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Praxishefte • Band 4 Gesunde Kinder – gleiche Chancen für alle?

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Teil II. <strong>Kinder</strong> und Jugendliche <strong>–</strong> die wichtigste Zielgruppe<br />

benslagenorientierte Gesundheitsförderung <strong>für</strong> sozial Benachteiligte funktioniert nicht gut ohne<br />

Einblick in das, was <strong>für</strong> die Betroffenen „Alltag“ ist.<br />

Der Lebensstandard von <strong>Kinder</strong>n bestimmt sich über das Einkommen der Eltern. Damit haben<br />

<strong>Kinder</strong>, die in Armutshaushalten aufwachsen, kaum eine Chance, dieser Situation mit eigenen<br />

Anstrengungen zu entkommen, denn sie sind auf ihre Eltern angewiesen und materiell von<br />

ihnen abhängig (Mansel/Brinkhoff 1998). Werden <strong>Kinder</strong> in eine solche Lebenslage hineingeboren,<br />

kennen sie kein anderes Leben als das mit finanzieller und sozialer Benachteiligung.<br />

Geld ist häufig ein Thema in sozial benachteiligten Familien <strong>–</strong> auch <strong>für</strong> die <strong>Kinder</strong> und Jugendlichen.<br />

Sie schämen sich <strong>für</strong> die Situation ihrer Eltern und sind zudem in der schwierigen<br />

Lage, das <strong>alle</strong>s nach draußen schlecht verschweigen zu können. Die Angst vor der Stigmatisierung<br />

setzt die <strong>Kinder</strong> unter Druck und führt zum Abbruch ihrer sozialen Kontakte. Am meisten<br />

leiden die <strong>Kinder</strong> und Jugendlichen wohl unter der Tatsache, dass sie „nicht mithalten können“.<br />

Sie sind und sie fühlen sich sozial ausgegrenzt. Im schlimmsten Fall kommt es zu depressiven<br />

Störungen und Selbstwertkrisen. Wenn solche psychischen Beschwerden im Kindes- und Jugendalter<br />

auftreten, können sie negative Entwicklungen in Gang setzen, die ein ganzes Leben<br />

lang prägen (Klocke/Hurrelmann 1998).<br />

<strong>Kinder</strong> und Jugendliche, denen schon an der Kleidung die finanzielle Misere der Familie anzusehen<br />

ist, werden schnell zu Außenseitern abgestempelt: keine Freunde, keine Markenkleidung,<br />

keine Schulausflüge, keine Mitgliedschaft im Sportverein, kein Urlaub in Mallorca, ein<br />

altes Fahrrad oder keines. Sofern irgendwie erschwinglich, setzen deshalb manche Eltern <strong>alle</strong>s<br />

daran, ihren Sprösslingen diese Akzeptanzprobleme in Schule und Freundeskreis zu ersparen.<br />

Zum Teil versuchen sie, den <strong>Kinder</strong>n das <strong>gleiche</strong> zu bieten, was die Freunde in der Clique auch<br />

besitzen. Das gelingt entweder über die drastische Reduzierung der elterlichen Bedürfnisse<br />

oder hin und wieder auch über Privatschulden. Auf viele Aktionen, bei denen es darum geht, mit<br />

Gleichaltrigen etwas zu tun, müssten die <strong>Kinder</strong> ansonsten verzichten. Ein Kind büßt schnell an<br />

Wertschätzung in der Gleichaltrigengruppe ein, wenn es den ganz normalen Standard nicht erreicht<br />

(Mansel/Neubauer 1998).<br />

Manche Probleme wären <strong>für</strong> die <strong>Kinder</strong> sicher besser zu bewältigen, wenn sie unter ihren<br />

Kameraden in der Schule auf Verständnis und Unterstützung hoffen könnten. Das erweist sich<br />

in der Praxis aber als schwierig. Im heutigen Schulsystem stoßen Lehrer mit dem Wunsch, die<br />

sozial benachteiligten <strong>Kinder</strong> besonders zu unterstützen, schnell an die Grenze ihrer Belastbarkeit<br />

(Andrä 2000).<br />

Auch zu Hause lauern die Einschränkungen beim Spielen und Hausaufgaben machen. Der oft<br />

beengte Wohnraum lässt den <strong>Kinder</strong>n und Jugendlichen wenig bis gar keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen.<br />

Häufig gibt es keinen Platz in der Wohnung, an dem die Hausaufgaben in Ruhe erledigt<br />

werden können. Nervosität und Konzentrationsstörungen folgen fast zwangsläufig. Mit andauernder<br />

Armut verschlechtert sich oft das Klima in der Familie. Konflikte und Spannungen<br />

sind unumgänglich und werden meistens nicht konstruktiv gelöst <strong>–</strong> mit dem Nebeneffekt, dass<br />

die <strong>Kinder</strong> so wahrscheinlich kaum soziale Kompetenzen erwerben.<br />

<strong>Kinder</strong> lernen am Modell, und wenn die Vorbilder mit verfügbaren Finanzen schlecht umgehen<br />

können, dann verwundert es nicht, dass sich auch die <strong>Kinder</strong> damit schwer tun. Laut einer<br />

Befragung der Universität Oldenburg würden 64,5 % der Schüler aus 7.-10. Klassen sich eher<br />

verschulden als auf Anschaffungen verzichten. Aus Studien mit Erwachsenen ist bekannt, dass<br />

Überschuldung Folgen <strong>für</strong> die Gesundheit hat. Vor <strong>alle</strong>m psychosomatische und Sucht-Erkran-<br />

31<br />

Aufwachsen mit wenig Geld<br />

Konflikte und Spannungen<br />

Überschuldung <strong>–</strong> Beginn<br />

eines Teufelskreises

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