AUF DER GLOCKNERSTRASSEund so entlud sich besonders auf diekommunistische Hetze hin das ganzeGewitter über den Seelsorger. Auf demWege konnte ich die verschiedenstenBemerkungen hören: „Wenn ich densehe, da habe ich schon gefressen, einenPfaffen haben sie uns gegeben, wir wollenlieber einen Arzt...“ Meinem Mesner,der mich zufällig begleitete, schrie manzu: „Was bringst Du keinen Doktor?Der Pfaff will ihn jetzt in den Himmelhinaufsalben.“ Bei der Trauerkundgebungund dann abends bei der Betriebsversammlungging es sehr wüst gegendie Ingenieure, die man Arbeitermördernannte, und auch gegen den Seelsorgerlos: „Arzt wollen wir, wir brauchenkeinen Pfarrer!“... wird zu AkzeptanzFreilich ist der Widerstand dem Seelsorgergegenüber gebrochen, wenn sieihn näher kennengelernt und vielleichtauch, weil dieser bei der Beerdigung desersten Opfers in der Grabrede daraufhingewiesen hat, daß die Angehörigenals erste Frage gestellt haben: „Ob derMatthias versehen worden ist?“ und daßman oft nicht weiß, ob nicht der Sterbendegerade im Sakramentenempfangden größten Trost erhält.Am Christi Himmelfahrtstag (Arbeitstag)ereignete sich der zweite tödlicheUnglücksfall. Einen Säger traf beimSäumen von Brettern mit der Kreissägeein Holzstück an der Brust, wobei er soschwere innere Verletzungen erlitt, daßer starb. Ich hielt gerade Gottesdienst,als ich unmittelbar nach der Wandlungverständigt wurde, worauf ich sofortunterbrach, hineilte und den Unglücklichennoch versehen konnte. Zur Kapellezurückgekehrt, vollendete ich das heiligeOpfer. Seit damals wurde ich immergleich geholt und habe nichts Unangenehmeserfahren. Im Gegenteil, nachder Arbeit kam einmal ein alter Baraber,überall bekannt und beliebt wie kaumein zweiter bei Arbeitskollegen undVorgesetzten, spontan zu mir, um mirgleichsam Abbitte zu leisten wegen derVorfälle beim Versehgang: „Das habendumme und unerfahrene Buben gemacht.Ein echter Baraber tut das nicht. Wiewir mit Krampen und Schaufel arbeiten,so haben auch Sie Ihren Dienst.“Zur Religion kaum ZugangAuf rein religiösem Gebiet war denArbeitern bis jetzt schwer beizukommen.Vielleicht ist und kann auch dasnicht der primäre Zweck meiner Missionsein. Verschiedene Voraussetzungenmüssen zuerst geschaffen werdenund sind zum Teil erreicht. Vor allem istdie anfänglich vorherrschende gegnerischeStimmung, wie sie sich oft unangenehmäußerte, geschwunden durch denKontakt mit dem Priester. Man triffteinander in den Baracken, Kantinen, aufden Arbeitsstellen und spricht miteinander;der Priester lebt mitten unter ihnenund mit ihnen, teilt Freude und Leid,und so erkennen sie, daß er nicht das ist,was Gegner aus ihm machen. Mir persönlichist die Mehrheit der Arbeiterjetzt gut gesinnt, grüßt freundlich. Abervon dieser persönlichen Sympathie zueiner der Sache gegenüber, die der Priestervertritt, ist es noch ein weiter Weg.„Unser Pfarrer ist ein fesches Haus,ein echter Baraberpfarrer, der uns ver-steht... aber“ und dann wissen sie so vielüber die kapitalistische Einstellung undArbeiterfeindlichkeit der Kirche, überderen Reichtum zu reden, daß sie vonder Lehre Jesu abgewichen sei, vondiesen und jenen Geistlichen, insbesondersvon Dr. Seipel, und vielesandere und wollen von der Kirche nichtswissen. In meiner hiesigen Tätigkeit habeich so recht klar erkannt und bitter empfunden,daß der Einfluß der Kirche undReligion auf die Mehrzahl dieser Arbeiterfast Null ist. Keine religiöse Überzeugung,noch weniger religiöse Betätigungist vorhanden. Intimere Gesprächegelegentlich haben ergeben, daß beivielen das Vaterunsergebet in Vergessenheitgeraten ist. Bei der heiligen Messesind viele schon jahrelang nicht gewesen.Erst jüngst hat mir ein alter Baraber,sonst ein guter Kerl, gestanden, daß erdas letzte Mal vor vielen Jahren anläßlichseiner Hochzeit in der Kirche gewesenist. Für die elementarsten Begriffeder Übernatur fehlt jedes Verständnis.Die Nachricht, daß ein Priester als Seelsorgerden Bau mitmachen wird, wurdeals Witz aufgefaßt.Lichtblick und HoffnungDie Arbeit, so romantisch sie nachaußen aussieht, ist recht schwierig. Docherlebe ich auch manche Freuden, vondenen wohl die Aufnahme eines früherabgefallenen Betriebsrates in die katholischeKirche eine der größten war.Hoffentlich wird sich die übernatürlicheSeite des priesterlichen Amtes, diesich bis jetzt leider nicht auswirken konnte,in Zukunft stärker entfalten können.(aus: Kalas.bl., 44.Jg./1931, S.129-132)P. Stiletz: Unter meinen Leuten sind vier Gruppen zu unterscheidenDie „Baraber“: Das sind Bauarbeiter, die seit Jahren und Jahrzehnten bei Straßen-, Berg-,Tunnel-, Kanal- und Bahnbauten tätig sind - ohne Heimat und Tradition, ohne Besitz und sichereLebensstellung. Sie walzen von einem Bau zum anderen („Unser Beruf ist im Sommer zuarbeiten, im Winter das Betteln.“) - Menschen mit rauhem Äußeren, aber mit einem guten Kern.Sie spielen und trinken gern, manchmal des Guten viel zu viel, sodaß der Verdienst draufgeht;arm, wie sie gekommen, verlassen sie den Bau, obwohl es nicht so sein müßte. Zwar sind sie nichtreligiös gesinnt und noch weniger praktizierend, aber doch auch keine Religionsgegner oder garHetzer. Nie verspotten oder schikanieren sie andere wegen religiöser Betätigung. „Religionmuß sein - wie die Gendarmerie, sonst würde es drunter und drüber gehen“, haben sie mir erklärt.Überrascht hat mich die Tatsache, daß ich unter den Barabern eine große Verehrung der heiligenBarbara gefunden habe. So mancher trägt ihre Medaille bei sich.Die „Organisierten“: Dann gibt es Straßenbauarbeiter, die, verschiedenen Berufen angehörend,vom Arbeitslosenamt heraufdirigiert werden. Sie zeigen sich in der Mehrheit religiös22