strong> entschied das Parlament,<br />

dass künftig integrierte Versorgungsnetze stärker<br />

geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Dies soll mittels Anreizen<br />

bei <strong>de</strong>n Versicherten geschehen, in<strong>de</strong>m die Selbstbeteiligung<br />

von 10% auf 15% erhöht wird für Patienten,<br />

die sich weiterhin außerhalb <strong>de</strong>r Versorgungsnetze<br />

von (Spezial-)Ärztinnen ihrer Wahl<br />

behan<strong>de</strong>ln lassen wollen. Gegen diesen Parlamentsbeschluss<br />

wur<strong>de</strong> das Referendum ergriffen,<br />

was be<strong>de</strong>utet, dass es zu einer Volksabstimmung<br />

kommen wird.<br />

• Ebenfalls in einer Volksabstimmung entschei<strong>de</strong>n<br />

wird sich die Frage, ob die soziale Krankenversicherung<br />

auch in Zukunft durch 80 verschie<strong>de</strong>ne<br />

Krankenkassen, die sich gegenseitig die „guten Risiken“<br />

abzujagen versuchen, durchgeführt wer<strong>de</strong>n<br />

soll. Gegenstand dieser Abstimmungsvorlage ist<br />

eine öffentliche Einheitskrankenkasse. Je länger<br />

eine Verfeinerung <strong>de</strong>s Risikostrukturausgleiches<br />

zwischen <strong>de</strong>n Krankenkassen auf sich warten lässt,<br />

<strong>de</strong>sto mehr steigen die Chancen für einen Volksentscheid<br />

zugunsten einer öffentlichen Einheitskrankenkasse.<br />

• Ein weiteres gesundheitspolitisches Projekt, das<br />

bereits mehrfach aufgegriffen und wie<strong>de</strong>r ad acta<br />

gelegt wor<strong>de</strong>n ist, besteht in einer monistischen<br />

Finanzierung <strong>de</strong>r Gesundheitsversorgung aus einer<br />

Hand über die ganze Betreuungskette hinweg.<br />

Damit sollen Fehlanreize behoben wer<strong>de</strong>n, die aufgrund<br />

<strong>de</strong>r unterschiedlichen Finanzierungsschlüssel<br />

zwischen Staat und Krankenkassen im stationären<br />

und im ambulanten Bereich entstehen.<br />

Als Fazit bleibt zu vermerken, dass die Kopfpauschalen<br />

zur Finanzierung <strong>de</strong>r obligatorischen Grundversicherung<br />

politisch zur Zeit nicht zur Debatte stehen.<br />

Allerdings wird sich die Politik <strong>de</strong>r Problematik einer<br />

steigen<strong>de</strong>n Belastung <strong>de</strong>r einkommensschwachen<br />

Haushalte, kombiniert mit einem hohen Anteil<br />

an Zuzahlungen und Out-of-pocket Finanzierung,<br />

durch Kopfpauschalen mehr und mehr bewusst. Reform-<br />

und ausbaubedürftig ist insbeson<strong>de</strong>re das System<br />

<strong>de</strong>r individuellen Prämienverbilligungen, was<br />

wegen <strong>de</strong>r Zuständigkeit <strong>de</strong>r 26 Kantone alles an<strong>de</strong>re<br />

als eine einfache Aufgabe sein wird.<br />

IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong> |<br />

19


| Im p r e s s u m<br />

Impressum<br />

Die Verbän<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r IGZ<br />

Herausgeber:<br />

Interessengemeinschaft Zahnärztlicher Verbän<strong>de</strong> in<br />

Deutschland IGZ e.V.<br />

Dr./RO Eric Banthien<br />

Papyrusweg 8, 22117 Hamburg<br />

Telefon: (040) 712 73 11<br />

Telefax: (040) 712 96 24<br />

Redaktion:<br />

Benn Roolf<br />

Ra<strong>de</strong>nzer Str. 21, 12437 Berlin<br />

Telefon: (030) 536 99 894<br />

Telefax: (030) 536 99 895<br />

Verlag und Anzeigenverkauf:<br />

one line Produktionsbüro & Werbeagentur<br />

Ra<strong>de</strong>nzer Str. 21, 12437 Berlin<br />

Telefon: (030) 536 99 894<br />

Telefax: (030) 536 99 895<br />

Titelfoto: BK / Fotolia.com<br />

Auflage:<br />

2.500 Exemplare<br />

Erscheinungsweise:<br />

4mal im Jahr<br />

Bran<strong>de</strong>nburg:<br />

Verband Nie<strong>de</strong>rgelassener Zahnärzte<br />

Land Bran<strong>de</strong>nburg e.V.<br />

Helene-Lange-Str. 4-5, 14469 Potsdam<br />

Tel. (0331) 297 71 04<br />

Fax (0331) 297 71 65<br />

www.vnzlb.<strong>de</strong><br />

Hamburg:<br />

Zahnärzteverband Z2000<br />

Mühlendamm 92, 22087 Hamburg<br />

Tel. (040) 22 76 180<br />

Fax (040) 22 76 120<br />

Saarland:<br />

Verband <strong>de</strong>r Zahnärzte im Saarland e.V.<br />

Puccinistr. 2, 66119 Saarbrücken<br />

Tel. (0681) 58 49 359<br />

Fax (0681) 58 49 363<br />

www.vdzis.<strong>de</strong><br />

Westfalen-Lippe:<br />

Wählerverband Zahnärzte Westfalen<br />

Reichshofstr. 77, 58239 Schwerte<br />

Tel. (02304) 671 37<br />

Fax (02304) 632 54<br />

www.w-z-w.<strong>de</strong><br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht<br />

unbedingt die Meinung <strong>de</strong>r Redaktion o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Herausgebers<br />

wie<strong>de</strong>r. Bei redaktionellen Einsendungen<br />

ohne beson<strong>de</strong>ren Vermerk behalten sich <strong>de</strong>r Herausgeber<br />

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ist geschützt und darf nicht an<strong>de</strong>rweitig abgedruckt<br />

o<strong>de</strong>r vervielfältigt wer<strong>de</strong>n. Gerichtsstand und Erfüllungsort:<br />

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20 | IGZ Die Al t e r n a t iv e Nr. 4/<strong>2011</strong>

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