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Cop Culture – Der Alltag des Gewaltmonopols - Betrifft Justiz

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272Sicherheit<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ Nr. 69 • März 2002<strong>Cop</strong> <strong>Culture</strong> <strong>–</strong> <strong>Der</strong> <strong>Alltag</strong> <strong>des</strong> <strong>Gewaltmonopols</strong>Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur in der Polizei 1von Rafael BehrStaatliche Herrschaft ist auf der Ebeneihres praktischen Vollzugs ein oft uneindeutigesHandlungsgeflecht,<strong>des</strong>sen Verlauf man nicht deterministischbestimmen kann, wann esvon dem man aber immer genug istmehr Bedingungen seines Zustandekommenskennen kann. Das hatmich zu der Untersuchung über den„<strong>Alltag</strong> <strong>des</strong> <strong>Gewaltmonopols</strong>“ gebracht.Viele Menschen haben keine oder einehöchst einseitige bzw. singuläre eigeneErfahrung mit der Polizei, dementsprechendwenig weiß die Öffentlichkeitauch von den komplexen Handlungsbedingungenim Polizeialltag. Auch in derdeutschen Polizeiforschung ist das Wissenum die Handlungsstrategien vonPolizeibeamtinnen und Polizeibeamtendurchaus noch ausbaufähig 2 .In meiner Arbeit wird deutlich, dass sichhinter der offiziellen Rahmung der Polizeinoch andere Welten mit anderenWirklichkeitskonstruktionen verbergen.Bürokratieförmigkeit wäre die Kulisse,die Kultur(en) in der Polizei das, was dahinterist. <strong>Der</strong> Einblick in das Innen- und<strong>Alltag</strong>sleben der Organisation soll mitdazu beitragen, den Mythos Innere Sicherheit(Gössner 1995) zu entmystifizierenbzw. die abstrakte Organisation(die von manchen auch „Apparat“ genanntwird) in nachvollziehbare Handlungenzu übersetzen.Die Untersuchung verbindet StrukturundHandlungsebene der Polizei überdie Beschreibung der kulturellen Handlungsmustervon Polizisten und derbürokratischen Verwaltung <strong>des</strong> <strong>Gewaltmonopols</strong>3 . Hier gibt es noch viele offeneFragen, ich nehme an dieser Stellenur zwei davon exemplarisch heraus:1. Im Gesetz scheint genau geregelt zusein, was die Polizei zu tun hat, schonnicht mehr so genau geregelt ist die Frage,wie sie es zu tun hat. Historisch undWo lernt man,politisch gesehen ist die Aufgabenwahrnehmungder Polizei jedoch höchst abhängigvon politischen Interessen undDurchsetzungsmöglichkeiten. In den Erzählungenvon Polizisten wird dieZuständigkeitsfrage übersetztund präzisiert. Hierbei spielenVorstellungen von Stärke, Durchsetzungsvermögenund vonMännlichkeit eine entscheidende Rolle.Nun wäre zu vermuten, dass es im Zuge<strong>des</strong> Anstiegs der Frauenquote in der Polizeiauch zu einer Veränderung vonKonflikt- und Handlungsstrategienkommt. Dem wurde jedoch bislang wedertheoretisch noch empirisch fundiertnachgegangen 4 .2. Die praktischen Interventionen musstenPolizisten schon immer woanderslernen als die Theorie. So wird z.B. dieFrage, wann es genug ist (zum Beispielmit dem Grad der Schmerzzufügungbeim sog. Armhebel) nicht in der Polizeischulebehandelt, sondern auf dem Polizeirevieroder im Streifenwagen odersonst an einem Ort <strong>des</strong> Praktischwerdens<strong>des</strong> <strong>Gewaltmonopols</strong> 5 . Polizistenlernen ihr „Handwerk“ in konkreten Situationen.Dies wird, so scheint mir, inder Beschäftigung mit Polizei zu wenigberücksichtigt, gerade wenn es um dieFrage nach einer „guten“ Polizeiarbeitgeht.Ausgangspunkte meiner Untersuchungwaren die Erzählungen von Polizistenund die Beobachtung ihres <strong>Alltag</strong>s.Wenn Polizisten von ihremBeruf erzählen, dann stellensie in den Geschichten oderErlebnissen nicht nur einStück von sich selbst dar,sondern auch etwas von der Institutionsgeschichteund von der Organisationskultur.In den Erzählungen geht esvornehmlich um die Bewältigung <strong>des</strong>Polizeialltags, es geht aber auch um dienormativen Grundlagen <strong>des</strong> eigenen... eine Ordnung vonMännlichkeiten istsehr nützlich ...Handelns (also darum, wie und warumman die Dinge tut).Da ich den Handlungskontext von Polizistennicht in der Konstellation Recht/Unrecht bzw. Konformität/Abweichunganordnete, ergab sich bald ein neuerBlick auf die normativen Grundlagen fürpolizeiliches Handeln, es fielen mir z.B.bestimmte Männlichkeitsmuster auf, dieich so durchgängig vorfand, dass ich siefür konstitutive Elemente der Binnenkohäsionder Polizei erachte (es gehtaber nicht um real existierende Männer,sondern um die kulturelle Bedeutungvon Männerbildern für den Polizeiberuf).Diese Auseinandersetzung mündeteschließlich in der Frage nach den Parallelen,genauer gesagt, den Interdependenzenund Interferenzen von staatlicher(bürokratischer) Herrschaft und denHandlungsmustern von Polizisten. Siewird fortgesetzt in der Auseinandersetzungum eine Polizeikultur und ihrer alltagspraktischenEntgegensetzung, dieich, in Anlehnung an den amerikanischenTerminus <strong>Cop</strong> <strong>Culture</strong>, Polizistenkulturnenne.Die theoretischen Grundlagen zum Verständnisvon Männlichkeit und Bürokratiebilden die Begriffe bürokratischeHerrschaft (Max Weber), Patriarchat(Heinz Steinert) und hegemonic masculinities(Robert Connell).Männlichkeitskonstruktionenund Polizistenkultur beziehensich wechselseitigaufeinander, und obwohl die<strong>Cop</strong> <strong>Culture</strong> für die gesamteOrganisation prägend sein dürfte, gilt sienicht für alle Hierarchieebenen in gleichemMaße. Deshalb arbeite ich mitdem Begriff der Subkultur 6 , mit dem esmeiner Ansicht nach am besten gelingtaufzuzeigen, dass es sich bei der Polizei


<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ Nr. 69 • März 2002Sicherheit273um eine hoch segmentierte Organisationhandelt, die keine eindeutigen Grenzen,aber auch keine einheitliche Kultur besitzt.Für die Polizei scheint mir eine Ordnungvon Männlichkeiten sehr nützlich zusein, denn immerhin lassen sich Innovations-und Beharrungsvermögen einerOrganisation auch an ihren kulturelldurchsetzungsfähigen Verhaltensmusternbestimmen. Angelehnt an dasKonzept der hegemonic masculinitiesvon Connell (1995), habe ich hegemoniale(also kulturell dominierende),(quantitativ) vorherrschende und abweichendeMännlichkeiten unterschieden,wobei ich die Abweichung nochmals ineine integrationsfähige und eine separierendeDifferenz unterteile. Die Kategorisierungdiente mir als Entwurf einerMännlichkeitstypologie für die Polizei.Sie beginnt mit der Krieger-Männlichkeitund wird fortgeführt mit der Schutz-Männlichkeit. Diese Typen deuten unterschiedlicheZugänge und Berufsverständnissean, auch der dritte Typus, der<strong>des</strong> unauffälligen Aufsteigers, steht eherfür die Gruppe derer, denen die Teilhabean der Organisationsmacht (also die eigeneKarriere) wichtig ist. Um zu zeigen,dass es in der Kultur der Polizisten sehrwohl eine differenzierte Wahrnehmungvon Andersartigkeit gibt, habe ich Homosexualitätals Beispiel für eine Abweichunggewählt, die unter bestimmtenUmständen integrationsfähig ist.Das Männlichkeitsmodell, das sich amintensivsten mit Fragen nach dem richtigenHandeln auseinandersetzt bzw. dieethische Frage <strong>des</strong> Polizeiberufs amstärksten hinterfragt, fasse ich in demTypus <strong>des</strong> Idealisten zusammen. Um zubetonen, dass sich dieser Idealismus anzentralen Stellen von den Vorstellungenanderer Polizisten abhebt, nenne ich ihnfalschen Idealismus. <strong>Der</strong> Ausdruck sollunterstreichen, dass die Moral vieleridealistischer Polizisten durchaus universellenWerten verpflichtet sein kann,dann aber Gefahr läuft, von den jeweiligenPartikularnormen der umgebendenGruppe abzuweichen (im beschriebenenFall war es eine Gruppe einer Beweissicherungs-und Festnahmeeinheit [BFE]der Hessischen Bereitschaftspolizei).Das Wort falsch bezieht sich auf die Normengeltungder direkten sozialen Umgebung.Falsch wäre richtig in Bezug aufdie Menschenrechte oder die Werte vonamnesty international oder in Bezug aufdie Werteordnung vieler anderer Polizistenund auf die Leitbilder der Polizei.Richtig ist aber falsch, wenn Krieger-Männlichkeiten unterwegs sind, die inabgeschotteten Gruppen eigene Gerechtigkeitsvorstellungenentwickelnund deren Geltung durchsetzen wollen.Falscher Idealismus ist keine bloß additiveHaltung (wie sie z.B. homosexuellePolizisten und Polizistinnen für sich reklamieren),sondern eine, die andereausschließt und für sich einen ethischhöherstehenden Geltungsanspruch erhebt.Am Fallbeispiel <strong>des</strong> falschen Idealistenwird im übrigen auch die Diskriminierungspraxisinnerhalb der informellenSozialbeziehungen in einer Organisationverdeutlicht. Nicht die konkrete Handlung,sondern die dahinter stehendemoralische Haltung erzeugt unter denKollegen Irritation und Aggression, diewiederum zur Distanzierung gegenüberdiesem Kollegen und zu seinem tendenziellenAusschluss aus der Gruppe führt.Für die Kollegen <strong>des</strong> „Moralisten“ steht<strong>des</strong>sen Verrat der Kameraden und dieAbweichung von der Gruppennorm imVordergrund. Sie konnten diese Haltungnicht, wie dies offiziell von der Polizeiführunggeschah, als Zivilcourageund als Beleg für die Selbstregulierungsfähigkeitder Polizei werten.Dieser Aspekt der Untersuchung ist fürdie Polizei vielleicht am schwierigsten zuverdauen, denn es konfrontiert sie miteinem Aspekt von Wirklichkeit, von derdie Verantwortlichen oft sagen,dass sie sich auf individuellePathologie (der sog.„schwarzen Schafe“) beschränkt.Nach meinen Ergebnissenist das nicht derFall, vielmehr richtet sich das Verständnisvon Abweichung und Konformitätnach den subkulturell gültigen Werten,nicht etwa nach „Recht und Gesetz“(das tut es oft genug auch noch, es istjedoch kein ausreichender Rahmen, umWertmaßstäbefür eine gutePolizei fehlenDurchbrechungen zu verhindern).Die Untersuchung zeigt, dass es nichtdie singulären Übergriffe sind, die, sozusagenals pathologischer Fehlschluss,von anderen Akten klar abgegrenzt werdenkönnen. Vielmehr verlaufen dieGrenzen fließend: Was eine gerechteStrafe und was eine Misshandlung ist,hängt z.T. von den subkulturellen Normenab. So gesehen sind Übergriffssituationenstets auch Vexierbilder <strong>des</strong>Polizeialltags: Was als korrekte Handlungbeginnt, kann schnell entgleiten ineinen Übergriff. Was auf der einen Seiteals korrekte Festnahme interpretiertwird, bei der vielleicht härter zugegriffenwerden musste, ist von der anderen Seiteaus betrachtet schon eine unverhältnismäßigeKörperverletzung. Was die einenals gerechte Bestrafung an Ort undStelle bezeichnen, ist für andere Selbstjustiz.Jenseits der Legaldefinitionen im Rechtexistieren keine allgemeinverbindlichennormativen Standards im Sinne vonWertmaßstäben für eine gute Polizei (i.S.einer guten Ordnung). Wenn Vorwürfewie Gewaltexzesse, Rassismus, Sexismus,Autoritarismus, Kameraderie,Mobbing, organisierte Kriminalität oderKorruption in der Polizei auftauchen,dann ist es zu wenig, dass alle Verantwortlichenerschreckt oder verstört versichern,es handele sich nur um Einzelfälle.Dies ist keine gute Voraussetzungfür eine souveräne Haltung gegenüberöffentlicher Kritik. Und lediglich von derÖffentlichkeit Verständnis für dieschwierige Arbeit der Polizei zu reklamieren,ist keine sehr sachbezogeneReaktion.Das Verhältnis zwischen den Handlungsmusternder Polizistenkultur undden Leitbildern aus der Polizeikulturbetrachte ich als ein prinzipiellesWiderspruchsverhältnis zwischenzwei Logiken in der Polizei:Für die bürokratische Organisationund die Publikumsorientierung<strong>des</strong> <strong>Gewaltmonopols</strong> erweisen sich dieaggressive Männlichkeit zwar insgesamtals obsolet bzw. dysfunktional, gleichwohlist sie für <strong>des</strong>sen Durchsetzung inbestimmten Konstellationen nützlichund notwendig.


274Sicherheit<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ Nr. 69 • März 2002Polizeikultur spielt eine Rolle als wertbezogeneAusgestaltung der Idee einerdemokratischen Verankerung staatlicherHerrschaft. Dies würde aber nicht funktionieren,wenn sie nicht durchbrochenbzw. gestützt würde durch nichtbürokratieförmigeHandlungsmuster derstreet cops (insbesondere deren Männlichkeitskonstruktionen,in denen Tugenden,wie z.B. Solidarität und Tapferkeit,vorkommen, oder deren Berufsehre, diesich in den Handlungsmustern ebenfallswiderspiegeln).Die Handlungsmuster der street copssind nicht immer und nicht notwendigerweisemenschenfreundlich und humanistischkorrekt. Allerdings sind viele alltagstauglicheRoutinen mit ihnen möglich,die Polizisten z.B. vor Überlastungschützen und die vielfältige Handlungenbeinhal-ten, die auf eine diffuse Nachfrageeine pragmatische Antwort geben,auch dort, wo es sich nicht um einestrikt polizeiliche Antwort handelt.In der direkten Gegenüberstellung derbeiden Kulturen in der Polizei wird deutlich,dass die Leitbilder der Polizeikulturzum einen der Selbstverständigung derPolizeiführung, zum anderen als Kommunikationsangebotmit der Öffentlichkeitdienen. Dagegen richten sich dieHandlungsmuster der <strong>Cop</strong> <strong>Culture</strong> ausschließlichan die (vornehmlich statusniedrigen)Mitglieder der eigenen Organisation,sie schöpft ihre Wirkung überwiegendaus den internen (subkulturellen)Werten.Polizeikultur und Polizistenkultur sindnicht direkt zu vergleichen. Gleichwohlhaben sie einige Berührungspunkte:• In beiden geht es auf der Makroebeneum Fragen der Ethikbzw. der Legitimation der InstitutionSicherheit und Ordnung,• auf der Mesoebene geht es inbeiden Kulturen um das Verhältnisder Polizisten untereinander und umdas Selbstverständnis der Organisation,• auf der Mikroebene geht es beiden umdie Beziehung <strong>des</strong> Einzelnen zu seinerAufgabe.Diese gemeinsamen Relevanzebenenwerden jedoch unterschiedlich ausgefüllt:• Auf der Institutionsebene vermittelnLeitbilder universelle Werte und eine offensive,demokratisch durchdrungeneBeziehung zur Öffentlichkeit. Dagegengrenzen sich Handlungsmuster geradevon dieser Grenzüberschreitung ab, sieführen einen Abwehrdiskurs, keinen Verständigungsdiskurs.• Auf der Organisationsebenefällt bei den Leitbildern derpositive und offensive Charakterauf, hier stehen Innovation,partnerschaftlicheKommunikation und wohlwollende (interdisziplinäre)Zusammenarbeit im Vordergrund.Die Handlungsmuster legendagegen nahe, sich nicht „in die Kartenschauen zu lassen“ und dafür zu sorgen,dass die Grenze zwischen dem verlässlichensozialen Nahraum und dem „Restder Welt“ sicher bleibt.• Auf der Handlungsebene wird von denLeitbildern ein freundlicher, unvoreingenommener,diplomatisch versierter,kommunikativer und ausgeglichenerMensch kreiert, der gerne mit anderenMenschen vorurteilsfrei zusammenkommt.Die Handlungsmuster legen nahe,die Klientel distanziert und skeptischzu betrachten, sich nicht naiv zu zeigenund sich vor der Gegenseite, so gut esgeht, zu schützen.Handlungsmuster und Leitbilder stehenjeweils als Grenzhüter zweier Grundverständnissebzw. zweier Handlungslogikenin der Polizei. Sie bewerten die Polizei(arbeit)von zwei unterschiedlichenPerspektiven aus und kommen <strong>des</strong>halbzu ziemlich disparaten Bewertungen dersozialen Wirklichkeit und der polizeilichenAufgabe: Währendsich Leitbilder danachrichten, was politischgewünscht unddementsprechend korrektist, orientieren sichdie Handlungsmuster eher nach denpraktischen Erfahrungen der streetcops.Polizeikultur undPolizistenkultur sindnicht zu vergleichenLeitbilder sindVision, HandlungsmusterRealitätDie Hauptkritik an den Leitbildern derPolizeikultur dürfte darin liegen, dassPolizisten ihren Beruf mit der dort nahegelegtenGrundhaltung nicht ausübenkönnten, zumin<strong>des</strong>t nicht in den gesellschaftlichprekären Handlungsfeldern.Nun schöpfen Leitbilder ihre visionäreKraft nicht aus dem Aspekt der konkretenZielvorgabe in dem Sinn, dass diesesZiel real erreicht werden sollte, sondernsie sind ein Idealtypus 7 , der so inder Wirklichkeit nicht vorfindbar ist und<strong>des</strong>sen Verwirklichung auchnicht intendiert ist. DieseKluft zwischen Realität undVision ist bislang noch nichtglaubwürdig geschlossen,was durchaus zur Sprachlosigkeitzwischen „Basis“ und „Überbau“in der Polizei beitragen dürfte.Etwas polemisch zugespitzt ist der Unterschiedzwischen Leitbildern undHandlungsmustern etwa so zu benennen:Leitbilder können publiziert werden,aber nicht das polizeiliche Handeln anleiten.Handlungsmuster dagegen leitendas polizeiliche Handeln an, könnenaber nicht publiziert werden.Wie ich an der Typologie der Krieger-Männlichkeit zu zeigen versuchte, bereitetaggressive Männlichkeit sich und anderendann Schwierigkeiten, wenn sieden Kontext verlässt, in dem Aggressivitätnoch erlaubt bzw. funktional erforderlichist.Umgekehrt partizipieren street cops davon,dass ihre Handlungsmuster von derOrganisation geduldet, bisweilen gefördertwerden. Ihr Bedürfnis nach Expressivitätwird durch die Bürokratie zwarkanalisiert und limitiert, aber immerhinals Erfahrung überhaupt erst ermöglicht.Das Potential an Kampfbereitschaft erfährtdurch die Rahmung „staatlichesGewaltmonopol“ durchaus eine normativeLegitimation.Die Frage, ob eine aggressive Männlichkeitin der Polizei selbst erst erzeugtoder lediglich kultiviert oder ausgenütztwird, ist nicht eindeutig zu beantworten.Bei der Variationsbreite der hier vorgestelltenMännlichkeiten ist jedoch eine lineareBeziehung zwischen aggressiverMännlichkeit und Polizei sicher nicht anzunehmen.Andererseits vollzieht sicheine Entwicklung hin zu pazifizierterenFormen von Männlichkeit ebenfalls nichtungebrochen. Denn immerhin bilden


276Sicherheit<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ Nr. 69 • März 2002Anmerkungen1 Die Arbeit wurde unter diesem Titel 1999 alsDissertation am Fachbereich Gesellschaftswissenschaftender Johann WolfgangGoethe-Universität Frankfurt am Main eingereichtund später unter dem Titel „<strong>Cop</strong> <strong>Culture</strong><strong>–</strong> der <strong>Alltag</strong> <strong>des</strong> <strong>Gewaltmonopols</strong>. Männlichkeit,Handlungsmuster und Kultur in derPolizei“ bei Leske+Budrich, Opladen 2000,veröffentlicht. Die hier vorfindbaren KapitelundSeitenangaben beziehen sich auf dieVeröffentlichung bei Leske+Budrich.2 Gleichwohl hat es in den jüngsten Vergangenheiteinige erfolgreiche Anstrengungengegeben, diese Leerstelle auszufüllen. Überden Stand der deutschen Polizeiforschunggibt es mittlerweile einige gute zusammenfassendeAufsätze, ich verweise insbesondereauf Kerner (1995) bzw. Ohlemacher (1999).3 Die Begriffe Gewaltmonopol und Bürokratiesind im alltagssprachlichen Gebrauch ehernegativ besetzt. Ich verwende sie jedoch alstechnische Begriffe, hier sehr im Sinne vonMax Weber. Die Bezeichnung Gewaltmonopolfindet sich bei ihm zwar nicht als Terminus(er spricht von Gewaltsamkeit oder physischemZwang), wohl aber inhaltlich in seinerStaatslehre: „Staat soll ein politischer Anstaltsbetriebheißen, wenn und insoweit seinVerwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimenphysischen Zwanges für die Durchführungder Ordnungen in Anspruch nimmt“(Weber 1985, 29, Hervorhebung im Original;vgl. auch S. 516 f.). Die Herausbildung <strong>des</strong>staatlichen <strong>Gewaltmonopols</strong> im Zuge derabendländischen Zivilisation findet sich imübrigen sehr materialreich beschrieben beiElias (1988, besonders 143-279 sowie 312-454).4 Eine von Bettina Franzke 1997 veröffentlichteArbeit weist mittelbar auf die Schwierigkeitenbei der Entwicklung einer plausiblen bzw.innovativen Forschungsperspektive im Zusammenhangmit der Geschlechterfrage hin,denn der Erkenntniszuwachs ihrer Untersuchungbleibt hinter ihrem Anspruch (einer lautUntertitel geschlechtsspezifischen Polizeiforschung)deutlich zurück.5 Diese Frage hat meine Untersuchung nachhaltiginspiriert. Sie steht als Metapher für dierealen Vollzüge im Polizeidienst. Sie kann abgewandeltwerden: Was reicht aus? Wann istdie Arbeit erfolgreich? Welcher Schmerzgenügt? Nur eigene oder die berichtete fremdeErfahrung, nicht aber die Theorie, gibt -gleichwohl nicht immer befriedigende <strong>–</strong> Antwortenauf diese Fragen.6 <strong>Der</strong> Subkulturbegriff wird mit sehr unterschiedlichentheoretischen Implikationen verwendet,<strong>des</strong>halb möchte ich kurz erläutern,auf welche Bedeutung von Subkultur ichmich beziehe. Hierzu schließe ich mich derArgumentation von Steinert (1989) an. SubkulturellerZusammenschluss findet sich historischsowohl als (ökonomische und intellektuellebzw. religiöse) Elitenbildung (z.B.<strong>des</strong> Bürgertums), aber auch als Form der Depriviertenkultur(z.B. der Boheme). Subkulturentsteht „nicht naturwüchsig, sondern als Ergebniseiner Politik, die auf Zusammenschlussund Anschluss gerichtet ist, eigenenund fremden. „Subkultur“ fungiert als Elitenzusammenschlussund als Selbstorganisationder Ausgeschlossenen. Sie ist Grundlagevon Herrschaft und von Unterlaufen wie Erfüllender Herrschaftsansprüche“ (Steinert1989, 622). <strong>Der</strong> Verweis auf Subkultur im Zusammenhangmit dem Gewaltmonopol bedeutet,darauf zu achten, welche unterschiedlichenFormen <strong>des</strong> Unterlaufens undder Erfüllung <strong>des</strong> staatlichen Herrschaftsanspruchsin der Polizei zu beobachten sind.Die dahinter stehende Annahme lautet, dasssich in der <strong>Cop</strong> <strong>Culture</strong> sowohl die Ermöglichungsformenfür die Durchsetzung staatlicherGewalt als auch Formen von Widerständigkeitgegen sie verorten lassen. Viele Polizistenfühlen sich ja in der Tat als kleineRädchen in der Organisation. Durch ihre inferioreStellung im Bürokratiebetrieb werden sieoft genug gekränkt, beschämt und frustriert.Ihre Vorstellungen von einer richtigen Polizeiarbeitwerden von den eigenen Vorgesetztenselten geteilt, die Gerechtigkeitsvorstellungenstoßen schnell auf Unverständnis, wenn siedie eigenen Reihen verlassen. Die ideologischenund realen Tröstungen der Subkulturerfahren sie durch die Bezugnahme auf ihresgleichen,durch ihre Kameradschaft in derGefahrengemeinschaft, durch die Zeichender Solidarität, durch das gemeinsame Wissenvon (den Schattenseiten) der Gesellschaft.7 Mit dem Begriff der „idealtypischen Konstruktionen“beschreibt Max Weber ein Modell,das darstellt, „wie ein bestimmt geartetes,menschliches Handeln ablaufen würde,wenn es streng zweckrational, durch Irrtumund Affekte ungestört, und wenn es fernerganz eindeutig nur an seinem Zweck (...) orientiertwäre. Das reale Handeln verläuft nur inseltenen Fällen (...) und auch dann nur annäherungsweiseso, wie im Idealtypus konstruiert“(Weber 1985, 4; Hervorhebung im Original).In seinem Aufsatz „Die ‘Objektivität’ sozialwissenschaftlicherErkenntnis“ findet sichfolgende Beschreibung <strong>des</strong> Idealtypus: „Erwird gewonnen durch einseitige Steigerungeines oder einiger Gesichtspunkte und durchZusammenschluss einer Fülle von diffus unddiskret, hier mehr, dort weniger, stellenweisegar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen,die sich jenen herausgehobenen Gesichtspunktenfügen, zu einem in sich einheitlichenGedankengebilde. In seiner begrifflichenReinheit ist dieses Gedankenbild nirgends inder Wirklichkeit empirisch vorfindbar.... Er istein Gedankenbild, welches nicht die historischeWirklichkeit oder gar die ,eigentliche‘Wirklichkeit ist, welches noch viel wenigerdazu da ist, als ein Schema zu dienen, in welchesdie Wirklichkeit als Exemplar eingeordnetwerden sollte, sondern welches die Bedeutungeines rein idealen Grenzbegriffs hat,an welchem die Wirklichkeit zur Verdeutlichungbestimmter bedeutsamer Bestandteileihres empirischen Gehaltes gemessen, mitdem sie verglichen wird“ (Weber 1956, 186-262, Zitate S. 235 und 238f.).<strong>Der</strong> Autor:Dr. Rafael Behr war 15Jahre Polizist und istnun Dozent am Institutfür Sozialpädagogikder UniversitätFrankfurt.

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