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Wenig stoff – grosse WirKung<br />
INTERVIEW mIT kOsTÜmbILDNERIN bETTINA LAuER<br />
für das ballettensemble benötigt die kostümabteilung<br />
weitaus weniger stoff als für die<br />
kollegen von musiktheater und schauspiel.<br />
Das liegt zum einen daran, dass Tänzerinnen<br />
und Tänzer in der Regel besonders<br />
zierlich sind, zum anderen soll das kostüm<br />
die bewegungsfreiheit nicht behindern und<br />
natürlich auch die virtuosen bewegungen gut<br />
zur Geltung bringen – da wäre zum beispiel<br />
ein schwerer brokatstoff eher hinderlich. Was<br />
bei der Gestaltung der kostüme für das ballett<br />
besonders zu beachten ist, darüber weiß<br />
kostümbildnerin bettina Lauer im Gespräch<br />
manches interessante Detail zu berichten:<br />
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
trugen die Ballerinen wadenlange,<br />
sogenannte romantische<br />
tutus. Du hast mit Deinen Kostümen<br />
in der modernen Choreographie zu<br />
Giselle in Schwerin an dieses tutu<br />
erinnert.<br />
Ja, aber obwohl mir diese alten kostüme<br />
persönlich sehr gefallen und ich es auch mag,<br />
wenn ein ballettrock schwingt, kann man heutzutage<br />
in einer modernen Choreographie<br />
die historischen kostümformen nicht mehr<br />
eins zu eins übernehmen. Im 19. Jahrhundert<br />
herrschten noch andere moralvorstellungen<br />
(zu viel bein zu zeigen, galt als unschicklich)<br />
und Tanz und bewegungsmuster unterschieden<br />
sich sehr zu den heutigen. Die moderne<br />
Choreographie – wie die von Paul Julius für<br />
Giselle – erfordert auch andere kostüme, die<br />
beispielsweise die zum Teil extremen beinbewegungen<br />
gut sichtbar machen.<br />
Und die tänzerinnen und tänzer<br />
haben meistens sehr eng anliegende<br />
Kostüme.<br />
Nicht immer, aber selbstverständlich dürfen<br />
die kostüme die Tänzer nicht behindern.<br />
Alles muss perfekt sitzen und das kostüm muss<br />
jede bewegung des Tänzers mitmachen. und<br />
in einem engen kostüm sieht man den körper<br />
und seine bewegung natürlich besonders gut.<br />
Oft fordere ich die Tänzerinnen und Tänzer<br />
bei der Anprobe dazu auf, die eine oder<br />
andere extreme bewegung zu machen, um zu<br />
überprüfen, ob das kostüm da bleibt, wo es<br />
soll, nicht behindert und die Nähte halten.<br />
Sind tänzer eigentlich unkritischer<br />
bei der anprobe als ihre Kollegen<br />
von den anderen Sparten, weil sie<br />
auf ihre durchtrainierten Körper<br />
vertrauen können?<br />
Ganz im Gegenteil! sie kennen ihren körper<br />
und seine Wirkung genau, wissen, wie er<br />
optisch am besten zur Geltung kommt und<br />
welche technischen Erfordernisse das kleidungsstück<br />
erfüllen muss. sie achten wirklich<br />
auf jede Nuance und sind sehr kritisch.<br />
gewöhnlich gehören ja auch Schuhe<br />
in den Hoheitsbereich der Kostümabteilung.<br />
Die schuhe sind das Arbeitsmaterial der<br />
Tänzerinnen und Tänzer. Wir bestellen die<br />
schuhe nach deren genauen Angaben. spitzenschuhe<br />
sind eine Wissenschaft für sich.<br />
Die Tänzerinnen präparieren sich dann ihre<br />
spitzenschuhe selbst, nähen Gummis oder<br />
bänder an, bearbeiten die spitze. Dies hat<br />
zum einen eine lange Tradition, zum anderen<br />
wissen die Tänzerinnen selbst am besten, wie<br />
sie mit ihren schuhen umgehen müssen, um<br />
für sich das optimale Ergebnis zu erzielen.<br />
In proben- und vorstellungsintensiven Phasen<br />
vertanzen einige Tänzerinnen bis zu 7 Paar<br />
spitzenschuhe pro monat.<br />
Welche schuhe zu welcher Choreographie<br />
getragen werden, bestimmen die Choreographen.<br />
Neben den spitzenschuhen werden<br />
zu Training, Proben und Vorstellungen<br />
üblicherweise schläppchen getragen<br />
gibt es Unterschiede bei der künstlerischen<br />
Zusammenarbeit mit Choreographen<br />
im Vergleich etwa mit<br />
regisseuren aus Schauspiel und<br />
musiktheater?<br />
Da Choreographen bereits in der Planung<br />
einer neuen Inszenierung viel körperlicher<br />
denken als Regisseure, kommen sie meistens<br />
auch schon mit konkreten Vorstellungen von<br />
den kostümen für ihre Produktion zu mir. Wir<br />
treffen früh genaue Absprachen zu material,<br />
form und farbe. Eine – allerdings ungeplante<br />
– Ausnahme habe ich erlebt: 2<strong>00</strong>3<br />
sollte ich für eine Tanzrevue in karlsruhe auf<br />
Wunsch des Choreographen kostüme erfinden,<br />
die vor allem optisch wirkungsvoll und<br />
besonders sein sollten, die für Tänzer sonst<br />
übliche bequemlichkeit sollte ich eher außer<br />
Acht lassen. bei meinen kostümen habe ich<br />
dann u.a. großzügig mit schaumstoff gearbeitet,<br />
formen erfunden, die die Tänzer erst<br />
einmal eher behinderten.<br />
Dann wurde der Choreograph jedoch krank,<br />
Bettina lauer b A L L E T T<br />
„Pas de Quatre“ mit Carlotta Grisi, Marie taglioni,<br />
lucile Grahn, Fanny Cerrito; lithographie von<br />
alfred Edward Chalon (1845)<br />
Szenenfoto „Giselle“, Mecklenburgisches<br />
Staatstheater Schwerin (2010)<br />
ein anderer musste zehn Tage vor der Premiere<br />
einspringen und sah sich mit kostümen<br />
konfrontiert, die weit entfernt waren von<br />
üblicher ballettkleidung. Er sah darin jedoch<br />
kein ärgerliches Hindernis, sondern hat die<br />
kostüme, die natürlich schon fertig waren,<br />
genutzt wie sie waren und danach seine<br />
Choreographie gestaltet, neue und ungewohnte<br />
bewegungen erfunden. Es wurde<br />
eine hochspannende Produktion.<br />
Das Interview führte Katja lorenz<br />
bettina Lauer verlässt zum Ende des Jahres<br />
das mecklenburgische staatstheater, um<br />
als freischaffende kostümbildnerin und<br />
kostümgestalterin zu arbeiten. Als Leiterin<br />
der kostümabteilung betreute sie in den<br />
vergangenen 3 ½ Jahren annähernd 90<br />
Produktionen in schauspiel, musiktheater<br />
und ballett – bei 18 Produktionen war sie<br />
auch die kostümbildnerin. bettina Lauer<br />
bleibt dem mecklenburgischen staatstheater<br />
weiterhin verbunden, so gestaltet<br />
sie u.a. die kostüme für den Freischütz im<br />
sommer 2011 auf der freilichtbühne im<br />
schlossgarten.<br />
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