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Brief an die Mitglieder der Bundestagsfraktion ... - Hermann Scheer

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HERMANN SCHEERDr.rer.pol., Dr. h.c.An <strong>die</strong> <strong>Mitglie<strong>der</strong></strong> <strong>der</strong><strong>Bundestagsfraktion</strong> <strong>der</strong> SPDMitglied des Deutschen BundestagesAn <strong>die</strong> <strong>Mitglie<strong>der</strong></strong> <strong>der</strong><strong>Bundestagsfraktion</strong> <strong>der</strong> CDU/CSUBundeshausDeutscher BundestagPlatz <strong>der</strong> Republik 111011 Berlin (030) 227 – 73 834 (030) 227 – 76 528 herm<strong>an</strong>n.scheer@bundestag.de http://www.herm<strong>an</strong>n-scheer.deWahlkreisBahnhofstr. 7871332 Waiblingen (07151) 561 777 (07151) 561 566 herm<strong>an</strong>n.scheer@wk.bundestag.de http://www.herm<strong>an</strong>n-scheer.de__19. Mai 2006<strong>Brief</strong> von Bundesfin<strong>an</strong>zminister Peer Steinbrück zum Antrag„Zwei-Wege-Strategie zur Biokraftstoff-Einführung“__Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,Bundesfin<strong>an</strong>zminister Peer Steinbrück hat mit Datum vom 17. Mai einen <strong>Brief</strong> <strong>an</strong> alle<strong>Mitglie<strong>der</strong></strong> <strong>der</strong> Regierungsfraktionen geschrieben. In <strong>die</strong>sem hat er durchgängigAblehnungsgründe gegen den Antrag „Zwei-Wege-Strategie zur Biokraftstoff-Einführung“ aufgeführt, <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeit von 120 <strong>Mitglie<strong>der</strong></strong>n <strong>der</strong> SPD-<strong>Bundestagsfraktion</strong>namentlich getragen wird. Er hat <strong>die</strong>sem „nachdrücklich wi<strong>der</strong>sprochen“ und daraufinsistiert, dass <strong>an</strong> <strong>der</strong> Ein-Weg-Strategie hin zu ausschließlichenBeimischungsquoten festgehalten werden soll, wie sie in dem Eckpunktepapier desBundeskabinetts vom 3. Mai formuliert sind.Dem ist, für denselben Adressatenkreis, folgendes zu entgegnen:1. Festgestellt wird in dem <strong>Brief</strong>, dass „<strong>die</strong> steuerliche För<strong>der</strong>ung vonBiokraftstoffen fin<strong>an</strong>zpolitisch nicht mehr durchzuhalten“ sei, weil bereits imJahr 2005 Steuerausfälle von 1,2 Mrd. Euro entst<strong>an</strong>den sind.Entgegnung: Diese Rechnung berücksichtigt nicht <strong>die</strong> Steuereinnahmen <strong>der</strong>Unternehmen und Beschäftigten im Biokraftstoffbereich, <strong>die</strong> ohne <strong>die</strong>Steuerbegünstigung allesamt nicht entst<strong>an</strong>den wären. In einer in den nächstenTagen vorliegenden Stu<strong>die</strong> des Münchner Ifo-Instiut wird <strong>der</strong> steuerlicheRücklaufeffekt im Jahr 2005 auf 123 % <strong>der</strong> Steuerausfälle beziffert, also aufüber 1,4 Mrd. Euro. Wenn also <strong>der</strong> Nettoeffekt über 200 Mio. Euro beträgt, istdas Auslaufen jeglicher Steuerbegünstigung nicht einmal mit dem Ziel <strong>der</strong>Haushaltss<strong>an</strong>ierung begründbar.Seite 1 von 7


Für den unstrittigen Fall, dass bis zum Jahr 2009 eine Teilbesteuerung vonBio<strong>die</strong>sel von 10 Cent gelten soll, steigen <strong>die</strong> Steuerrückflüsse aus demdeutschen Biokraftsektor <strong>der</strong> Ifo-Stu<strong>die</strong> zufolge sogar auf 140 %.2. Das beabsichtigte Auslaufen <strong>der</strong> steuerlichen För<strong>der</strong>ung für <strong>die</strong> „ersteGeneration“ <strong>der</strong> Biokraftstoffe Ende 2009 wird damit begründet, dass <strong>die</strong>seKraftstoffe – gemeint sind Bio<strong>die</strong>sel, Pfl<strong>an</strong>zenöl und Bioeth<strong>an</strong>ol – „auf l<strong>an</strong>geSicht kaum wettbewerbsfähig“ auf dem deutschen Reinkraftstoffmarkt seienund deshalb keine weitere Investitionen in <strong>die</strong>ser Richtung „ermuntert“ werdendürften. Das Votum des Eckpunktepapiers unterstellt, dass im Gegensatz zuBio<strong>die</strong>sel, Pfl<strong>an</strong>zenöl und Bioeth<strong>an</strong>ol allein <strong>der</strong> biosynthetische Kraftstoff(BTL) wettbewerbsfähig werden könnte, weshalb allein <strong>die</strong>ser bis 2015steuerbegünstigt bleiben soll.Entgegnung: Diese Aussage ist in mehrfacher Hinsicht nicht haltbar.Angesichts <strong>der</strong> unweigerlich steigenden Erdöl- und Erdgaspreise im Zuge<strong>der</strong>en nahen<strong>der</strong> Erschöpfung werden alle Biokraftstoffe in moment<strong>an</strong> nichtgenau bestimmbarer Zeit – wahrscheinlich aber schon innerhalb des nächstenJahrzehnts – wettbewerbsfähig mit fossilen Kraftstoffen.Der allein noch als för<strong>der</strong>würdig betrachtete biosynthetische Kraftstoff hatjedoch nicht nur gegenwärtig höhere Produktionskosten als <strong>die</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>enBiokraftstoffe, son<strong>der</strong>n wird wahrscheinlich auch künftig höhereProduktionskosten haben. Die Höhe <strong>der</strong> Produktionskosten ist abhängig von<strong>der</strong> technologischen Komplexität, vor allem von <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Zahl <strong>der</strong>Umw<strong>an</strong>dlungsstufen von <strong>der</strong> Primärenergie bis zur Nutzenergie. DieseKomplexität ist bei BTL höher als bei den <strong>an</strong><strong>der</strong>en gen<strong>an</strong>nten Biokraftstoffen.Im Übrigen ersetzt BTL lediglich Dieselkraftstoff.Die Substitution <strong>der</strong> Benzinkraftstoffe erfolgt hingegen durch Bioeth<strong>an</strong>ol o<strong>der</strong>durch Biogas. Dieser wird in den nächsten 20 Jahren, wenn nicht gar aufDauer, <strong>der</strong> weltweit mit Abst<strong>an</strong>d meistgenutzte Biokraftstoff sein – mitenormen Potentialen zur Produktivitätssteigerung. Diesen vom Rein-Biokraftstoffmarkt in Deutschl<strong>an</strong>d auszuschließen, indem er zumAuslaufmodell 2009 gemacht wird, ist keine Überlegung „auf l<strong>an</strong>ge Sicht“,son<strong>der</strong>n eine kurzsichtige. Die offizielle schwedische Strategie, bis 2020unabhängig vom Erdöl zu werden, stützt sich vor allem auf Bioeth<strong>an</strong>ol,mobilisiert über den Rein-Kraftstoffmarkt.3. Festgestellt wird, dass das Auslaufen <strong>der</strong> Steuerbegünstigung aller reinenBiokraftstoffe im Jahr 2009 ein gesetzlich „bereits festgelegtes Enddatum“ sei.Entgegnung: Die Befristung des am 1.1.2004 in Kraft getretenen Gesetzes zurSteuerbegünstigung aller Biokraftstoffe bis Ende 2009 war keinesfalls alsSeite 2 von 7


Enddatum vorgesehen. Nicht nur in <strong>der</strong> Gesetzesbegründung von 2003 zurRegelung <strong>der</strong> Steuerbefreiung von Biokraftstoffen, son<strong>der</strong>n imFortschrittsbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie <strong>der</strong> Bundesregierung(Drucksache 15/4100) aus dem Jahre 2004 heißt es: „Die Bundesregierungwird sich europaweit und national für eine steuerliche Begünstigung <strong>der</strong>Biokraftstoffe über 2009 hinaus einsetzen.“ Und in <strong>der</strong> Gesetzesbegründungheißt es: „In dem Maß, in dem Biokraftstoffe <strong>an</strong> Konkurrenzfähigkeitgegenüber fossilen Kraftstoffen gewinnen, k<strong>an</strong>n eine Teilbesteuerungerfolgen.“ Nichts <strong>an</strong><strong>der</strong>es besagt <strong>der</strong> Antrag <strong>der</strong> „Zwei-Wege-Strategie“.4. Das Eckpunktepapier wird damit begründet, dass eine Steuerbegünstigung<strong>der</strong> Biokraftstoffe über 2009 hinaus „aus europarechtlichen Gründenabzulehnen“ sei. Gewarnt wird davor, dass eine Steuerbegünstigung „trotzfestgestellter Überkompensation“ gegen Art. 87, 88 EG-Vertrag verstoßenwürde, und dass ein S<strong>an</strong>ktionsmech<strong>an</strong>ismus einesVertragsverletzungsverfahrens „empfindliche Bußgel<strong>der</strong>“ vorsehen und <strong>die</strong>Bundesregierung sogar verpflichten würde, „<strong>die</strong> ungerechtfertigten Beihilfenvon den Betroffenen zurückzufor<strong>der</strong>n.“Entgegnung: Von einer europarechtlichen Verpflichtung, bis Ende 2009 <strong>die</strong>Steuerbegünstigung für Rein-Biokraftstoffe aufzuheben, k<strong>an</strong>n keinerlei Redesein. In Art. 16, Abs. 5 <strong>der</strong> EU-Energiesteuer-Richtlinie heißt es, eineBefreiung o<strong>der</strong> Ermäßigung einer Energiesteuer k<strong>an</strong>n „höchstens sechsaufein<strong>an</strong><strong>der</strong> folgende Jahre gelten. Dieser Zeitraum k<strong>an</strong>n verlängert werden.“Weiter heißt es: „Im Rahmen eines vor dem 31.12.2012 genehmigtenmehrjährigen Programms können <strong>die</strong> Mitgliedsstaaten <strong>die</strong> Befreiung o<strong>der</strong>Ermäßigung über den 31.12.2012 hinaus bis zum Abschluss <strong>die</strong>sesProgramms <strong>an</strong>wenden.“ Würde <strong>die</strong> EU-Kommission eine Überkompensationkonkret be<strong>an</strong>st<strong>an</strong>den, so ist das Verfahren in Art. 88 EG-Vertrag eindeutiggeregelt: „Stellt <strong>die</strong> Kommission fest, nachdem sie <strong>die</strong> den Beteiligten eineFrist zur Äußerung gesetzt hat, dass eine Beihilfe mit dem gemeinsamenMarkt nach Art. 87 unvereinbar ist o<strong>der</strong> dass sie missbräuchlich <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dtwird, so entscheidet sie, dass <strong>der</strong> betreffende Staat sie binnen einer von ihrbestimmten Frist aufzuheben o<strong>der</strong> umzugestalten hat. Kommt <strong>der</strong> betreffendeStaat <strong>die</strong>ser Auffor<strong>der</strong>ung innerhalb <strong>der</strong> festgesetzten Frist nicht nach, sok<strong>an</strong>n <strong>die</strong> Kommission o<strong>der</strong> je<strong>der</strong> betroffene Staat den Gerichtshof unmittelbar<strong>an</strong>rufen.“Tatsache ist, dass eine Be<strong>an</strong>st<strong>an</strong>dung <strong>der</strong> jetzigen Steuerbefreiung durch <strong>die</strong>Kommission bisher nicht in nachvollziehbarer Form vorliegt. Würde sieerfolgen, müsste lediglich <strong>die</strong> Überkompensation selbstverständlich abgebautwerden, jedoch nicht <strong>die</strong> Steuerbegünstigung insgesamt. Erst wenn <strong>die</strong>s nichtbeachtet würde, könnten S<strong>an</strong>ktionen folgen. Eine überraschende S<strong>an</strong>ktionSeite 3 von 7


gegen eine gesetzliche Steuerbegünstigung ist also europarechtlichundenkbar.Da sich <strong>der</strong> Antrag <strong>der</strong> 120 SPD-Abgeordneten, auf den sich das Schreibenbezieht, selbstverständlich auch gegen eine Überkompensation ausspricht,sind alle europarechtlich begründeten Vorbehalte von vornherein hinfällig. Siesuggerieren einen europarechtlichen Sachzw<strong>an</strong>g, den es gar nicht gibt.5. Gegen den Antrag wird eingew<strong>an</strong>dt, dass durch <strong>die</strong> Fortführung <strong>der</strong>Steuerbegünstigung für Rein-Biokraftstoffe „ keine wesentlichen technischenNeuentwicklungen <strong>an</strong>gestoßen werden, da <strong>die</strong>se Techniken von <strong>der</strong>Automobilindustrie in <strong>an</strong><strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n bereits <strong>an</strong>geboten werden.“Entgegnung: Es geht bei technischen Neuentwicklungen keineswegs allein umAntriebstechniken, wesentlich wichtiger noch als <strong>die</strong>se sindProduktionstechniken für Biokraftstoffe, durch <strong>die</strong> Produktivitätssteigerungenund <strong>die</strong> Verbesserungen <strong>der</strong> Ökobil<strong>an</strong>zen erfolgen. Hier sind <strong>die</strong> deutschenmittelständischen Firmen, beson<strong>der</strong>s auf dem Gebiet <strong>der</strong> Bio<strong>die</strong>sel- undPfl<strong>an</strong>zenöltechnik, eindeutig weltmarktführend. Dieses Innovationspotentialwillkürlich aus dem deutschen Anwen<strong>der</strong>bereich zu nehmen – insbeson<strong>der</strong>e<strong>an</strong>gesichts <strong>der</strong> erwartbaren zahlreichen weltweiten Nachfragen nachdezentralen Produktionstechnologien – ist industriepolitisch unhaltbar.Im Übrigen wird es in <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung auf völliges Unverständnisstoßen, wenn ab 2010 wegen des Wegfalls <strong>der</strong> Steuerbegünstigung für Rein-Biokraftstoffe eine Situation eintritt, in <strong>der</strong> es – zumindest für den Zeitraummehrerer Jahre – auf Deutschl<strong>an</strong>ds Straßen keine Fahrzeuge mehr gebenwürde, <strong>die</strong> Biokraftstoffe t<strong>an</strong>ken könnten. Dies wäre in <strong>der</strong> Wirkunggleichbedeutend damit, dass in Deutschl<strong>an</strong>d keine Bio-Lebensmittel mehrgekauft werden könnten.Dies wird zwar mit <strong>der</strong> Bemerkung schmackhaft zu machen versucht, dass„Motorumstellungen und zusätzliche Wartungen den Autofahrern erspart“blieben. Diese Bemerkung klingt allzu bevormundend, denn in was <strong>die</strong>Autofahrer investieren, bleibt ihnen immer noch selbst überlassen. Sie stehtauch gegen das artikulierte Interesse <strong>der</strong> deutschen Automobilindustrie, <strong>die</strong>sich zuletzt im Hearing des Fin<strong>an</strong>zausschusses am 17. Mai eindeutig für <strong>die</strong>„Zwei-Wege-Strategie“ ausgesprochen hat. Es gibt nur einenWirtschaftszweig, <strong>der</strong> ein industriepolitisches Interesse <strong>an</strong> <strong>der</strong>ausschließlichen Beimischungsquote hat: <strong>die</strong> hochkonzentrierteMineralölwirtschaft.6. Von <strong>der</strong> vom Eckpunkte-Papier des Bundeskabinetts beabsichtigten letztlichvollständigen Ersetzung von Steuerbefreiungen durch <strong>an</strong>steigendeSeite 4 von 7


Beimischungsquoten wird versprochen, dass damit „verlässliche Absatzwege“geschaffen würden.Auch dem ist zu entgegnen, dass mit einer solchen Verlässlichkeit in <strong>der</strong>Praxis nicht gerechnet werden k<strong>an</strong>n. Mit <strong>der</strong> Totalfixierung <strong>der</strong>Biokraftstoffstrategie auf Beimischungsquoten entstehen Abnehmermonopolein Form <strong>der</strong> großen multinationalen Mineralölkonzerne. Dass <strong>die</strong>se <strong>die</strong>eigentlichen Biokraftstoffproduzenten nach kurzer Zeit preislich ausquetschenkönnen wie Zitronen und es auch tun werden, bedarf keiner beson<strong>der</strong>enPrognosefähigkeit.Dass sie zu Billigimporten übergehen aus Großpl<strong>an</strong>tagen, ist nahe liegend.Shell und BP haben sich heute schon große Latifun<strong>die</strong>n gesichert. Selbstwenn es künftig verbindliche Zertifizierungsregeln geben würde, <strong>die</strong> <strong>die</strong>Qualität <strong>der</strong> Biokraftstoffe sichern können, wäre dennoch <strong>der</strong> Trend zuGroßstrukturen vorprogrammiert, <strong>die</strong> kaum in <strong>die</strong> Strukturen <strong>der</strong>L<strong>an</strong>dwirtschaft in Deutschl<strong>an</strong>d und in <strong>der</strong> EU insgesamt passen.Großabnehmer ten<strong>die</strong>ren zu Großernten.Die Ch<strong>an</strong>ce <strong>der</strong> eigenen L<strong>an</strong>dwirtschaft, durch <strong>die</strong> Entwicklung neuerMischkulturen und integrierter Produktionsweisen mit geschlossenenNährstoffkreisläufen (beson<strong>der</strong>s <strong>die</strong> wirtschaftliche Nutzung vonSekundärprodukten für <strong>die</strong> und aus <strong>der</strong> Biokraftstoffproduktion), eine neuePerspektive zu geben, würde weitgehend verspielt. Ebenso würde <strong>die</strong> Ch<strong>an</strong>ceverspielt, den Anbietermarkt für Kraftstoffe zu diversifizieren, indemmittelständische Unternehmen und Stadtwerke als Kraftstoff<strong>an</strong>bieter in denMarkt eintreten, so wie es etwa <strong>die</strong> Stadtwerke Leipzig und Aachen schon in<strong>die</strong> Wege geleitet haben. Auch <strong>die</strong> Ch<strong>an</strong>ce <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung regionalerWirtschaftsstrukturen würde vert<strong>an</strong>.Das Gegenargument, dass dadurch spezifische neue Infrastrukturen mitentsprechenden Investitionen erfor<strong>der</strong>lich werden, ist wenig überzeugend: DiePolitik ruft doch gerade nach Investitionen, <strong>die</strong> endlich <strong>die</strong> Binnenkonjunkturbeleben sollen.Nicht nur <strong>die</strong> Mineralölwirtschaft hat ein Interesse <strong>an</strong> möglichstkostengünstigen Biokraftstoffen, son<strong>der</strong>n alle potentiellen Anbieter. Dass <strong>die</strong>mittelständische Wirtschaft <strong>die</strong>sbezüglich weniger produktiv arbeitet als <strong>die</strong>Mineralölkonzerne, k<strong>an</strong>n nicht ernsthaft unterstellt werden. Die allgemeineErfahrung ist genau umgekehrt. Die multinationale Mineralölwirtschaft ist <strong>der</strong>größte legale Steuerhinterzieher <strong>der</strong> Weltwirtschaft, und sie nutzt ihreOligopolstellung zu frivolen Preissteigerungen gerade in Krisensituationen. Soist es kein Zufall, dass Esso im Jahr 2005 einen Gewinn nach Steuern von 35Seite 5 von 7


Mrd. Dollar ausweist, Shell von 25 Mrd. und BP von 22 Mrd. Dollar, und dastrotz steigen<strong>der</strong> Ölpreise – und stets zu Lasten <strong>der</strong> Verbraucher.Ihr <strong>die</strong>se Oligopolstellung ohne Not auch für den Biokraftstoffsektor quasi zuschenken, statt <strong>die</strong>sen durch neue Anbieter von Rein-Biokraftstoffenentgegenzuwirken, k<strong>an</strong>n sich auch aus <strong>die</strong>sem Grund bitter rächen. InAussicht gestellte künftige Erhöhungen <strong>der</strong> Beimischungsquoten auf 10 o<strong>der</strong>20% würden in einer Zeit erfolgen, in <strong>der</strong> <strong>die</strong> fossilen Rohöl- und damit <strong>die</strong>Kraftstoffpreise noch deutlich über den jetzigen liegen. Sol<strong>an</strong>ge <strong>die</strong>se abernoch unter den Produktionspreisen für Biokraftstoffe liegen, bedeutet jedeQuotenerhöhung eine politisch induzierte zusätzliche Preissteigerung, <strong>die</strong>öffentlich immer schwerer durchsetzbar sein wird.Die Mineralölkonzerne werden <strong>die</strong>se Situation nicht ungenutzt lassen, umQuotenerhöhungen für Biokraftstoffe öffentlich zu denunzieren – undgleichzeitig mit <strong>die</strong>sen unkontrollierbare Extraprofite zu machen. Schon in denletzten Jahren haben sie <strong>die</strong> Mengen <strong>an</strong> steuerbefreiten Bio<strong>die</strong>sel, <strong>die</strong> sieselbst beigemischt haben, und <strong>die</strong> Bioeth<strong>an</strong>olmengen, mit denen sie denfossilen Zusatzstoff MTBE durch ETBE – also durch steuerfreies Bioeth<strong>an</strong>ol –ersetzt haben, nicht in Preissenkungen umgesetzt.Zusammenfassend:Das strategische Konzept des Eckpunktepapiers ist nicht ausreichend durchdacht.Dahinter steckt zum einen <strong>die</strong> Vorstellung, <strong>die</strong> industriepolitische Profilierung <strong>der</strong>Biokraftstoffe sei allein bei den Mineralölkonzernen gut aufgehoben. Es gibt sehr viel,was gegen <strong>die</strong>se letztlich strukturkonservative Denkweise spricht, und nichts, wasdafür spricht. Die notwendige Verbesserung <strong>der</strong> Ökobil<strong>an</strong>zen <strong>der</strong> Biokraftstoffe istd<strong>an</strong>n in den am wenigsten dafür prädestinierten Händen.Zum <strong>an</strong><strong>der</strong>en mag das generelle Ziel des Abbaus aller Steuerbegünstigungen eineRolle gespielt haben. Dies pauschal auf Rein-Biokraftstoffe <strong>an</strong>zuwenden, istSubventionsabbau ohne strukturpolitische Perspektive für <strong>die</strong> Binnenwirtschaft. BeiBiokraftstoffen h<strong>an</strong>delt es sich nicht um eine Dauersubvention, son<strong>der</strong>n um eineMarkteinstiegshilfe auf Zeit, <strong>die</strong> degressiv gestaltet werden k<strong>an</strong>n und auch muss,aber nicht 2009 abgeschnitten werden darf.Der Bundesregierung wird aus <strong>die</strong>sen Gründen dringend empfohlen, statt <strong>der</strong> imEckpunktepapier vorgesehenen „Ein-Weg-Strategie“ <strong>die</strong> „Zwei-Wege-Strategie“einzuschlagen. Die Initiative für <strong>die</strong>se will, im Sinne eines Erfolgs für <strong>die</strong> GroßeKoalition, einen voraussehbaren politischen Fehler verhin<strong>der</strong>n.Seite 6 von 7


Statt <strong>die</strong> „Zwei-Wege-Strategie“ rundweg abzulehnen, obwohl sie offenkundig voneiner Mehrzahl <strong>der</strong> Koalitionsabgeordneten inhaltlich getragen wird, wäre es sehr vielkonstruktiver, <strong>der</strong>en weitere Ausgestaltung zusammen mit den Koalitionsfraktionenvorzunehmen. Dies könnte vor allem bedeuten, <strong>die</strong> Kriterien <strong>der</strong> künftigenDegressionen <strong>der</strong> Steuerbegünstigungen für Reinkraftstoffe festzulegen, nicht zuletztunter Berücksichtigung ihrer jeweiligen CO 2 -Bil<strong>an</strong>z.Die Ersetzung <strong>der</strong> Steuerbegünstigung <strong>der</strong> Biokraftstoffe steht zwar imKoalitionsvertrag. Dieser Vertrag ist maßgeblich, wenn nur eine Koalitionspartei o<strong>der</strong>-fraktion darüber hinausgehen will. Er hin<strong>der</strong>t <strong>die</strong> Koalitionsparteien aber nicht,einvernehmlich darüber hinaus zu gehen – zumal, wie gezeigt, das Ziel <strong>der</strong>Haushaltss<strong>an</strong>ierung dadurch eher geför<strong>der</strong>t als beeinträchtigt wird. Denn neben denSteuermin<strong>der</strong>ungen stehen <strong>die</strong> nachweisbaren Steuergewinne einessteuerbegünstigten Rein-Biokraftstoffsektors. Beides muss im fin<strong>an</strong>zpolitischenZusammenh<strong>an</strong>g gesehen werden.Mit freundlichen GrüßenDr. Herm<strong>an</strong>n <strong>Scheer</strong> MdBAnlage:Antrag „Zwei-Wege-Strategie“ mit Unterzeichnern aus <strong>der</strong> SPD-<strong>Bundestagsfraktion</strong>Seite 7 von 7

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