In Leonberg sind die Pferde los! - leoaktiv.de

und können uns an so einem
Tag nicht verweigern.
Rechnet sich so ein verkaufsoffener
Sonntag überhaupt?
Roth: Bis alles gerechnet ist:
die Werbung, Energiekosten,
das Personal, das zudem
erstmal seine Bereitschaft erklären
muss, das Freizeitausgleich
oder Zusatzentlohnung
oder andere Vergünstigungen
möchte, ist das eine
ganze Menge. Erschwerend
kommen unzureichende
Fahrpläne im öffentlichen
Nahverkehr hinzu.
Da muss man sich fragen,
ob sich der Sonntag vom finanziellen
Ergebnis gelohnt
hat. Es geht mehr um die
Präsenz.
Schirott: Ich habe das anders
erlebt. Bei uns kommt an
diesen Tagen zusätzliche
Kundschaft, die sonst nicht
über die Schwelle kommt.
Auch an anderen Tagen wie
beispielsweise dem Weihnachtsmarkt,
der samstags
veranstaltet wird, kommen
neue Kunden. Die haben so
Gelegenheit das Geschäft
kennen zu lernen. Daher ist
das ein wichtiger Aspekt,
dass man solche Möglichkeiten
bietet, den Handel in einer
lockeren Atmosphäre zu
entdecken. Das Ladenschlussgesetz
gibt uns auch
zu anderen Gelegenheiten,
etwa mit verlängerten
Abendöffnungszeiten, dazu
die Möglichkeit. Verkaufsoffene
Sonntage sind für uns
ein zusätzlicher Werbebringer,
um Kontakte zu knüpfen,
die sonst nicht möglich
sind. Der Erfolg ist nicht direkt
messbar, aber der verkaufsoffene
Sonntag macht
sich in der Kasse in der Folge
bemerkbar.
Dekan Vögele, ärgert Sie das,
dass die Stellungsnahmen der
Kirchengemeinden bei der Entscheidung
im Gemeinderat nur
kopfnickend zur Kenntnis genommen
werden?
Wolfgang Vögele: Wir werden
nach dem Gesetz befragt
und wir versuchen entsprechend
qualifizierte Antworten
zu formulieren. In Leonberg
erlebe ich das seit zwei
Jahren. Hier gibt es zwei verkaufsoffene
Sonntage, aber
es hat nicht überhand genommen.
Bei so einem Traditionsfest
wie dem Pferdemarkt
verstehe ich es, dass
an diesem Wochenende ein
verkaufsoffener Sonntag veranstaltet
wird und auch
beim Altstadtspektakel im
September ist es mit geöffneten
Geschäften in der Altstadt
für mich in Ordnung.
Schwierig wird es dann,
wenn zu viele Sonntage zu
verkaufsoffenen Sonntagen
werden. Dann ist der gemeinsame
Tag der Ruhe gefährdet.
Er muss wirklich der
Gemeinsamkeit gewidmet
sein, nur dann kann man
sich in der Familie oder im
Verein treffen. Wenn jeder
an einem anderen Tag frei
hat, funktioniert das nicht
mehr. Da haben zunehmend
auch Vereine ihre Schwierigkeiten.
Im theologischen
Einkaufen an Sonntagen ist bei vielen beliebt
Sinn geht es nicht in erster
Linie um den Gottesdienstbesuch.
Das Wichtigste ist in
der Tradition des jüdischen
Sabbats der gemeinsame
freie Tag der Ruhe und Rekreation,
an dem ich etwas
anderes tue, als der Arbeit
und dem Geldverdienen
nachgehen. Die Menschen
im Einzelhandel benötigen
so einen Tag wie jeder andere
auch. Die Tendenz zur Individualisierung
in unserer
Gesellschaft wird durch die
stetige Aushöhlung des
Sonntags verstärkt.
Wo ist die Grenze bei den verkaufsoffenen
Sonntagen?
Vögele: Die Öffnung an den
Adventssonntagen verschärft
die Hektik in der Vorweihnachtszeit
enorm. Hier
sollte der ursprüngliche Sinn
der Adventszeit, als eine Vorbereitungszeit
aufs Weihnachtsfest,
spürbar werden
und nicht die Hetze beim
Kauf nach Geschenken.
Roth: Solange es bei zwei
verkaufsoffenen Sonntagen
in Leonberg bleibt, bin ich
mit mir im Reinen. In den ersten
Jahren hatten wir Kunden
aus Gemeinden wie etwa
Sindelfingen oder Leinfelden,
das hat sich in der
Zwischenzeit normalisiert.
Zusätzliche Kunden können
wir immer weniger ansprechen.
Immer häufiger weigern sich
Gewerkschaften und Betriebsräte
an solchen Aktionen teilzunehmen.
Liegt das an der
Häufung der
verkaufsoffenen
Sonntage und
des zunehmendenKonkurrenzdrucks
im
Einzelhandel?
Vögele: In diesem
Punkt sind
wir nah bei
den Gewerkschaften.
Hier
geht es um ein
grundsätzlichesmenschliches
Bedürfnis, der Erholung
von der Arbeit. Nur so wird
Arbeitskraft erhalten.
Roth: Die Gewerkschaften
versuchen den Zerfall von
geregelten Arbeitszeiten aufzuhalten.
Durch die Ausweitung
der Verkaufszeiten ist
die Qualität der Arbeitsplätze
verloren gegangen. Es gibt
unglaublich viele Niedrigverdiener
und einen extremen
Anteil an Teilzeitstellen.
Die Arbeitskultur wird
immer stärker einge-
Foto: Archiv
schränkt. Auch die Beratungsqualität
geht kontinuierlich
durch solche Maßnahmen
verloren. Viele
Fachgeschäftskunden bemängeln
das bei anderen
Anbietern, da findet man
manchmal nicht einmal jemanden,
der einen beraten
könnte. Unsere Mitarbeiter
werden regelmäßig geschult,
von uns und von Seiten der
Industrie.
Schirott: Ich habe bisher
nicht erlebt, dass Mitarbeiter
bei der Gelegenheit nicht
mitziehen würden. Wichtig
ist, dass keine Ungleichgewichte
innerhalb einer Geschäftsstruktur
entstehen.
Ihre Prognose in der Frage der
Ausweitung verkaufsoffener
Sonntage?
Roth: Ich bin mir ziemlich sicher,
dass in dieser Richtung
noch einiges probiert werden
wird. Auch bei der Frage eines
24-Stunden-Verkaufs ist
das letzte Wort noch nicht
gesprochen. Aber selbst in
Stuttgart machen die Geschäfte
abends wieder früher
zu und es wird sich bei 20
Uhr einpendeln. Ich denke,
das veränderte Ladenöffnungszeiten
niemals das
Ausmaß annehmen werden
wie in den USA, wo es übrigens
auch nur ganz bestimmte
Geschäfte sind, die
riesige Regionen versorgen.
Vögele: Ich stimme zu. Wir
werden nicht in die Zeiten
wie vor 15 Jahren zurückkehren,
als man ab 18 Uhr
kein geöffnetes Geschäft
fand. Das wird sich einpendeln,
aufgrund der Bedürfnisse
des Handels auf der einen
Seite und der Kunden
auf der anderen Seite.
Schirott: Wenn die Anzahl alle
gleich betrifft, ist es kein
Problem. Dadurch dass sich
die Ladenöffnungszeiten
freier gestalten lassen, gibt
es auch Ausweichmöglichkeiten
mit spätem Abendverkauf.
Danke für dieses Gespräch.
LEOAKTIV 17
Im Gespräch