10.07.2015 Aufrufe

Wildtierkorridore in Baden-Württemberg - Forstliche Versuchs

Wildtierkorridore in Baden-Württemberg - Forstliche Versuchs

Wildtierkorridore in Baden-Württemberg - Forstliche Versuchs

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

BERICHTEFREIBURGER FORSTLICHE FORSCHUNGHeft 48<strong>Wildtierkorridore</strong><strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-WürttembergUli Müller, Mart<strong>in</strong> Stre<strong>in</strong>, Rudi SuchantFORSTLICHE VERSUCHS- UND FORSCHUNGSANSTALTBADEN-WÜRTTEMBERGARBEITSBEREICH WILDÖKOLOGIE der ABT. LANDESPFLEGEFREIBURG, 2003


2ISSN 1436-1566Die Herausgeber:Fakultät für Forst- und Umweltwissenschaften,Albert-Ludwigs-Universität Freiburg;<strong>Forstliche</strong> <strong>Versuchs</strong>- undForschungsanstalt <strong>Baden</strong>-Württemberg (FVA)Autoren:Uli Müller, Mart<strong>in</strong> Stre<strong>in</strong>, Dr. Rudi SuchantBildnachweis:Mart<strong>in</strong> Stre<strong>in</strong>Umschlaggestaltung:Berhard Kunkler Design, FreiburgDruck:Eigenverlag der FVA, FreiburgBestellung an:<strong>Forstliche</strong> <strong>Versuchs</strong>- undForschungsanstalt <strong>Baden</strong>-WürttembergWonnhaldestr. 4D-79100 Freiburg i. Br.Tel.: 0761/4018-0, Fax: 0761/4018-333e-mail: fva-bw@forst.bwl.deInternet: www.fva-bw.deAlle Rechte, <strong>in</strong>sbesondere das Rechtder Vervielfältigung und Verbreitungsowie der Übersetzung vorbehalten.Gedruckt auf 100 % chlorfrei gebleichtem Papier


Grünbrücke als Symbol des Machbaren: die eigentlich für unvere<strong>in</strong>bar gehaltenenMobilitätsnetze von Mensch und Wildtier können parallel nebene<strong>in</strong>ander existierenund ihre funktionalen Aufgaben erfüllen.3


1HERZLICHEN DANKDas Projekt konnte nur durch die Unterstützung zahlreicher Personen undInstitutionen realisiert werden. Mit<strong>in</strong>itiator der Projektkonzeption war Herr Dr.Ra<strong>in</strong>er Baritz, der mittlerweile <strong>in</strong> Italien tätig ist, und dem der ArbeitsbereichWildökologie auch heute noch eng verbunden ist.E<strong>in</strong>e wichtige Kof<strong>in</strong>anzierung über die Landesjagdabgabe des M<strong>in</strong>isteriums fürErnährung und Ländlichen Raum war notwendige Voraussetzung für dieProjektdurchführung. Den Entscheidungsträgern des M<strong>in</strong>isteriums und den dieLandesjagdabgabe bezahlenden Jägern sei hiermit herzlich gedankt. DerLandesjagdverband hat das Projekt von Anfang an une<strong>in</strong>geschränkt unterstützt.Stellvertretend seien Herr Landesjägermeister Neuhaus und Herr Dr. Jauchgenannt. Auch die Bezirks- und Kreisjägermeister trugen durch ihre Beteiligung anden Befragungen zum Gel<strong>in</strong>gen bei. E<strong>in</strong>e wichtige Informationsquelle fürTiernachweise waren die Daten, die für das Projekt "Wildlebende Säugetiere <strong>in</strong><strong>Baden</strong>-Württemberg" erhoben wurden und <strong>in</strong> den Atlas „Die Säugetiere <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg“ e<strong>in</strong>fließen. Frau Braun vom Naturkundemuseum stellte uns darausdie Daten für Rot- und Gamswild zur Verfügung. Die staatlichen Forstämterlieferten ebenfalls sehr wichtige Beobachtungsdaten. Diese wurden ergänzt durchjagdstatistische Grundlagen, die uns von der Wildforschungsstelle <strong>in</strong> Aulendorf zurVerfügung gestellt wurden. Herr Dr. Pegel, Herr L<strong>in</strong>deroth und Herr Elliger konntendarüber h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> mehreren Besprechungen durch ihre kooperative Art wichtigeBeiträge beisteuern. Für wildökologische Fragen waren weitere Kollegenunverzichtbare Ansprechpartner. E<strong>in</strong> großes Dankeschön geht nach Bayern zu Dr.Bertram Georgii und den anderen Wildökologen von VAUNA e.V., nach Österreichzu Dr. Friedrich Völk und <strong>in</strong> die Schweiz zu Dr. Hans-Peter Pfister und Dr. OttoHolzgang von der Vogelwarte Sempach.Im Bereich des Straßenbaus war für uns Herr Schlierer vom Umwelt- undVerkehrsm<strong>in</strong>isterium e<strong>in</strong> unentbehrlicher Ansprechpartner, der unsere Arbeitentscheidend unterstützte. Darüber h<strong>in</strong>aus war von Seiten des UVM für uns dieBereitstellung der digitalen Verkehrsdichtekarten e<strong>in</strong>e weiterbr<strong>in</strong>gende Hilfe.An letzter Stelle, aber nicht zuletzt möchten wir Anja Zuckschwerdt danken, dieuns beim Versenden der unzähligen Karten und Briefe tatkräftig unterstütz hat.


2INHALTVorwort...............................................................................................................3Projektrahmen ....................................................................................................51 Def<strong>in</strong>itionen und methodische Grundlagen ..................................................91.1 Begriffsdef<strong>in</strong>ition ..................................................................................91.2 Modellierung der Konnektivität zwischen Lebensräumen....................101.2.1 Gliederung der angewandten Modelle .........................................101.2.2 Herleitung der Konnektivität zwischen Lebensräumen .................121.2.3 Sensitivität von Cost-Distance-Modellen......................................132 <strong>Wildtierkorridore</strong> <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg....................................................162.1 Untersuchungsgebiet und Methoden ..................................................162.1.1 Untersuchungsgebiet ..................................................................162.1.2 Grundlagendaten ........................................................................162.1.3 Verbreitungsdaten für Gams- und Rotwild ...................................182.1.4 Festlegung von Quell- und Zielgebieten ......................................212.1.5 E<strong>in</strong> Expertenmodell für Rotwild....................................................222.1.6 Empirische Modelle für Gams- und Rotwild .................................232.2 Ergebnisse.........................................................................................252.2.1 Verbreitung von Gams- und Rotwild <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg........252.2.2 <strong>Wildtierkorridore</strong> <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg......................................293 Diskussion der Methode............................................................................37Wie es weitergehen könnte ...............................................................................39Literatur ............................................................................................................44


3VORWORTDas Leitbild unseres Arbeitsbereichs Wildökologie an der FVA lautet:„Die Ansprüche von im Wald lebenden Wildtieren an ihren Lebensraum nachStruktur, Fläche und Verteilung werden im Rahmen naturnaher Waldwirtschaft soberücksichtigt, dass die Überlebensfähigkeit der Tierpopulationen langfristiggesichert wird und andere Nutzungs- und Schutzansprüche nicht negativbee<strong>in</strong>trächtigt werden. Durch Wildtiere verursachte Schäden werden m<strong>in</strong>imiert.“In diesem S<strong>in</strong>ne werden seit 15 Jahren Projekte zur Beurteilung, Bewertung und<strong>in</strong>sbesondere zum <strong>in</strong>tegrativen Management von Wäldern als Wildtierlebensraumbearbeitet. Hierbei s<strong>in</strong>d neue Methoden entwickelt worden, die wesentlich zu e<strong>in</strong>erObjektivierung der „Wald-Wild-Mensch“ – Diskussion beitragen.In diesem Kontext wurde das Projekt „<strong>Wildtierkorridore</strong>“ entwickelt undwissenschaftlich bearbeitet. Nach der Entwicklung von Methoden zur flächigenBewertung von Wildtier-Lebensräumen auf mehreren Maßstabsebenen, galt es fürdas Lebensraumsystem für Wildtiere <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg die L<strong>in</strong>ienstrukturenzu bewerten, die sich aufgrund der Intensivnutzung unserer Kulturlandschaft nochergeben: Wälder s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> manchen Landesteilen nur noch <strong>in</strong> sehr ger<strong>in</strong>gen Anteilenund allenfalls als Trittste<strong>in</strong>biotop <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er durch Straßen, Siedlungen undAckerbauflächen geprägten Landschaft vorhanden. Als anschauliches Beispielhierfür kann die Rhe<strong>in</strong>ebene genannt werden. Gleichzeitig gibt es <strong>in</strong> unserem Landaber auch sehr große Naturräume, die als zusammenhängende Waldgebiete nochsehr gute Lebensraumbed<strong>in</strong>gungen für Wildtiere bieten, jedoch auch zunehmendunter Druck stehen. Hier ist der Schwarzwald als europäisch bedeutsames Gebietzu nennen.Doch wo gibt es noch Verb<strong>in</strong>dungen zwischen Waldlebensräumen, die vonWildtieren potenziell genutzt werden können? Dies wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schrittauf der Grundlage von Landnutzungsdaten mit Hilfe diverser Module geografischerInformationssysteme (GIS) modelliert. E<strong>in</strong>e erste Validierung der Modelle durchwildtierbezogene Daten war e<strong>in</strong> weiterer wichtiger Arbeitsschritt.Nun liegen die Ergebnisse des Projektes <strong>in</strong> Form dieses Arbeitsberichtes vor. Diedargestellten potenziellen Bewegungsachsen für Wildtiere können e<strong>in</strong>e wichtigeGrundlage der Raumplanung, des Straßenbaus und des Wildtier-Managementsse<strong>in</strong>. Auch für die Beurteilung e<strong>in</strong>es länderübergreifenden Biotopverbunds ist e<strong>in</strong>ewichtige Basis geschaffen. Daher soll mit diesen ersten Ergebnissen e<strong>in</strong>eDiskussion fachlich untermauert werden, die zu e<strong>in</strong>em Konsens über den Bedarf


4und die Lage überregional bedeutsamer <strong>Wildtierkorridore</strong> führt. Das Bewusstse<strong>in</strong>für die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er „Entschneidung“ unserer teilweise stark fragmentiertenLandschaft kann durch die Projektergebnisse <strong>in</strong> Verwaltungen, Verbänden undauch der breiten Öffentlichkeit geschaffen oder weiterentwickelt werden.Gleichzeitig ist e<strong>in</strong>e Basis für weiterführende Projekte erarbeitet, die denländerübergreifenden Biotopverbund und die Analyse von Wildunfällen zumGegenstand haben.Prof. v. TeuffelDirektor


5PROJEKTRAHMENBeim Titel „<strong>Wildtierkorridore</strong> <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg“ mag sich so mancher Lesergefragt haben, welcher Sachverhalt sich h<strong>in</strong>ter diesem Begriff verbirgt. Warumsollen ausgerechnet für unsere heimischen Wildtiere Vernetzungsstrukturenuntersucht werden? Können Wildtiere, <strong>in</strong>sbesondere die häufigeren jagdbarenWildarten wie Reh- und Schwarzwild, nicht überall angetroffen werden, undwerden diese von e<strong>in</strong>igen Landnutzern nicht sogar schon als Plage bezeichnet?Um das Anliegen dieser Untersuchung darzustellen, möchten wir etwas weiterausholen und zunächst die Landschaft und Vorgänge <strong>in</strong> ihr, so wie sie sich unsaktuell präsentieren, betrachten.In der vom Menschen überprägten Landschaft Deutschlands s<strong>in</strong>d dieverbliebenen naturnahen Flächen, die e<strong>in</strong>en Großteil der Lebensräume undRückzugsgebiete für unsere heimische Fauna und Flora stellen, stark fragmentiertund zunehmend isoliert. Neben <strong>in</strong>tensiv landwirtschaftlich genutzten Regionen isthierfür <strong>in</strong>sbesondere die Versiegelung der Landschaft verantwortlich. Tag für Tagwerden weitere 130 ha versiegelt. Es ist vielfach dokumentiert, dass dievorhandenen und entstehenden Siedlungs- und Verkehrsstrukturen erheblichenegative Konsequenzen für die großräumige Funktionalität von Landschaft unddamit der Lebensräume von Tieren und Pflanzen haben. Die Wirkungen gehenüber die Schadstoff-, Licht- und Lärmemissionen oder durch Umgestaltung undNutzungsumwidmung der angrenzenden Landschaftsräume weit über dieeigentlichen Bauwerke h<strong>in</strong>aus. Die verbliebenen Lebensräume drohen <strong>in</strong> ihrerVielfalt zu degradieren. Die Raumnutzung vieler Wildtiere konnte sich nur teilweiseder anthropogenen Nutzung der Landschaft anpassen. Auffälligste Ersche<strong>in</strong>ungendieses Konfliktes s<strong>in</strong>d Wildunfälle, die die Verkehrssicherheit an bestimmtenStraßenabschnitten deutlich bee<strong>in</strong>trächtigen und erhebliche volkswirtschaftlicheSchäden verursachen. In <strong>Baden</strong>-Württemberg ereignen sich jährlich etwa 20.000Kollisionen mit großen und mittelgroßen Säugern, bundesweit mehr als daszehnfache. Der von den Versicherern <strong>in</strong> Deutschland regulierte Schaden beträgtrund 400 Mio. € per annum.Dem gegenüber steht die Bee<strong>in</strong>trächtigung der mit großen Säugern imÖkosystem verbundenen Funktionen. In ihrer Rolle als Habitatbildner durchLebensäußerungen wie beispielsweise Fraß und Tritt, schaffen sie vielmalsbesondere Umweltbed<strong>in</strong>gungen, die andere Arten fördern oder spezialisiertenArten überhaupt erst e<strong>in</strong> Vorkommen ermöglichen. Für zahlreiche Tier- undPflanzenarten s<strong>in</strong>d Großsäuger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er für sie vernetzten Landschaft wiederumbedeutende Verbreitungsvektoren und tragen dadurch <strong>in</strong> erheblichem Maße zumPopulationsverbund dieser Arten bei. Auch für die mit großen Säugern assoziierteArtengeme<strong>in</strong>schaft gewährleisten Korridorräume vernetzter Wildtierpopulationen


gute Wander- und Ausbreitungsmöglichkeiten. Vom Menschen können dieseökologischen Funktionen und der positive Beitrag der Säuger zum Erhalt derBiodiversität nur sehr bed<strong>in</strong>gt, und dann nur mit enormen Kosten- undPflegeaufwand, oder überhaupt nicht ersetzt werden.Großsäuger-Populationen benötigen aber auch große Flächen als Lebensraum.E<strong>in</strong>ige Arten, wie z.B. der Luchs, benötigen je Individuum <strong>in</strong> Abhängigkeit von derLebensraumqualität bis zu mehreren hundert Quadratkilometern, überlebensfähigePopulationen e<strong>in</strong> Vielfaches davon. Zudem s<strong>in</strong>d weiträumige Wanderungen zubestimmten Jahreszeiten oder Lebensphasen e<strong>in</strong> Merkmal vieler Arten. Wälders<strong>in</strong>d für diese Wanderungen und auch als Lebensraum für Wildtiere vonbesonderer Bedeutung. Durch diverse <strong>in</strong>tensive anthropogene Nutzungsformenfast aller Landschaftsbereiche, von der Freizeitgestaltung bis zur Versiegelung,kommt Wäldern als relativ extensiv genutztem und damit naturnahemLandschaftsteil für viele unserer größeren heimischen Wildtiere e<strong>in</strong>e besondereRolle als Refugium zu. Für praktisch alle unsere größeren Säuger s<strong>in</strong>d siezum<strong>in</strong>dest wichtiger Teillebensraum.Wissenschaftlich wird die Forderung e<strong>in</strong>er Lebensraumvernetzung u.a. durch dieMetapopulationstheorie gestützt. Hierbei ist e<strong>in</strong>e Metapopulation über mehrereSubpopulationen <strong>in</strong>selartig <strong>in</strong> der Landschaft verteilt. Diese Inseln s<strong>in</strong>d weit genugvone<strong>in</strong>ander entfernt, dass jede Population e<strong>in</strong>e eigene Dynamik entwickeln kann,aber dennoch nahe genug, dass die e<strong>in</strong>zelnen Subpopulationen gelegentlich überIndividuen im Austausch stehen (Hanski and Gilp<strong>in</strong> 1991). Der gelegentlicheAustausch von Individuen ist dabei maßgeblich für die Überlebensfähigkeit derMetapopulation. Dieses Konzept, für Fragestellungen zu natürlich isoliertenPopulationen entwickelt, ist <strong>in</strong> unserer stark fragmentierten Kulturlandschaftzunehmend gefährdet. Für den Rothirsch ist die Aufteilung <strong>in</strong> Subpopulationendurch die jagdpolitisch vorgegebene Ausweisung von ca. 140 so genannterRotwildgebiete <strong>in</strong> Deutschland, fünf davon <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg, vorgegeben.Genetische Differenzierungen zwischen nahe beie<strong>in</strong>ander liegendenRotwildgebieten, wie sie Herzog (1995) zeigen konnte, belegen den ger<strong>in</strong>genAustausch von Individuen.Der Gesetzgeber hat begonnen, auf diese schleichende Entwicklung derzunehmenden Fragmentierung zu reagieren. Insbesondere <strong>in</strong> der Schaffung e<strong>in</strong>esnationalen Verbundes mittels Korridoren als Teil der Umsetzung des Auftrages ausden §§ 2, 3 und 14 des BNatSchG (Schumacher and Schumacher 2002) wird e<strong>in</strong>eErfolg versprechende Strategie gesehen, e<strong>in</strong>en Austausch zwischen (Sub-)Populationen verschiedenster Tierarten zu gewährleisten. Auch aus den Artikeln 3(3) und 10 der Fauna-Flora-Habitat-Richtl<strong>in</strong>ie und den Vere<strong>in</strong>barungen zurE<strong>in</strong>griffsfolgenbewältigung (§§ 18 ff BNatSchG n.F., FFH-Verträglichkeitsprüfung)lassen sich gesetzliche Instrumentarien ableiten, e<strong>in</strong>e weitereLandschaftsfragmentierung zu vermeiden. Mit den NATURA 2000-Gebieten solle<strong>in</strong> europäisches „Netzwerk“ an Schutzgebieten geschaffen werden, das diebiologische Vielfalt und die Funktionalität der Landschaft als Lebensraum fürMensch, Tier und Pflanzen sichern soll. Die Vernetzung muss ebenfalls über6


Korridore entwickelt werden. Dabei steht nicht nur e<strong>in</strong>e alle<strong>in</strong>ige Entschneidungentlang der Verkehrs<strong>in</strong>frastruktur im Vordergrund. Diese können e<strong>in</strong>facher alsKonflikte mit flächenhafter Landnutzung durch Querungshilfen wirksam behobenwerden. Es geht auch um e<strong>in</strong>e generelle Permeabilität der Landschaft. Bevorjedoch e<strong>in</strong>e Gestaltungs- und Entwicklungsphase beg<strong>in</strong>nen kann, ist e<strong>in</strong> breiterKonsens über die räumliche Lage dieser Korridore notwendig, der e<strong>in</strong>systematisches, auf die vorhandene Zerschneidungssituation bezogenesVorgehen ermöglicht (Krüger 2001), und der als gesellschaftlicher Auftragverb<strong>in</strong>dlich berücksichtigt wird.In der E<strong>in</strong>griffsbewältigung ergeben sich dennoch immer wieder Defizite. Zwargelten Säuger als Teil e<strong>in</strong>es Indikatorensystems sowohl für denLebensraumverbund als auch für die Qualität des Lebensraumes, trotzdem werdenbei Umweltverträglichkeitsstudien (UVS) häufig Aspekte der Konnektivtät vonLebensräumen unzureichend oder überhaupt nicht gewürdigt. Zum e<strong>in</strong>en liegt diesan e<strong>in</strong>em Fokus der UVS auf die ökologischen Bed<strong>in</strong>gungen im unmittelbar an denE<strong>in</strong>griff angrenzenden Raum und der weitgehenden Vernachlässigung nichtgefährdeter Arten. Gravierender für die Funktionalität der Landschaft ist aber derMangel an räumlich expliziten überregionalen, national oder <strong>in</strong>ternationalabgestimmten Konzepten zum Lebensraumverbund, den die UVS auf lokalerEbene nicht beheben kann.Zur Bewertung von Wildtierlebensräumen wurden an der <strong>Forstliche</strong>n <strong>Versuchs</strong>undForschungsanstalt <strong>Baden</strong>-Württemberg bereits Methoden entwickelt, die e<strong>in</strong>eBeurteilung der Komplexität der Kulturlandschaft unter wildökologischenGesichtspunkten ermöglicht. Durch die E<strong>in</strong>beziehung mehrerer Maßstabsebenenkonnte das „Lebensraumsystem für Wildtiere“ <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg entwickeltwerden. Was bei diesem System bisher fehlte, war die Berücksichtigung vonL<strong>in</strong>ienstrukturen.Aus diesem Kontext heraus startete der Arbeitsbereich Wildökologie an der<strong>Forstliche</strong>n <strong>Versuchs</strong>- und Forschungsanstalt im Frühjahr 2001 das Projekt„<strong>Wildtierkorridore</strong> <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg“, das mit Mitteln der Landesjagdabgabedurch das M<strong>in</strong>isterium für Ernährung und Ländlichen Raum kof<strong>in</strong>anziert wurde.Literaturrecherchen, der Austausch mit anderen Wissenschaftlern und dieAufarbeitung des Problemfeldes standen im Mittelpunkt des ersten Projektjahres.Im zweiten Projektjahr konzentrierten sich die Arbeiten auf die Modellierung e<strong>in</strong>eslandesweiten Netzwerks potenzieller Korridore mit Hilfe e<strong>in</strong>es geographischenInformationssystems (GIS). Die geografische Lage <strong>Baden</strong>-Württembergs imDreiländereck verdeutlichte bald den Bedarf, überregionale Betrachtungen über dieLandesgrenzen auszudehnen. Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund entstand e<strong>in</strong> weiteresModell, das e<strong>in</strong>en Überblick über den Verbund der größeren unzerschnittenenLebensräume <strong>in</strong> Mitteleuropa liefert (Stre<strong>in</strong> et al. im Druck).Die hier vorgestellten Resultate sollen dazu beitragen, e<strong>in</strong>en Konsens über dieLage von Wildtier- und Lebensraumkorridoren zu entwickeln. In vielen Bereichenlassen sich die Ergebnisse der Modellierung direkt <strong>in</strong> der planerischen Praxisanwenden. Daneben bleiben auch zahlreiche Fragen offen. Sie betreffen e<strong>in</strong>erseits7


die Gültigkeit der Modellierung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen schwierig zu beurteilenden Regionen.Vor allem aber wissen wir noch sehr wenig, ob das verbleibende Potenzial für denAustausch zwischen Subpopulationen ausreicht, um das Überleben von Artenlangfristig sicherzustellen.8


91 DEFINITIONEN UND METHODISCHEGRUNDLAGEN1.1 BEGRIFFSDEFINITIONE<strong>in</strong>ige im Zusammenhang mit der Konnektivität von Wildtierlebensräumenverwendete Begriffe werden bei verschiedenen Autoren mit unterschiedlicherBedeutung e<strong>in</strong>gesetzt. Unklarheiten, wie die Begriffe im vorliegenden Berichte<strong>in</strong>gesetzt werden, sollen mit den folgenden Def<strong>in</strong>itionen beseitigt werden.KerngebietKorridorEngpass- Kerngebiete s<strong>in</strong>d zusammenhängende Bereiche, die durch ihrenaturräumliche Ausstattung und Größe als Lebensraum für e<strong>in</strong>eArt oder Artengeme<strong>in</strong>schaften herausragende Bedeutung haben.Im Zusammenhang mit Gams- und Rotwild <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg ist die Def<strong>in</strong>ition von Kerngebieten <strong>in</strong>soferne<strong>in</strong>geschränkt, als diese Gebiete zusätzlich auf Grund politischerEntscheide künstlich begrenzt werden.- Korridore s<strong>in</strong>d mehr oder weniger breite Bänder, die (Teil-)Lebensräume von Wildtieren mite<strong>in</strong>ander verb<strong>in</strong>den. Imvorliegenden Bericht bezeichnen Korridore immer potenziell alsVerb<strong>in</strong>dung besser geeignete Bereiche. Ob oder <strong>in</strong> welchemUmfang e<strong>in</strong> potenzieller Korridor tatsächlich von e<strong>in</strong>er Tierartgenutzt wird, war nicht Gegenstand des Projektes. Hierfür wärenlangjährige umfangreiche Untersuchungen notwändig.- An Engpässen werden Korridore durch natürliche oderanthropogene Strukturen oder <strong>in</strong>tensiv genutzte Flächen aufschmale Bänder reduziert, ohne dass parallel verlaufendeKorridore e<strong>in</strong>e Ausweichmöglichkeit bieten.Wir möchten auf den Unterschied zur Begriffsdef<strong>in</strong>ition bei den Untersuchungen<strong>in</strong> der Schweiz h<strong>in</strong>weisen. Dort s<strong>in</strong>d Korridore nur „Teilstücke <strong>in</strong> denBewegungsachsen von Wildtieren, die durch natürliche oder anthropogeneStrukturen oder <strong>in</strong>tensiv genutzte Areale seitlich permanent begrenzt s<strong>in</strong>d“(Holzgang et al. 2001). Sie entsprechen daher mehr dem von uns verwendetenBegriff „Engpass“. Die von uns gewählten Def<strong>in</strong>itionen schienen uns demallgeme<strong>in</strong>en Sprachgebrauch eher zu entsprechen und daher leichter zu


10kommunizieren. Wir gehen mit unserer Def<strong>in</strong>ition e<strong>in</strong>es Korridors auch mit der <strong>in</strong>der Geo-Informatik gebräuchlichen Syntax konform.1.2 MODELLIERUNG DER KONNEKTIVITÄT ZWISCHENLEBENSRÄUMEN1.2.1 Gliederung der angewandten ModelleUnsere Konnektivitätsanalysen verfolgten verschiedene methodische Ansätze.Geme<strong>in</strong>sam ist allen die Anwendung sogenannter Cost-Distance-Algorithmen, wiesie <strong>in</strong> Geographischen Informationssystemen verfügbar s<strong>in</strong>d. Die Ausrichtung derModellparameter war <strong>in</strong> Teiluntersuchungen sowohl artspezifisch als auchartunspezifisch (Stre<strong>in</strong> et al. im Druck). Die Festlegung der Parameter erfolgteentweder <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Expertenmodells oder e<strong>in</strong>es empirischen Modells.1.2.1.1 Artspezifische und artunspezifische ModelleE<strong>in</strong>e Studie der Konnektivität von Lebensräumen ist <strong>in</strong> der Regel an bestimmtenArten oder zum<strong>in</strong>dest Artengruppen orientiert. Dies drückt sich aus <strong>in</strong> derFestlegung der Maßstabsebene, auf der gearbeitet wird, sowie <strong>in</strong> der Auswahl derHabitatparameter, die als relevant erachtet werden. Artspezifische Modelleorientieren sich dabei weitgehend an den Lebensraumansprüchen e<strong>in</strong>er oderweniger Arten mit ähnlichen Ansprüchen. Parameter für die Beurteilung derKonnektivität von Lebensräumen können dabei entweder gutachterlich vergebenoder aus Kalibrierungsdaten mit statistischen Methoden bestimmt werden. Je mehrüber die Ansprüche e<strong>in</strong>er Art bekannt ist, oder je mehr sichere Daten für e<strong>in</strong>eKalibrierung zur Verfügung stehen, umso detaillierter kann e<strong>in</strong>e Modellierungerfolgen. In e<strong>in</strong>er Konnektivitätsanalyse könnten neben flächigenLandnutzungsdaten auch l<strong>in</strong>eare Strukturen mit zahlreichen Attributen (Strassenmit verschieden hohem Verkehrsaufkommen, Flüsse variabler Breite und mitunterschiedlichem Verbauungsgrad u.s.w.) e<strong>in</strong>bezogen werden. Die richtigenParameter vorausgesetzt s<strong>in</strong>d Modelle denkbar, die das Verhalten e<strong>in</strong>er Artnahezu exakt wiedergeben. Der Nachteil solch detailreicher Modelle ist diee<strong>in</strong>geschränkte Übertragbarkeit auf andere Glieder e<strong>in</strong>er Biozönose. Auf deranderen Seite ist es genauso möglich, die Parameter e<strong>in</strong>es Modells auf e<strong>in</strong>en„kle<strong>in</strong>sten geme<strong>in</strong>samen Nenner“ zu reduzieren, der nur diejenigen Anforderungenbeschreibt, die viele Arten geme<strong>in</strong>sam haben.Die Modelle, die wir für <strong>Baden</strong>-Württemberg erstellten, verfolgten zunächst e<strong>in</strong>enartspezifischen Ansatz. Wir setzten die Lebensraumansprüche von Gams- undRotwild <strong>in</strong> Modelle um, die als Ergebnis die bestmöglichen oder wahrsche<strong>in</strong>lichstenVerb<strong>in</strong>dungen zwischen Teillebensräumen dieser Arten ergaben. Dabeiverwendeten wir jedoch nur relativ wenige Parameter, nämlich nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fach


11klassifizierte Landnutzungsverteilung sowie die Hangneigung. Dieser Ansatz ware<strong>in</strong>erseits durch das Fehlen genauerer Informationen zur Artbiologie, andererseitsdurch die Forderung nach Übertragbarkeit des Modells auf andere mittelgroßeSäuger gegeben. Obwohl <strong>in</strong>zwischen zahlreiche, meist auf der Radiotelemetriebasierende Studien erklären, wie beide Arten ihre E<strong>in</strong>standsgebiete wählen, undwelches Habitat sie dar<strong>in</strong> bevorzugen, liegen nur wenige Daten darüber vor,welche Strukturen bei Wanderungen leicht oder „gerade noch“ gequert werden.Dieser Mangel besteht übrigens nicht nur bei Gams- und Rotwild, sondern be<strong>in</strong>ahezu allen schwer beobachtbaren Tierarten.Die Übertragbarkeit des Modells auf andere mittelgroße Säuger war <strong>in</strong> unseremProjekt besonders wichtig. Bei Gams- und Rotwild ist zur Zeit aus forstpolitischenGründen ke<strong>in</strong>e Ausbreitung über die adm<strong>in</strong>istrativ festgelegten Gebiete gewünscht.E<strong>in</strong>e Konnektivitätsanalyse alle<strong>in</strong> für diese Arten wäre daher wenig s<strong>in</strong>nvoll. Diebeiden Arten stehen vielmehr stellvertretend für zahlreiche andere Wildarten, dieden Wald als Lebensraum bevorzugen. Die Auswahl der beiden Arten als Leitartenberuhten auf den folgenden Überlegungen:Rot- und Gamswild unternehmen regelmäßig Wanderungen über großeEntfernungen von 100 km oder mehr (vgl. Wagenknecht 1996). Sie eignen sichdaher als Weiser für überregionale Zusammenhänge, während sich Arten wieRehwild <strong>in</strong> der Regel nur über wenige Kilometer bewegen (Müri 1999).Die Begrenzung der beiden Arten auf Rot- bzw. Gamswildgebiete lässt, mitgewissen Unwägbarkeiten, die Interpretation zu, dass sich außerhalb dieserGebiete vorkommende Individuen auf Wanderungen außerhalb ihres üblichenStreifgebietes bef<strong>in</strong>den. Nachweise außerhalb der Kerngebiete liefern daher Datenzu den Habitatansprüchen auf Wanderungen.Von Rotwild ist bekannt, dass es auf se<strong>in</strong>en Wanderungen relativ empf<strong>in</strong>dlich aufH<strong>in</strong>dernisse reagiert. Besonders <strong>in</strong> Zusammenhang mit der Nutzung vonkünstlichen Querungshilfen über Strassen wurde festgestellt, dass die Bauwerke,die von Rotwild angenommen werden, auch von allen anderen vorkommendenWildarten genutzt werden (Pfister et al. 1997).1.2.1.2 Expertenmodelle und empirische ModelleDie Vorhersage der Habitateignung e<strong>in</strong>er Landschaft für Tiere beruht <strong>in</strong> der Regelauf der Herleitung von Gesetzmäßigkeiten durch verschiedenste statistischeVerfahren. Grundlage für alle Verfahren s<strong>in</strong>d Daten, die die räumliche Nutzunge<strong>in</strong>er Landschaft durch die untersuchte Art beschreiben. Radiotelemetrischhergeleitete Raumnutzungsmuster oder Beobachtungen von Individuen <strong>in</strong>verschiedenen Habitaten kommen dafür <strong>in</strong> Betracht. Solche Modelle, die ausempirischen Daten Gesetzmäßigkeiten ableiten, bezeichnen wir kurz alsempirische Modelle.Die Zielsetzung bei der Modellierung von Korridoren unterscheidet sich allerd<strong>in</strong>gswesentlich von der anderer Habitatmodelle. Ziel ist nicht, die Eignung e<strong>in</strong>esLandschaftsausschnittes als Lebensraum zu ermitteln. Vielmehr stellt sich die


12Frage, ob und wie eigentlich ungeeignete Lebensräume überbrückt werdenkönnen. Während also üblicherweise Präferenzen modelliert werden, stellt sich beider Konnektivitätsmodellierung zusätzlich die Frage der Toleranz gegenübernegativen Faktoren. Dieser Unterschied bed<strong>in</strong>gt, dass Daten, die <strong>in</strong> denE<strong>in</strong>standsgebieten e<strong>in</strong>er Art gewonnen wurden, das Verhalten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eherungeeigneten Umfeld nur beschränkt vorhersagen können. Diese Problematikdürfte der Hauptgrund dafür se<strong>in</strong>, dass bei der Herleitung von Korridoren häufigsogenannte Expertenmodelle zum E<strong>in</strong>satz kommen (z.B. Walker and Craighead1997, Schadt et al. 2002, Knauer 2001). Dabei werden die Modellparameter durchExpertenwissen festgelegt, das durch Befragungen oder die existierende Literaturaufgearbeitet wird.Für die Herleitung von Korridoren erstellten wir sowohl e<strong>in</strong> Expertenmodell fürRotwild, wie auch je e<strong>in</strong> empirisches Modell aus Beobachtungsdaten von GamsundRotwild. Der Vergleich der e<strong>in</strong>zelnen Modelle erlaubte uns, Schwächen undStärken der Ansätze zu bestimmen (Clevenger and Wierzchowski 2001).1.2.2 Herleitung der Konnektivität zwischen LebensräumenCost-DistanceBei allen genannten Modellansätzen setzten wir Cost-Distance-Analysen e<strong>in</strong>.Cost-Distance-Analysen s<strong>in</strong>d als Werkzeug <strong>in</strong> zahlreichen GeographischenInformationssystemen verfügbar. Sie erlauben, die günstigste Verb<strong>in</strong>dungzwischen e<strong>in</strong>em Start- und e<strong>in</strong>em Zielpunkt (bzw. Start- und Zielgebiet) zuermitteln. Die Berechnungen erfolgen auf Basis e<strong>in</strong>es Raster-Datensatzes, <strong>in</strong> demjeder Zelle im Untersuchungsgebiet e<strong>in</strong> Widerstand zugewiesen ist, also e<strong>in</strong> Maß,das beschreibt, mit welchem Aufwand („Kosten“) die Zelle durchquert werdenkann. Damit ist es möglich, ausgehend von e<strong>in</strong>em Startpunkt die kumulativenKosten (Cost-Distance) bis zu jeder anderen Zelle im Untersuchungsgebiet zuberechnen. Aus diesem ersten Schritt lassen sich weitere Informationen ableiten:Cost-PathAus der Cost-Distance-Analyse kann die kostengünstigste Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ie(Cost-Path) zwischen zwei Punkten bestimmt werden.CorridorWerden zwei Cost-Distance-Raster, die von unterschiedlichen Startpunktenausgehen, überlagert, so lässt sich e<strong>in</strong> Bereich abgrenzen, der mit den gleichenKosten erreichbar ist. Dieser Bereich (Corridor) enthält immer die Cost-Path-Verb<strong>in</strong>dung zwischen den beiden Punkten. Zusätzlich wird sichtbar, ob dieKorridor-Funktion <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em breiten Band besteht, oder ob es Engpässe gibt.Cost-Distance-Modelle ergeben immer m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischenStart- und Zielpunkt. Sie zeigen die günstigste Verb<strong>in</strong>dung für die unterstelltenParameterwerte an. Sie sagen jedoch nichts darüber aus, ob die modellierteVerb<strong>in</strong>dung tatsächlich genutzt wird, oder ob die kumulierten Kosten über denVerlauf des Korridors so hoch s<strong>in</strong>d, dass ke<strong>in</strong> Individuum die gesamte Streckezurücklegen kann.


131.2.3 Sensitivität von Cost-Distance-ModellenWie bei jedem Modell kann die Realität auch mit Cost-Distance-Analysen nuransatzweise wiedergegeben werden. Unsicherheiten gibt es bei der Auswahl derals relevant angesehenen Deskriptoren e<strong>in</strong>es Habitats wie auch deren Bewertung.Daneben hat die Festlegung des Maßstabs, <strong>in</strong> dem die Auswertung erfolgt,erheblichen E<strong>in</strong>fluss auf das Ergebnis. Es macht unter Umständen e<strong>in</strong>enwesentlichen Unterschied, ob Cost-Distance-Analysen auf Raster-Daten mit e<strong>in</strong>erAuflösung von 30 m oder 1 km beruhen. So können bei e<strong>in</strong>er groben Auflösungkle<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heiten, die e<strong>in</strong>e Trittste<strong>in</strong>funktion haben, ebenso wie schmale, abermöglicherweise absolute Barrieren übersehen werden.Die Qualität von Habitatmodellen sollte immer geprüft werden. Entweder erfolgte<strong>in</strong>e Validierung mit vorhandenen Daten, um zu testen, wie gut die Vorhersagendes Modells s<strong>in</strong>d, oder es wird mit e<strong>in</strong>er Sensitivitätsanalyse festgestellt, wie dasModell reagiert, wenn Parameter verändert werden. Bei Cost-Distance-Analysenwird diese gute wissenschaftliche Praxis meist vernachlässigt. Der Grund dafür iste<strong>in</strong>erseits der beschriebene Mangel an Daten zum Verhalten von Tieren auf e<strong>in</strong>emKorridor. Gerade bei Sensitivitätsanalysen, die auf der wiederholten Anwendungdes Modells beruhen, dürfte außerdem der hohe Rechen- und damit Zeitaufwand,den e<strong>in</strong>e Cost-Distance-Analyse erfordert, den wesentlichen H<strong>in</strong>derungsgrunddarstellen.Wir untersuchten unter ähnlichen Bed<strong>in</strong>gungen, wie wir sie <strong>in</strong> den endgültigenModellen verwendeten, die Sensitivität von Cost-Distance-Analysen auf die Wahlder Parameter und auf die räumliche Auflösung, mit der die Parameter <strong>in</strong> dasModell e<strong>in</strong>flossen.Grundlagendaten für die Analyse waren Rasterdaten e<strong>in</strong>erLandnutzungskartierung der Landesanstalt für Umweltschutz (LfU), die wir zusechs Klassen vere<strong>in</strong>fachten (vgl. 2.1.2). Wir def<strong>in</strong>ierten e<strong>in</strong>en Startpunkt <strong>in</strong> derMitte und vier Zielpunkte <strong>in</strong> den Ecken des durch die Rasterdaten abgedecktenBereiches. In 200 Durchgängen berechneten wir die Cost-Distance vom Startpunktund leiteten davon die Cost-Paths zu den vier Eckpunkten ab. Bei jedemDurchgang veränderten wir zufällig die Parameter der Widerstandswerte. DieBereiche, aus denen Widerstandswerte e<strong>in</strong>er Klasse zugeordnet wurden,def<strong>in</strong>ierten wir für jede Klasse <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Dreiecksverteilung (Abb. 1), so dassjede mögliche Komb<strong>in</strong>ation von Werten ökologisch denkbar war. Nach jeweils 50Rechenschritten veränderten wir die räumliche Auflösung systematisch <strong>in</strong> vierSchritten. Wir verwendeten die Daten <strong>in</strong> der Orig<strong>in</strong>alauflösung von 30 m sowiegemittelt für Flächen von 1 ha, 10 ha und 100 ha. Als Ergebnis für jedeParameterkomb<strong>in</strong>ation wurden die berechneten Pfade festgehalten.


14WaldLandwirtschaftGrünlandBracheWasserflächen0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000WiderstandAbb. 1: Dreicksverteilungen der Widerstandswerte, die den Landnutzungsklassenfür die Sensitivitätsanalyse zugeteilt wurden. Die Klasse Siedlungen wurde immerals weitgehende Barriere mit dem Wert 10’000 bewertet.Die gesamte Sensitivitätsanalyse erforderte <strong>in</strong>sgesamt zehn Tage Rechenzeit.Wegen mehrmaligen Programm-Abstürzen standen am Ende 725 Pfade statt 800(je 200 zu den vier Eckpunkten) zur Verfügung.Abb. 2 zeigt die Unterschiede, die sich bei ähnlichen Parametersätzen ergaben.Der Großteil der Pfade konzentrierte sich immer wieder <strong>in</strong> denselben Bereichen.Dies trifft vor allem dort zu, wo die Landschaft großräumig betrachtet homogen ist,wie vor allem im Schwarzwald, aber auch zwischen Schwäbischer Alb undBodensee, wo die „Homogenität“ im relativ gleichförmigen Wechsel von Wald undOffenland besteht. Andererseits können eklatante Abweichungen entstehen, wennunterschiedlich strukturierte Landschaften durchquert werden. In der Abbildung istdies im Nordosten des Untersuchungsgebietes deutlich, wo große waldreicheGebiete neben großflächig ackerbaubetonten Gebieten liegen.Insgesamt zeigten die Cost-Distance-Analysen <strong>in</strong> weiten Bereichen robusteErgebnisse. Dennoch ist e<strong>in</strong>e Prüfung mit veränderten Parametern und anhandechter Daten unerlässlich.


Abb. 2: In e<strong>in</strong>er Sensitivitätsanalyse ermittelte Pfade (Cost-Path) vom Ursprung <strong>in</strong>der Kartenmitte zu jedem von vier Eckpunkten. Als H<strong>in</strong>tergrund ist dieWaldbedeckung dargestellt. Den Berechnungen liegen Widerstandswerte zugrunde,die für jede Landnutzungsklasse bei jedem Rechenschritt zufällig aus e<strong>in</strong>erDreiecksverteilung ermittelt wurden. Die resultierenden Datensätze wurdenentweder direkt für die Cost-Distance-Analyse genutzt (Radius r=0, n=213) oder mitMittelwert-Filtern über Flächen von 1 ha (r=56, n=200), 10 ha (r=178, n=200) und100 ha (r=564, n=140) nachbearbeitet.15


162 WILDTIERKORRIDORE IN BADEN-WÜRTTEMBERG2.1 UNTERSUCHUNGSGEBIET UND METHODEN2.1.1 UntersuchungsgebietDie <strong>in</strong> diesem Kapitel vorgestellten Untersuchungen beziehen sich imWesentlichen auf das Bundesland <strong>Baden</strong>-Württemberg. Die benachbartenBundesländer Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz, Hessen und Bayern sowie die angrenzendenGebiete <strong>in</strong> Frankreich und der Schweiz wurden, soweit sie durch die verwendetengeographischen Grundlagendaten abgedeckt werden konnten, zur Komplettierungdes Modells berücksichtigt. Bei dem Ansatz e<strong>in</strong>es Expertenmodells für dasRotwild, der alle<strong>in</strong> auf Bodenbedeckungsdaten beruht, konnten wir e<strong>in</strong> Gebietbearbeiten, das e<strong>in</strong>em Rechteck um das Land <strong>Baden</strong>-Württemberg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emAbstand von m<strong>in</strong>destens 30 km entspricht. Bei den empirischen Modellen fürGams- und Rotwild, bei denen zusätzlich e<strong>in</strong> Höhenmodell sowie der Verlauf unddie Kategorisierung von Strassen und Bahnl<strong>in</strong>ien berücksichtigt wurden, musstedas Untersuchungsgebiet auf die Grenzen von <strong>Baden</strong>-Württemberg beschränktwerden.2.1.2 GrundlagendatenDie Konnektivität zwischen Lebensräumen hängt artspezifisch e<strong>in</strong>erseits von derHabitateignung der flächenhaften Bodenbedeckung und andererseits vomVorhandense<strong>in</strong> meist l<strong>in</strong>earer Barrieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Landschaft ab.Informationen zur flächenhaften Bodenbedeckung leiteten wir aus e<strong>in</strong>erLandnutzungskartierung (eigentlich e<strong>in</strong>e Karte der Bodenbedeckung) derLandesanstalt für Umweltschutz <strong>Baden</strong>-Württemberg (Projektbericht s. Jacobs2001) ab. Dieser Datensatz beruht auf e<strong>in</strong>er multitemporalen Klassifizierung vonLandsat TM 5-Satellitenbildern mit e<strong>in</strong>er Auflösung von 30 m aus den Jahren 1999und 2000. Die angewandte Maximum-Likelihood-Klassifizierung führt nachAngaben des Bearbeiters zu e<strong>in</strong>em Datensatz, der bei Maßstäben > 100'000 zue<strong>in</strong>er zuverlässigen Beurteilung der Bodenbedeckung führt. Wir haben die orig<strong>in</strong>alvorhandenen 16 Kategorien zu wenigen Klassen zusammengefasst. Für die ersteModellierung legten wir 6 Klassen entsprechend unserer E<strong>in</strong>schätzung e<strong>in</strong>erökologisch bedeutsamen Kategorisierung fest. Bei späteren Analysen wendetenwir die Klassifizierung nach dem EUNIS-Schema (Moss and Davies 2002) an. Tab.1 zeigt die Ableitung der verwendeten Klassen aus den Orig<strong>in</strong>aldaten der LfU.


Relativ schmale l<strong>in</strong>eare Elemente wie Strassen und Bahnl<strong>in</strong>ien s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erSatellitenbildklassifizierung mit 30 m Auflösung unterrepräsentiert. Bei unsererFragestellung war jedoch e<strong>in</strong> wesentlicher E<strong>in</strong>fluss dieser Strukturelemente auf dieHabitateignung zu erwarten. Wir überlagerten daher die aus Satellitenbildernabgeleitete Landnutzungsklassifizierung mit Strassen und Bahnl<strong>in</strong>ien aus demATKIS-Datenbestand des Landesvermessungsamtes. Alle Rasterzellen, die vone<strong>in</strong>er Kreis-, Landes- oder Bundesstrasse, von e<strong>in</strong>er Autobahn oder e<strong>in</strong>erBahnl<strong>in</strong>ie geschnitten wurden, wiesen wir der Kategorie „Siedlungen undüberbaute Flächen“ zu. Die sich aus diesem Vorgehen ergebende Darstellung vonStrassen und Bahnl<strong>in</strong>ien als m<strong>in</strong>destens 30 m breite Bänder führte zu e<strong>in</strong>erHervorhebung der überbauten Flächen, die aufgrund der erwarteten Wirkung aufdie Wanderbewegung von Wildtieren angebracht schien. E<strong>in</strong>e weitergehendeDifferenzierung der Barrierewirkung von Strassen und Bahnl<strong>in</strong>ien anhand der <strong>in</strong>ATKIS enthaltenen Attribute erwies sich als problematisch, da neben derabgebildeten Breite <strong>in</strong>sbesondere der tatsächlich auftretende Verkehr maßgeblichist. Daten zur Verkehrsstärke, die uns vom Landesamt für Straßenwesen zurVerfügung gestellt wurden, erforderten zeitaufwändige Aufbereitungen, so dass sienicht mehr <strong>in</strong> die Modelle <strong>in</strong>tegriert werden konnten.Als weiteren flächenhaften Datensatz verwendeten wir das digitale Höhenmodelldes Landesvermessungsamtes <strong>Baden</strong>-Württemberg mit e<strong>in</strong>er horizontalenAuflösung von 50 m. Aus den Höhendaten berechneten wir für jede Rasterzelle dieHangneigung, die vor allem bei der Beurteilung der Habitateignung für Gamswildvon Bedeutung ist.17


18Tab.1: Reklassifizierungs-Schemen für die Landnutzungskartierung der LfU. Daserste Schema (Spalten 3-4) wurde im Expertenmodell e<strong>in</strong>gesetzt, das zweiteSchema (Spalten 5-6) im empirischen Modell.Kategorien der Orig<strong>in</strong>aldaten Kategorien im Expertenmodell EUNIS HabitattypenCode Bezeichnung Code Bezeichnung Code Bezeichnung- nicht def<strong>in</strong>iert - nicht def<strong>in</strong>iert 1 A Mar<strong>in</strong>e habitats- nicht def<strong>in</strong>iert - nicht def<strong>in</strong>iert 2160 Wasserflächen 6 Wasserflächen 3B Coastal and halophytichabitatsC Freshwater aquatichabitats170 Feuchtflächen 4 D Wetland habitats90 Intensivgrünland110 Extensivgrünland50 We<strong>in</strong>, Obstplantage60 Streuobst130 Nadelwald139 W<strong>in</strong>dwurf140 Laubwald150 Mischwald70 Brachland80 vegetationslos4 Grünland3 Landwirtschaft 61 Wald 75 Brache 840 Ackerbau 3 Landwirtschaft 910 dichte Siedlung11 Industrie20 lockere Siedlung2 Siedlung 105 E Grassland habitatsF Heathland and scrubhabitatsG Woodland and foresthabitats and other woodedlandsH Inland sparselyvegetated or unvegetatedhabitatsI Regularly or recentlycultivated habitats andgardensJ Constructed <strong>in</strong>dustrialand other artificial habitats2.1.3 Verbreitungsdaten für Gams- und RotwildUnsere Analysen <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg verfolgten e<strong>in</strong>en artspezifischen Ansatz.Wir versuchten, das Potenzial für die Verb<strong>in</strong>dung von Lebensräumen anhandunserer Kenntnisse zur Lebensweise, zum Habitatanspruch und zur Verbreitungvon Leitarten beispielhaft zu ermitteln. In <strong>Baden</strong>-Württemberg kamen nur GamsundRotwild als Leitarten <strong>in</strong> Betracht (vgl. 1.2.1). Für beide Arten sammelten wirDaten zur Lage von Kern-Verbreitungsgebieten sowie zu E<strong>in</strong>zelbeobachtungen.Wir konnten dazu teilweise auf die Arbeiten anderer Institutionen zurückgreifen, diewir mit eigenen Daten ergänzten.


19Alle Datensätze können Nachweise von Tieren enthalten, die aus Gehegenstammen und daher an Orten auftauchten, die mit den Kerngebieten nicht <strong>in</strong>Verb<strong>in</strong>dung stehen. Wir hatten ke<strong>in</strong>e Möglichkeit, die Daten entsprechend zu filternund können diese Fehlerquelle daher nur e<strong>in</strong>er kritischen Diskussion unterziehen.2.1.3.1 Geme<strong>in</strong>deweise AbschussstatistikenDie Wildforschungsstelle <strong>Baden</strong>-Württemberg erhebt jährlich die Abschüssejagdbarer Wildarten auf Basis der adm<strong>in</strong>istrativen Geme<strong>in</strong>den des Landes. FürGams- und Rotwild zeigen diese Daten e<strong>in</strong>erseits die Konzentration beider Artenauf Kerngebiete (benachbarte Geme<strong>in</strong>den mit jeweils mehreren Abschüssen), alsauch das Auftreten e<strong>in</strong>zelner Individuen außerhalb der Kerngebiete (e<strong>in</strong>zelneGeme<strong>in</strong>den mit e<strong>in</strong>em oder zwei Abschüssen). Die beschränkte räumlicheAuflösung machte diese Daten für e<strong>in</strong>e analytische Auswertung <strong>in</strong> unseremZusammenhang ungeeignet. Sie ermöglichten jedoch e<strong>in</strong>e visuelle Beurteilung derValidität unserer Ergebnisse.2.1.3.2 Erhebungen für den Atlas „Die Säugetiere <strong>Baden</strong>-Württembergs“Das Museum für Naturkunde <strong>in</strong> Karlsruhe bearbeitet im Rahmen des Projekts„Wildlebende Säugetiere <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg“ e<strong>in</strong>en Atlas der Säugetiere <strong>in</strong><strong>Baden</strong>-Württemberg. Dazu wurde für Messtischblätter (1:25.000) im ganzen Landdie Präsenz bzw. Absenz potenziell vorkommender Säugerarten kartiert. Wirerhielten e<strong>in</strong>en Auszug der Rohdaten für den Atlas, aus denen sich wiederumKerngebiete und Gebiete mit E<strong>in</strong>zelbeobachtungen für Gams- und Rotwilddifferenzieren ließen. Auch bei diesen Daten stellt die ger<strong>in</strong>ge räumliche Auflösunge<strong>in</strong> Problem bei e<strong>in</strong>er quantitativen Analyse dar. Zudem konzentrieren sich dieErhebungen auf die frühen 1990er Jahre, e<strong>in</strong>ige Daten stammen sogar aushistorischen Aufzeichnungen seit dem frühen 20. Jahrhundert. Rezentelandschaftliche Veränderungen, die e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf Vorkommen undWandermöglichkeiten von Gams- und Rotwild haben, können mit diesen Datennicht berücksichtigt werden. Der E<strong>in</strong>satzzweck <strong>in</strong> unserem Projekt beschränktesich daher ähnlich der geme<strong>in</strong>deweisen Abschussstatistik auf e<strong>in</strong>e visuelleValidierung unserer Ergebnisse.2.1.3.3 Befragungen von Förstern und JägernUm aktuelle Daten zum Vorkommen von Gams- und Rotwild zu erheben, führtenwir schriftliche Befragungen aller Forstämter und Kreisjägervere<strong>in</strong>igungen <strong>in</strong><strong>Baden</strong>-Württemberg durch. Wir druckten jedes Gebiet auf e<strong>in</strong> bis zwei Karten imA3-Format, so dass sich Vorlagen im Maßstab 1:25'000 bis 125'000 ergaben. DieDrucke zeigten auf Grundlage von topographischen Karten die Grenzen deroffiziellen Rot- und Gamswildgebiete auf der Basis von Daten, die uns dieWildforschungsstelle <strong>Baden</strong>-Württemberg zur Verfügung gestellt hatte.


Wir baten die Forstamtsleiter bzw. Kreisjägermeister um Korrekturen derVerbreitungsgebiete sowie um E<strong>in</strong>tragung aller E<strong>in</strong>zelbeobachtungen undAbschüsse von Rot- und Gamswild, die seit 1998 außerhalb der Gams- bzw.Rotwildgebiete erfolgten. Außerdem fragten wir nach Rot- oder Gamswildgehegen<strong>in</strong>nerhalb des Forstamtes bzw. der Kreisjägervere<strong>in</strong>igung, um e<strong>in</strong>schätzen zukönnen, ob Meldungen eventuell von Tieren stammten, die aus Gehegenentwichen waren.Entlang des Hochrhe<strong>in</strong>s führten wir im Sommer 2002 Befragungen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>erPilotstudie durch. Wir waren dazu bei Dienstbesprechungen der Forstämter BadSäck<strong>in</strong>gen, Rhe<strong>in</strong>felden und Waldshut anwesend und konnten die Daten direkt imGespräch mit den jeweiligen Forstamtsleitern und Revierleitern erheben. Dabeizeigte sich, dass <strong>in</strong> den Forstämtern jeweils zwei bis drei Personen mitbesonderem jagdlichem Interesse die wesentlichen Daten beisteuern konnten. E<strong>in</strong>ähnliches Bild ergab sich, als wir bei e<strong>in</strong>er Versammlung der Kreisjägervere<strong>in</strong>igungWaldshut anwesend se<strong>in</strong> konnten und im persönlichem Gespräch mit den Jägernhalbstrukturierte Interviews durchführten. Aus diesen Erfahrungen und angesichtsdes großen Zeitaufwandes für e<strong>in</strong>e direkte Befragung entschieden wir, weitereErhebungen nur noch auf <strong>in</strong>direktem Weg schriftlich mit Fragebögendurchzuführen. Zwischen August und September 2002 erhielten hierfür alleForstämter ihre Karten und Fragebögen per Post zugestellt. Die Kreisjägermeisterdes Landes <strong>in</strong>formierten wir auf vier Bezirkstreffen im Herbst 2002 über unserVorhaben. Bei dieser Gelegenheit verteilten wir die Unterlagen an die anwesendenKreisjägermeister oder ließen sie über die Bezirksvorstände an die nichtanwesenden Kreisjägermeister weiterleiten.Der Rücklauf der Fragebögen war nicht so gut wie erwartet. E<strong>in</strong> bedeutenderAnteil der gemeldeten Nachweise durch die Forstämter stammt aus unmittelbarerNähe der Rotwildgebiete. Solche Daten haben für unsere Fragestellung nurbegrenzten Informationswert, da sie kaum großräumige Wanderbewegungenrepräsentieren.Für die Forstämter ohne Rücklauf oder verlässliche Auskunft bleibt die Frageoffen, ob tatsächlich ke<strong>in</strong>e Nachweise von Gams- und Rotwild vorliegen, oder obdie Anfrage aus unterschiedlichen Gründen e<strong>in</strong>fach nicht berücksichtigt wurdeÄhnlich war das Bild bei der Jägerschaft. Hier schien die Bereitschaft zurMitarbeit wesentlich vom generellen Verhältnis zwischen den jeweiligen Jägernund der Forstverwaltung abzuhängen, mit der die FVA und das Forschungsprojekt<strong>Wildtierkorridore</strong> gleichgestellt wurden. Vor allem aus den Privat-Jagdbezirken, <strong>in</strong>denen regelmäßig Rotwild vorkommt, und wo diese Thematik <strong>in</strong> der Vergangenheitregelmäßig für Konflikte gesorgt hatte, erhielten wir wenige Daten.Trotz dieses <strong>in</strong>sgesamt nicht sehr positiven Bildes erhielten wir von zahlreichenBefragten umfassende Auskünfte. Somit stand vor allem für Gamswild und <strong>in</strong>Teilgebieten auch für Rotwild e<strong>in</strong>e brauchbare Datenbasis zur Verfügung.20


212.1.4 Festlegung von Quell- und ZielgebietenDie Berechnung von <strong>Wildtierkorridore</strong>n mittels Cost-Distance-Analysen erfordertals ersten Schritt die Umsetzung der Fragestellung <strong>in</strong>s Modell. Es gilt festzulegen,zwischen welchen Gebieten e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung für möglich gehalten wird, oderzwischen welchen Gebieten e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung anzustreben ist. Erst nach dieserFestlegung kann die Lage von Korridoren modelliert werden. Es ist offensichtlich,dass die Ergebnisse von Korridoranalysen, wie sie auch <strong>in</strong> diesem Bericht <strong>in</strong> Formvon Karten präsentiert werden, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie von der räumlichen Fragestellungabhängen, und dass damit der Auswahl von Quell- beziehungsweise Zielgebietene<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung zukommt.Bei den im Modell untersuchten Leitarten Gams- und Rotwild ist das regelmäßigeVorkommen auf mehr oder weniger klar begrenzte Gebiete beschränkt. UnsereUntersuchung sollte e<strong>in</strong>erseits die möglichen Verb<strong>in</strong>dungen zwischen diesenKerngebieten evaluieren. Außerdem suchten wir e<strong>in</strong>e Antwort auf die Frage, wiedie Kerngebiete mit Vorkommen <strong>in</strong> den angrenzenden Bundesländern sowie <strong>in</strong>Frankreich und der Schweiz verbunden s<strong>in</strong>d. Als Quell- und Zielgebiete gaben wirdaher e<strong>in</strong>erseits die bekannten Kerngebiete <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg (Abb. 4, 5) vor.Wir berücksichtigten dabei auch das Rotwildgebiet im Schönbuch, obwohl esvollständig gegattert ist. Für die Modellierung des Anschlusses über die Grenzenvon <strong>Baden</strong>-Württemberg h<strong>in</strong>aus wählten wir beim Expertenmodell und beimempirischen Modell unterschiedliche Ansätze.Das Expertenmodell, das ausschließlich auf der Landnutzungskartierung der LfUaufbaut, konnten wir für den gesamten durch diesen Datensatz abgedecktenBereich, der über die Grenzen <strong>Baden</strong>-Württembergs h<strong>in</strong>ausgeht (Abb. 6),berechnen. In der Schweiz, <strong>in</strong> Frankreich und <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz gaben wir für dieModellierung daher Zielgebiete vor, die den potenziellen Rotwildlebensraum imJura und den Alpen sowie im Pfälzer Wald, den Nord- und Südvogesenrepräsentierten. In Frankreich wie <strong>in</strong> der Schweiz deckte die LfU-Kartierung diepotenziellen Rotwildlebensräume nur <strong>in</strong> den östlichen bzw. nördlichen Bereichenab. Die von uns digitalisierten Zielgebiete lagen daher zwangsläufig nur „<strong>in</strong>Richtung“ der Vorkommensgebiete. Die auf Basis dieser Zielgebiete modelliertenKorridore berücksichtigen folglich nicht, ob es <strong>in</strong>nerhalb der Gebirge räumlichdifferenzierte Vorkommensgebiete gibt. Für Bayern standen uns Daten derpotenziellen Rotwildkorridore <strong>in</strong> Bayern mit Anschluss an <strong>Baden</strong>-Württemberg zurVerfügung, die vom Vere<strong>in</strong> VAUNA e.V. (unpubl.) ebenfalls auf Basis von Cost-Distance-Analysen modelliert worden waren. Wir nutzten die Punkte, an denen diebayrischen Korridore die Grenze des von der LfU-Kartierung abgedecktenBereichs schnitten, als Zielgebiete für unsere Berechnungen. Das Rotwildgebiet imSpessart überschnitt sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em südlichen Bereich mit der LfU-Landnutzungskartierung und konnte somit direkt als Zielgebiet <strong>in</strong>tegriert werden.Beim empirischen Modell haben wir neben der Landnutzungskartierung der LfUauch geographische Grundlagendaten <strong>in</strong>tegriert, die nur für <strong>Baden</strong>-Württembergvorlagen. Somit musste die gesamte Modellierung auf <strong>Baden</strong>-Württemberg


22beschränkt werden. Zur Anb<strong>in</strong>dung an die benachbarten Länder verwendeten wirdaher die folgenden Zielgebiete bzw. –punkte: Für Bayern setzten wir wiederumdie Berechnungen von VAUNA e.V. e<strong>in</strong>, wobei wir <strong>in</strong> diesem Fall die Schnittpunkteder bayrischen Korridore mit der Landesgrenze verwendeten. Ähnlich g<strong>in</strong>gen wirfür die Schweiz vor, wo wir die Schnittpunkte von Korridoren, die unterFederführung der Schweizerischen Vogelwarte kartiert worden waren (Holzgang etal. 2001), als Ziel von Wanderbewegungen festlegten. Für Frankreich, Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz und Hessen standen ke<strong>in</strong>e entsprechenden Daten zur Verfügung. Wirnutzten daher die aus dem Expertenmodell bekannten Schnittpunkte vonKorridoren mit der Landesgrenze als Zielpunkte.2.1.5 E<strong>in</strong> Expertenmodell für RotwildWir berechneten e<strong>in</strong>e erste Karte der potenziellen Korridore für Wildtiere aufBasis e<strong>in</strong>es Expertenmodells. Als Datengrundlage verwendeten wir dieLandnutzungskartierung der LfU. Die <strong>in</strong> den Orig<strong>in</strong>aldaten unterschiedenen 16Klassen fassten wir zu sechs Kategorien zusammen (vgl. 2.1.2) und ordneten jederKategorie gutachterlich e<strong>in</strong>en Widerstandswert zu. Tab. 2 zeigt die verwendetenKlassen und Widerstandswerte. Die Widerstandswerte s<strong>in</strong>d die selben, die bei derSensitivitätsanalyse (vgl. 1.2.3) als Schwerpunkte der Dreiecksverteilungenfestgelegt wurden.Tab. 2: Widerstandswerte, die den Landnutzungsklassen zugewiesen wurden.BodenbedeckungWiderstandWald 100Brache 200Grünland 300Landwirtschaft 500Wasserflächen 800Siedlung 10000Wald wurde bei dieser E<strong>in</strong>schätzung als bevorzugtes Habitat fürWanderbewegungen beurteilt. In absteigender Eignung folgten Grünland mit e<strong>in</strong>emdreifach höheren Widerstand und andere Landwirtschaftsformen (5-fach). Bei derKlasse der Brachflächen war aufgrund des Landsat-Bildes ke<strong>in</strong>e scharfeDifferenzierung zu spektral ähnlichen Bereichen möglich (Jacobs 2001). DerKlasse zugeordnete Pixel umfassen daher <strong>in</strong> der Realität mehrere gänzlichverschiedene Bodenbedeckungen. Neben eigentlichen Brachflächen, die fürWildtiere geeigneten Lebensraum bieten können, s<strong>in</strong>d auch weniger geeigneteLandnutzungsformen wie versiegelte Flächen oder Felsgebiete enthalten. Es istsomit schwierig, dieser heterogenen Klasse e<strong>in</strong>en ökologisch s<strong>in</strong>nvollenWiderstandswert zuzuweisen. Wir haben die Klasse dennoch mit e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>genWiderstand (2-fach) bewertet und tragen damit vor allem den Pixeln Rechnung, die


23auch <strong>in</strong> der Realität Brachflächen entsprechen. Da die Klasse Brachflächen<strong>in</strong>sgesamt nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen Flächenanteil ausmacht, s<strong>in</strong>d trotz deroptimistischen E<strong>in</strong>schätzung und der Klassifizierungsprobleme ke<strong>in</strong>e Fehler für dasGesamtergebnis zu erwarten. Wasserflächen haben wir im Vergleich zu Wald mite<strong>in</strong>em 8-fachen Widerstand bewertet. Kle<strong>in</strong>e Wasserflächen und Flussläufe g<strong>in</strong>gendaher nicht als absolute Barrieren <strong>in</strong> das Modell e<strong>in</strong>. Andererseits erwarteten wir,dass breite Wasserflächen, über die sich die relativ hohen Widerstandswertesummieren, als Barrieren ausgeschieden werden. Siedlungen erhielten denhöchsten Widerstandswert (100-fach) zugewiesen, so dass sie als praktischundurchdr<strong>in</strong>gliche Barrieren modelliert werden.Den aufgrund der beschriebenen Reklassifizierung entstandenen Datensatzunterzogen wir e<strong>in</strong>er Filterprozedur, mit der die Widerstandswerte <strong>in</strong>nerhalb vonKreisen mit 1 km 2 Fläche gemittelt wurden.Potenzielle l<strong>in</strong>eare Barrieren haben wir <strong>in</strong> diesem Modell nicht berücksichtigt.Damit konnten wir e<strong>in</strong>e Bewertung auch über die Landesgrenzen h<strong>in</strong>ausvornehmen, wo uns außer der Landnutzungskartierung ke<strong>in</strong>e anderen Daten zurVerfügung standen.2.1.6 Empirische Modelle für Gams- und RotwildEmpirische Modelle werden regelmäßig für die Beurteilung der Eignung e<strong>in</strong>esLebensraums für Wildtiere e<strong>in</strong>gesetzt. Mit verschiedensten Methoden wirdversucht, aus Daten zur realen Habitatnutzung e<strong>in</strong>er Art Gesetzmässigkeitenabzuleiten und auf das gesamte Untersuchungsgebiet anzuwenden. Für unsereAnalysen nutzten wir die von Jägerschaft und Forst benannten Gams- undRotwildbeobachtungen als E<strong>in</strong>gangsdaten <strong>in</strong> das Modell. Wir g<strong>in</strong>gen davon aus,dass der Lebensraum an den Beobachtungspunkten den Präferenzen derjeweiligen Art nahe kommt. Die Lebensraumeignung für ganz <strong>Baden</strong>-Württembergbeurteilten wir mit Hilfe e<strong>in</strong>es Distanzmasses, das den Unterschied vonAusschnitten des Untersuchungsgebietes zum Idealtyp beschreibt, wie er durchdie Beobachtungspunkte gegeben war.An geographischen Grundlagendaten nutzten wir e<strong>in</strong>erseits dieLandnutzungskartierung der LfU, die wir nach den EUNIS-Kategorienvere<strong>in</strong>fachten und mit den aus ATKIS extrahierten Strassen überlagerten (vgl.2.1.2). Zusätzlich berücksichtigten wir die Hangneigung, die vor allem beiGamswild wesentlich die Präferenz e<strong>in</strong>es Lebensraumes bestimmt.Zur Beschreibung des Idealtyps des Lebensraums pufferten wir jedeE<strong>in</strong>zelbeobachtung mit e<strong>in</strong>em Radius von 400 m, entsprechend e<strong>in</strong>er Kreisflächevon etwa 0,5 km 2 . Innerhalb der Kreise ermittelten wir die Anteile der EUNIS-Klassen und die mittlere Hangneigung. Von den EUNIS-Klassen flossen nurdiejenigen <strong>in</strong> die Analyse e<strong>in</strong>, die m<strong>in</strong>destens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Pufferkreisen vertretenwaren. Die EUNIS Klassen Feuchtgebiete (D), mar<strong>in</strong>e Habitate und Küstenhabitate(A und B) flossen aufgrund dieses Kriteriums nicht <strong>in</strong> die Bewertung e<strong>in</strong>. DieKlasse der Seen und Flüsse (C) trat ebenfalls nur im Umkreis von wenigen


24Beobachtungspunkten auf. Diese Punkte entsprachen den eher exotischenBeobachtungen von Tieren, die offensichtlich bei e<strong>in</strong>er großräumigen Wanderungaußerhalb ihres typischen E<strong>in</strong>standsgebietes nahe am Rhe<strong>in</strong> beobachtet wordenwaren. Die Berücksichtigung dieser Klasse ist angesichts der ger<strong>in</strong>gen Zahl vonBeobachtungen statistisch nicht e<strong>in</strong>wandfrei. Andererseits erhielten wir aufgrundder Seltenheit, mit der die Klasse <strong>in</strong> unserer Stichprobe auftrat, automatisch denökologisch s<strong>in</strong>nvollen Effekt, dass Flüssen und Seen e<strong>in</strong>e starke Barrierewirkungzugewiesen wurde.Zur Beurteilung der Habitateignung legten wir um jede Rasterzelle imUntersuchungsgebiet e<strong>in</strong>en Pufferkreis von 0,5 km 2 und berechneten dieökologische Distanz des Lebensraumes <strong>in</strong>nerhalb des Kreises im Vergleich zumIdealtyp (Taguchi and Jugulum 2002). Abb. 3 veranschaulicht den Begriff derökologischen Distanz.zpwÖkologischeDistanzyrxAbb. 3: Veranschaulichung des Begriffs der ökologischen Distanz, die denAbstand zwischen zwei Datensätzen im d-dimensionalen Parameterraum misst.Der Idealtyp (der präferierte Lebensraum) lässt sich durch die Mittelwerte aller d-berücksichtigten Parameter beschreiben. In e<strong>in</strong>em d-dimensionalenKoord<strong>in</strong>atensystem lassen sich diese Mittelwerte durch unterschiedlich lange und<strong>in</strong> verschiedene Richtungen weisende Achsen darstellen, die e<strong>in</strong>enParameterraum aufspannen. Die ökologische Distanz beschreibt für e<strong>in</strong>enVergleichsdatensatz, für den ebenfalls d Parameter gemessen wurden, die d-dimensionale Entfernung <strong>in</strong> diesem Raum. Für die Berechnung der ökologischenDistanz kommen verschiedene Methoden <strong>in</strong> Betracht. Bei gleich skaliertenParametern mit e<strong>in</strong>heitlichen Varianzen kann als e<strong>in</strong>fachste Form die EuklidischeDistanz gemessen werden. Weitaus unempf<strong>in</strong>dlicher bei unterschiedlich skaliertenParametern ist die Mahalanobis-Distanz, die neben unterschiedlichen Streuungen


25(Varianzen) der Parameter auch Interaktionen (Kovarianzen) berücksichtigt. Auszeitlichen Gründen konnten wir allerd<strong>in</strong>gs nicht auf diese rechenaufwändigeMethode zurückgreifen. Wir berechneten stattdessen die standardisierte Distanz,die zwar die Varianz der Parameter, nicht jedoch die Kovarianz berücksichtigt. Wieaus Formel I ersichtlich ist, werden bei der standardisierten Distanz dieAbweichungen jedes Parameters des Testdatensatzes vom Mittelwert desParameters <strong>in</strong> den Kalibrierungsdaten gemessen und mit der Standardabweichungdes Parameters skaliert. Die so für jeden Parameter bestimmten skaliertenDifferenzbeträge werden quadriert und aufsummiert. Distanzmasse als Grundlagefür Cost-Distance-Analysen wurden z.B. von Corsi et al. (1999) oder Clevenger &Wierzchowski (2003).(I) Berechnung der standardisierten Distanz rr2222? x(1)? m(1)? ? x(2)? m(2)? ? x(d)? m(d)?( x , m)??? ... ?? ?s(1)??s(2)??s(d )x(i)m(i)s(i)DWert des Parameters iMittelwert des Parameters i <strong>in</strong> den KalibrierungsdatenStandardabweichung des Parameters i <strong>in</strong> denKalibrierungsdatenAnzahl der Parameter (Dimensionen)2.2 ERGEBNISSE2.2.1 Verbreitung von Gams- und Rotwild <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg2.2.1.1 GamswildDie Verbreitungskarte für Gamswild macht deutlich, dass die Art ke<strong>in</strong>eswegs aufdie offiziell ausgeschiedenen Gebiete begrenzt ist. Offensichtlich kommenregelmäßig Wanderungen vor oder es haben sich sogar kle<strong>in</strong>e Beständeaußerhalb dieser Gebiete etabliert. Die verfügbaren Datensätze zeigen e<strong>in</strong>heitlich,dass Gamswild <strong>in</strong> weiten Teilen des Schwarzwaldes und der Schwäbischen Albangetroffen werden kann. Auf der Schwäbischen Alb konzentrieren sich dieNachweise auf den westlichen Bereich der Flächenalb, sowie streifenförmigentlang des Albtraufs und nördlich der Donau. Auffällig ist weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Reihe von


26Nachweisen, die auf e<strong>in</strong>er L<strong>in</strong>ie vom Schwarzwald durch das Hegau undOberschwaben bis zum Gamsvorkommen auf der Adelegg im Allgäu liegen. Diegesamte L<strong>in</strong>ie ist nur <strong>in</strong> der Kartierung für den Säugetieratlas erkennbar;Jagdstatistik und unsere Befragungen ergeben nur zwischen demDeggenhausertal und Ravensburg sowie im Altdorfer Wald nördlich vonRavensburg Nachweise. Aus den Befragungsergebnissen s<strong>in</strong>d auch mehrereBeobachtungen von Gämsen bekannt, die direkt am Rhe<strong>in</strong>ufer gemacht wurden.Bemerkenswert ist die Beobachtung e<strong>in</strong>er Gämse im Juli 2001, die bei Waldshutüber den Fluss <strong>in</strong> die Schweiz schwamm. Außerhalb des Gebietes, <strong>in</strong> denenGämsen geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> erwartet werden, liegt auch die Beobachtung e<strong>in</strong>es Bockes amRhe<strong>in</strong>ufer zwischen Bad Bell<strong>in</strong>gen und Efr<strong>in</strong>gen im April 2001. Diese Beobachtunglag <strong>in</strong> dem Bereich, wo die Ausläufer des Schwarzwaldes noch e<strong>in</strong>mal fast bis zumRhe<strong>in</strong> reichen, bevor sich die Rhe<strong>in</strong>ebene zur Freiburger Bucht erweitert.Die wenigen historischen Beobachtungen (Ende 19. Jh. – Zeit vor 1995), die <strong>in</strong>der Kartierung für den Säugetieratlas enthalten s<strong>in</strong>d, stammen alle aus denBereichen, <strong>in</strong> denen sich ohneh<strong>in</strong> die Nachweise konzentrieren und ergebendaher ke<strong>in</strong>e Abweichungen vom Gesamtbild.2.2.1.2 RotwildWie Gamswild tritt Rotwild regelmäßig außerhalb der Rotwildgebiete auf. DieNachweise s<strong>in</strong>d weniger auf bestimmte Bereiche konzentriert als beim Gamswild.Die Art wird auch im nördlichen Drittel des Landes immer wieder nachgewiesen.Nachweise auf der Alb s<strong>in</strong>d dagegen selten. Aus der Kartierung für denSäugetieratlas lässt sich e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen Schwarzwald und Allgäuerahnen, vor allem im Bereich des Hegaus weisen die Nachweise auf dieser L<strong>in</strong>iejedoch e<strong>in</strong>e Lücke auf. E<strong>in</strong>e gewisse Konzentration an Nachweisen zeigt sich imSüdosten <strong>Baden</strong>-Württembergs westlich des Rotwildgebietes Adelegg sowienördlich davon parallel zum Illertal. Zwei Rasterquadrate liegen auf Höhe von Lahrund Schwetz<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> der Oberrhe<strong>in</strong>ebene.Die historischen Beobachtungen aus der Kartierung für den Säugetieratlas fügensich auch beim Rotwild ohne Auffälligkeiten <strong>in</strong> das geschilderte Verteilungsmustere<strong>in</strong>.Unsere Frage nach Gehegehaltungen von Gams- oder Rotwild wurde <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>emFragebogen beantwortet. Es ist dennoch nicht auszuschließen, dass e<strong>in</strong>igeNachweise von Tieren stammen, die aus Gattern entwichen s<strong>in</strong>d.


Abb. 4: Verbreitung der Gämse <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg, wie sie sich ausverschiedenen Datenquellen darstellt. Die Kerngebiete der Gämsenverbreitungs<strong>in</strong>d flächig dunkelrot dargestellt. Rot schraffiert s<strong>in</strong>d alle Geme<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> denen imZeitraum 1998-2000 m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Stück Gamswild erlegt wurde oder als Fallwildauftrat (Daten der Wildforschungsstelle <strong>Baden</strong>-Württemberg). Schwarz schraffierts<strong>in</strong>d die Messtischblätter, <strong>in</strong> denen 1995 oder früher Gämsen nachgewiesenwurden (direkte Nachweise, Daten des Staatlichen Museums für NaturkundeKarlsruhe). Die gelben Punkte geben die Beobachtungen oder Erlegungen wieder,die im Rahmen unserer Befragungen von Jägerschaft und Forstverwaltung für denZeitraum 1998-2002 gemeldet wurden.27


Abb. 5: Verbreitung des Rotwildes <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg, wie sie sich ausverschiedenen Datenquellen darstellt. Die fünf Rotwildgebiete s<strong>in</strong>d flächigdunkelrot dargestellt. Rot schraffiert s<strong>in</strong>d alle Geme<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> denen im Zeitraum1998-2000 m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Stück Rotwild erlegt wurde oder als Fallwild auftrat(Daten der Wildforschungsstelle <strong>Baden</strong>-Württemberg). Schwarz schraffiert s<strong>in</strong>d dieMesstischblätter, <strong>in</strong> denen 1995 oder früher Rotwild nachgewiesen wurde (direkteNachweise, Daten des Staatlichen Museums für Naturkunde Karlsruhe). Die rotenPunkte geben die Beobachtungen oder Erlegungen wieder, die im Rahmenunserer Befragungen von Jägerschaft und Forstverwaltung für den Zeitraum 1998-2002 gemeldet wurden.28


292.2.2 <strong>Wildtierkorridore</strong> <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg2.2.2.1 Ergebnisse des ExpertenmodellsAusgehend von den gutachterlich def<strong>in</strong>ierten Widerstandswerten (vgl. 2.1.5) ergibt sich das <strong>in</strong> Abb. 6 dargestellte Durchlässigkeitsmodell. Die herausragendeBedeutung des Schwarzwaldes als großflächig durchlässiger Bereich wird deutlich.Die unteren Bereiche e<strong>in</strong>iger Schwarzwaldtäler, allen voran das K<strong>in</strong>zigtal,ersche<strong>in</strong>en als Barrieren, die die Durchlässigkeit vor allem im Westen desSchwarzwaldes beh<strong>in</strong>dern. Weitere Gebiete mit hohem Potenzial fürTierwanderungen s<strong>in</strong>d die Schwäbische Alb, die Schwäbisch-FränkischenWaldberge, das Allgäu und der Odenwald. Großflächig kaum durchlässige Gebietes<strong>in</strong>d die Ballungszentren im Neckarraum und die gesamte Rhe<strong>in</strong>ebene mitSchwerpunkt zwischen Karlsruhe und Mannheim. Zahlreiche kle<strong>in</strong>ere Zentrenersche<strong>in</strong>en wie Riegel <strong>in</strong> der Landschaft, die die Durchlässigkeit auf regionalerEbene verschlechtern. Beispielhaft sei auf die Gebiete von Basel entlang desHochrhe<strong>in</strong>s oder im Bodenseebecken von Friedrichshafen bis We<strong>in</strong>gartenh<strong>in</strong>gewiesen.Abb. 6: L<strong>in</strong>ks: Reklassifizierung der LfU-Landnutzungskartierung <strong>in</strong> sechsKlassen. Rechts: Auf Basis der Landnutzung ermittelte Widerstandswerte nachMittelwert-Filterung über 1 km 2 .Ausgehend von diesem Durchlässigkeitsmodell ließen sich die <strong>in</strong> Abb. 7dargestellten Korridore zwischen Rotwildgebieten und den Anschlüssen über dieLandesgrenze h<strong>in</strong>aus ableiten. Aus der Karte lassen sich auf Grund der Form unddes Verlaufs der modellierten Korridore zwei Typen differenzieren.?? Schmale wenig verästelte Korridore?? Breite Korridore bzw. zahlreiche nebene<strong>in</strong>anderliegende und verästelteKorridore


30Abb. 7: Rotwild-Korridore als Ergebnis des Expertenmodells. Bei der Berechnungwurden Verb<strong>in</strong>dungen zwischen allen fünf Rotwildgebieten <strong>Baden</strong>-Württembergs,den Rotwildgebieten im Spessart und den bayrischen Alpen sowie Gebieten <strong>in</strong>Richtung der Nord- und Südvogesen, der Schweiz und der Vorarlberger Alpenmite<strong>in</strong>ander verbunden (rot schraffiert).Breite Korridor-Bänder f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den waldreichen Gebieten, die schon imDurchlässigkeitsmodell aufgefallen s<strong>in</strong>d. Schmale Korridore weisen häufig aufEngpässe im Netzwerk h<strong>in</strong>. Es s<strong>in</strong>d nur wenige Bereiche verblieben, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>eQuerung der Landschaft wahrsche<strong>in</strong>lich ist. Dieser Fall betrifft z.B. die


31Verb<strong>in</strong>dungen durch das Kraichgau oder durch die Oberrhe<strong>in</strong>ebene. Die Lage derKorridore <strong>in</strong> der Rhe<strong>in</strong>ebene ist e<strong>in</strong>erseits von den großen Wäldern auffranzösischer Seite (Bienwald, Forêt de Haguenau, Forêt de Mulhouse) undandererseits durch die Waldzunge an der Riegeler Pforte gegeben.In diesem Modell konnte methodisch bed<strong>in</strong>gt nur e<strong>in</strong>e Querungsmöglichkeit überden Hochrhe<strong>in</strong> gefunden werden, da für die Schweiz nur e<strong>in</strong> Zielgebiet def<strong>in</strong>iertwurde. Dieser Korridor quert den Rhe<strong>in</strong> zwischen Bad Säck<strong>in</strong>gen und Murg, mith<strong>in</strong>an e<strong>in</strong>er Stelle, die auch von Schweizer Seite (Holzgang et al. 2001) bereits alsKorridor festgestellt wurde.Die Verb<strong>in</strong>dung zwischen Schwarzwald und Allgäu stellt sich im Bereich derWutachschlucht als schmales Band dar, das sich danach <strong>in</strong> östlicher Richtung <strong>in</strong>zahlreiche Äste aufteilt. E<strong>in</strong>e klare Differenzeirung ist dann wieder nördlich undsüdlich von Ravensburg zu erkennen.Vom Allgäu <strong>in</strong> nördliche Richtung zieht sich e<strong>in</strong> Korridor westlich des Illertals überdie Schwäbische Alb.2.2.2.2 Ergebnisse des empirischen Modells für GamswildDie Landschaft im Umkreis von Gamswildnachweisen war im wesentlichen durchWald bestimmt (Tab. 3). Die Kategorien Grünland, sonstige Landwirtschaft undüberbaute Flächen machten ebenfalls beträchtliche Anteile aus, allerd<strong>in</strong>gs mit starkschwankenden Werten.Tab. 3: Mittelwerte und Standardabweichungen der Habitatparameter im Umkreisvon 0,5 km 2 um Punkte mit Nachweisen von Gämsen (n=57).KategorieEUNIS-HabitattypenMittelwertStandardabweichungC Wasserflächen [%] 0.6 3.4D Feuchtgebiet [%] 0.2 1.1E Grünland [%] 14.1 17.6F Gebüsche, We<strong>in</strong>, Obstbau [%] 0.9 3.5G Wald [%] 71.8 31.1H Brachen oder vegetationslos [%] 0.1 0.4I Acker- und Gartenbau [%] 4.8 11.0J Überbaute Flächen [%] 7.6 14.1Hangneigung [°] 12.9 6.1


32Das Korridor-Modell für Gamswild ist wegen der Verbreitung der Art auf denSüden <strong>Baden</strong>-Württembergs begrenzt. Der Schwarzwald ersche<strong>in</strong>t als dichtesNetz von Korridoren, was sowohl der durchweg hohen Waldbedeckung als auchder Konzentration von Gamswildgebieten, die alle untere<strong>in</strong>ander verbundenwurden, zuzuschreiben ist.Es ergeben sich zwei Anb<strong>in</strong>dungen des Schwarzwaldes nach Osten.E<strong>in</strong>e nördliche Verb<strong>in</strong>dung verlässt den Schwarzwald auf Höhe von Alpirsbachund Sulz am Neckar. Sie erreicht über das Neckartal die Gamswildvorkommen beiAlbstadt und Rottweil.Im Süden verläuft e<strong>in</strong> Korridor <strong>in</strong> der Wutachschlucht zur Baaralb. Von dortschafft e<strong>in</strong> Zweig die Anb<strong>in</strong>dung ans Obere Donautal, e<strong>in</strong> anderer durchquertOberschwaben <strong>in</strong> Richtung der Adelegg. Dieser Korridor verläuft nördlich derBundesstrasse B 31-NEU <strong>in</strong>s Deggenhausertal, von dort <strong>in</strong> den Altdorfer Waldnördlich von Ravensburg und danach durch die grünland- und waldreichen Gebietenördlich Kissleggs zur Adelegg.Aufgrund der systematischen Verb<strong>in</strong>dung aller Gamswildvorkommenuntere<strong>in</strong>ander ergibt sich von der Adelegg auch e<strong>in</strong> Korridor im Illertal nachNorden. Dieser Korridor quert südlich von Ulm die Donau und schließt so den Kreiszum Gamswildvorkommen im Oberen Donautal.Abb. 8: Gamswild-Korridore als Ergebnis des empirischen Modells. AlleGamswildgebiete (gelb schraffiert) wurden als Quell- und Zielgebiete vorgegeben.Zusätzlich wurden potenzielle Anb<strong>in</strong>dungen nach Frankreich und die Schweizberechnet. Bei der Befragung gemeldete Nachweise außerhalb der Gamswildgebietes<strong>in</strong>d als gelbe Punkte überlagert.


332.2.2.3 Ergebnisse des empirischen Modells für RotwildDie Nachweise von Rotwild lagen noch ausgeprägter als bei Gämsen <strong>in</strong>waldreichem Umfeld (Tab. 4). Grünland und sonstige landwirtschaftlicheNutzungen kamen mit ger<strong>in</strong>geren Anteilen vor. Siedlungen und Verkehr bedeckennur 2,4 % der Flächen um alle Nachweise. Alle anderen Kategorien s<strong>in</strong>dvernachlässigbar.Die Rotwildgebiete im Schwarzwald s<strong>in</strong>d im Bereich des östlichenSchwarzwaldes verbunden. Die Anb<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> Richtung Adelegg führt wiederumdurch die Wutschschlucht. Von dort verläuft der Korridor weiter nach Nordosten.Erst etwa auf Höhe Sigmar<strong>in</strong>gen ergeben sich mehrere Verzweigungen, die sichim Altdorfer Wald wieder treffen. Die Fortführung zur Adelegg verläuft nördlichKissleggs. Zwischen Schwarzwald und Odenwald ergibt dieses Modell ke<strong>in</strong>edirekte Verb<strong>in</strong>dung. Vielmehr zieht der Korridor e<strong>in</strong>en weiten Bogen nach Ostendurch die waldreichen Gebiete im Nordosten des Landes. Auf der SchwäbischenAlb ist das dichte Netz von Korridoren auffallend, das vor allem von derBerechnung der Anb<strong>in</strong>dungen der Rotwildgebiete an Bayern stammt.Tab. 4: Mittelwerte und Standardabweichungen der Habitatparameter im Umkreisvon 0,5 km 2 um Punkte mit Nachweisen von Rotwild (n=52).KategorieEUNIS-HabitattypenMittelwertStandardabweichungC Wasserflächen [%] 0 0D Feuchtgebiet [%] 0.2 0.5E Grünland [%] 12.9 21.5F Gebüsche, We<strong>in</strong>, Obstbau [%] 0.5 1.3G Wald [%] 79.5 29.9H Brachen oder vegetationslos [%] 0.3 0.5I Acker- und Gartenbau [%] 4.0 9.7J Überbaute Flächen [%] 2.7 5.1Hangneigung [°] 7.6 6.0


Abb. 9: Rotwild-Korridore als Ergebnis des empirischen Modells. Die Farbwahl derKorridore dient der besseren Visualisierung, welche Gebiete mite<strong>in</strong>ander verbundenwurden. Rot: Korridore von Ost nach West; violett: Nord-Süd; blaugrau: Nordost-Südwest und Nordwest-Südost; oliv: Verb<strong>in</strong>dungen nach Bayern, Frankreich und dieSchweiz. Bei der Befragung gemeldete Nachweise außerhalb der Rotwildgebiete s<strong>in</strong>dals rote Punkte überlagert.34


352.2.2.4 Zusammenführung der ModellergebnisseAus der Zusammenführung der Modellergebnisse und dem Vergleich mitNachweisdaten lässt sich e<strong>in</strong>e Übersicht ableiten, wo mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitKorridore existieren (Abb. 10).Die Mittelgebirge Schwarzwald, Schwäbische Alb und Schwäbisch-FränkischeWaldberge zeigen erwartungsgemäß e<strong>in</strong>e hohe <strong>in</strong>nere Vernetzung. Bei der <strong>in</strong>dieser Arbeit angewandten Maßstabsebene ist es kaum möglich, e<strong>in</strong>zelneKorridore zu unterscheiden. Im Schwarzwald ist immerh<strong>in</strong> die Barrierewirkunge<strong>in</strong>iger Täler sichtbar, vor allem die des K<strong>in</strong>zigtals. Auf der Schwäbischen Albkonzentrieren sich Korridore am Albtrauf sowie im Donautal.Die Anb<strong>in</strong>dung der Mittelgebirge an die Umgebung stellt sich weitausdifferenzierter dar. An vier Stellen, wo größere Waldgebiete auf französischer oderdeutscher Seite <strong>in</strong> der <strong>in</strong>tensiv landwirtschaftlich genutzten Oberrhe<strong>in</strong>ebene liegen,ist e<strong>in</strong>e Anb<strong>in</strong>dung des Schwarzwaldes <strong>in</strong> Richtung der Vogesen relativ günstig.Die wenigen Nachweise von Rot- und Gamswild <strong>in</strong> der Oberrhe<strong>in</strong>ebene lassen dieaktuelle Bedeutung als Verb<strong>in</strong>dungsachsen für diese beiden Arten zweifelhaftersche<strong>in</strong>en.Am Hochrhe<strong>in</strong> orientierten sich die zwei empirischen Modelle an den aus derSchweiz bekannten Korridoren. Das Expertenmodell zeigte als günstigsteAnb<strong>in</strong>dung den Bereich um Bad Säck<strong>in</strong>gen. Grundsätzlich bestehen an denStellen, wo die Täler des Südschwarzwaldes den Hochrhe<strong>in</strong> erreichen, noch guteQuerungsmöglichkeiten. Mehrere Beobachtungen von Gams- und Rotwild, aberauch von durch den Rhe<strong>in</strong> schwimmendem Schwarzwild unterstützen dieseInterpretation.Vom Schwarzwald nach Osten ergaben sich drei besonders günstigeAnb<strong>in</strong>dungen: auf Höhe des Schönbuchs, zum oberen Neckartal und durch dieWutachschlucht. Letzterem Korridor kommt besondere Bedeutung zu. Er verb<strong>in</strong>detden Schwarzwald sowohl zur Schwäbischen Alb als auch nach Oberschwaben und<strong>in</strong>s Allgäu. Dieses lange Verb<strong>in</strong>dungsband stimmt auf weiten Strecken zwischenden Modellen übere<strong>in</strong> und konnte mit Nachweisdaten untermauert werden. Nebender Wutachschlucht s<strong>in</strong>d offenbar vor allem der Altdorfer und der Tettnanger Waldwichtige Trittste<strong>in</strong>e. Besonders beim Altdorfer Wald ist angesichts zweier starkbefahrener Strassen, die senkrecht zur Ausrichtung der Korridore liegen, jedochfraglich, wie weit die Durchlässigkeit noch gegeben ist.


Abb. 10: <strong>Wildtierkorridore</strong> <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg als Zusammenführung aus dreiModellen und der Validierung mit Nachweisen von Rot- und Gamswild. Die Breite derPfeile zeigt, <strong>in</strong> wievielen der drei Modelle sich e<strong>in</strong> Korridor abzeichnete. Grüne Pfeilebezeichnen Bereiche, <strong>in</strong> denen Rot- oder Gamswild nachgewiesen wurde.36


373 DISKUSSION DER METHODEWir haben bereits <strong>in</strong> Kap. 1.2.2 die Grundlagen der Modellierung mit Cost-Distance-Analysen dargestellt. Während <strong>in</strong> weiten Bereichen e<strong>in</strong> robustesVerhalten zu erwarten ist, können bei bestimmten Parameter-Komb<strong>in</strong>ationen undspeziellen landschaftlichen Konstellationen Ausreißer entstehen. Daneben s<strong>in</strong>d dieErgebnisse wesentlich davon abhängig, welche Quell- und Zielgebiete bei derAnalyse vorgegeben wurden. Uns standen zwei Möglichkeiten zur Verfügung,unsere Ergebnisse kritisch zu prüfen: (1) der Vergleich der drei Modellemite<strong>in</strong>ander sowie (2) der Vergleich der Modelle mit Verbreitungsnachweisen derArten.E<strong>in</strong> Vergleich aller drei Modelle ist nur für die südliche Hälfte <strong>Baden</strong>-Württembergs möglich, da nur hier Gamswildgebiete zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. Im Südenliegen gleichzeitig vier von fünf Rotwildgebieten, so dass für Rotwild ebenso wie fürGamswild mehr Verb<strong>in</strong>dungen analysiert wurden. Anders ausgedrückt besteht imNorden des Landes schon aus methodischen Gründen e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere Chance,Korridore zu f<strong>in</strong>den und zu validieren. In dem Ungleichgewicht zwischennördlichem und südlichem Landesteil erweist sich unser Ansatz, die tatsächlichenVerbreitungsgebiete der beiden Arten als Grundlage der Modellierung zuverwenden, als problematisch. E<strong>in</strong> ähnliches Problem besteht beim Modell fürGamswild im Osten der Schwäbischen Alb und im nördlichen Schwarzwald, wojeweils wegen fehlender Gamswildgebiete ke<strong>in</strong>e Korridore gesucht wurden.Besonders die Gamswildnachweise aus der Jagdstatistik und der Kartierung fürden Säugetieratlas deuten an, dass Gamswild entlang des Albtraufs nachNordosten wandert. Im Wesentlichen liegen die adm<strong>in</strong>istrativ festgelegtenKerngebiete jedoch <strong>in</strong> den Bereichen, die für die Arten optimaleLebensbed<strong>in</strong>gungen bieten, und die daher auch bei e<strong>in</strong>er primär ökologischorientierten Auswahl als Ausgangsgebiete bestimmt worden wären.Kritischer ist die Festlegung der Ausgangsgebiete für die Übertragung desModells auf andere waldgebundene Säuger. Die waldreichen Gebiete derSchwäbisch-Fränkischen Waldberge, entlang von Kocher und Jagst oder imGrenzbereich zu Odenwald und Spessart mögen für zahlreiche Arten mit anderenAnsprüchen als Gamswild oder mit ger<strong>in</strong>gerem Raumbedarf als Rotwildhervorragende Lebensbed<strong>in</strong>gungen bieten, obwohl sie bei unserem Ansatz nichtberücksichtigt werden konnten.Die empirischen Modellen beruhen für Gams- und Rotwild auf je rund 50Nachweispunkten. Für Gamswild waren die bei unserer Befragung gemeldetenNachweise gleichmäßig über die Gebiete verteilt, die aus anderen Erhebungenbereits als Gebiete mit sporadischen Vorkommen bekannt waren. Für Rotwildlagen die gemeldeten Nachweise jedoch zum großen Teil nahe an den Grenzender Rotwildgebiete. Der Vergleich mit der Jagdstatistik der Wildforschungsstelle<strong>Baden</strong>-Württemberg sowie der Kartierung für den Säugetieratlas belegt, dass wir


nur e<strong>in</strong> unvollständiges Bild des Rotwildvorkommens erhalten haben. DieNachweise aus den Befragungen repräsentieren daher nur mit E<strong>in</strong>schränkungendie Habitatpräferenzen von Rotwild auf Wanderungen. Die massive Bevorzugungvon Wald, die von den Daten für Rotwild suggeriert wurde, ist auch für e<strong>in</strong>igeBesonderheiten im Verlauf der auf dieser Datenbasis modellierten Korridoreverantwortlich.Im empirischen Modell für Rotwild ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang vor allem dasFehlen e<strong>in</strong>er direkten Verb<strong>in</strong>dung zwischen Schwarzwald und Odenwald auffällig,die nach den Ergebnissen des Expertenmodells möglich sche<strong>in</strong>t. E<strong>in</strong>igeRotwildnachweise aus der Jagdstatistik und der Kartierung für den Säugetieratlasdeuten ebenso auf die Existenz dieser Verb<strong>in</strong>dung h<strong>in</strong>. Ebenso ist der Verlauf desKorridors vom Schwarzwald <strong>in</strong>s Allgäu im Bereich des Hegaus möglicherweise zukonservativ im H<strong>in</strong>blick auf die Nutzung von Wald. Anders als beim Modell fürGamswild und dem Expertenmodell gibt es ke<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung vom Hegau parallelzum Überl<strong>in</strong>ger See, sondern der Korridor führt bis <strong>in</strong>s Obere Donautal, und änderterst dort se<strong>in</strong>e Richtung nach Südosten.Die angewandte Methode der Cost-Distance-Analyse ist geeignet, potenzielleVerb<strong>in</strong>dungen zwischen Kerngebieten des Vorkommens zu bestimmen (Craigheadet al. 2001, Cramer and Portier 2001, Georgii 2001, Knauer 2001, Crooks 2002).Bei unserer Arbeit war die ger<strong>in</strong>ge Zahl an Nachweisen vor allem von Rotwildproblematisch. Für die Zukunft wäre daher e<strong>in</strong>e Verfe<strong>in</strong>erung des Modells mitweiteren Grundlagendaten wünschenswert.38


39WIE ES WEITERGEHEN KÖNNTEDie von der <strong>Forstliche</strong>n <strong>Versuchs</strong>- und Forschungsanstalt ermitteltenWanderkorridore für Wildtiere müssen zunächst als Teil e<strong>in</strong>es Lebensraumsystemsgesehen werden (SUCHANT und BARITZ 2001, SUCHANT et al. 2003). Dieheutige Kulturlandschaft ist als Wildtierlebensraum nur e<strong>in</strong>geschränkt nutzbar.Landschaftsökologische Gegebenheiten und verschiedene Nutzungsformenbed<strong>in</strong>gen sehr heterogene, sich verändernde Landschaften. Auch <strong>Baden</strong>-Württemberg unterliegt e<strong>in</strong>em durch vielfältige, sich ändernde Nutzungenbed<strong>in</strong>gten, permanenten Landschaftswandel. Gleichzeitig s<strong>in</strong>d hochwertige undteilweise <strong>in</strong> Mitteleuropa seltene Lebens- oder Rückzugsräume für zahlreicheTierarten vorhanden.Häufig ergeben sich aus dem Beziehungsgefüge zwischen anthropogenenInteressen, Wildtieren und ihrem Lebensraum Probleme. So gibt es e<strong>in</strong>erseitsWildarten, die Wildschäden verursachen können. Schwarzwildschäden <strong>in</strong> derLandwirtschaft, Verbissschäden durch Rehwild und Schälschäden durch Rotwildan Waldbäumen seien als Beispiele genannt. Oder es gibt Tierarten, die alsKulturfolger hohe Dichten erreichen und Krankheiten übertragen. Als Beispielhierfür kann der Fuchs gelten. Andererseits kommen <strong>in</strong> Mitteleuropa Wildarten vor,die sehr selten und teilweise <strong>in</strong> ihrem Bestand bedroht s<strong>in</strong>d. Die Rauhfußhühnerkönnen als Beispiel angeführt werden. Konflikte mit der touristischen Nutzung undwirtschaftlichen Entwicklungen können sich hierbei ergeben.Bei all den genannten Problemen kommt dem Lebensraum e<strong>in</strong>e Schlüsselrollezu. Wo welche Wildarten <strong>in</strong> welcher Dichte leben können, wie der Austauschzwischen Teilpopulationen möglich ist, und wie das Wirkungsgefüge zwischenWildarten, Pflanzengesellschaften und dem Menschen aufgebaut ist, hängt <strong>in</strong>erster L<strong>in</strong>ie von der qualitativen Ausstattung des Wildtierlebensraumes ab.Da diese Probleme von gesellschaftlich zunehmender Bedeutung s<strong>in</strong>d, wird dieNotwendigkeit, tierökologische Daten <strong>in</strong> Planung und Betrieb von Landnutzungen(Straßenbau, Siedlung, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Jagd, Freizeitnutzungen,u.a.) zu <strong>in</strong>tegrieren, kaum mehr bestritten. Das komplexe System „Tierlebensraum“mit se<strong>in</strong>en Wechselwirkungen erfordert aber e<strong>in</strong>e umfassende und ganzheitlicheBetrachtung, das punktuelle Analysieren lokaler E<strong>in</strong>zelkomponenten reicht nichtaus.Daher wurde vom Arbeitsbereich Wildökologie der <strong>Forstliche</strong>n <strong>Versuchs</strong>- undForschungsanstalt das „Lebensraumsystem für Wildtiere <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg“entwickelt. Wildtiere „leben“ nicht nur auf Korridoren oder Bewegungsachsen,sondern sie nutzen spezifische Teile der Landschaft als Lebensraum. Der


40Lebensraum selbst muss auf verschiedenen räumlichen und zeitlichen Ebenenbetrachtet werden.Die Berücksichtung verschiedener Maßstabsebenen ergibt sich aus derNotwendigkeit, naturräumliche, wildtierbiologische und kulturlandschaftsbed<strong>in</strong>gteFaktoren des Überlebens e<strong>in</strong>er Art mit denjenigen des konkretenAufenthaltsraumes zu bestimmten Tages- und Jahrezeiten zu verb<strong>in</strong>den. Je nachArbeitsmaßstab ergibt sich auch e<strong>in</strong>e unterschiedliche landschaftsanalytischeMethodik.Auf der lokalen Ebene, <strong>in</strong> der Forstwirtschaft diejenige des Waldbestands,werden Wildtiere beobachtet und spezifische Habitatrequisiten angesprochen.Ferner greifen auf dieser Ebene Bewirtschaftungsmaßnahmen (SUCHANT 2001)Von daher s<strong>in</strong>d auf dieser Ebene Habitatstrukturen von großer Bedeutung.Maßnahmen zur Förderung e<strong>in</strong>es landschaftlich tragfähigen undüberlebensfähigen Wildtierbestands s<strong>in</strong>d aber nur dann erfolgreich und nachhaltig,wenn die aktuellen und potenziellen landschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen (Klima,Nahrungsangebot, etc.) gegeben s<strong>in</strong>d. Für ausgewählte Wildtierarten wurde dazuauf der regionalen Ebene das landschaftsökologische Lebensraumpotenzial(LÖLP) tierartenspezifisch hergeleitet (SUCHANT 2000). Die Auswertungen aufregionaler Ebene zeigten auf, dass <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg unterschiedlicheregionale Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für die Wildtierbewirtschaftung existieren. DemLÖLP für e<strong>in</strong>zelne Wildtierarten wurde daher e<strong>in</strong>e Typisierunglandschaftsökologischer Rahmenbed<strong>in</strong>gungen vorangestellt, die nichttierartenspezifisch die landschaftsökologischen Bed<strong>in</strong>gungen unterwildökologischen Aspekten typisieren (Wildtierökologische Landschaftstypen;BARITZ und SUCHANT 2001).In diesen Kontext s<strong>in</strong>d die ermittelten Wanderkorridore für Wildtiere zunächste<strong>in</strong>zuordnen. Bezogen auf die im Lebensraumsystem def<strong>in</strong>iertenBetrachtungsebenen g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> dem Projekt um die Ermittlung der überregionalbedeutsamen Bewegungsachsen der Wildtiere. Zunächst sollte das <strong>in</strong> unsererLandschaft noch vorhandene Potenzial an „Autobahnen für Wildtiere“ ermitteltwerden. Die Ergebnisse dürfen nicht dah<strong>in</strong>gehend falsch <strong>in</strong>terpretiert werden, dasssich Wildtiere ausschließlich auf den ermittelten Korridoren bewegen. E<strong>in</strong>e solcheAnwendung würde dem Komplex von E<strong>in</strong>flussfaktoren, die die Dispersion vonWildtieren bee<strong>in</strong>flussen (Populationsdynamik, Tradition, Genetische Steuerung,Jagd, Störungen u.a.), nicht gerecht werden. Der Modellansatz geht vielmehr vondem Potenzial aus, das die Landschaft für großräumige Wanderbewegungen vonWildtieren heute noch bietet. Es werden die Bereiche aufgezeigt, die <strong>in</strong> derheutigen Kulturlandschaft für großräumig wandernde Tierarten bezogen auf denLebensraum relativ günstiger s<strong>in</strong>d, als die übrigen Flächen. Der Modellansatz darfnicht angewandt werden für kle<strong>in</strong>räumige Wechsel, beispielsweise zwischenTages- und Nachte<strong>in</strong>stand. Hierfür s<strong>in</strong>d weniger die landschaftsökologischenBed<strong>in</strong>gungen, als vielmehr die lokalen Habitatstrukturen h<strong>in</strong>sichtlich Nahrungs- undDeckungsangebot entscheidend.


Das ermittelte Potenzial an Bewegungsachsen bietet neben der re<strong>in</strong>wildtierbezogenen Anwendung zahlreiche Möglichkeiten des Gebrauchs. Für e<strong>in</strong>enüberregionalen Biotopverbund, wie ihn das Bundesnaturschutzgesetz fordert,könnten die Untersuchungsergebnisse e<strong>in</strong>e objektive und nachvollziehbareGrundlage liefern. Dabei geht es auch hierbei nicht darum, die tatsächlichengroßräumigen Bewegungen von Pflanzen- und Tierarten „aufzufangen“, sonderndarum, das Potenzial der Landschaft für solche Bewegungen zu erfassen,Schwachstellen aufzuzeigen und wo möglich und f<strong>in</strong>anzierbar auszugleichen.Beispielsweise könnten die vorgelegten Ergebnisse dah<strong>in</strong>gehend angewandtwerden, dass für ausgewählte Zielarten überprüft wird, <strong>in</strong>wieweit das vorliegende,theoretisch hergeleitete Potenzial für tatsächlich stattf<strong>in</strong>dende Wanderbewegungenausreichend ist.Ganz besonders wichtig s<strong>in</strong>d die Ergebnisse für die Anwendung <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>griffsundRegionalplanung. Beim Neu- und Umbau von Straßen und Schienen könnenjetzt nicht nur lokale Umweltbelange berücksichtigt werden, die im Rahmen vonUmweltverträglichkeitsuntersuchungen beurteilt werden. Die überregionalbedeutsamen Bewegungsachsen von Wildtieren können mit den Projektresultatenlokalisiert und bei der Planung entsprechend <strong>in</strong>tegriert werden. Dies kann nebender Streckenführung (Tunnel, Brücken) auch über die Anlage von Querungshilfen(Grünbrücken, Unterführungen) geschehen. Die damit verbundenen, teilweiseerheblichen Kosten können dadurch optimiert e<strong>in</strong>gesetzt werden. Allerd<strong>in</strong>gs ist diegenaue Lage von Querungshilfen nicht direkt aus den vorliegenden Ergebnissenableitbar. Hierfür s<strong>in</strong>d detaillierte Untersuchungen mit genauer Auflösungnotwendig, die sich jedoch jetzt an den vorliegenden überregionalen Ergebnissenorientieren können. Die Bedeutung von <strong>Wildtierkorridore</strong>n unter Gesichtspunktender Raumplanung und praktischen Umsetzung bezieht sich aber nicht nur auf„Zerschneidungselemente“ wie Straßen und Schienen. Vielmehr könnten diegroßräumigen Bewegungsachsen für Wildtiere als e<strong>in</strong> Ansatzpunkt gesehenwerden, um „grüne Bänder“ <strong>in</strong> der Landschaft zu erhalten und zu entwickeln. Dieumfangreichen Maßnahmen der 70er und 80er Jahre zur Schaffung und Erhaltunge<strong>in</strong>es Biotopverbundes (Gestaltung von Feldra<strong>in</strong>en, Feldgehölzen,Bachrandgestaltung etc.), die vielfach aufgrund der zu kle<strong>in</strong>en Flächenansätze und–bezüge nicht sehr effizient waren, könnten damit gezielt und größeräumigwirksam weiterentwickelt werden. Gerade im landwirtschaftlichen Bereich bietensich hierbei viele Ansatzpunkte zur Erhöhung der Durchlässigkeit der Landschaft.Für das Wildtier-Management <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg s<strong>in</strong>d neue und wichtigeGrundlagen geschaffen. Nur <strong>in</strong> Teilbereichen vorkommende Wildarten (Rotwild,Gamswild) können h<strong>in</strong>sichtlich der Austauschmöglichkeiten zwischen denSubpopulationen besser beurteilt werden. Konsequenzen für die Bejagung könnengezogen werden. Die auf den Bewegungsachsen stattf<strong>in</strong>dende Dispersion derTierarten sollte beispielsweise durch Bejagung nicht grundsätzlich verh<strong>in</strong>dertwerden. Über Grünbrücken oder andere Querungshilfen wechselndes Wild solltenicht im Nahbereich dieser Schlüsselstellen für Wanderbewegungen bejagt41


42werden. Aber auch für flächendeckend vorkommende Wildarten, wie Schwarz- undRehwild, bieten die Projektergebnisse <strong>in</strong>teressante Anwendungsmöglichkeiten.Beispielsweise können Wildunfälle (<strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg jährlich > 20 000!)besser analysiert werden. Ursachen für Wildunfälle, die mit Wanderbewegungenzusammenhängen, können entsprechend ermittelt und durch entsprechendeMaßnahmen (Querungshilfen, Wildwechselwarnanlagen, Lebensraumgestaltungetc.) beseitigt werden.Die großräumig noch <strong>in</strong>takten Bewegungsachsen für Wildtiere können auch alsBestandteil <strong>in</strong>ternational e<strong>in</strong>heitlich begründeter Netzwerke angesehen werden.Gerade für <strong>Baden</strong>-Württemberg ist e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung durch die Oberrhe<strong>in</strong>ebenenach Frankreich und über den Hochrhe<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Schweiz von europäischerBedeutung. Ob es für sich neu ausbreitende oder e<strong>in</strong>wandernde Tierarten (wiebeispielsweise den Luchs oder Biber) ist oder zur Schaffung von „grünen Bändern“<strong>in</strong> durch Intensivlandwirtschaft und Siedlungen ausgeräumten Landschaften –<strong>Wildtierkorridore</strong> können e<strong>in</strong>en ersten und direkt umsetzbaren Ansatzpunkt zurEntschneidung der Landschaft bieten.Voraussetzung für die genannten, <strong>in</strong> verschiedensten Bereichen praktikablenAnwendungsmöglichkeiten ist e<strong>in</strong> Konsens der unterschiedlichenInteressenverbände und Verwaltungen über die <strong>in</strong> dem Projekt erarbeitetenErgebnisse. Nur wenn der theoretische Ansatz der Ermittlung e<strong>in</strong>esLandschaftspotenzials für Wanderbewegungen übere<strong>in</strong>stimmend akzeptiert wird,können zeitnah Maßnahmen zur Erhaltung und Schaffung von „grünen Bändern“und zur Entschneidung der fragmentierten Landschaft entwickelt und umgesetztwerden.Daher sollen die Projektergebnisse zunächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Expertentagung am 23.Oktober 2003 vorgestellt und diskutiert werden. Weitergehend ist geplant,schrittweise e<strong>in</strong>en Konsens über das gewählte Vorgehen und die erzieltenErgebnisse aufzubauen. Hierzu s<strong>in</strong>d weitere E<strong>in</strong>zelgespräche , Workshops undTagungen notwendig. Gleichzeitig sollte die angewandte Methode weiterentwickelt,verfe<strong>in</strong>ert und durch verschiedene Formen der Validierung (Tierartenbezug,Landschaftsbezug) optimiert werden. Hierzu ist unter anderem zwischen der FVA<strong>in</strong> Freiburg (<strong>Baden</strong>-Württemberg) und der FAWF <strong>in</strong> Trippstadt (Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz)e<strong>in</strong>e Kooperation zum Thema „<strong>Wildtierkorridore</strong> <strong>in</strong> Südwestdeutschland“ <strong>in</strong> Forme<strong>in</strong>er Pilotstudie für e<strong>in</strong> überregionales Verbundsystem vorbereitet. In e<strong>in</strong>erdeutschlandweiten Kooperation zusammen mit dem DeutschenJagdschutzverband und dem Bundesamt für Naturschutz werden dieProjektergebnisse auch <strong>in</strong> Überlegungen zu bundesweiten Wanderkorridorene<strong>in</strong>fließen. Das Thema „Wildunfälle“ wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesonderten Projekt weiterbearbeitet. Ziel dieser Untersuchung ist es, mit e<strong>in</strong>em vollkommen neuenmethodischen Ansatz unter E<strong>in</strong>satz verschiedener GIS-Technologien undbesonderer Berücksichtigung der landschaftsökologischen Bed<strong>in</strong>gungen, dieParameter, die ursächlich zum Konflikt Wildtier-Straßenverkehr führen, zuanalysieren und zu gewichten (vgl . Abbildung). In e<strong>in</strong>em weiteren Projekt wird e<strong>in</strong>e


genauere Analyse der „Verbreitung des Rotwildes <strong>in</strong> <strong>Baden</strong>-Württemberg“ sowohl<strong>in</strong>nerhalb, als auch außerhalb der Rotwildgebiete durchgeführt. Zusammen mitPartnern aus der Schweiz soll der grenzüberschreitende Verbund am Hochrhe<strong>in</strong>als Grundlage für die praktische Umsetzung von Gestaltungsmaßnahmen von<strong>Wildtierkorridore</strong>n näher untersucht werden.43


44LITERATURBaritz, R. und Suchant, R. (2001): Wildtierökologische Landschaftstypen <strong>in</strong><strong>Baden</strong>-Württemberg. FVA-Forschungstage 5. und 6. Juli 2001, Freiburg i. Br.Clevenger, A. P. und Wierzchowski, J. (2001): GIS-Based Model<strong>in</strong>g Approachesto Identify Mitigation Placements Along Roads. The International Conference onEcology & Transportation 2001. S. 134-148.Corsi, F., Dupré, E. und Boitani, L. (1999): A large scale model of wolfdistribution <strong>in</strong> Italy for conservation plann<strong>in</strong>g. Conservation Biology 13, S. 150-159.Craighead, A. C., Roberts, E. A. und Craighead, F. L. Bozeman Pass WildlifeL<strong>in</strong>kage and Highway Safety Study (2001): Report Craighead EnvironmentalResearch Institute.Cramer, P. C. und Portier, K. M. (2001): Model<strong>in</strong>g Florida panther movements <strong>in</strong>response to human attributes of the landscape and ecological sett<strong>in</strong>gs. EcologicalModel<strong>in</strong>g 140, S. 51-80.Crooks, K. R. (2002): Relative sensitivities of mammalian carnivores to habitatfragmentation. Conservation Biology 16, S. 488-502.Georgii, B. (2001): Defizite von Umweltverträglichkeitsstudie undLandschaftspflegerischem Begleitplan - vom Blick über denStrassenrand h<strong>in</strong>aus. In'E<strong>in</strong> Brückenschlag für Wildtiere'. (Hrsg.: C.-P. Hutter, E. Jauch und F.-G. L<strong>in</strong>k.Akademie für Natur- und Umweltschutz (Umweltakademie): Stuttgart. S. 61-74.Hanski, I. und Gilp<strong>in</strong>, M. (1991): Metapopulation dynamics: brief history andconceptual doma<strong>in</strong>. Biological Journal of the L<strong>in</strong>nean Society 42, S. 413-430.Herzog, A. (1995): Zur genetischen Struktur isolierter Rotwildpopulationen.Schriftenreihe Landesjagdverband Bayern 1, S. 13-32.Holzgang, O., Pfister, H. P., Heynen, D., Blant, M., Righetti, A., Berthoud, G.,Marchesi, P., Maddalena, T., Müri, H., Wendelspiess, M., Dändliker, G., Mollet, P.und Bornhauser-Sieber, U. (2001): Korridore für Wildtiere <strong>in</strong> der Schweiz. 326.Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL),SchweizerischeGesellschaft für Wildtierbiologie (SGW) & Schweizerische Vogelwarte Sempach.Schriftenreihe Umwelt. S. 1-116.


45Jacobs, H. (2001): Abschlussbericht zur Erstellung e<strong>in</strong>er Landnutzungskarte<strong>Baden</strong>-Württemberg auf der Basis von Satellitenbildern. Unveröff. Bericht.Knauer, F. (2001): Dispersal and expansion of brown bears <strong>in</strong> the Eastern Alps.Dissertation Technische Universität München. 92 S.Krüger, U. (2001): Die grossräumige und systematische Aufhebung vonLebensraumzerschneidungen - e<strong>in</strong>e realistische Forderung des Naturschutzes? In'E<strong>in</strong> Brückenschlag für Wildtiere'. (C.-P. Hutter, E. Jauch und F.-G. L<strong>in</strong>kEds. ).Akademie für Natur- und Umweltschutz (Umweltakademie): Stuttgart. S. 15-42.Moss, D. und Davies, C. E. (2002): Cross-references between the EUNIS habitatclassification and the nomenclature of CORINE Land Cover. EuropeanEnvironment Agency. European Topic Centre on Nature Protection andBiodiversity. 21 S.Müri, H. (1999): Veränderungen im Dispersal von Rehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er starkfragmentierten Landschaft. Zeitschrift für Ökologie und Naturschutz 8.Pfister, H. P., Keller, V., Reck, H. und Georgii, B. (1997): Bio-ökologischeWirksamkeit von Grünbrücken über Verkehrswege. Bundesm<strong>in</strong>isterium für Verkehrund M<strong>in</strong>isterien für Verkehr, für Umwelt und für Ländlichen Raum <strong>Baden</strong>-Württemberg.Schadt, S., Knauer, F., Kaczensky, P., Revilla, E., Wiegand, T. und Trepl, L.(2002): Rule-based assessment of suitable habitat and patch connectivity for theEurasian lynx. Ecological Applications.Schumacher, A. und Schumacher, J. (2002): Was ändert sich durch das neueBundesnaturschutzgesetz? Natur und Landschaftsplanung 34. S. 218-219.Stre<strong>in</strong>, M., Müller, U. und Suchant, R. (2003): Artunspezifische Modellierung e<strong>in</strong>erKorridor-Potenzial-Karte für Mitteleuropa - Methodik und erste Ergebnisse e<strong>in</strong>erlandschaftsökologischen GIS-Analyse auf Basis von CORINE-Rasterdaten. Naturund Landschaftsplanung 35. Im Druck.Suchant, R. (2001): Die Entwicklung e<strong>in</strong>es mehrdimensionalen Habitatmodells fürAuerhuhnareale (Tetrao urogallus L.) als Grundlage für die Integration vonDiversität <strong>in</strong> die Waldbaupraxis. Dissertation Universität Freiburg i.Br. 350 S.Suchant, R. und Baritz, R. (2001): Das Lebensraumsystem für Wildtiere <strong>in</strong><strong>Baden</strong>-Württemberg. In: E<strong>in</strong> Brückenschlag für Wildtiere. Beiträge der Akademiefür Natur- und Umweltschutz <strong>Baden</strong>-Württemberg (M<strong>in</strong>isterium für Umwelt undVerkehr <strong>Baden</strong>-Württemberg, Hrsg.) 30. S. 109 – 132.


46Suchant, R.; Baritz, R.; Braunisch, V. (2003): Wildlife Habitat analysis: amultidimensional habitat management model. Journal for Nature Conservation 10.S. 253 –268.Taguchi, G. und Jugulum, R. (2002): The Mahalanobis-Taguchi Strategy. JohnWiley & Sons.Wagenknecht, E. (1996): Der Rothirsch. Westarp Wissenschaften: Magdeburg.Walker, R. und Craighead, L. (1997): Analyz<strong>in</strong>g wildlife movement corridors <strong>in</strong>Montana us<strong>in</strong>g GIS. ESRI User Conference 1997. 18 S.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!