SABRIYE TENBERKEN & PAUL KRONENBERG EINE CHANCE ...
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Titelfoto: Wolfgang Schmidt zum Gespräch mit Sabriye Tenberken<br />
12 2011<br />
DIE WELT MIT NEUEN AUGEN SEHEN<br />
Gehe den einen Weg viele Male.<br />
Nicht zu wissen aber zu grüßen<br />
den Baum an der Wegkehre,<br />
vertraut zu werden<br />
mit der Wiese am Grund<br />
und auch der Lichtung,<br />
die immer wieder<br />
auftut den Himmel.<br />
Gehe den Weg viele Male<br />
bis er dein wird.<br />
So übt sich die Liebe.<br />
Hans Müller-Wiedemann, «Liebesübung»<br />
Ein Weg, immer wieder aufs Neue gegangen, wird uns vertraut. Bei jedem Mal sehen wir bisher<br />
Übersehenes, entdecken Neues, verstehen Altbekanntes besser. Noch stärker ist dieser Effekt, wenn<br />
wir denselben Weg zurück gehen. Berggestalten, Baumformen, Gebäude erscheinen in einem<br />
völlig neuen Licht – immer wieder ist es faszinierend, wie anders die Dinge wirken, sieht<br />
man sie «von hinten».<br />
Solche «Liebesübungen» sind heilsam, weil der Mensch im Allgemeinen recht schnell zu einer bestimmten,<br />
eingeübten oder eingewöhnten Sicht der Dinge neigt, die er ungern revidiert.Als Heiner<br />
Geissler seinen Kompromissvorschlag zur Lösung des Konflikts um Stuttgart 21 präsentierte, erntete<br />
er von allen Seiten Kritik, denn keine der streitenden Parteien mochte von ihren Vorstellungen, mit<br />
denen sie lange Zeit gelebt hatte,Abschied nehmen.<br />
Ist es schon schwer, sich auf zwei Sichtweisen ein und derselben Sache einzulassen, so stellt<br />
Rudolf Steiners Hinweis, man solle sich darum bemühen, eine Sache von zwölf unterschiedlichen<br />
Gesichtspunkten aus sehen zu lernen, um sie in ihrer umfassenden Dimension zu verstehen, so<br />
etwas wie eine Utopie dar. Dennoch würde es sich lohnen, diese Anregung einmal wenigstens<br />
versuchsweise in die Praxis umzusetzen.Wie viele Konflikte eskalieren, weil es den Beteiligten nicht<br />
gelingt, einmal auch nur anfänglich die eigene Position «von der anderen Seite aus» anzuschauen.<br />
Womöglich träte dann das Wunder ein, dass wir die Dinge, die Welt, den Anderen plötzlich mit<br />
neuen Augen sehen – so, als wäre es das erste Mal.<br />
Das ist der «Weihnachtsblick» – dieVoraussetzung für das «Friede auf Erden».<br />
Aus Stuttgart grüßt Sie von Herzen, Ihr<br />
Frank Berger<br />
editorial 03<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,