Magazin zu Restaurierung, Denkmalpflege, Handwerkstradition
Schutzgebühr 4,00 €
April 2015 . 1. Ausgabe
Restaurierung | Denkmalpflege | Tradition
WERTE 2015
NOSTALGISCHE LEIDENSCHAFT
ALTES HANDWERK -
NEUER GENUSS
Haute
Couture
FÜR JEDERMANN
HINTER DEN KULISSEN
6
EDITORIAL
10
NOSTALGISCHE
LEIDENSCHAFT
BLICK IN DIE WERKSTATT
20
BESONDERE ZEITGENOSSEN
SELBST
ERFAHREN
26
D
„KLEIDER MACHEN LEUTE.“
ieses Zitat kennen viele von der gleichnamigen Novelle
des Schweizer Dichters Gottfried Keller. Darin wird ein armer
Schneidergeselle aufgrund seiner Kleidung für einen polnischen Grafen
gehalten.
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ALTES HANDWERK −
NEUER GENUSS
3 EDITORIAL
5 NEWS & TERMINE
Neuauflage, Gartentage, Erstausgabe
Inhalt
6 BLICK IN DIE WERKSTATT
Sollen Zigarren länger lagern, sind Holz und Befeuchtungssystem
die entscheidenden inneren Werte beim Humidorbau und -kauf.
10 NOSTALGISCHE LEIDENSCHAFT
Grammophone, Pferdespielzeug oder Bagger: Historische Technik
hat ihre Liebhaber und Sammler – und auch ihren Wert.
12 UNTER DER LUPE
Durch Feuervergolden erstrahlt ein unansehnlich gewordenes,
barockes Ziborium nach der Restaurierung in altem Glanz.
14 HINTER DEN KULISSEN
Im Alltag selten geworden, sind alte Berufe und handwerkliches
Können beim Theater gefragt. Die Abteilung „Kostüm und Maske“
von den Salzburger Festspielen gewährt einen Einblick.
18 INTERVIEW
Was wird die Zukunft bringen? Welche Trends werden sich
durchsetzen? Trendbeobachter Mathias Haas gibt Antworten.
20 BESONDERE ZEITGENOSSEN
Gerwin Rodewald hat sich auf Klarinette, Saxophon & Co.
spezialisiert, damit diese nicht aus dem letzten Loch pfeifen.
22 ALTES HANDWERK – NEUER GENUSS
Im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee hatte der
Verleger Christoph Keller 2005, als er beschloss, sein Hobby zum
Beruf zu machen und fortan edle Destillate zu brennen.
26 SELBST ERFAHREN
Wer hat an der Uhr gedreht? Beim Uhrenseminar sind etwas
Geduld und ruhige Hände gefragt, bevor der veredelte Zeitmesser
schließlich das Handgelenk ziert.
30 EXPERTENVERZEICHNIS
Von „B“ wie Baukeramik bis „Z“ wie Zimmerer –
diese Experten helfen mit Rat und Tat.
FÜR UNS BEKAM DIE REDEWENDUNG gleich zweifach
Bedeutung, als wir Anfang des Jahres zu Gast in der Abteilung „Kostüm
und Maske“ der Salzburger Festspiele waren: Zum einen formt die
Kleidung, die im Alltag meist von Zweckmäßigkeit geprägt ist, in der
Welt des Theaters wesentlich die jeweiligen Charaktere. Zum anderen
trafen wir auf Leute, die diese Kostüme herstellen und ihr Handwerk
dabei nicht nur lieben, sondern es mit spürbarer Leidenschaft erfüllen.
Die kunstvollen Kreationen sind ein wahres Fest für die Sinne!
WAS DIE ZUKUNFT uns bringen wird, wollten wir von Matthias
Haas wissen. Er will sich als Trendbeobachter bewusst von Forschern
und Propheten abheben und setzt auf sein eigenes Wissen sowie seine
Erfahrungen, die er während seines Berufslebens zusammengetragen hat.
Auf dieser Basis erkennt und beurteilt er Trends. Wie das im Einzelnen
aussieht, hat er uns im Interview verraten.
EINE VIELVERSPRECHENDE PERSPEKTIVE hat auch antikes
technisches Kulturgut, das wir nicht nur in unseren Ausstellungen
gerne zeigen, sondern mittlerweile eine eingeschworene Sammlergemeinde
hat. Wir finden ebenfalls: Das Grammophon hat durchaus das
Zeug zum Kultobjekt.
LASSEN SIE SICH ERNEUT von unserer Themenvielfalt
verzaubern und genießen Sie die Lektüre! Ursula Hoffmann Thomas Büscher
IMPRESSUM
HERAUSGEBER
Thomas Büscher,
buescher@werte2015.de,
Ursula Hoffmann,
hoffmann@werte2015.de
REDAKTION
Thomas Büscher, Paul Göttl,
Ursula Hoffmann, Frank Jörger
MITARBEITER DER AUSGABE
Ivar A. Aune, Matthias Gaul,
Nobilis, Karin Weidenbacher
GRAFIK UND PRODUKTION
Frank Jörger, Stephanie Tarateta,
Marcus Zimmer
DRUCK
W. Kohlhammer Druckerei
GmbH & Co. KG, Stuttgart
ANZEIGENVERKAUF
Thomas Büscher,
buescher@werte2015.de,
Bettina Pfeffer,
bettina.pfeffer@etmservices.de
VERTRIEB EINZELVERKAUF
DPV – Deutscher Pressevertrieb GmbH, 20355 Hamburg, Telefon 07 11.32 06 99 44, Telefax: 07 11.1 82-25 50, E-Mail an: bestellservice@dpv.de
VERLAG
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Verlags- und Veranstaltungs-GmbH
Geschäftsbereich ETMservices
Handwerkstraße 15
70565 Stuttgart
Telefon: 07 11.7 84 98-80
Internet: www.eurotransport.de
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BLICK HINTER DIE KULISSEN
HauteCouture
FÜR JEDERMANN
Jeden Sommer machen internationale Opernstars und
renommierte Schauspieler die Salzburger Festspiele zu
einem bedeutenden Kulturereignis. In die aufwändigen
Inszenierungen der sechswöchigen Spielzeit steckt die
Abteilung „Kostüm und Maske“ viel handwerkliches Können.
BLICK HINTER DIE KULISSEN
L angsam geht das Licht aus, die Zuschauer verstummen, die
ersten Klänge aus dem Orchestergraben ertönen. Der Vorhang öffnet
sich für eine andere, fantastische Welt. Ob mit einem Paukenschlag oder
mit leisen Tönen, in monochromen Farben oder fröhlich bunt – eine
gute Inszenierung lebt von einer harmonischen Wechselbeziehung
zwischen Musik, Bühnen- und Kostümbild. Bis zum Tag der Premiere ist
es jedoch ein langer Weg. Denn an einer neuen Inszenierung sind neben
dem Regisseur und den Protagonisten zahlreiche Spezialisten beteiligt.
Die Salzburger Sommerfestspiele beschäftigen an die 5.000 Personen
in zwölf Spielstätten. „Allein die Abteilung ‚Kostüm und Maske‘ zählt
während der Festspielzeit bis zu 380 Mitarbeiter“ erklärt deren Leiterin,
Dorothea Nicolai. Dazu gehören neben Gewandmeistern, Damen- und
Herrenschneidern, auch Weißnäher für Herrenwäsche, Färber, Modisten,
Schuhmacher, Garderober, Textilreiniger, Wäscher und Wäschebügler,
Mitarbeiter des Theaterfundus sowie Maskenbildner. „Hier überleben
Handwerksberufe, die im Alltag immer seltener werden,“ erläutert die
Kostümdirektorin. Im ehemaligen Stall der Felsenreitschule arbeitet das
Team Hand in Hand und höchst kreativ zusammen. Anders wäre die
Arbeit auch gar nicht zu bewerkstelligen, denn je nach musikalischer
Vorlage sind für eine einzige Aufführung bis zu 600 Kostüme erforderlich.
„Bei einer Mozart-Oper sind es etwa 120, bei einem Stück von Berlioz
wächst die Anzahl schnell auf mehrere Hundert an“, führt die Leiterin
aus. Ein Kostüm besteht nicht nur aus dem sichtbaren Gewand sondern
schließt passende Unterwäsche, Strümpfe und Mieder bis hin zu Hüten,
Perücken und Handtaschen ein.
16
Herren-Gewandmeister
Armin
Zwicker überträgt
das Schnittmuster.
Der Reifrock sorgt für
voluminöse Kleider.
KOSTÜME
ALS AUSDRUCK
VON ZEITGEIST
Dementsprechend
komplex sind Planung
und Umsetzung. Der
Prozess beginnt
beim Kostümbildner,
der in ersten
Skizzen die
vom Regisseur
gewünschte
Optik, den
Zeitgeist und
den gesellschaftlichen
Kontext
einfängt. Die Umsetzbarkeit
dieser Ideen
wird im Anschluss mit der
Kostümdirektorin und ihrem Team
diskutiert. Welche Bewegungen müssen die
Kleidungsstücke ermöglichen, sind schnelle Umzüge während des Stückes
geplant, wie wird das Bühnenbild aussehen? All diese Aspekte müssen
von Anfang an in die Überlegungen einbezogen werden, um einen effektiven
Ablauf zu gewährleisten. In Frage kommende Materialien werden
erörtert, eventuell vorhandene Teile im Fundus recherchiert. „Der kreative
Anteil unserer Arbeit ist sehr hoch, erläutert der Gewandmeister der Herrenschneiderei,
Armin Zwicker, „denn wenn beispielsweise der Boden sehr
rau ist, können wir bei langen Kostümen keine feinen Stoffe verwenden.
Die Säume würden der Beanspruchung nicht standhalten.“ Nach Prüfung
der Entwürfe auf Tauglichkeit beginnt die handwerkliche Fertigung.
Die Werkstätten der Schneiderei fertigen bis zu 600 Kostüme für eine einzige Aufführung.
„Am Theater überleben Handwerksberufe,
die im Alltag immer weniger benötigt werden.“
Dorothea Nicolai, Direktorin ‚Kostüm und Maske‘, Salzburger Festspielfonds
In der Färberei werden dazu Stoffproben eingefärbt, „was bei manchen
Materialien ein langes Experimentieren erfordert“, erzählt Elke Grothe-
Schönswetter, eine ausgebildete Restauratorin. Sie probiert gerade an
grobem Sackleinen, wie sich ein rückseitiger Farbauftrag auf der Vorderseite
auswirkt. Auf dem Tisch daneben liegen Quasten, deren purpurne
Farbunterschiede nur Nuancen ausmachen. Schnell bekommt auch
der Laie ein Gespür, welch perfektionistischer Anspruch hinter jedem
einzelnen Arbeitsschritt steht und welches Fachwissen notwendig ist. Alle
Teammitglieder haben ein Handwerk erlernt und sich entsprechend ihres
Aufgabengebietes vielfältig weitergebildet. Die künstlerisch-technische
Ausbildung zum Gewandmeister erfordert beispielsweise ein vierjähriges
Studium und setzt eine Schneiderlehre voraus.
Applizierte Blüten mit Swarowski-Kristallen
zieren das Kleid der „Buhlschaft“.
GEBURTSHELFER EINER IDEE
Dorothea Nicolai weiß, was einen guten Gewandmeister ausmacht: „Er
hat das historische Wissen, kennt die fachlichen Regeln, nimmt sich aber
dennoch die Freiheit, anders darauf zu reagieren.“ Konkret bedeutet das,
alte Schnittführungen zu kennen, ein großes kulturgeschichtliches Repertoire
zu besitzen, vor allem jedoch aus dem eigenen Erfahrungsschatz zu
schöpfen. Viele winzige Details, wie die korrekte Position eines Abnähers,
der die Silhouette vorteilhaft erscheinen lässt oder die Unterkonstruktion
eines Reifrocks, im Fachjargon Krinoline genannt, sind das Werk kreativer
GewandmeisterInnen. Neben beratenden Aufgaben sind sie hauptsächlich
für die Schnitterstellung sowie die Umsetzung in der Schneiderei
verantwortlich. Oft wird zunächst ein Musterteil gefertigt. Erst wenn
Proportionen, Längen, Verschlüsse und vieles andere festgelegt und von
den Kostümbildnern abgesegnet sind, beginnt die Einzelfertigung aus dem
Originalstoff. Neben jeweils zwei Gewandmeistern in der Damen- und
Herrenschneiderei, arbeiten in jeder Werkstatt zusätzlich zehn Schneiderinnen
und Schneider, die sich auf Damen- oder Herrenkonfektion spezialisiert
haben. Josefa Schmeisser, Gewandmeisterin der Damenschneiderei,
weiß um die besonderen Herausforderungen. Beispielsweise wenn bei
einem offenen Umzug, also vor den Augen der Zuschauer, in Sekundenschnelle
ein Kleidungsstück abgelegt oder angezogen werden muss.
In solch einem Fall kommen anstatt Knöpfe Magnete zum Einsatz. Der
schnellste Umzug von Placido Domingo in „Il trovatore“ dauerte gerade
einmal acht Sekunden.
Nuancierte Versuche sind erforderlich, bis
die purpurne Farbe für die Quasten gefällt.
IMPROVISATION ALS HERAUSFORDERUNG
Spontaneität ist auch dann gefragt, wenn es gilt, auf plötzliche
Änderungen zu reagieren. „Wir müssen höchst flexibel sein“, meint
Herren-Gewandmeister Gregor Kristen, „denn wird eine Rolle kurzfristig
umbesetzt, passt die Ersatz person in den seltensten Fällen
genau in das vorhandene Kostüm.“ Anproben sind daher wichtige
Meilensteine der Herstellung. „Bei Hemden für Opernsänger ist es
entscheidend, dass der Kragen genügend Weite für die Bewegungen
des Kehlkopfes hat“, erklärt Maria Willert aus der Weißnäherei. Da die
Salzburger Festspiele kein festes Ensemble haben, sind ihre Künstler
während des Jahres weltweit unterwegs. Die Koordination der
Anprobe-Termine ist daher ein zeitlicher wie logistischer Kraftakt.
Der vorderseitige Farbauftrag zeigt die
gewünschte Wirkung auf der Stoffrückseite.
Es kommt bisweilen vor, dass die Gewandmeister irgendwo in Europa
an ein bis zwei Tagen einen ganzen Chor vermessen und einkleiden
müssen. Zurück in Salzburg, werden aus Hunderten von Einzelmaßen
dann die Kostüme angefertigt. „Bei prominenten Persönlichkeiten
ist eine gute Atmosphäre während der Anprobe besonders wichtig“,
erklärt Gregor Kristen, „schließlich handelt es sich um eine intime
Situation.“ Gleichzeitig lobt er die Stars, die sehr freundlich und
professionell mit den Kostümfachleuten zusammenarbeiten. Cecilia
Bartoli bedankt sich beispielsweise immer mit einem gemeinsamen
Abendessen für alle Beteiligten. „Wir haben einen tollen Beruf“, sind
sich alle einig, denn es ist etwas ganz Besonderes, Teil der Salzburger
Festspiele zu sein.
URSULA HOFFMANN
Stoffe verschiedenster Materialien und Farben liegen griffbereit.
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BESONDERE ZEITGENOSSEN
In Deutschland sind nach Angaben des Deutschen Musikinformationszentrums
in Bonn rund 1.550 Musikinstrumentenbauer
tätig, davon 130 Holzblasinstrumentenmacher. Einer davon ist Gerwin
Rodewald. Nach seiner Einschätzung sind nur weitere 20 Kollegen wie
er selbst auf die Rohrblattinstrumente Klarinette, Saxophon, Oboe und
Fagott spezialisiert.
MEISTERLICHE EINRICHTUNG
Die Nische, die sich der Koblenzer für seine Arbeit gesucht hat, ist also
sehr klein. Und dies im wörtlichen Sinne. Sein Arbeitstisch befindet sich
hinter dem Kastenfenster der kaum zwölf Quadratmeter großen Werkstatt,
die er sich nach dreijähriger Lehre und einjähriger Meisterschule
1991 in Koblenz in einem Barockhaus aus der Zeit der ehemaligen
Residenzstadt Ehrenbreitstein eingerichtet hat. Nicht nur das Handwerk
und das Haus sind alt, auch viele Teile der Werkstatteinrichtung sind
deutlich älter als der 53-jährige Meister selbst. Von seinem Großvater
lernte er schon als Kind das Drechseln und so hat er die kunstvollen
Griffe seiner Spezialwerkzeuge und auch ein Holzhämmerchen selbst
hergestellt. Für seine Kunden drechselt er Handstützen für die schweren
Instrumente. Wenn vor dem Drehscheibentelefon keine modernen
Kunststoffschalen lägen – die Werkstatt könnte man für so alt halten
wie Gerwin Rodewald selbst.
KLAPPRIGER MECHANISMUS
Außer Holz bearbeitet der Musikinstrumentenbauer Kork, Filz, Leder
und Metall an den Instrumenten, die er oft auch individuell für den Benutzer
anpasst. Der Vater zweier Söhne hat ebenfalls Entwicklungsarbeit
geleistet und eine kindgerechte Mechanik für das Fagott verbessert.
So machen die Klappen, welche die Luftlöcher öffnen und schließen,
den größten Anteil seiner Arbeit aus. Sie müssen dicht anliegen und
leichtgängig sein. Jede Klappe für sich ist ein Einzelstück, das Rodewald
ab und an sehr individuell ausformt. Und jede befestigt er mit eigens angepassten,
unterschiedlich langen Schrauben am Korpus. Damit nichts
durcheinanderkommt, steckt er die rund 100 Schrauben einzeln und
in einer bestimmten Reihenfolge in ein Schraubenbrett. Die kleineren
finden Platz im Gehäuse einer Napfschnecke. Große Sorgfalt erfordern
auch die mit Kork abgedichteten Steckverbindungen zwischen den
einzelnen Teilen eines manchmal seinen Spieler überragenden Fagotts,
das auseinandergenommen in ein handliches Köfferchen passt.
UNGESTÖRTE
HARMONIE
Rodewald liebt und lebt seinen
Beruf in einer Harmonie, die sich
auch nicht durch die Enge und
scheinbare Unordnung in seiner
Werkstatt stören lässt. Neben
den vielfältigen handwerklichen
Fähigkeiten beherrscht er auch
die Instrumente und findet als
Musiker neben der Arbeit in
seiner Werkstatt auch noch
Zeit für Probentermine und
Konzertauftritte.
IVAR A. AUNE
Die Werkstatt im Haus von 1658.
Hier steht eine Bu.
Hier steht eine Bu.
Der hohle Stiefel dieses Fagotts besteht aus Metall. Die Halterung der
Klappe darüber ist sehr individuell ausgestaltet.
20
Damit keine Schrauben verloren gehen, stecken sie geordnet im
Schraubenbrett oder liegen im Gehäuse einer Napfschnecke.
GLÜCKLICH IN DER
Nische
Bei Musikinstrumenten, die schon mal in der
Preisklasse teurer Mittelklassewagen liegen,
lohnt sich nicht nur eine Reparatur, sondern
auch eine umfassende Restaurierung. Gerwin
Rodewald aus Koblenz-Ehrenbreitstein hat
sich auf Holzblasinstrumente spezialisiert.
21
SELBST ERFAHREN
DIE GUNST DER
Stunde
A
Ein Uhrenseminar vermittelt viel
Wissenswertes über Aufbau und Funktion
eines Zeitmessers und führt zu einem
individuellen, eigenhändig veredelten
Schmuckstück am Handgelenk.
ls ich einen Prospekt der Karlsruher Uhrenmanufaktur
Schäuble & Söhne durchstöbere, offenbart sich mir ein
faszinierender Mikrokosmos. Ein Flieger- oder Oldtimer-Chronograph
mit gebläuten Schräubchen, punziertem Räderwerk und vielen weiteren
Veredelungen, gefertigt von mir? Die Entscheidung fällt schnell auf
eine hochwertige Flieger-„Basisuhr“, die im Seminarpreis von 1.280 Euro
enthalten ist. Meine zittrigen und auch nicht zart geformten Hände
bilden nicht gerade die ideale Voraussetzung für dieses Vorhaben,
doch will ich unbedingt mein eigenes Meisterstück der Feinmechanik
schaffen.
26
„TAG X“
Zwei ganze Tage werde ich in einem Wochenend-Werkstattseminar
eine individuell gestaltete Fliegeruhr mit Handaufzugwerk schaffen.
Inhaber Gunther Schäuble begrüßt die acht Teilnehmer zum
Fulltime-Veredelungskurs im einladend hellen Schulungsraum seiner
1924 gegründeten Traditions-Uhrenmanufaktur und stellt uns die
Seminarleiter Till Lottermann, Timo Arnsfeld und Michael Teutsch vor,
allesamt erfahrene Uhrmachermeister. „Wir wollen unsere Leidenschaft
für das Innenleben tickender Zeitmesser an Euch weitergeben“, meint
Lottermann. „Diese Faszination werdet Ihr beim Eintauchen in die
Technik spüren.“
27
SELBST ERFAHREN
Demontage und Montage
der filigranen Uhrwerkteile
erfordern viel Feingefühl,
Geduld und eine ruhige Hand.
SCHIMMERNDE SCHICHT
Im Anschluss heißt es kräftig Schleifen. Das Anlegen von Gummi-
Fingerlingen vermeidet lästige Fingerspuren auf den frisch gereinigten
Bestandteilen unserer künftigen Uhren-Kunstwerke. Akkurat glätten wir
die Oberflächen aller Miniaturschrauben, Rädchen und Platten. Und
schon suche ich als Erster ein winziges Schräubchen, das von der Werkbank
gefallen und immens wichtig ist – denn jetzt wird „gebläut“. „Die
Schrauben werden so lange erhitzt, bis sich eine bläulich schimmernde
Oxidationsschicht auf dem Metall bildet“, erklärt Lottermann. Folgsam
schalte ich den Bunsenbrenner ein und fasse die wiedergefundene
Schraube vorsichtig mit der Pinzette. Und siehe da: Es klappt tatsächlich.
Ein motivierendes Lob vom Meister dringt an mein Ohr, während unter
den Tischen um mich herum die Jagd nach den nächsten verlorenen
Schräubchen einsetzt.
THEORIE UND PRAXIS
Jedem Teilnehmer wird zu Beginn eine eigene Werkbank und
professionelles Uhrmacher-Werkzeug zur Verfügung gestellt.
Zunächst erhalten wir eine Einführung in die Feinmechanik, wichtige
Informationen zu den verschiedenen Uhrmachertechniken sowie zu
Aufbau und Funktion der wertvollen, im Fachjargon auch gern als „Timepiece“
bezeichneten Uhren. Dann der erste Kontakt: Ehrfürchtig halten
wir die Objekte unserer Begierde in Händen, die wir in den nächsten zwei
Tagen auseinandernehmen, veredeln und wieder zusammenmontieren
werden. Handaufzug, Gehäuse und Lünette aus Edelstahl, Lünette und
Glas-Gehäuseboden schraubbar, gut ablesbare Leuchtziffern auf schwarzem
Untergrund und Unitas-Kaliber. Die Spannung steigt: Es geht an die
Demontage. Die Profi-Uhrmacher stehen fortan bei jedem Handgriff mit
guten Tipps und beruhigenden Worten an unserer Seite und nehmen
uns die Scheu vor der filigranen Mechanik.
PRÄZISES ZERLEGEN
„Bevor wir loslegen, müssen wir die Genauigkeit der Uhrwerke auf der
Zeitwaage prüfen“, sagt Teutsch. „Bei dieser Prüfung erkennen wir, ob
und um wie viele Sekunden eine Uhr pro Tag vor- oder nachgeht.“
Kurz darauf steht das Ergebnis des Rohwerk-Checks fest: „Sie gehen
alle punktgenau.“ Die Lupe ins Auge geklemmt und die Pinzette in der
Hand, folgen die Arbeitsschritte der Uhren-Demontage: Abspannen,
Lösen der einzelnen Schrauben, Entfernen von Unruh, Hemmungsrad,
Ankerbrücke, Anker und Aufzugsrädern. Dann bauen wir Räderwerksund
Federhausbrücke sowie das gesamte Räderwerk aus. Zum Schluss
entnehmen wir noch Aufzugs- und Kupplungstrieb und schrauben
die Aufzugsabdeckung ab. „Achtet besonders auf das Zifferblatt.
Wenn Ihr nicht vorsichtig seid, riskiert Ihr schnell einen Kratzer“, warnt
Arnsfeld. Nach einer guten Stunde liegen rund 80 filigrane Einzelteile
vor mir: Zifferblatt, Zeiger, Unruh, Aufzugwelle, Krone, Glasboden,
Rubinlager und viele kleine Zahnrädchen, Schrauben und Metallplättchen.
Alles kommt fürs Erste unter eine Glasglocke, um Verlusten
vorzubeugen.
HOCHKARÄTIGE BESETZUNG
Bunsenbrenner, Lupe, Schraubenziehersatz, Pinzette und Zahnstocher
sollen uns ab sofort dabei helfen, das leere 42-mm-Gehäuse mit
veredelten Ingredienzen zu füllen. „Teile des Uhrwerks werden nun
vergoldet und die Schrauben gebläut, damit der Blick durch den Glasboden
auf eine einwandfreie Optik fällt“, fasst Schäuble zusammen.
„Der Individualisierungsgrad ist nahezu unbegrenzt; Ihr könntet also
das Ziffernblatt gern auch zusätzlich noch in eine 24-karätige Echtgold-Lünette
setzen und mit Namen oder Initialen personalisieren.“
Zur Schonung unserer Geldbeutel gehen wir rasch zur Ultraschall-
Reinigung der einzelnen Komponenten über.
Gespannt verfolgen die Seminarteilnehmer die Prüfung
der Ganggenauigkeit ihrer Uhren auf der Zeitwaage.
Der Uhrmachermeister demonstriert die Perlage- und Punziertechnik.
GESCHLAGENE KREISE
Am zweiten Tag lernen wir nach einer erneuten Ultraschall-Reinigung das
Punzieren – und sind erstaunt, wie schnell wir es beherrschen. Mit jedem
Schlag entstehen mittels eines feinen Metallstifts winzige kreisförmige
Ornamente. Der Zusammenbau des Uhrwerks kristallisiert sich schnell
als komplizierteste Aufgabe des Seminars heraus. Alle Einzelteile werden
noch einmal gründlich gereinigt und millimetergenau zusammengesetzt.
„Betrachtet das Schrauben als eine Kunst und macht es mit wenig Kraft“,
mahnt Lottermann. Wir sind froh, dass die Uhrmacher-Profis uns beim
Einhalten der richtigen Reihenfolge unterstützen. Zum Schluss folgt der
Einbau der Unruh. Gebannt fiebern wir dem Ergebnis entgegen und starren
auf die Zeitwaage. Die Unruh bewegt sich! „Ihr könnt sehr zufrieden
sein, Eure Uhren laufen genauso gut wie vorher“, lobt uns Lottermann.
KRÖNENDER ABSCHLUSS
Dann folgen die letzten Handgriffe. Das Einschalen des Uhrwerks ins
Gehäuse, auch „Hochzeit“ genannt, sowie das Anbringen von Zifferblatt,
Zeiger und Krone. Geschafft! Als Ergebnis prangt nun ein unverwechselbares
Einzelstück mit der Nummer 565 an meinem Handgelenk. Das
zweitägige Seminar hat einen einfachen Uhrenliebhaber in einen wahren
Meister der Feinmechanik verwandelt und es wird ganz sicher nicht das
letzte Uhrenseminar gewesen sein, das ich besucht habe! KARIN WEIDENBACHER
DIE INDIVIDUELLE UHR
Uhrenseminare unterschiedlicher Dauer, Schwierigkeitsgrade
und Preisklassen bieten unter anderem nachfolgende
Hersteller an:
∙ Schäuble & Söhne Manufakturwaren GmbH, 76131 Karlsruhe
www.schaeuble-soehne.de
∙ Lottermann & Söhne GdbR, 68239 Mannheim
www.lottermannundsoehne.de
∙ NIVREL Uhren – Gerd Hofer GmbH, 66119 Saarbrücken
www.nivrel.com
∙ Hessische Uhrmacherschule, 61267 Neu-Anspach
www.hess-uhrmacherschule.de
∙ mecanicus-Chronometrie Bernd Eckel, 73230 Kirchheim | Teck
www.mecanicus.de
∙ Schaumburg & CCM Braun Uhrenseminare, 31737 Rinteln
www.schaumburgwatch.com
∙ ASKANIA AG Uhrenmanufaktur, 10178 Berlin
www.askania-berlin.de
∙ Uhrmachermeister Kriescher GbR, 52146 Würselen
www.uhrenschrauber.de
∙ Uhrmachermeister Reinhold Flüthe, 48291 Telgte
www.uhrenseminare-fluethe.de
∙ Juwelier Joh. H. Windecker KG, 61440 Oberursel
www.windecker.de
∙ Labhart-Chronometrie, CH-9004 St. Gallen
www.chronometrie.ch
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