Der Lohn der Frau unter die Lupe genommen
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RUTH KÖHN<br />
<strong>Der</strong> <strong>Lohn</strong> <strong>der</strong> <strong>Frau</strong><br />
<strong>unter</strong> <strong>die</strong> <strong>Lupe</strong><br />
<strong>genommen</strong><br />
GEWERKSCHAFT<br />
NAHRUNG • GENUSS • GASTSTÄTTEN
<strong>Der</strong> <strong>Lohn</strong> <strong>der</strong> <strong>Frau</strong> <strong>unter</strong> <strong>die</strong> <strong>Lupe</strong> <strong>genommen</strong><br />
Mit dem Problem <strong>der</strong> <strong>Frau</strong>enentlohnung haben sich in letzter<br />
Zeit viele auseinan<strong>der</strong>gesetzt. Presse, Funk, Fernsehen<br />
<strong>unter</strong>suchten <strong>die</strong> Situation ebenso wie <strong>die</strong> Tarifparteien.<br />
Politiker, Juristen und Beamte bezogen Stellung.<br />
Hier soll beson<strong>der</strong>s eine Broschüre mit dem Titel<br />
"Die Leichtlohngruppen - ein gesellschaftspolitisches<br />
Problem" von Dr. Kurt Wolf, herausgegeben vom Institut<br />
<strong>der</strong> deutschen Wirtschaft, behandelt werden.<br />
Herr Dr, Kurt Wolf war Mitglied des Tarifpolitischen<br />
Ausschusses <strong>der</strong> Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber-<br />
Verbände und Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sozialpolitischen Arbeitsgemeinschaft<br />
<strong>der</strong> Ernährungsindustrie für Nie<strong>der</strong>sachsen.<br />
<strong>Der</strong> Verfasser hat in seinem Vorwort den Gewerkschaften<br />
<strong>unter</strong>stellt, sie würden viel lieber<br />
"im Vor<strong>der</strong>gründigen verharren"<br />
und nicht<br />
"in das Kernstück des Problems eindringen".<br />
Er erklärt auch, daß<br />
"in <strong>der</strong> Öffentlichkeit <strong>die</strong> Neigung besteht,<br />
<strong>die</strong> Einführung <strong>der</strong> Leichtlohngruppen als<br />
einen Versuch <strong>der</strong> Diskriminierung <strong>der</strong> in<br />
<strong>der</strong> Wirtschaft beschäftigten <strong>Frau</strong>en hinzustellen."<br />
Er bestreitet den Gewerkschaften das Recht, <strong>die</strong>sen Vorwurf<br />
vorzutragen,<br />
"da sie ja für <strong>die</strong> Entstehung und Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Leichtlohngruppen <strong>die</strong> volle Mitverantwortung<br />
tragen".<br />
Die folgenden Ausführungen sollen darauf eine Erwi<strong>der</strong>ung<br />
sein. Jedenfalls müssen <strong>die</strong> Gewerkschaften es ablehnen,<br />
für <strong>die</strong> Qualifikationspraxis <strong>der</strong> Unternehmer in den<br />
Betrieben gegenüber <strong>Frau</strong>en verantwortlich gemacht zu werden.
- 2 -<br />
Im Grundgesetz Artikel 3 Abs. 2 heißt es:<br />
"Männer und <strong>Frau</strong>en sind gleichberechtigt."<br />
Im Artikel 3 Abs. 3:<br />
"Niemand darf seines Geschlechts wegen benachteiligt<br />
werden".<br />
Das Bundesarbeitsgericht hat 1955 in einem Urteil zum<br />
Ausdruck gebracht, was in Bezug auf <strong>die</strong> Entlohnung <strong>der</strong><br />
<strong>Frau</strong> dar<strong>unter</strong> zu verstehen ist:<br />
"Verstößt es somit gegen den <strong>Lohn</strong>gleichheitsgrundsatz<br />
des Art. 3 GG, den gleichen <strong>Lohn</strong> nur <strong>unter</strong> <strong>der</strong> Voraussetzung<br />
<strong>der</strong> wirtschaftlichen Gleichwertigkeit <strong>der</strong> <strong>Frau</strong>enarbeit<br />
für <strong>die</strong> Arbeitgeber zu gewähren, ist also neben <strong>der</strong><br />
gleichen Arbeit kein weiteres Erfor<strong>der</strong>nis für <strong>die</strong> gleiche<br />
Entlohnung aufzustellen, so ist es an<strong>der</strong>erseits sinnvoll,<br />
<strong>die</strong> Begriffe 'gleiche Arbeit 1 und 'gleichwertige Arbeit 1<br />
i.S. <strong>der</strong> objektiven Maßstäbe arbeitswissenschaftlicher<br />
Bewertung <strong>der</strong> Arbeitsplätze zu identifizieren."<br />
Dr. Kurt Wolf meint hierzu:<br />
"Diese Entscheidung hat im Prinzip eine ungewöhnliche<br />
Tragweite. Denn sie enthält eine neue<br />
wichtige Erweiterung des <strong>Lohn</strong>gleichheitsgrundsatzes:<br />
Nicht nur - wie man zuerst meinte -<br />
alle 'gleichartigen' Arbeiten, son<strong>der</strong>n alle<br />
1 arbeitswissenschaftlich gleichwertigen'<br />
Arbeiten müssen gleich entlohnt werden.<br />
In <strong>die</strong>ser Feststellung gipfelt <strong>die</strong> privatrechtliche<br />
Entwicklungslinie zum <strong>Lohn</strong>gleichheitsgrundsatz.<br />
"<br />
Und weiter:<br />
"Indessen beschritt man auch noch einen zweiten<br />
Weg: Erstaunlicherweise war es <strong>die</strong> Rechtsprechung,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Bildung neuer tariflicher <strong>Lohn</strong>gruppen<br />
vorschlug. Sie regte an, 'neue tarifliche<br />
<strong>Lohn</strong>gruppen zu bilden 1 , wobei sie von
- 3 -<br />
<strong>der</strong> Erwägung ausging, daß <strong>Frau</strong>en oft nicht 'gleiche',<br />
son<strong>der</strong>n 'geringere' Tätigkeiten ausübten und daß <strong>die</strong><br />
tarifliche Bezeichnung '<strong>Frau</strong>en' o<strong>der</strong> 'Arbeiterinnen'<br />
oft eine 'verkappte Tätigkeitsbezeichnung' war.<br />
Ausdrücklich wird im Urteil des BAG vom 15. 1. 19 55<br />
- 1 AZR 305/54 - den Tarifparteien nahegelegt, 'genaue<br />
<strong>Lohn</strong>kategorien zu bilden, insbeson<strong>der</strong>e auch für<br />
leichtere und schwierigere Arbeiten, <strong>die</strong> näher bezeichnet<br />
werden'. Damit wäre <strong>die</strong> Gleichheitsfor<strong>der</strong>ung<br />
des Grundgesetzes erfüllt, <strong>die</strong> zwar verbietet, <strong>die</strong><br />
<strong>Frau</strong> wegen ihres Geschlechts lohnmäöig zu benachteiligen,aber<br />
es für statthaft erklärt, sie wegen leichter<br />
Tätigkeiten geringer zu entlohnen."<br />
Kürzlich hat das BAG dazu eine Entscheidung getroffen.<br />
Aus <strong>der</strong> mündlichen Urteilsbegründung:<br />
"Obgleich hier <strong>der</strong> äußeren Form nach 25 gleichlautende<br />
Einzelzulagen vorliegen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Beklagte ihren Arbeitern<br />
gegeben hat, handelt es sich in Wahrheit um eine<br />
vertragliche Einheitsregelung o<strong>der</strong> gesamtheitliche Festlegung<br />
allgemeiner Arbeitsbedingungen, für <strong>die</strong> nicht nur<br />
<strong>der</strong> allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz, son<strong>der</strong>n auch<br />
Art. 3 des Grundgesetzes gilt. Deshalb sind Differenzierungen<br />
aus Gründen des Geschlechts unzulässig. Das<br />
ergibt sich nicht nur aus Art. 3 Abs. 2 GG, son<strong>der</strong>n auch<br />
aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, <strong>der</strong> durch <strong>die</strong> Wertordnung<br />
des Grundgesetzes seine Prägung erhält. Im<br />
übrigen folgt das Verbot, Männer und <strong>Frau</strong>en <strong>unter</strong>schiedlich<br />
zu behandeln, auch aus § 75 Abs. 1 BetrVG.<br />
<strong>Der</strong> Ausschluß <strong>der</strong> Arbeiterinnen von <strong>der</strong> monatlichen Zulage<br />
wäre deshalb nur gerechtfertigt, wenn unabhängig vooi<br />
Geschlecht ein sachlicher Anknüpfungstatbestand für <strong>die</strong><br />
Zulage gegeben wäre, <strong>der</strong> zwar bei allen Arbeitern, jedoch
- 4 -<br />
nicht bei <strong>der</strong> Klägerin erfüllt ist.<br />
Die Merkmale, <strong>die</strong> von <strong>der</strong> Beklagten zur Begründung ihrer<br />
Zulagedifferenzierung angeführt werden, finden sich durchweg<br />
nur bei einem Teil <strong>der</strong> begünstigten Arbeiter. Wollte<br />
man aber auch solche Kriterien für <strong>die</strong> Gewährung <strong>der</strong> Zulage<br />
ausreichen lassen, <strong>die</strong> jeweils nur bei einzelnen<br />
Arbeitern zutreffen, dann stünde <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> <strong>Lohn</strong>gleichheit<br />
bei Mann und <strong>Frau</strong> auf dem Papier.<br />
Hinzu kommt folgendes: Soweit sich <strong>die</strong> Beklagte darauf<br />
beruft, daß <strong>die</strong> <strong>Frau</strong>en wegen <strong>der</strong> Arbeitsschutzbestimmungen<br />
zu manchen Arbeiten, z.B. Nachtarbeit, nicht eingesetzt<br />
werden dürfen, ist schon in ständiger Rechtsprechung entschieden,<br />
daß <strong>der</strong> durch den <strong>Frau</strong>enarbeitsschutz bedingte,<br />
möglicherweise gemin<strong>der</strong>te wirtschaftliche Wert <strong>der</strong> <strong>Frau</strong>enarbeit<br />
keine <strong>Lohn</strong>differenzierung rechtfertigt.<br />
Es mag sein, daß einige <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Beklagten angeführten<br />
Merkmale eine <strong>unter</strong>schiedliche Entlohnung rechtfertigen<br />
können. Dann müßten aber <strong>die</strong> entsprechenden Zulagen<br />
an <strong>die</strong>se Merkmale geknüpft sein; eben das ist aber schon<br />
nach dem Wortlaut <strong>der</strong> Zulagen nicht <strong>der</strong> Fall. Die Zulagen<br />
wurden vielmehr auch solchen Arbeitern gezahlt, für <strong>die</strong><br />
das jeweilige Kriterium nicht zutrifft. Nach allem ist<br />
<strong>der</strong> Anspruch <strong>der</strong> Klägerin auf <strong>die</strong> eingeklagte Zulage,<br />
solange <strong>die</strong>se Zulagenregelung bei <strong>der</strong> Beklagten besteht,<br />
begründet.<br />
(BAG-Urteil vom 11. 9. 1974 - r AZR 567/73)"<br />
Also wird sowohl <strong>die</strong> tarifliche als auch <strong>die</strong> übertarifliche<br />
Entlohnung vom Gleichheitsgrundsatz erfaßt. Und<br />
"gleiche Arbeit" wird gleichzeitig mit "gleichwertiger<br />
Arbeit" gedeutet. Damit ist auch klar, daß das BAG bei<br />
<strong>der</strong> Feststellung des <strong>Lohn</strong>es vom Wert <strong>der</strong> Arbeit ausgeht<br />
und nicht etwa von <strong>der</strong> sozialen Funktion des <strong>Lohn</strong>es o<strong>der</strong><br />
von einer arbeitsmarktpolitischen Bedeutung. Das scheint<br />
aber von Herrn Dr. Wolf an<strong>der</strong>s betrachtet zu werden.
- 5 -<br />
Er bestreitet in seiner Broschüre nicht, daß <strong>die</strong> <strong>Frau</strong>en<br />
- berücksichtigt man den Wert <strong>der</strong> Arbeit - an<strong>der</strong>s entlohnt<br />
werden müßten. So heißt es:<br />
"Um so erstaunlicher ist es, daß bei <strong>der</strong> so entscheidenden<br />
Umgestaltung des <strong>Lohn</strong>systems im Sinne einer<br />
leistungsgerechten Entlohnung und bei seiner allgemeinen<br />
Einführung vor drei Jahrzehnten zunächst noch<br />
eine Lücke klaffte:<br />
Die damalige Tarifpolitik behielt ohne weiteres <strong>die</strong><br />
überkommene Regelung bei, daß weibliche Arbeitskräfte<br />
nur 75 % des für <strong>die</strong> jeweilige Tätigkeit festgelegten<br />
<strong>Lohn</strong>es zu beanspruchen hätten. Dieser '<strong>Lohn</strong>abschlag 1<br />
war sicherlich nicht <strong>der</strong> Willkürakt einer langjährigen<br />
Tarifpolitik, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ausdruck einer Lebenswirklichkeit,<br />
nämlich <strong>der</strong> <strong>unter</strong>schiedlichen Arbeitsmarktlage:<br />
Das Angebot und <strong>die</strong> Nachfrage nach weiblichen<br />
Arbeitskräften glichen sich auf einer wesentlich geringeren<br />
<strong>Lohn</strong>höhe aus, als es auf dem Arbeitsmarkt<br />
<strong>der</strong> Männer <strong>der</strong> Fall war. Für <strong>die</strong>se Praxis hatte <strong>die</strong><br />
ältere Sozialpolitik eine theoretische Begründung:<br />
Nach ihr war <strong>der</strong> Männerlohn seinem Sinne nach<br />
'Familienlohn 1 , <strong>der</strong> <strong>Frau</strong>enlohn ein 'Individuallohn',<br />
<strong>der</strong> wegen <strong>der</strong> - im Vergleich zum Familienvater - geringeren<br />
sozialen Belastung <strong>der</strong> mitver<strong>die</strong>nenden Ehefrau<br />
bzw. <strong>der</strong> nur für sich sorgenden ledigen <strong>Frau</strong><br />
geringer sein konnte. Dieser Hinweis zielte auf <strong>die</strong><br />
unbestreitbare gesellschaftliche Funktion des <strong>Lohn</strong>s.<br />
Sie mußte aber fragwürdig werden, als man das Leistungsprinzip<br />
zum Gradmesser <strong>der</strong> Entlohnung machte<br />
und - um <strong>der</strong> Unterschiedlichkeit <strong>der</strong> Qualifikation<br />
möglichst gerecht zu werden - ein differenziertes<br />
<strong>Lohn</strong>system entwickelte. Vermutlich wäre es möglich
- 6 -<br />
gewesen, eine Kombination zu finden, in <strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
beherrschende Gedanke einer leistungsgerechten<br />
Entlohnung durch eine Berücksichtigung <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Funktion des <strong>Lohn</strong>s ergänzt wurde.<br />
Aber <strong>die</strong>sen Schritt, <strong>der</strong> nicht unbegründet gewesen<br />
wäre und <strong>der</strong> vielleicht spätere Schwierigkeiten<br />
ausgeräumt hätte, hat man nicht getan. Darum<br />
mußte <strong>die</strong> Son<strong>der</strong>regelung eines '<strong>Lohn</strong>abschlags'<br />
für <strong>die</strong> <strong>Frau</strong>en in einen offenen Wi<strong>der</strong>spruch zu<br />
dem leistungsgerechten <strong>Lohn</strong>system geraten. Wenn<br />
<strong>die</strong> Tarifpolitik sie damals trotzdem zunächst beibehielt,<br />
so wohl mehr aus praktischen Gründen. Sie<br />
wollte <strong>die</strong> bei einem Wegfall <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>regelung<br />
zweifellos eintretende lohnmäßige Belastung <strong>der</strong><br />
Betriebe vermeiden und <strong>die</strong> mit <strong>der</strong> Einführung des<br />
neuen <strong>Lohn</strong>systems eintretenden ÜbergangsSchwierigkeiten<br />
nicht noch vergrößern.<br />
Jedenfalls bleibt festzuhalten, daß man in einem<br />
bewußt systematisch 'leistungsgerecht' gestalteten<br />
<strong>Lohn</strong>system eine Son<strong>der</strong>regelung für <strong>Frau</strong>en beibehielt,<br />
<strong>die</strong> mit Sicherheit nicht 'leistungsgerecht'<br />
war. So mußte gerade <strong>der</strong> Wandel <strong>der</strong> <strong>Lohn</strong>- und Tarifpolitik<br />
zu einem mo<strong>der</strong>nen differenzierten <strong>Lohn</strong>system<br />
gleichzeitig an den Tag bringen, daß hier für <strong>die</strong><br />
<strong>Frau</strong>enentlohnung ein Problem auftrat, das man bisher<br />
in <strong>die</strong>ser Stärke nicht erkannt hatte."<br />
Er kommt zu dem Schluß:<br />
"<strong>Frau</strong>enbeschäftigung ist komplexer als Männerbeschäftigung.<br />
Sie <strong>unter</strong>liegt auch an<strong>der</strong>en Gesetzmäßigkeiten,<br />
so daß man <strong>die</strong> These wagen kann, daß<br />
es zwei verschiedene Arbeitsmärkte gibt, den <strong>der</strong><br />
Männer und den <strong>der</strong> <strong>Frau</strong>en mit sicherlich fließenden<br />
Grenzen, aber auch bestimmten Eigenarten. Wenn dem
- 7 -<br />
aber so ist, dann ist es schwer vorstellbar, daß<br />
<strong>die</strong> <strong>Lohn</strong>bildung auf dem Arbeitsmarkt <strong>der</strong> Männer<br />
'kraft Gesetzes' auf den Arbeitsmarkt <strong>der</strong> <strong>Frau</strong>en<br />
übertragbar sei. Das ist ein sehr diffiziles gesellschaftspolitisches<br />
Problem, das sich nicht ohne<br />
weiteres durch das Pochen auf formale Gleichberechtigung<br />
zum Versahwinden bringen läßt.<br />
Notwendigerweise können sich daraus Abweichungen<br />
in <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Leichtlohngruppen ergeben,<br />
<strong>die</strong> lohnpolitisch vertretbar, ja geboten sind.<br />
Daß <strong>die</strong>se Tatsachen nicht erkannt und nicht berücksichtigt<br />
wurden, ist <strong>die</strong> tiefste Ursache für <strong>die</strong><br />
Problematik <strong>der</strong> Leichtlohngruppen und für <strong>die</strong> Unzulänglichkeit<br />
aller bisherigen und möglicherweise<br />
auch künftigen Lösungsversuche."<br />
Schließlich stellt Herr Dr. Wolf fest, daß eigentlich kein<br />
Patentrezept vorzuschlagen ist:<br />
"Als Gesamtergebnis ist festzuhalten, daß sich alle<br />
mit denLeichtlohngruppen verbundenen Fragen je<strong>der</strong><br />
Simplifizierung entziehen. Sie müssen im Gesamtzusammenhang<br />
aller sozialen und wirtschaftlichen Vorgänge<br />
gesehen und in ständiger Offenheit gegenüber<br />
<strong>der</strong> sich ständig verän<strong>der</strong>nden Gesellschaft beantwortet<br />
werden. Für ihre Lösung gibt es kein Patentrezept.<br />
"<br />
Das ist richtig. Es kommt zunächst aber auf <strong>die</strong> Bereitwilligkeit<br />
an, das Problem im Sinne <strong>der</strong> vorgegebenen Gesetze<br />
zu lösen. Wie das in <strong>der</strong> Vergangenheit war, soll<br />
im folgenden ausgeführt werden.
- 8 -<br />
Anhand des Beispiels <strong>der</strong> Süßwarenindustrie, für <strong>die</strong> ja<br />
Herr Dr. Wolf auch jahrelang verhandelte, läßt sich eine<br />
Entwicklung darlegen, <strong>die</strong> dann in an<strong>der</strong>en Wirtschaftszweigen<br />
Parallelen gefunden hat.<br />
Seit 19 36 galt <strong>die</strong> vom Treuhän<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeit erlassene<br />
Tarifordnung für <strong>die</strong> Süßwarenindustrie, <strong>die</strong> <strong>die</strong> <strong>Lohn</strong>gruppen<br />
und <strong>Lohn</strong>sätze festsetzte.<br />
Es gab vier Gruppen: A = Facharbeiter<br />
B = Angelernte Fachkräfte<br />
C - Hilfsarbeiter<br />
D = Arbeiterinnen<br />
(soweit sie nicht <strong>unter</strong> A und B<br />
fallen)<br />
In <strong>der</strong> höchsten (14.) Ortsklasse betrug <strong>der</strong> Abstand in<br />
<strong>der</strong> höchsten Altersklasse 37,5 Pfennige o<strong>der</strong> 56 % von A.<br />
19 50 wurde <strong>die</strong> <strong>Lohn</strong>gruppenregelung im Bundesmanteltarifvertrag<br />
übernommen, <strong>die</strong> neben <strong>der</strong> Gruppenbezeichnung ein<br />
prozentuales Gitter für <strong>die</strong> Abstände vorsah, an das sich<br />
<strong>die</strong> tarifschließenden Parteien zu halten hatten.<br />
A = 100 %/B=9O/C=85% / D - 60 %.<br />
1952 wurde in einem Stufenplan beschlossen, D zuerst auf<br />
62 %, dann auf 64 % anzuheben. Das war zähem gewerkschaftlichem<br />
Bemühen zu verdanken, an das sich noch je<strong>der</strong> Beteiligte<br />
erinnern wird. Es ging oft nur um Bruchteile von<br />
Pfennigen.<br />
<strong>Der</strong> Verband <strong>der</strong> deutschen Süßwarenindustrie hat immer<br />
einen Kommentar zum Manteltarif von Herrn Dr. H.W.Hillemann<br />
herausgeben lassen,<strong>der</strong> von den Unternehmen sorgfältig beachtet<br />
wurde, obwohl er keine Rechtsgrundlage, son<strong>der</strong>n nur<br />
eine Meinung darstellte.<br />
Zur Erläuterung <strong>der</strong> <strong>Lohn</strong>gruppe D sagt er:<br />
"Die in <strong>der</strong> Süßwarenindustrie beschäftigten weiblichen<br />
Arbeitnehmer werden in <strong>der</strong> Regel nur mit Hilfsarbeiten<br />
beschäftigt.
- 9 -<br />
Nur In Ausnahmefällen wird eine Beschäftigung in den<br />
Gruppen A und B vorliegen. Man wird davon auszugehen<br />
haben, daß Arbeiterinnen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Voraussetzungen <strong>der</strong><br />
Gruppen A und B erfüllen und <strong>die</strong> dort bezeichneten<br />
Tätigkeiten verrichten, bei gleicher Leistung den<br />
<strong>Lohn</strong> <strong>der</strong> männlichen Arbeitnehmer zu erhalten haben,<br />
da in <strong>die</strong>sem Falle eine abweichende Regelung von den<br />
Tarifvertragsparteien etwa im Hinblick auf gesetzliche<br />
Son<strong>der</strong>leistungen für <strong>die</strong> <strong>Frau</strong> und in <strong>der</strong> Regel höhere<br />
soziale Belastung des Mannes (als Familienvater) nicht<br />
getroffen worden ist" und<br />
"Die hier erfolgte Einstufung <strong>der</strong> Arbeiterinnen rechtfertigt<br />
sich auf Grund ihrer an<strong>der</strong>sartigen Tätigkeit,<br />
<strong>der</strong> geringeren sozialen Belastung und <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>leistungen<br />
des Betriebes für weibliche Arbeitnehmer. Die Vertragsparteien<br />
haben eine Regelung getroffen, <strong>die</strong> sie<br />
offensichtlich <strong>unter</strong> Würdigung aller Umstände als sachentsprechend<br />
angesehen haben und <strong>die</strong> daher auch jeden<br />
Gedanken einer willkürlichen Differenzierung ausschließt.<br />
Hier wurde auch <strong>der</strong> Vertragspartei "Gewerkschaft" <strong>unter</strong>stellt,<br />
sie habe <strong>die</strong> Regelung als "sachentsprechend" angesehen.<br />
Es handelte sich jedoch um einen Kompromiß, wobei<br />
<strong>die</strong> Arbeitnehmervertreter zunächst Wert auf <strong>die</strong> Erhöhung<br />
des prozentualen Abstandes legten.<br />
Stolz war man schon über den Erfolg ab 1. 1. 1955, auf<br />
68 % zu klettern. Das war <strong>der</strong> Zeitpunkt, wo erreicht<br />
wurde, <strong>die</strong> "<strong>Frau</strong>enlohngruppen" theoretisch abzuschaffen.<br />
Hierfür gab es dann eine neue Formulierung:<br />
"C • ungelernte Arbeitnehmer, <strong>die</strong> schwere Arbeiten verrichten<br />
und<br />
D = ungelernte Arbeitnehmer, <strong>die</strong> leichtere Arbeiten verrichten."
- 11 -<br />
1956 wurde ein neuer Bundeslohntarifvertrag geschaffen<br />
mit einer weiteren <strong>Lohn</strong>gruppe. <strong>Der</strong> neue Aufbau sollte<br />
vor allem <strong>Frau</strong>en <strong>die</strong> Möglichkeit bieten, in <strong>die</strong> Nähe<br />
von C zu rücken. Die Formulierung ließ neue Eingruppierungspraktiken<br />
zu. Dennoch blieben <strong>die</strong> <strong>Frau</strong>en in vielen<br />
Betrieben in <strong>der</strong> <strong>unter</strong>sten Gruppe.<br />
Gruppe E = 66 % und D = 71,5 % vom Facharbeiterlohn.<br />
Ab 1958 gab es dann keinen Bundeslohntarifvertrag mehr.<br />
Die <strong>Frau</strong>enentlohnung war nicht zuletzt ein Grund für den<br />
Fortfall. Jahrelang gab es Auseinan<strong>der</strong>setzungen auf Landesebene<br />
über den <strong>Lohn</strong>gruppenkatalog. Immer wi<strong>der</strong>setzten<br />
sich <strong>die</strong> Arbeitgeber den Bemühungen um eine bessere Lösung.<br />
Nach jahrelangen Verhandlungen schien sich in Nordrhein-<br />
Westfalen 1962 ein Erfolg anzubahnen. Jedoch gibt ein<br />
Schreiben des Landesbezirksvorsitzenden von NRW Auskunft<br />
über das erneute Scheitern:
- 12 -<br />
A b s c h r i f t<br />
Landesmitteilungen<br />
<strong>der</strong> Landesleitung Nordrhein-Westfalen:<br />
Betr.:<br />
<strong>Lohn</strong>gruppenkatalog "Süßwarenindustrie"<br />
Werte Kollegen!<br />
Obwohl das Ergebnis unserer Bemühungen, einen neuen <strong>Lohn</strong>gruppenkatalog<br />
für <strong>die</strong> Beschäftigten <strong>der</strong> Süßwarenindustrie<br />
zu bekommen, keine beson<strong>der</strong>e Befriedigung auslöste, waren<br />
wir doch froh, wenigstens einmal <strong>die</strong> Verhandlungen als abgeschlossen<br />
betrachten zu können.<br />
Dieser Glaube war Trugschluß!<br />
In den letzten Tagen wurden wir mit persönlichen Ansprachen<br />
und Telefongesprächen "überfallen".<br />
Scheinbar haben <strong>die</strong> Arbeitgeber <strong>die</strong> lohnmäßige Belastung<br />
durch den neuen <strong>Lohn</strong>gruppenkatalog erst jetzt richtig Überblicken<br />
können und versuchen nun mit allen Mitteln, einige<br />
Punkte aus dem Verhandlungsergebnis wie<strong>der</strong> zu än<strong>der</strong>n bzw.<br />
ganz zu streichen.<br />
Man hat uns sogar wie<strong>der</strong> einen "neu überarbeiteten Berufsgruppenplan"<br />
überreicht, <strong>der</strong> nur in einigen Punkten aus<br />
sachlichen Gründen geän<strong>der</strong>t sei.<br />
Obwohl wir in jedem Gespräch zum Ausdruck gebracht haben,<br />
daß es nur noch "Anerkennung des Verhandlungsergebnisses' 1<br />
o<strong>der</strong> "Vertragsloser Zustand" geben kann, versucht man in<br />
altbekannter Manier, <strong>die</strong> Düpierungs- zumindest aber <strong>die</strong><br />
Verzögerungstaktik anzuwenden.<br />
- 2 -
- 13 -<br />
Wird von Arbeitgeberseite das Verhandlungsergebnis nicht<br />
anerkannt, wird es sicherlich zu sehr harten Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
anläßlich <strong>der</strong> nächsten <strong>Lohn</strong>verhandlung kommen.<br />
Mit kollegialem Gruß<br />
A. Teubler<br />
N.B.<br />
Zu Eurer Orientierung überreichen wir Euch beigeschlossen<br />
den Text unseres heutigen Schreibens an den Arbeitgeberverband<br />
sowie Text des neuen Arbeitgebervorschlages und<br />
Verhandlungsergebnis des <strong>Lohn</strong>gruppenkataloges.
- 14 -<br />
A b s c h r i f t<br />
Bundesverband <strong>der</strong><br />
Deutschen Süßwarenindustrie<br />
z.Hd. Herrn Dr. Klose<br />
Düsseldorf, den 31.3.1962<br />
B o n n / Rhein<br />
Koblenzerstr. 50/11<br />
Betr.:<br />
<strong>Lohn</strong>gruppenkatalog für <strong>die</strong> Süßwarenindustrie im Lande N.W,<br />
Sehr geehrter Herr Dr. Klosei<br />
Wir bestätigen den Eingang <strong>der</strong> von Ihnen zu Papier gebrachten<br />
neuen Vorstellungen zur <strong>Lohn</strong>gruppeneinteilung.<br />
Obwohl wir Verständnis für Ihre persönlichen Schwierigkeiten<br />
bei den Abschlußgesprächen in Ihren Kreisen aufbringen<br />
können, besteht aber keine Möglichkeit, Ihren Än<strong>der</strong>ungswünschen<br />
entgegenzukommen.<br />
Mit Schweiß und großer Überredungskunst war es uns endlich<br />
gelungen, den zwischen uns in Köln abgesprochenen Text innerhalb<br />
unserer Kommission durchzusetzen.<br />
Die Auflage, <strong>die</strong> wir bei <strong>der</strong> Zustimmung erhielten, bedeutet<br />
für uns Anerkennung des Gesamtergebnisses <strong>unter</strong> Zurückstellung<br />
bei<strong>der</strong>seitiger fin<strong>der</strong>ungswünsche.<br />
Auch <strong>die</strong> Betriebssprecher in unserer Kommission waren mit<br />
Wunschzettel ausgiebig ausgerüstet worden; doch haben wir<br />
es als unsere moralische Verpflichtung angesehen, dafür<br />
Sorge zu tragen, daß das Verhandlungsergebnis für <strong>die</strong>se<br />
Verhandlungsphase akzeptiert wird.<br />
Letzteres ist uns zum Glück gelungen und würde eine neue<br />
Diskussion über <strong>die</strong>sen Fragenkomplex nur eine Erhärtung<br />
und Kompromißabneigung in unserem Kreise hervorrufen.<br />
- 2 -
- 15 -<br />
Wir bitten daher, nun erdlich - ohne Rücksicht auf Einzelwünsche<br />
- das Vertragswerk mit uns zum Abschluß zu bringen<br />
und uns über Ihre Absichten bis zum 30. März in Kenntnis<br />
zu setzen, damit wir evtl. dem Landesschlichter NW, Herrn<br />
Reg.-Dir. Lauscher, von dem Ergebnis unserer Bemühungen<br />
Kenntnis geben können.<br />
Hochachtungsvoll<br />
A. Teubler
- 16 -<br />
Ab 1. 6. 1965 kam es erst zum Abschluß eines verbesserten<br />
Kataloges, <strong>der</strong> aber auch noch nicht <strong>die</strong> Voraussetzung für<br />
erleichterte und gerechtere Eingruppierungen <strong>der</strong> <strong>Frau</strong> in<br />
<strong>die</strong> höheren <strong>Lohn</strong>gruppen brachte.<br />
Hier folgt eine Tabelle mit <strong>der</strong> Entwicklung seit 1950 und<br />
eine Kurve, <strong>die</strong> sie veranschaulicht.<br />
Jahr<br />
Facharb.<br />
= 100 %<br />
Std.<strong>Lohn</strong><br />
DM<br />
Ungel.AN<br />
mit<br />
schwerer<br />
Arbeit<br />
Std.<strong>Lohn</strong><br />
CM<br />
% vom<br />
Facharb.<br />
Niedrigste<br />
<strong>Lohn</strong>gr.<br />
Std.<strong>Lohn</strong><br />
DM<br />
-<br />
% vom<br />
Facharb.<br />
% vom<br />
Ungel.schwer<br />
195O<br />
1,25<br />
1,07<br />
85,6<br />
0,74<br />
59,2<br />
69,2<br />
1955<br />
1,56<br />
1,33<br />
85,3<br />
1,04<br />
66,7<br />
78,2<br />
1960<br />
2,21<br />
1,85<br />
83,7<br />
1,43<br />
64,7<br />
77,3<br />
1963<br />
2,83<br />
2,34<br />
82,7<br />
1,93<br />
68,2<br />
82,5<br />
1966<br />
3,57<br />
2,89<br />
81,0<br />
2,45<br />
68,6<br />
84,8<br />
1967<br />
3,81<br />
3,o7<br />
80,6<br />
2,60<br />
68,2<br />
84,7<br />
1968<br />
3,92<br />
3,19<br />
81,4<br />
2,67<br />
68,1<br />
83,7<br />
1969<br />
4,08<br />
3,27<br />
80,2<br />
2,76<br />
67,7<br />
84,4<br />
1970<br />
4,36<br />
3,49<br />
80,1<br />
2,81<br />
64,5<br />
80,5<br />
1971<br />
4,89<br />
3,91<br />
80,0<br />
3,15<br />
64,4<br />
80,6<br />
1972<br />
5,77<br />
4,63<br />
80,2<br />
3,72<br />
64,5<br />
80,3<br />
1973<br />
6,16<br />
4,93<br />
80,0<br />
4,00<br />
64,9<br />
81,1
OH<br />
- 17 -<br />
<strong>Lohn</strong>entvicklunQ <strong>der</strong> ni<br />
<strong>Lohn</strong>gruppe in <strong>der</strong> Si/pvqren'indüstrit<br />
-DM Ukthrn<br />
ä-fmchcirb.<br />
! %<br />
US 4.a><br />
UO 4.1S<br />
(AS 4M
- 18 -<br />
Etwas hatte sich in den Jahren verän<strong>der</strong>t. Zu den üblichen<br />
Unterscheidungsmerkmalen für schwere und leichte Hilfsarbeit,<br />
<strong>die</strong> sich lediglich auf körperliche Schwerarbeit<br />
bezogen, waren nun noch <strong>die</strong> Kriterien "Aufsichtsbefugnis"<br />
(Vorarbeiter o<strong>der</strong> Führung von kleinen Gruppen) und in<br />
geringem Maße "Verantwortung" (Führen von Produktionsanlagen<br />
o<strong>der</strong> -maschinen) hinzugekommen.<br />
Daß sogenannte "schwere Hilfstätigkeit" auch dann vorliegen<br />
kann, wenn durch Monotonie und Aufmerksamkeit <strong>die</strong> Nerven<br />
angestrengt werden, wurde von den Arbeitgebern so gut wie<br />
nicht akzeptiert. In Einzelfällen berücksichtigte man das<br />
durch Eingruppierung nach D (wo durch <strong>die</strong> Gruppendefinition<br />
danach gar nicht gefragt wurde) o<strong>der</strong> durch Zulagen.<br />
Auch nicht berücksichtigt wurde <strong>die</strong> körperliche Dauerbelastung<br />
beim Umgang mit geringen Gewichten. Zahlen kommen<br />
hier erst ans Licht durch Arbeitsplatzbewertung. Aber auch<br />
eine Befragung von Teilnehmerinnen einer Großveranstaltung<br />
brachte Daten. Zum Beispiel müssen <strong>Frau</strong>en<br />
100 x am Tag je 15 kg<br />
5 - 16 kg am Tag insgesamt<br />
350 x am Tag je 15 kg<br />
1/2 - 16 kg am Tag insgesamt<br />
1.O5O x am Tag je 1 kg<br />
550 x am Tag je 2 kg<br />
- 1.500 kg<br />
- 3.500 kg<br />
• 5.250 kg<br />
= 15.000 kg<br />
« 1.050 kg<br />
= 1.100 kg<br />
heben und bewegen.<br />
Das bedeutet, daß bei acht Stunden Arbeitszeit abzüglich<br />
<strong>der</strong> Pausen <strong>Frau</strong>en häufig pro halbe Minute 1 kg o<strong>der</strong> im<br />
Tagesdurchschnitt 100 x 12 kg heben und bewegen mußten.
- 19 -<br />
Viele kleine Gewichte täuschen eine leichte Arbeit vor.<br />
Die Geschicklichkeit, <strong>die</strong> Fingerfertigkeit <strong>der</strong> <strong>Frau</strong><br />
- eigentlich ihr bisheriger Vorzug in <strong>der</strong> Arbeitswelt -,<br />
wurde ihr zum Nachteil.<br />
Hinzu kommt noch, daß vergleichbar große Gewichte heute<br />
meist mit Hubwagen beför<strong>der</strong>t werden.<br />
Mit Hilfe <strong>der</strong> Methoden <strong>der</strong> Arbeitsplatzbewertung führte<br />
unsere Organisation mehrere Untersuchungen durch, <strong>die</strong><br />
zum Ziel hatten, <strong>die</strong> in den Betrieben vorhandenen Arbeitsgänge<br />
zu analysieren und von ihrer Wertung her<br />
in vorhandene Tarifverträge einzuordnen.<br />
Unsere Arbeitsstu<strong>die</strong>nabteilung kam zu dem Ergebnis,<br />
daß <strong>Frau</strong>en im allgemeinen eine höhere Arbeitsbelastung<br />
ertragen,als ihnen durch ihre <strong>Lohn</strong>eingruppierung her<br />
zugestanden wird. 50 * <strong>der</strong> <strong>unter</strong>suchten Plätze - davon<br />
75 % Plätze männlicher Arbeitnehmer - waren <strong>die</strong>ser Bewertung<br />
nach richtig; <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en 50 % - ausschließlich Plätze<br />
weiblicher Arbeitnehmer - waren zu niedrig eingestuft.<br />
Wir führten <strong>die</strong>se Ermittlungen in <strong>der</strong> Süßwaren- und<br />
Fleischwarenindustrie durch. Gleiche Ergebnisse konnten<br />
aber auch immer wie<strong>der</strong> beobachtet werden, wenn in einem<br />
Industrie- o<strong>der</strong> Unternehmensbereich <strong>die</strong> Entlohnungsform<br />
auf Arbeitsplatzbewertung umgestellt werden sollte.<br />
In <strong>der</strong> Regel mußten dann erst <strong>die</strong> "<strong>Frau</strong>enarbeitsplätze"<br />
in ihrer <strong>Lohn</strong>beurteilung korrigiert werden.<br />
Die von uns vor<strong>genommen</strong>e Untersuchung sollte auch<br />
zukünftigen Neuformulierungen von <strong>Lohn</strong>gruppenkatalogen<br />
<strong>die</strong>nen.
- 20 -<br />
Obwohl versucht wurde, neutrale Methoden anzuwenden,<br />
<strong>die</strong> nur <strong>die</strong> Aufgabe hatten, <strong>die</strong> Vergleichbarkeit von<br />
<strong>der</strong> Lage bzw. Relation <strong>der</strong> Löhne festzustellen - weniger<br />
haargenau <strong>die</strong> <strong>Lohn</strong>höhe zu ermitteln -, wurde von<br />
<strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Arbeitgeber <strong>die</strong> Objektivität bestritten.<br />
Die Aussagefähigkeit solcher Untersuchung wird in<br />
Zweifel gezogen wie bei <strong>der</strong> vom Bundesministerium für<br />
Arbeit und Sozialordnung in Auftrag gegebenen Untersuchung,<br />
bei <strong>der</strong> zwischen den Arbeitgeberverbänden und<br />
dem DGB keine Übereinstimmung über <strong>die</strong> Methode erzielt<br />
werden konnte.<br />
Zunächst wurde ein neutrales Institut beauftragt, <strong>die</strong><br />
Eingruppierungspraxis <strong>der</strong> Betriebe zu <strong>unter</strong>suchen und<br />
dann <strong>die</strong> tariflich festgelegten Gruppen für leichte<br />
und schwere Tätigkeiten zu analysieren. Es sollte geprüft<br />
werden, ob <strong>der</strong> <strong>Lohn</strong>abstand auch dem Qualifikations<strong>unter</strong>schied<br />
entsprach.<br />
Unternehmensleitung, Betriebsrat und Belegschaft wurden<br />
bei <strong>die</strong>ser Arbeit beteiligt.<br />
Trotz aller Genauigkeit bei <strong>die</strong>ser Untersuchung wurden<br />
schließlich <strong>die</strong> Ergebnisse in ihrer Bedeutung angezweifelt<br />
, weil man bei <strong>der</strong> Überprüfung einen Ernährungsindustriebetrieb<br />
nach <strong>der</strong> Arbeitsbewertungsmethode, <strong>die</strong><br />
in einem Tarifvertrag <strong>der</strong> Metallindustrie geregelt<br />
wird, beurteilt hat.<br />
In <strong>der</strong> Folge hat man erneut versucht, eine Methode für<br />
eine "<strong>Lohn</strong><strong>unter</strong>suchung" zu entwickeln. Das Bundesministerium<br />
für Arbeit und Sozialordnung berief hierzu einen<br />
Expertenkreis von Arbeitgebern und Gewerkschaftsvertretern.
- 21 -<br />
Die ArbeitgeberVertreter stimmten zu, daß nach von REFA<br />
bestimmten Kriterien <strong>unter</strong>sucht werden könnte. Man war<br />
sich einig, daß <strong>die</strong> Arbeitsanfor<strong>der</strong>ungen bei "leichter"<br />
o<strong>der</strong> "schwerer" Arbeit nicht nur aus dem Bewältigen von<br />
Gewichten bestehen, son<strong>der</strong>n auch <strong>die</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />
berufliches Können, Geschicklichkeit, Verantwortung,<br />
Umgebungseinflüsse u.a. dazugehören. Die Summe <strong>die</strong>ser<br />
Belastungen ergibt <strong>die</strong> Wertung einer Tätigkeit. So kann<br />
man auch unabhängig vom Geschlecht werten. Danach kann<br />
man <strong>die</strong> Entlohnung qualifikationsgerecht festsetzen.<br />
Und so könnte man auch bei einer Untersuchung feststellen,<br />
ob <strong>die</strong> Eingruppierungen und <strong>die</strong> <strong>Lohn</strong>abstände den Qualifikations<strong>unter</strong>schieden<br />
entsprechen.<br />
Schließlich wurden zwei Institute vom Bundesministerium<br />
für Arbeit und Sozialordnung hinzugezogen. Das eine erhielt<br />
<strong>die</strong> Aufgabe, Tätigkeiten nach ihren Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
arbeitswissenschaftlich zu beschreiben und zu bewerten,<br />
das an<strong>der</strong>e, <strong>die</strong> Bewertungsergebnisse den <strong>Lohn</strong>gruppen<br />
zuzuordnen.<br />
Für eine Test<strong>unter</strong>suchung stellte <strong>die</strong> Arbeitgeberseite<br />
einen Ernährungsbetrieb zur Verfügung. Es schien, als<br />
würde nunmehr eine Feststellung möglich, ob <strong>die</strong> bestehenden<br />
<strong>Lohn</strong><strong>unter</strong>schiede und damit auch <strong>die</strong> <strong>Lohn</strong>sätze <strong>der</strong><br />
Leichtlohngruppen qualifikationsgerecht waren.<br />
Aber schon nach kurzer Zeit bezweifelten <strong>die</strong> Arbeitgebervertreter<br />
<strong>der</strong> Beratungsgruppe beim Bundesministerium<br />
für Arbeit und Sozialordnung <strong>die</strong> Anwendbarkeit <strong>der</strong> Untersuchungsmethode.<br />
Trotz wie<strong>der</strong>holter Bemühungen des BMA und <strong>der</strong> Gewerkschaftsvertreter,<br />
<strong>die</strong> Untersuchungsergebnisse auszuweiten<br />
und auch Wege zu finden, <strong>die</strong> eine Veröffentlichung<br />
ermöglichten, beharrten <strong>die</strong> Vertreter <strong>der</strong> Bundesvereinigung<br />
Deutscher Arbeitgeberverbände darauf, daß auch <strong>die</strong><br />
nun angewandte Methode nicht zur Qualifikationsmessung
- 22 -<br />
geeignet ist. <strong>Der</strong> Testversuch wurde als gescheitert ange<br />
sehen.<br />
In einer Kleinen Anfrage mehrerer weiblicher Abgeordneter<br />
<strong>der</strong> SPD und FDP am 14. 2. 1973 wurde <strong>die</strong> Bundesregierung<br />
um Auskunft über den Stand <strong>der</strong> bis dahin durchgeführten<br />
Untersuchungen gebeten. <strong>Der</strong> Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung<br />
beschäftigte sich mit dem Problem und kam zu folgendem<br />
Ergebnis:<br />
"<strong>Der</strong> Wegfall <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en <strong>Frau</strong>enlohngruppen lost jedoch<br />
das Problem <strong>der</strong> <strong>Lohn</strong>gleichheit zwischen Männern und <strong>Frau</strong>en<br />
mehr formal als materiell. Das <strong>Frau</strong>enlohnproblem, soweit<br />
es tarifliche Regelungen angeht, hat sich nach dem behandelten<br />
Bericht im wesentlichen auf <strong>die</strong> Leichtlohngruppen<br />
verlagert...<br />
Tarifliche Leichtlohngruppen werden für solche Arbeitnehmer<br />
vereinbart, <strong>die</strong> leichte (meist körperlich leichte) Arbeiten<br />
verrichten. Die <strong>Lohn</strong>rate ist dementsprechend - an einem auf<br />
meist körperlichen Kraftverbrauch bezogenen Schwierigkeitsgrad<br />
bemessen - geringer. Die Gfewerkschaften sehen in <strong>die</strong>sen<br />
Entlohnungsformen eine Benachteiligung und Unterbewertung<br />
<strong>der</strong> <strong>Frau</strong>enarbeit. Sie weisen zusätzlich darauf hin, daß <strong>die</strong><br />
Leichtlohngruppen durch eine abgewandelte Umschreibung aus<br />
den früheren reinen <strong>Frau</strong>enlohngruppen entstanden seien.<br />
Demgegenüber enthalten nach Ansicht <strong>der</strong> Bundesvereinigung<br />
<strong>der</strong> Deutschen Arbeitgeberverbände <strong>die</strong> Leichtlohngruppen<br />
keine Benachteiligung <strong>der</strong> <strong>Frau</strong>en, da sie sowohl für Männer<br />
als auch für <strong>Frau</strong>en gelten. Die Unterscheidung und Bewertung<br />
<strong>der</strong> Arbeit nach ihrer Schwere sei eine Abgrenzung nach<br />
objektiven Kriterien ohne Rücksicht auf das Geschlecht..."<br />
Die Auffassung <strong>der</strong> Arbeitgeber, daß <strong>die</strong> Benachteiligung <strong>der</strong><br />
<strong>Frau</strong>en durch <strong>die</strong> Existenz <strong>der</strong> Leichtlohngruppen nicht gegeben<br />
sei, kann nicht geteilt werden.
- 23 -<br />
In den Betrieben werden <strong>die</strong> Bezeichnungen "leichte Hilfstätigkeit"<br />
o<strong>der</strong> "einfache Arbeiten" so gedeutet, wie es<br />
für das Unternehmen billiger ist. Meist verstehen selbst<br />
Arbeitnehmer dar<strong>unter</strong> Arbeiten, <strong>die</strong> von <strong>Frau</strong>en verrichtet<br />
werden. Und "leicht" ist eben alles, was gewichtsmäßig<br />
leicht ist. "Schwer" beginnt erst bei 20 kg, selbst wenn<br />
<strong>die</strong>ses Gewicht nur wenige Male am Tag bewältigt wird.<br />
Deshalb müssen bessere Begriffsdefinitionen in <strong>die</strong> <strong>Lohn</strong>gruppenkataloge<br />
auf<strong>genommen</strong> werden. Aber das ist etwas,<br />
wo sich <strong>die</strong> Arbeitgeberverbände bei den Verhandlungen<br />
mit aller Kraft wi<strong>der</strong>setzen.<br />
Das zeigt in <strong>der</strong> Auswirkung ein Bericht des Bundesarbeitsministeriums,<br />
<strong>der</strong> 1974 in Kraft getretene Tarifverträge<br />
erstmals daraufhin <strong>unter</strong>suchte, wie weit Leichtlohngruppen<br />
in Tarifverträgen enthalten sind. Ausgewertet wurden 364<br />
wichtige <strong>Lohn</strong>tarifverträge für rund 10,7 Millionen gewerbliche<br />
Arbeitnehmer; das umfaßt etwa 90 % aller gewerblichen<br />
Arbeitnehmer.<br />
Das Ergebnis zeigte, daß es in 104 Tarifverträgen eine<br />
<strong>Lohn</strong>gruppe für leichte o<strong>der</strong> einfache Arbeiten gibt, <strong>die</strong><br />
für "leichte" Arbeit einen niedrigeren <strong>Lohn</strong> als für<br />
"schwere" Arbeit vorsieht.<br />
Es waren Verträge von den Industriebereichen Metall, Chemie,<br />
Papierverarbeitung, Druck, Holz und Nahrungs- und Genußmittel,<br />
auch von <strong>der</strong> Landwirtschaft und dem Handel.<br />
Im Schnitt lag <strong>der</strong> Abstand bei 10 % zwischen den <strong>unter</strong>sten<br />
<strong>Lohn</strong>gruppen "leicht" und "schwer". In den <strong>unter</strong>suchten<br />
Branchen mit Leichtlohngruppen sind 4,2 Millionen gewerbliche<br />
Arbeitnehmer beschäftigt. Man rechnet, daß davon<br />
500.0O0 in Leichtlohngruppen eingestuft sind.<br />
Warum sich <strong>die</strong> <strong>Frau</strong>en nicht gegen falsche Eingruppierungen<br />
wehrten? Es gibt viele Antworten darauf:
-24-<br />
Es gab immer wie<strong>der</strong> Zeiten von Arbeitslosigkeit im Bereich<br />
<strong>der</strong> ungelernten Hilfstätigkeiten, also gab es Angst, den<br />
Arbeitsplatz zu verlieren. Selbst <strong>der</strong> vielfach angedrohte<br />
Arbeitsplatzwechsel - <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> vertrauten Umgebung,<br />
Kollegenkreis, Tätigkeit, Schicht etc. mit sich brachte<br />
- erzeugte genug Angst, um auf Rechte zu verzichten.<br />
Darum <strong>die</strong> Unsicherheit, wie man einen Anspruch vor Gericht<br />
beweisen kann, wo doch alle Welt von <strong>der</strong> "Leichtigkeit" <strong>der</strong><br />
"<strong>Frau</strong>enarbeit" überzeugt war.<br />
Die freiwillige Zulage, <strong>die</strong> man verlieren könnte.<br />
Und schließlich <strong>die</strong> mangelhafte Rechtsgrundlage nach dem<br />
alten BetrVG für Betriebsräte, ihrerseits tätig werden zu<br />
können.<br />
Klagen konnte bisher immer nur dxe betroffene Arbeitnehmerin<br />
selbst. So haben auch alle Gewerkschaften seit Bestehen des<br />
neuen Gesetzes an <strong>die</strong> Betriebsräte appelliert, jetzt von<br />
ihren Rechten Gebrauch zu machen - im Interesse <strong>der</strong> <strong>Frau</strong>en.<br />
Die Paragraphen 75, 80, 99 sind für <strong>die</strong> Betriebsräte <strong>die</strong><br />
Werkzeuge zum Kampf um <strong>Lohn</strong>gerechtigkeit für <strong>Frau</strong>en!<br />
Die Arbeitnehmerin soll hingegen vom Beschwer<strong>der</strong>echt <strong>der</strong><br />
Paragraphen 84 und 85 Gebrauch machen.<br />
Auch weiterhin ist es nicht leicht, sich gegen <strong>die</strong> einheitliche<br />
Linie <strong>der</strong> Unternehmer durchzusetzen. Die Gewerkschaften<br />
sind jahrelang auf allen Gebieten gegen <strong>die</strong> Uneinsichtigkeit<br />
und Unnachgiebigkeit <strong>der</strong> Unternehmer zu Felde gezogen.<br />
International wurden Bewegungen angeschoben, wie <strong>die</strong> Konvention<br />
Nr. 100, <strong>die</strong> bei <strong>der</strong> Internationalen Arbeitsorganisation (IAO)<br />
verabschiedet wurde und erst kürzlich durch Experten <strong>unter</strong><br />
Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern und Arbeitgebern<br />
sowie Regierungsvertretern erneut behandelt wurde. Die Vollversammlung<br />
<strong>der</strong> IAO befaßte sich in <strong>die</strong>sem Jahr <strong>unter</strong> an<strong>der</strong>em<br />
mit <strong>die</strong>sem Thema.
- 25 -<br />
Gewerkschaftsvertreter haben <strong>die</strong> Europäische Kommission<br />
ermahnt, auf <strong>die</strong> Erfüllung des Artikels 119 <strong>der</strong> Römischen<br />
Verträge zu drängen. In ständigen Berichterstattungen zum<br />
Artikel 119 wiesen <strong>die</strong> Gewerkschaften auf <strong>die</strong> Probleme hin.<br />
Kürzlich hat <strong>der</strong> Europäische Rat Richtlinien zum Artikel 119,<br />
<strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> <strong>Lohn</strong>gleichheit befaßt, verabschiedet. Einige<br />
EG-Mitgliedstaaten haben beson<strong>der</strong>e Gesetze zur Sicherung des<br />
<strong>Lohn</strong>gleichheitsgrundsatzes verabschiedet.<br />
In <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland haben <strong>die</strong> Einzelgewerkschafter<br />
bei den Tarifgruppenverhandlungen mit uen verschiedensten<br />
Vorschlägen, abhängig von den branchenmäßigen Gegebenheiten,<br />
aufgewartet. Immer wie<strong>der</strong> stieß man auf härtesten<br />
Wi<strong>der</strong>stand, Und immer wie<strong>der</strong> versuchte man aufkommende Unzufriedenheit<br />
mit freiwilligen Zulagen zu beschwichtigen.<br />
Aber - wie man weiß - auch hier mit <strong>unter</strong>schiedlicher Wertung.<br />
Selbst bei Berücksichtigung einer Reihe von Zulagen, <strong>die</strong><br />
Männer auf Grund einer speziellen Tätigkeit erhalten, steht<br />
fest, daß <strong>Frau</strong>en ungleich behandelt werden. Das kürzlich veröffentlichte<br />
BAG-Urteil (Seite 3) ist ein Musterfall <strong>der</strong> <strong>Lohn</strong>benachteiligung<br />
von <strong>Frau</strong>en, <strong>der</strong> auch bei <strong>der</strong> Eingruppierung<br />
in Tariflohngruppen vorkommt.<br />
Tarifautonomie ist das, was <strong>die</strong> Gewerkschaften für eine wesentliche<br />
Grundfor<strong>der</strong>ung ansehen, <strong>die</strong> bisher auch gewährleistet<br />
war. Tatsächlich stellt sich aber <strong>die</strong> Frage, ob sie so<br />
auch von den Unternehmern gesehen wird.<br />
Die Tarifbestimmungen sind Mindestnormen, sollen jedoch auch<br />
<strong>die</strong> Richtung bestimmen, <strong>die</strong> bei <strong>der</strong> Regelung <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen<br />
eingehalten werden sollen.<br />
Ist es fair, wenn nach Abschluß von <strong>Lohn</strong>tarifverträgen immer<br />
wie<strong>der</strong> <strong>die</strong> Ergebnisse durch außertarifliche Zulagen entwertet<br />
werden?
- 26 -<br />
<strong>Der</strong> Zulagenspielraum dürfte nach <strong>der</strong> üblichen Härte <strong>der</strong><br />
TarifVerhandlungen nicht so groß sein, o<strong>der</strong> man verbindet<br />
damit ungute Absichten. Man stellt aber dann eine doppelte<br />
Autonomie für eine Partei her, gegen <strong>die</strong> <strong>die</strong> an<strong>der</strong>e nichts<br />
<strong>unter</strong>nehmen kann. Sie wird sozusagen <strong>unter</strong>laufen.<br />
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat<br />
erneut eine Untersuchung in Auftrag gegeben und zwar an<br />
Prof. Dr.-Ing. W. Rohmert und Prof. Dr. med. et phil. J,<br />
Rutenfranz mit den Fragen:<br />
1.) Welche arbeitswissenschaftlichen Methoden sind<br />
geeignet, Arbeiten als energetisch schwer o<strong>der</strong><br />
leicht bzw. informatorisch einfach o<strong>der</strong> schwierig<br />
zu beurteilen?<br />
2.) Welche Arbeiten sind in <strong>der</strong> heutigen technischen<br />
Wirtschaft als einfach o<strong>der</strong> schwierig bzw. schwer<br />
o<strong>der</strong> leicht anzusehen?<br />
3.) Können durch Feld- o<strong>der</strong> Labor<strong>unter</strong>suchung bestehende<br />
Forschungslücken zur Beurteilung und Bewertung<br />
leichter und schwerer bzw. einfacher o<strong>der</strong> schwieriger<br />
Arbeit bei Berücksichtigung physischer und psychischer<br />
Beanspruchung geschlossen werden?<br />
4.) Können praktisch anwendbare Methoden für <strong>die</strong> Übertragung<br />
<strong>der</strong> (Gutachter-) Erkenntnisse in <strong>die</strong> <strong>Lohn</strong>findung<br />
entwickelt werden?<br />
Die Untersuchung liegt nun vor. Es bleibt abzuwarten,<br />
welche Konsequenzen <strong>die</strong> Tarifpartner daraus für <strong>die</strong><br />
Tarifpolitik ziehen können.
- 27 -<br />
Die DGB-Gewerkschaften haben sogleich in einer beson<strong>der</strong>s<br />
hierzu einberufenen Kommission <strong>die</strong> Möglichkeiten zur Anwendung<br />
neuer Beurteilungskriterien, <strong>die</strong> von den Gutachtern<br />
vorgeschlagen wurden, überprüft. Es wurden von<br />
Rohmert/Rutenfranz wesentliche differenzierte Anfor<strong>der</strong>ungsmerkmale<br />
vorgesehen.<br />
Die bisher im Rahmen <strong>der</strong> Arbeitsbewertung angewendeten<br />
Methoden zur Beurteilung <strong>der</strong> Belastungshöhe als Grundlage<br />
zur <strong>Lohn</strong>findung waren einseitig energetisch orientiert.<br />
Es kamen bestenfalls Umgebungseinflüsse hinzu. Die technische<br />
Entwicklung hat <strong>die</strong> Arbeitsvorgänge weitestgehend<br />
verän<strong>der</strong>t. Informatorische Belastungen (Sinne und Nerven),<br />
Monotonie, Taktgebundenheit, Uberwachungsfunktion u.a.<br />
sind hinzugekommen, <strong>die</strong> meist <strong>unter</strong>- o<strong>der</strong> nicht bewertet<br />
werden.<br />
Die Wissenschaftler haben mit ihren Aussagen <strong>die</strong> jahrelang<br />
vorgetragene Meinung <strong>der</strong> Gewerkschaften bestätigt. Sie sahen<br />
sich veranlaßt, ein neues arbeitswissenschaftliches Erhebungsverfahren<br />
zu entwickeln, das sie an 204 <strong>unter</strong>suchten Arbeitsplätzen<br />
von Männern und <strong>Frau</strong>en in verschiedenen Wirtschaftszweigen<br />
angewandt haben.<br />
Damit liegt noch keine Lösung auf dem Tisch. Aber es wird<br />
sich zeigen, ob tatsächlich bei den Arbeitgeberverbänden<br />
Bereitschaft besteht, schrittweise das Problem <strong>der</strong> <strong>Frau</strong>enentlohnung<br />
einer befriedigenden und damit gerechteren tariflichen<br />
Regelung zuzuführen. Sie müßten endlich ihren Wi<strong>der</strong>stand<br />
gegen grundsätzliche Än<strong>der</strong>ungen von Tarifkatalogen<br />
aufgeben.<br />
Dr. Kurt Wolf könnte in <strong>die</strong>ser Beziehung einen guten Beitrag<br />
leisten, indem er seinen Einfluß z.B. auf <strong>die</strong> Arbeitgebervereinigung<br />
<strong>der</strong> Süßwarenindustrie geltend macht.<br />
lamburg, November 1975