BLATTZEIT
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TEXT: Andrea Ackermann – lebt und arbeitet als Journalistin in Berlin.<br />
FOTOS: Julia Nowak<br />
SOMMER 15 // <strong>BLATTZEIT</strong> // PORTRÄT<br />
5<br />
VERKAUFEN UND DORF-<br />
KLATSCH IST DAS SCHÖNSTE<br />
Die Bäckerei Möller aus Warthe hat neben ihrem Stammsitz auch<br />
drei rollende Läden. Sybille Kasprik fährt seit der Wende einen dieser<br />
Kleintransporter und verkauft frische Backwaren. Ein offenes Ohr<br />
hat sie für jeden umsonst.<br />
Sybille Kasprik erfahren haben, was deren Familie so einmal in<br />
der Woche an Brot und Brötchen verputzt. Bestellungen behält<br />
sie im Kopf und notiert sie erst nach Feierabend. Sybille Kasprik<br />
hat ein phänomenales Gedächtnis.<br />
Schade, Sybille Kaspriks Urlaub beginnt genau an dem Tag, als<br />
wir uns treffen wollten. Wer wäre nicht gern mit ihr im Bäckermobil<br />
durchs Boitzenburger Land gefahren und hätte Geschichten<br />
und Schnurren erfahren? Klar, dass sie auch mal frei haben<br />
muss. Sie mache die schönste Arbeit, die man sich vorstellen<br />
kann, gesteht sie. „Jeder Tag ist anders, überall warten die Leute<br />
schon auf mich und meinen Bäckerwagen. Am schönsten ist<br />
aber der Dorfklatsch.“ Während sie das sagt, packt sie Mengen<br />
von Leckereien aus, weil sie meint, dass man beim Gespräch<br />
doch Hunger auf Kuchen, Nusstaler oder Fruchttörtchen vom<br />
Bäcker Möller haben müsste.<br />
Sybille Kasprik ist beliebt und bekannt wie ein bunter Hund. Seit<br />
über 20 Jahren tourt die gelernte Kellnerin mit frischen Backwaren,<br />
einer Auswahl von Tageszeitungen und Klatschmagazinen<br />
durch die Dörfer des Boitzenburger Landes. Einen exakten<br />
Fahrplan habe es anfangs nicht gegeben, den habe sie sich<br />
selber zusammengestellt. Wo jemand frische Brötchen, Brot<br />
oder Kuchen braucht, erfährt sie meist von den Leuten. Sie kennt<br />
alle Kunden als gehörten die zur Familie, und packt, kaum dass<br />
jemand in Sichtweite ist, flink die Tüten mit der gewünschten<br />
Backware.<br />
Auf jeden Dienstag und den Donnerstag freut sich Frau Kasprik<br />
besonders. Bei Wind und Wetter steht Elise Schnädelbach Punkt<br />
10 Uhr in der Jakobshagener Straße in Herzfelde und wartet mit<br />
frisch gebrühtem Kaffee auf die Frau mit dem rollenden<br />
Bäckerladen. Die 82-Jährige läuft an Krücken. So manches Mal<br />
erledigte Sybille Kasprik auch kleine Einkäufe für die alte Dame<br />
und bringt sie ihr an die Haustür. Das ist nicht besonders für sie,<br />
das sei eben Nachbarschaftshilfe.<br />
Nur einmal konnte die Bäckersfrau einen Wunsch nicht erfüllen.<br />
Ein Urlauber sei zu ihr gekommen und verlangte nach dem<br />
„Playboy“. Den habe sie nicht an Bord, erwiderte sie und konterte<br />
schlagfertig: „Nehmen Sie einen Windbeutel, der tut’s auch.“<br />
Ihr Arbeitstag ist hart, denn wer frische Brötchen verkaufen will<br />
muss früh aus dem Bett. Morgens kurz nach vier ist ihre Nacht zu<br />
Ende. Sie belädt das Bäckerauto selbst. Wenn sie von der Tour<br />
zurückkommt, heißt es Kuchenbleche schrubben, das Auto<br />
innen und außen reinigen und abrechnen. Noch nie gab es ein<br />
Minus bei ihr, sagt sie stolz. Wenn es nach Sybille Kasprik ginge,<br />
würde sie immer so weitermachen wollen. Bis zur Rente.<br />
Sybille Kasprik kann sich keine<br />
schönere Arbeit vorstellen, als<br />
mit dem Bäckerwagen durch‘s<br />
Land zu rollen.<br />
Man habe immer mehr in der Tüte als man eigentlich kaufen<br />
wollte, sagen die Kunden und dass die Bäckersfrau eine<br />
geborene Verkäuferin sei. Es soll Männer geben, die erst von<br />
Samstag, 9.45 Uhr in Rosenow. Wenn Sybille<br />
Kasprik mit dem Bäckerwagen kommt, trifft<br />
sich das Dorf.