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92. Aachener HospizgesprächPalliative und hospizliche Kultur:„Vorwärts auf <strong>de</strong>m Weg zurückin die Gesellschaft”16. November 2012 · 17.30-21.00 UhrMuseum Zinkhütter Hof, Stolberg17. November 2012 · 09.00-17.00 UhrForschungszentrum und corporate centreGrünenthal GmbH, Aachen<strong>Berichtsband</strong> <strong>de</strong>s 92. Aachener Hospizgespräches


02 Impressum / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch92 . Aachener Hospizgespräch am 16. und 17. November 2012im Museum für Sozial-, Wirtschafts- und Industriegeschichte für <strong>de</strong>n Raum Aachen in Stolberg –Zinkhütter Hof e. V.Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts auf <strong>de</strong>m Weg zurück in die Gesellschaft”Die Veranstaltung wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Ärztekammer Nordrhein mit 10 CME-Punkten zertifiziert.Ärztlicher Leiter <strong>de</strong>r Veranstaltung: Johannes Wüller, Arzt für Allgemeinmedizin/Palliativmedizin,Leiten<strong>de</strong>r Arzt <strong>de</strong>r Home Care StädteRegion Aachen gemeinnützige GmbHDie Veranstaltung wur<strong>de</strong> unterstützt von: Grünenthal GmbH, Grünenthal Stiftung fürPalliativmedizin und <strong>de</strong>r Caritasgemeinschaftsstiftung für das Bistum AachenDr. Albrecht Kloepfer, Veronika Schönhofer-Nellessen, Karl-Heinz Oe<strong>de</strong>koven92. Aachener HospizgesprächPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts auf <strong>de</strong>m Weg zurück in die Gesellschaft”©2013 Grünenthal GmbH, Geschäftsbereich Deutschland/Gesundheitspolitik- u. management,52099 AachenKonzeption/Koordination: Veronika Schönhofer-Nellessen, <strong>Servicestelle</strong> Hospiz <strong>de</strong>rStädteRegion Aachen, www.aachenerhospizgespraeche.<strong>de</strong> undKarl-Heinz Oe<strong>de</strong>koven, Grünenthal Gesundheitspolitik/-management, Aachen,www.grunenthal.<strong>de</strong>ISBN: 978-3-944530-00-0Herausgeber: Deutscher PalliativVerlag (Verlag <strong>de</strong>r Deutschen Palliativstiftung)Am Bahnhof 236037 Fuldawww.palliativstiftung.<strong>de</strong>Redaktion Dr. Albrecht Kloepfer/Büro für gesundheitliche Kommunikation, Berlin,www.albrecht-kloepfer.<strong>de</strong>Gestaltung: Doris Billig, Köln, www.sehen-und-sein.<strong>de</strong>Tagungsfotografie: Foto Studio Strauch, Eschweiler, www.foto-strauch.<strong>de</strong>Foto Titelseite: Der Aachener Dom ©Andreas Herrmann, Aachen www.andreasherrmann.<strong>de</strong>Foto S. 67: Museum bei Nacht, Fotostudio Pfaff, StolbergDer <strong>Berichtsband</strong> steht zum Download bereit unter:www.grunenthal.<strong>de</strong> –> Engagement–> GesundheitsmanagementDas Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Je<strong>de</strong> Verwertung außerhalb<strong>de</strong>r engen Grenzen <strong>de</strong>s Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung <strong>de</strong>r GrünenthalGmbH unzulässig und strafbar. Das gilt insbeson<strong>de</strong>re für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen unddie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Dichtung und Wahrheit <strong>de</strong>r hospizlichen und palliativen Versorgung in Deutschland – eine Bestandsaufnahme.


Inhalt / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch0301. Einleitung und BegrüßungVeronika Schönhofer-Nellessen 05Sozialpädagogin, Aachen; Leitung <strong>de</strong>r <strong>Servicestelle</strong> Hospiz für die StädteRegion Aachen02. Abendlicher Auftakt am Freitag, <strong>de</strong>m 16.11.20122.1 Prof. Dr. phil. Werner Schnei<strong>de</strong>r 07Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät Universität Augsburg2.2 Prof. Dr. theol. Andreas Wittrahm 09Caritasverband für das Bistum Aachen e. V.2.3 eMail-Gespräch mit Dr. med. Volker Eissing 11MVZ Birkenallee GbR, Papenburg2.4 Podiumsdiskussion 16Ulrike Clahsen, Dr. med. Volker Eissing, Stephanie Eßer, Prof. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann Nauck,Prof. Dr. Werner Schnei<strong>de</strong>r, Dr. med. Birgit Weihrauch, Prof. Dr. Andreas Wittrahm03. Plenumsvorträge am Samstag, <strong>de</strong>m 17.11.20123.1 Michael Wirtz 20Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Grünenthal-Stiftung für Palliativmedizin3.2 Prof. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann Nauck 26Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin3.3 Dr. med. Birgit Weihrauch 30Staatsrätin a. D., ehemalige Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Deutschen HospizundPalliativVerban<strong>de</strong>s e. V.3.4 Univ.-Prof. Dr. Michael Ewers 33Direktor <strong>de</strong>s Instituts für Medizin-, Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft,Charité-Universitätsmedizin Berlin3.5 Podiumsdiskussion 35Christoph Drolshagen, Prof. Dr. PH Michael Ewers, Beatrix Hillermann,Prof. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann Nauck, Dr. med. Birgit Weihrauch, Johannes Wüller04. Workshopberichte4.1 WS 1 Ehrenamt 41Berichterstattung: Stefanie Eßer, Ambulanter Hospizdienst St. Anna, Alsdorf4.2 WS 2 Vernetzung (Arzt – Pflege – Ehrenamt) 46Berichterstattung: Dr. Christa Naber, <strong>Servicestelle</strong> Hospiz für die StädteRegion Aachen4.3 WS 3 Hospizliche Haltung 51Berichterstattung: Manfred Pfeiffer, Vorsitzen<strong>de</strong>r Das PatientenForum e. V., Mainz4.4 WS 4 Versorgung 54Berichterstattung: Hannelore Leien<strong>de</strong>cker, Koordinatorin im AmbulantenKin<strong>de</strong>rhospizdienst Aachen/Kreis Heinsberg4.5 WS 5 Gesellschaftliche Verän<strong>de</strong>rung 58Berichterstattung: Christoph Finkel<strong>de</strong>y, Caritasverband für das Bistum Aachen e. V.Referent/innen, Mo<strong>de</strong>rator/innen und Berichterstatter/innen 66Einladung zum 97. Aachener Hospizgespräch 15.-16.11.2013


(1) (2)(3)Fotoimpressionen<strong>de</strong>r Auftaktveranstaltung(1) Eva und Dr. med. Volker Eissing(2) Dr. med. Benjamin Gronwald, Dr. med Knud Gastmeier(3) Dr. med. Birgit Weihrauch, Karl-Heinz Oe<strong>de</strong>koven(4) Veronika Schönhofer-Nellessen,Dr. Albrecht Kloepfer, Prof. Dr. Michael Ewers(5) Thomas Sitte, Dr. med. E<strong>de</strong>lgard Ceppa-Sitte,Michael Wirtz, Michaela Wirtz(6) Dr. med. Volker Eissing, Veronika Schönhofer-Nellessen(7) Anke Krebs, Tassilo Stiller, Christina Reul,Birgit Wilhelm(5)(4)(6)(7)(2)Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Einleitung und Begrüßung / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch0501. Einleitung und BegrüßungVeronika Schönhofer-NellessenSozialpädagogin, Aachen;Leitung <strong>de</strong>r <strong>Servicestelle</strong> Hospizfür die StädteRegion AachenLiebe Leserin, lieber Leser!Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts auf <strong>de</strong>m Weg zurück indie Gesellschaft“: Diesem Thema widmete sich das 92. Aachener Hospizgesprächam 16. und 17. November 2012 im Museum ZinkhütterHof in Stolberg und in <strong>de</strong>r Forschungszentrale <strong>de</strong>r Grünenthal GmbHin Aachen. Ich freue mich, Sie mit diesem Dokumentationsband an<strong>de</strong>m intensiven Gedanken- und Informationsaustausch teilhaben lassenzu können. Die folgen<strong>de</strong>n Seiten spiegeln das gemeinsame Ringenum eine vernetzte und flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong> Begleitung von schwersterkranktenMenschen wi<strong>de</strong>r. Wir wünschen uns, das Verständnis für dieSituation von Menschen am Lebensen<strong>de</strong> möge im Bewusstsein <strong>de</strong>rGesellschaft und möglichst aller Akteure <strong>de</strong>s Gesundheitswesens weiterhinzunehmen.Palliative und hospizliche Kultur sind in Deutschland nur durchdie Hospizbewegung möglich gewor<strong>de</strong>n. Seit ihren Anfängen ist dieHospizarbeit darum bemüht, <strong>de</strong>m Sterben ein menschliches Gesicht zugeben und es in <strong>de</strong>r Mitte unserer Gesellschaft zu verorten. Inzwischenwird die Hospizbewegung in feste Strukturen <strong>de</strong>s Gesundheitswesenseingebun<strong>de</strong>n. Das ist gewollt und gewünscht, um die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Palliativversorgungund die tatsächliche Begleitung Sterben<strong>de</strong>r zu verbessern.In <strong>de</strong>m aktuellen Wandlungsprozess stellen sich neue Fragen:Sind die lebendig gewor<strong>de</strong>nen Wertvorstellungen in <strong>de</strong>r palliativen undhospizlichen Versorgung umsetzbar? Und das in einem Gesundheitssystem,in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Wettbewerbsgedanke gefor<strong>de</strong>rt wird? Wie kannes gelingen, vernetztes Denken und Han<strong>de</strong>ln in einer Kultur <strong>de</strong>r Konkurrenz,<strong>de</strong>s Versorgungsdruckes, von engmaschigen Zeitressourcen,Personalknappheit als Alternative <strong>de</strong>r Begleitung bis zum Schluss einzubin<strong>de</strong>n?Passt das Profil <strong>de</strong>s Ehrenamtes noch in die immer professionalisierterepalliative-hospizliche Versorgung o<strong>de</strong>r muss sich dieses Profilverän<strong>de</strong>rn, um nicht Lückenbüßer für leere Kassen und akuten Fachkräftemangelzu wer<strong>de</strong>n? Wie können die Schätze <strong>de</strong>r menschennahenHospizbewegung erhalten wer<strong>de</strong>n für eine innovative und menschenfreundlicheund ganzheitliche Begleitung bis zum Schluss? Wodurch(7) (8)Veronika Schönhofer-Nellessen


06 Einleitung und Begrüßung / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgesprächkann sich das Zusammenspiel <strong>de</strong>r professionellen und ehrenamtlichenMitarbeiter weiterhin verbessern? Diese Aspekte – die gemeinsam vonallen Teilnehmern intensiv im Plenum, in <strong>de</strong>n Vorträgen und <strong>de</strong>n Workshopsdiskutiert wur<strong>de</strong>n – stan<strong>de</strong>n im Mittelpunkt <strong>de</strong>r zweitägigen Veranstaltung.Gern möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen undnochmals <strong>de</strong>njenigen danken, die zum Gelingen <strong>de</strong>s 92. Hospizgesprächsbeigetragen haben. Herzlichen Dank an die Firma Grünenthal,<strong>de</strong>n Caritasverband für das Bistum Aachen e. V., die Grünenthal Stiftungfür Palliativmedizin und die vielen engagierten Menschen, <strong>de</strong>renArbeit vor, während und nach <strong>de</strong>r Veranstaltung allen Teilnehmern einenangenehmen und anregen<strong>de</strong>n Tagungsbesuch ermöglicht haben.Nicht nur <strong>de</strong>n Referenten und Mo<strong>de</strong>ratoren sei hier vielmals gedankt,auch <strong>de</strong>n Rapporteuren, die für diesen Band Berichte verfasst haben.Danke auch an Herrn Dr. Albrecht Kloepfer, <strong>de</strong>r – wie schon in <strong>de</strong>nJahren zuvor – die Gesamtredaktion für diese Dokumentation übernommenhat.Ich wünsche <strong>de</strong>n Leserinnen und Lesern erkenntnisreicheLektüre!Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Abendlicher Auftakt / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch0702. Abendlicher Auftakt am Freitag2.1 Prof. Dr. phil. Werner Schnei<strong>de</strong>rPhilosophisch-SozialwissenschaftlicheFakultät Universität AugsburgProf. Dr. phil. Werner Schnei<strong>de</strong>r, Philosophisch-SozialwissenschaftlicheFakultät Universität Augsburg, betonte in seinem Vortrag „Sterben-Machen als gesellschaftliche Aufgabe – Zur Be<strong>de</strong>utung von Hospiz- undPalliativkultur aus soziologischer Sicht“, die grundlegen<strong>de</strong> gesellschaftlicheNeuordnung <strong>de</strong>s Lebensen<strong>de</strong>s, die gutes und schlechtes Sterbenmöglich macht. Das „Sterben-Machen“ ist für Werner Schnei<strong>de</strong>r aussoziologischer Sicht auf <strong>de</strong>m Weg zurück in die Gesellschaft. Die Diskussionüber gutes Sterben fin<strong>de</strong>t in einer Gesellschaft statt, die sich immermehr als Gesundheitsgesellschaft versteht. Schnei<strong>de</strong>r <strong>de</strong>finiert Gesundheitnicht als Überwindung von Krankheit, son<strong>de</strong>rn als „die Illusion vonradikaler Vermeidung und die Eliminierung von Krankheit und Lei<strong>de</strong>n“.In diesem Sinne wird nach Ansicht <strong>de</strong>s Soziologieprofessors Gesundheitzur permanent steigerbaren Lebensqualität und zu einem marktgängigen,konsumierbaren Produkt, das von einer wunscherfüllen<strong>de</strong>n Medizinangeboten wird. Vor diesem Hintergrund muss die gesamtgesellschaftlicheDebatte um das Sterben gesehen wer<strong>de</strong>n.Sterben ist ein sozialer Prozess, bei <strong>de</strong>m ein Mitglied aus seinerGemeinschaft unwie<strong>de</strong>rbringlich „ausgeglie<strong>de</strong>rt“ wird. Ein ‚Sterben-Machen‘, wie Werner Schnei<strong>de</strong>r sagt. Das Sterben vollzieht sich dabei infolgen<strong>de</strong>m Rahmen: <strong>de</strong>r für die Beteiligten gegebenen sozialen Bezügeuntereinan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n dabei gegebenen institutionellen Kontexten sowieentlang <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n gesellschaftlichen Normen und Leitvorstellungenzu Sterben und Tod.Prof. Dr. phil. Werner Schnei<strong>de</strong>rDer Referent hebt das große Engagement und die erzielten Erfolge <strong>de</strong>rHospizbewegung hervor: Die Hospizkultur ist heute nicht nur ‚Hospizkultur‘,son<strong>de</strong>rn vor allem ‚Kultur‘ <strong>de</strong>r Gesellschaft. Um seine These zuuntermauern, nennt Schnei<strong>de</strong>r die wichtigsten Merkmale <strong>de</strong>r Hospizbewegung:• Ganzheitlichkeit als Wechselwirkung <strong>de</strong>r körperlichen, psychischen,sozialen und spirituellen Dimension;• Orientierung an <strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>r Patienten und <strong>de</strong>renAngehörigen;• organisationale Offenheit und Primat von Vernetzung;• Verbindung von haupt- und ehrenamtlicher Arbeit in <strong>de</strong>r Praxisbeim Patienten vor Ort• sowie freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement.


08 Abendlicher Auftakt / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächDie wichtigste Botschaft <strong>de</strong>s Hospizgedankens sieht Schnei<strong>de</strong>r darin,dass „Menschen in dieser Gesellschaft in existenziellen Krisensituationenvorbehaltlos mit Hilfe an<strong>de</strong>rer rechnen können und dürfen“.Eng verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Erfolgsgeschichte <strong>de</strong>r Hospizbewegungist das Ehrenamt. Der Soziologe kündigt einen Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Ehrenamtsan, <strong>de</strong>n er unter <strong>de</strong>m Stichwort „Neue Ehrenamtlichkeit im Hospiz“ zusammenfasst.Vor allem die Vielfalt <strong>de</strong>s freiwilligen Engagements wirdweiter zunehmen, <strong>de</strong>nn das ehrenamtliche Personal wird sich <strong>de</strong>utlichwan<strong>de</strong>ln. In Zukunft wer<strong>de</strong>n Jüngere in die Hospizbewegung kommen,die nicht mehr vollumfänglich einsetzbar sind. Das Ehrenamt wird sichin <strong>de</strong>n Tätigkeitsbereichen funktional erweitern. Hospiz wird nicht mehrnur Sterbe-, son<strong>de</strong>rn noch viel mehr Lebensbegleitung am Lebensen<strong>de</strong>sein. Schnei<strong>de</strong>r fragt <strong>de</strong>shalb, inwieweit sich künftig die Erwartungen andas Ehrenamt hinsichtlich Qualifikation än<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n und, ob sich gegebenenfallsdas Verhältnis von Haupt- und Ehrenamtlichkeit umkehrenwird. Der Hauptamtliche wird <strong>de</strong>r Generalist <strong>de</strong>s Alltäglichen und <strong>de</strong>rEhrenamtliche <strong>de</strong>r funktionelle Spezialist sein, vermutet Schnei<strong>de</strong>r undsieht darin die Gefahr, dass es gute und schlechte, wertvollere und wenigerwertvollere Tätigkeiten in <strong>de</strong>r bisher heterogenen Ehrenamtlichkeitin <strong>de</strong>r Hospizbewegung geben kann.Schnei<strong>de</strong>r schlussfolgert aus seinen Darlegungen vor allem gesellschaftlichbestimmte und kulturell produzierte Wi<strong>de</strong>rsprüche, die die Hospizbewegungfür sich nicht in Eigenregie lösen kann: Das Ehrenamt solldurch eine klare Profilbildung und Zielvereinbarungen gekennzeichnetsein, aber auch durch Wissens- und Kompetenzvermittlung geschütztwer<strong>de</strong>n. Gleichzeitig soll es aber auch Freiheit, Freiwilligkeit und Spontanitätbeinhalten. Es muss strukturell fixiert und <strong>de</strong>nnoch bürgerbewegtsein, kritisiert <strong>de</strong>r Wissenschaftler. Die aktuellen Herausfor<strong>de</strong>rungen sin<strong>de</strong>in Beweis dafür, dass die Hospizbewegung in <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r Gesellschaftangekommen ist. Sie bedarf einer Neuordnung, die in <strong>de</strong>r Soziologiemit Individualisierung, Pluralisierung <strong>de</strong>r Lebenswelten und abstrakterenGrundwerten beschrieben wird. Die Pionierphase <strong>de</strong>r Hospizbewegung istübergegangen in eine Phase <strong>de</strong>r Neuorientierung, <strong>de</strong>r sich alle Beteiligtenstellen müssen. Das ist notwendig, um die gesellschaftliche Reichweite<strong>de</strong>r Hospizbewegung noch weiter zu erhöhen, kündigt Schnei<strong>de</strong>r an.Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Abendlicher Auftakt / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch092.2 Prof. Dr. theol. Andreas WittrahmCaritasverband für das Bistum Aachen e. V.Die Gegenthese zu Schnei<strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Vortrag „Wi<strong>de</strong>r die Einsamkeit<strong>de</strong>r Sterben<strong>de</strong>n in ihren letzten Tagen ... Die Hospizbewegung alsFrucht eines lebendigen Bürgersinns in <strong>de</strong>r Postmo<strong>de</strong>rne“ von Prof. Dr.theol. Andreas Wittrahm, Caritasverband für das Bistum Aachen e. V.Wittrahm geht aus von einem Zitat <strong>de</strong>s Soziologen Norbert Elias: Zu beobachten„ist in unseren Tagen eine eigentümliche Verlegenheit <strong>de</strong>r Leben<strong>de</strong>nin <strong>de</strong>r Gegenwart eines Sterben<strong>de</strong>n. Sie wissen oft nicht recht,was zu sagen … Peinlichkeitsgefühle halten die Worte zurück. Für dieSterben<strong>de</strong>n selbst kann das recht bitter sein. Noch lebend, sind sie bereitsverlassen“, schrieb Elias in „Über die Einsamkeit <strong>de</strong>r Sterben<strong>de</strong>n“,Frankfurt 1983. Andreas Wittrahm merkt dagegen an, die Hospizbewegunghat Sprache, Formen, Orte, Ästhetiken und Rituale gefun<strong>de</strong>n, diedie Einsamkeit <strong>de</strong>r Sterben<strong>de</strong>n überwin<strong>de</strong>n. Er legt seine These in dreiSchritten dar:• Im Stehen sterben – <strong>de</strong>r soziale Mehrwert;• Letzter Frühling – <strong>de</strong>r kulturelle Mehrwert;• Wenn ich einmal soll schei<strong>de</strong>n – <strong>de</strong>r spirituelle Mehrwert.Prof. Dr. theol.Andreas WittrahmDie dritte Strophe <strong>de</strong>s Lie<strong>de</strong>s „Im Stehen sterben“, gesungen von Lie<strong>de</strong>rmacherReinhard Mey (1975), macht nach Wittrahms Dafürhaltensehr <strong>de</strong>utlich, welcher Aufbruch in <strong>de</strong>n 80er Jahren stattfand. Wichtigist <strong>de</strong>m Referenten in Text und Bebil<strong>de</strong>rung die Begegnung von Sterben<strong>de</strong>mund seinem Tod „in Augenhöhe“, wie er kommentierte. Mit<strong>de</strong>m Hinweis auf <strong>de</strong>n Autor Franco Rest arbeitet Wittrahm heraus, wiedas Sterben als eigene Lebensphase verstan<strong>de</strong>n wird, die sowohl seitens<strong>de</strong>r Sterben<strong>de</strong>n als auch <strong>de</strong>r Begleiter nach Gestaltung ruft und die imsolidarischen Miteinan<strong>de</strong>r zu lernen ist. Sterben<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n damit zumPartner, gar zum „Führer“ mit ihren Begleitern wahrgenommen. Wittrahmkann mit <strong>de</strong>m Umfrageergebnis <strong>de</strong>s Deutschen Hospiz- und PalliativVerban<strong>de</strong>s2012 belegen, dass die Hospizbewegung an Bekanntheitgewonnen hat: 89 Prozent haben von Hospizen gehört, 66 Prozent könnensie richtig einordnen.Neben <strong>de</strong>m sozialen sieht <strong>de</strong>r Psychologe und Theologe auch<strong>de</strong>n kulturellen Mehrwert. An <strong>de</strong>m Benn-Gedicht „Letzter Frühling“(1954) beeindruckt ihn vor allem die Gelassenheit angesichts <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s,die sich daraus speist, nichts mehr tun zu müssen. Leben in <strong>de</strong>r Gegenwartund mit geschärften Sinnen alles aufnehmend, das ist eine Aufgabe, <strong>de</strong>rsich die Hospize seines Erachtens mit viel Engagement gestellt haben. Mit<strong>de</strong>m Ergebnis, dass sich Hospize zu einem Ort entwickelt haben, an <strong>de</strong>mSterben, Tod, Öffentlichkeit, Gesellschaft und Kunst zusammentreffen.


10 Abendlicher Auftakt / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächHospize bewirken heute eine Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Gegenwartskultur.Der Hospizbewegung ist es mit <strong>de</strong>m kulturellen Engagement gelungen,das Sterben und <strong>de</strong>n Tod zu entdramatisieren. Dadurch fin<strong>de</strong>t die Rückkehr<strong>de</strong>r Sterben<strong>de</strong>n in die Beziehungsnetze statt, <strong>de</strong>nn das Lebensen<strong>de</strong>wird ernst genommen. Wittrahm meint, Hospize und Hospizdienste ermöglichenKommunikation über das „Unsagbare“.Seine Überlegungen zum spirituellen Mehrwert leitet <strong>de</strong>r Referentmit <strong>de</strong>r 6. Strophe <strong>de</strong>s Karfreitagslie<strong>de</strong>s von Paul Gerhardt „OHaupt voll Blut und Wun<strong>de</strong>n“, 6. Strophe ein. Die theologische Deutungschwankt zwischen „letztem Kampf“ und „geschenkter Vollendung“und hat dabei die reale Lebenssituation <strong>de</strong>r Sterben<strong>de</strong>n nur wenig imBlick. In <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>m Großen und Ganzen in Moraltheologieund Sozialethik scheint das Wesentliche aus <strong>de</strong>m Blick zu geraten: dieSolidarität mit <strong>de</strong>m Menschen auf <strong>de</strong>r Schnittstelle von Zeit und Ewigkeit!Genau das, was Paul Gerhardt in seinem Lied so wun<strong>de</strong>rbar beschreibt.Wittrahm erklärt: Während die 70er und 80er Jahre vom Streitum die Erlaubnis <strong>de</strong>r Sterbehilfe geprägt sind und theologisch noch umHimmel, Hölle und Fegefeuer gestritten wird, entsteht im Gefolge <strong>de</strong>rHospizbewegung eine praktische Seelsorge, die über die Seelsorgebewegungund die Klinische Seelsorgeausbildung sogar paradigmatischfür die mo<strong>de</strong>rne Seelsorge überhaupt wird.Andreas Wittrahms Fazit: Die Hospizbewegung ist eine Bewegungaus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r Bürgerschaft, die die Entmenschlichung vonSterben und Tod, mit politischem, kulturellem und spirituellem Anspruchüberwin<strong>de</strong>t. „Wenn sie diesem Dreiklang treu bleibt“, versichert Wittrahm,„und ihn jeweils zu aktualisieren vermag, <strong>de</strong>monstriert sie, dassauch in <strong>de</strong>r spätmo<strong>de</strong>rnen Gesellschaft die Wie<strong>de</strong>r-Aneignung von Humanitätmöglich ist.“Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Dr. Albrecht Kloepfer im eMail-Dialog mit Dr. Volker Eissing / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch112.3 Dr. Albrecht Kloepferim eMail-Dialog mit ...Dr. med. Volker EissingMVZ Birkenallee GbR, PapenburgKloepfer: Sehr geehrter Herr Dr. Eissing, Sie haben sich mit<strong>de</strong>m Projekt und Vortrag „Das Wun<strong>de</strong>r zulassen – Vertrauen stärktKranke auf ihrem Weg“ um <strong>de</strong>n Anerkennungs- und För<strong>de</strong>rpreis 2012in <strong>de</strong>r Palliativmedizin beworben. Ihr Antrag wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Begründungabgelehnt, Sie hätten die wissenschaftlichen Kriterien nicht eingehalten.Wird dadurch Ihres Erachtens ein Dilemma in <strong>de</strong>r Palliativmedizin – gewissermaßen<strong>de</strong>r Spagat zwischen lin<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Spiritualität und evi<strong>de</strong>nzbasierterWissenschaftlichkeit – <strong>de</strong>utlich?Eissing: Für <strong>de</strong>n letzten Lebensweg sind weniger Leitliniennoch wissenschaftliche Kriterien wichtig, son<strong>de</strong>rn einzig und allein dieChance, sich selbst annehmen zu können und mit sich, seiner Krankheitund Gott Frie<strong>de</strong>n zu schließen. Den Menschen auf ihrem letztenLebensweg Vertrauen in sich selbst, in uns und darauf zu schenken, auf<strong>de</strong>m Weg zum Jordan begleitet und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite erwartet zuwer<strong>de</strong>n, das ist unsere Aufgabe. Menschen zu ermutigen, am En<strong>de</strong> ihresLebens einen Rückblick zu wagen, vertrauend darauf, nicht verurteilt zuwer<strong>de</strong>n, ist aus meiner Sicht wichtiger als eine leitliniengerechte Medikamententherapie.Unser beson<strong>de</strong>res Projekt in <strong>de</strong>r Palliativmedizin heißt: Jährlicheine Lour<strong>de</strong>spilgerfahrt für Kranke und Gesun<strong>de</strong> – nicht etwa, weil wirWun<strong>de</strong>r erwarten. Je<strong>de</strong> Fahrt steht unter einer beson<strong>de</strong>ren Überschriftwie: „Fürchte Dich nicht“ o<strong>de</strong>r „Ich lasse Dich nicht fallen und verlasseDich nicht“. 5 Tage auf <strong>de</strong>m Weg zu sich selbst, 5 Tage vertrauensbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>Maßnahmen, 5 Tage <strong>de</strong>m Himmel ein Stück näher zu kommen,dass ist die Chance, die Lour<strong>de</strong>s bietet. Die Kraft und das Vertrauengeschenkt zu bekommen, nicht alleine zu sein und erwartet zu wer<strong>de</strong>n– und das ist dann doch wie<strong>de</strong>rum ein Wun<strong>de</strong>r.Kloepfer: Wie ist die I<strong>de</strong>e zu diesem Projekt entstan<strong>de</strong>n?Eissing: Ich bin seit 1992 Hausarzt im ländlichen Raum (Emsland),gewissermaßen auf <strong>de</strong>r grünen Wiese. Im Oktober 2012 habeich mit meiner Kollegin Frau Vahle ein hausärztlich orientiertes MVZ gegrün<strong>de</strong>t,in <strong>de</strong>m mittlerweile 6 Ärzte arbeiten und über 10.000 Fälle proQuartal behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Seit über 10 Jahren ist die Palliativmedizinein ganz beson<strong>de</strong>rer Schwerpunkt unserer Praxis. Für <strong>de</strong>n Bereich Palliativmedizinhaben wir einen Arzthelfer zur Pain nurse und zur Palliativcare-Kraftausbil<strong>de</strong>n lassen.Dr. med. Volker Eissing


12 Dr. Albrecht Kloepfer im eMail-Dialog mit Dr. Volker Eissing / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächAls Hausarzt auf <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong> sind Sie <strong>de</strong>m Patienten und seiner Familieüber Generationen <strong>de</strong>utlich näher und damit nicht nur Arzt, son<strong>de</strong>rnauch „Seelsorger“. Da das Emsland eine noch überwiegend katholischeGegend ist, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Glaube einen festen Stellenwert in <strong>de</strong>n Familienhat o<strong>de</strong>r hatte, ist dies ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit. Im Rahmendieser Situationen haben wir das Konzept <strong>de</strong>r Lour<strong>de</strong>sfahrt für Gesun<strong>de</strong>und Kranke entwickelt.Wir bieten allen Kranken die Möglichkeit, im September fünfTage nach Lour<strong>de</strong>s zu fahren. Lour<strong>de</strong>s ist ein katholischer Wallfahrtsort inSüdfrankreich. Die dort beschriebenen Heilungen unterliegen einer strengenKontrolle einer eigenen Ärztekommission und liegen von ihrer Gesamtzahlwahrscheinlich im statistischen Bereich <strong>de</strong>r Spontanheilungen.Also eigentlich nichts Beson<strong>de</strong>res. Und doch ist Lour<strong>de</strong>s ein ganz beson<strong>de</strong>rerOrt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m „Himmel“ näher ist – und das sollen alle für sich nutzen.Kloepfer: Was sagen Sie <strong>de</strong>n Teilnehmern <strong>de</strong>r Lour<strong>de</strong>sfahrt?Eissing: Wir versprechen je<strong>de</strong>m Pilger, dass wir 5 Tage Zeithaben, um über das „Woher kommen wir und wohin gehen wir?“ zureflektieren. Wir versprechen je<strong>de</strong>m, dass er die Chance hat, über sichnachzu<strong>de</strong>nken, und die einmalige Chance, bei sich anzukommen. Werbei sich ankommt, <strong>de</strong>r kann sich und seine Krankheit annehmen. Wermit sich Frie<strong>de</strong>n schließen kann, <strong>de</strong>r hat auch die Chance, mit Gott Frie<strong>de</strong>nzu schließen. Und wenn es uns dann noch gelingt, bei je<strong>de</strong>m Pilger,<strong>de</strong>r es zulässt, das Vertrauen darauf zu erwecken, dass wir auf <strong>de</strong>ran<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>s Jordan von Gott erwartet wer<strong>de</strong>n und wir dort alleeinen festen Platz haben, und <strong>de</strong>r Pilger weiß, dass wir <strong>de</strong>n Weg bisan das Wasser <strong>de</strong>s Jordan mit ihm gemeinsam gehen, dann haben wirpalliativmedizinisch einen Tai-Berg versetzt.Kloepfer: Wie kommen Sie nach Lour<strong>de</strong>s und was bedarf esdazu?Eissing: Wir fliegen vom Flughafen Münster–Greven nachLour<strong>de</strong>s. Mitfliegen dürfen alle. Gesun<strong>de</strong> und Kranke. Katholisch, evan-Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Dr. Albrecht Kloepfer im eMail-Dialog mit Dr. Volker Eissing / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch13gelisch, atheistisch o<strong>de</strong>r konfessionslos. Das Flugzeug hat 135 Sitzplätze.Von <strong>de</strong>n 135 Pilgern sind rund 80 Tumorkranke an Bord. Alle krankenMenschen, die noch in <strong>de</strong>r Lage sind, zwei Stun<strong>de</strong>n zu sitzen, könnenmitfahren, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Flug dauert 1 Stun<strong>de</strong> und 45 Minuten. Die Patientenwer<strong>de</strong>n im Zweifel liegend zum Flughafen transportiert. VomFlugplatz bei Lour<strong>de</strong>s geht es dann mit einem Spezialbus zum Hotel.Gesun<strong>de</strong> und Kranke sind zusammen im selben Hotel. Das ist in Lour<strong>de</strong>snicht üblich, da Lour<strong>de</strong>s für Palliativpatienten eigens ein Hospital vorhält.Doch uns als Leitungsteam und <strong>de</strong>n Pilgern war es wichtig, dasswir alle, Gesun<strong>de</strong> und Kranke, zusammen nach Lour<strong>de</strong>s fahren, dortsind und wenn möglich zusammen zurückkehren.Kloepfer: Haben Sie ein Helferteam?Eissing: Damit alles klappt, hilft uns die DiözesanpilgerstelleMünster/Osnabrück unter <strong>de</strong>r Leitung von Herrn Jürgen Greiwe. Für diePilger haben wir eine Helfergruppe, Mitarbeiter aus <strong>de</strong>r Praxis, Krankenschwestern,Heilerziehungspflegerinnen, eine Schnei<strong>de</strong>rin und einSchiffbauer <strong>de</strong>r Werft und eine Ärztin und mich. An Material nehmenwir ein halbes Krankenhaus mit – einschließlich eines Ultraschallgerätessowie Aszites- und Pleurapunktionsbestecke.Kloepfer: Wer<strong>de</strong>n auch spirituell beson<strong>de</strong>re Vorkehrungen fürdie Lour<strong>de</strong>s-Krankenwallfahrt getroffen?Eissing: Die Vorbereitung <strong>de</strong>r Fahrt beginnt im November <strong>de</strong>sVorjahres. Die Gottesdienste wer<strong>de</strong>n von Pastor Ludger Pöttering mituns zusammen vorbereitet. Je<strong>de</strong> Lour<strong>de</strong>sfahrt hat ein eigenes Themaund daran orientiert erhält je<strong>de</strong>r Pilger im Laufe <strong>de</strong>r Fahrt verschie<strong>de</strong>neSymbole. Diese Symbole erlangen eine äußerst wichtige Be<strong>de</strong>utung für<strong>de</strong>n Pilger. Die Fahrt beginnt mit <strong>de</strong>r Anmeldung und <strong>de</strong>m Thema, dasgewissermaßen <strong>de</strong>n roten Fa<strong>de</strong>n darstellt, an <strong>de</strong>m man sich festhaltenkann. 14 Tage vor <strong>de</strong>m Abflug fin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r erste Gottesdienst statt, in <strong>de</strong>malle Formalien geklärt wer<strong>de</strong>n. Am Tag <strong>de</strong>s Abfluges feiern wir sechs Kilometervor <strong>de</strong>m Flughafen in einer kleinen Kirche in Ladbergen unserenzweiten Gottesdienst, in <strong>de</strong>m in das Thema eingeführt wird. In Lour<strong>de</strong>shaben wir unsere eigenen Gottesdienste. Einen beson<strong>de</strong>ren Stellenwerthat eine Rosenkranzandacht, die wir Helfer gemeinsam gestalten. Diesebeginnt mit 500 brennen<strong>de</strong>n Kerzen im Altarraum und viel Meditationsmusikund Symbolik. Am letzten Tag fin<strong>de</strong>t dann die Krankensalbungsmessestatt. Auch diese Messe ist eine Weiterführung <strong>de</strong>s Themas,an <strong>de</strong>ren En<strong>de</strong> je<strong>de</strong>r Pilger, ob gesund o<strong>de</strong>r krank, die Krankensalbungerhält. Der Priester spricht dabei die Worte: „Der Herr, <strong>de</strong>r Dich von Sün<strong>de</strong>nbefreit, rette Dich, in seiner Gna<strong>de</strong> richte er Dich auf.“Kloepfer: Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren Patientengemacht?Eissing: Das Ergebnis ist menschlich, medizinisch und auchtheologisch mehr als interessant. Vielen Patienten gelingt es diese 5 Tage<strong>de</strong>r Pilgerreise zu nutzen, um bei sich anzukommen und sich selbst unddas, was kommt, anzunehmen. Vielen davon gelingt es auch, Vertrauen


14 Dr. Albrecht Kloepfer im eMail-Dialog mit Dr. Volker Eissing / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgesprächdarin zu haben, dass wir <strong>de</strong>n Weg zum Jordan mit ihnen gehen unddass sie auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite von Gott erwartet wer<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>r Fahrtsind diese Patienten <strong>de</strong>utlich verän<strong>de</strong>rt, benötigen häufig <strong>de</strong>utlich wenigerMedikamente, beson<strong>de</strong>rs kommen wir in <strong>de</strong>r Regel mit wenigerSchmerz- und Komedikationen aus. Das war so beeindruckend, dassein Neurologe aus unserer Region irgendwann anrief und nachfragte,was wir <strong>de</strong>nn mit <strong>de</strong>n Patienten in Lour<strong>de</strong>s machen, da sie anschließendnicht mehr so <strong>de</strong>pressiv seien. Im folgen<strong>de</strong>n Jahr hat <strong>de</strong>r Neurologe unsauf <strong>de</strong>m Weg nach und in Lour<strong>de</strong>s begleitet.Kloepfer: Können Sie bitte ein konkretes Patientenbeispielschil<strong>de</strong>rn?Eissing: 2008 hieß das Thema unserer Fahrt: „Denn bei Dirist die Quelle <strong>de</strong>s Lebens“. Unser Pastor Pöttering sitzt schon nach <strong>de</strong>mGottesdienst in Ladbergen vor <strong>de</strong>m Flughafen im Bus und Waltraud –52 Jahre alt – will ebenfalls wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Bus einsteigen. Sie weint vorSchmerzen, und die Kraft reicht nicht mehr aus, um die zweite Stufe in<strong>de</strong>n Bus zu schaffen. Ihre Beine bewegen sich nicht weiter, obwohl sie esversucht, sie weint bitterlich, und ich kniee mich hin und nehme erst <strong>de</strong>neinen und dann <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Fuß, und im Schneckentempo schaffen wires: Sie sitzt wie<strong>de</strong>r im Bus, und in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Pastors Pöttering seheich die Sorge, und ich selber <strong>de</strong>nke <strong>de</strong>n ganzen Weg zum Flughafen,wie soll das nur wer<strong>de</strong>n, wie schaffen wir es, dass Waltraud <strong>de</strong>n Wegnach Lour<strong>de</strong>s und in Lour<strong>de</strong>s schafft. Ein kurzes Gespräch im Flughafenmit <strong>de</strong>m Pastor und mit <strong>de</strong>m Reiseleiter Jürgen Greiwe und wir sinduns einig. Der erste Tag in Lour<strong>de</strong>s, Waltraud sitzt im Rollstuhl und istzutiefst beeindruckt und gewinnt je<strong>de</strong>n Tag ein bisschen mehr an Kraft.Ihre Trauer weicht und bei <strong>de</strong>r Krankensalbungsmesse steht sie kurz auf.Ein Wun<strong>de</strong>r? – Nein, aber <strong>de</strong>nnoch beeindruckend: Sie ist getragen von<strong>de</strong>m, was sie in Lour<strong>de</strong>s erlebt und gehört hat. Sie kommt nach Hauseund ist verän<strong>de</strong>rt. Zwei Wochen nach <strong>de</strong>r Lour<strong>de</strong>sfahrt fin<strong>de</strong>n wir Waltraudmorgens tot in ihrem Bett. Ganz entspannt liegt sie da. Der letzteWeg bis zum Jordan war völlig an<strong>de</strong>rs verlaufen für Waltraud, als siegedacht hatte. Panik stand in ihrem Gesicht, als ich ihr Wochen vorhersagte, dass sie sterben müsse, mit Angst und Panik ist sie nach Lour<strong>de</strong>sgefahren und in Lour<strong>de</strong>s hat sie das Vertrauen geschenkt bekommen,dass sie auf diesem letzten Weg nicht allein ist, dass wir sie begleitenund Gott sie erwartet. Dass bei Gott die Quelle <strong>de</strong>s Lebens ist. Ein unvorstellbaresGeschenk! Für Waltraud war es ein Wun<strong>de</strong>r, aber auch füruns ein Geschenk. Bei<strong>de</strong>, Waltraud und wir, durften Gott erfahren.Kloepfer: Was be<strong>de</strong>uten die Pilgerfahrten nach Lour<strong>de</strong>s fürSie als Arzt?Eissing: Diese Form <strong>de</strong>r Palliativmedizin bringt mich als Arztwie<strong>de</strong>r sehr viel näher an das, was Arztsein einmal be<strong>de</strong>utet hat. Palliativmedizinmeint eigentlich, medizinisch nicht mehr heilen können, aberPalliativmedizin in diesem Sinne muss heilen. Diese Form <strong>de</strong>r Medizinheilt alte und frische Wun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Lebens, die dringend einer Behand-Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Dr. Albrecht Kloepfer im eMail-Dialog mit Dr. Volker Eissing / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch15lung bedürfen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>n Weg über <strong>de</strong>n Jordan können wir Menschennur dann vertrauensvoll und gefasst, ja vielleicht sogar hoffnungsvollantreten, wenn es uns gelungen ist, mit uns selbst, mit unserer Krankheitund mit Gott Frie<strong>de</strong>n zu schließen. Lour<strong>de</strong>s führt dazu, dass somancher Pilger im Rahmen eines Lebensrückblickes <strong>de</strong>n einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>renWeichensteller in seinem Leben erkennt. So mancher Dank gelangtnoch an sein Ziel o<strong>de</strong>r wird später von mir übermittelt. Lour<strong>de</strong>s isteine Botschaft, die wir <strong>de</strong>m Patienten mitgeben. Eine Botschaft, wo an<strong>de</strong>rein <strong>de</strong>r Medizin schon lange keine Botschaft und Perspektive mehrhaben. Und für mich ist Lour<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Ort, an <strong>de</strong>m ich all die schwere Last<strong>de</strong>s vergangenen Jahres abgeben kann und neue Kraft erhalte, um michwie<strong>de</strong>r ein Jahr um Patienten kümmern zu können und <strong>de</strong>nen, die keinePerspektive mehr haben, eine Botschaft mit Perspektive zu geben.Deswegen <strong>de</strong>nke ich auch, dass unsere Reisen „Denn bei Dirist die Quelle <strong>de</strong>s Lebens“, „Fürchte Dich nicht“ und „Seht die Taubeträgt einen Zweig“ wichtiger sind, als wissenschaftliche Kriterien unddass solche und ähnliche Projekte ein wichtiger Teil einer leitliniengerechtenMedikamententherapie in <strong>de</strong>r Palliativmedizin sein sollten.


16 Podiumsdiskussion / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch2.4 PodiumsdiskussionUlrike ClahsenHospiz <strong>de</strong>r Hermann-Josef-Stiftung, ErkelenzDr. med. Volker EissingMVZ Birkenallee GbR, PapenburgStephanie EßerAmbulante Hospizdienste <strong>de</strong>r ACD Region Aachen, AlsdorfProf. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann NauckPräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Gesellschaft für PalliativmedizinProf. Dr. phil. Werner Schnei<strong>de</strong>rUniversität AugsburgDr. med. Birgit WeihrauchStaatsrätin a. D.Prof. Dr. theol. Andreas WittrahmCaritasverband für das Bistum Aachen e. V.Mo<strong>de</strong>ration: Veronika Schönhofer-NellessenStephanie EßerVeronika Schönhofer-Nellessen eröffnet die Podiumsdiskussion miteiner Frage an Stephanie Eßer: Was be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>r Begriff „Neue Ehrenamtlichkeitim Hospiz“, <strong>de</strong>n Prof. Werner Schnei<strong>de</strong>r in seinem Impulsvortragverwen<strong>de</strong>t, für die Leiterin <strong>de</strong>s Ambulanten Hospizdienstes St.Anna? Stephanie Eßer kann aus <strong>de</strong>r Erfahrung ihres Arbeitsalltags heraus<strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l bestätigen, <strong>de</strong>r sich aktuell im Profil <strong>de</strong>r Ehrenamtlichenvollzieht. Anfang <strong>de</strong>r 90er Jahre waren ehrenamtlich Tätige vor allem„engagierte, ältere Frauen mit viel Zeit und <strong>de</strong>r solidarischen Haltung,an<strong>de</strong>ren zu helfen“. Heute engagieren sich immer mehr junge Menschen,meist in Familienbezügen, mit einem festen Zeitmanagement un<strong>de</strong>iner an<strong>de</strong>ren I<strong>de</strong>e von Einsatz: zeitlich-punktuell, in bestimmten inhaltlichenBezügen, wohnortnah und mit klarer Vorstellung, was sie aus ihrerehrenamtlichen Tätigkeit für sich selbst mitnehmen möchten. Eßer beobachtetauch die starke Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Gesellschaft, in <strong>de</strong>r Geld eine<strong>de</strong>r ausschlaggeben<strong>de</strong>n Ressourcen ist. Daher wird es ihres Erachtensimmer wichtiger, dass in <strong>de</strong>r ehrenamtlichen Begegnung ein Mensch zueinem Mensch kommt, um diesen helfend zu begleiten. Sie lobt explizitPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Podiumsdiskussion / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch17die hohe und vielfältige Leistungsbereitschaft <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen, <strong>de</strong>renAufgabenbereiche inzwischen sehr anspruchsvoll gewor<strong>de</strong>n sind.Ulrike Clahsen leitet seit 13 Jahren das Hospiz <strong>de</strong>r Hermann-Josef-Stiftung Erkelenz und sieht <strong>de</strong>n zunehmen<strong>de</strong>n Bedarf an Seelsorgeund spiritueller Begleitung im Alltag, <strong>de</strong>n Dr. Eissing in seinem Beitragangesprochen hat. „Die Menschen, vor allem die jüngeren, sindauf <strong>de</strong>r Suche“, sagt sie. Nicht nur die Betroffenen, auch die Angehörigenbrauchen zunehmend Unterstützung, damit nach einem Verlustwie<strong>de</strong>r ein Gefühl von Sicherheit eintreten kann. Das Hospiz ist <strong>de</strong>rOrt, <strong>de</strong>r für Zuverlässigkeit, Angenommensein und Rituale steht, allesKomponenten, die Halt geben können, meint Clahsen.Die drei einführen<strong>de</strong>n Vorträge haben für Dr. med. BirgitWeihrauch eine Gemeinsamkeit: Sie setzten sich mit <strong>de</strong>r menschlichenEbene und nicht mit <strong>de</strong>n strukturellen Fragen <strong>de</strong>r palliativen undhospizlichen Kultur auseinan<strong>de</strong>r. Weihrauch hebt hervor, wie schwierigdie Kommunikation in <strong>de</strong>r letzten Lebensphase mit <strong>de</strong>n Menschenist, die einem am wichtigsten sind. „Sich gegenseitig das zu sagen,was man sich noch sagen möchte, gehört zu einem gelungenen En<strong>de</strong>dazu“, glaubt die Staatsrätin a. D. und ehemalige Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong><strong>de</strong>s Deutschen Hospiz- und PalliativVerban<strong>de</strong>s. Zu <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungenim Profil <strong>de</strong>s Ehrenamtes merkt sie an, dass sich die Menschen laut<strong>de</strong>n Zahlen <strong>de</strong>s Freiwilligen Reports <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung sehr intensivmit <strong>de</strong>m Thema Ehrenamt beschäftigen. Es ist bedauerlich, wie wenigdie Öffentlichkeit auf diesen wichtigen Bereich Ehrenamt Bezug nimmt.Die diesjährige Themenwoche <strong>de</strong>r ARD „Leben mit <strong>de</strong>m Tod“ ist eines<strong>de</strong>r Beispiele, wie auf die 36 Prozent <strong>de</strong>r Menschen aufmerksam gemachtwer<strong>de</strong>n kann, die sich in Deutschland ehrenamtlich engagieren,betont Birgit Weihrauch.Ulrike ClahsenDr. med. Birgit Weihrauch


18 Podiumsdiskussion / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächProf. Dr. med.Frie<strong>de</strong>mann NauckProf. Dr. Werner Schnei<strong>de</strong>rDer Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Prof. Dr.med. Frie<strong>de</strong>mann Nauck, bedankt sich bei Werner Schnei<strong>de</strong>r: „Wir brauchenin <strong>de</strong>r hospizlich-palliativen Arbeit Wissenschaftler und Quer<strong>de</strong>nker,die polarisieren, damit wir uns reiben können.“ Der These, Palliativmedizinhabe nicht <strong>de</strong>n Aspekt <strong>de</strong>r Begleitung, wi<strong>de</strong>rsprach Nauck <strong>de</strong>nnochvehement. Ärzte und Pflegen<strong>de</strong> begleiten mit Herz und Seele. Er wür<strong>de</strong>in diesem Kontext von <strong>de</strong>r Unterscheidung in Ehrenamt und Professionabraten. Nauck for<strong>de</strong>rt eine Medizin, „die <strong>de</strong>m Patienten mit <strong>de</strong>m Rezeptein Gespräch verschreibt, <strong>de</strong>nn ich glaube, wir sind in einer Entwicklungsspiralehin zur Autonomie – ich sage lieber Selbstbestimmung – und vergessenwie wichtig Vertrauen ist.“Prof. Dr. Werner Schnei<strong>de</strong>r erläutert seinen Gedanken, Palliativmedizinbegleitet nicht, in<strong>de</strong>m er bittet, genau zu über<strong>de</strong>nken,mit welchen Begriffen gearbeitet wird, <strong>de</strong>nn: „Sprache macht Wirklichkeit“.Ihm geht es bei <strong>de</strong>r Differenzierung darum, <strong>de</strong>utlich zu machen,worauf ein Mitglied dieser Gesellschaft zählen kann und woraufes hoffen darf. Als Soziologe unterschei<strong>de</strong>t er zwei Arten von Vertrauen:Man kann Vertrauen in Personen o<strong>de</strong>r in Strukturen haben. „DieFrage von Gleichheit o<strong>de</strong>r Ungleichheit beantwortet sich ganz unterschiedlich,ob ich Vertrauen in Strukturen o<strong>de</strong>r in Personen habe“, sagtSchnei<strong>de</strong>r und fügt hinzu, dass „wir künftig immer mehr Vertrauenbrauchen wer<strong>de</strong>n, wenn es ans Sterben geht.“ Darin sieht Schnei<strong>de</strong>rdie große Chance für <strong>de</strong>n Hospizgedanken, <strong>de</strong>r ohne die KomponenteVertrauen nicht zu <strong>de</strong>nken ist.Prof. med. Birgit Weihrauch u. Dr. med. Volker EissingProf. Dr. A. Wittrahm, Prof. Dr. W. Schnei<strong>de</strong>r und Stephanie EßerPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Podiumsdiskussion / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch19Aus <strong>de</strong>m Publikum merkt Dr. Elisabeth Ebner (Palliatives NetzwerkStolberg/Eschweiler) an, die Bewertung <strong>de</strong>r Hospize und <strong>de</strong>r Hospizarbeitmüsse sich dringend weiter öffnen. Man dürfe dabei nicht immernur an Begleitung <strong>de</strong>nken, <strong>de</strong>nn diese wird in <strong>de</strong>n Familien häufig abgelehnt,weil die Konfrontation mit Sterben und Tod sehr eng wird.Stephanie Eßer weiß ebenfalls davon zu berichten, wie schnell <strong>de</strong>nFamilien die hospizlich, ehrenamtliche Begleitung zu viel ist. Hingegenseien die Anfragen nach einer Trauerbegleitung nach <strong>de</strong>m Tod <strong>de</strong>r Angehörigenim letzten Jahr extrem gestiegen. Trauerbegleitung wird jedochin <strong>de</strong>n Rahmenvereinbarungen nicht geför<strong>de</strong>rt und ist wohl auchnicht för<strong>de</strong>rwürdig, kritisiert Eßer.Dr. Volker Eissing dankt <strong>de</strong>r Politik für die Rahmenrichtlinienund Strukturen, die sie geschaffen hat, merkt jedoch an, sie müsstennoch viel besser genutzt wer<strong>de</strong>n. Er bemängelt bei <strong>de</strong>n Ärzten die fehlen<strong>de</strong>Botschaft. Hätten die Ärzte etwa die Botschaft wie „Ich bin daund vermittel Vertrauen“, dann – ist sich Eissing sicher – „haben wirfür <strong>de</strong>n Patienten auch ein Rezept.“Mit <strong>de</strong>m Psalm „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnenwir ein weises Herz“ weist Prof. Dr. Andreas Wittrahm aufeine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Errungenschaft <strong>de</strong>r Palliativ- und Hospizkultur hin:In <strong>de</strong>n letzten 30 Jahren haben alle Beteiligten verstan<strong>de</strong>n, dass es auf<strong>de</strong>n einzelnen Tag ankommt, <strong>de</strong>r noch bleibt. „Unser Leben ist endlichund darum dürfen wir endlich leben“. Ulrike Clahsen greift <strong>de</strong>n Gedankenauf, <strong>de</strong>r auch auf <strong>de</strong>m Hospizflyer <strong>de</strong>r Hermann-Josef-Stiftung steht„Endlich. Mitten im Leben“. Sie versteht die hospizliche Arbeit zutiefstals Palliativarbeit und lehnt eine Trennung ab. „Das, was wir im Hospizmachen, ist auch eine Lebensbegleitung bis zum Sterben“, sagt sie.Dr. Elisabeth Ebnerv.l.n.r.:Dr. med. Birgit Weihrauch,Prof. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann Nauck,Veronika Schönhofer-Nellessen,Dr. med. Volker Eissing, UlrikeClahsenProf. Dr. Andreas Wittrahm,Prof. Dr. med. Werner Schnei<strong>de</strong>r,Stephanie Eßer


20 Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch0.3 Plenumsvorträge am Samstag3.1 Grußwort Michael WirtzVorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Grünenthal-Stiftungfür PalliativmedizinVielen Dank für die wie immer herzliche Begrüßung und Ihre erneuteEinladung, liebe Frau Schönhofer-Nellessen, heute beim 92. AachenerHospizgespräch ein Grußwort sprechen zu dürfen. Auch in diesemJahr unterstützt das Familienunternehmen Grünenthal Ihrem Wunschentsprechend das große bun<strong>de</strong>sweit ausgerichtete Aachener Hospizgespräch,<strong>de</strong>ssen Auftakt schon gestern im Museum Zinkhütterhof inStolberg mit viel Zuspruch stattgefun<strong>de</strong>n hat.Michael Wirtz1. Die ChartaIm September 2010 wur<strong>de</strong> die Charta zur Betreuung schwerstkranker undsterben<strong>de</strong>r Menschen in Deutschland in Berlin präsentiert (www.chartazur-betreuung-sterben<strong>de</strong>r.<strong>de</strong>).Rund 150 Expertinnen und Experten infünf Arbeitsgruppen setzten und setzen sich mit <strong>de</strong>n existenziellen PhänomenenSterben, Tod und Trauer vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>nBe<strong>de</strong>utung chronisch unheilbarer Erkrankungen, <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischenWan<strong>de</strong>ls sowie sich än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r gesellschaftlicher Strukturen auseinan<strong>de</strong>r.Der Charta-Prozess soll dazu beitragen, diese Aufgabe im öffentlichen Bewusstseinpräsent zu machen, zu verankern und zugleich Perspektivenfür die Entwicklung in <strong>de</strong>r Zukunft aufzuzeigen. Ich danke <strong>de</strong>n hier anwesen<strong>de</strong>nWegbereitern dieses nationalen Charta-Prozesses, allen voranFrau Dr. Weihrauch und Herrn Prof. Nauck für ihr wichtiges Engagement.Es war für mich und meine Frau ganz selbstverständlich, anlässlich<strong>de</strong>s 90. Aachener Hospizgespräches mit <strong>de</strong>m Thema „Wasbe<strong>de</strong>utet es, wenn eine Kommune die Charta für Schwersterkrankteunterschreibt?“ uns mit unserer Unterschrift im Zinkhütterhof anzuschließen.Ich hoffe, dass auch von diesem Akt eine Vorbildfunktion vonAachen bun<strong>de</strong>sweit ausstrahlt und die „Charta für Schwersterkankteund sterben<strong>de</strong> Menschen“ große Akzeptanz und Verbreitung in ganzDeutschland und bald in allen 21 Län<strong>de</strong>rn Europas fin<strong>de</strong>n wird. Icherlaube mir kurz, die 5 Leitsätze in Erinnerung zu rufen:• Gesellschaftliche Herausfor<strong>de</strong>rungen – Ethik, Recht und öffentlicheKommunikation• Bedürfnisse <strong>de</strong>r Betroffenen – Anfor<strong>de</strong>rungen an die Versorgungsstrukturen• Anfor<strong>de</strong>rung an die Aus-, Weiter- und Fortbildung• Entwicklungsperspektiven und Forschung• Die europäische und internationale Dimension.Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch21Ich wer<strong>de</strong> meine Möglichkeiten als Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>rGrünenthal-Stiftung für Palliativmedizin ausschöpfen, damit diese Zielesoweit wie möglich verwirklicht wer<strong>de</strong>n.2. Palliativmedizin-Lehrstuhl in AachenFür die im Jahre 1998 ins Leben gerufene Grünenthal-Stiftung für Palliativmedizin,die im Jahre 2002 erreichte, dass die Stiftungsprofessur fürPalliativmedizin am Universitätsklinikum Aachen eingerichtet wer<strong>de</strong>nkonnte, ist zur Zeit immer noch eine wichtige Frage offen. Die Berufungskommission<strong>de</strong>s UKA hat sich wie<strong>de</strong>r Mitte Oktober getroffen,um zu beraten, wem die Besetzung <strong>de</strong>s Lehrstuhls und <strong>de</strong>r Klinikleitungkünftig anvertraut wer<strong>de</strong>n soll, nach<strong>de</strong>m Prof. Radbruch <strong>de</strong>m Ruf andie Bonner Universitätsklinik gefolgt ist. Eine Entscheidung dazu erfolgtnoch in diesem Jahr. Dem kommissarischen Direktor <strong>de</strong>r Klinik für Palliativmedizinam UKA, Herrn Prof. Dr. Frank Elsner, sind wir sehr dankbar,dass er die verantwortungsvolle Arbeit mit Ausdauer und nicht nachlassen<strong>de</strong>mEngagement zusammen mit seinem ganzen Team fortsetzt.Die Palliativmedizin, <strong>de</strong>r sich Grünenthal als Arzneimittelherstellerund Schmerzexperte in hohem Maße verpflichtet fühlt, entwickeltsich von Jahr zu Jahr in die richtige Richtung. Die Aufnahme <strong>de</strong>rSchmerzmedizin neben <strong>de</strong>r Palliativmedizin als eigener Querschnittsbereichin die Approbationsordnung ist ein ganz wichtiger Schritt zurOptimierung <strong>de</strong>r ärztlichen Ausbildung. Die Konsequenz aus <strong>de</strong>r frühenAuseinan<strong>de</strong>rsetzung mit diesem Spezialgebiet wird ein besseres Knowhowin Sachen Differentialdiagnostik, Epi<strong>de</strong>miologie und <strong>de</strong>r Präventionvon Schmerzen sein. Bei<strong>de</strong> Fächer, so formuliert es Prof. Koppert,Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Deutschen Schmerzgesellschaft, vermitteln mit <strong>de</strong>rSchmerztherapie am Lebensen<strong>de</strong> gemeinsame Lehrinhalte, <strong>de</strong>nnochsind die Überschneidungen <strong>de</strong>nkbar gering. Die unterschiedlichen undteilweisen konträren Behandlungsansätze von Patienten mit akuten undchronischen Schmerzen einerseits und Patienten in <strong>de</strong>r Palliativversorgungan<strong>de</strong>rerseits rechtfertigen nach Meinung von Prof. Koppert jeweilseigene Querschnittsbereiche.


22 Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch3. Lehrstühle Palliativmedizin in DeutschlandZu <strong>de</strong>n Lehrstühlen für Palliativmedizin in Aachen, Bonn, Köln, München,Göttingen, Erlangen und Mainz ist Freiburg hinzugekommen. Die ersteLehrstuhlinhaberin für Palliativmedizin in Ba<strong>de</strong>n-Württemberg ist FrauProfessor Dr. Dipl.-Theol. Gerhild Becker. Sie wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r UniversitätFreiburg auf die Stiftungsprofessur für Palliativmedizin berufen, die 2012von <strong>de</strong>r Deutschen Krebshilfe im Rahmen <strong>de</strong>s För<strong>de</strong>rschwerpunkt-Programms„Palliativmedizin“ eingerichtet wor<strong>de</strong>n ist. Frau Professor Beckerist Internistin und leitet seit 2006 die Palliativstation am UniversitätsklinikumFreiburg. Nach Forschungsaufenthalten in Großbritannien und <strong>de</strong>nUSA konnte sie wegweisen<strong>de</strong> Projekte zur Forschung, Weiterbildung undLehre in <strong>de</strong>r Palliativmedizin am Universitätsklinikum Freiburg etablieren.In München hat Frau Professor Bausewein <strong>de</strong>n Lehrstuhl übernommen,nach<strong>de</strong>m Prof. Borasio <strong>de</strong>n Ruf an die Palliativklinik <strong>de</strong>r Universitätvon Lausanne erhalten hat. Nach über fünf Jahren am CicelySaun<strong>de</strong>rs Institute <strong>de</strong>s renommierten King‘s College in London kehrtdie gebürtige Münchnerin Claudia Bausewein an das Klinikum <strong>de</strong>r Ludwig-Maximilians-Universitätzurück. Sie übernimmt <strong>de</strong>n Lehrstuhl fürPalliativmedizin <strong>de</strong>r Ludwig-Maximilians-Universität und widmet sich imInterdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin (IZP) am Campus Großha<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Patientenversorgung sowie <strong>de</strong>r Forschung und Lehre. Prof.Bausewein hat an <strong>de</strong>r LMU Medizin studiert und war von 2006 bis 2007bereits Geschäftsführen<strong>de</strong>r Vorstand <strong>de</strong>s IZP.Ein wichtiges Ziel muss weiter verfolgt wer<strong>de</strong>n: Je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utscheUniversitätsstandort mit medizinischer Fakultät sollte schon bald eineeigenen Lehrstuhl für Palliativmedizin besitzen. Die Grünenthal Stiftungfür Palliativmedizin hat in Aachen einen Anfang gemacht – ich hoffe,dass dieses Beispiel weiter Schule machen wird und die <strong>de</strong>utsche Landkarte<strong>de</strong>r Lehrstühle und Professuren für Palliativmedizin in volles Grüngefärbt wer<strong>de</strong>n kann, beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n nördlichen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>rn Berlin,Bran<strong>de</strong>nburg und Mecklenburg-Vorpommern.4. Selbstbestimmung am Lebensen<strong>de</strong>Die Diskussion um die Sterbehilfe in Deutschland reißt nicht ab. Gera<strong>de</strong>die Aktivitäten in unserem Nachbarland Schweiz heizen die kontroverseAuseinan<strong>de</strong>rsetzung mit diesem sensiblen Thema immer wie<strong>de</strong>r an.Mittlerweile hat fast je<strong>de</strong>r schon einmal etwas von Dignitas o<strong>de</strong>r Exitgehört o<strong>de</strong>r gelesen. Letztgenannte Organisation besteht seit 30 Jahrenund zählt mittlerweile 80.000 schweizerische Staatsbürger als Mitglie<strong>de</strong>r.Hier wer<strong>de</strong>n auch <strong>de</strong>s Lebens mü<strong>de</strong> gewor<strong>de</strong>ne betagte Menschenvon sog. ehrenamtlichen Freitodbegleitern mit Natriumpentobarbitalversorgt, das nach oraler bzw. intravenöser Zufuhr innerhalb von 20 bis30 Minuten durch Atem- und Kreislaufstillstand zum To<strong>de</strong> führt. Die Hilfestellung,also die Suizidassistenz ist in <strong>de</strong>r Schweiz auch Ärzten möglich– bei uns ist dies stan<strong>de</strong>srechtlich verboten.Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch23Inwieweit <strong>de</strong>r anstehen<strong>de</strong> Gesetzentwurf <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sjustizministeriumsLockerungen vorsieht, sollte kritisch geprüft wer<strong>de</strong>n. Der Gesetzentwurfsieht vor, die kommerzielle Sterbehilfe zu verbieten, Sterbebegleitungjedoch soll zulässig wer<strong>de</strong>n für Angehörige sowie Ärzte und Pfleger,die <strong>de</strong>m Sterbewilligen schon lange nahestehen. Die rechtliche Grauzoneheißt: Beihilfe zur Selbsttötung steht nicht unter Strafe; Tötung aufVerlangen dagegen schon. Der Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Zentralkomitees <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschenKatholiken, Alois Glück spricht sich dafür aus, Sterbehilfe durcheine bessere Schmerztherapie ganz überflüssig zu machen. Statt übereine gesetzliche Ausweitung <strong>de</strong>r Sterbehilfe zu diskutieren, müsse dieGesellschaft Alternativen zur Sterbehilfe anbieten – etwa durch einenmassiven Ausbau <strong>de</strong>r Palliativ- und Schmerzmedizin.Prof. Borasio, jetzt in Lausanne tätig, äußerte seine allergrößtenBe<strong>de</strong>nken gegenüber <strong>de</strong>r Suizidassistenz bei betagten, aber nichttödlich erkrankten Menschen und setzt weiterhin auf eine flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>Palliativbetreuung in <strong>de</strong>r Schweiz, die nach seiner Meinung in<strong>de</strong>n nächsten 5 bis 10 Jahren erreicht wer<strong>de</strong>n kann. Auch im DeutschenEthikrat ist eine Kontroverse um das Thema Sterbehilfe ausgebrochen.Das Berliner Ethikratsmitglied Prof. Volker Gerhardt betonte in seinerStellungnahme Anfang <strong>de</strong>s Jahres: „Selbstbestimmung be<strong>de</strong>utet, dassje<strong>de</strong>r über sein Leben selbst bestimmen kann. Das schließt logisch wiefaktisch die Entscheidung über das eigene Lebensen<strong>de</strong> ein.“ Dagegenhält m. E. zu Recht z. B. <strong>de</strong>r Augsburger Weihbischof Anton Losinger,ebenfalls Ethikratsmitglied: Die Herausfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Umgangs mit Menschenin dieser existenziell herausgefor<strong>de</strong>rten Situation müsse lauten:„ihnen einen Raum <strong>de</strong>s Behütetseins und <strong>de</strong>r Begleitung zu geben“.


24 Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch5. Anerkennungs- und För<strong>de</strong>rpreis für ambulantePalliativversorgungZur Anerkennung <strong>de</strong>s beson<strong>de</strong>ren Engagements bzw. zur För<strong>de</strong>rung vonInitiativen und Projekten im Rahmen <strong>de</strong>r ambulanten Palliativversorgungverleiht die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin jährlich <strong>de</strong>n „Anerkennungs-und För<strong>de</strong>rpreis für ambulante Palliativversorgung“. Seit2008 wur<strong>de</strong>n dafür 77 Projekte eingereicht und 12 davon ausgezeichnet.Stifter <strong>de</strong>s mit 10.000 Euro dotierten Preises ist die Firma GrünenthalGmbH. Der Preis kann vergeben wer<strong>de</strong>n an Personen und Institutionen,die sich in beson<strong>de</strong>rer Weise um die Entwicklung <strong>de</strong>r Palliativmedizinim ambulanten Bereich verdient gemacht haben. „Anerkennungs- undFör<strong>de</strong>rpreis“ be<strong>de</strong>utet, dass damit schon geleistetes beson<strong>de</strong>res Engagementin <strong>de</strong>r ambulanten Palliativversorgung anerkannt wer<strong>de</strong>n soll,aber gleichzeitig auch eine zukünftige Weiterführung geför<strong>de</strong>rt wird.Die Jury hat im Jahr 2012 unter zwölf eingereichten Arbeiteneinstimmig die Darstellung <strong>de</strong>r Entwicklung eines SAPV-Teams in einerländlichen Region für <strong>de</strong>n ersten Preis ausgewählt. Dieses Projekt, soJurypräsi<strong>de</strong>nt Prof. Dr. Raymond Voltz, konnte nicht nur anschaulichund damit vorbildhaft zeigen, dass <strong>de</strong>r Aufbau <strong>de</strong>r Spezialisierten AmbulantenPalliativversorgung im ländlichen Raum durchaus möglich ist,zusätzlich überzeugte die Arbeit durch ihre klare und aussagekräftigeDarlegung <strong>de</strong>r Thematik, <strong>de</strong>r Methodik, <strong>de</strong>r Datenlage und <strong>de</strong>r konkretenHerausfor<strong>de</strong>rungen vor Ort.Herzlichen Glückwunsch auch von meiner Seite an das Team <strong>de</strong>rAmbulanten Palliativ- und Hospizversorgung Kempten-Oberallgäu undzwar: Frau Dr. med. Sonja Burandt, Frau Christa Knedlitschek, Frau Dr.med. Sabine Kubuschok, Frau Dr. med. Maja Norys und Herrn PD Dr.med. Otto Prümmer für die Arbeit „Vom För<strong>de</strong>rprojekt <strong>de</strong>r DeutschenKrebshilfe zur SAPV: Aufbau eines SAPV-Teams im ländlichen Raum“.Das SAPV-Team <strong>de</strong>r ambulanten Palliativ- und HospizversorgungKempten-Oberallgäu hat sich nach kurzer Tätigkeit als eine wichtigeneue Säule in <strong>de</strong>r ambulanten Patientenversorgung etabliert.r.: Michael Wirtz undDr. med. Sonja Burandt6. AMG-Novelle / Reform <strong>de</strong>s BtM-GesetzesEin weiterer Schritt zur Verbesserung ist ohne Zweifel auch die En<strong>de</strong> Juni2012 beschlossene AMG-Novelle zur Überlassung von Betäubungsmittelnan ambulant versorgte Palliativpatienten in Notsituationen. DamitPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch25wird das Anliegen <strong>de</strong>r Hospiz- und Palliativverbän<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r engagiertenmedizinischen Gesellschaften und <strong>de</strong>r Deutschen PalliativStiftung aufgegriffen,die Arbeit <strong>de</strong>r behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Ärzte zu erleichtern und diemedikamentöse Situation von Palliativpatienten zukünftig zu verbessern.Hier danke ich insbeson<strong>de</strong>re stellvertretend Herrn Prof. Frie<strong>de</strong>mannNauck und Herrn Thomas Sitte, Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Deutschen PalliativStiftung,Fulda, die diese Versorgungsoptimierung – wenn man sosagen darf – durchgekämpft haben.Im letzten Jahr war es mir ein beson<strong>de</strong>res Anliegen, die Arbeit<strong>de</strong>r ehrenamtlichen Helfer in <strong>de</strong>r Hospiz- und Palliativarbeit zu würdigen.Die körperlich und geistig anstrengen<strong>de</strong> Arbeit von über 100.000ehrenamtlichen Helfern in <strong>de</strong>r Hospizarbeit macht eine menschenwürdigeBetreuung in <strong>de</strong>r letzten Lebensphase <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong>n Anzahl<strong>de</strong>r Betroffenen erst möglich. Mit großer Freu<strong>de</strong> habe ich gesehen, dassin diesem Jahr die Verdienste und das Wirken <strong>de</strong>s Ehrenamtes in beson<strong>de</strong>remMaße bei diesem Kongress zur Sprache kommen wird, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>rTitel „Palliative und hospizliche Kultur: Vorwärts auf <strong>de</strong>m Weg zurück indie Gesellschaft“ lässt keinen an<strong>de</strong>ren Schluss zu. Wie auch im letztenJahr möchte ich an dieser Stelle <strong>de</strong>n auch heute hier anwesen<strong>de</strong>n ehrenamtlichenMitarbeitern und Helfern ganz herzlich für ihr selbstlosesund aufopfern<strong>de</strong>s Engagement danken und ermutigen, dies auch weiterhinnach Kräften zu tun.Liebe Frau Schönhofer-Nellessen, für Ihre kompetente Beratungs-und Koordinierungsarbeit in unserer StädteRegion Aachen gebührtIhnen und Ihrem Team wie<strong>de</strong>r ganz beson<strong>de</strong>rer Dank. Sie sind unsjetzt schon wie<strong>de</strong>r ein ganzes Stück voraus, in<strong>de</strong>m Sie wie unser großerEnergieversorger mit viel eigener Energie und Energie Ihres TeamsVORWEG Gehen und jetzt schon die Themen für 2013 vorbereiten unduns alle somit auf Trab halten. Ich wünsche diesem 92. Aachener Hospizgesprächeinen guten Verlauf und hoffe, dass Grünenthal sich weiterhinin die Aachener Hospizgespräche und -Initiativen einbringen darfund rufe Ihnen allen zu: Vorwärts (es darf keinen Weg zurück geben),aber doch zurück zu uns allen: in die Gesellschaft.


26 Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch3.2 Prof. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann NauckPräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaftfür PalliativmedizinProf. Dr. med.Frie<strong>de</strong>mann NauckEinführend in seinen Vortrag „Forschung in <strong>de</strong>r Palliativmedizin – Einegesellschaftliche und ethische Herausfor<strong>de</strong>rung“ weist Prof. Dr. med.Frie<strong>de</strong>mann Nauck darauf hin, dass Cicely Saun<strong>de</strong>rs schon 1977 formulierthat, was hospizlich-palliative Arbeit be<strong>de</strong>utet: <strong>de</strong>n „high-personlow-technology“Ansatz, die Symptomkontrolle und Schmerztherapie,die kontinuierliche Betreuung, die individuelle Behandlung, die IntegrationEhrenamtlicher, die Koordination und Supervision, die Forschungsowie Unterricht und Ausbildung.Das Problem bei <strong>de</strong>r Forschung am Lebensen<strong>de</strong> skizziert nachNaucks Ansicht eine Arbeit von M. Bennett aus <strong>de</strong>m Jahr 2010 treffend,in <strong>de</strong>r er die Schwierigkeiten in <strong>de</strong>r uneinheitlichen Terminologie und<strong>de</strong>n zu wenigen symptomatologischen Studien <strong>de</strong>finiert. Nauck stellt fürdie Zukunft klare For<strong>de</strong>rungen auf. Seines Erachtens ist es unabdingbarForschungsnetzwerke zu bil<strong>de</strong>n, bestehen<strong>de</strong> Ressourcen besser zu nutzenund stabile Forschungsprogramme zu etablieren. Nauck zeigt, wielaut Bennett bis 2008 die unterschiedlichen Begriffe verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n.Er plädiert für eine klare Benennung <strong>de</strong>r Dinge, die in <strong>de</strong>r Hospiz- undPalliativarbeit getan wer<strong>de</strong>n.Abteilung Palliativmedizin I Palliativmedizin in GöttingenForschung am Lebensen<strong>de</strong>Bennett M et al., Pall Med 2010; 24:456-461Der Direktor <strong>de</strong>r Abteilung Palliativmedizin <strong>de</strong>r Georg-August-UniversitätGöttingen zeigt <strong>de</strong>s Weiteren eine Übersicht „Was kann und sollForschung in <strong>de</strong>r Palliativmedizin leisten?“. Dafür hat er einen Fragen-Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch27und I<strong>de</strong>enkatalog zusammengestellt, <strong>de</strong>r sich aus <strong>de</strong>r Arbeit auf <strong>de</strong>rStation und <strong>de</strong>m Austausch mit <strong>de</strong>n Kollegen in <strong>de</strong>r Mittagsbesprechungergibt:Was kann und soll Forschung in <strong>de</strong>r Palliativmedizin leisten?Fragen aus <strong>de</strong>n letzten 12 Monaten• Klinik – medizinisch und pflegerisch• Behandlung von Dyspnoeattacken? O 2-Gabe o<strong>de</strong>r Opioi<strong>de</strong>?• VAC-Therapie auch ambulant finanziert?• Welche Lagerungshilfsmittel sind wirksam?• Welche Kosten für Pflegehilfsmittel sind „erlaubt“?• Behandlung <strong>de</strong>s IIeus?• Ethische Fragestellungen• Sedierung – wann, bei wem, welche Voraussetzungen,Zustimmung <strong>de</strong>s Patienten?• Was ist das Beson<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>r „palliativen“ Haltung? –5 Jahre Palliativzentrum Göttingen (PZG)• Verlegung von Patienten in das Hospiz, eine Pflegeeinrichtung –wann, wen, warum?• Umgang mit Autonomie/Selbstbestimmung• Wirkung von Seelsorge und spiritueller Begleitung auf Outcome• Finanzierung von Palliative Care (ambulant/stationär)• Wie viel kostet SAPV/SAPPV?• Wie viel Zeit darf Palliativversorgung in Anspruch nehmen?• Wie viel Personal wird für die stationäre Behandlungbei 10 Betten benötigt?„Ohne gute Praxis und die Befragung <strong>de</strong>rjenigen, die mit <strong>de</strong>n Patientenumgehen, können wir keine gute Forschung machen“, versichertNauck. Einen an<strong>de</strong>ren Weg, die vorhan<strong>de</strong>nen Wissenslücken zu schließenund daraus Wissenschaft entstehen zu lassen, gibt es für ihn nicht.Forschung in <strong>de</strong>r Palliativmedizin muss multidisziplinär sein, schon <strong>de</strong>shalb,weil die Palliativversorgung selbst auch multidisziplinär ist. FürNauck ergeben sich daraus zwei Forschungsmetho<strong>de</strong>n: die Quantitativeund die Qualitative Forschung.Die Quantitative Forschung verfolgt die Ansätze und Ziele:• Generierung von Daten in Form von Zahlen• Untersuchung von Verhalten in Form von Mo<strong>de</strong>llen,Zusammenhängen und Ausprägungen• Datenerhebung durch standardisierte Fragebögen, Experimente etc.• Statistische Auswertung• Ableitung und Prüfung von Hypothesen anhand bestehen<strong>de</strong>rTheorienBeispiele: Hospiz- und Palliativerhebung (HOPE), Daten zu Versorgungsstrukturen


28 Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächDie Qualitative Forschung verfolgt diese Ansätze und Ziele:• Generierung von Daten in Form von Texten• Untersuchung sozialer Phänomene und Prozesse unter Einbezug<strong>de</strong>r individuellen Perspektive• Datenerhebung mit narrativen Interviews, Leitfa<strong>de</strong>ninterviews,Gruppenverfahren etc.• Offene Herangehensweise mit Generierung von Hypothesenund Theorien im ForschungsprozessBeispiele: Studie zu Patientenverfügungen Autonomie und VertrauenBei<strong>de</strong> Metho<strong>de</strong>n bringen Probleme mit sich, <strong>de</strong>nen sich die Forschungstellen muss. Das sind zum Beispiel die geringen Patientenzahlen unddie hohen Abbruchraten, die nur kleine Studien ermöglichen. O<strong>de</strong>rauch die Einschränkungen <strong>de</strong>r kognitiven und körperlichen Funktionen<strong>de</strong>r Patienten, die zu einer sehr niedrigen Belastbarkeit führen. Ein weiteresProblem ist die Aufklärung eines multimorbi<strong>de</strong>n Patienten o<strong>de</strong>reines Patienten im fortgeschrittenen Kankheitsstadium, um <strong>de</strong>ssenEinverständnis zu bekommen. Oft ist das nicht möglich, bedauert <strong>de</strong>rArzt Nauck. Palliativmedizinische Forschung ist komplex und mit einerVielzahl forschungsethischer und forschungsmethodischer Problemebehaftet. Implizit o<strong>de</strong>r explizit wer<strong>de</strong>n ethische Be<strong>de</strong>nken bzgl. palliativmedizinischerForschung einge<strong>de</strong>nk <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Vulnerabilität<strong>de</strong>r wissenschaftlich untersuchten Patientengruppe artikuliert. Hier giltPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch29es gemeinsam Wege zu fin<strong>de</strong>n, eine ethisch vertretbare Forschung zuetablieren, um die zahlreichen offenen Fragen zukünftig gemeinsam beantwortenzu können.Nauck verweist in diesem Zusammenhang auf die erste klinischeStudie, die James Lind 1753 durchführte, um <strong>de</strong>n Ausbruch vonSkorbut auf <strong>de</strong>n Schiffen zu verhin<strong>de</strong>rn.Für die Forschung in <strong>de</strong>r Palliativmedizin sind die Ergebnisse wichtigund die Frage, was miteinan<strong>de</strong>r verglichen wird. Diese These belegtNauck im Folgen<strong>de</strong>n mit einigen aktuellen Beispielen u. a. mit <strong>de</strong>m Forschungsprojekt:„Autonomie und Vertrauen in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Medizin“,Interdisziplinäre Forschergruppe mit 7 Teilprojekten <strong>de</strong>r Uni Göttingen seit10/2010, Teilprojekt Medizin: Autonomie und Vertrauen im klinischpraktischenKontext <strong>de</strong>r Behandlungsentscheidungen am Lebensen<strong>de</strong>.Abteilung Palliativmedizin I Palliativmedizin in GöttingenJames Lind: Treatise on Scurvy (1753)12 Patienten mit Skorbutgleiche Symptomegleiche Ernährung6 Behandlungen:1 Liter Ci<strong>de</strong>r pro Tag25 Tropfen Vitriol Schwefelsäure 3/d2 Löffel Essig 3/d mit <strong>de</strong>m Essen0,5 Liter Seewasser mit <strong>de</strong>m Essen2 Orangen, 1 Zitrone pro TagMus mit Knoblauch, Senfsamenwww.jameslindlibrary.comNauck been<strong>de</strong>t seine Ausführungen mit <strong>de</strong>m Appell, dringend bessereBedingungen im klinischen Alltag für Forschungstätigkeiten z. B. durchdie Finanzierung von Forschungsstellen zu schaffen. Die Durchführungvon Forschung für bzw. an schwerst- und sterbenskranken Patientenist vor allem dann erfor<strong>de</strong>rlich und geboten, wenn palliativmedizinischeForschung direkt klinisch relevant ist. Sie kann die Möglichkeit eröffnen,an<strong>de</strong>re Mitpatienten profitieren zu lassen. Jedoch nur unter <strong>de</strong>r Bedingung,die beson<strong>de</strong>re Vulnerabilität und Vorsorgenotwendigkeit <strong>de</strong>r in<strong>de</strong>r Palliativmedizin behan<strong>de</strong>lten Patienten zu akzeptieren. Forschungkann mit Sicherheit zu einer palliativen und hospizlichen Kultur: „Vorwärtsauf <strong>de</strong>m Weg zurück in die Gesellschaft“ beitragen, ist sich Frie<strong>de</strong>mannNauck sicher.


30 Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch3.3 Dr. med. Birgit WeihrauchStaatsrätin a. D., ehemalige Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong><strong>de</strong>s Deutschen Hospiz- undPalliativVerban<strong>de</strong>s e. V.Dr. med. Birgit Weihrauch„Wird Sterbebegleitung zur Geschäftsi<strong>de</strong>e am Gesundheitsmarkt?“fragt Dr. Birgit Weihrauch, ehemalige Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s DeutschenHospiz- und PalliativVerban<strong>de</strong>s e. V. (DHPV) und Staatsrätin a. D.vor <strong>de</strong>m Hintergrund, dass „unser Gesundheitssystem immer stärkervon Wettbewerb und ökonomischen Interessen geprägt wird.“ Sie glie<strong>de</strong>rtihre Ausführungen in einen Rückblick auf 30 Jahre Hospizbewegungund Palliativmedizin, die Frage „Der Gesundheitsmarkt – Spiegelunserer Gesellschaft?“ und die For<strong>de</strong>rung nach einer starken Gegenbewegung.Als Ausblick formuliert Birgit Weihrauch drei Themen, diekünftig diskutiert wer<strong>de</strong>n müssen, um die Ziele <strong>de</strong>r Hospizbewegungzu erreichen: Hospizkultur und bürgerschaftliches Engagement, neueBalance zwischen Kurativ- und Palliativversorgung in <strong>de</strong>r Breite sowieeine nationale Strategie.Wie die repräsentative Bevölkerungsbefragung „Sterbenin Deutschland – Wissen und Einstellungen zum Sterben“ <strong>de</strong>s DHPV(durchgeführt von <strong>de</strong>r Forschungsgruppe Wahlen Telefonfeld im Auftrag<strong>de</strong>s DHPV) im Juni 2012 ergab, sind Sterben und Tod kein Tabumehr. Die Bevölkerung for<strong>de</strong>rt eine intensivere Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mitdiesen Themen, hebt Weihrauch hervor. Sie zeigt nur einige wenige Ergebnisse<strong>de</strong>r Befragung, die belegen, wie weit die Gesellschaft im Umgangmit <strong>de</strong>m Thema Sterben und Tod ist. Eine Folie stellt zum Beispielunsere Gesellschaft befasst sichmit <strong>de</strong>m thema „Sterben und Tod” ...583237zu vielgera<strong>de</strong> richtigzu wenigkeine AngabeFGW Telefonfeld GmbH: Umfrage „Erfahrungen mit <strong>de</strong>m Sterben eines nahestehen<strong>de</strong>n Menschen”; Juni 2012 (n = 1.044)Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch31ganz <strong>de</strong>utlich heraus: Die Gesellschaft beschäftigt sich im öffentlichenRaum noch immer viel zu wenig mit diesem Thema. Das sagen 58 Prozent<strong>de</strong>r Befragten.Die ehemalige Vorstandvorsitzen<strong>de</strong> stellt die provokante Frage,ob künftig das Lebensen<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r „Produktionslogik“ verschontbleiben wird. Schon an <strong>de</strong>n Begriffen wird ihrer Meinung nach <strong>de</strong>utlich,wie stark das Gesundheitssystem <strong>de</strong>m Wettbewerb gehorcht:Gesundheitswirtschaft, Gesundheitsmarkt, Gesundheitsgesellschaft undKun<strong>de</strong>n, Klienten, Konsumenten, Versicherte? Die Zahlen, Datenund Fakten belegen: die Gesundheitswirtschaft ist die am schnellstenwachsen<strong>de</strong> Branche in Deutschland. „So lange die Politik Gesundheitvor allem als Wachstumsmarkt auffasst, wird sie die Devise „wenigerist mehr nicht“ als Patientenschutz verstehen, son<strong>de</strong>rn als bedrohlichenKonjunktureinbruch für die Medizinindustrie“, zitiert die Referentin auseinem Kommentar einer <strong>de</strong>utschen Tageszeitung.gesundheitswirtschaft in <strong>de</strong>utschland –„Von <strong>de</strong>r Last zur Chance”Zahlen, Daten, Fakten*:• die am schnellsten wachsen<strong>de</strong> Branche• 4,8 Mio. Beschäftigte (334.000 ÄrztInnen,890.000 Pflegekräfte)• 11,6% <strong>de</strong>s Bruttoinlandsprodukts (287 Mrd. Euro Ausgaben)• Großer Exportüberschuss (rd. 8 Mrd. Euro)• Mit 16.400 Patienten – Medizintechnik Spitzenreiter auf<strong>de</strong>r Liste <strong>de</strong>r ErfindungenWohlfahrtsfaktorFaktor für Innovation/WirtschaftskraftArbeitsmarktfaktorB. Weihrauch – Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. * Daten-Quelle: BMGAll diese Begrifflichkeiten sind mit <strong>de</strong>r Hospiz- und Palliativarbeitschwer vereinbar. Markt und Wettbewerb sind in diesem Zusammenhangdie falschen Prinzipien. „Wir sehen <strong>de</strong>n Menschen“, sagt Weihrauchund for<strong>de</strong>rt eine Gegenbewegung gegenüber <strong>de</strong>r Politik und<strong>de</strong>n Verantwortlichen im Gesundheitswesen, um <strong>de</strong>n Bedürfnissen undWünschen Schwerstkranker und Sterben<strong>de</strong>r besser gerecht wer<strong>de</strong>n zukönnen. Diese Gegenbewegung kann und muss weiter <strong>de</strong>r Hospizkulturmit ihren Werten Zuwendung, Zeit, Kommunikation, Ausrichtungan <strong>de</strong>m Bedarf und <strong>de</strong>m multiprofessionellen Geschehen verpflichtetbleiben. Als Kontrapunkt zum Gesundheitsmarkt brauche es „eine gesellschaftlicheKultur, bürgerschaftliches Engagement und die Solidaritätmit alten und schwerstkranken Menschen“, so Weihrauch.


32 Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächDer Handlungsbedarf besteht nach Weihrauch künftig in:• Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Versorgungsstrukturen• Ambulant: AAPV und SAPV integrativ und flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>ntwickeln• Allgemeine Palliativversorgung: Krankenhäuser, stationäre Pflegeeinrichtungen– Transfer in alle Bereiche <strong>de</strong>r Versorgung• Fragen <strong>de</strong>r Qualität, Qualifizierung und <strong>de</strong>s Qualitätsmanagements• Ehrenamtlichkeit und bürgerschaftliches Engagement unterstützen• Belange <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r berücksichtigen• Weiterer Ausbau im Sinne eines lernen<strong>de</strong>n Systems• Fokus auf Betroffenengruppen, die bisher kaum/nicht erreichtwur<strong>de</strong>n: alte Menschen, Menschen mit Demenz, Menschen mitBehin<strong>de</strong>rung• Weiterentwicklung einer Kultur <strong>de</strong>r Zusammenarbeit in Teams undNetzwerken – Augenhöhe, Wertschätzung, partnerschaftliches Miteinan<strong>de</strong>r<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Berufsgruppen und <strong>de</strong>r EhrenamtlichenIm Zusammenhang mit notwendigen Weiterentwicklungen nimmtWeihrauch Bezug auf die Charta zur Betreuung schwerstkranker undsterben<strong>de</strong>r Menschen, eine Gemeinschaftsinitiative von DGP, DHPV undBÄK, gestartet im September 2008 in Berlin. Die ehemalige Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong><strong>de</strong>s Deutschen Hospiz- und PalliativVerban<strong>de</strong>s been<strong>de</strong>tihren Vortrag mit <strong>de</strong>m Appell, <strong>de</strong>n langfristigen Prozess <strong>de</strong>r Umsetzung<strong>de</strong>r Charta und ihrer Weiterentwicklung zu einer nationalen Strategiemit vereinter Kraft voranzutreiben.Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch333.4 Prof. Dr. Michael EwersDirektor <strong>de</strong>s Instituts für Medizin-,Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft,Charité-Universitätsmedizin BerlinProf. Dr. Michael Ewers, Direktor <strong>de</strong>s Instituts für Medizin-, Pflegepädagogikund Pflegewissenschaft, Charité - Universitätsmedizin Berlin nutztedie Möglichkeit, um über die Palliativ- und Hospizkultur in <strong>de</strong>r Versorgungchronisch Kranker zu informieren. Er <strong>de</strong>finiert <strong>de</strong>n Be<strong>de</strong>utungszuwachschronischer Erkrankungen als „die dominieren<strong>de</strong>n Erkrankungen im Gesundheitssystemund einer <strong>de</strong>r Effekte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen Wan<strong>de</strong>ls.“Nach einer Schätzung sind etwa 40 Prozent <strong>de</strong>r Gesamtbevölkerungchronisch krank. 50 Prozent aller ambulant und stationär behan<strong>de</strong>ltenPatienten in Deutschland gehen auf chronische Gesundheitsbeeinträchtigungenzurück. Chronisch Kranke verursachen ca. drei Viertel aller Gesundheitskosten,referiert Michael Ewers und ergänzt, dass zwei Drittelaller To<strong>de</strong>sfälle auf chronische Krankheiten zurückgehen.Ewers gibt eine Zustandsbeschreibung: Der To<strong>de</strong>szeitpunkt <strong>de</strong>rMenschen verlagert sich heute ins höhere Lebensalter. Oftmals lei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>rSterben<strong>de</strong> an mehreren chronischen Erkrankungen (Multimorbidität) mitlangwierigen Verläufen. Dadurch verdichten sich die physischen, psychischenund sozialen Belastungen in <strong>de</strong>r letzten Lebensphase. Es bestehtein steigen<strong>de</strong>r Bedarf an Fremdhilfe bei alltagsnahen Verrichtungen, <strong>de</strong>nnhäufig ist in <strong>de</strong>r Spätphase chronischer Erkrankungen das familiäre undinformelle Hilfesystem erschöpft. An dieser Stelle kommt es, nach Ewers,zur Institutionalisierung <strong>de</strong>r Behandlung und Pflege.Prof. Dr. Michael EwersDie großen Herausfor<strong>de</strong>rungen, <strong>de</strong>nen sich alle mo<strong>de</strong>rnen Versorgungssystemestellen müssen, bestehen nach Darlegungen <strong>de</strong>s Referentenin <strong>de</strong>r Gesundheitsför<strong>de</strong>rung und Prävention in allen Lebensaltern undLebensphasen. Der Bedarf an sektoren-, organisations- und professions-


34 Plenumsvorträge / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgesprächübergreifen<strong>de</strong>r Koordination in <strong>de</strong>r Versorgung chronisch Kranker mussge<strong>de</strong>ckt sein. Des Weiteren besteht unter immer schwereren Bedingungenvon steigen<strong>de</strong>m Effizienzdruck die Notwendigkeit zur engen Zusammenarbeitunterschiedlicher Helfergruppen, bei zugleich steigen<strong>de</strong>nindividuellen Ansprüchen an gesundheitsrelevante Dienste. Information,Beratung, Anleitung sowie Selbstmanagement wer<strong>de</strong>n für alle Beteiligtenimmer wichtiger. Kennzeichnend für die mo<strong>de</strong>rnen Gesundheitssystemeist auch, dass <strong>de</strong>r Transfer von Versorgungslasten und Verantwortung zunehmendauf die Betroffenen verlagert wird.Michael Ewers for<strong>de</strong>rt: „Um die Versorgung und Pflege chronischkranker, multimorbi<strong>de</strong>r und sterben<strong>de</strong>r Menschen patientenorientierterzu gestalten, sollen leiten<strong>de</strong> Prinzipien und Wertvorstellungenaus <strong>de</strong>m Palliativ- und Hospizbereich verstärkt in alle Versorgungsbereicheübertragen wer<strong>de</strong>n. Der Referent nennt dabei etwa das Rechtauf Informationen über alle zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n Hilfs- und Versorgungsmöglichkeiten,aber auch die Unterstützung, um individuelldie bestmögliche Wahl zur Erhöhung <strong>de</strong>r Lebensqualität zu treffen. DerPatient wird in seinen Wertvorstellungen, Überzeugungen und Lebensweisenrespektiert und ganzheitlich versorgt. Es fin<strong>de</strong>t keine Isolierungstatt. Der Betroffene hat Anspruch darauf, dass die unterschiedlichenHelfer mit ihm ineinan<strong>de</strong>rgreifend und ergebnisorientiert zusammenarbeiten.Er wird nach aktuellem Erkenntnisstand und auf <strong>de</strong>r Grundlagebestmöglicher Evi<strong>de</strong>nz von interprofessionellen Teams versorgt.Mit diesem Anspruch sind erhöhte Qualifikationsanfor<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>rPflege chronisch kranker, multimorbi<strong>de</strong>r und sterben<strong>de</strong>r Menschen verbun<strong>de</strong>n.Die Anpassung <strong>de</strong>r Versorgung an die Bedürfnisse dieser pflegerischbeson<strong>de</strong>rs anspruchsvollen Patientengruppe mache nicht alleinverän<strong>de</strong>rte Leit- und Wertvorstellungen erfor<strong>de</strong>rlich. „Ebenso be<strong>de</strong>utsamsind wissenschaftlich fundierte Konzepte, zeitgemäße Qualifikationsprofileund för<strong>de</strong>rliche Kontextbedingungen“, so Ewers. Nur so könne <strong>de</strong>n gestiegenenAnfor<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Versorgung und Pflege dieser wachsen<strong>de</strong>nPatientengruppe in allen Versorgungssettings begegnet wer<strong>de</strong>n. DieEntwicklung im Hospiz- und Palliativbereich ist <strong>de</strong>shalb beson<strong>de</strong>rs wichtig,weil sie für an<strong>de</strong>re Bereiche <strong>de</strong>r Versorgung echten Mo<strong>de</strong>llcharakter hat.Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Podiumsdiskussion / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch353.5 PodiumsdiskussionChristoph DrolshagenHospiz- und Palliativverband NRW e.V.Prof. Dr. PH Michael EwersInstitut für Medizin-, Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft,Charité - Universitätsmedizin BerlinBeatrix HillermannDipl.-Theologin, Home Care StädteRegion Aachengem. GmbHProf. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann NauckPräsi<strong>de</strong>nt d. Dt. Gesellschaft für Palliativmedizin e. V.Dr. med. Birgit WeihrauchStaatsrätin a. D., ehemalige Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong><strong>de</strong>s Deutschen Hospiz- und PalliativVerban<strong>de</strong>s e. V.Johannes WüllerLtd. Arzt, Home Care StädteRegion Aachen gem. GmbHMo<strong>de</strong>ration: Veronika Schönhofer-NellessenIn <strong>de</strong>r einstündigen Abschlussrun<strong>de</strong> tauschen sich die Podiumsgästeüber die Kernfrage aus, wie die hospizliche und palliative Haltung inan<strong>de</strong>re Bereiche <strong>de</strong>s Gesundheitssystems übertragen wer<strong>de</strong>n kann.Christoph Drolshagen, Vorstand <strong>de</strong>s Hospiz- und Palliativverban<strong>de</strong>sNRW e. V., hebt hervor, wie viel die Hospizbewegung in <strong>de</strong>n vergangenenJahren schon erreicht hat. Jetzt müssen die vorhan<strong>de</strong>nen Netzwerkedafür genutzt wer<strong>de</strong>n, „aus <strong>de</strong>n Wettbewerbsstrukturen belastbareZusammenarbeitsstrukturen zu schaffen“.Christoph DrolshagenDie Leiterin <strong>de</strong>s im Aufbau befindlichen „Hospiz am Iterbach” <strong>de</strong>rHome Care StädteRegion Aachen gem. GmbH, Beatrix Hillermann,stimmt Drolshagen zu und berichtet, dass in ihrem Hospiz eine Doppelspitzein <strong>de</strong>r Führung die Art <strong>de</strong>r Zusammenarbeit <strong>de</strong>utlich macht.Gera<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>m Hintergrund zunehmen<strong>de</strong>r Standardisierung zeugtes von achtsamer Haltung, wie sich <strong>de</strong>r Umgang untereinan<strong>de</strong>r gestaltet.Im Vor<strong>de</strong>rgrund muss immer <strong>de</strong>r Gedanke stehen, einem an<strong>de</strong>ren,lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Menschen begleitend beizustehen. Nach HillermannsBeatrix Hillermann


36 Podiumsdiskussion / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächMeinung kann das Ehrenamt diesen Gedanken am besten ins Systembringen und umsetzen.Johannes WüllerFür Johannes Wüller spielt <strong>de</strong>r Faktor Zeit die wesentliche Rolle bei<strong>de</strong>m, was bei <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong>n Ökonomisierung <strong>de</strong>s Gesundheitssystemsan Haltung entwickelt wer<strong>de</strong>n kann. Er bekennt sich klar zumwirtschaftlichen Aspekt: „Die gute finanzielle Ausstattung eines Teamsist die Voraussetzung für Betreuung kranker Menschen“. Nur ein personellausreichend und finanziell gut bestücktes Team ist auch ein zufrie<strong>de</strong>nesTeam, <strong>de</strong>nn die gelebte Multiprofessionalität for<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n Mitarbeiternein hohes Maß an Leistungen ab, meint <strong>de</strong>r Ärztliche Leiter <strong>de</strong>rHome Care StädteRegion Aachen gem. GmbH.„Nicht nur die Haltung muss stimmen, auch die Kompetenz und dasWissen <strong>de</strong>r Betreuen<strong>de</strong>n“, führt Dr. med. Birgit Weihrauch <strong>de</strong>n Gedankenweiter aus. Je<strong>de</strong>r ist ein Diener am kranken Menschen, <strong>de</strong>r mitseinen Lei<strong>de</strong>n und Bedürfnissen unbedingt im Mittelpunkt aller Bemühungenstehen müsse. Bei <strong>de</strong>m integrativen Ansatz von Hospiz- undPalliativarbeit ist das eine ohne das an<strong>de</strong>re nicht möglich. Die Staatsrätina. D. und ehemalige Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Deutschen HospizundPalliativVerban<strong>de</strong>s e. V. gibt Johannes Wüller recht, „wir brauchenmateriell tragfähige Strukturen“. Weihrauch sieht eine große Herausfor<strong>de</strong>rungdarin, die Hospizkultur, das Wissen und die Kompetenz in dieBreite zu tragen, damit alle Menschen die Versorgung erhalten, die sieam Lebensen<strong>de</strong> brauchen.Dr. med. Birgit WeihrauchChristoph Drolshagen undProf. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann NauckPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Podiumsdiskussion / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch37Prof. Dr. Michael Ewers, Direktor <strong>de</strong>s Instituts für Medizin-, Pflegepädagogikund Pflegewissenschaft <strong>de</strong>r Charité Berlin, regt mit seinemWortbeitrag die Diskussion in die Richtung an, inwiefern in <strong>de</strong>r ambulanten,häuslichen Versorgung mit <strong>de</strong>r Medikalisierung eine „Überfremdung“stattfin<strong>de</strong>. Im Krankenhaus müsse sich <strong>de</strong>r Patient auf die„totale Institutionalisierung“ einlassen, wie Ewers sagt. Zu Hause seidas Rollenverständnis <strong>de</strong>s Arztes und <strong>de</strong>s Pflegen<strong>de</strong>n ein an<strong>de</strong>res, hiermüsse er sich legitimieren und brauche das Einverständnis <strong>de</strong>s Patienten.Beatrix Hillermann wirft ein, sie habe als Patientin die Erwartung,überall, also sowohl im Krankenhaus als auch zu Hause in dieEntscheidungsfindung mit einbezogen und entsprechend aufgeklärtzu wer<strong>de</strong>n.Beatrix Hillermann undProf. Dr. Michael EwersVeronika Schönhofer-Nellessenund Dr. med. Birgit Weihrauch


38 Podiumsdiskussion / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächDr. Hubert SchindlerProf. Dr. med.Frie<strong>de</strong>mann Nauck,Johannes Wüller u.Beatrix HillermannAus <strong>de</strong>m Publikum macht Dr. Hubert Schindler (v<strong>de</strong>k) auf <strong>de</strong>n ungelöstenDisput zwischen Johannes Wüller und Michael Ewers aufmerksam.Wüller vertrete <strong>de</strong>n Standpunkt, das SAPV-Team könne<strong>de</strong>m Patienten zu Hause Medikamente geben. Für Ewers wie<strong>de</strong>rumist die Medikalisierung nicht erlaubt. Liegt hier ein begriffliches Missverständnisvor, fragt Schindler? Der Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaftfür Palliativmedizin Prof. Dr. Frie<strong>de</strong>mann Nauck erläutert,Ewers ginge es nach seinem Verständnis vor allem um <strong>de</strong>n Respekt.Ärzte, Pflegen<strong>de</strong> und Menschen, die Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> zu Hause unterstützen,müssen eine an<strong>de</strong>re Haltung einnehmen: Im privaten Umfeld sind sieGäste. Wüller <strong>de</strong>finiert in diesem Kontext ein strukturelles Problem<strong>de</strong>r SAPV. Bei hospizlicher Versorgung im häuslichen Umfeld gäbe esnoch immer die ungelöste Frage nach <strong>de</strong>r Delegation ärztlicher Handlungenan gut ausgebil<strong>de</strong>te und engagierte Pflegekräfte. Was dürfendie Pflegen<strong>de</strong>n und womit fühlen sie sich noch sicher? Wüller sagt:„Wir <strong>de</strong>legieren mit Augenmaß.“ Drolshagen merkt an, hospizlicheHaltung hieße doch vor allem Achtsamkeit und vom Patienten und <strong>de</strong>ssenAngehörigen her zu <strong>de</strong>nken. Das beinhalte auch die Überlegung,wer in <strong>de</strong>m Augenblick <strong>de</strong>r bessere professionelle Ansprechpartner sei.Er wünscht sich <strong>de</strong>shalb eine Kommunikationskultur. Kommunikationkommt in <strong>de</strong>n Netzwerken häufig zu kurz. Wichtigste Aufgabe aus seinerSicht ist es, „die familiären Systeme zu stärken, damit Versorgungzu Hause möglich ist.“Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Podiumsdiskussion / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch39Ewers sind in <strong>de</strong>r aktuellen Diskussion drei Aspekte wichtig: eine neueBalance zwischen <strong>de</strong>n Versorgungseinrichtungen, Unterstützung vonFamilien und sozialen Netzwerken in <strong>de</strong>r Pflege schwerst- und chronischKranker sowie Professionalisierung <strong>de</strong>r Berufsgruppen. Er appelliert:„Wir müssen die Profile <strong>de</strong>r Gesundheitsprofessionen neu zuschnei<strong>de</strong>n,verteilen und zuordnen.“Nauck sieht die Verbindung zwischen Haltung und Gerechtigkeit. Manwisse heute nicht, wie <strong>de</strong>r Zugangsweg zu Hospiz, Palliativstation undin <strong>de</strong>n ambulanten Sektor sei. So haben zum Beispiel Migranten einenan<strong>de</strong>ren Zugang zum Gesundheitssystem, als ein Großteil <strong>de</strong>r Bevölkerung.Sie nutzen weniger die Hospiz- und Palliativmedizin, dafürmehr die Notfallambulanz. Nauck fasst die Podiumsdiskussion in einerSchwerpunktfrage zusammen: Wie kann die hospizliche und palliativeHaltung in die Gesellschaft zurück transportiert wer<strong>de</strong>n? Er sieht nureinen möglichen Weg: „Wenn je<strong>de</strong>r als Patient und nicht als Kun<strong>de</strong>gesehen wird, dann hat Palliativversorgung und hospizliche Arbeit einehervorragen<strong>de</strong> gesellschaftspolitische Aufgabe gelöst“.Veronika Schönhofer-Nellessen mahnte abschließend nochmals,bürgerschaftliches Engagement nicht zum Lückenbüßer für leere Kassenund akuten Fachkräftemangel wer<strong>de</strong>n zu lassen. „Haupt- undEhrenamt wer<strong>de</strong>n sich zukünftig nur dann sinnvoll ergänzen undbereichern können, wenn die jeweiligen Aufgaben klar zugewiesenund die Verantwortungen geklärt sind,“ so die Mo<strong>de</strong>ratorin. Vor allem<strong>de</strong>r Blick auf die Schnittstellen darf nicht vernachlässigt wer<strong>de</strong>n.„Wir müssen zukünftig noch bewusster miteinan<strong>de</strong>r umgehen, umhaupt- und ehrenamtliche Hospizarbeit aktiv selbst zu gestalten, umnicht zum Opfer ökonomischer Sachzwänge zu wer<strong>de</strong>n“, for<strong>de</strong>rteSchönhofer-Nellessen.v.l.n.r.: Veronika Schönhofer-Nellessen, Christoph Drolshagen,Prof. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann Nauck, Dr. med. Birgit Weihrauch,Beatrix Hillermann, Prof. Dr. Michael Ewers, Johannes Wüller


Das wäre ja <strong>de</strong>r Gipfel!Palliativmedizin pointiert, wie<strong>de</strong>r einmal spitzbübisch betrachtet,fast ein wenig auf die Spitze getrieben – das war wohl dasMotto <strong>de</strong>r kabarettistischen Einlage, welche auch dieses Jahrtraditionsgemäß <strong>de</strong>n Tagungsvormittag beschloss.Dabei verhed<strong>de</strong>rt sich eine Seilschaft von Palliativexpertenwohlmeinend in ihren Plänen und I<strong>de</strong>en, während <strong>de</strong>r „Palli“,die Figur welche <strong>de</strong>n Palliativpatienten (o<strong>de</strong>r auch die Palliativmedizin??)verkörpern soll, letztlich ohne fachliche Hilfe friedlichim Schoß <strong>de</strong>r Gesellschaft seinem Lei<strong>de</strong>n entschläft.Vielleicht eine kleine Ermahnung, neben <strong>de</strong>n eigenen gutenAbsichten das eigentliche Ziel nicht ganz aus <strong>de</strong>n Augen zuverlieren? Auf je<strong>de</strong>n Fall eine pfiffige I<strong>de</strong>e und für die gelungeneUmsetzung einen herzlichen Dank <strong>de</strong>n Mitstreitern aus <strong>de</strong>mPalliativnetz Aachen um <strong>de</strong>n Aachener Hausarzt Andreas Scheid!Akteure:Dr. med. Andreas Scheid,Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Aachener Gemeinschaft Aachener Hausärzte (AGAH)Ma<strong>de</strong>leine Bell, Koordinatorin DaSein, Ambulanter Hospiz-,Trauerbegleitungs- und Palliativberatungsdienst <strong>de</strong>r Malteser AachenBeatrix Hillermann, Home Care StädteRegion Aachen gem. GmbHUlrike Clahsen, Hospiz <strong>de</strong>r Hermann-Josef-Stiftung, ErkelenzMartina Deckert, Koordinatorin Ambulante Hospizgruppe „Gemeinsam”,DRK KV Städteregion Aachen e. V.Eckhard Weimer, Gerontopsychiatrische Beratungsstelle<strong>de</strong>s Alexianerkrankenhauses Aachen GmbHPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 1 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch4104. Workshopberichte4.1 Workshop 1: EhrenamtBeatrix HillermannEhrenamt zwischen standardisierter Dienstleistung und lebendiger BegegnungChristoph Drolshagen„Ein Stuhl und ein Glas Wasser“ – Chancen, Notwendigkeiten und Grenzen<strong>de</strong>s Zusammenspiels zwischen Ehren- und Hauptamt!Ulrike HerwaldWann passt welches Ehrenamt in ein Leben?Mo<strong>de</strong>ration:Dr. phil. Andreas Walker,Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl für Moraltheologie,Katholisch-Theologische Fakultät Ruhr-Universität BochumBerichterstattung:Stefanie Eßer, Ambulanter Hospizdienst St. Anna, AlsdorfNimmt man die Entwicklung palliativ-hospizlicher Kultur „vorwärts auf<strong>de</strong>m Weg zurück in die Gesellschaft“ in <strong>de</strong>n Blick, so gehört die Wahrnehmung<strong>de</strong>s Ehrenamts in diesem Bereich, als Ursprung, Ausdruck undTräger von Entwicklung dazu. Im Rahmen <strong>de</strong>s Workshops „Ehrenamtzwischen standardisierter Dienstleistung und lebendiger Begegnung“wur<strong>de</strong> das hospizliche Ehrenamt aus verschie<strong>de</strong>nen Perspektiven kritischin <strong>de</strong>n Blick genommen.Dr. phil. Andreas WalkerUnter <strong>de</strong>r Leitung von Dr. Andreas Walker ermöglichten drei ReferentInnen– Christoph Drolshagen, Ulrike Herwald, Beatrix Hillermann –<strong>de</strong>m Publikum unterschiedliche Einblicke in die Entwicklung, praktischeVorgehensweise und Risiken, <strong>de</strong>nen dieses Ehrenamt als Ursprung undAusdruck <strong>de</strong>r Bürgerbewegung Hospiz begegnet.Christoph DrolshagenIm ersten Vortrag setzte Christoph Drolshagen <strong>de</strong>n Schwerpunkt aufdas Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamt im hospizlich-palliativenBereich. Ausgehend von <strong>de</strong>n Ursprüngen <strong>de</strong>r Hospizbewegung als einerzutiefst mitmenschlichen Revolution (Eugen Drewermann), die nicht<strong>de</strong>n Sturz <strong>de</strong>r Mächtigen, nicht die Enteignung <strong>de</strong>r Reichen zum Zielhatte, son<strong>de</strong>rn Ausdruck fand und bis heute fin<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r solidarischenSorge von Mensch zu Mensch, zeigte <strong>de</strong>r Referent an Fallbeispielen dieUnmittelbarkeit und das Berührtsein in <strong>de</strong>r ehrenamtlichen BegleitungSterben<strong>de</strong>r auf.


42 Workshopberichte / Workshop 1 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächDiese Solidarität mit Menschen in <strong>de</strong>r letzten Lebensphase, die in einerKultur <strong>de</strong>s Leistungsdrucks, <strong>de</strong>s Gesundheitswahns und <strong>de</strong>r Diesseitigkeitdurch die Raster unserer Gesellschaft fallen, fin<strong>de</strong>t unmittelbar Ausdruckin <strong>de</strong>r ehrenamtlichen Begleitung Sterben<strong>de</strong>r.Anschaulich zeigte Drolshagen anhand zweier Beispiele, dasses möglich ist, <strong>de</strong>r „strukturellen Konfliktquelle“, die in <strong>de</strong>r Zusammenarbeitvon Haupt- und Ehrenamt liegt, zu begegnen und ein für alleSeiten gutes Zusammenarbeiten möglich wer<strong>de</strong>n zu lassen. Ohne dieBeispiele im Einzelnen zu wie<strong>de</strong>rholen, lassen sich für ein Gelingen dieserZusammenarbeit zentrale Punkte benennen.Die Schnittstelle zwischen Ehrenamt und Hauptamt benötigtKoordination. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe setzt Gleichberechtigungvon Haupt- und Ehrenamt voraus, in<strong>de</strong>m z. B. ehrenamtlicheVorstandsmitglie<strong>de</strong>r als Mitgesellschafter in <strong>de</strong>r Hospiz GmbH arbeiten.Desweiteren bedarf es <strong>de</strong>r gemeinsamen Entwicklung und Beschreibungvon Kommunikationsstrukturen. In diesem Rahmen erfolgt eine klareKompetenz- und Rollenbeschreibung z. B. von Pflege, Hospizbegleitung,Koordination <strong>de</strong>r Ehrenamtlichen, etc. Hinzu kommt die Benennung vonKontakt- und Ansprechpersonen, die gute Beschreibung von Vorgehensweisenund Abläufen, sowie die regelmäßige und festgesetzte Reflexion<strong>de</strong>r Zusammenarbeit von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen.Christoph DrolshagenDr. phil. Andreas Walker und Beatrix HillermannPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 1 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch43Christoph DrolshagenMichaela WirtzAbschließend wur<strong>de</strong> das Projekt <strong>de</strong>s Hospiz- und Palliativverban<strong>de</strong>sNRW „Sicherstellung und Weiterentwicklung <strong>de</strong>r bürgerschaftlichenHospizarbeit in NRW angesichts sich än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r gesellschaftlicher Rahmenbedingungenund hospizlich-palliativer Versorgungsstrukturen“vorgestellt. Hier trägt <strong>de</strong>r HPV NRW <strong>de</strong>n gesellschaftlichen Verän<strong>de</strong>rungen,die sich im Ehrenamt wi<strong>de</strong>rspiegeln und auf die Antworten gefun<strong>de</strong>nwer<strong>de</strong>n wollen, Rechnung.Ulrike Herwald stellte in ihrem Vortrag die Frage: „Wann passt welchesEhrenamt in ein Leben?“An ihrer eigenen Entwicklung zeigte sie beispielhaft auf, welcheWechselwirkung zwischen eigener Biografie, <strong>de</strong>r Persönlichkeitsentwicklungsowie <strong>de</strong>r Übernahme von speziellen Aufgaben und Rollen imEhrenamt besteht. In ihren ganz persönlichen Schil<strong>de</strong>rungen spiegeltensich die von Soziologen benannten Verän<strong>de</strong>rungen im Ehrenamt wi<strong>de</strong>r.Ehrenamt heute möchte auch etwas für sich selbst tun im Sinnevon Selbsterfahrung, Selbstentwicklung und Weiterentwicklung. Hiermöchte die engagierte Bürgerin einen Rahmen für „positives Arbeiten“fin<strong>de</strong>n; zumal die Rahmen in vielen Bereichen von Erwerbsarbeit diesnicht bieten. Hinzu kommt das Bedürfnis, über <strong>de</strong>n Tellerrand hinaus zusehen und sich auch dort gegebenenfalls zu engagieren. Dies umfasstdie gesellschaftliche und die politische Ebene.Ulrike Herwald


44 Workshopberichte / Workshop 1 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächEhrenamt hat nicht <strong>de</strong>n Wunsch, zu behan<strong>de</strong>ln und zu therapieren.Ehrenamt im Hospizbereich war und ist bis heute ein Versprechen aufbürgerschaftlicher Ebene und nicht auf <strong>de</strong>r professionellen Ebene. Aufdieser bürgerschaftlichen Ebene zeigt sich dieses Ehrenamt mit großemfachlichen Anspruch, <strong>de</strong>r sich wi<strong>de</strong>rspiegelt in einer qualifizierten Befähigung,regelmäßiger Praxisbegleitung und Supervision, wie auchFortbildungen. Weiterhin ist ehrenamtliches hospizliches Engagementauf <strong>de</strong>r gesellschaftlichen und politischen Ebene möglich. Hospizarbeitbe<strong>de</strong>utete und be<strong>de</strong>utet bis heute Entwicklung: Das solidarische „Ja“auf <strong>de</strong>r Ebene von Mensch zu Mensch beinhaltet das „Ja“ auf <strong>de</strong>r gesellschaftlich-politischenEbene.Beatrix HillermannBeatrix Hillermann nahm <strong>de</strong>n Fa<strong>de</strong>n auf und stellte die Frage, ob dasEhrenamt <strong>de</strong>r Garant für die Mitte <strong>de</strong>r Gesellschaft sein könne.Zu Beginn stellte sie in einem kurzen Abriss die Entwicklung <strong>de</strong>r Hospizbewegungseit <strong>de</strong>n 1990er Jahren bis heute dar: die Entwicklung von<strong>de</strong>r rein ehrenamtlichen Arbeit bis hin zum professionalisierten Ehrenamtmit hoch fachlicher Qualifikation und <strong>de</strong>r damit einhergehen<strong>de</strong>n finanziellenFör<strong>de</strong>rung, festgeschrieben in <strong>de</strong>n Rahmenvereinbarungen nach§39a SGB V. Die Anregungen zu <strong>de</strong>n weiteren Gedanken entnimmt sie<strong>de</strong>m Buch von Michaela Fink „Von <strong>de</strong>r Initiative zur Institution. DieHospizbewegung zwischen lebendiger Begegnung und standardisierterDienstleistung.“Bei aller Anerkennung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Nutzens wird seitherwird versucht, <strong>de</strong>n Hospizgedanken zu sichern, zu institutionalisierenund mit technischen Lösungen zu garantieren. Die Beziehungen zwischenprofessionellen Helfern, womit auch die ehrenamtlichen Sterbe- und TrauerbegleiterInnengemeint sind, und <strong>de</strong>n EmpfängerInnen von Unterstützungwer<strong>de</strong>n genormt, bürokratisiert, ökonomisiert und mathematisiert.Das Lebensen<strong>de</strong> droht zum Managementprozess zu wer<strong>de</strong>n,<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Sterben<strong>de</strong>n entmündigt und das Ehrenamt missbraucht. DieReferentin bezieht sich auf Ivan Illich, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Veröffentlichung vonMichaela Fink zitiert wird: „Ab einer gewissen Intensitätsschwelle <strong>de</strong>rInstitutionalisierung wird <strong>de</strong>r eigentliche Zweck gefähr<strong>de</strong>t, bzw. ins Gegenteilverkehrt.“Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 1 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch45Die Antwort auf die Frage, wie dieser Entwicklung zu begegnen sei, siehtHillermann in <strong>de</strong>n Ursprüngen dieser Bewegung. Hierauf basierend plädiertsie für die Entwicklung einer Ars Moriendi. Hier kann durch diebewusste Hinwendung vom Ich zum Du Raum entstehen für mein Gegenüberund für Gott. Im Bewusstsein <strong>de</strong>r eigenen Begrenztheit liegtein Schlüssel zur Gemeinschaft, Beziehung auf Augenhöhe wird möglichmit <strong>de</strong>m Begleiteten und <strong>de</strong>n Angehörigen. In dieser Beziehung fin<strong>de</strong>tEntschleunigung statt, Zeit wird geschenkt. Voraussetzung für die Hinwendungzum Du ist die Bereitschaft, sich selbst <strong>de</strong>n Fragen am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>sLebens zu stellen und ihnen Raum zu geben. Die Wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckung vonLei<strong>de</strong>nsfähigkeit als menschlichem Gut, sowie die Schaffung geschützterund beseelter Räume schaffen Raum für die so angreifbare letzte Phase<strong>de</strong>s Lebens ohne Antworten und abgeklärte Konzepte. Auf diesemGrund kann es gelingen, das Sterben als existenzielles Ereignis in unserLeben zu integrieren. In <strong>de</strong>m Bericht einer ehrenamtlichen Sterbebegleiterinwur<strong>de</strong>n die Grundlagen, Berührtheiten und Empfindungen bildhaftlebendig. Dieser authentische Bericht führte zu einem angeregten Austauschüber die unmittelbare menschliche Berührung in <strong>de</strong>r Begleitung,gestern wie heute <strong>de</strong>r Urgrund dieses Ehrenamtes.Zusammenfassend ist zu <strong>de</strong>m Workshop zu bemerken, dass es viele Anknüpfungenan die Vorträge <strong>de</strong>s Vorabends gab. Die Verän<strong>de</strong>rungengesellschaftlicher Strukturen stehen unmittelbar in Wechselwirkung mit<strong>de</strong>n Ehrenamtlichen. Persönliche Entwicklungen beeinflussen die Entwicklungim Ehrenamt und umgekehrt. Die Schnittstelle zwischen HauptundEhrenamt ist vor <strong>de</strong>m Hintergrund, dass Ehrenamt Basis und Trägergesellschaftlicher Verän<strong>de</strong>rung darstellt, von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung.Unser Sterben stellt keine leidfreie o<strong>de</strong>r planbare Zone dar.Raum für existentielle Fragen am Lebensen<strong>de</strong>, Unlösbarkeiten und Begrenztheitbenötigen wir dann. Diesen Raum zu erhalten und gegenje<strong>de</strong> Plangesellschaft und Ökonomisierung individuell zu ermöglichen,sind alle in <strong>de</strong>r Hospizbewegung Tätigen angetreten, Ehrenamtliche wieHauptamtliche.


46 Workshopberichte / Workshop 2 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch4.2 Workshop 2: Vernetzung(Arzt – Pflege – Ehrenamt)Bernd ClaßenVernetzung aus Sicht <strong>de</strong>r Krankenversicherungals Vertragspartner in <strong>de</strong>r PalliativversorgungDr. med. Knud GastmeierVernetzung in <strong>de</strong>r Palliativmedizin(PCT „Potsdam und Umland GbR“)Dr. med. Sonja BurandtSAPV im ländlichen RaumMo<strong>de</strong>ration:Dr. med. Benjamin Gronwald,Universitätsklinikum <strong>de</strong>s Saarlan<strong>de</strong>s, Homburg/SaarBerichterstattung:Dr. Christa Naber,<strong>Servicestelle</strong> Hospiz für die StädteRegion AachenDr. med. Benjamin GronwaldDer Mo<strong>de</strong>rator, Dr. Benjamin Gronwald, leitete <strong>de</strong>n Workshop miteinem Wortspiel rund um Netz – Netzwerk – Vernetzung, Knoten –Verknotung, Halten – Verhalten – Haltung ein. Angemerkt sei, dass inWorkshop 2 <strong>de</strong>r Schwerpunkt <strong>de</strong>r Beiträge auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r palliativenVersorgung und <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Netzwerken lag. Die Pflege unddas Ehrenamt waren nicht durch entsprechen<strong>de</strong> Referenten vertreten,wohl aber zum Teil durch das Auditorium. In <strong>de</strong>n drei Vorträgen wur<strong>de</strong>die Vernetzung aus Krankenkassensicht, die Entwicklung <strong>de</strong>s palliativenNetzwerks in Potsdam und Umgebung und <strong>de</strong>r noch junge Aufbau <strong>de</strong>rSAPV in Kempten und <strong>de</strong>m Oberallgäu und damit im ländlichen Raumvorgestellt. Die anschließen<strong>de</strong> Diskussion zeigte, wie wichtig solche Forenfür einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch sind.Bernd ClaßenVernetzung aus Sicht <strong>de</strong>r Krankenversicherung als Vertragspartnerin <strong>de</strong>r PalliativversorgungBernd Claßen, AOK Rheinland/Hamburg, Stv. Leiter <strong>de</strong>r RegionaldirektionAachenIn Aachen wur<strong>de</strong>n schon früh Kontakte zwischen <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nInstanzen rund um die Versorgung von Palliativpatienten geknüpft,maßgeblich initiiert durch Ulla Schmidt. So ist <strong>de</strong>r Vertrag <strong>de</strong>r AOK mitHome Care in Aachen einer <strong>de</strong>r ersten SAPV-Verträge. In Hinblick aufunsere beson<strong>de</strong>rs durch Wettbewerb geprägte Gesellschaft, stellt sichdie Frage, ob sich hospizliche Haltung und Wettbewerb ausschließen.Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 2 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch47O<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs gefragt, welchen Wettbewerb wollen wir? Geht es um diebeste Versorgung <strong>de</strong>r Patienten, dann ist dieser zu bejahen, geht es umMarktanteile o<strong>de</strong>r Gewinnsteigerung, dann kann dieser nicht gewünschtsein. Kritisch betrachtet wur<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>r sektorale Aufbau unseres Gesundheitssystems,wodurch es in <strong>de</strong>utlichem Maße zu Informationsbrüchenzwischen <strong>de</strong>n einzelnen Leistungserbringern (ambulant – stationär,Hausarzt – Facharzt, ärztliche Versorgung – pflegerische Versorgung) undzu Hin<strong>de</strong>rnissen bzw. Fehlern im Behandlungsprozess kommen kann.Das <strong>de</strong>utsche Gesundheitssystem wird dadurch zu einem <strong>de</strong>r teuersten,nicht aber zum qualitativ besten. Ansätze aus Managed Care, integrierterVersorgung o<strong>de</strong>r DMP (Disease-Management-Programm) könntenhierbei weiterhelfen, sofern sie von bürokratischem Ballast befreit sind.Die Versorgung eines Palliativpatienten ist äußerst komplex und erfor<strong>de</strong>rteine klar geregelte Zusammenarbeit aller Beteiligten.Dr. med. Sonja Burandt und Dr. med. Benjamin Gronwald


48 Workshopberichte / Workshop 2 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächAllerdings wird durch § 37b <strong>de</strong>s SGB V nur die SAPV geregelt, nicht aberdie ambulante Grundversorgung, die quasi die Basis ist. Verträge sindan feste Vernetzungsstrukturen geknüpft. Das Rahmenprogramm NRWaus <strong>de</strong>m Jahre 2005 bil<strong>de</strong>t die Grundlage <strong>de</strong>r Vertragspolitik <strong>de</strong>r AOK inBezug auf die Palliativversorgung. Die AOK wird <strong>de</strong>n Vernetzungsprozessim Interesse ihrer Patienten weiter aktiv vor Ort begleiten.Beispiel: palliatives Netzwerkfür die region aachen e.V.!"#$%"&%'(%)*%"+,%-*#.%"+/#(()#01%+2#"%+!%#3+>3&$(#;*%"++45-6)7=)%;-*+>65*9%@%++F#;)*E*-9#$-+4#$-#"7*+/#0%;*+A#B9#"7*+/C%'%=)%;-*+?"#;@%;@#--%+G);")B9*$;'%;+=%"+,%9);=%"*%;9)(H%+/C%'%9%)3++45-6)7+++?"#;@%;9#$-+8%9"-*$9(:+/#(()#01-*#05;+


Workshopberichte / Workshop 2 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch49Einige Entwicklungsdaten seien hier festgehalten: Bereits 1998 konnten77 Prozent <strong>de</strong>r verstorbenen Palliativpatienten bis zuletzt zuhause betreutwer<strong>de</strong>n. Seit September 2001 existiert ein Palliativ- und Hospizberatungsdienst,2003 fand <strong>de</strong>r 1. Potsdamer Hospiztag statt. Schließlichgrün<strong>de</strong>te sich En<strong>de</strong> 2005 das Palliative Netzwerk Potsdam (PNP), in dasHausärzte sowie qualifizierte Pflegedienste (HKP) und Ehrenamtlicheeingebun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n. 2010 entstand das Hausarztbasierte Palliativnetz(HPN) mit 19 Ärzten mit <strong>de</strong>m Ziel, zu gewährleisten, dass <strong>de</strong>r sterben<strong>de</strong>Patient bestmöglich in seiner häuslichen Umgebung stabilisiert wird. Umeine flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong> Versorgung in einem Gebiet von 2.787 m² mit359.900 Einwohnern zu gewährleisten, mussten Ärzte und HKP einbezogenwer<strong>de</strong>n. Um Konkurrenz bei <strong>de</strong>n HKP bei <strong>de</strong>r Versorgung vonPalliativpatienten zu vermei<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong>n alle qualifizierten HKP mit indas PCT einbezogen. Die Rekrutierung von speziell ausgebil<strong>de</strong>tem Pflegepersonalstellt insofern ein Problem dar, da es kaum auf <strong>de</strong>m freienArbeitsmarkt verfügbar ist und ein erhöhter Abwerbedruck in besserzahlen<strong>de</strong> Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r (z. B. Berlin) besteht. Im April 2011 startete dieSAPV in Form <strong>de</strong>r PCT „Potsdam und Umgebung GbR“ <strong>de</strong>ren Kennzahlendie nachfolgen<strong>de</strong> Folie zusammenfasst. Nunmehr können mehrals 90 Prozent <strong>de</strong>r sterben<strong>de</strong>n Palliativpatienten zufrie<strong>de</strong>nstellend ausserhalb<strong>de</strong>s Krankenhauses versorgt wer<strong>de</strong>n.Als Innovationen sei auf die Anstellung einer Psychologin zurteaminternen Supervision, die Einführung eines praxisinternen Palliativfortbildungskonzeptes,eines Notfallpasses sowie eines bettseitigen Notfallkoffershingewiesen.


50 Workshopberichte / Workshop 2 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächDr. med. Sonja BurandtSAPV im ländlichen RaumDr. med. Sonja Burandt, Internistin und Palliativmedizinerin, AmbulantePalliativ- und Hospizversorgung Kempten-OberallgäuDurch die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Deutschen Krebshilfe konnte im Zeitraum vonMai 2009 bis April 2011 ein überwiegend konsiliarisch arbeiten<strong>de</strong>r ambulanterPalliativdienst (APD) für die Stadt Kempten und <strong>de</strong>n LandkreisOberallgäu aufgebaut wer<strong>de</strong>n. Auf <strong>de</strong>n hierbei geschaffenen Strukturenbasierend, startete die SAPV im Mai 2011 und versorgt eine überwiegendländliche Region mit insgesamt 215.000 Einwohnern. In <strong>de</strong>nangrenzen<strong>de</strong>n Landkreisen gibt es bis dato keine SAPV-Teams, so dassdas Einsatzgebiet sogar teilweise über die Regionsgrenze hinausgeht.Bisher konnten alle Patienten ohne Warteliste betreut wer<strong>de</strong>n. Mithilfefinanzieller Unterstützung durch die Paula-Kubitschek-Vogel-Stiftungkonnte die Ausrüstung, wie z. B. ein Auto und ein mobiles Ultraschallgerätangeschafft wer<strong>de</strong>n. För<strong>de</strong>rmittel <strong>de</strong>s Bayerischen Staatsministeriumshalfen bei <strong>de</strong>r Öffentlichkeitsarbeit. Das mittlerweile zwölfköpfigeTeam setzt sich zusammen aus Pflegekräften, Ärzten, einem Diplomsozialwirtund einer Verwaltungsangestellten und hat seinen Sitz am KlinikumKempten. Das SAPV-Team unterstützt die Partner <strong>de</strong>s bestehen<strong>de</strong>nVersorgungsnetzes und steht in intensivem Kontakt mit ihnen. Im Teamwer<strong>de</strong>n in regelmäßigen Fallbesprechungen alle Patienten besprochen,so dass je<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>n Patienten kennt. Nach einem persönlichen Kennenlernen<strong>de</strong>s Patienten und seines Umfel<strong>de</strong>s wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Folge – auchaufgrund <strong>de</strong>r großen Entfernungen – viele Absprachen telefonischgetroffen. Mittels PalliDoc ® wer<strong>de</strong>n alle Fälle dokumentiert. Innerhalbvon 2 Jahren wur<strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n APD 172 Patienten betreut, durch dasSAPV-Team im ersten Jahr bereits 170 Patienten.!"#$%$&'!"#$%$&'!"#$%&'()*'+),*)-,)"'.$/)",)"0'!"#$%$&'!"#$%&'()*'+),*)-,)"'.$/)",)"0'•! •!!"#$%&'()*'+),*)-,)"'.$/)",)"0'!"#$%&'()*'+),*)-,)"'.$/)",)"0'!.10' !.10' '234'.$/)",)"'5"'#6)5'7$%*)"''234'.$/)",)"'5"'#6)5'7$%*)"'•! •!•! 8!.90'!.10''23:'.$/)",)"'5;')*$J'EKJ:::'L;''F)G$%*)")'H5&I;),)*0'7-&5'4:22'+5$J'EKJ:::'L;''F)G$%*)")'H5&I;),)*0'7-&5'4:22'+5$J'EKJ:::'L;''Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 3 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch514.3 Workshop 3: Hospizliche HaltungDr. phil. Arnd T. MayHospizliche HaltungMartina DeckertHospizliche Haltung – Achtung und AchtsamkeitThomas SitteZurück zur Hospizlichen Haltung!Mo<strong>de</strong>ration:Dr. med. Ivo Grebe, Internist, Ärztekammer Nordrhein,Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Kreisstelle AachenBerichterstattung:Manfred Pfeiffer, Vorsitzen<strong>de</strong>r PatientenForum e. V., MainzDie Hospizbewegung scheint sich in <strong>de</strong>n letzten Jahren zu än<strong>de</strong>rn. Naturgemäßsteht hierbei <strong>de</strong>r Sterben<strong>de</strong> im Vor<strong>de</strong>rgrund. Ethikberatungkann bei <strong>de</strong>r Lösung von Konflikten hilfreich sein. Dr. phil. Arnd T.May, Leiter <strong>de</strong>s Zentrums für Angewandte Ethik in Recklinghausen führtdazu aus: Der Hospizgast kann durchaus eigene Wertvorstellungen haben,welche im Hospiz nicht o<strong>de</strong>r nicht komplett geteilt wer<strong>de</strong>n. Somittreffen „moralisch Frem<strong>de</strong>“ aufeinan<strong>de</strong>r. Speziell die Beurteilung vonNutzen für <strong>de</strong>n Patienten erfolgt mitunter in <strong>de</strong>r Palliativversorgung undin <strong>de</strong>r hospizlichen Versorgung unterschiedlich. Die Orientierung unter<strong>de</strong>n Begriffen Ethik und Moral muss Antworten auf die Fragen geben:Was wünscht <strong>de</strong>r Mensch? Was sollte er akzeptieren? Welche Verbotesoll es geben? Über problematische Inhalte muss diskutiert wer<strong>de</strong>n, dieVerfahren hierzu müssen sinnvoll sein und <strong>de</strong>r Beurteilung als Ethikberatungstandhalten. In <strong>de</strong>n letzten Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Lebens müssen sozialeAngebote, Respekt und Fürsorge vor Begriffen wie Bevormundung undNötigung stehen. Eine Ethik für die hospizliche Versorgung wird das Miteinan<strong>de</strong>rin <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund stellen. Aber eine Ethik <strong>de</strong>s Miteinan<strong>de</strong>rist neben <strong>de</strong>n Verfahren <strong>de</strong>r Konfliktlösung auch von Inhalten geprägt.Klare Abgrenzungen zu bestimmten Inhalten bleiben kontrovers.Dr. phil. Arnd T. MayFür die ehrenamtliche und professionelle Betreuung muss aber <strong>de</strong>utlichbleiben: Was kann im Einzelfall mitgetragen wer<strong>de</strong>n? Martina Deckert,Koordinatorin <strong>de</strong>r ambulanten Hospizgruppe „Gemeinsam“ <strong>de</strong>sDRK – KV Städteregion Aachen e. V. zeigt verschie<strong>de</strong>ne Möglichkeiten<strong>de</strong>r Kultivierung einer hospizlichen Haltung in <strong>de</strong>r Gesellschaft auf: EinAspekt ist die Anregung und Ermutigung zur Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mitSterben und Tod durch Aufgreifen dieser Thematik in kulturellen Angebotenwie Theater, Konzerten, Literatur, Filmen, Zeitungen. Des Weiterenist die intensive Vernetzung und Multiplikatorenarbeit in verschie<strong>de</strong>nsteMartina Deckert


52 Workshopberichte / Workshop 3 / <strong>Berichtsband</strong> 92 . Aachener HospizgesprächDr. med. Ivo GrebeBereiche <strong>de</strong>s menschlichen Lebens hinein ganz wichtig, wie z. B. Schulen,Behin<strong>de</strong>rteneinrichtungen, zu Menschen mit Migrationshintergrundund Demenzbetreuung. Nicht zuletzt wirken natürlich die persönlicheErfahrung Betroffener und ihrer Angehörigen und eigenes Erleben <strong>de</strong>rhospizlichen Haltung stark nach und wer<strong>de</strong>n weitergetragen.Den Schulterschluss bei <strong>de</strong>r Umsetzung von hospizlicher Haltunghält Frau Deckert für entschei<strong>de</strong>nd, <strong>de</strong>nn die Herausfor<strong>de</strong>rungenund <strong>de</strong>r Bedarf steigen durch z. B. Demographiewan<strong>de</strong>l, zunehmen<strong>de</strong><strong>de</strong>menzielle Verän<strong>de</strong>rungen, immer mehr Alleinleben<strong>de</strong> und große gesellschaftlicheUnterschie<strong>de</strong>. „Wir-Gefühl“ und „Team-Erleben“ gilt eszu för<strong>de</strong>rn durch gegenseitiges Kennenlernen, ergänzen<strong>de</strong> Zusammenarbeitund regelmäßigen Austausch, z. B. Fallbesprechungen.Die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit Sterben und Tod konfrontiert unsmit Grenzen. Umgang mit Grenzen motiviert und erfor<strong>de</strong>rt Kultivierungeiner „inneren Geräumigkeit“, basierend auf Spiritualität. Letztlich istdie Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>n Fragen be<strong>de</strong>utend: „Was gibt Halt?Woher schöpfe ich Kraft? Was be<strong>de</strong>utet für mich ein Stück Geborgenheittrotz großer Verunsicherung?“Der Satz „Je<strong>de</strong>r Mensch ist in gewisser Hinsicht wie alle an<strong>de</strong>ren Menschen,wie einige an<strong>de</strong>re Menschen, wie kein an<strong>de</strong>rer Mensch“ (Kluckhohnund Murray) beschreibt sehr treffend, worum es bei <strong>de</strong>r hospizlichenHaltung geht: Verbun<strong>de</strong>nheit und Mitgefühl und gleichzeitigAnerkenntnis <strong>de</strong>r Individualität und Achtung <strong>de</strong>s „an<strong>de</strong>rs sein“.Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 3 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch53Meine (rosa) Vision:•! Je<strong>de</strong>r soll sagenkönnen:!"Wie gut, !dass ich mich !immer auf!Hospizarbeit undPalliativversorgung"!verlassen kann!"!"!www.palliativstiftung.<strong>de</strong>Für Thomas Sitte, Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Deutschen PalliativStiftung,sind Hospizarbeit und Palliativversorgung mehr als Medikamente.Geld verdirbt <strong>de</strong>n Charakter, hat Großmutter weise zitiert. Undin <strong>de</strong>r Hospizarbeit und Palliativversorgung wird man daran erinnert.Geld zerstört bürgerschaftliches Engagement! Eine provokante These,doch man könne dies auch im Spannungsfeld rein ehrenamtlich ausgerichteterHospizdienste in Kooperation mit <strong>de</strong>r Geschäftsi<strong>de</strong>e SAPVbeobachten, so Sitte. Für manche kleine, feine fachkompetente Kooperationmag dies <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstoß sein. Das war nie beabsichtigt, ist abersystemimmanent, da mit <strong>de</strong>m GKV-WSG bewusst <strong>de</strong>r Wettbewerb in<strong>de</strong>r Palliation geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>.Thomas SitteWelche Konsequenzen können wir daraus ziehen?SAPV-Teams müssen soli<strong>de</strong> finanziert hauptamtlich in SAPV tätig sein,nicht nebenher. Die ambulanten Hospizdienste müssen immer fest undkooperativ in die Versorgung von Patienten eingebun<strong>de</strong>n sein. Dabeibraucht die Mehrzahl <strong>de</strong>r SAPV-Patienten <strong>de</strong>n ambulanten Hospizdienst,aber nur ein Teil <strong>de</strong>r ambulant betreuten Patienten benötigt SAPV. Undje<strong>de</strong>s SAPV-Team sollte bei <strong>de</strong>n Ehrenamtlichen beobachten können,wie eine hospizliche engagierte Haltung die eigene professionelle Arbeitbeeinflussen kann.SAPV ohne Hospizdienst ist kaum möglich. Aber: AmbulanteHospizdienste müssen weiterhin ehrenamtlich getragen bleiben, sonstverliert die Hospizarbeit die Grundlage <strong>de</strong>r eigenen Haltung und es müssteletztlich die Berechtigung <strong>de</strong>r Hospizarbeit hinterfragt wer<strong>de</strong>n. Denndann ginge sie in <strong>de</strong>r professionalisierten ambulanten Palliativversorgungauf. Wenn es aber zu einer gut eingespielten Kooperation kommt, danngilt: SAPV ergänzt Hospizarbeit i<strong>de</strong>al! Bei<strong>de</strong>s braucht hospizliche Haltung.Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Lebens soll je<strong>de</strong>r sagen können: Wie gut, dass ich michimmer auf Hospizarbeit und Palliativversorgung verlassen konnte.


54 Workshopberichte / Workshop 4 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch4.4 Workshop 4: VersorgungDr. med. Matthias ThönsAmbulante Palliativversorgung – ist jetzt alles schön in <strong>de</strong>r Praxis?Sebastian GröbeSAPV in Deutschland – gleiches Recht und gleicher Inhalt für alle?Dr. med. Patricia A<strong>de</strong>nPlädoyer für ein DelegationsgesetzMo<strong>de</strong>ration:Dr. med. Leo Habets, Onkologe, AachenBerichterstattung:Hannelore Leien<strong>de</strong>cker, Koordinatorin im Ambulanten Kin<strong>de</strong>rhospizdienstAachen/Kreis HeinsbergMo<strong>de</strong>rator Dr. med. Leo Habets, Nie<strong>de</strong>rgelassener Onkologe, HomeCare StädteRegion Aachen gem. GmbH, stellte einleitend die Frage, wiees zu schaffen sei, unter immer stärker wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m Versorgungsdruckund einem immer größer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Fachkräftemangel eine Versorgungsqualitätauf einem hohen Niveau zu halten. Liegt die Lösung ineiner engeren Zusammenarbeit zwischen ärztlichem und pflegen<strong>de</strong>mPersonal? Wie könnte ein engeres Zusammenspiel aussehen und welcherGrundvoraussetzungen bedarf es? Lässt sich das Problem überhauptunter <strong>de</strong>m ständig steigen<strong>de</strong>n Versorgungsdruck lösen?Dr. med. Leo HabetsDr. med. Patricia A<strong>de</strong>nDr. med. Patricia A<strong>de</strong>n, Ärztekammer Nordrhein, stellte ihr „Plädoyerfür ein Delegationsgesetz“ vor. Angesichts <strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rten Versorgungssituationund <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls im Berufsbild <strong>de</strong>r medizinischen Assistenzberufeist eine enge Kooperation von Ärzten und Vertretern an<strong>de</strong>rerGesundheitsberufe erfor<strong>de</strong>rlich. Die Versorgungsengpässe zwingenaußer<strong>de</strong>m dazu, über die Aufteilung <strong>de</strong>r Kompetenzen neu nachzu<strong>de</strong>nken.Mögliche Ansätze sind Delegation und/o<strong>de</strong>r Substitution. Dadie Substitution im <strong>de</strong>utschen Gesundheitssystem nicht vorgesehen ist,scheint die bereits vielfach praktizierte Delegation eine Möglichkeit,hohes Fachwissen aus nichtärztlichen Berufsgruppen zu nutzen. OhneDelegation kann kein Bereich <strong>de</strong>r Patientenversorgung funktionieren.Das Delegationsgesetz soll für die nötige Rechtssicherheit sorgen, zu<strong>de</strong>msollen die Rahmenbedingungen <strong>de</strong>r Kooperation <strong>de</strong>r Gesundheitsberufeformuliert wer<strong>de</strong>n. Delegiert wer<strong>de</strong>n sollen ärztliche Tätigkeitenan nichtärztliche Mitarbeiter in Gesundheitsberufen. Allerdings bleibt<strong>de</strong>r Arzt Leistungserbringer, ist persönlich dafür verantwortlich, dass dieDelegation zu verantworten ist und haftet im Rahmen eines Aufsichtsverschul<strong>de</strong>ns.Einige Beispiele einer Delegation wären die Durchfüh-Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 4 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch55rung von Injektionen, das Anlegen von Infusionen, Verabreichung vonBedarfsmedikation usw. Allerdings sollte diese Liste nicht statisch sein,son<strong>de</strong>rn sich an verän<strong>de</strong>rte Situationen anpassen können.In <strong>de</strong>n anschließen<strong>de</strong>n Diskussionen kam auch das Thema <strong>de</strong>rSubstitution wie<strong>de</strong>r zur Sprache. Gefor<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>, einen Katalog zu erstellen,in <strong>de</strong>m Dinge gelistet wer<strong>de</strong>n, die von nichtärztlichen Mitarbeiternverordnet bzw. angeordnet wer<strong>de</strong>n könnten. Ebenso sinnvoll wärees, eine Abfrage zu starten, in <strong>de</strong>r SAPV-Teams Tätigkeiten, die <strong>de</strong>legiertwer<strong>de</strong>n können o<strong>de</strong>r schon <strong>de</strong>legiert wer<strong>de</strong>n, sammeln, um so die Notwendigkeit<strong>de</strong>s oben genannten Gesetzes zu unterstreichen. Delegationo<strong>de</strong>r Substitution: eine Frage die heftig diskutiert wur<strong>de</strong>; wobei aberganz <strong>de</strong>utlich wur<strong>de</strong>: Die Patientenversorgung ist eine gemeinsameAufgabe, und auf einem gemeinsamen Weg wer<strong>de</strong>n wir nach gemeinsamenLösungen suchen.Dr. med. Patricia A<strong>de</strong>nHannelore Leien<strong>de</strong>ckerIm zweiten Vortrag berichtete Dr. med. Matthias Thöns, ambulanttätiger Palliativmediziner, Palliativnetz Witten e. V., über immer wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>Probleme im SAPV-Bereich. Ein SAPV-Antrag wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>rBegründung, dass eine palliativmedizinische Versorgung nicht nötig sei,abgelehnt. Die Patientin verstarb keine zwei Wochen nach <strong>de</strong>r Begutachtung.In einem weiteren Fall wur<strong>de</strong> Pflegestufe I mit <strong>de</strong>r Begründungabgelehnt, dass die Voraussetzungen nicht vorlagen. Auch diesePatientin verstarb einige Tage nach <strong>de</strong>r Begutachtung durch <strong>de</strong>n MDK.Ebenso sieht Thöns erhebliche Mängel bei <strong>de</strong>r palliativen Versorgungvon Patienten in Pflegeheimen. Dort gäbe es häufig eine mangeln<strong>de</strong>Schmerzdokumentation und Symptomkontrolle, SAPV Teams wür<strong>de</strong>nselten o<strong>de</strong>r erst sehr spät einbezogen und Hospizdienste wür<strong>de</strong>n oftnicht angefragt.Das off-label-use-Problem (unter zulassungsüberschreiten<strong>de</strong>rAnwendung, engl. off-label-use, versteht man die Verordnung eineszugelassenen Fertigarzneimittels außerhalb <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r Zulassung beantragtenund von <strong>de</strong>n nationalen o<strong>de</strong>r europäischen Zulassungsbehör<strong>de</strong>nDr. med. Matthias Thöns


56 Workshopberichte / Workshop 4 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgesprächgenehmigten Gebrauchs hinsichtlich <strong>de</strong>r Anwendungsgebiete) ist ebenfallseine Problematik, mit <strong>de</strong>r die meisten SAPV-Teams zu kämpfen haben.In <strong>de</strong>r Klinik stellt sich diese Problematik meist nicht, da die Arzneimittelim Budget <strong>de</strong>s Hauses liegen und dadurch keine Prüfung erfolgt. In<strong>de</strong>r ambulanten Versorgung muss erst ein Antrag bei <strong>de</strong>r Krankenkassevorgelegt wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r es muss ein Privatrezept ausgestellt wer<strong>de</strong>n, unddie Kosten liegen dann beim Patienten. Bei Verordnung auf Kassenrezeptwer<strong>de</strong>n bei einer Überprüfung unter Umstän<strong>de</strong>n Regressansprüche an<strong>de</strong>n verordnen<strong>de</strong>n Mediziner gestellt. In <strong>de</strong>r Palliativmedizin fallen 65,7Prozent <strong>de</strong>r Medikamente unter off-label-use, Kassen haben SAPV-Teamsdafür in Regress genommen. Es gibt erheblichen Klärungsbedarf und dieFrage stellt sich, warum es so wenig Einsatz und Unterstützung für <strong>de</strong>nambulanten Sektor gibt. Sollten Patienten bei off-label-use in die Klinikeingewiesen wer<strong>de</strong>n? Wer muss sich <strong>de</strong>m hohen Kostenrisiko aussetzen?Arzt o<strong>de</strong>r Patient? O<strong>de</strong>r sollten die nötigen Medikamente im Rahmen <strong>de</strong>rPalliativmedizin eingesetzt generell Kassenleistung sein? Das Sterben zuhauseist in <strong>de</strong>r Gesellschaft anscheinend noch nicht angekommen. Dennselbst <strong>de</strong>r Totenschein in NRW sieht „Zuhause“ nicht als Sterbeort vor.Sebastian Gröbe„SAPV in Deutschland – gleiches Recht (und gleicher Inhalt) für alle?“war die Frage <strong>de</strong>s Vortrags von Sebastian Gröbe, Fachkraft Palliativ-Care beim PCT <strong>de</strong>s DRK Kreisverban<strong>de</strong>s Kassel-Wolfhagen e. V.Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung wird als Teamleistungerbracht und ist eine zu verordnen<strong>de</strong> Leistung. SAPV hat <strong>de</strong>nPatienten sowie die Angehörigen im Fokus. Bei einer zum To<strong>de</strong> führen<strong>de</strong>nGrun<strong>de</strong>rkrankung soll durch eine adäquate Symptomkontrolle undBehandlung die Versorgung im häuslichen Umfeld ermöglicht wer<strong>de</strong>n.Rechtliche Grundlagen sind die Paragraphen 37b und 132d <strong>de</strong>s SGB V.Eine Heterogenität <strong>de</strong>r Verträge entsteht dadurch, dass Selektivverträgemit <strong>de</strong>n einzelnen Leistungserbringern abgeschlossen wur<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>rHoffnung, so <strong>de</strong>n Wettbewerb zu steigern, hat man aber letztendlicheine regional sehr unterschiedliche Leistungserbringung bewirkt. Und sostellt sich nun die Frage: Was bringt die Heterogenität <strong>de</strong>r Struktur, <strong>de</strong>rVerteilung, <strong>de</strong>r Verträge? Gleiches Recht für alle? Mit Sicherheit ja! Aberauch <strong>de</strong>n gleichen Inhalt für alle?Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 4 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch57Nach <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n Diskussion führte Dr. Habets die Ergebnissenochmals zusammen:Im SAPV-Bereich wird gute Arbeit geleistet, die oftmals finanziell nichtabgesichert ist. Weitere Probleme entstehen durch die Heterogenität <strong>de</strong>rLeistungserbringer, <strong>de</strong>r Strukturen und Verträge. Ein sinnvoller Ansatzwäre über einen Fachverband zu eruieren, welches Mo<strong>de</strong>ll das nachhaltigsteist, wie Teams aufgestellt sein sollten, wie Versorgungsproblemein <strong>de</strong>n Griff zu kriegen sind, wie <strong>de</strong>m Fachkräftemangel zu begegnenist, was <strong>de</strong>legiert wer<strong>de</strong>n kann und wie die entsprechen<strong>de</strong> Rechtssicherheitauszusehen hat.Fazit: SAPV benötigt einen Fachverband, <strong>de</strong>r ordnet, glie<strong>de</strong>rt und strukturiert,<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Lage ist, politisches Sprachrohr zu sein, so dass sich dieeinzelnen Teams wie<strong>de</strong>r ausschließlich ihrer eigentlichen Arbeit widmenkönnen.


58 Workshopberichte / Workshop 5 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch4.5 Workshop 5: Gesellschaftliche Verän<strong>de</strong>rungenJürgen SpicherGesellschaftliche Verän<strong>de</strong>rungen – Implementierung <strong>de</strong>r Palliativversorgung unter<strong>de</strong>n Bedingungen <strong>de</strong>s Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) – Ergebnisse einesImplementierungsprozesses in acht AltenheimenSusanne Kiepke-ZiemesGesellschaftliche Verän<strong>de</strong>rungen – Sterben zu HausePetra JohannsenGesellschaftliche Verän<strong>de</strong>rungen – Sterben zu HauseMichael DörmbachGesellschaftliche Verän<strong>de</strong>rungen – Sterben zu Hause – TrauerbewältigungMo<strong>de</strong>ration und Berichterstattung:Christoph Finkel<strong>de</strong>y, Caritasverband für das Bistum Aachen e. V.Jürgen SpicherIm ersten Teil <strong>de</strong>s Workshops beschreibt Jürgen Spicher, Fachreferent<strong>de</strong>s Caritasverban<strong>de</strong>s für das Bistum Aachen e. V., die Erfahrungen undKonsequenzen aus <strong>de</strong>n Projekten in acht Altenheimen.Vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografischen Entwicklung und<strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen Notwendigkeit, die sozialen Sicherungssystemezu stabilisieren zeige die Vorgabe <strong>de</strong>s Pflegeversicherungsgesetzes„ambulant vor stationär“ erste Erfolge. Dies führe aber auch dazu, dassin Altenheimen das Einzugsalter bei ca. 80-85 Lebensjahren liegt, dieBewohner in <strong>de</strong>r Regel schwerstpflege- und betreuungsbedürftig sindund die Verweildauer sich durchschnittlich auf sechs bis acht Monatereduziert. Diese Entwicklung erfor<strong>de</strong>re gera<strong>de</strong>zu eine Fokussierung aufdie hospizliche/palliative Versorgung.Nach wie vor aber fokussiert das SGB XI in seinen Ausführungenan Stelle <strong>de</strong>r Palliativversorgung überwiegend <strong>de</strong>n Ansatz <strong>de</strong>r Aktivierung,<strong>de</strong>s Risikomanagements. An<strong>de</strong>rerseits müsse kritisch betrachtetwer<strong>de</strong>n, ob <strong>de</strong>r Themenkomplex <strong>de</strong>r Palliativversorgung im SGB XI Einzugfin<strong>de</strong>n sollte, weil damit die Kostenträger und die Prüfinstanzen dieNachweisbarkeit mittels Dokumentationen ebenso einfor<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n.Somit bestehe die Gefahr, dass die Palliativversorgung instrumentalisiertwer<strong>de</strong>n könnte. Wenn damit Fremdbestimmung <strong>de</strong>r Altenheime und<strong>de</strong>ren Mitarbeiter verbun<strong>de</strong>n wäre, wi<strong>de</strong>rspräche dies <strong>de</strong>n Grundsätzen<strong>de</strong>r palliativen und hospizlichen Haltung. Doch gera<strong>de</strong> die Haltung istein wesentliches Element <strong>de</strong>r Hospiz- und Palliativkultur.So dringend die Palliativversorgung in Altenheimen weiter entwickeltwer<strong>de</strong>n sollte, so muss auf <strong>de</strong>r operativen Ebene bedacht wer<strong>de</strong>n,dass die Ressourcen <strong>de</strong>r Mitarbeiter an<strong>de</strong>rweitig gebun<strong>de</strong>n und diePalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 5 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch59personellen Ausstattungen auf das Notwendigste beschränkt sind; durchdie Arbeitsdichte sind die Mitarbeiter bereits jetzt hochgradig belastet.Die weitere Implementierung <strong>de</strong>r Palliativversorgung in <strong>de</strong>n Altenheimenkann nur schrittweise erfolgen bei gleichzeitiger Wertschätzungund Unterstützung <strong>de</strong>r Mitarbeiter. Die Erfahrungen aus <strong>de</strong>m Projekt<strong>de</strong>s Caritasverban<strong>de</strong>s für das Bistum Aachen e. V. zeigen, dass eine min<strong>de</strong>stenszweijährige Projektdauer zugrun<strong>de</strong> gelegt wer<strong>de</strong>n muss und essich sowohl um einen Buttom-up- als auch um einen Top-down-Prozesshan<strong>de</strong>lt. Der Prozess muss durch eine bereichsübergreifen<strong>de</strong> Projektgruppemit unterschiedlichen Funktionsträgern und Professionen gesteuertwer<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>r die aktive Mitwirkung <strong>de</strong>r Einrichtungsleitungunverzichtbar ist. So zeigen die Ergebnisse aus <strong>de</strong>n Projekten bei <strong>de</strong>nMitarbeitern z. B. bei <strong>de</strong>r Begleitung <strong>de</strong>r Bewohner in <strong>de</strong>r Finalphasemehr Sicherheit als auch ruhigere Abläufe. Das sind Ergebnisse einerPersonalentwicklung, in <strong>de</strong>m die Schulungen je nach Entwicklungsstand<strong>de</strong>r Mitarbeiter einrichtungsindividuell entwickelt wur<strong>de</strong>n.Palliativ- und Hospizbedürftigkeit?Nicht die To<strong>de</strong>snähe, son<strong>de</strong>rn die spezifische Behandlungs- bzw. „Care“-Bedürftigkeit (über einen variablen Zeitraum) bei weit fortgeschrittenerMultimorbidität und/o<strong>de</strong>r Demenz und ihre belasten<strong>de</strong>n Folgen – körperlich,seelisch, sozial, spitituell. (Kojer, Heimerl 2010)Projekterfahrungen – Chancen <strong>de</strong>r AltenheimePalliativkultur• vorausschauen<strong>de</strong> Planung für die Finalphase wird Realität –wer, was, wo, mit wem?• Erkennen <strong>de</strong>r Finalphase wird Realität – <strong>de</strong>s „point of no return“von kurativer zu palliativer Pflege• (ethische) Fallbesprechnung – Umgang mit Wi<strong>de</strong>rsprüchen,unterschiedlichen Wertungen• Sprachfähigkeit über Sterben, Tod und Endlichkeit <strong>de</strong>s Lebens• Bewohner, Angehörige, Team, Externe• Vermeidung von unnötigen Interventionen• ruhige Abläufe/Atmosphäre, insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Finalphase


60 Workshopberichte / Workshop 5 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch• Kooperationsfähigkeit <strong>de</strong>r Mitarbeiter• <strong>de</strong>r Leichnam verlässt das Heim durch <strong>de</strong>n Haupteingang• wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong> und einmalige Rituale• psychosoziale Angebote für Mitarbeiterinnen im BedarfsfallNeben <strong>de</strong>r Personalentwicklung ist Organisationsentwicklung ein wesentlicherBestandteil <strong>de</strong>s Projektes gewesen. Prozessbeschreibungen,wie beispielsweise Heimeinzug, Pflegevisite und <strong>de</strong>rgleichen müssen fürdie Palliativversorgung überprüft und ggf. angepasst wer<strong>de</strong>n. Neue Instrumentewie die ethische Fallbesprechung müssen entworfen und dieKooperationen und Vernetzungen mit an<strong>de</strong>ren Akteuren <strong>de</strong>r Palliativversorgungweiterentwickelt wer<strong>de</strong>n.Susanne Kiepke-ZiemesSusanne Kiepke-Ziemes, Projektkoordinatorin <strong>de</strong>s Projektes: „WürdigeSterbebegleitung in <strong>de</strong>n ambulanten Einrichtungen <strong>de</strong>s Caritasverban<strong>de</strong>sfür die Region Kempen-Viersen e. V.“ stellt die Entwicklung <strong>de</strong>sProjektes vor.Viele Menschen wünschen sich: „Ich möchte zu Hause sterben.“Diesem Wunsch ist <strong>de</strong>r Gesetzgeber mit <strong>de</strong>m Gedanken: „Ambulant vorStationär“ und <strong>de</strong>n daraus resultieren<strong>de</strong>n neuen Versorgungsformen,wie AAPV und SAPV nachgekommen. Trotz<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n damit längstnicht alle Probleme gelöst. Übergänge und Zuordnungen bleiben oft unklar.Bei einer erheblichen erwarteten Zunahme von Pflegebedürftigkeit(61,5 Prozent im Kreis Viersen bis zum Jahr 2030) und bisher ungelöstenVersorgungsstrukturen ist es beson<strong>de</strong>rs wichtig, dies immer wie<strong>de</strong>r öffentlichzu thematisieren. Aus diesem Grund verfolgt <strong>de</strong>r Caritasverbandfür die Region Viersen-Kempen e. V. seit 2006 das Projekt, welches von<strong>de</strong>r Nettetaler Stiftung für Jugend und Alter finanziert wird.Grundsätzlich unterschei<strong>de</strong>t sich das Projekt von <strong>de</strong>n üblichenImplementierungskonzepten „Palliative Care“ dadurch, dass alle Mitarbeiterund Mitarbeiterinnen einbezogen wer<strong>de</strong>n und die Projektarbeitbasisorientiert ausgerichtet ist. Denn die Spezialisierungen, wie AAPVund SAPV, also die Bildung von spezialisierten Teams, die losgelöst von<strong>de</strong>r Somatik tätig sind, führen mitunter dazu, dass in <strong>de</strong>n somatischenTeams Sterbebegleitung wenig thematisiert wird. In <strong>de</strong>m bisherigen Projektschwerpunkt„Würdige Sterbebegleitung“ bil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mgegenüberdie somatischen Teams die Basisgruppen, aus <strong>de</strong>nen die ambulante palliativeVersorgung hervorgegangen ist. Damit wird die Überleitung o<strong>de</strong>rdas „Switchen“ <strong>de</strong>r Patienten zwischen <strong>de</strong>n spezialisierten Teams o<strong>de</strong>rEinrichtungen und <strong>de</strong>r Grundpflege weitgehend vermie<strong>de</strong>n.Die Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>s Projektes kennzeichnet darüber hinausdie ständige Begleitung durch die Projektkoordinatorin und die regelmäßigeEvaluierung <strong>de</strong>r Vorgehensweisen durch das dip (Deutsches Institutfür angewandte Pflegeforschung e. V.). Dazu wur<strong>de</strong>n unterschiedlicheHandlungsstränge zusammengeführt. Es galt, die Fortbildungsaktivitätenund auch die -kapazitäten zu erhöhen und somit stärker auf diePalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 5 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch61würdige Sterbebegleitung auszurichten. Ein beson<strong>de</strong>res Augenmerkwur<strong>de</strong> auf die Angehörigen gerichtet. Angehörigen in <strong>de</strong>r ambulantenVersorgung wur<strong>de</strong> bisher in Forschungen kaum Beachtung geschenkt,obwohl sie die Kräfteressource sind, die ein Verbleiben im häuslichenUmfeld überhaupt erst ermöglichen.Christoph Finkel<strong>de</strong>y un d Petra JohannsenSusanne Kiepke-ZiemesJürgen SpicherAuch die Verabschiedungskultur in <strong>de</strong>n Einrichtungen ist im Blick, daohne eine entsprechen<strong>de</strong> Auseinan<strong>de</strong>rsetzung die Verarbeitung undDistanzierung immens erschwert ist. Darüber hinaus sollte das Projektdurch eine enge Vernetzung mit an<strong>de</strong>ren Organisationen neue Möglichkeiten<strong>de</strong>r Zusammenarbeit erschließen. Organisatorisch wur<strong>de</strong> die1. Phase <strong>de</strong>s Projektes zunächst „Top-Down“ angelegt, die wesentlichenzentralen „Leitgedanken“ wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Steuerungsgruppe abgesteckt.Die maßgebliche Arbeit aber wur<strong>de</strong> vor Ort in <strong>de</strong>n Projektteamsgeleistet. Die Projektarbeit ist an <strong>de</strong>n aktuellen Problemstellungen vonMitarbeitern, Patienten und <strong>de</strong>ren Zugehörigen ausgerichtet. Projektergebnisse,wie z. B. die Leitlinien etc., wur<strong>de</strong>n fest ins Qualitätsmanagementüberführt und nachhaltig gesichert. Die Begleitung hierzu fand indrei Abschnitten statt (2007, 2008 und 2011).Grundsätzlich unterschei<strong>de</strong>t sich das Projekt von an<strong>de</strong>ren Implementierungskonzeptendadurch, dass alle Mitarbeiter einbezogenund die Projektarbeit basisorientiert, also an <strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>r Patienten,Angehörigen und Mitarbeitern ausgerichtet ist. Hier wird keine„Insel-Lösung“ angestrebt.


62 Workshopberichte / Workshop 5 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächDas Projekt ist auf die Beantwortung komplexer Fragen und zusammenhängen<strong>de</strong>rMaßnahmen angelegt. Kollegiale Beratung, Supervision undCoaching bil<strong>de</strong>n die Säulen <strong>de</strong>r Projektarbeit. Reflektierte und teamorientierteArbeit schafft verbesserte Möglichkeiten für qualifizierte Patientenversorgung.Die Mitarbeiter gewinnen Sicherheit für ihr Handlungsfeld;dies wirkt sich indirekt auf das Patientensystem aus. In <strong>de</strong>rPatientenversorgung haben im Rahmen einer internen Befragung 54,5Prozent <strong>de</strong>r Befragten eine Steigerung <strong>de</strong>r Pflegequalität festgestellt.Eine sehr erfreuliche Perspektive <strong>de</strong>shalb, weil keine zusätzlichen Stellengeschaffen wur<strong>de</strong>n. Leitlinien und Standards, ein ungeliebtes Thema in<strong>de</strong>r Pflege, wur<strong>de</strong>n von mehr als <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r MA mit gut und sehrgut beschrieben. Im Blick auf das gesamte Projekt wird <strong>de</strong>utlich, dass inzahlreichen Details und Einzelfragen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterpraxisnahe sowie praxisrelevante Hilfestellungen gegeben wer<strong>de</strong>nkonnten. Abschließen<strong>de</strong> Empfehlung aus Sicht durch das DeutscheInstitut für angewandte Pflegeforschung: „Der beschrittene Weg solltefortlaufend weitergeführt wer<strong>de</strong>n.“Ausführliche Berichte hierzu stehen auf <strong>de</strong>r Webseite <strong>de</strong>s Caritasverban<strong>de</strong>s<strong>de</strong>r Region Kempen-Viersen e. V. zum Download zur Verfügung(http://www.caritas-viersen.<strong>de</strong>/).Maßnahmen 2008-201117.November 2012Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 5 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch63Ab 2013 geht <strong>de</strong>r Caritasverband für die Region Kempen-Viersen e. V.einen völlig neuen Weg und bil<strong>de</strong>t die Pflegekräfte zu systemischen Beraternfür Schwerstkranke und ihre Angehörigen aus; <strong>de</strong>rzeitiger Projektschwerpunkt:„Schwerstkranke und Sterben<strong>de</strong> im häuslichem Umfeld“.Die einjährige Weiterbildung zum systemischen Berater und Begleitervon Schwerstkranken und ihren Angehörigen beginnt im Januar 2013und wird erstmalig mit einem eigens dazu entwickelten Curriculum angebotenwer<strong>de</strong>n und soll nach einer Evaluierung Multiplikatoren fin<strong>de</strong>n.Eine Unterstützung durch die Fachgruppe Systemische Konzepte im Gesundheitswesen<strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie,Beratung und Familientherapie (DGSF) wird angestrebt.Der Blick auf das ganze System ermöglicht, <strong>de</strong>n Zusammenhangmenschlichen Lebens und Zusammenlebens zu betrachten. Zieldabei ist, Lösungen o<strong>de</strong>r Antworten für ihre individuellen Situationenzu fin<strong>de</strong>n. Die Lösungen sind immer an vorhan<strong>de</strong>nen Ressourcen orientiert.Die systemische Haltung sowie die systemischen Grundprinzipienermöglicht Patient und Angehörigen in ihrer Individualität, in ihren Beziehungen,ihrem sozialem Umfeld, ein Miteinan<strong>de</strong>r ihrer spezifischenLösungsstrategien wahrzunehmen. Eine Verbindung von systemischemDenken und Palliative Care ist von daher nur folgerichtig.In Krisen nutzt die Pflegekraft die entstan<strong>de</strong>ne Beziehung undunterstützt mithilfe systemischer Metho<strong>de</strong>n und Interventionen dasFamiliensystem. So kann eine Intensivierung erfolgen ohne größerenZeitaufwand. Die Auswertung <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Begleitung dieserAusbildung ist durch Dr. Wilhelm Rotthaus En<strong>de</strong> kommen<strong>de</strong>n Jahresvorgesehen.Petra Johannsen, stellvertretene Leitung <strong>de</strong>s Ambulanten PalliativpflegerischenDienstes <strong>de</strong>s Caritasverban<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Region Kempen-Viersene. V., beschrieb die spezifische Entwicklung und Aufgabenbreite <strong>de</strong>sDienstes im nächsten Schritt. Der Ambulant Palliativpflegerische Dienst(APD) <strong>de</strong>s Caritasverban<strong>de</strong>s für die Region Kempen-Viersen e. V. entstandin 2009 aus <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r Projektgruppen <strong>de</strong>s Projektes: „WürdigeSterbebegleitung in <strong>de</strong>n ambulanten Einrichtungen“ als erstemDienst dieser Art im Kreis Viersen.Durch <strong>de</strong>n APD wer<strong>de</strong>n Menschen in ihrer letzten Lebensphaseund <strong>de</strong>ren Angehörigen erweiterte Dienstleistungen angeboten, die bislangnicht erbracht wer<strong>de</strong>n konnten. Gesellschaftliche Verän<strong>de</strong>rungenerfor<strong>de</strong>rn Flexibilität, aber auch eine hohe Bereitschaft zur Spezialisierung.Die Überleitung dieser Patienten aus <strong>de</strong>r ambulanten Pflege in<strong>de</strong>n APD erfolgt entlang <strong>de</strong>ren Bedürfnisse. In <strong>de</strong>n einzelnen Gruppenwur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wunsch nach einer tiefergehen<strong>de</strong>n speziellen Versorgung<strong>de</strong>utlich und zielorientiert vom Träger umgesetzt.Petra Johannsen


64 Workshopberichte / Workshop 5 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächIn enger Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Projekt: „Würdige Sterbebegleitung“wird kontinuierlich mit <strong>de</strong>n Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an <strong>de</strong>nBedarfen <strong>de</strong>r Patienten und <strong>de</strong>ren Angehörigen gearbeitet.Dabei steht die Projektkoordinatorin als ständige Ansprechpartnerin(Patienten, Angehörigen, Trauern<strong>de</strong>n, ehrenamtliche Kooperationspartnern,Netzwerkpartner etc.) wie auch zu internen Anfragen(Fallsupervision, Reflexion <strong>de</strong>s Erlebten, neue Fragestellungen rechtlicherund ethischer Art) beratend zur Verfügung.Komplexe Versorgungsnetze vernetzen17.November 2012Michael DörmbachIm dritten Schritt legte Michael Dörmbach, Leiter <strong>de</strong>s MehrgenerationenhausesViersen und <strong>de</strong>s Trauercafés, <strong>de</strong>n Focus auf die Trauern<strong>de</strong>n.Trauern<strong>de</strong> erfahren durchaus in ihrem Freun<strong>de</strong>s- und BekanntenkreisHilfe, sie erleben aber auch Ausgrenzung. Allzu oft scheint jedoch nachkurzer Zeit für die Nachbarn im Alltag, für die Kollegen im Beruf „Normalität“angesagt. „Das Leben geht weiter“ und nimmt keine Rücksichtauf <strong>de</strong>n Stillstand, die Orientierungslosigkeit, <strong>de</strong>n Verlust, die Verletzungenund die Neuorientierung von Trauern<strong>de</strong>n. Die Menschen, dievom Verlust eines Partners o<strong>de</strong>r Angehörigen betroffen sind, benötigendurchaus weiterhin Begleitung und Schutz.Viele Trauergruppen, auch im Kreis Viersen, treten kaum o<strong>de</strong>rnicht regelmäßig öffentlich in Erscheinung. Um auch hier gesellschaftlicheVerän<strong>de</strong>rungen zu bewirken, legen das Projekt „Würdige Sterbebegleitungin <strong>de</strong>n ambulanten Einrichtungen <strong>de</strong>s Caritasverban<strong>de</strong>s“ unddas Mehrgenerationenhaus Viersen großen Wert auf eine kontinuierlicheoffene Arbeit und entsprechen<strong>de</strong> Öffentlichkeitsarbeit. Das TrauercaféViersen bietet allen vom Tod eines Menschen Betroffenen an, ihrenWeg zurück in die Gesellschaft zu fin<strong>de</strong>n – als Nachsorge für Trauern<strong>de</strong>.Die Möglichkeit, je<strong>de</strong>rzeit ins Trauercafé zu kommen und professionelleBegleitung zu erfahren, ist für die Trauerbewältigung be<strong>de</strong>utsam. DerPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Workshopberichte / Workshop 5 / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener Hospizgespräch65Pflegezeit, die oftmals bereits eine große Distanz <strong>de</strong>s Umfelds zum Erkranktenund Pflegen<strong>de</strong>n bewirkt, soll nicht noch eine Zeit <strong>de</strong>r Distanzzu <strong>de</strong>n Trauern<strong>de</strong>n folgen.Gesellschaftliche Herausfor<strong>de</strong>rungen:• Würdige Sterbebegleitung betrifft alle Patienten (keine Insellösungen)• AAPV und SAPV müssen transparent und flächen<strong>de</strong>ckend etabliertwer<strong>de</strong>n• Patienten und Zugehörige müssen die Versorgungsformmitbestimmen• Der „pflegen<strong>de</strong> Angehörige“ bekommt einen neuen Stellenwertim System.• Trauerarbeit wird professionalisiert und refinanziertHier kann <strong>de</strong>r Trauer <strong>de</strong>r Raum eingeräumt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r, nach einerangemessenen Zeit, Schritte zurück in die Gesellschaft ermöglichen.Aussagen und For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Teilnehmer im Workshop in <strong>de</strong>rZusammenfassung:• Wir benötigen eine angemessene Personalausstattung• Nachhaltige Palliativkultur ist die Verknüpfung von Personal- undOrganisationsentwicklung• Wir brauchen eine palliative Wachsamkeit• Kooperation benötigt Zeit und will eingeübt sein – auch <strong>de</strong>r Aufbauvon Netzwerken• Der sozialräumliche Charakter muss stärker in <strong>de</strong>n Focus beiallen Beteiligten• Würdige Sterbebegleitung ist keine Insellösung• Palliative und hospizliche Begleitung ist immer auchBeziehungsarbeit• Trauerarbeit hat ganz viele Facetten und kann offen angebotenwer<strong>de</strong>n• Aus Angeboten <strong>de</strong>r Trauerarbeit können auch SelbsthilfeformenerwachsenChristoph Finkel<strong>de</strong>yMichael Dörmbach


66 Referent/innen, Mo<strong>de</strong>rator/innen und Berichterstatter/innen / <strong>Berichtsband</strong> 92. Aachener HospizgesprächReferent/innen:• Dr. med. Patricia A<strong>de</strong>nÄrztekammer Nordrhein, Düsseldorf• Dr. med. Sonja BurandtInternistin und Palliativmedizinerin, Ambulante PalliativundHospizversorgung Kempten-Oberallgäu• Ulrike ClahsenHospiz <strong>de</strong>r Hermann-Josef-Stiftung, Erkelenz• Bernd ClaßenAOK Rheinland/Hamburg,Stv. Leiter <strong>de</strong>r Regionaldirektion Aachen• Martina DeckertKoordinatorin Ambulante Hospizgruppe „Gemeinsam“,DRK KV Städteregion Aachen e. V.• Michael DörmbachLeiter <strong>de</strong>s Mehrgenerationenhauses, Caritasverband fürdie Region Kempen-Viersen e. V., Gemein<strong>de</strong>sozialarbeiter,Supervisor (SG), Leiter: Trauercafé Viersen• Christoph DrolshagenGeschäftsführer, Franziskus-Hospiz Hochdahl, Erkrath,Vorstand <strong>de</strong>s Hospiz- und PalliativVerban<strong>de</strong>s NRW e. V.• Dr. med. Volker EissingMVZ Birkenallee GbR, Papenburg• Stephanie EßerAmbulante Hospizdienste <strong>de</strong>r ACD Region Aachen, Alsdorf• Prof. Dr. PH Michael EwersDirektor <strong>de</strong>s Instituts für Medizin-, Pflegepädagogik undPflegewissenschaft, Charité - Universitätsmedizin Berlin• Dr. med. Knud GastmeierFacharzt für Anästhesie,Spezielle Schmerz- und Palliativmedizin, Potsdam• Sebastian GröbeFachkraft Palliative-Care beim PCT <strong>de</strong>s DRK Kreisverban<strong>de</strong>sKassel-Wolfhagen e. V., B.Sc. GesundheitsmanagementM.A. Politikwissenschaften• Ulrike HerwaldKoordinatorin <strong>de</strong>r Hospizbewegung Hil<strong>de</strong>n e. V.und Mitglied <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Hospiz- undPalliativVerban<strong>de</strong>s NRW e. V.• Beatrix HillermannDipl.-Theologin, Home Care StädteRegion Aachen gem. GmbH• Petra JohannsenStellvertretene Leitung <strong>de</strong>s Ambulanten PalliativpflegerischenDienstes <strong>de</strong>s Caritasverban<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Region Kempen-Viersen e. V.• Dr. phil. Arnd T. MayLeiter <strong>de</strong>s Zentrums für Angewandte Ethik, Recklinghausen• Prof. Dr. med. Frie<strong>de</strong>mann NauckPräsi<strong>de</strong>nt d. Dt. Gesellschaft für Palliativmedizin• Prof. Dr. phil. Werner Schnei<strong>de</strong>rPhilosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät Universität Augsburg• Thomas SitteVorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Deutschen PalliativStiftung, Fulda• Jürgen SpicherFachreferent <strong>de</strong>s Caritasverband für das Bistum Aachen e. V.• Dr. med. Matthias ThönsAmbulant tätiger Palliativmediziner, Palliativnetz Witten e. V.• Dr. med. Birgit WeihrauchStaatsrätin a. D., ehemalige Vorstandsvorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>sDeutschen Hospiz- und PalliativVerban<strong>de</strong>s e. V.• Michael WirtzVorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Grünenthal-Stiftung für Palliativmedizin• Prof. Dr. theol. Andreas WittrahmCaritasverband für das Bistum Aachen e. V.• Johannes WüllerLtd. Arzt, Home Care StädteRegion Aachen gem. GmbH• Susanne Kiepke-ZiemesProjektkoordinatorin <strong>de</strong>s Projektes „Würdige Sterbebegleitungin <strong>de</strong>n ambulanten Einrichtungen“, Sozialpädagogin,Familientherapeutin und Supervisorin (DGSF), KursleitungPalliative Care, ViersenMo<strong>de</strong>rator/innen:• Veronika Schönhofer-Nellessen, Aachen (Gesamttagung)Sozialpädagogin, <strong>Servicestelle</strong> Hospiz für die StädteRegionAachen, Geschäftsführerin „Palliatives Netzwerk für dieRegion Aachen e. V.“• Dr. phil. Andreas Walker, Bochum (WS 1)Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl für Moraltheologie,Katholisch-Theologische Fakultät Ruhr-Universität Bochum• Dr. med. Benjamin Gronwald, Homburg/Saar (WS 2)Universitätsklinikum <strong>de</strong>s Saarlan<strong>de</strong>s, Homburg/Saar• Dr. Ivo Grebe, Aachen (WS 3)Internist, Ärztekammer Nordrhein,Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Kreisstelle Aachen• Dr. med. Leo Habets, Aachen (WS 4)Onkologe, Aachen• Christoph Finkel<strong>de</strong>y, Aachen (WS 5)Caritasverband für das Bistum Aachen e. V.Berichterstatter/innen:• Stephanie Eßer, Alsdorf (WS 1)Ambulante Hospizdienste <strong>de</strong>r ACD Region Aachen, Alsdorf• Manfred Pfeiffer, Mainz (WS 2)Vorsitzen<strong>de</strong>r PatientenForum e.V., Mainz• Hannelore Leien<strong>de</strong>cker, Aachen (WS 3)Koordinatorin im Ambulanten Kin<strong>de</strong>rhospizdienstAachen/Kreis Heinsberg• Dr. Christa Naber, Aachen (WS 4)Ehrenamtliche Mitarbeiterin <strong>de</strong>r <strong>Servicestelle</strong> Hospizfür die StädteRegion Aachen• Christoph Finkel<strong>de</strong>y, Aachen (WS 5)Caritasverband für das Bistum Aachen e. V.Palliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”


Die Berichtsbän<strong>de</strong> <strong>de</strong>rAachener Hospizgespräche im Internet:www.grunenthal.<strong>de</strong>–> Engagement / Gesundheitsmanagemento<strong>de</strong>r unter: www.servicestelle-<strong>hospizarbeit</strong>.<strong>de</strong>Vorankündigung 97. Aachener Hospizgespräch15./16. November 2013, FR 17.30-21.00 Uhr, SA 9.00-17 UhrVeranstaltungsort: Museum für Industrie-, Wirtschafts- und Sozialgeschichtefür <strong>de</strong>n Raum Aachen in Stolberg, Zinkhütter Hof e. V.,Stolberg b. Aachen, www.zinkhuetterhof.<strong>de</strong>Kontakt: Grünenthal GmbH, Geschäftsbereich Deutschland · Gesundheitspolitik/-managementPascalstraße 6 · 52076 Aachen · Tel.: 0241 569-2136 · Fax: 0241 569-3151gesundheitsmanagement @ grunenthal.comwww.grunenthal.<strong>de</strong>


Deutscher PalliativVerlagVerlag <strong>de</strong>r Deutschen PalliativstiftungISBN: 978-3-944530-00-0Art.-Nr. 66111999 2013 MAHP 007Grünenthal GmbH · 52099 Aachen · www.grunenthal.comPalliative und hospizliche Kultur: „Vorwärts zurück in die Gesellschaft”

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