0.22 __ //// RÜCKBLICKderungsverlust von 6.143 Personen. Diese Zahl ergibt sich,wenn man die prognostizierte Zuwanderung von der prognostiziertenAbwanderung abzieht. In der Realität kamen 34.107Personen neu in unser Bundesland. Die Abwanderung über dieLandesgrenze belief sich auf 35.801 Personen. Der Wanderungsverlustbetrug also nur 1.694 Personen, was eine Abweichungvom Zielwert von 262% ergibt.Für das Jahr 2012 sah die Landesprognose ein noch größeresWanderungsdefizit von insgesamt 6.627 Personen vor. In derRealität jedoch stieg die Zuwanderung im Vergleich zum Vorjahrauf 34.690 Personen, während die Zahl der Fortzüge auf35.305 schrumpfte. Der Wanderungsverlust kam also über 615Personen nicht hinaus – eine Zielabweichung um 977% unddas bereits im 2. Jahr der Prognose! Trotz dieser kapitalen Fehlerwurde die Landprognose am 8.1.2013 von der Landesregierungverabschiedet. Besonders peinlich war dann die Veröffentlichungam 21.6.2013. Zu jenem Zeitpunkt lagen die Ergebnissedes Zensus von 2011 bereits 3 Wochen auf der Internet-Seitedes Statistischen Bundesamtes vor. Sie zeigen, dass nicht nurdie Zukunftsberechnung, sondern auch die fortgeschriebenenAusgangsdaten, die das Statistische Amt Mecklenburg-Vorpommernfür die aktualisierte Prognose genutzt hatte, falschsind.Wie viele Menschen leben nun wirklich in Mecklenburg-Vorpommern?Wird ihre Anzahl in den nächsten Jahren zu- oderabnehmen? Sowohl das Statistische Amt Mecklenburg-Vorpommernals auch das Statistische Bundesamt berücksichtigtenbei ihren Berechnungen nur die Erstwohnsitznehmer. Erstdann, wenn Zugezogene sich mit Erstwohnsitz in Mecklenburg-Vorpommernanmelden, wird ein Umzug registriert, derreal möglicherweise bereits lange vorher stattgefunden hat. Sosind viele Personen, die in den neunziger Jahren ein altes Gutshauserworben und renoviert haben, bis heute nicht mit Erstwohnsitzin unserem Bundesland gemeldet, obwohl sie hier dieüberwiegende Zeit des Jahres wohnen. Auch viele „Stadtflüchter“,die mit ihren Kindern auf´s Land gezogen sind, behaltenden städtischen Erstwohnsitz bei, weil sie in die Stadt zurückmüssen, sobald die Kinder schulpflichtig werden. Kaum jemandmöchte seinen Kindern stundenlange mecklenburgischeSchulbusfahrten zumuten.Aus diesen und anderen Gründen kann die Realbevölkerungvon der Erstwohnsitzbevölkerung stark abweichen. DochZweitwohnsitzdaten werden vom Statistischen Amt des Landesnicht abgefragt. Auch die daran anschließende Frage, obund wie schnell Zweitwohnsitznehmer zu Dauerwohnsitznehmernwerden, kann nicht mit direkten empirischen Daten beantwortetwerden. Unterstellt man, dass die zuwandernde Bevölkerungzusätzliche Wohnungen braucht, wäre der Zubau anWohnungen ein möglicher Ersatzindikator. Genau dies wurdeim Zensus 2011 abgefragt.Die neuen Zensusdaten enthalten Angaben über den Anteilder Wohnungen, die sich in Gebäuden befinden, die von 2000bis 2011 errichtet wurden, an der Gesamtzahl der Wohnungen.Bundesweit liegt dieser Anteil bei 7,5%. Mecklenburg-Vorpommernkam mit überdurchschnittlichen 9,2% auf den drittenRang unter den 16 Bundesländern (Abbildung 1). Es wirdnur von Brandenburg übertroffen, das von den Stadtflüchternaus dem boomenden Berlin profitiert, und von Bayern, das wieMecklenburg-Vorpommern über mehrere Regionen mit hohemFreizeitwert verfügt. Stark urbanisierte Räume wie dieStadtstaaten, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Sachsen rangierenunterdurchschnittlich, ländlich geprägte Bundesländerwie Brandenburg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein,Rheinland-Pfalz und Niedersachsen überdurchschnittlich.Zwar bieten die großen Städte und Metropolen Arbeitsplätze(darunter auch viele neue), doch preiswerter Wohnraummit hoher Lebensqualität wird dort zur Mangelware.
Während noch in den neunziger Jahren des letzten Jahrhundertsdie Abwanderung aus den Metropolen vor allem den Umlandgemeindender großen Städte zugutekam (Suburbanisierung),kann sich die heutige Gesellschaft – gestützt auf Mobiltelefon,Computer und Internet – viel größere Entfernungenzum eigentlichen Arbeitsplatz oder Unternehmenssitz leisten.So ist zu erklären, dass das metropolenferne Mecklenburg-Vorpommernmit metropolennahen Bundesländern wie Brandenburg,Bayern, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg inder Spitzengruppe steht. Geht man davon aus, dass höchstens 4bis 5% jener neuen Wohnungen durch Ersatzbauten und herkömmlicheSuburbanisierung erklärbar sind (vgl. Werte vonSachsen und Sachsen-Anhalt), dann sind in Mecklenburg-Vorpommerndie restlichen 4 bis 5% durch andere Effekte, z. B.Multilokalität, Zweitwohnsitze und Ferienwohnungen, induziert.Multilokalität bedeutet, dass eine Person oder Familienicht an einem, sondern in mehreren Orten bzw. Regionenlebt und arbeitet.Land-/StadtkreisBad Doberan 17,7Stadt Greifswald 13,9Rügen 13,4Nordwestmecklenburg 12,4Ostvorpommern 12,3Nordvorpommern 10,6Müritz 10,1Ludwigslust 9,3Stadt Stralsund 9,2Mecklenburg-Strelitz 8,3DEUTSCHER DURCHSCHNITT 7,5Stadt <strong>Rostock</strong> 7,2Stadt Wismar 7,0Stadt Neubrandenburg 6,7Parchim 6,5Güstrow 6,0Schwerin Stadt 5,6Uecker-Randow 5,2Demmin 4,9Die Verteilung auf die Altkreise Mecklenburg-Vorpommernszeigt, dass vor allem die Gebietseinheiten an der Ostsee vondem Bauboom profitierten. Bemerkenswert ist außerdem, dassvon den 10 Gebietseinheiten, die über dem deutschen Durchschnittliegen, 7 auf den östlichen Landesteil entfallen. Auchder Müritz-Kreis und Mecklenburg-Strelitz gehören zur überdurchschnittlichenGruppe. Dieser Trend ist nicht neu. Bereits2005 wurde im Wirtschaftsatlas Vorpommern und MecklenburgischeSeeplatte des Greifswalder Geographischen Institutsfestgestellt, dass „das Östliche Mecklenburg-Vorpommern derBevölkerung und den Unternehmen die Vorzüge einer hochmobilen, dispers siedelnden Dienstleistungsgesellschaft vorländlicher Kulisse bietet. Dabei schließt die ländliche KulisseFreizeitmöglichkeiten von höchstem Standard ein – vor alleman der Küste und auf der Mecklenburgischen Seeplatte“. Leiderhat das die Landesplanung nicht davon abgehalten, Verwaltungs-und Dienstleistungsabbau besonders im Osten des Landeszu betreiben.Geht man davon aus, dass für die meisten Haushalte der Erwerboder der Bau von Wohnraum eine langfristige Investitionbedeutet, dann ist davon auszugehen, dass die Realbevölkerungin Mecklenburg-Vorpommern in naher Zukunft nicht mehrschrumpfen sondern wachsen wird. Dann wird es vom Infrastrukturangebotdes Landes abhängen, wie viele der Zuwanderersich für eine Erstwohnsitzanmeldung in unserem Landeentscheiden.Genau deshalb war und ist die Vernachlässigung und Entmündigungländlicher Räume ein kapitaler Fehler. Daher müsstedie Landesplanung zunächst Inventur machen: In einem neuenLandesentwicklungsbericht sollte analysiert werden, welcheneuen Strukturen sich seit 1995 gebildet haben, wo durch dieRückbaupolitik der letzten Jahrzehnte die größten Schädenentstanden sind, wo Schulen, Sozial- und Gesundheitsinfrastrukturwieder eingerichtet bzw. neu eröffnet werden müssen.In einem zweiten Schritt muss man in dem derzeit anstehendenneuen Landesraumentwicklungsprogramm zu einer konstruktivenWachstumspolitik für die ländlichen Räume finden. KonstruktiveWachstumspolitik bedeutet beispielsweise, dass vorallem die Gemeinden in den attraktiven Korridoren entlangüberregionaler Verkehrswege die Wohnungsnachfrage von außerhalbabdecken sollten. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsereKüsten wie in Schleswig-Holstein zersiedelt werden. Einekonstruktive Wachstumspolitik wird von der Wissenschaft unterdem Leitbild „Garten der Metropolen“ seit langem gefordert.Dieses Leitbild verbindet den Freizeit- und Erholungswertländlicher Räume für die Einwohner der AgglomerationenBerlin, Hamburg, <strong>Rostock</strong> und Szczecin mit:_ einer regional effektiven Landwirtschaft, die außerhalbagrarindustrieller Dimensionen mit der Erzeugung hochwertiger,ökologisch möglichst einwandfreier Produkte dieNachfrage der eigenen Bevölkerung und der Metropolenbedient,_ einem regional angepassten Produktions-, Kunst-, KulturundDienstleistungssektor, einschließlich urbaner Bereiche,bei denen der Arbeitsplatz nicht oder zeitweise nicht mehrcity-gebunden ist,_ sowie qualitativ hochwertigem Wohnen und Arbeiten vorländlicher Kulisse, wobei Kind- und Familiengerechtigkeitgewährleistet sein sollen. ¬