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kein mainstream! - Ensuite

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oliver twist<br />

<strong>kein</strong> <strong>mainstream</strong>!<br />

von der hand des meisters<br />

à suivre


im namen der redaktion und der leserschaft:<br />

kanton bern / amt für kultur<br />

und den vielen spenderInnen (!)<br />

danke!<br />

und deswegen können wir im 2006 erst<br />

recht - mit noch mehr kraft - weiterfahren!<br />

viel spass<br />

ABO@ENSUITE.CH<br />

WWW.ENSUITE.CH


Titelseite und rechts: Oliver Twist von Roman Polanski<br />

Jetzt im Kino...<br />

Vor allem...<br />

■ Vielen Dank. Ihnen allen. ensuite – kulturmagazin hat den Sprung in<br />

den 4. Jahrgang soeben bestanden: Mit schwarzen Zahlen! Die Stadt Bern<br />

und der Kanton haben uns gezeigt, dass diese Zeitung den Platz behalten<br />

soll. Das pinselt meinen Ranzen und ich gebe das gerne an das gesamte<br />

Team weiter (also das Lob, nicht den Ranzen). Natürlich bedeutet dies<br />

noch einmal viel Arbeit, wir sind noch nicht, wo wir sein möchten. Doch<br />

jetzt zurückzuliegen und die Lorbeeren trocken werden zu lassen, wäre<br />

grundlegend falsch. Nun, dies haben wir nicht vor und im Gegenteil: Unsere<br />

Schubladen lassen sich vor lauter Ideen nicht mehr schliessen… Und mit<br />

dem 4. Jahrgang im Gepäck stehen uns neue Türen offen.<br />

Aber nochmals zurück zum Team: Ich bin sehr angetan, mit wie viel Einsatz<br />

und Begeisterung die vielen HelferInnen bei ensuite – kulturmagazin<br />

mitarbeiten. Viele von ihnen sind schon seit Jahren dabei, freiwillig und<br />

unentgeltlich – wie ich selber übrigens auch. Unsere kapitalkranke Gesellschaft<br />

stempelt diese «Freiwilligkeit» noch immer mit «unprofessionell»<br />

ab. Was <strong>kein</strong> Geld abwirft, ist nichts wert. Das ist peinlich, vor allem deswegen,<br />

weil der Vergleich je länger je mehr holpert. Wo ist denn das viele<br />

Geld, wo der Honig und die Milch…<br />

Mir scheint, dass der sich selbst auffressende Kapitalismus in einer<br />

CIA-untergrabenen Demokratie nicht mehr das richtige Überlebensmodell<br />

ist. Von wegen Verschwörungstheorien! Wir haben im 2005 viele Wahrheiten<br />

ernst nehmen müssen. Der Mensch besteht aus Körper, Geist und<br />

einer Vergangenheit, in Wirklichkeit regieren JournalistInnen und LehrerInnen<br />

die Welt, die Politik ernährt nur sich selbst und denkt nicht an die<br />

Mitmenschen, das Klima hat sich verändert - wir leben im 2006 und es<br />

müsste uns besser gehen. So wünsche ich mir für das Jahr 2006, dass wir<br />

«es» wenigstens versuchen.<br />

Und wir freuen uns, dass wir Sie, liebe LeserInnen, dabei begleiten und<br />

anregen dürfen. Kultur ist der soziale Leim einer Gesellschaft.<br />

Darum geht es.<br />

Lukas Vogelsang<br />

i n h a l t<br />

K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />

<strong>kein</strong> <strong>mainstream</strong>! 6<br />

musik verleiht fl ügel 10<br />

gründer der crips hingerichtet 10<br />

S T A D T T H U N<br />

trummer «anyways», sterchi und blum 20<br />

B Ü H N E<br />

eins, zwei oder drei 13<br />

L I F E S T Y L E<br />

tuchfühlung: alte hemden - neues jahr 26<br />

tangoid sous le pont 26<br />

L I T E R A T U R<br />

arno geiger, walter kappacher, dag solstad 9<br />

letzte lustseite 36<br />

K I N O / F I L M<br />

oliver twist 21<br />

where the truth lies 22<br />

headsmen 22<br />

factotum 23<br />

das andere kino 24<br />

M U S I K<br />

martin dahanukar - the night of zodiacsounds 13<br />

5. bejazz winterfestival 13<br />

veitstanz, schumann‘s - prima carezza, circles oder<br />

wie die warme eisprinzessin singt 15<br />

rap als folterinstrument der cia 17<br />

die wunderkammer der dead brothers 19<br />

schimmernder stoff 19<br />

V E R A N S T A L T E R<br />

à suivre 10<br />

«engel der zukunft. eine winterreise» 11<br />

artensuite<br />

von blüten und moneten 30<br />

von der hand des meisters 31<br />

der herrliche brandstifter 32<br />

hofstettenstrasse 2005 33<br />

galerien in bern 34<br />

augenspiel 35<br />

D I V E R S E S<br />

kulturnotizen 4<br />

stadtläufer 18<br />

menschen & medien / fauser cartoon 27<br />

menschen: daniel bohnenblust 28<br />

tratschundlaber 23<br />

A G E N D A 38<br />

kulturagenda bern 37<br />

museen bern / biel / thun 64<br />

kulturagenda biel 66<br />

kulturagenda thun 70<br />

3


4<br />

K U L T U R N O T I Z E N<br />

SCHWEIZ MIT<br />

HÖCHSTEN KINO-<br />

PREISEN IN EUROPA<br />

■ Während der Durchschnittspreis für einen Kinoeintritt<br />

in 25 europäischen Hauptstädten 6.30 Euro<br />

beträgt, muss der Kinobesucher in Bern 11 Euro zahlen.<br />

Das ist europäischer Rekord, wie eine Studie des<br />

Marktforschungsinstituts IHA-GfK zeigt. Fast so teuer<br />

wie in der Schweiz ist das Kinovergnügen in Oslo (10.<br />

90 Euro) und Helsinki (10 Euro).<br />

Deutlich billiger kommen Kinofans in den Nachbarländern<br />

der Schweiz weg: In Frankreich kostet<br />

ein Kinoticket 8.90 Euro, in Österreich 8.10 Euro, in<br />

Deutschland 7.90 Euro und in Italien 7.40 Euro. Die<br />

Preise hängen laut dem Forschungsinstitut stark mit<br />

der Kaufkraft der Länder zusammen. Sie widerspiegelten<br />

die Kluft zwischen Ost- und Westeuropa. (kr)<br />

AESCHLIMANN CORTI<br />

STIPENDIUM 2006<br />

■ Auch 2006 vergibt die Bernische Kunstgesellschaft<br />

wieder das Louise Aeschlimann und Margareta<br />

Corti Stipendium, eines der bedeutendsten privaten<br />

Kunststipendien der Region Bern. Zu den Preisträgern<br />

der letzten Jahre gehören Künstlerinnen und<br />

Künstler wie Peter Aerschmann, Reto Leibundgut,<br />

Andrea Loux, Ana Roldan oder Natsuko Tamba Wyder,<br />

alles <strong>kein</strong>e unbekannten Namen mehr. Wie bereits<br />

im letzten Jahr steht wieder eine Preissumme von<br />

70‘000 Franken zur Verfügung. Teilnahmeberechtigt<br />

am Stipendienwettbewerb sind Kunstschaffende, die<br />

seit einem Jahr im Kanton Bern ihren Wohnsitz haben<br />

oder im Kanton Bern heimatberechtigt sind. Zudem<br />

darf die Altersgrenze von vierzig Jahren nicht<br />

überschritten werden, das heisst Kunstschaffende<br />

ab Jahrgang 1966 sind zugelassen. Kunstschaffende,<br />

die in den vergangenen Jahren bereits mit einem<br />

Stipendium oder Förderpreis ausgezeichnet wurden,<br />

können sich ebenfalls wieder bewerben. Verbunden<br />

mit dem Stipendienwettbewerb ist eine Ausstellung,<br />

die in diesem Jahr im Kunsthaus Langenthal stattfi nden<br />

wird. Anmeldeformulare liegen in den Kunstmuseen<br />

Thun und Bern, der Kunsthalle Bern, im Centre<br />

PasquArt in Biel sowie im Kunsthaus Langenthal auf<br />

und können von folgenden Websites als PDF heruntergeladen<br />

werden: www.kunstgesellschaft.be, www.<br />

visarte.ch. Anmeldeschluss ist der 28. Februar 2006,<br />

Einsendeschluss der Dokumentation ist der 14. März<br />

2006 (Poststempel). (di)<br />

FÉLIX DUMÉRILS<br />

SEISMOGRAPHS KOMMT<br />

IN ST. PETERSBURG ZUR<br />

AUFFÜHRUNG<br />

■ Im Rahmen des Seventh International Winter Festival<br />

Arts Square in St. Petersburg kommt Félix Dumérils Ballett<br />

«Seismographs» zur Aufführung. Das Festival vom<br />

28. Dezember bis zum 07. Januar 2006 widmet sich<br />

ausschliesslich dem russischen Komponisten Dmitrij<br />

Schostakowitsch.<br />

Félix Duméril, ehemaliger Ballettdirektor am Stadttheater<br />

Bern, choreographierte «Seismographs» als abschliessende<br />

Aufführung seiner 4-jährigen Zeit als Ballettdirektor.<br />

Das Stück arbeitet mit Symbolik und dem<br />

Archetypus, ein Stück, das die Berner und die Medien<br />

bewegt und inspiriert hat.<br />

Dazu meinte Duméril: In diesem Stück geht es um<br />

Grundfragen, die bewegen. Dabei spielt der Schmerz<br />

in diesem Stück sicher eine grosse Rolle. Der Schmerz<br />

wird auch zum Opfer… zur Leidenschaft… Wie kann ein<br />

Mensch wie Dmitrij Schostakowitsch, der Komponist der<br />

Choreographie «Seismographs», unter so viel Schmerz<br />

und Machtmissbrauch, den er erlebt hatte, etwas so<br />

überaus Schönes produzieren? Es ist die Schönheit,<br />

die man mit einem nassen und mit einem trockenen<br />

Auge geniessen kann… Doch Schmerz kann auch Passion<br />

sein, wie in religiösen Bekenntnissen. Dabei lastet<br />

auf dem Menschen ein unvorstellbarer Druck. Wie viele<br />

Kriege wurden aus Vergeltung gefochten? Jeder ist<br />

sensibel auf Schmerz, und Schmerz kann in der Masse<br />

gezielt in das Böse umgewandelt werden. Durch Propaganda,<br />

Massenbewegungen, Hetze. Durch Auswüchse,<br />

wie sie in Nürnberg während des Dritten Reiches zur<br />

Blüte kamen. Mit Fackeln, Fahnen und Symbolen wie<br />

dem Hackenkreuz, den archetypischen Implikationen.<br />

Dem ganzen Irrsinn, wie er noch heute angewandt wird.<br />

Dass das Stück nun unter der Leitung von Duméril<br />

mit dem Jakobson Ensemble in St. Petersburg zur Aufführung<br />

kommt, ist eine Krönung. St. Petersburg ist die<br />

Heimatstadt von Dmitrij Schostakowitsch. Unter dem<br />

Abendtitel «Three One-Act Ballets» kommt «Seismographs»<br />

zusammen mit «Wedding Cortege» und «Klop»<br />

von Leonid Jakobson im Mussorgsky Opera and Ballet<br />

Theater zur Aufführung. (sf)<br />

KINDEROPENAIR<br />

■ Letztes Jahr wurden die Kinderkonzerte Grüningen<br />

(ZH) erstmals als Openair-Festival mit Familienzeltstadt<br />

durchgeführt. Die Idee, solche Musik-Festivals für Kinder<br />

auszurichten, schien bei den Eltern gut anzukommen.<br />

Nun will die Organisation «brothers & sisters» das Konzept<br />

gleich auf 4 Festivals in der Schweiz ausdehnen.<br />

Kinderkommerz? Wenigstens fi ndet das Festival in Bern<br />

auf dem Gurten und noch vor der grossen Biertränke<br />

des Gurtenfestivals statt.<br />

Am 24. und 25. Juni treten Gardi Hutter und Erika<br />

Stucky à la Honkystonky by Huttystucky, Andrew Bond<br />

und die Rasselbandi, Roland Zoss & MukuTiki-Band, Linard<br />

Bardill und Marius und die Jagdkapelle auf. Für die<br />

Sicherheit und die Nachtruhe wird gesorgt und weitere<br />

Infos sind auf www.kinderkonzerte.ch zu fi nden. (vl)<br />

ROMA UNTER UNS<br />

■ Die Zigeuner aus Osteuropa gehören zum Volk der<br />

Roma. Mit ihrer Mentalität und ihrer Kultur sind in der<br />

Schweiz viele soziale Einrichtungen – nicht selten auch<br />

konfl iktreich – konfrontiert. Wer sind die Roma? Weshalb<br />

kommen sie? Wie gehen wir mit ihnen um?<br />

Im Offenen Haus «La Prairie» an der Sulgeneckstrasse<br />

7 in Bern hat man diese kulturellen Konfl ikte als<br />

Herausforderungen angenommen. Deshalb organisiert<br />

eine Projektgruppe eine Tagung in der Rotonda bei der<br />

Dreifaltigkeitskirche, eine Ausstellung in der Heiliggeistkirche<br />

und einen Filmzyklus im Lichtspiel (Kinemathek<br />

Bern). (vl)<br />

Tagung am Samstag, 28. Januar 2006<br />

Ausstellung vom 19. Januar bis 24. Februar 2006<br />

in der Heiliggeistkirche<br />

Filmzyklus Lichtspiel jeweils 20:00 h<br />

Sa 28.1.06 Shutka – Stadt der Roma<br />

So 29.1.06 Kurzfi lme aus dem Archiv des Lichtspiels<br />

(zum Thema)<br />

Mo 30.1.06 Vier Stummfi lme (1904 – 1916) Mit musikalischer<br />

Begleitung.<br />

Di 31.1.06 Gelem Gelem – Protest-Bettelmarsch durch<br />

Deutschland (1991)<br />

Mi 01.02.06 Auf der Kippe – Das Leben rumänischer Romas<br />

auf der Müllhalde<br />

So 29.01.06 Dokumentarfi lme Lichtspiel<br />

10:00 – 13:00 h - Schwerpunkt „Kosovo“<br />

14:00 – 17:00 h – Schwerpunkt „Slowakei“<br />

Weitere Infos: www.lichtspiel.ch


4. FESTIVAL<br />

«L’ART POUR L’AAR»<br />

■ «Ein Podium für Berner Künstler» möchte das<br />

Festival «L’art pour l’Aar» sein. Ein Musikfestival und<br />

mehr. Oder in diesem Jahr: ein Literaturfestival und<br />

mehr? Bekannte stehen wiederum neben weniger<br />

bekannten Kunstschaffenden, junge neben nicht mehr<br />

ganz so jungen, aber immer haben sie ihr Schaffen und<br />

Wirken der zeitgenössischen oder neuen Musik, oder<br />

eben der Gegenwartsliteratur, verschrieben.<br />

Zum vierten Mal fi ndet das Festival im Januar<br />

in Bern statt. 2003 wurde es von Komponisten und<br />

Komponistinnen aus Bern und Umgebung – darunter<br />

Jean-Luc Darbellay, Hans Eugen Frischknecht, Ursula Gut<br />

und Alfred Schweizer – initiiert und zum selben Anlass<br />

wurde das «ensemble bern modern» unter der Leitung<br />

von Pierre-Alain Monot gegründet. Das schwierige Feld<br />

der neuen Musik – vor allem aus der Umgebung – soll<br />

hier beackert werden, soll eine Plattform erhalten und<br />

Werke von Berner Komponisten und Komponistinnen<br />

sollen tatsächlich umgesetzt und aufgeführt werden.<br />

Begleitet wird das Wochenend-Festival alljährlich von<br />

einem Symposium, das in diesem Jahr zur Hommage<br />

an Constantine Regamey durchgeführt wird. Hier gilt<br />

es, einen Schweizer Komponisten kennen zu lernen<br />

und zu entdecken, wobei der Regamey-Kenner Jerzy<br />

Stankiewicz die Besucher auf ihrer Entdeckungsreise<br />

unterstützen wird.<br />

Bild: zVg.<br />

Literaturfestival ist es in diesem Jahr, weil die<br />

Verschmelzung von Musik und Literatur, Ton und<br />

Text, Klang der Musik und dem oftmals nicht minder<br />

rhythmisch-musikalischen Klang der gesprochenen<br />

Sprache angestrebt wird. Berner Texter, Dichter, Poeten,<br />

Schriftsteller, Schreiberlinge und Autoren wie E. Y.<br />

Meyer, Franz Dodel oder Raphael Urweider stellen neue<br />

Texte vor und Musik wird sie umrahmen. Oder die Texte<br />

werden die Musik umrahmen!? In fünf Konzerten wird<br />

eine derartige Symbiose versucht. Die Poeten sind<br />

<strong>kein</strong>e Unbekannten mehr, E. Y. Meyer (1946) ist seit 1974<br />

freier Schriftsteller und erhielt bereits einige Preise, er<br />

wird aus «Stimme des toten Generals» lesen. Raphael<br />

Urweider (1974) wurde 2000 mit «Lichter in Menlo<br />

Park» bekannt und hat inzwischen verschiedenartigste<br />

Symbiosen ausgetestet (Multimedia, Theatermusik,<br />

Rap- und Hip-Hop-Projekte), so dass er sicher gut<br />

in die musikalische Umgebung des Festivals passt.<br />

Schliesslich wird Franz Dodel (1949) aus seinem niemals<br />

endenden Haiku «Nicht bei Trost» vorlesen, begleitet<br />

von Hans Eugen Frischknechts Kompositionen in einer<br />

Uraufführung. (di)<br />

Festival «L’Art pour l’Aar» spielt an verschiedenen<br />

Orten, 13. bis 21. Januar 2006 (siehe Agenda).<br />

NIK BIERI<br />

K U L T U R N O T I Z E N<br />

WENN EINER<br />

EINE REISE TUT....<br />

5<br />

■ Mit seinem autobiografi schen Comic «Blankets»<br />

(Speed Verlag, 2004) hat Thompson eine Perle geschaffen:<br />

Die Geschichte einer Kindheit und Jugend,<br />

so persönlich, authentisch und berührend erzählt,<br />

dass beim Lesen eigene Erinnerungen erwachen<br />

und man unversehens in Sentimentalitäten schwelgt.<br />

Jede/r kennt die Sorgen und Nöte des jungen Craig<br />

und manche/r wird eine Träne im Augenwinkel<br />

zerdrücken, wenn sich Craig zum ersten Mal verliebt.<br />

«Blankets» verhalf Thompson zum Durchbruch<br />

und brachte ihm internationale Anerkennung ein.<br />

Im Frühling 2004 war Thompson in ganz Europa<br />

unterwegs, er signierte sein Werk in unzähligen Comicläden<br />

und an Comicfestivals, gab Interviews und<br />

traf Verleger.<br />

Die vielen Termine warfen Thompson hin und her,<br />

von einer Stadt in die nächste, zu Freunden und Unbekannten,<br />

auf Höhenfl üge und Abstürze. Und was<br />

macht ein Reisender, der sich mit Leib und Seele dem<br />

Zeichnen verschrieben hat? Er skizziert! Stundenlang,<br />

in jeder Situation, alles und jeden.<br />

Mit dem eben erst auf Deutsch erschienenen<br />

«Tagebuch einer Reise» dürfen wir an Thompsons<br />

Reise teilhaben. Wir fühlen mit, wenn der Autor offen<br />

und ehrlich von Verzweifl ung und Einsamkeit erzählt<br />

oder von den wunderbaren Entdeckungen, die er auf<br />

seiner Reise macht. Wir freuen uns an den detailreichen<br />

Strassenskizzen ebenso wie am Portrait der<br />

hübschen Spanierin, die Thompson im Café trifft oder<br />

an seiner selbstironischen Darstellung, wenn er sich<br />

selber beim Flirten erwischt.<br />

Craig Thompson: Tagebuch einer Reise.<br />

Reprodukt, 2005.<br />

224 Seiten, schwarzweiss, Klappenbroschur<br />

ISBN 3-938511-17-6


6 K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />

DOMINIK IMHOF<br />

<strong>kein</strong> <strong>mainstream</strong>!<br />

■ Die Würfel sind gefallen, die Wahl getroffen. Am 17.<br />

Dezember wurde mit der Wahl des Kurators für Gegenwartskunst<br />

des Kunstmuseums Bern über die zukünftige<br />

Ausrichtung der Gegenwartskunst des Hauses entschieden.<br />

Ein Gespräch mit Bernhard Fibicher.<br />

Dominik Imhof: Herzliche Gratulation zu deiner<br />

Wahl. Es hat sechs Monate gedauert, einen Stelleninhaber<br />

zu fi nden. Bist du erleichtert, dass es vorbei<br />

ist?<br />

Bernhard Fibicher: Ja, selbstverständlich bin ich erleichtert,<br />

weil alles bis zum Schluss offen war und das<br />

Ergebnis positiv oder negativ für mich hätte ausfallen<br />

können. Ich bin nicht nur erleichtert, sondern ich freue<br />

mich auf die neue Aufgabe und hoffe, dass es gelingen<br />

wird, an die Ausstellung «Mahjong» anzuknüpfen und<br />

die allgemeine Aufmerksamkeit auf das Kunstmuseum<br />

zu lenken.<br />

Spürst du bereits einen gwissen Druck?<br />

Nein, Druck bin ich mir gewohnt, das ist eigentlich<br />

nichts Neues. Druck war schon in der Kunsthalle und im<br />

Kunsthaus Zürich da, das ist nichts Neues, damit lebt<br />

man, es ist etwas Alltägliches.<br />

Im Vorfeld der Wahl kam es zu einigen Ungereimtheiten,<br />

im «Bund» waren die Namen der letzten<br />

beiden zur Auswahl stehenden Kandidaten bereits<br />

vorher publiziert und es war zu lesen: «Kommt ein<br />

interner Kandidat oder ein international versierter<br />

Ausstellungsmacher zum Zug?» Ist hier eine Kritik<br />

an deiner Laufbahn herauszulesen?<br />

Das kommt ganz darauf an, wer das wie lesen will.<br />

Ich auf jeden Fall habe es als Kritik verstanden. Generell<br />

muss ich dazu sagen, dass ich es sehr bedauert habe,<br />

dass die Namen und inhaltlichen Details während eines<br />

laufenden Verfahrens an die Öffentlichkeit gedrungen<br />

sind. Ich fi nde es unverantwortlich, dass man mit derartigen<br />

Informationen an die Presse geht. Ich war also<br />

gleichzeitig sehr erstaunt, aber auch sehr erzürnt über<br />

dieses Vorgehen.<br />

Zur Ausrichtung der Abteilung Gegenwartskunst<br />

am Kunstmuseum Bern sind die Stichworte Tradition<br />

und Innovation gefallen, kannst du das präzisieren?<br />

Das ist natürlich auch immer eine Frage der Interpretation.<br />

Von Seiten gewisser Kreise heisst Tradition,<br />

wenn man mit jemandem weiterfährt, der schon ein<br />

Jahr im Haus gewirkt hat. Ich möchte mein zukünftiges<br />

Programm und auch die Richtlinie, die sich das<br />

Kunstmuseum jetzt vorgelegt hat, in einem wichtigen<br />

Konzeptpapier als innovativ bezeichnen, weil hier etwas<br />

versucht wird, dass es sonst in <strong>kein</strong>em anderen<br />

Museum gibt, nämlich Kunst zu präsentieren, die man<br />

nicht an allen anderen Orten, Galerien und wichtigen<br />

Museen der ganzen Welt sehen kann, sondern Arbeiten,<br />

die man zum ersten Mal entdecken kann. Dass war<br />

mit «Mahjong» der Fall, das wird auch der Fall sein mit<br />

Werken, die aus anderen Kulturkreisen stammen. Ich<br />

glaube, dass sich damit das Kunstmuseum Bern wirklich<br />

international profi lieren kann, und ich persönlich glaube<br />

absolut nicht an Profi lierung über ein Insiderprogramm<br />

mit wichtigen Namen, die im internationalen Kunstzirkus<br />

herumgeboten werden. Es wird sich zeigen, ob sich<br />

diese Investition und dieses Risiko lohnen werden. Ich<br />

bin überzeugt davon, dass die Rechnung aufgeht.<br />

Es wurde auch davon gesprochen, dass <strong>kein</strong> Mainstream<br />

gemacht werden soll. Heisst das es werden<br />

Ausstellungen gemacht wie z. B. in der Kunsthalle<br />

Bern, die zwar gut sind, aber <strong>kein</strong> grösseres Publikum<br />

erreichen?<br />

Ich fi nde das Programm der Kunsthalle Bern interessant,<br />

weil hier eben auf diese Namen, die man erwartet,<br />

die Top Ten oder die ersten Hundert der internationalen<br />

Hitparade, bisher verzichtet wurde. Das fi nde ich sehr<br />

positiv, wenn man <strong>kein</strong>e Hypes zelebriert, geht man<br />

das Risiko ein, dass die Galeristen aus aller Welt nicht<br />

nach Bern anreisen. Ich fi nde, dass das die Funktion der<br />

Kunsthalle ist. In einem Kunstmuseum kann man vielleicht<br />

unbeschwerter sein, weil da die Palette des Angebots<br />

unglaublich breit ist, von klassischer Moderne<br />

bis zu zeitgenössischer Kunst. Das Wichtigste ist, dass<br />

das Kunstmuseum anknüpft an das Bestehende, an die<br />

Sammlungen, an Ausstellungen, die bereits stattgefun-<br />

den haben. Dies bedeutet nicht, dass man nicht prospektiv<br />

arbeiten kann, aber Anknüpfungspunkte braucht<br />

es unbedingt. Im Gegensatz zu einer Kunsthalle, die im<br />

luftleeren Raum arbeitet, ist die Anbindung an das Bestehende<br />

- auch das Bestehende aus den 60er und 70er<br />

Jahren - eine Bedingung. Deswegen ist die Arbeitsweise<br />

in einem Kunstmuseum eine ganz andere.<br />

Das heisst, es werden demnächst die eigenen<br />

Gegenwartskunst-Sammlungen des Kunstmuseums<br />

Bern gezeigt?<br />

Ja, diese Sammlungen stehen im Mittelpunkt der<br />

Aktivitäten einer Abteilung für Gegenwartskunst. Was<br />

aber nicht bedeutet, dass man jetzt ganze Sammlungen<br />

in extenso, z. B. während eines Jahres, zeigen wird. Das<br />

kann gelegentlich geschehen, denn die Besucher wollen<br />

nicht immer die gleichen Sammlungen sehen. Mit<br />

dem Raumangebot, dass wir in Zukunft haben werden<br />

- rund 1500 m 2 -, können wir natürlich nie alles zeigen<br />

und dann noch Wechselausstellungen veranstalten. Ich<br />

möchte Sammlungsbestände in thematische Ausstellungen<br />

integrieren, wie das 2006 bereits der Fall sein<br />

wird. Ich werde auch versuchen, die Sammlungen, die<br />

eine Identität besitzen, z. B. «Stiftung Kunst heute»,<br />

«Stiftung Kunsthalle Bern», in andere Institutionen zu<br />

vermitteln, also diese Sammlungen oder wenigstens wesentliche<br />

Teile davon zu exportieren, damit diese Sammlungen<br />

auch im Ausland bekannt werden. Ich fi nde, das<br />

ist eine wichtige und auch interessante Aufgabe.<br />

Die «Mahjong»-Ausstellung war ein Erfolg, wirst<br />

du daran anknüpfen und den Kontakt zu Uli Sigg beibehalten?<br />

Ja natürlich, es wäre schade, wenn man da jetzt abbrechen<br />

würde. Es wird ab 2006 ein China-Fenster im<br />

Kunstmuseum Bern geben und auch eine Art Exklusivvertrag<br />

mit Uli Sigg. Es stehen da viele Möglichkeiten<br />

offen, entweder können verschiedene Positionen, die<br />

man an einzelnen Werken hat verfolgen können, anlässlich<br />

einer Ausstellung vertieft werden, grössere Werkgruppen<br />

desselben Künstlers können gezeigt werden<br />

oder man kann den Kunstpreis, den Uli Sigg ins Leben


gerufen hat, in einer Ausstellung im Kunstmuseum präsentieren.<br />

Diese Auszeichnung, die schon drei Mal stattgefunden<br />

hat, der «Chinese Contemporary Art Award»,<br />

war bisher nie mit einer Ausstellung verbunden. Eine<br />

weitere Möglichkeit würde darin bestehen, die Ankäufe<br />

von Uli Sigg im Museum erstmals ausserhalb Chinas zu<br />

präsentieren. Weiter werden wir ein Atelierprogramm<br />

für Schweizer Künstler in Peking einrichten, eine direkte<br />

Folge von «Mahjong». Das Publikum kennt jetzt die<br />

chinesische zeitgenössische Kunst und das Interesse ist<br />

geweckt, da wollen wir unbedingt weiterfahren.<br />

Welchen Platz werden die Berner Künstlerinnen<br />

und Künstler im Kunstmuseum Bern fi nden?<br />

Sie werden selbstverständlich auch einen Platz fi nden,<br />

das gehört mit zu einer Abteilung für Gegenwart.<br />

Ich möchte dazu im Moment <strong>kein</strong>e Namen nennen, aber<br />

es ist vorgesehen, dass jedes Jahr Berner Künstlerinnen<br />

und Künstler im Kunstmuseum gezeigt werden. Und<br />

zwar werde ich versuchen, sie nicht in einer Abstellkammer<br />

zu zeigen, sondern wirklich grössere Ausstellungen<br />

zu organisieren. Ferner werden Künstlerinnen und<br />

Künstler aus Bern in den Kunstpreis, der jedes zweite<br />

Jahr ausgeschrieben wird, integriert werden.<br />

Wie kann sich die Abteilung für Gegenwartskunst<br />

des Kunstmuseums gegenüber Kunsthalle, Progr und<br />

Zentrum Paul Klee hervorheben?<br />

Wir haben natürlich Möglichkeiten, die die anderen<br />

Museen und Institutionen nicht haben. Vorteile räumlicher<br />

Art oder eben die Arbeit mit Sammlungen. Wir<br />

werden auch mit Schweizer Sammlungen zusammenarbeiten,<br />

was ebenfalls die Aufgabe eines Kunstmuseums<br />

ist und nicht diejenige einer Kunsthalle: Sammlungen<br />

aufarbeiten, publizieren und erstmals präsentieren. Das<br />

ist auch nicht die Aufgabe eines ZPK. Selbstverständlich<br />

werden wir versuchen, in gewissen Fällen mit diesen<br />

Institutionen zusammenzuarbeiten. Wir sind zurzeit<br />

dabei, uns für die europäische Biennale «Manifesta»<br />

zu bewerben, gemeinsam mit Progr, Museum Franz<br />

Gertsch, Kunsthalle und ZPK. Das ist ein gemeinsamer<br />

Effort, vielleicht schon für 2008, vielleicht für 2010. Wir<br />

haben uns gefunden und sind daran Modalitäten der Zusammenarbeit<br />

zu suchen. Ich möchte noch hinzufügen,<br />

dass die so genannten Synergien, die ja immer wieder<br />

als etwas sehr Positives herausgestellt werden, eine<br />

Möglichkeit der Verlinkung und der Zusammenarbeit<br />

sind. Ich glaube aber auch, dass eine gute und gesunde<br />

Konkurrenz ebenso viel bringt. Wenn z. B. an zwei oder<br />

drei Institutionen und Orten absolut Spannendes geboten<br />

wird und das gleichzeitig, so kommen die Besucher<br />

von ausserhalb der Region Bern und sagen wieder, es<br />

lohnt sich nach Bern zu kommen, so wie es in diesem<br />

Sommer mit der Eröffnung des ZPK, «Einstein» und<br />

«Mahjong» der Fall gewesen ist.<br />

Bestehen schon irgendwelche Pläne einer Zusammenarbeit<br />

mit der Abteilung für Gegenwartskunst<br />

des Instituts für Kunstgeschichte der Uni Bern?<br />

Es bestehen <strong>kein</strong>e konkreten Pläne. Aber die Möglichkeiten<br />

sind vielfältig: Einbindung von Studenten in<br />

Ausstellungsprojekte, Organisation von Symposien,<br />

Vorträge, die zusammen mit Peter Schneemann und<br />

der Abteilung für Gegenwartskunst des Instituts veranstaltet<br />

werden können. Wir werden uns zu Beginn des<br />

Jahres 2006 treffen, um wirklich ganz konkrete Schritte<br />

einzuleiten. Es ist wichtig, dass man gerade von diesen<br />

Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Haus profi tiert.<br />

Wie sieht der Fahrplan für den Neubau der Abteilung<br />

Gegenwartskunst aus?<br />

Bis Ende 2006 ist eigentlich alles präzise und konkret:<br />

Am 9. Januar werden die Wettbewerbsunterlagen<br />

auf der Website des Kunstmuseums veröffentlicht. Architekturbüros<br />

aus der Schweiz und dem Ausland können<br />

sich einschreiben, müssen bis April ihre Vorschläge<br />

einreichen. Bis Oktober werden die beiden Phasen des<br />

anonymen Wettbewerbs abgeschlossen sein. Dann wissen<br />

wir, wer der Sieger ist und wie das neue Museum<br />

aussehen wird. Die Projekte werden alle ausgestellt und<br />

man wird sie begutachten können. Wir haben eine Jury<br />

zusammengestellt, die sehr homogen und sehr professionell<br />

ist. Ich freue mich auch auf diese Arbeit, die<br />

Errichtung eines Neubaus, etwas, das ich bisher noch<br />

nie gemacht habe. Das ist eine sehr grosse Herausforderung<br />

und die Ambitionen sind gross. Wir möchten etwas<br />

bewerkstelligen, das es sonst nirgends gibt. Das ideale<br />

Museum für Gegenwartskunst wollen wir hier für Bern.<br />

Die Bauzeit wird sicher zwei Jahre betragen. Ich habe<br />

das Gefühl, das die Eröffnung irgendwann im Jahr 2009<br />

stattfi nden wird.<br />

Deine Stelle ist auf fünf Jahre befristet. Ist das<br />

sinnvoll oder eher ein Ausdruck von mangelndem<br />

Vertrauen in dich?<br />

Das ist absolut nicht üblich. Es ist ein Novum in der<br />

Schweiz, das gibt es in <strong>kein</strong>em anderen Museum. Ich<br />

persönlich bin nicht sehr zufrieden mit dieser Lösung.<br />

Ich hätte mir gewünscht, dass es wie in jedem anderen<br />

Museum eine unbefristete Anstellung gewesen wäre.<br />

Im Bereich Gegenwartskunst ist es natürlich so, dass<br />

irgendwann ein Generationenwechsel stattfi nden sollte,<br />

ich fi nde aber, dass hätte eine Sache der Verhandlung<br />

zwischen Direktion, Konservator und so weiter sein sollen<br />

und nicht eine Beschränkung. Ich halte dies für eine<br />

ziemlich unkomfortable Situation.<br />

Die offi zielle Begründung war ja die Schnelllebigkeit<br />

der Gegenwartskunst?<br />

Man sollte eben einen Unterschied machen zwischen<br />

dem schnelllebigen Kunsthallebetrieb, wo wirklich das,<br />

was jetzt international im Auftauchen begriffen ist, sofort<br />

präsentiert werden sollte und der Aufgabe eines<br />

Kunstmuseums, die eine ganz andere ist. Ich glaube,<br />

dass da eine gewisse Langatmigkeit bestehen und die<br />

Fristen verlängert werden sollten und nicht alles sehr<br />

kurzfristig angesetzt werden muss. Ich bedauere das<br />

und fi nde, dass es ein Präzedenzfall sein wird für die<br />

Schweiz. Trotzdem freue ich mich auf die neue Aufgabe.<br />

Bild: Bernhard Fibicher: Rudolf Steiner, imƒ, 2005, 5 Polaroid-Fotografi en,<br />

je 18,8 x 24 cm, auf 24 mm Birkensperrholz aufgezogen, Unikat. Courtesy<br />

of the Artist.<br />

7


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Biréli<br />

LAGRÈNE<br />

GIPSY QUARTET ���������������������<br />

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Der Theaterspass in Mundart<br />

für die ganze Familie<br />

Das tapfere Schneiderlein<br />

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Rosenweg 36 • 3007 Bern • Tram Nr. 9 bis «Wander»<br />

oder Endstation Tram Nr. 3 «Weissenbühl»<br />

Vorverkauf: 031 8492636 oder www.theaterszene.ch<br />

Nach Gebrüder Grimm • Regie: Ernesto Hausammann<br />

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CANNES 2005<br />

L’enfant<br />

Ein Film von<br />

JEAN-PIERRE und LUC DARDENNE<br />

«Der Film hat einfach alles:<br />

Kino, Leben, Herz und Geist.» LE VIF L’EXPRESS<br />

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Geschichten und Geschichte von<br />

unserem Nachbarn<br />

Arno Geiger: Es geht uns gut. Roman.<br />

■ Philipp Erlach - antriebsloser Schriftsteller, Mittdreissiger,<br />

seit Jahren mit der verheirateten Meteorologin<br />

Johanna liiert - erbt nach dem Tod seiner Grossmutter<br />

deren Wiener Villa. Nun gilt es, das Haus, dessen Estrich<br />

von unzähligen Tauben bewohnt wird und dessen<br />

Zimmer mit scheinbar unverrückbaren Möbeln vollgestellt<br />

sind, in die Gegenwart des Jahres 2001 zu überführen.<br />

Kein einfaches Unterfangen für einen, der nicht<br />

einmal das kleine Einmaleins der Familienanekdoten<br />

beherrscht. Johanna ist da insofern eine Hilfe, als sie<br />

ihm zwei Handwerker organisiert, denen es unter seiner<br />

Anleitung zumindest gelingt, das grosselterliche Haus<br />

von den lästigen Tauben zu befreien. Zur Erhellung von<br />

Philipps Charakterkonzeption tragen neben seiner Mutter<br />

auch sein Vater sowie seine Grossmutter und sein<br />

Grossvater bei, denen Geiger im Wechsel eine eigene<br />

Erzählstimme verleiht.<br />

Auf diese Weise gelingt dem Autor nicht nur das Beleuchten<br />

der neusten Vergangenheit Österreichs, sondern<br />

er spannt den Bogen zurück bis ins Jahr 1938, wo<br />

Peter, Philipps Vater, als Hitlerjunge in den Scharmützeln<br />

in Wien verletzt, von seinen eigenen Verwandten<br />

verstossen, sein Glück auf eigene Faust suchen muss.<br />

Geiger schildert das Nachkriegsösterreich, in welchem<br />

Richard, Philipps Grossvater, es bis zum Minister bringt,<br />

während Peter seinen kargen Lebensunterhalt mit dem<br />

Verkauf des Spiels «Wer kennt Österreich?» fristet und<br />

es dennoch irgendwie fertigbringt, die Liebe Ingrids, ihres<br />

Zeichens Ministertochter, zu gewinnen.<br />

«Es geht uns gut» wurde dieses Jahr mit dem Deutschen<br />

Buchpreis bedacht und bedarf somit eigentlich<br />

<strong>kein</strong>er Empfehlung mehr. Der 1968 geborene Geiger<br />

vermag mit seiner Verschränkung aus Familienchronik<br />

und österreichischer Geschichte mehr als zu überzeugen.<br />

Ich schliesse mich dem Urteil der Jury ohne Abstriche<br />

an: «ein Roman, der ebenso genau wie leicht vom<br />

Gewicht des Lebens spricht.» (sw)<br />

Geiger, Arno: Es geht uns gut. Roman. Carl Hanser Verlag.<br />

München, Wien 2005. ISBN 3-446-20650-7.<br />

Kein Buch über die Toskana-Fraktion<br />

Walter Kappacher. Selina oder das andere Leben. Roman.<br />

■ Der Salzburger Lehrer Stefan trifft während einer<br />

Italienreise per Zufall auf den 75-jährigen Heinrich, der<br />

seit Jahren auf einem Landgut in der Toskana lebt und<br />

welcher ihm die Nutzung seines zweiten verwahrlosten<br />

Landguts Mora anbietet.<br />

Stefan, der sich mit der Verwirklichung eines Filmprojektes<br />

unter der Direktion seines Bruders trägt,<br />

nimmt dieses Angebot gerne an. Längst sucht er nach<br />

einem Ausweg aus seinem Lehrerdasein, ein Sabbathjahr<br />

im vermeintlich sonnigen Süden kommt ihm da gerade<br />

recht.<br />

Das abgeschiedene Mora, von dem er sich Zeit für<br />

das Filmprojekt wie für einen möglichen Roman verspricht,<br />

lässt ihm jedoch kaum Musse für derartige Projekte.<br />

Absorbiert von der Instandsetzung des Hauses sowie<br />

dessen Garten, mehrstündigen Koch-Sessions und<br />

Besuchen bei seinen italienischen Nachbarn, fi ndet er<br />

nicht die nötige Ruhe. Er lebt ganz im Hier und Jetzt und<br />

taucht immer stärker in dieses «andere Leben» ein. Auf<br />

seiner Reise in diese andere Welt wird er von Texten aus<br />

der Feder Petrarcas, Senecas etc. begleitet. Besuche in<br />

den Städtchen der Toskana sowie bei seinem Gastgeber<br />

Heinrich, obwohl dieser stets etwas distanziert bleibt,<br />

befl ügeln ihn, sich diese neue Welt zu erschliessen.<br />

Der Roman beginnt und schliesst mit der Begegnung<br />

mit Selina, der Nichte Heinrichs und wird über diese<br />

Strecken von der Ich-Form begleitet. Selina, deren Namen<br />

unweigerlich an Jean Pauls «Selina oder über die<br />

Unsterblichkeit der Seele» denken lässt, scheint dem<br />

Roman lediglich den Titel zu geben. Oder doch mehr?<br />

Obwohl die Handlung in ihrer Gesamtheit in der Toskana<br />

spielt, ist es <strong>kein</strong> weiteres Buch über die Toskana-<br />

Fraktion. Vielmehr versucht Kappacher das Eintauchen<br />

seines Protagonisten Stefans in diese nahe und doch<br />

so fremde Welt von allen Perspektiven zu beleuchten.<br />

Ein Unterfangen, das in seinem Detailreichtum zuweilen<br />

etwas belanglos anmuten könnte, wenn der Autor das<br />

Sich-Erschliessen dieses anderen Lebens nicht mit seiner<br />

ganzen Poesie zu beschreiben vermöchte. (sw)<br />

Kappacher, Walter: Selina oder das andere Leben. Roman.<br />

Deuticke im Paul Zsolnay Verlag. Wien 2005. ISBN<br />

3-552-06018-9.<br />

L I T E R A T U R<br />

Ein etwas anderes Weihnachten für<br />

Professor Andersen<br />

Dag Solstad: Professor Andersens Nacht. Roman.<br />

■ Professor Andersen zelebriert wie jedes Jahr sein<br />

persönliches Weihnachtsfest, mit eigenem Tannenbaum,<br />

duftender Speckschwarte und blankgeputzten<br />

Schuhen. Dies, obwohl der Professor der Literatur sich<br />

<strong>kein</strong>eswegs als Christ bezeichnen würde, ehrt er Sitten<br />

und Gebräuche und will sich ihnen nicht entziehen.<br />

So steht der von der Speckschwarte gesättigte Andersen<br />

auch dieses Jahr am Fenster und lässt seinen<br />

Blick in die hellerleuchteten Wohnungen seiner Nachbarn<br />

von gegenüber schweifen. Bezaubert von diesen<br />

intimen Einblicken in das Leben anderer bleibt sein<br />

Blick an einem jungen Paar haften. Ist er zunächst begeistert<br />

von ihrer Jugend, wird er wenige Augenblicke<br />

später Zeuge der Ermordung der jungen Frau. Im vollen<br />

Bewusstsein seiner Pfl ichten als guter Bürger, nun die<br />

Polizei informieren zu müssen, tut er genau dies eben<br />

nicht.<br />

Am nächsten Abend ist er bei seinen guten Freunden,<br />

dem Ehepaar Halvorsen, eingeladen und nun beschliesst<br />

Andersen, vor den übrigen Gästen einzutreffen, um seinem<br />

Freund Bernt von dem Gesehenen zu berichten und<br />

sich seinen Rat über das weitere Vorgehen einzuholen.<br />

Und obwohl er mehr als eine Stunde vor der eigentlichen<br />

Zeit eintrifft, bringt er es nicht über sich, Bernt das<br />

Gesehene mittzuteilen.<br />

Solstads Protagonist verstrickt sich zusehends in einen<br />

Diskurs über Literatur und die grundsätzlichen Fragen<br />

des Lebens an sich. Auch der weitere Besuch bei einem<br />

befreundeten Literaturprofessor bringt für Andersen<br />

nicht die gewünschte Erleichterung des Gestehens.<br />

Der in Norwegen als Nobelpreiskandidat gehandelte<br />

Solstad rechnet eiskalt mit der Generation der einstmals<br />

aufrührerischen, heute das Establishement bildenden<br />

68er ab. Ein auch nachweihnachtlicher Lesegenuss.<br />

(sw)<br />

Solstad, Dag: Professor Andersens Nacht. Roman. Dörlemann<br />

Verlag AG. Zürich 2005. ISBN 3-908777-16-X.<br />

9


10 V E R A N S T A L T E R<br />

à suivre<br />

Veranstaltungen des Studiengangs Musik und Medienkunst an der Hochschule der Künste in Bern HKB<br />

■ Musik und Medienkunst, das kann man seit wenigen<br />

Jahren an der HKB studieren und in dieser Form kann<br />

man das nur hier. Die Ausrichtung eines musikalischen<br />

Studiengangs auf die Medienkunst fi ndet sich so nirgendwo<br />

sonst in Europa. Die Veranstaltungen mit den<br />

Studierenden, die unter dem Label «à suivre» stattfi nden,<br />

stossen somit auf beachtliches Interesse. Präsentiert<br />

werden dort Arbeiten, die im Verlauf eines Semesters<br />

oder Studienjahres entstanden sind. Es ist eine<br />

Werkschau von Studierendenarbeiten aller Jahrgänge.<br />

Sie gliedert sich in einen Ausstellungs- und einen Konzertteil<br />

mit installativen Arbeiten, einer HörBar, Performances<br />

und elektroakustischer Musik.<br />

Die Bandbreite der vorgestellten Arbeiten macht<br />

deutlich, dass sich der Begriff Medienkunst dabei nicht<br />

auf digitale Medien reduzieren lässt. Zwar spielen diese<br />

in der aktuellen Szene und somit auch im Studiengang<br />

Musik und Medienkunst eine zentrale Rolle. Der Fokus<br />

richtet sich im Studium jedoch eher auf die Medialität<br />

der verwendeten künstlerischen Mittel. Medienkunst<br />

wird dabei nicht durch die eingesetzten Mittel defi niert,<br />

sondern vielmehr durch die Art des Umgang mit diesen.<br />

Entsprechend vielseitig sind somit die Erscheinungsformen<br />

der gezeigten Arbeiten. Stücke für akustische<br />

Instrumente und Live-Elektronik gehören ebenso dazu<br />

wie interaktive Klanginstallationen oder Videovertonungen,<br />

die in Zusammenarbeit mit Studierenden anderer<br />

Fachbereiche entstehen. An der HörBar sind diesmal<br />

unter anderem die Resultate einer Projektwoche zum<br />

Thema Radio-Feature / Ars Akustica zu hören.<br />

Ein Diplomprojekt wird Ende Januar präsentiert:<br />

«Verschiedene Empfi ndungen an einem Platze» ist eine<br />

interaktive Klanginstallation von Simon Baumann nach<br />

einem Gedicht von Goethe. Die BesucherInnen bewegen<br />

sich in einem leeren Raum. Was jede(r) einzelne hört,<br />

ist abhängig von der Distanz zu den anderen Personen<br />

im Raum. Annäherung und Entfernung beeinfl ussen und<br />

verändern klangliche Ereignisse.<br />

Die Arbeit ist ein Beispiel dafür, welcher Art die<br />

neuen Anforderungen an die Musik sind, die sich in medienkünstlerischen<br />

Zusammenhängen ergeben können.<br />

Während traditionelle Komposition sich mit der Gestaltung<br />

eines vorgegebenen zeitlichen Verlaufs beschäftigt,<br />

ist in installativen Zusammenhängen oder in der<br />

Gestaltung von Soundscapes nicht vorhersehbar, wie<br />

lange und in welchen Kombinationen Klänge gehört<br />

werden und wie sich die interaktiven Einfl ussmöglichkeiten<br />

darauf auswirken. Komponiert werden demnach<br />

nicht bestimmte Klangverläufe, sondern Felder von<br />

Möglichkeiten für Verläufe, Kombinationen und Modulationen<br />

von Klängen. Auch in angewandten Bereichen<br />

fi nden solche nonlinearen Arten von Vertonungen Verwendung,<br />

z. B. in Computerspielen, auf Webseiten oder<br />

bei der akustischen Gestaltung von Ausstellungen.<br />

Die Ausbildung im Studiengang Musik und Medienkunst<br />

richtet sich auf eine ganze Bandbreite verschiedener<br />

Berufsfelder aus. Neben Aktivitäten in der Szene<br />

der Medienkunst sammeln die Studierenden auch Erfahrungen<br />

in Bereichen wie der Vertonung von Filmen<br />

und Videos, Bühnenmusik und radiophonen Genres. Die<br />

Ausbildung trägt dem ständigen Wandel in diesen Bereichen<br />

Rechnung. Eine Kombination von Praxisbezug<br />

und theoretischer Refl exion soll die Basis für eine wandlungsfähige,<br />

künstlerische Entwicklung schaffen. Mit<br />

seiner interdisziplinären Ausrichtung profi tiert der Studiengang<br />

von der Präsenz verwandter Disziplinen unter<br />

dem gemeinsamen Dach der Hochschule der Künste.<br />

Seit Herbst 2005 gliedert sich die Ausbildung in ein<br />

Bachelor- und ein Masterstudium. Die Musikschule Bern<br />

bietet jeweils im Herbst einen Intensivkurs Musik und<br />

Medienkunst zur Studienvorbereitung an.<br />

Während der Infowoche der HKB steht der Unterricht<br />

allen Interessierten offen. An einer zweiteiligen Veranstaltung<br />

werden der Studiengang und seine Fächer<br />

vorgestellt und Fragen beantwortet. (Daniel Weissberg /<br />

HKB)<br />

Weitere Informationen, Arbeiten von Studierenden und<br />

Links fi nden sich unter www.medien-kunst.ch<br />

Daten<br />

26./27. Januar, 19:00 - 22:00 h,<br />

Aula im Progr (1. OG), Waisenhausplatz 30<br />

Verschiedene Empfi ndungen an einem Platze<br />

Interaktive Klanginstallation von Simon Baumann<br />

Diplomprojekt Musik und Medienkunst<br />

15. Februar, 17:00 h,<br />

16. Februar, 19:00 h,<br />

HKB, Papiermühlestrasse 13d<br />

Zweiteilige Informationsveranstaltung zum Studiengang<br />

im Rahmen der Infowoche der HKB (13. bis 17.<br />

Februar)<br />

24. Februar<br />

HKB, Papiemühlestrasse 13d<br />

à suivre #6<br />

ab 17:00 h, Klanginstallationen und HörBar<br />

20:00 h, Performances, Elektroakustische Musik<br />

Bild: zVg.


«engel der zukunft.<br />

eine winterreise»<br />

uraufführung<br />

«Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in<br />

seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der<br />

Engel sie nicht mehr schliessen kann. Dieser Sturm<br />

treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken<br />

kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum<br />

Himmel wächst.» (Walter Benjamin)<br />

■ Der Philosoph und Dichter Walter Benjamin führte in<br />

seinem Gepäck das Original von Paul Klees Zeichnung<br />

«Angelus Novus» mit, als er 1940 auf der Flucht vor den<br />

Nazis die Grenze von Frankreich nach Spanien überschritt.<br />

Es sollte für ihn eine Grenzüberschreitung einer<br />

nochmals anderen Art werden: Ein paar Stunden später<br />

nahm sich Benjamin im spanischen Grenzort Port-Bou<br />

das Leben. Dass Benjamin Morphium nahm, ist Tatsache<br />

– dass er Halluzinationen hatte und Gespräche mit Klees<br />

Angelus Novus führte, ist Fiktion des Berner Autors<br />

Francesco Micieli: Mit einem einzigen grossen Monolog<br />

resp. Dialog lässt Micieli den grossen jüdischen Dichter<br />

enden - ein erschütternder Einblick in Flucht, Verfolgung,<br />

Heimat- und Haltlosigkeit.<br />

An die Grenzen geht auch die Auslegung des Micieli-Textes<br />

durch den seit 10 Jahren in Berlin lebenden<br />

Schweizer Schlagzeuger und Komponisten Michael<br />

Wertmüller: Mit elektronischen Techniken, Lautstärken,<br />

Virtuositäten und Herausforderungen an alle Beteiligten<br />

lässt Wertmüller die «Winterreise» auch akustisch<br />

in eine Grenzüberschreitung ausufern. Da gibt es harte<br />

Schnitte, ungezähmte Worte, Sprechstimme / Gesang,<br />

Flöte, live- und vorgefertigte Elektronik. Wertmüller<br />

scheut <strong>kein</strong>e Stilmittel. So entsteht aus idyllischen,<br />

märchenhaften, mythischen, historischen und utopischen<br />

Motiven eine Art Kammeroper, mehr an Frank<br />

Zappa als an Wagner orientiert. Wertmüller löst dabei<br />

die gängigen Begriffe wie «improvisierte Musik», «Pop»<br />

oder «Neue Musik» auf, beziehungsweise lässt sie so<br />

ineinander greifen, dass sie für einen Augenblick <strong>kein</strong>e<br />

Rolle spielen. Die «Winterreise» ist weder eindeutig<br />

Musik noch Hörspiel, nicht Performance oder Konzeptkunst.<br />

Und doch kombiniert es Klang, Wort, Geräusch<br />

und Gesang, Monolog, Komposition und Gespräch zum<br />

Multimedium des Hörens: akustische Literatur und literarische<br />

Akustik.<br />

Die Visuals von Sam Radvila und Hugo Ryser tragen<br />

das ihre dazu bei, dass diese Stunde der letzten Stunden<br />

des Walter Benjamin als eine neue Gattung bezeichnet<br />

werden kann: elektro-akustisches Hör-Schau-Spiel.<br />

Francesco Micieli wurde 1956 in Santa Sofi a d‘Epio<br />

(Italien) geboren und lebt seit 1965 in der Schweiz. Er<br />

studierte Romanistik und Germanistik an den Universitäten<br />

Bern, Cosenza und Florenz. Anschliessend war<br />

er als Schauspieler, Autor und Regisseur tätig und hat<br />

seit 1992 einen Lehrauftrag an der Schule für Gestaltung<br />

Bern / Biel. Er präsidiert die deutschsprachige Literaturkommission<br />

des Kantons Bern. Francesco Micieli<br />

Bild: Michael Wertmüller / zVg.<br />

lebt heute als freier Schriftsteller in Bern. Für sein Werk<br />

erhielt er u.a. den Förderpreis zum Adalbert-von-Chamisso-Preis<br />

(2002). Bisherige Veröffentlichungen: «Ich<br />

weiss nur, dass mein Vater grosse Hände hat», «Meine<br />

italienische Reise», «Das Lachen der Schafe», «Blues.<br />

Himmel», «Die Trilogie der Sommerfrische».<br />

Michael Wertmüller wurde 1968 in Thun geboren,<br />

studierte Schlagzeug in Bern (Jazz School und Konservatorium)<br />

und in Amsterdam. Komposition studierte<br />

er ab 1995 an der Hochschule der Künste in Berlin bei<br />

Dieter Schnebel, wo er seither auch lebt. Wertmüller ist<br />

als Schlagzeuger in der ganzen Welt unterwegs, als Mitglied<br />

diverser Gruppen und mit Solostücken. Seine Werke<br />

werden an den wichtigsten Festivals für Neue Musik<br />

aufgeführt und er wurde schon mehrfach als Komponist<br />

mit Stipendien und Preisen bedacht. Seine Musik ist einerseits<br />

angesiedelt in der Computerwelt und extrem<br />

technologischen Verfahrensweisen, andererseits ist sie,<br />

verborgen traditionsbezogen, ständig auf der Suche<br />

nach der Utopie. (Christine Weber)<br />

Uraufführung von Wertmüller / Micieli<br />

«Engel der Zukunft. Eine Winterreise»<br />

Ein elektro-akustisches Hör-Schau-Spiel<br />

Sonntag, 8.1.2006, 10:30 h, Rathaus Thun<br />

Dienstag, 10.1.2006, 20:30 h, Schlachthaustheater Bern<br />

Vorverkauf:<br />

Thun / Tel. 0900 92 91 90 oder 033 222 71 79<br />

Bern / 031 312 60 60 oder www.schlachthaus.ch<br />

ensuite - kulturmagazin<br />

SUCHT<br />

INSERATEVERKÄUFER/IN<br />

ODER AGENTUR<br />

■ Die Marke «ensuite» hat sich seit 3 Jahren im Markt<br />

etabliert. Das Unternehmen ist in der Struktur und<br />

Ausrichtung bereit für einen 4. Jahrgang - doch in der<br />

Inserateakquisition müssen wir dringend ausbauen.<br />

ensuite - kulturmagazin ist nur ein Teil der sichtbaren<br />

Entwicklung, es gibt noch weiteres Potential.<br />

Wir suchen Verkaufspersönlichkeiten mit Verständnis<br />

für Kulturelles, für Gesellschaftliches und mit<br />

Sinn für Pionierarbeit. Wir funktionieren anders...<br />

Bieten können wir ein modernes Arbeitsumfeld mit<br />

Sinn für Menschen, die arbeiten. Es stehen Hilfsmittel<br />

jeglicher Art, Arbeitsplätze und fachliche Unterstützung<br />

zur Verfügung. Die Verkaufsabteilung ist erst im<br />

Aufbau und es gibt viele Möglichkeiten, dabei mitzudenken<br />

und Verantwortung zu übernehmen. Zur Zeit<br />

können wir nur auf Provisionsbasis einen Lohn garantieren.<br />

Das wird sich ändern.<br />

Weitere Auskünfte per Mail: info@interwerk.ch<br />

Schriftliche Bewerbungen - bitte nicht per Telefon<br />

- sind mit allen Unterlagen und Bild per Post physisch<br />

einzusenden an:<br />

ensuite - kulturmagazin<br />

Anzeigenverkauf<br />

Sandrainstrasse 3<br />

3007 Bern<br />

V E R A N S T A L T E R<br />

11


12 B Ü H N E<br />

TILL HILLBRECHT<br />

eins, zwei oder drei<br />

Bare Back Lying – Tanz von Simone Aughterlony in der Dampzentrale<br />

■ Etwas ins rechte Licht rücken, es nicht für bare Münzen<br />

nehmen, es ist doch Hans was Heiri. Haben Sie gewusst,<br />

dass Sie selbst pro Tag um die 50 Mal lügen? Die<br />

Tatsachentreue ein Quäntchen hintergehen, wenn der<br />

Funken Wahrheit zu blass ist und kurzerhand ist die eigene<br />

Geschichte ein wenig brisanter gebogen.<br />

Was Simone Aughterlony wohl von Big Brother hält?<br />

Das wäre doch ganz interessant zu wissen. Weil, in gewissem<br />

Masse, ist sie selbst ein grosser Bruder. Oder<br />

besser gesagt, sie glaubt zu wissen, wie so einer funktioniert<br />

– in ihrer Performance «Bare Back Lying». Der<br />

grosse Bruder ist eine Linie formaler Gegebenheiten,<br />

unausgesprochene Vorgaben im gesellschaftlichen Gebälk.<br />

Ohne vielleicht überhaupt von deren Existenz zu<br />

wissen, akzeptieren wir sie.<br />

Das Tanzstück der Neuseeländerin ist ein Spiel mit<br />

und zwischen Irreführung, Glaubwürdigkeit und unserem<br />

inneren Lügner. Die hochkarätige Besetzung des<br />

Stückes übt auf der Bühne und per Video Authentik,<br />

jeder will sich selbst so darstellen wie ihm zu wünschen<br />

beliebt, indem er selbst den eigenen Scheinwerfer als<br />

das rechte Licht bestimmt. Die Interpretation ist Ansichtssache.<br />

Nur der nette, kleine Lügendetektor auf<br />

der Bühne, aus dessen Prinzip das Projekt entspringt,<br />

ist ein vermeintlicher Referenzwert in Sachen Richtig/<br />

Falsch.<br />

Simone Aughterlonys Stück fügt sich dem Inhalt ihrer<br />

bisherigen Arbeiten. Es ist eine Weiterführung ihres<br />

Unterfangens, Handlungen auf der Bühne als bewusste<br />

Darstellung aufzuführen: Darstellungen als Abbild einer<br />

Ursprungshandlung, nicht als Kopie. Die in Zürich lebende<br />

Neuseeländerin kam nach ihrem Abschluss an der<br />

New Zealand School of Dance über Meg Stuarts Company<br />

«Damaged Goods» und zahlreichen Tanzfi lmen in<br />

die Schweiz. In Zürich wurde die Regiearbeit von Falk<br />

Richter (Für eine bessere Welt – Sieben Sekunden) zu<br />

einem nächsten Knotenpunkt in Aughterlonys Schaffen<br />

hierzulande. Dieser spannt zudem auch den Bogen zu<br />

den weiteren Protagonisten von «Bare Back Lying», Bibliana<br />

Beglau und Thomas Wodianka: Beide arbeiteten<br />

in verschiedenen Inszenierungen Richters. Das Projekt<br />

«Bare Back Lying» nun ist eine Interaktion zwischen<br />

Tanz und Theater. Neben Aughterlony wirken Wodianka<br />

und Beglau auf der Bühne als zweite und dritte Auslegung<br />

der Realität. Drei Interpretationen, aus denen drei<br />

unterschiedliche Gefühlswelten entstehen, die – obwohl<br />

alle auf das Gleiche besinnen – sich nach und nach voneinander<br />

entfernen. Auf der Strecke geblieben ist die<br />

eigentliche Wahrheit, die zu diesem Zeitpunkt von inszenierten<br />

Darstellungen überschüttet, nicht mehr zu<br />

fi nden ist.<br />

«Die Geschichten werden erzählt und wieder erzählt<br />

und neu erzählt und nochmals erzählt, bis sie stimmig<br />

sind», lässt die Besetzung wissen. Und: «Wir werden<br />

nicht so werden, wie sie uns nach unserer Meinung haben<br />

wollen.» Alles klar? Die Frage, ob Fälschung oder<br />

Original hängt ständig in unserem Hinterkopf. Ist eine<br />

schillernde Geschichte, mit übersättigter Eigendarstellung<br />

und einem potenten Schuss Aussergewöhnlichem<br />

eine Fälschung, wenn das Original ganz einfach zu<br />

Bild: zVg.<br />

blass war, um es am Tisch zu erzählen? Was ist Lüge,<br />

wie feingegliedert unterscheidet man zwischen erfunden,<br />

gelogen, abgefälscht und «nur ein wenig ausgeschmückt»?<br />

Den Videosequenzen und der Musik (Meika Dresenkamp,<br />

Marcel Blatti) entfl iesst die Handlungsgrundlage,<br />

deren Interpretation von den Tänzern und Schauspielern<br />

als Wahrheit dargestellt wird. Sie refl ektieren das<br />

Vorhergegangene und ändern ihre Haltung oder ihren<br />

Blickwinkel und verzerren dadurch, was das Publikum<br />

zuvor gesehen hat. Sie ändern ihre Geschichten entsprechend<br />

dem Fortgang des Stückes. «Es zeigt damit,<br />

was für eine grosse Rolle unsere persönliche Version bei<br />

der Konstruktion unserer augenblicklichen Wirklichkeit<br />

spielt», will das Trio so zu verstehen geben. Ein Lügendetektor<br />

im Genick macht sich zur Aufgabe, die drei zu<br />

entlarven. Aber Einfl ussnahme ist ihm nicht vergönnt.<br />

Und sowieso: Kann man ihm trauen? Ein Detektor liefert<br />

<strong>kein</strong>e Stichhaltigkeit. Und so ein Gerät soll dem Publikum<br />

die Entscheidung zwischen Wahrheit und Lüge<br />

abnehmen? Nun – passt eigentlich ganz gut in das Naturell<br />

des Menschen. Entscheidung abschieben bedeutet<br />

auch, die Verantwortung nicht tragen zu müssen. Wir<br />

können getrost auf unserer Linie bleiben. Lügendetektoren<br />

gibt’s ab 69.95 CHF im Internet.


MARTIN DAHANUKAR - THE NIGHT OF<br />

ZODIACSOUNDS @TOJO-THEATER REITSCHULE<br />

■ Martin Dahanukars Musik ist ein brennender Dschungel<br />

voller bizarr schöner Klangfarben. Ein tiefdunkler<br />

Soundtrack dieses Planeten. Ein tönender Off-Kommentar<br />

zum Nonstop-News-Visual-Loop. Mächtige Rhythmen<br />

werden unter Gitarrenstürmen vermischt. Jazz und asiatische<br />

Zwölftonmelodien wechseln mit Klängen voller<br />

Sanftheit. Es ist eine sehr dichte Musik von suchender<br />

Melodik. In der Luft Geruch wilder Blumen. Er vereinigt<br />

in seinem Pool Musiker mit drängenden Sounds. Expressiv<br />

und introvertiert. Wie schwarze Seide, ein schwebendes<br />

Negativ der menschlichen Seele.<br />

Als Premiere präsentiert die «Night of Zodiac-<br />

Sounds» alle Ensembles Martin Dahanukars und eröffnet<br />

einen Einblick in die musikalische Welt des Trompeters<br />

und Komponisten. Die Performances dreier Ensembles<br />

folgen einander in jeweils drei Sets.<br />

Die Nacht kulminiert in einer Performance der gesamten<br />

ZodiacSounds Community. Zwei Rhythm-Sections<br />

treiben Bläser und E-Gitarre durch neu komponierte<br />

Soundscapes. Im Set von BLOOD SYSTEM mischen<br />

sich expressive asian jungle moods mit dem Showcase<br />

des jungen Modelabels LABOR der Designerinnen Mona<br />

Ulrich und Debora Rentsch.<br />

Mit Martin Dahanukars «Night of ZodiacSounds» werden<br />

Musiker verschiedener Generationen der Schweizer<br />

Modern-Jazz-Szene in einer Nacht auftreten. Als Till-<br />

Very-Late-Dependance des BeJazzWinterFestivals (und<br />

in Kooperation mit diesem) wird sie Festivalambiente ins<br />

TOJO der Berner Reitschule bringen.<br />

Martin Dahanukars musikalische Welten: Trompeter<br />

wie Miles Davis, Woody Shaw, Lester Bowie und Don<br />

Cherry gehören zu Dahanukars wichtigsten Einfl üssen.<br />

Musiker mit Feuer, eigener Phrasierung und Melodik,<br />

nebst viel Risikobereitschaft als Solisten. Moderne<br />

Klassiker wie Messiaen und Ligeti als ohnehin die Godfathers<br />

im Jazz sind für Dahanukar kompositorische<br />

Fixsterne. Und in aller Konsequenz deren verinnerlichte<br />

Haltung: eine eigene Stimme zu haben, und den eigenen<br />

Background verlassen zu können. On the edge, against<br />

all odds.<br />

Der Modern Jazz Martin Dahanukars trägt in sich<br />

deutliche, aussereuropäische Einfl üsse wie Indisch-<br />

Asiatische Melodik, Modalität und die Einfl echtung<br />

ungerader Metren. Diese Musik bildet das Kernmaterial<br />

folgender zwei Working Bands: dem akustischen<br />

Sextett ZODIAC SOUND MANUAL (aktuelle CD: Martin<br />

Dahanukar, Apocalypse Now, Unitrecords, 2004), und<br />

dem elektrifi zierten Quartett BLOOD SYSTEM (aktuelle<br />

CD: Martin Dahanukar, Nanda Devi, ZODIAC SOUNDS<br />

Records, 2005). Gleichzeitig steht Dahanukars Musik<br />

immer im osmotischen Austausch mit dem klassischen<br />

Jazz und seinen Hauptelementen: dem Blues, swinging-<br />

Grooves und Dominant-Harmonics. Die Musik der Gruppe<br />

SEPIA RHYMES betont dies besonders deutlich. (nr)<br />

FREITAG, 20. JANUAR 2006<br />

21:00 - 21:45 h BLOOD SYSTEM (with feature LABOR)<br />

asian jungle moods; Musik wie der nächtliche Anfl ug<br />

über einer asiatischen Megapolis. Eine stille Glut des<br />

Lichtermeers im Atem des nahen Dschungels. Martin<br />

Dahanukar (tr), Vinz Vonlanthen (g&loops), Sam Joss<br />

(b), Peter Horisberger (d) - CD Release «Nanda Devi<br />

2005» (ZODIAC SOUNDS Records)<br />

22:00 - 23:15 h ZODIAC SOUND MANUAL spheres of<br />

afro asian-music-jazz; Ein brennender Dschungel voller<br />

bizarr schöner Klangfarben! Martin Dahanukar (tr),<br />

Donat Fisch (as), John Voirol (ts), Michel Bastet (p), Georgios<br />

Antoniou (b), Peter Horisberger (d)<br />

22:00 - 23:15 h SEPIA RHYMES the rhymes and shades<br />

of jazz; Die Classics des Great American- und des Afro-<br />

American Songbooks schweben über dieser Musik. Jérôme<br />

De Carli (p), Sam Joss (b), Willy Kotoun (perc)<br />

00:00 - 00:30 h BLOOD SYSTEM (with feature LABOR)<br />

00:30 - 01:30 h THE «ZODIAC SOUNDS COMMUNITY»<br />

Martin Dahanukar (tr), Donat Fisch (as), John Voirol (ts),<br />

Vinz Vonlanthen (g&loops), Michel Bastet (p), Jérôme<br />

De Carli (rhodes), Georgios Antoniou (b), Sam Joss (b),<br />

Peter Horisberger (d), Willy Kotoun (perc)<br />

01:35 h - TILL LATE, SEPIA RHYMES (& COMMUNITY<br />

MEMBERS)<br />

SAMSTAG, 21. JANUAR 2006<br />

21:00 h - TILL VERY LATE; im TOJO Theater,<br />

Reitschule Neubrückstrasse 8, 3001 Bern.<br />

Shuttle-Bus UPtown - TOJO (Info und Anmeldung an der<br />

Abendkasse im Foyer des UPtowns)<br />

Türöffnung: 19:30 h / Konzertbeginn: 21:00 h,<br />

Online-Reservationen<br />

contact@martindahanukar.com<br />

5. BEJAZZ<br />

WINTERFESTIVAL<br />

M U S I K<br />

UPtown auf dem Gurten, 19. - 22.1.2006<br />

Nun zum zweiten Mal fi ndet vom 19. bis 22. Januar 2006<br />

das BeJazz WinterFestival im UPtown auf dem Berner<br />

Hausberg Gurten statt. Nach dem Erfolg der vierten<br />

Ausgabe dauert das 5. BeJazz WinterFestival neu vier<br />

Tage und wird so zu einem echten Pendant zum Gurten<br />

Sommerfestival.<br />

Das BeJazz WinterFestival ist längst zu einer der<br />

wichtigsten Plattformen für den aktuellen Schweizer<br />

Jazz geworden. Auch die fünfte Veranstaltung widmet<br />

sich wiederum ausschliesslich dem zeitgenössischen,<br />

einheimischen Schaffen.<br />

Mit einer «Andy Scherrer Night» wird das Festival<br />

am Donnerstag, 19. Januar mit einem besonderen Highlight<br />

eröffnet. Der bescheiden auftretende, aber grossartige<br />

Basler Saxofonist Andy Scherrer rückt dabei zum<br />

Auftakt mit zwei speziell für das BeJazz WinterFestival<br />

initiierten Projekten ins Rampenlicht.<br />

Ein weiterer Höhepunkt ist sicher der Auftritt von<br />

Irène Schweizer im Trio mit Omri Ziegele und Makaya<br />

Ntshoko am Sonntag, 22. Januar. Auch Ania Losinger<br />

mit ihrem «New Ballet For Xala» am Freitag, 20. Januar<br />

und die Sängerin Nadja Stoller mit «Short Stories» (CD-<br />

Taufe) am Samstag, 21. Januar garantieren für grossartigen<br />

Sound.<br />

Drei weitere CD-Taufen - die des Bieler Gitarristen Tomas<br />

Sauter im Zusammenspiel mit dem Berner Kontrabassisten<br />

Daniel Schläppi sowie die des Zürcher Pianisten<br />

Christoph Stiefel mit seinem neuen Trio am Samstag<br />

und dann am Sonntag die des Saxofonisten Christoph<br />

Grab mit seinem Quartett plus dem australischen Posaunisten<br />

Adrian Mears als Spezialgast – stehen auf<br />

dem Programm.<br />

Projekte zwischen zeitgenössischem Jazz und neuer<br />

Volksmusik runden das abwechslungsreiche Programm<br />

ab. Albin Bruns im Alpin Quintett und Gilbert Paeffgen<br />

mit seiner neuen Formation sowie ein speziell für das<br />

WinterFestival arrangierter Auftritt des Posaunisten Ed<br />

Neumeister als Gast der UpTown BigBand sind am Freitag<br />

angesagt. (nr)<br />

Für das genaue Programm 5. BeJazz WinterFestival:<br />

www.bejazz.ch<br />

Vorverkauf: Tickets sind via www.ticketcorner.ch<br />

oder per Telefon 0900 800 800 oder an allen Ticketcorner-Vorverkaufsstellen<br />

in der Schweiz erhältlich.<br />

13


1 von 311 Haltestellen:<br />

Gurtenbahn.


Veitstanz<br />

■ «Auf der Pirsch getrieben, auf der Jagd Verlangen<br />

nach Nahrung - das ekstatische Schleichen». Solche Texte<br />

stehen im CD-Booklet. Und noch bevor der erste Ton<br />

aus der Stereoanlage erklingt, ist die Neugier geweckt;<br />

warten wir gespannt, was auf uns zukommt. Veitstanz,<br />

dass ist eigentlich eine Krankheit. Sie führt zu plötzlich<br />

auftretenden, unwillkürlichen Bewegungen und einem<br />

tänzelnden Gang: dem Veitstanz. Und was hat das mit<br />

Musik zu tun? Sehr viel, denn Veitstanz nennt sich auch<br />

eine Berner Band, deren zweites Album «Aive» soeben<br />

erschienen ist. Und nicht nur das: der Name ist auch<br />

Programm, sowohl in Text als auch in Musik. Hier wird<br />

mit Dudelsäcken, Schalmeien, Flöten, Klarinetten und<br />

Pauken musiziert und getrommelt bis der Zuhörer in einen<br />

ekstatischen Tanzrausch fällt. Hinzu kommen weniger<br />

bekannte Instrumente, so das mandolinenähnliche<br />

Bouzuki, welches in der irischen Volksmusik oft verwendet<br />

wird. Oder die Davul, eine Trommel, die bereits im<br />

Mittelalter als traditionelles Volksinstrument Anklang<br />

fand. All das zusammen gibt eine wunderbar wild und<br />

archaisch klingende Musik der alten Zeit mit einem<br />

irisch-keltischen Einschlag. Veitstanz spielen sowohl<br />

Eigenkompositionen als auch Interpretationen mittelalterlicher<br />

Musik, sie singen Mundart wie Schriftdeutsch<br />

und sie sehen aus wie ihre Musik klingt: wild, archaisch,<br />

mittelalterlich, keltisch.<br />

Es ist leider zu kalt, um nach draussen zu gehen,<br />

denn die Musik eignet sich hervorragend für Barfusstänze<br />

im Wald. Aber wir warten gerne bis zum Frühling;<br />

und dann gibt es auch wieder Konzerte von Veitstanz.<br />

(kvw)<br />

Veitstanz – Aive; Eigenvertrieb<br />

www.veitstanz.ch<br />

Schumann’s – Prima Carezza<br />

■ Die CD beginnt mit dem für die Schumann’s CDs<br />

so typischen Live-Mitschnitten der Atmosphäre im<br />

Schumann’s am Hofgarten. Immer wieder treibt es Stefan<br />

Winter, den Label-Chef von Winter & Winter, dorthin,<br />

wo Musik noch Orte prägt. Kaum angekommen heisst<br />

es: Mikrofon aufstellen, Musik abfangen und abmischen.<br />

Ob in verlassenen Kirchen, verräucherten Klubs, Cafés<br />

und Kaschemmen, oder auf der Strasse und anderswo.<br />

Diesmal waren es die Geschichten seiner Mutter,<br />

die Winter für seine neue Produktion inspirierten. Die<br />

Geschichten vom alten Münchner Hofgarten vor dem<br />

Krieg, den eleganten Kaffeehäusern und Restaurants.<br />

Prima Carezza vereint das neue Schumann‘s wieder<br />

mit der Salonmusik und spielt zwanzig Stücke, teilweise<br />

von Georges Boulanger, einer Legende der Salonmusik,<br />

aber auch Operettenmelodien sind dabei und solche<br />

Evergreens des Kitsches wie «Otschi Tschornija».<br />

Prima Carezza besteht aus zwei Geigern, einer Cellistin,<br />

einem Klarinettisten, einem Akkordeonisten, einem<br />

Kontrabassisten und einem Pianisten, die für den<br />

intimen Sound sorgen. In einer Zeit, als der Begriff der<br />

Popmusik noch lange nicht erfunden war, gab es natürlich<br />

schon lange Musik, die genau diese Funktion hatte:<br />

populär sein durch den geringeren Aufwand, der dem<br />

Hörer abverlangt wurde; eingängige und wieder erkennbare<br />

Musik zu sein.<br />

Sie wurde in den bürgerlichen Salons von kleinen<br />

Ensembles oder am Klavier gespielt, und man nannte<br />

sie Salonmusik. Oft handelte es sich um virtuose Stückchen,<br />

an denen man seine Fingerfertigkeit üben konnte.<br />

Besonders beliebt waren «pseudoungarische Kompositionen»<br />

im Stil der «Ungarischen Tänze» von Brahms<br />

oder «Zigeunerweisen».<br />

Diese Musik ist «Easy Listening», heute wirkt sie<br />

auf uns z. T. fast komisch, ein wenig aber auch nostalgisch.<br />

In jedem Fall aber ein grosses Vergnügen! (kvw)<br />

Salon Music at Schumann’s Bar – Prima Carezza (Winter<br />

& Winter); im Handel.<br />

Circles oder wie die warme<br />

Eisprinzessin singt<br />

C D - T I P P S<br />

15<br />

■ In «Short Stories» erzählt Nadja Stoller (voc) 10 Geschichten.<br />

Es gelingt ihr vom ersten Moment an - mit<br />

Unterstützung ihrer ganzen Gruppe - sich sicher und<br />

leichtfüssig zwischen Pop und Jazz zu bewegen. Manchmal<br />

lässt ihre Stimme Assoziationen mit derer Viktoria<br />

Tolstoys aufkommen (z. B. «Shining on you» mit Esbjörn<br />

Svensson). Nadja Stoller gelingt es, ihre wohl sehr persönlichen<br />

«Geschichten» auf eindrücklich-intime Art zu<br />

vermitteln und strahlt dabei Ruhe und Spannung gleichermassen<br />

aus.<br />

Gekonnt unterstützt und geprägt wird der kompakte<br />

und dennoch sehr leichte Sound der Nadja Stoller Group<br />

durch den Cellisten Marco Rohrbach. Er führt sozusagen<br />

eine zweite Stimme. Auch die übrigen Mitmusiker<br />

- Philip Henzi (p), Chris Moore (eb), Michael Nobel (dr,<br />

perc) – stellen sich sehr bedacht und behutsam auf die<br />

Vorgaben Nadja Stollers ein. Gemeinsam weben sie diesen<br />

unverwechselbaren Sound und beschwören wunderschöne<br />

Stimmungen herauf. (kvw)<br />

Nadja Stoller Group – Short Stories; im Handel.<br />

Nadja Stoller (voc), Philipp Henzi (p), Marco Rohrbach<br />

(cello), Chris Moore (b), Michael Nobel (d, perc)<br />

CD-Taufe «Short Stories» Sa. 21. Januar, BeJazz<br />

Winterfestival 2006


16 K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />

SARAH ELENA SCHWERZMANN<br />

musik verleiht flügel<br />

■ Jedes Jahr lädt die Red Bull Music Academy in eine<br />

andere Stadt, um sich dem globalen und lokalen Musikgeschehen<br />

zu widmen, und Künstler aus aller Welt<br />

zusammenzubringen. So geschehen im November und<br />

Dezember 2005 in Seattle, im Nordwesten der USA. Mit<br />

dabei war auch Lorin Jessenberger alias DJ Breakplus<br />

aus Genf.<br />

Ein in Furchen gezogenes Gesicht unter einem blauen<br />

Hut – sein Markenzeichen. Zusammengekniffene Augenbrauen,<br />

ein erwartungsvoll vorgestreckter Hals – so<br />

sitzt Lorin Jessenberger unter dreissig Gleichgesinnten<br />

mitten in Seattle im umfunktionierten Buchladen, der<br />

während einem Monat den Künstlern und Künstlerinnen<br />

als zweites Zuhause dient. Überall Studios. Alles<br />

was das Produzenten- und DJ-Herz begehrt. Ebenfalls<br />

überall: Kühlschränke voller Red Bull. Einziger Hinweis<br />

darauf, woher das Geld für diese Workshops kommt.<br />

Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie ein anderes Unternehmen<br />

dieser Grösse dieses Marketingpotenzial ausschlachten<br />

würde…<br />

So sitzt Lorin mit seinen Mitmusikern im «Wohnzimmer»<br />

in den fl auschig grünen Sofas vergraben, und<br />

wirkt doch irgendwie nicht so entspannt. Grund der Anspannung<br />

ist aber nicht etwa Übernächtigung, sondern<br />

Danny Krivit. Der Initiator der New Yorker Discobewegung<br />

der Siebziger erzählt seine Lebensgeschichte, die<br />

gleichzeitig die Geschichte eines Musikstils ist. Fasziniert<br />

verfolgt Lorin das Zusammentreffen und befragt<br />

Danny Krivit ehrfürchtig zu seiner Plattensammlung.<br />

Es ist ziemlich ungewöhnlich, die wirklichen Stars der<br />

Szene, die sich heute meist aus dem Starrummel raushalten,<br />

vor einem sitzen zu haben und Fragen stellen zu<br />

dürfen.<br />

Weiche Knie hat es zum Beispiel gegeben, als Brian<br />

Cross, Fotograf und Filmemacher aus L. A. über seinen<br />

Streifen «Brasil in time» sprach. Das exzentrische Multitalent<br />

hat praktisch alle Covers für die frühen HipHop-<br />

Alben aus L. A. geschossen und war ausserdem einer<br />

der ersten, der im Jahre 1993 die Bewegung des HipHop<br />

in einem Buch mit Namen «It’s not about a salary...» zu-<br />

sammengefasst hat. Für Aufregung sorgte ausserdem<br />

Larry Heard, der bisher unveröffentlichte Tracks aus<br />

seiner Zeit als Finger Inc. abspielte. Der schüchterne<br />

Produzent ebnete Anfang der Achtziger in Chicago den<br />

Weg für die House-Bewegung. Ein bisschen lockerer<br />

wurde es dann, als Daz I-Kue von Bugz in the Attic aus<br />

London vorführte, wie man in einer Viertelstunde mit<br />

einem Minimum an Equipment einen rockigen Remix<br />

produziert.<br />

Genauso sollte es sein. Als die Red Bull Music Academy<br />

1998 das erste Mal in Berlin über die Bühne ging,<br />

war das die Zielsetzung: Künstler sollten sich treffen,<br />

sich austauschen und von prominenten Gastdozenten<br />

lernen. Und seit die Academy Berlin verlassen hat und<br />

jedes Jahr in einer anderen Stadt gastiert, werden vermehrt<br />

lokale Künstler miteinbezogen, um Referate zu<br />

halten, oder um die Studios zu gestalten – so geschehen<br />

in Dublin, New York, London, São Paulo, Kapstadt, Rom<br />

und dieses Jahr eben in Seattle.<br />

Mehr als 2000 Künstlerinnen und Künstler aus 65<br />

Ländern haben sich für die achte Ausgabe des Musikworkshops<br />

beworben. Unter den dreissig Teilnehmern,<br />

die angenommen wurden, ist Lorin Jessenberger, neben<br />

einem Zürcher DJ der einzige Schweizer. Der 22 Jahre<br />

alte Genfer hat sich dem Jazz und Sound der Siebziger<br />

verschrieben. Elektronische Musik sei ihm zu kalt, meint<br />

er und erklärt, wie er sich seine Musik mittels Sampler<br />

selbst zusammenschustert. Auf die Academy ist er<br />

durch seinen Freund DJ Beatnik aus London, auf dessen<br />

Label er als DJ Breakplus seine erste Platte veröffentlicht<br />

hat, gekommen.<br />

Fazit: «Die Academy hat meine Erwartungen übertroffen»,<br />

meint Lorin am letzten Tag in Seattle. «In Genf<br />

ist die Szene ziemlich verkorkst», erzählt er. Alle seien<br />

auf ihrem Egotrip. «Da war es schon ganz schön, nach<br />

Seattle zu kommen, mit Menschen aus aller Welt zusammenzusitzen<br />

und zu merken, dass wir doch alle nur Musik<br />

machen und voneinander lernen wollen.»<br />

Infos: www.redbullmusicacademy.com<br />

STEPHAN FUCHS<br />

gründer<br />

der crips<br />

hingerichtet<br />

■ Am 13. Dezember um 09:01 h MEZ wurde Stanley<br />

«Tookie» Williams (51) mit der Giftspritze hingerichtet.<br />

Tookie wurde 1981 wegen vierfachen Mordes schuldig<br />

gesprochen. Prominente – vom südafrikanischen Erzbischof<br />

Desmond Tutu bis Schauspieler Russell Crowe<br />

– setzten sich für Tookie ein. Der Schweizer SP-Nationalrat<br />

Mario Fehr schlug ihn 2001 gar für den Friedensnobelpreis<br />

vor.<br />

Williams ist die Ikone einer ganzen Generation: er<br />

gilt als Mitbegründer der legendären Grossstadt-Jugendgang<br />

Crisp. Die Crips wurden 1969 unter anderem<br />

von Raymond Washington, LoC Daddy Angelo, Joe «Hover»<br />

Ben, als Antwort auf die herrschende Gewalt in Los<br />

Angeles‘ Strassen gegründet und wurden sehr schnell<br />

populär. Schon bald stieg ihre Dominanz auf L. A.s<br />

Strassen auf das dreifache aller anderen Jugendbanden<br />

zusammen. Als bis 1972 immer wieder Mitglieder der<br />

kleineren Gruppen von Mitgliedern der Crips ermordet<br />

wurden, schlossen sich die meisten dieser Gruppen zu<br />

den Bloods zusammen, so die L. A. Brims, Denver Lanes,<br />

Bishops, Lueders Park Hustlers, Athens Park Boys, Pueblos<br />

und die Inglewood Family.<br />

Von da an gab es über Jahre immer wieder blutige<br />

Bandenkriege, die jährlich viele hundert Bandenmitglieder<br />

das Leben kosteten (über 800 allein im Jahr 1995).<br />

Bemerkenswert an dieser Stelle ist, dass Gewalt zwischen<br />

Crips und Bloods bei weitem nicht der Hauptgrund<br />

für die Opferzahlen ist, — die knapp 200 Crip Gangs in<br />

Los Angeles sind zum grössten Teil untereinander verfeindet<br />

— so sterben sehr viel mehr Crips durch Angriffe<br />

anderer Crips als durch Bloods. Als erster grosser Konflikt<br />

von Crips untereinander gilt die Feindschaft der Rollin‘<br />

60s N-Hood Crips und der Eight Tray Gangster Crips,<br />

die bis ins Jahr 1979 zurückreicht und bis heute allein<br />

über 500 Bandenmitgliedern den Tod gebracht hat.<br />

Gewalt unter Blood Gangs ist im Gegensatz dazu sehr<br />

selten. Im Jahr 1992 wurde unter dem Eindruck der Rassenunruhen<br />

ein Friedensvertrag auf den Weg gebracht,<br />

der für den Nobelpreis nominiert wurde. Auf Dauer hatte<br />

diese Übereinkunft jedoch <strong>kein</strong>en Bestand, so dass<br />

die Zustände und Opferzahlen heute wieder dem Stand<br />

von vor 1992 entsprechen. Die dritte grosse US-amerikanische<br />

Gang ist die Mara salvatrucha, die jedoch im<br />

Zusammenhang mit den Bloods und Crips seltener erwähnt<br />

wird.<br />

Stanley «Tookie» Williams indes wurde 1981 wegen<br />

Mordes verhaftet, seither sitzt er in der Todeszelle. Der<br />

Terminator, Arnold Schwarzenegger, hätte die Möglich-


keit gehabt, die Tötung in letzter Minute zu verhindern.<br />

Er tat es nicht.<br />

Kinderbücher schreiben Stanley Williams brachte<br />

sich im Gefängnis Lesen und Schreiben bei und begann<br />

dann mit dem Schreiben von Kinderbüchern, in denen<br />

er sich gegen Drogen, Gewalt und Rassismus ausspricht.<br />

Aufgrund dessen ist er insgesamt zehnmal für einen Nobelpreis<br />

nominiert worden (sechsmal für den Friedensnobelpreis<br />

und viermal für den Literaturnobelpreis).<br />

Erstmals wurde er im Jahr 2001 von Mario Fehr nominiert.<br />

Er bestreitet bis heute, die ihm vorgeworfenen<br />

Morde begangen zu haben, dennoch hat er sich für die<br />

Gründung der Crips in aller Öffentlichkeit entschuldigt.<br />

Das Einsitzen in der Todeszelle ist grauenhaft:<br />

Die Psycho-Qual begann für Williams schon am 26. Oktober.<br />

Da liest ihm Gefängnis-Direktor Warden Stokes die<br />

Hinrichtungs-Vorschrift vor: «San Quentin Verfahrens-<br />

Prozedur Nr. 770». Zuerst kommt der Geistliche, um die<br />

«Gedanken über Sterben und Tod» des Häftlings zu erforschen.<br />

Dann wird Williams aus der Zelle, in der er 24<br />

Jahre sass, in eine grössere verlegt – ein «Geschenk».<br />

Am letzten Donnerstag zieht dann ein Spezial-Team<br />

von Gefängniswärtern auf, das alle 15 Minuten über die<br />

Lage in der Todeszelle Protokoll führt. Um Selbstmord<br />

zu verhindern.<br />

Ein Privileg für Todeskandidaten: Sie dürfen mehr<br />

Besucher empfangen. Aber auch für Tookies Freunde<br />

wie Rapper Snoop Dogg oder Schauspieler Jamie Foxx<br />

gilt: «Der Häftling und seine Besucher dürfen sich zu<br />

Beginn und am Ende der Visite kurz umarmen oder die<br />

Hände schütteln. Kein anderer Kontakt ist erlaubt.»<br />

Drei Tage vor der Vollstreckung beginnt Tookies Isolierung,<br />

darf er <strong>kein</strong>e persönlichen Gegenstände mehr<br />

bei sich haben – nicht einmal seine Zahnbürste. Dann<br />

inspiziert der Aufseher die Henkers-Utensilien: «12 Rollen<br />

Klebeband, 20 Spritzen, 10 Nadeln, 4 Behälter mit<br />

Kochsalzlösung, 6 Binden, 2 Kästen Gummihandschuhe,<br />

je 1 Kasten mit Operationsmasken und Alkoholgetränkten<br />

Wischtüchern.»<br />

Letzter Absatz von Prozedur 770: «Der Leichnam<br />

soll mit Vorsicht und Würde entfernt und die Todeskammer<br />

sorgfältig gereinigt werden.»<br />

Als Antwort auf Gouverneur Schwareneggers Todesurteil<br />

haben nun die Stadtväter von Graz in einer Nachtund-Nebel-Aktion<br />

den Namen «Arnold Schwarzenegger»<br />

vom Stadion der Stadt entfernt. Es heisst vorläufi g<br />

«Graz-Liebenau-Stadion»…<br />

HARALD HAACK<br />

rap als<br />

folterinstrument der cia<br />

■ Die Musik der Rapper Eminem und Dr. Dre wurde in<br />

einem afghanischen Gefängnis von der CIA als Folterinstrument<br />

verwendet. Der in Äthiopien geborene Brite<br />

Benyam Mohammad sei gezwungen worden, deren laute<br />

Musik 20 Tage lang zu hören. Gefangene wie er sollen<br />

damit Tag und Nacht bearbeitet worden sein, viele<br />

hätten den Verstand verloren. Er habe hören können,<br />

berichtete er seinem Anwalt, wie sie ihren Kopf gegen<br />

Wand und Türen schlugen und sich die Seele aus dem<br />

Leib schrien.<br />

Eminem und Dr. Dre gelten in der von Weissen beherrschten<br />

Öffentlichkeit der USA als böse Jungs. Eminem<br />

wird nachgesagt, «Amerikas böser Traum» zu sein.<br />

Konservative Politiker stellten den Detroiter Superstar<br />

auf eine Stufe mit Bin Laden. Dr. Dre gilt als «Godfather<br />

of Gangsta Rap», Dre‘s Partner Suge Knight wegen Waffengewalt<br />

und Überfällen verurteilt und eingebuchtet.<br />

Das afghanische Gefängnis, in dem der Brite Benyam<br />

Mohammad nach seiner Inhaftierung in Guantanamo<br />

auf Kuba 2004 gefoltert wurde, sei «pechschwarz» gewesen,<br />

die meiste Zeit gab es seinen Angaben nach <strong>kein</strong><br />

Licht: «Sie haben mich aufgehängt. Am zweiten Tag<br />

erlaubten sie mir, ein paar Stunden zu schlafen, dann<br />

hingen sie mich wieder auf - diesmal für zwei Tage.»<br />

Die von monotonen Bässen und Sprechgesang geprägte<br />

Musik wurde dann von «schrecklichem Gespenstergelächter<br />

und Halloween-Geräuschen» ersetzt. Keiner<br />

habe das ertragen.<br />

Der Terrorismusexperte von Human Rights Watch,<br />

John Sifton, sagte, man spreche jetzt nicht mehr abs-<br />

M U S I K<br />

17<br />

Bild: Nicht allein Amerikas böser<br />

Traum: Der Rapper Eminem<br />

trakt über Folter. Das mutmasslich vom Geheimdienst<br />

CIA betriebene Gefängnis sei von den Häftlingen<br />

«dunkles Gefängnis» genannt worden. Die amerikanischen<br />

und afghanischen Aufseher hätten Zivilkleidung<br />

getragen, was auf eine Beteiligung der CIA hindeute.<br />

Laut Sifton könnte das US-Personal strafrechtlich verantwortlich<br />

sein, und ein Sonderermittler sei erforderlich.<br />

Auch Khaled el Masri, ein Deutscher libanesischer<br />

Abstammung hatte über ein geheimes CIA-Gefängnis in<br />

Afghanistan berichtet. Nach eigenen Angaben wurde er<br />

vom CIA in Mazedonien entführt und nach Afghanistan<br />

verschleppt. Dort sei er in einem Gefängnis misshandelt<br />

worden, bevor er im Mai 2004 in Albanien freigelassen<br />

worden sei.<br />

US-Vizepräsident Dick Cheney äusserte sich nicht<br />

direkt zu dem Bericht von Human Rights Watch und dementierte<br />

Vorwürfe, die USA griffen auf Folter zurück.<br />

In einem Interview des US-Fernsehsenders ABC sagte<br />

er, die USA hielten sich an ihre Verpfl ichtungen, nicht zu<br />

foltern.<br />

Human Rights Watch ist eine amerikanische Menschenrechtsorganisation.<br />

Das «dunkle Gefängnis» soll<br />

sich in der Nähe von Kabul befi nden. John Sifton stufte<br />

die Informationen, die seine Organisation von den<br />

Anwälten Gefangener erhalten habe, als «ausreichend<br />

glaubwürdig ein». Eminem und Dr. Dre äusserten sich<br />

bisher nicht zum Vorwurf, Lieferanten von Foltermitteln<br />

der CIA zu sein.


18<br />

STADTLÄUFER<br />

nr. 16 // botanik. Seit ich vor Jahren als Hochbauzeichnerlehrling<br />

mal eine Arbeit über botanische Gärten<br />

schrieb, bin ich von Schauhäusern fasziniert, und zwar<br />

aus einem einfachen Grund: Während es der Mensch der<br />

Natur durch seine Technik ermöglicht, in unseren Breitengraden<br />

zu überleben, ermöglicht es die Natur dem<br />

Menschen, etwas von ihrer Technik zu lernen.<br />

Aber am meisten beeindruckt mich immer noch der<br />

erste Moment, wenn sich die Türe hinter mir schliesst<br />

und sich die ganze Wirkung des Palmenhauses entfaltet.<br />

Exotische Düfte steigen in meine Nase, es tropft, trieft,<br />

Für 220.– Franken<br />

erhalten Sie leider<br />

<strong>kein</strong>e richtige Fee –<br />

dafür aber 1'000 A6<br />

Postkarten gedruckt...<br />

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D I V E R S E S<br />

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... . wobei wir fürs Drucken zuständig sind!<br />

KULTUR IST DER<br />

SOZIALE LEIM EINER<br />

GESELLSCHAFT!<br />

TEILEN WIR.<br />

zischt. Ich komme gerade zur Regenzeit: Aus Düsen<br />

über meinem Kopf werden die Pfl anzen mit einem feinem<br />

Nebel bestäubt.<br />

Beim Eingang ins Farnhaus steht eine Pfl anze in voller<br />

Blüte – ich erspare den Lesern jetzt die lateinische<br />

Bezeichnung. Das kräftige Rot wirkt vor dem Hintergrund<br />

des Schnees draussen grotesk, und gerade deswegen<br />

ist es genau das, was meine Seele in der grauen<br />

Jahreszeit braucht. Für einen Moment verweile ich hier,<br />

dann besuche ich meine Lieblinge im Sukkulentenhaus.<br />

Einige Kakteen hier sind wahre technische Meisterwer-<br />

ensuite - kulturmagazin im ABONNEMENT<br />

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verschenken. mein name, adresse und wohnort:<br />

ke: Rechnet man das Verhältnis von Querschnitt zur<br />

Höhe um, erhält man im übertragenen Sinne einen Wolkenkratzer<br />

von 2000 Metern Höhe, bei nur 40 Metern<br />

Durchmesser. Der Mensch kann noch viel lernen.<br />

Einiges hat er schon begriffen, und doch steht er<br />

noch ganz am Anfang. Das wird mir jedes Mal so richtig<br />

bewusst, wenn ich den botanischen Garten hinter mir<br />

lasse und die Verkehrslawine sehe, die langsam über die<br />

Lorrainebrücke Richtung Bahnhof rollt. (al)<br />

vorname<br />

name<br />

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Könizstrasse 19a<br />

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Fax 031 398 45 03<br />

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ensuite - kulturmagazin // sandrainstrasse 3 // 3007 bern // Tel. 031 318 60 50 - schneller: www.ensuite.ch


BENEDIKT SARTORIUS<br />

die wunderkammer<br />

der dead brothers<br />

■ In der Ferne schlurft untermalt von Grillenzirpen<br />

ein karger Rhythmus und nähert sich, als eine traurige<br />

Hawaiigitarre einsetzt. «Trust in me and close your<br />

eyes…» Verführend langsam und unnachgiebig<br />

entführt die verzerrte Stimme sein Opfer tief in eine<br />

absonderliche Zwischenwelt, wo das süsse Gift einlullt,<br />

die Trompete aufbellt, die Orgel zwirbelt und eine<br />

verlorene Seele sich widerstandslos hingibt. «Slowly<br />

and surely your senses will cease to resist…»<br />

Die Interpretation von «Trust In Me» wie überhaupt<br />

das musikalische Drehbuch der Dead Brothers kennt<br />

anders als das Dschungelbuch, aus dem dies Lied<br />

der Schlange im Original stammt, <strong>kein</strong>e Rettung.<br />

Leidenschaftliche Hingabe, lieben, schwelgen, weinen,<br />

tanzen, trinken und lachen im Angesicht des Sensemanns<br />

stehen beim Hörer und Besucher dieser schillernden<br />

Welt auf dem Programm. Als Begräbnisorchester<br />

starteten die Dead Brothers 1998 mit Heimbasis Genf<br />

ihre Reise ins Jenseits im Rahmen der Rock ‘n‘ Roll<br />

Parade «Electric Circus». Sie vertilgten unterwegs Hank<br />

Williams in einer Rumpelkammer, liehen im Pfandladen<br />

ihr Instrumentarium, krachten mit rohem Punk, Delta<br />

Blues und europäischen Volksmusiken zusammen,<br />

enterten mit Gleichgesinnten das Juraschiff an der<br />

Expo und drangen bis in die so genannte Hochkultur<br />

als Theaterband vor (u. a. Brechts Dreigroschenoper in<br />

Basel).<br />

Nach den Alben «Dead Music For Dead People», «Day<br />

Of The Dead» und dem instrumentalen Soundtrack<br />

zum Dokumentarfi lm «Flammend Herz» öffnet nun<br />

das fabulöse Quartett zum vierten Mal den Sarg. Ein<br />

Sarg freilich, der sich als unaufgeräumte, kuriose,<br />

tiefe und arg verwinkelte Wunderkammer herausstellt.<br />

«Wunderkammer» ist denn auch der fast schon<br />

programmatische Titel des dritten regulären Albums<br />

der interkontinentalen Dead Brothers. In jeder Ecke<br />

und jedem Winkel lauern neue Falltüren, die tiefer ins<br />

Labyrinth einer funkelnden Unterwelt führen. Einer<br />

Unterwelt, die so gar nichts Morbides an sich hat,<br />

eher wie ein abenteuerlicher Spielplatz streunender<br />

Melancholiker wirkt und allenfalls mit den Phantasien<br />

in Tim Burtons wunderbarem Film «Corpse Bride»<br />

vergleichbar wäre.<br />

«Wunderkammer» ist das bisher reichste Album<br />

der Dead Brothers. Im Kollektiv schrieben Alain<br />

Croubalian, Pierre Omer, Delaney Davidson und<br />

Christoph Gantert die neuen Lieder, projizierten eigene<br />

Visionen in fremdes Liedgut und schufen vielschichtige<br />

Arrangements für ihre von verschiedensten Stilen<br />

durchzogene, weltumspannende Musik. Wurde «Dead<br />

Music For Dead People» der Legende nach mit nur<br />

einem einzigen Mikrophon aufgenommen, loten die Vier<br />

nun im freien Spiel mit den Möglichkeiten des Studios<br />

neue, tiefe Dimensionen ihrer Musik aus. Ohne die<br />

Bild: zVg.<br />

Rohheit der ersten Alben aufzugeben, pfl egen sie die<br />

Liebe zum musikalischen Detail: Windsägen heulen im<br />

Hintergrund, exotische Stimmen tauchen auf, Spelunken-<br />

Klaviere malen verschwommene Stimmungsbilder<br />

und ergänzen das knorrige Stamm-Instrumentarium<br />

der Band (Banjo, Akkordeon, Gitarre, Blasinstrumente,<br />

Perkussion) aufs vorzüglichste. Traumwandlerisch<br />

eingesetzte Studio-Kniffe und Zitate wirken nie<br />

verschwenderisch, nie beliebig, der multiinstrumentale<br />

Charakter der einzelnen Musiker wie auch die Band als<br />

Kollektiv gewinnen deutlich an Tiefenschärfe. Und so<br />

labt sich der Hörer am kaputten, knochentrockenen<br />

Punk von «My Baby‘s White», trinkt im Bistro zu<br />

chaotischem Zigeunerjazz à la Django Reinhardt, steht<br />

im grossartigen «Just A Hole» lebensmüde an seinem<br />

eigenen Grab und landet in «The Story Of Woody And<br />

Bush» in einem staubigen Westernsaloon, der sich in<br />

eine psychedelische Halluzination aufl öst. Kurz: Die<br />

rauen und doch zerbrechlichen, melancholischen und<br />

doch lachenden, widerspenstigen und doch einladenden<br />

Dead Brothers schlagen dem zagen Alltag einmal mehr<br />

ein Schnippchen.<br />

Im Januar wird überdies der Film «He Who‘s<br />

Not Busy Being Born Is Busy Dying» lanciert. Der<br />

Regisseur M. A. Littler, der bereits für das Portrait über<br />

die musikalische Heimat der Band, dem heimischen<br />

Voodoo-Rhythm Label, verantwortlich zeichnete, begibt<br />

sich mit den Dead Brothers auf die Suche nach dem<br />

verbindenden Kern des Universums. Eine ewige Suche,<br />

die die vier beseelten, rastlosen Musiker mit ihrem<br />

Drang zur Kreation vorläufi g in die traumhafte, surreale<br />

Wunderkammer führte. In eine Wunderkammer, die<br />

ohne Frage den ersten musikalischen Höhepunkt des<br />

neuen Jahres darstellt.<br />

«Wunderkammer» erscheint im Ende Januar auf Voodoo<br />

Rhythm. Plattentaufe: 27. Januar, Dampfzentrale Bern.<br />

Weitere Infos: www.vooodoorhythm.com<br />

SARA TRAUFFER<br />

MMUUSSI IKK 19 19<br />

SCHIMMERNDER STOFF<br />

■ Ein weicher, samtiger Akkord im Klavier, ein erster<br />

seidiger Ton der Geige. Und eine daraus sich<br />

entspinnende weite Fläche in sanfter Eleganz. Wie<br />

ein ausgesuchtes Gewebe kommt der Beginn dieser<br />

CD daher. Fein schimmernd und fl iessend. Ein edler<br />

Stoff, den die Geigerin Simone Zgraggen und der Pianist<br />

Ulrich Koella aus den Violinsonaten von Othmar<br />

Schoeck gewoben haben.<br />

Der sonst primär für sein Liedschaffen bekannte<br />

Schweizer Komponist schrieb 1905, 1908 und 1931<br />

insgesamt drei Sonaten sowie ein kleines, zweiminütiges<br />

«Albumblatt» für diese Besetzung. Den Anstoss<br />

dazu erhielt er hauptsächlich von der ungarischen<br />

Geigerin Stefi Geyer, die 1905 in Zürich gastierte und<br />

ihn bis ins Innerste begeisterte. Nachdem er sie persönlich<br />

kennen gelernt hatte, konzertierten sie zusammen<br />

– Schoeck muss stürmisch verliebt gewesen<br />

sein und widmete ihr seine Sonate op. 16. Eng verfl<br />

ochten schmiegen sich hier Violine und Klavier aneinander,<br />

treten zwischendurch einzeln hervor, mal<br />

in strahlend glänzenden, gross gespannten Bögen,<br />

mal zurückhaltender und leicht eingetrübt, dann<br />

wieder schwärmerisch ausladend. Das alles liesse<br />

sich wunderbar mit ganz viel spätromantischem<br />

Schmelz spielen. Doch Zgraggen und Koella gehen<br />

sorgfältig und zurückhaltend damit um. Ihre Interpretation<br />

kommt schlank daher, mit feinem Vibrato<br />

und weicher Bogenführung in der Geige, getragen<br />

von Zgraggens einzigartigem Instrument, der «Golden<br />

Bell» Stradivari aus dem siebzehnten Jahrhundert,<br />

sowie vom schönen Raumklang aus der Salle de<br />

Châtonneyre in Corseux bei Vevey, wo die Aufnahme<br />

entstanden ist. Wer also etwa den alljährlichen opulenten<br />

Glanz und Glamour des Wiener Neujahrskonzertes<br />

nicht mehr sehen und hören kann, fi ndet auf<br />

dieser CD des Schweizer Klassiklabels Claves eine<br />

treffl iche Alternative. Eine kleine Prise Schimmer am<br />

richtigen Ort wirkt doch manchmal viel brillanter.<br />

Othmar Schoeck: The 3 Violin Sonatas. Simone<br />

Zgraggen, Ulrich Koella. 2005 Claves 50-2503


20 D I V E R S E S<br />

S T A D T T H U N<br />

SARAH ELENA SCHWERZMANN<br />

FLUGANGST<br />

■ Da wird man von Red Bull eingeladen, nach<br />

Amerika zu jetten und sich die Red Bull Music<br />

Academy anzusehen, und dann freut sich das<br />

Fröllein nicht mal richtig. Und warum nicht? Naja,<br />

Flugzeuge sind nicht so sicher wie man denkt, und<br />

10’000 Meter überm Boden wird die Luft gerne mal<br />

knapp. Alles gute Zureden half nichts. Mutter: Das<br />

Flugzeug ist das sicherste Fortbewegungsmittel<br />

überhaupt. Warum sie dann lieber acht Stunden im<br />

Zug rumbröselt, anstatt mit EasyJet ein lockeres<br />

Stündchen nach Berlin zu fl iegen, weiss man nicht<br />

so genau. Da hilft alles nichts. Es war wohl nicht<br />

sehr intelligent, mir die letzten paar Wochen «Mysteriöse<br />

Flugzeugabstürze» auf Pro7 anzugucken...<br />

Aber man will vorbereitet sein.<br />

Dienstagmorgen. Das Flugzeug hebt ab. Kurz<br />

nach dem Start die ersten Turbulenzen. Das wird<br />

ja wohl normal sein. Pilot: Flight Attendants bitte<br />

anschnallen. Aha. Neben mir eine junge Stewardess<br />

mit dem Getränke-Wägeli. Also die hätten ja schon<br />

eine Bremse und so, aber sie bleibe mal lieber hier<br />

am Boden sitzen und halte das Wägeli, nur für den<br />

Fall, nicht dass es noch im Flugzeug rumschliddere.<br />

Ah ja. Nur «Batman Begins» kann meine Gedanken<br />

fesseln. Aber nach dem dritten Durchgang, nachdem<br />

ich mich die ganz Zeit gefragt habe, warum<br />

der Blödi denn nach so vielen Filmen immer noch<br />

nicht weiss, dass er Batman ist, und dann gecheckt<br />

habe, dass der Film vor den anderen Batman-Filmen<br />

spielt, landen wir auch schon. Nach siebzehn<br />

Nerv zerrüttenden Stunden komme ich in Seattle<br />

an.<br />

Eine Woche geht vorüber. Wieder zurück. Was<br />

ist, wenn ich genau die Folge verpasst habe, in der<br />

ich gelernt hätte, den Autopiloten auszutricksen<br />

und das in Flammen stehende Flugzeug sicher in<br />

Zürich zu landen? Telefon. Walter: Ja, also wenn’s<br />

Turbulenzen gibt, kannst du ja dein Handy einschalten,<br />

und uns eine Abschieds-SMS schreiben.<br />

Das ist doch verboten? Bruder: Ja genau, und dann<br />

stürzt das Flugzeug nur ab, weil du dein Handy angemacht<br />

hast. Es gibt Zeiten, da wünsche ich mir,<br />

meine Mutter hätte nach meiner Geburt die Pille<br />

genommen...<br />

Bild: Trummer von Dominik Adam<br />

TRUMMER :: ANYWAYS<br />

■ Trummer hat seine Tour mit der neuen CD «anyways»<br />

in der Mühle Hunziken gestartet und gibt sein<br />

Tourende-Konzert am 21. Januar in Thun im Musikclub<br />

Mokka.<br />

Eines der tollsten Lokale der Schweiz, nach wie vor,<br />

sagt Trummer darüber. Für ihn ist es der Ort, an dem<br />

er musikalisch sozialisiert wurde, und an den er gerne<br />

zurückkehrt als seine ehemalige Wahlheimat. Die Tournee,<br />

die ihn gelehrt hat, seiner Band blind zu vertrauen,<br />

hat ihm auch gezeigt, dass die Grösse des Publikums,<br />

des Lokals, die mindere Rolle spielt als der «groove», die<br />

Stimmung, angeregt durch die reiche Palette der Band.<br />

Die neue Platte, die als «ungleich reifer» bezeichnet<br />

wird, steuert eine neue Richtung an. Nachdem die erste<br />

CD, «Night Light» vorwiegend bei Americana-, Singer/<br />

Songwriter-Platten eingeordnet wurde, weht ein neuer<br />

Wind in «anyways». Da kommt der Einfl uss weniger traditionellen,<br />

dafür alternativeren Vorbildern zu tragen,<br />

deren Trummer einige hat.<br />

Danebst sind die Texte ursprünglicher vielleicht,<br />

träumerischer: viele Liebeslieder, Bekenntnisse, zu<br />

denen sich Trummer nicht allzu bewusst entschlossen<br />

habe. Vielleicht scheinen sie deshalb auch näher, ungeschminkter<br />

zu sein, da Trummer es intuitiv versteht,<br />

dem Leben einen Ausdruck zu geben, einen Ausdruck in<br />

Form von Musik, die durch viele Richtungen beeinfl usst<br />

wird, aufsteht und einen eigenen Weg einschlägt. So<br />

macht sich dann auch Trummer auf nach seiner Tournee,<br />

um die Coffeehouse-Szene in New York zu erkundigen,<br />

zu sehen, ob seine Musik auch dort funktioniert<br />

- sie wird. (ts)<br />

Tourende - Konzert: 21. Januar 2006, 21:30 h<br />

Cafe Bar Mokka, Allmendstrasse 14, Thun<br />

STERCHI UND BLUM<br />

Bild: Beat Sterchi/ zVg.<br />

■ Bitzius von Beat Sterchi und Adi Blum ist eine sich<br />

seit Jahren entwickelnde Hommage an unseren bernischen<br />

Grossmeister. Bekannt ist, dass es dieser in<br />

die klassische Weltliteratur geschafft hat, obschon er<br />

oft über Seiten nur vor sich her futtern, predigen und<br />

schimpfen konnte. Gewann aber wieder seine schöpferische<br />

Ader die Oberhand, fand er zurück zu einer Dichtersprache,<br />

die an konkreter Bildlichkeit, an Rhythmus,<br />

Ton und Klang höchstens noch von derjenigen Luthers<br />

übertroffen wird. Dann schreibt Gotthelf eindeutig mit<br />

den Ohren und verfällt, eigentlich gegen seinen Willen<br />

mehr oder weniger konsequent, zurück in seine so typisch<br />

mit lautmalerisch Umgangsprachlichem durchtränkte<br />

ureigene Schriftsprache. Dann wimmelt es von<br />

Reimen, von Stab - und anderen («söveli Flachs, Freud u<br />

Flyss» und «Ä Schang für ds ganz Lang wie das gang»)<br />

und in sich selbst schon fast wie Kleingedichte klingende<br />

Wörter (Blütterlüpf, Gangelöriwasser). Dann bleiben seine<br />

Sätze weit über das Inhaltliche hinaus unverkennbar,<br />

dann ist da weit mehr, als die Sätze erzählen. Kommt<br />

aber noch Instrumentalmusik dazu, dominiert für einmal<br />

nicht die ethisch, moralische Dimension, auf welche<br />

Gotthelf so gerne reduziert wird, sondern die rein Literarische<br />

und die zum Klingen zu bringen, das hat das<br />

Programm Bitzius im Sinn.<br />

Und das wird das eingespielte Team Beat Sterchi /<br />

Adi Blum am 18. Januar in Thun zum Besten geben. (ts)<br />

18. Januar 2006, 20:30 h<br />

Restaurant Zunfthaus zu Metzgern, Untere Hauptgasse<br />

2, Thun<br />

Infos: www.literaare.ch


SONJA WENGER<br />

oliver twist<br />

■ Die Weltwoche hat es vor kurzem so formuliert:<br />

«Vampire, Nicholsons aufgeschlitzte Nase, ein verfl uchtes<br />

Baby – es gibt nur wenige Regisseure, deren Werk<br />

auch ein Nicht-Cineast nach sieben Stichworten erkennt.»<br />

Na, das ist doch mal ein Kompliment!<br />

Nach seinem preisgekrönten Drama «The Pianist»<br />

hat Roman Polanski nun ein Kinderbuch verfi lmt. Für<br />

ihn handelt es sich dabei «vor allem um ein Märchen für<br />

junge Menschen. Mein Hauptanliegen bestand darin, einen<br />

Film für meine beiden eigenen Kinder zu machen.»<br />

«Oliver Twist» von Charles Dickens gehört bis heute<br />

zur angelsächsischen Standardliteratur. Charles Dickens<br />

war erst 25 Jahre alt, als das Buch 1837 veröffentlicht<br />

wurde. Der englische Schriftsteller, welcher bereits als<br />

Zwölfjähriger in der Fabrik schuften musste und sich<br />

aus eigener Kraft zum Journalisten hochgearbeitet hatte,<br />

benutzte die Romanform, um die Missstände seiner<br />

Zeit anzuprangern. Für ihn stand weniger der literarische<br />

Erfolg im Vordergrund, als das Bedürfnis, die Menschen<br />

seiner Zeit wachzurütteln.<br />

Dem Drehbuchautor Ronald Harwood, welcher für<br />

«The Pianist» einen Oscar erhalten hatte, gelang es,<br />

die Romanvorlage essentiell zu kürzen, ohne die Grundaussagen<br />

des Films zu tangieren. Eine ganze Familiengeschichte<br />

wurde weggelassen und der Film setzt an<br />

jenem Punkt ein, wo Oliver in das Armenhaus für Kinder<br />

gebracht wird. In einer der ersten Szenen sitzen<br />

Hunderte von Kindern dichtgedrängt in einem riesigen<br />

Raum und entzwirbeln raue Schiffstaue, «für die Schiffe<br />

der Königin», wie ein Aufseher zynisch bemerkt. Als<br />

Oliver (Barney Clark) aufbegehrt und nach mehr Essen<br />

verlangt, wird er dem Leichenbestatter Mr. Sowerberry<br />

(Michael Heath) als Lehrling übergeben. Zwar muss<br />

er zwischen den Särgen schlafen, kann sich aber erst<br />

mal satt essen. Aus Eifersucht provoziert ihn der älte-<br />

re Lehrling Noah und Oliver geht auf ihn los. Als Oliver<br />

dafür von Mr. Sowerberry eine Tracht Prügel erhält, entschliesst<br />

er sich, nach London zu fl iehen. Der weite Weg<br />

im strömenden Regen wird für Oliver zur Tortur. Seine<br />

Schuhe fallen ihm von den Füssen, man verjagt ihn als<br />

Bettler und nur eine alte Frau nimmt ihn für kurze Zeit<br />

auf. Als Oliver in London ankommt, schläft er erschöpft<br />

auf einer Kirchentreppe ein.<br />

Kontinuierlich zieht sich nun dieser Wechsel zwischen<br />

guten und schlechten Dingen durch den ganzen<br />

Film. In London nimmt der Taschendieb Artful Dodger<br />

(Harry Eden) Oliver unter seine Fittiche und so lernt<br />

er den alten Hehler Fagin (Ben Kinsley) kennen. Dieser<br />

haust mit einer Bande von Jugendlichen in einem alten<br />

Haus und versucht, Oliver das Stehlen beizubringen. Im<br />

Vergleich zum Armenhaus fühlt sich Oliver in der zwielichtigen<br />

Gesellschaft von Dieben und Prostituierten<br />

sichtlich wohl, auch weil er sich nicht genau bewusst<br />

ist, wozu er benutzt werden soll. Der brutale Gauner Bill<br />

Sykes (Jamie Foreman) macht Oliver jedoch das Leben<br />

schwer und so wird er, noch völlig unerfahren, bereits<br />

auf Diebestour geschickt. Vor einem Buchladen bestehlen<br />

Dodger und ein zweiter Junge einen wohlhabenden<br />

Herrn, doch in der anschliessenden Verfolgungsjagd<br />

wird stattdessen Oliver erwischt. Vor Gericht erkennt<br />

der bestohlene Mr. Brownlow (Edward Hardwicke) seinen<br />

Irrtum und nimmt sich aus Mitleid des völlig verstörten<br />

Olivers an.<br />

Im vornehmen Haus von Mr. Brownlow wird Oliver<br />

von der Haushälterin Mrs. Bedwin (Frances Cuka) mütterlich<br />

umsorgt und erfährt zum ersten Mal Liebe und<br />

Geborgenheit. Doch sein Glück ist nur von kurzer Dauer.<br />

Aus Angst, Oliver könnte sie verraten, wird er von<br />

Fagin und Sykes entführt, zum anderen planen sie mit<br />

seiner Hilfe einen Einbruch bei Mr. Brownlow. Als das<br />

K I N O<br />

21<br />

Bild: zVg.<br />

Vorhaben jedoch schief geht und Oliver angeschossen<br />

wird, sperrt ihn Fagin ein. Die Ereignisse überstürzen<br />

sich als Sykes Geliebte Nancy (Leanne Rowe) erfährt,<br />

dass dieser Oliver aus Rache umbringen will und sie daraufhin<br />

Mr. Brownlow warnt. Diese edle Handlung kostet<br />

sie ihr Leben, denn ihr Verrat wird beobachtet. Auf<br />

Mr. Brownlows Bestreben hin sucht nun die halbe Stadt<br />

nach Oliver, woraufhin die skrupellosen Diebe gefasst<br />

und gerichtet werden. Für Oliver beginnt nun endlich<br />

ein neues, besseres Leben.<br />

In den Prager Barrandov Studios wurden die viktorianischen<br />

Strassen von London zu neuem Leben erweckt.<br />

Roman Polanski hat mit seinem Team ein atemberaubendes<br />

Filmwerk mit einer unendlichen Liebe zu allen<br />

Details von Set, Kostümen und Musik geschaffen. Sein<br />

Instinkt für Besetzung und die Fähigkeit, aus den Schauspielern<br />

das Beste herauszuholen, bietet dem Publikum<br />

nicht nur eine weitere Meisterleistung von Ben Kingsley,<br />

sondern auch eine feine Zeichnung sämtlicher Nebencharaktere,<br />

welche samt und sonders in der Erinnerung<br />

verbleiben. Ein besonderes Augenmerk verdienen zudem<br />

Harry Eden als Dodger und vor allem der damals<br />

elfjährige Barney Clark als Oliver. So wie die Protagonisten<br />

des Films, verliebt sich auch die Kamera als das<br />

Auge des Publikums beim ersten Blick in die Unschuld<br />

des Jungen Oliver Twist. Genau wie vor 160 Jahren fasziniert<br />

sein Schicksal auch heute noch Gross und Klein.<br />

Mit «Oliver Twist» wollte Roman Polanski seine Kinder<br />

«nicht enttäuschen». Es ist ihm meisterhaft und einfühlsam<br />

gelungen.<br />

Der Film dauert 130 Minuten und ist seit dem 22.12.2005<br />

in den Kinos.


22 K I N O<br />

WHERE THE TRUTH LIES<br />

Bild: zVg.<br />

■ Eine leere Luxushotelsuite, ein laufender Fernseher<br />

und eine nackte Tote in der Badewanne. «Where<br />

the truth lies» wirft das Publikum gleich von Anbeginn<br />

mitten in das Geschehen.<br />

Der kanadische Regisseur Atom Egoyan («The<br />

Sweet Hereafter», «Ararat») ist an sich ein Garant<br />

für intelligentes Kino. Seine Geschichten leben von<br />

verschachtelten Plots mit einer Fülle unterschwelliger<br />

Töne und sind immer weit davon entfernt, dem<br />

Publikum einfache Antworten zu liefern. So ist denn<br />

auch die Doppeldeutigkeit des Titels in diesem Film<br />

Programm.<br />

Die ehrgeizige Journalistin Karen O’Connor (Alison<br />

Lohman) versucht die Hintergründe aufzudecken,<br />

welche fünfzehn Jahre vorher zur Trennung eines der<br />

erfolgreichsten Komikerduos von Amerika geführt<br />

hat. Obwohl damals eine junge Frau tot im Hotelzimmer<br />

von Lanny Morris (Kevin Bacon) und Vince Collins<br />

(Colin Firth) aufgefunden wurde, konnte der Fall<br />

nie abgeschlossen oder der Mörder ermittelt werden.<br />

Gerade weil ihre eigene Geschichte eng mit der von<br />

Lanny und Vince verknüpft ist, sucht Karen zu Beginn<br />

vor allem nach Beweisen für deren Unschuld. Doch je<br />

tiefer sie sich in die Vergangenheit gräbt, umso komplexer<br />

werden die Verstrickungen aller Beteiligten bis<br />

sich das Schema von Gut und Böse nicht nur einmal in<br />

das Gegenteil verdreht.<br />

Die visuell faszinierend umgesetzte Geschichte<br />

benutzt alle cineastischen Mittel wie Rückblenden,<br />

Soundtrack, Farb- und Stilwechsel der Bilder um die<br />

60er und 70er Jahre greifbar wieder aufl eben zu lassen.<br />

Der Film ist jedoch auch ein interessantes und<br />

erotisch geladenes Porträt einer Glamourwelt des<br />

Showbusiness, hinter deren Kulissen sich Sex, Gewalt<br />

und Drogen zu einem unheilvollem Cocktail vermischen.<br />

Die zu Beginn leicht irritierend wirkende Spannung<br />

zwischen den Hauptdarstellern Colin Firth und<br />

Kevin Bacon stellt sich zudem als brillanter Schachzug<br />

der Besetzung heraus. Gerade dieses Unbehagen ist<br />

ein integraler Bestandteil der wahren Beziehung zwischen<br />

Lanny und Vince und wartet mit einigen Überraschungen<br />

auf.<br />

Der Film dauert 107 Minuten und kommt am<br />

26.1.2006 in die Kinos. (sjw)<br />

SONJA WENGER<br />

headsman<br />

■ Geschichten um die Aufarbeitung der turbulenten<br />

Zeiten der katholischen Kirche im Mittelalter, der Inquisition<br />

und der Reformation sind zur Zeit sehr in Mode.<br />

Die Parallelen zur unserer Zeit lassen sich leicht in der<br />

Diskussion über religiösen Fundamentalismus und der<br />

«Demokratisierung des Wissens» über das frei zugängliche<br />

Internet erkennen. Im beginnenden 16. Jahrhundert<br />

wurden die Reformbestrebungen innerhalb der Kirche<br />

blutig unterdrückt und erst die Verbreitung des Buchdrucks<br />

und die Übersetzung der Bibel ermöglichte einer<br />

breiteren Bevölkerung den Zugang zu Wissen und dadurch<br />

zur Mitbestimmung des eigenen Schicksals.<br />

Der Film «Headsman» zeigt nun Geschichte aus der<br />

Sicht des einfachen Mannes. Zur Zeit der Handlung im<br />

Tirol um das Jahr 1520 hatte Martin Luther bereits seine<br />

95 Thesen gegen Buss- und Ablasspraktiken veröffentlicht<br />

und damit die Reformation eingeleitet. Aus den<br />

einst unzertrennlichen Findelkindern Martin und Georg<br />

sind Erwachsene geworden, welche ausser ihrer Freundschaft<br />

nichts mehr gemeinsam haben. Georg (Peter Mc-<br />

Donald) ist durch die Protektion des Erzbischofs (John<br />

Shrapnel) mittlerweile zum Prior des Klosters aufgestiegen,<br />

Martin (Nikolaj Coster-Waldau) hat es zum Offi zier<br />

einer Söldnertruppe gebracht. Bei einem Besuch im<br />

Kloster trifft Martin auf Anna (Anastasia Griffi th), die<br />

Tochter des alten Henkers der Stadt und verliebt sich<br />

in sie. Durch seinen Entschluss, sie zu heiraten, nimmt<br />

er in Kauf, selbst auch als Unberührbarer zu gelten und<br />

<strong>kein</strong>en anderen Beruf mehr als den des Henkers ausüben<br />

zu können. Als Georg seine Bitte, ihn und Anna zu<br />

trauen ablehnt, wendet sich Martin an einen Priester der<br />

Täufer und gerät dadurch ins Visier des konservativen<br />

Erzbischofs. Die Situation eskaliert, als die Spanische<br />

Inquisition (mit Altmeister Steven Berkoff als Inquisitor)<br />

eintrifft und für Ordnung sorgen soll. Missgunst und falsche<br />

Denunziationen tun das Ihre, um Unschuldige aufs<br />

Schafott zu bringen. Martin weigert sich, weiterhin im<br />

Dienst eines für ihn ungerechten Systems zu stehen und<br />

Bild: zVg.<br />

als seine eigene Frau der Ketzerei angeklagt wird, greift<br />

er zu drastischen Massnahmen.<br />

Nikolaj Coster-Waldau («Enigma») sagt über seine<br />

Rolle: «Martin ist ein einfacher, unschuldiger Mann, der<br />

von einer politischen Welt, die er nicht versteht, gefangen<br />

gehalten wird. Aber er fängt an, gegen das System<br />

zu kämpfen, als er merkt, dass er etwas macht, das<br />

ungerecht und gegen seine persönliche Überzeugung<br />

ist.»<br />

Der Berner Regisseur Simon Aeby hat in dieser europäischen<br />

Koproduktion eine wunderbare Besetzung<br />

zusammengestellt und einen spannenden, düsteren und<br />

visuell eindrücklichen Film geschaffen. Anders als bei<br />

seiner letzten Arbeit «Das Fähnlein der Sieben Aufrechten»<br />

überrascht der Film durch eine komplex aufgebaute<br />

und fundierte Geschichte, bei welcher die Elemente<br />

Abenteuer, Romantik und Drama gut aufgeteilt sind und<br />

Hand in Hand zusammenspielen. Die Drehbuchautorin<br />

Susanne Freund interessierte zudem die Frage: «Was<br />

Henker für Menschen waren und wie der Beruf entstand.»<br />

So ist es denn auch unvermeidlich, dass der Film einige<br />

blutige Szenen enthält. Besonders die Folter durch<br />

die Inquisition, wenn auch nur angedeutet, ist nicht unbedingt<br />

für zarte Gemüter geeignet. Der Fakt, dass diese<br />

Dinge vermutlich wirklich so geschehen sind, macht<br />

es nicht gerade einfacher. Trotzdem, oder gerade wegen<br />

seiner realistischen Darstellungen, ist der Film äusserst<br />

sehenswert und setzt sich angenehm ab von anderen<br />

Produktionen mit einem verklärten Blick auf diese Zeit<br />

des Umbruchs.<br />

Weiterführende Informationen fi nden sich auf der<br />

Webseite des Films www.henker.at. Interessant vom Aufbau<br />

her, lenkt ein leider etwas zu modernes Gewinnspiel<br />

von dem eigentlichen Inhalt ab und zeigt, dass Werbung<br />

manchmal seltsame Blüten hervorbringt.<br />

Der Film dauert 108 Minuten und kommt am 9.2.2006<br />

in die Kinos.


SONJA WENGER<br />

factotum<br />

■ Ein Faktotum ist eine veraltete, aus dem Lateinisch<br />

stammende und heute oft abwertende Bezeichnung für<br />

jemanden, der in einem Betrieb oder Haushalt verschiedenste<br />

Aufgaben hat, oft auch «Mädchen für alles» genannt.<br />

«Factotum» ist auch der Titel eines zwischen 1970<br />

und 1974 entstandenen Buches von Charles Bukowski.<br />

Er schreibt darin über seine Zeit als Herumtreiber im<br />

Amerika der 1940er Jahre. Charles Bukowski, welcher<br />

1994 im Alter von 73 Jahren an Leukämie starb, zelebrierte<br />

Zeit seines Lebens den Mythos des trinkenden<br />

Genies und viele seiner Geschichten tragen zum Teil autobiografi<br />

sche Züge.<br />

So geht es in «Factotum» auch in erster Linie um die<br />

Erlebnisse eines Mannes, welcher sich mit den verschiedensten<br />

Gelegenheitsjobs durchschlägt. Mal arbeitet er in<br />

einer Gurkenfabrik, dann bei einem Fahrradhändler, mal<br />

versucht er eine Stelle als Journalist zu bekommen und<br />

endet stattdessen als Putzmann, der nach einem halben<br />

Tag bereits wieder entlassen wird. Jedes Mal zieht er weiter<br />

ohne einen Blick zurück. Wichtig sind für ihn nur Sex,<br />

Trinken, Rauchen, Spielen und vor allem das Schreiben.<br />

Der norwegische Regisseur Bent Hamer verfi lmte dieses<br />

Buch nun mit Matt Dillon in der Rolle von Bukowskis<br />

literarischem Alter Ego Henry «Hank» Chinaski. Bereits<br />

in seinem Überraschungserfolg «Kitchen Stories» von<br />

2003 zeigte der Regisseur ein feines Gespür für amüsante<br />

Momente und überraschende Details.<br />

Matt Dillon, welchen man in den letzten Jahren<br />

hauptsächlich in der Rolle des leicht dämlichen Einfaltspinsels<br />

(«There’s something about Mary», «One Night<br />

At McCool’s») zu sehen bekam, kehrt nun zurück zu den<br />

grossen Tagen seiner frühen Rollen in «Drugstore Cowboy»<br />

oder «To die for». Mit einer grossen Sensibilität und<br />

einer gehörigen Portion Humor erspielt er sich die Sympathien<br />

des Publikums. Natürlich gibt es Filme, welche<br />

der Trinkerromantik mehr gerecht werden oder härter im<br />

Ton sind. Im Gegensatz zu Mickey Rourkes Porträt eines<br />

Bild: zVg.<br />

schmutziges Säufers in «Barfl y» (1987 von Barbet Schröder<br />

verfi lmt und ebenfalls basierend auf einem Buch von<br />

Charles Bukowski) bleibt Matt Dillon zwar meistens sauber.<br />

Seine Darstellung interessiert sich jedoch auch mehr<br />

für jenen Mann, welcher alles seiner Literatur unterordnet<br />

und zeigt, welche Opfer er dafür zu bringen bereit ist.<br />

Besonders im Gedächtnis bleibt auch die Schauspielerin<br />

Lili Taylor («I shot Andy Warhol», «High Fidelity») als<br />

Chinaskis Geliebte Jan. Mit einer physischen Gnadenlosigkeit<br />

zeigt sie sich als körperliches Wrack und bewahrt<br />

trotzdem in jeder Sekunde ihre Würde. Mit ihr träumt<br />

Chinaski kurz den Traum eines bürgerlichen Lebens, nur<br />

um kurz darauf wieder alleine auf der Strasse zu stehen.<br />

Marisa Tomei und Fisher Stevens brillieren zudem in Nebenrollen<br />

als kurze Begleiter auf Chinaskis Weg, von denen<br />

er genauso leichten Herzens Abschied nimmt wie er<br />

sie kennen lernte.<br />

Der Film ist gespickt mit Szenen, welche einen konstant<br />

in sich hineinkichern lassen. Chinaskis Charme und<br />

Schlagfertigkeit sorgen dafür, dass alle Ereignis mit einem<br />

gewissen Humor und einem geradezu liebevollen<br />

Blick betrachtet werden können. Selbst in jenen Momenten,<br />

welche dem Publikum die dunklen Seiten des<br />

Alkoholismus vor Augen führten, wertet der Film nicht.<br />

Mit langen, ruhigen Kameraeinstellungen dominiert der<br />

leicht neidvolle Blick auf die vermeintliche Freiheit, welche<br />

der Besitzlosigkeit entspringt. Und wenn Chinaski mit<br />

rauchiger Stimme so eingängige Zitate von sich gibt wie:<br />

«Manche Leute drehen nie durch. Wie grauenhaft muss<br />

ihr Leben sein?» ist man durchaus geneigt, ihm in die<br />

nächste Bar zu folgen.<br />

Es wird gesagt, dass «Charles Bukowskis Potential nie<br />

vollumfänglich erkannt wurde und sich ausserhalb seiner<br />

Bücher auch nicht realisieren lasse», doch der Film «Factotum»<br />

wird dem Original auf eine sehr respektvolle Art<br />

und Weise gerecht und ist zudem äusserst unterhaltsam.<br />

Der Film dauert 93 Minuten und kommt am 19.1.2006<br />

in die Kinos.<br />

SONJA WENGER<br />

K I N O<br />

TRATSCHUNDLABER<br />

23<br />

■ Da sucht man nun nach Klatsch und Tratsch, der<br />

wenigsten eine kurze Refl exion wert ist und man fi ndet<br />

nichts als Stuss! Ex-Music-Star Daniel Kandelbauer<br />

treibt es fast wie die Grossen, zertrümmert Möbel<br />

und seinen guten Ruf bei den Schwiegermüttern.<br />

Geht es nach dem Blick, so sind Michelle und Eros<br />

fast wieder zusammen und gemäss dem Neuen Blatt<br />

oder der Neuen Post, egal, sind Charles und Camilla<br />

schon fast wieder getrennt.<br />

Kate Moss hat ihr Comeback mit neuem Vertrag<br />

und Abschluss der Reha-Klinik fast geschafft und unser<br />

Ex-Mister Schweiz Robert Ismajlovic steht demnächst<br />

fast in «The Full Monty» auf der Bühne. Auch<br />

eine von Bin Ladens Nichten zieht sich jetzt für ein<br />

Amerikanisches Magazin fast aus. Sie will sich endlich<br />

von ihrem berühmten Onkel abgrenzen. So hat<br />

wohl jeder und jede seine eigenen Methoden, sich<br />

von den 400 anderen Familienmitglieder zu unterscheiden.<br />

Tja! Fast nichts ist so vergänglich wie Klatsch, und<br />

mit den Neuigkeiten von heute wird morgen dann der<br />

Fisch auf dem Markt eingewickelt. Apropos Markt:<br />

was tut eigentlich unsere amtierende Miss Schweiz?<br />

Gemäss einer Studie und sich häufenden Aussagen<br />

von Betroffenen fühlen sich ja fast dreiviertel aller<br />

Frauen schlechter, nachdem sie ein buntes Heftchen<br />

konsumiert haben. Der unausweichliche Vergleich<br />

drückt halt auf‘s Gemüt, und wer benutzt schon In-<br />

Style, Elle, Vogue, Glamour, Tatler und wie sie alle<br />

heissen mögen als reine Informationsquelle? Zum<br />

Glück ist das ensuite schwarz-weiss, die Guetzlifresstage<br />

nun fast vorbei und noch nicht ganz Ostern!<br />

Noch ein paar Tipps für den Januar: Unbedingt<br />

das Jahreshoroskop für 2006 aufbewahren und<br />

nächsten Dezember mit 2007 vergleichen. Ein amüsanter<br />

Zeitvertreib für die nächsten Festtage, denn es<br />

ist wahrscheinlich fast identisch. Und: Wenn jemand<br />

im Zug so laut telefoniert, dass man fast gar nicht<br />

mehr weghören kann, sich unbedingt am Gespräch<br />

beteiligen. Oder sie verschlucken das Gerät wie jene<br />

Frau in Amerika, die ihrem Freund das Handy nicht<br />

ausleihen wollte. Immerhin eine (fast) kreative Konfl<br />

iktlösung.


24 D A S A N D E R E K I N O<br />

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Bald Kissenschlacht in der Cinématte?<br />

Stellen Sie sich vor: Sie gehen ins Kino und sitzen nicht<br />

wie gewohnt auf weichen, sondern auf unbequemen<br />

Stühlen. Vielleicht überlegen Sie sich dann beim nächsten<br />

Mal, ein Sitzkissen mitzunehmen - in der Cinématte<br />

könnte dies schon bald bittere Realität werden.<br />

Die katastrophale Überschwemmung im August hat<br />

unter anderem auch unsere neuen Kinostühle unter<br />

Wasser gesetzt und total zerstört. Das trifft uns besonders<br />

hart, zumal sie erst ein knappes Jahr in Gebrauch<br />

waren. Aus eigenen Mitteln können wir <strong>kein</strong>e neuen Sessel<br />

fi nanzieren.<br />

Helfen Sie mit, dass die Cinématte nicht zum ersten<br />

«Kino ohne bequeme Stühle» wird: Mit einem Stuhlsponsoring<br />

ermöglichen Sie uns die Beschaffung eines qualitativ<br />

hochwertigen und schön bequemen Sessels.<br />

halber Stuhl Fr. 150.00<br />

ganzer Stuhl Fr. 300.00<br />

zwei Stühle Fr. 600.00<br />

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Spendenkonto: PC 60-356351-7<br />

Vielen Dank!<br />

Die Wiedereröffnung fi ndet am 10. Februar 2006 statt.<br />

Mehr dazu demnächst auf diesen Seiten oder unter<br />

www.cinematte.ch.<br />

Yasmin (Von Kenny Glenaan, D/GB 2004, 87’, OV/d,<br />

Spielfi lm) Die junge pakistanische Immigrantin Yasmin<br />

lebt zwischen den Kulturen: Tag für Tag tauscht sie auf<br />

dem Weg zur Arbeit ihre weiten Gewänder gegen Jeans<br />

und öffnet ihre Haare. Damit unterscheidet sie sich<br />

kaum von den anderen jungen, pakistanischen Frauen in<br />

der nordenglischen Industriestadt, in der sie lebt. Doch<br />

die Verwandlung wird auf dem Nachhauseweg wieder<br />

rückgängig gemacht. Dabei ist ihre Familie <strong>kein</strong>eswegs<br />

fundamentalistisch, sondern einfach tief religiös. Yasmin<br />

kommt mit dem Leben zwischen beiden Stühlen<br />

zurecht, wenn mal einmal davon absieht, dass sie auf<br />

den Wunsch ihrer toten Mutter mit ihrem Cousin verlobt<br />

wurde. Doch als dieser die Aufenthaltsgenehmigung in<br />

der Tasche hatte, war die Ehe auch schon wieder vorbei,<br />

und so kann sie heute unbehelligt ihren Arbeitskollegen<br />

John anschwärmen – bis zu jenem unglücksseligen<br />

11. September 2001. Plötzlich sehen sich Yasmin<br />

und ihre Familie rassistischen Angriffen, dümmlichen<br />

Hasstiraden und grossem Misstrauen ausgesetzt, und<br />

ausgerechnet ihr bis dato ziemlich weltlicher Bruder<br />

entwickelt sich unter dem Druck der Ereignisse zum fanatischen<br />

Muslim.<br />

Regisseur Kenny Gleenan und Drehbuchautor Simon<br />

Beaufoy ist ein authentischer Blick auf die pakistanische<br />

Community in England gelungen, der differenziert und<br />

humorvoll die gesellschaftlichen Veränderungen nach<br />

dem 11. September 2001 aufzeigt. (Ab 12.1.2006)<br />

Le Souffl e du Désert (Von François Kohler, Kanada /<br />

Schweiz 2004, 80’, F/d, Doku) Wie erleben heute die<br />

Männer Ihre Männlichkeit? Mit diesem Dokumentarfi lm<br />

verfolgt der Regisseur einen Trek in der Wüste von Tunesien,<br />

wo sich Männer in einem Selbstentwicklungsprogramm<br />

mit ihrer Identität auseinandersetzen. Die Beherztheit<br />

der Männer, die offen über ihre Gefühle reden,<br />

hängt damit zusammen, dass sie den Mut haben, sich<br />

diesen Fragen zu stellen und sie vor allem zur Sprache<br />

zu bringen. Denn genau daran fehlt es der Männerwelt<br />

am schmerzlichsten. Eine Aussprache, die sich von allen<br />

Konventionen und Gewohnheiten loslöst und Gefühle<br />

offen darlegt. (Ab 19.1.2006)<br />

Best of Bern Auftakt des neuen Kinojahres gibt das<br />

Auswahlprogramm der kantonalen Kommission für Foto<br />

und Film. Gezeigt werden Filmarbeiten, die letztes Jahr<br />

für den kantonalen Filmpreis eingereicht wurden und<br />

in die engere Wahl gekommen sind. Die beiden preisgekrönten<br />

Werke «Katzenball» von Veronika Minder<br />

(Filmpreis 2005) und «Nach dem Fall» von Marcel Wyss<br />

(Anerkennungspreis 2005) sind beides Werke, die, wie<br />

auch «Hors Temps» von Jeanne Berthoud und «Erinnern»<br />

von Bruno Moll, einem dokumentarischen Filmstil<br />

verpfl ichtet sind, diesen gleichzeitig weiterentwickeln<br />

und neu prägen. «Die Vogelpredigt» von Clemens Klopfenstein<br />

schliesslich ist mit dem Filmmusikpreis 2005<br />

bedacht worden.<br />

Jean-Louis Trintignant (bis Mitte Februar) Spätestens<br />

seit Claude Lelouchs Film «Un homme et une<br />

femme» (1966) zählt Jean-Louis Trintignant zu den gefragtesten<br />

Charakterschauspielern des französischen<br />

und italienischen Kinos der 60er und 70er Jahre. Trintignant<br />

ist vorwiegend in gesellschaftskritischen Filmen<br />

und Politthrillern zu sehen, wo er das schauspielerische<br />

Repertoire der Film-noir-Figuren perfekt beherrscht. Er<br />

arbeitete mit Regiegrössen wie Claude Chabrol, Bernardo<br />

Bertolucci, Eric Rohmer und Ettore Scola zusammen.<br />

1968 wurde er in Berlin für die Hauptrolle in Robbe-Grillets<br />

«L’homme qui ment» ausgezeichnet, und 1969 in<br />

Cannes für die Rolle in Costa-Gavras Polit-Thriller «Z».<br />

Unvergesslich sind auch seine Auftritte in den letzten<br />

Filme zweier grosser Meister: in François Truffauts «Vivement<br />

dimanche» und Krzysztof Kieslowskis «Trois<br />

couleurs: rouge».<br />

KUNST UND FILM Franz Gertsch - Filme zur Ausstellung<br />

- Eine fi lmische Einführung in das Leben und<br />

Werk von Gertsch gibt der Dokumentarfi lm «Die wirklichere<br />

Wirklichkeit» von Peter K. Wehrli. Das glamouröse<br />

Spiel mit Geschlechtsidentitäten prägt nicht nur das<br />

Frühwerk von Franz Gertsch sondern ist auch Thema in<br />

Nicolas Roegs «Performance» (GB 1970), ein heute fast<br />

vergessenes Filmjuwel dieser Zeit. Das fi lmische Epos<br />

«Apocalypse Now Redux» von Francis Ford Coppola<br />

schliesslich bringt das Kriegstrauma der 68er Generation<br />

zur Sprache.


KI O<br />

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Aufstand, Widerstand - weltweit. Einer der eindrücklichsten<br />

Filme in der Reihe «Internationale Auf- und<br />

Widerstände» ist «Sobibór, 14 octobre 1943, 16 heures».<br />

Claude Lanzmann, der 1985 mit seinem 9-stündigen<br />

Monumentalwerk «Shoa» ein grundlegendes Werk zum<br />

nationalsozialistischen Völkermord geschaffen hatte,<br />

dokumentiert in «Sobibór» den einzigen gelungenen<br />

Aufstand in einem deutschen Vernichtungslager. Am 14.<br />

Oktober 1943 gelang es mehreren Häftlingen, ihre Aufseher<br />

zu töten und zu fl iehen. Es sind nicht alleine die<br />

Fakten, die Lanzmann hier beleuchtet, der Film ist eine<br />

radikale Analyse der Rebellion. (13.1.2006)<br />

Tour de Lorraine Neben neuen globalisierungskritischen<br />

Filmen ist am 14. Januar «The Corporation» des<br />

Kanadiers Mark Achbar zu sehen, eine beachtenswerte<br />

Fundamentalkritik an der wichtigsten Organisationseinheit<br />

des Kapitalismus. (auch am: 21./28.1.2006)<br />

Wut und Verzweifl ung der Ausgegrenzten Die jüngsten<br />

Vorfälle in den französischen Banlieues sind Anlass für<br />

einen Filmzyklus im Kino in der Reitschule. Die Filme erzählen<br />

von ImmigrantInnen, Arbeitslosen und Alten, von<br />

Menschen, die in der französischen Gesellschaft <strong>kein</strong>en<br />

Platz mehr haben, <strong>kein</strong>e Jobs mehr kriegen, die wertlos<br />

geworden sind für die leistungsorientierte Gesellschaft.<br />

Mehdi Charefs «Le thé au harem d’Archimède», «La<br />

Haine» von Mathieu Kassovitz und «Wesh Wesh – Was<br />

geht denn hier ab?» von Rabah Ameur-Zaïmeche sind<br />

alles präzise Inszenierungen, die schonungslos die soziale<br />

Zeitbombe analysieren und dabei die zentralen Themen<br />

von Gewalt und ihren Folgen, von Solidarität und<br />

Ohnmacht in eindringlichen Bildern verdichten. Der Dokumentarfi<br />

lm «La rasion du plus fort» von Patric Jean<br />

zeigt nicht nur die neuen Formen von Diskriminierung<br />

in unserer Gesellschaft auf, sondern der Regisseur stellt<br />

die Frage nach dem Sinn eines Repressions- und Justizsystems,<br />

das die Lage einer ohnehin schon randständigen<br />

Bevölkerung weiter verschlechtert.<br />

(19.1. - 11.2.2006)<br />

The Weather Underground 1969 fanden die «Days of<br />

Rage» der Weather Underground Organisation statt:<br />

Die militante Splittergruppe versuchte die Amerikaner<br />

durch Anschläge auf Militär- und Regierungseinrichtungen<br />

wachzurütteln, auf den herrschenden Rassismus<br />

aufmerksam zu machen und den Vietnamkrieg zu stoppen.<br />

Anhand von Archivmaterial aus Medien, dem Archiv<br />

des FBI, Amateurmaterial und Aussagen von Zeitzeugen<br />

gelingt es Sam Green und Bill Siegel mit ihrem<br />

Film, ein authentisches, facettenreiches Bild der damaligen<br />

Vorkommnisse wiederzugeben. (9.1. 20.00 h)<br />

Animationsfi lme Zusammen mit dem StudentInnenfi<br />

lmclub werden 3 Trickfi lmklassiker präsentiert: Der<br />

Mangafi lm «Ghost in the Shell» (1995) von M. Oshii,<br />

durch seine Technik wegweisend im Animationsfi lm-<br />

Genre, wirft die Frage auf, ob die Sterblichkeit der Menschen<br />

bald einmal Geschichte sein wird (11.1. 20:00 h),<br />

«Alice in Wonderland» (1951) von C. Geronimy taucht<br />

ab in eine wundersame Unterwelt (18.1. 20:00 h) während<br />

die Politsatire «Animal Farm» von J. Halas und J.<br />

Bachelor die Diktatur allgemein und den Stalinismus im<br />

Besonderen anprangert (25.1. 20:00 h).<br />

Roma Als Rahmenprogramm zur Tagung «Roma unter<br />

uns» der Organisation Offenes Haus «La Prairie» beleuchtet<br />

die Filmreihe die Welt der Roma, ihre Kultur, ihr<br />

Schicksal als Vertriebene und Randständige und zeigt<br />

ihre Perspektiven auf. Im Stadtporträt «Shutka» von A.<br />

Manic wird die inoffi zielle Hauptstadt der Roma vorgestellt<br />

(28.1. 20:00 h), ein Programm mit aktuellen Dokumentarfi<br />

lmen refl ektiert die Situation im Kosovo (29.1.<br />

10:00 h), ein weiteres Schwerpunktprogramm die Lage<br />

der Roma in der Slowakei (29.1. 14:00 h). Dass Roma<br />

seit den Anfängen der Filmgeschichte als melodramatischer<br />

Stoff und Projektionsfl äche von eigenen Ängsten<br />

benutzt wurden, zeigen verschiedene Stummfi lme aus<br />

den Jahren 1904-1906 mit Livebegleitung von A. Bugs,<br />

I. Prato und P. Fischer (30.1. 20:00 h). «Gelem Gelem»<br />

von M. Hielscher und M. Heeder erzählt, wie eine abgeschobene<br />

ethnische Minderheit den Teufelskreis von<br />

Verelendung, Kriminalisierung und Abschiebung zu<br />

durchbrechen versucht. (31.1. 20:00 h).<br />

25<br />

CARTE BLANCHE, Zweiter Teil: Auch die Filme im Januar<br />

konnten von der Barcrew ausgewählt werden - als<br />

Dank für ihre freiwillige und engagierte Arbeit an der<br />

FILMPODIUM-Kinobar.<br />

1./2.1. «Amores perros» Alejandro González Iñárritu,<br />

2000 - «Short Cuts» in Mexico City: Bei einem Autounfall<br />

in der 20 Millionen-Stadt prallen drei höchst unterschiedliche<br />

Leben aufeinander...<br />

6./7.1. «Angst essen Seele auf» Rainer Werner<br />

Fassbinder, 1973 - Fassbinder thematisiert hier Migration<br />

und Isolation in einem Film über eine ungleiche Liebe:<br />

In einer Kneipe trifft Emmi auf den Marokkaner Ali.<br />

Er fordert sie zum Tanz auf und zwischen den beiden<br />

entsteht eine grosse Zuneigung. Doch mit ihrer Liebe<br />

stossen sie alle vor den Kopf.<br />

8./9.1. «No man’s land» Danis Tanovic, 2001 - Bosnienkrieg<br />

1993. In einem Schützengraben zwischen den<br />

verfeindeten Fronten, mitten im Niemandsland, stossen<br />

zwei Soldaten aufeinander: der kriegserfahrene Bosnier<br />

Ciko und der junge Serbe Nino...<br />

13./14.1. «The shipping news» Lasse Hallström, 2001<br />

- Ein Einzelgänger fl üchtet nach dem Scheitern seiner<br />

Ehe in die Heimat seiner Vorfahren - ins frostige, entlegene<br />

Neufundland. Mit Kevin Spacey, Judi Dench, Julianne<br />

Moore und Cate Blanchett.<br />

15./16.1. «Trafi c» Jacques Tati, 1971 - Monsieur Hulot<br />

(Jacques Tati) ist Werbefachmann in der Autobranche.<br />

Er hat ein supermodernes Wohnmobil entworfen, das<br />

er im Amsterdamer Autosalon vorstellen soll. Doch auf<br />

dem Weg dorthin kommt es zu allerhand Pannen und<br />

anderen Verwicklungen, die dafür sorgen, dass er erst<br />

ankommt, als die Automesse schliesst...<br />

20./21.1. «Eleni - die Erde weint» Theo Angelopolous,<br />

2003 - Eleni liebt den Sohn eines Mannes, der sie selber<br />

zur Frau haben will, und fl ieht mit ihrem Geliebten. Angelopoulos<br />

Film ist der erste Teil einer Trilogie, welche<br />

die gesamte (griechische) Geschichte des 20. Jahrhunderts<br />

umfassen soll.<br />

22./23.1. «Auch Zwerge haben klein angefangen»,<br />

Werner Herzog, 1969 - Eine Erziehungsanstalt mit Kleinwüchsigen.<br />

Der Direktor und die meisten Zöglinge sind<br />

auf einem Ausfl ug. Die aus disziplinarischen Gründen<br />

Zurückgelassenen planen nun einen Aufstand...


26 L I F E S T Y L E<br />

ECM news<br />

■ Stern des Meeres. Drei engelsgleiche Sopranstimmen<br />

aus Skandinavien. Kunstwerke des 13. und 14.<br />

Jahrhunderts aus England und Frankreich und eine<br />

2002 für das Ensemble geschriebene Missa Lumen<br />

de Lumine der koreanischen Komponistin Sungji<br />

Hong (22 Jahre alt!). «Die Gruppe ist atemberaubend»,<br />

meint ein Journalist vom Wall Street Journal.<br />

Und recht hat er. Mit der Unterstützung des ehemaligen<br />

Hilliard-Tenors John Potter, hat ECM ein überragendes<br />

Klanggefüge der klassischen Vokalmusik<br />

produziert. Es ist das dritte in der Folge – weitere<br />

Produktionen sind auf der Wunschliste. Wenn es so<br />

etwas wie Sonntagsmusik gibt, so gehörte Trio Mediaeval<br />

zu den Standardinterpreten.<br />

Das Trio Mediaeval ist die Reise wert. Diese führt<br />

uns nicht nur Jahrhunderte zurück und erzählt uns<br />

musikalisch von einem früheren Leben, sondern<br />

transferiert diese Geschichten in unsere Zeit. Das<br />

hat etwas Eigenwilliges, denn die Gesänge wurden<br />

einst von Männern gesungen. Eine Sängerin meint,<br />

es sei das Ziel, aus der Vergangenheit zu holen, was<br />

für die Gegenwart von Relevanz ist. Und sie nähmen<br />

sich die Freiheit, den Mangel an Offensichtlichkeit als<br />

kreative Chance zu verstehen. Welch Adel der interpretierten<br />

Kunst.<br />

Die Magie liegt im Klangraum, in der Leichtigkeit<br />

der polyphonen Stimmen, in der Sensibilität. Die<br />

Stimmen schweben über den Raum, über den Körper<br />

und berühren ihn sanft, geführt und getragen. Jeder<br />

Lufthauch scheint geplant. Wie Ideen streicheln sie<br />

uns. Es sind nur Stimmen zu hören. Mehr nicht. Doch<br />

das Konzept geht auf, auch wenn wir uns zu Beginn<br />

der Gleichförmigkeit entziehen wollen. Nehmen wir<br />

uns etwas Zeit für ein Stück vergangene Zukunft.<br />

(vl)<br />

Trio Mediaeval sind: Anna Maria Friman (voc), Linn<br />

Andrea Fuglseth (voc), Torunn Ostrem Ossum (voc).<br />

Stella Maris - ECM New Series 1929<br />

476 3021<br />

MARTA NAWROCKA’S TUCHFÜHLUNG:<br />

ALTE HEMDEN –<br />

NEUES JAHR<br />

■ Und jetzt sag mal, wann kommst du wieder? Und dann<br />

wüsste ich noch gerne: warst du jemals da? Weil, ich<br />

kann mich an so etwas erinnern, an eine phänomenale<br />

Kraft, an ein Bild, in dem nur du scharf eingestellt warst<br />

und uns die Welt drumherum in verschwommenen<br />

Wölkchen wie ein weicher Sirup umgab. Meine<br />

Gedanken und Bewegungen wurden dadurch angenehm<br />

langsam und zäh, deine immer messerscharf. Du<br />

schienst immer zu wissen, warum und wieso – ich<br />

wurde immer in irgendetwas hineingestellt wie ein<br />

Versuchskaninchen. Obwohl ich wusste, dass gerade ich<br />

und nicht irgendeine, im Gegensatz zum Kaninchen. Ich<br />

nahm teil an einem Spiel, aber mir wurde nie erklärt,<br />

wie genau ich zu meinem Gewinn kommen würde – dem<br />

Gewinn, dir und meiner Zeit mit dir und deiner Kraft und<br />

deiner Entschlossenheit. Die sowieso nur du hattest, ich<br />

war ja jeweils meiner Sinne beraubt, aber das hast du<br />

gut gemacht, mich vorsichtig wie eine Blinde behandelt,<br />

obwohl ich ja in genau diesen Augenblicken sah wie nie<br />

zuvor. Und die Bilder mit dir hängen wie ausgetragene<br />

Hemden in meinem Kleiderschrank, die vielmals, aber<br />

nie zum richtigen Anlass getragen worden sind. In einem<br />

Hemd ist ein Loch, als ich versucht hab, auf die andere<br />

Seite zu schauen, was grausam fehlgeschlagen ist.<br />

Die andere Seite lässt sich nicht so einfach über’s Ohr<br />

hauen. Oder der kleine Fleck von meinem Blut am Ärmel,<br />

als ich versucht hab, auf die andere Seite von mir zu<br />

schauen. Auch fehlgeschlagen, da ist alles rot und nass<br />

und warm, aber <strong>kein</strong>e Spur von dir. Daraufhin gab‘s ein<br />

paar verkrustete Salzfl ecken, dort, wo ich nach meiner<br />

verdammt naiven Suchaktion nach einem Überbleibsel<br />

von dir meine klägliche Ohnmacht mit ein paar Tränen<br />

feierte. Und ja, mittlerweile bin ich sogar nicht mehr<br />

so gut auf dich zu sprechen, ich glaube nicht mehr an<br />

dich, verdränge dich, versuche sogar ansatzweise in<br />

der Realität zu leben, verdammt schwer ist das. Aber<br />

es wird irgendwann funktionieren und ich werde meine<br />

Fieberträume mit dir als Verwirrtheit in einem gewissen<br />

Altersabschnitt abtun und mich den wirklich wichtigen<br />

Dingen im Leben widmen, dem Preisvergleich bei<br />

Waschmitteln oder dem Wetter in zwei Wochen oder<br />

dem Tratsch über den Mann von Frau Kowalski zum<br />

Beispiel. Dann wirst du samt den alten Hemden völlig<br />

verschwunden sein, ein Teil von mir ebenfalls und alles<br />

wird gut. So geht das.<br />

TANGOID SOUS LE PONT<br />

■ Der Tango, in Buenos Aires entstanden und von der<br />

Gesellschaft als zu anrüchig abgelehnt, wurde via dem<br />

mondänen Paris auch an seiner Geburtsstätte rehabilitiert<br />

und hält nun auch im Sous le Pont Einzug: Ab Januar<br />

des kommenden Jahres wird jeden letzten Sonntag<br />

im Monat eine Tangonacht zelebriert.<br />

Es ranken sich viele Legenden und Mythen um die<br />

Geburt des Tango Argentino. Je nach Quelle werden<br />

einzelne Stadtteile von Buenos Aires als Geburtsstätte<br />

ausgemacht, einige verlegen den Ursprungsort sogar<br />

nach Montevideo im angrenzenden Uruguay.<br />

Einig ist man sich einzig darin, dass der Tango Ende<br />

des neunzehnten Jahrhunderts in einem Bordell entstanden<br />

ist und nach anfänglichen Ressentiments seinen<br />

festen Platz im Leben und der Kultur von Buenos<br />

Aires eingenommen hat und heute vor allem mit dieser<br />

Stadt in Verbindung gebracht wird.<br />

Die Entstehung des Tango fi el exakt in die Zeit, in<br />

welcher die argentinische Regierung versuchte, die<br />

Pampa zu zivilisieren. Argentinien, damals dank seiner<br />

Kornexporte das reichste Land der Erde, orientierte<br />

sich stark an Europa. Vor allem die europäische Kultur<br />

und der Grad der Zivilisation wurden in Argentinien bewundert.<br />

Und so wurde der Versuch unternommen, Einwanderer<br />

aus Europa anzulocken. Doch statt kulturelle<br />

und zivilisatorische Impulse setzen zu können, haderten<br />

die Einwohner mit den rauen Bedingungen der Pampa.<br />

In der Hoffung auf ein besseres Leben in der Stadt, zogen<br />

sie in schäbige Mietskasernen an der Peripherie von<br />

Buenos Aires, wohin ihnen bald der Tango folgen sollte.<br />

Der feinen argentinischen Gesellschaft jedoch missfi<br />

el das anrüchige Umfeld des Tango und wurde von dieser<br />

- zumindest öffentlich - nicht getanzt.<br />

Und so will es die Legende, dass ein wohlhabender<br />

Geschäftsmann bei einer der damals üblichen jährlichen<br />

Reise in das mondäne Paris, die Musik und den Tanz des<br />

Tango in Frankreichs Hauptstadt einführte.<br />

In der Pariser Gesellschaft breitete sich im Laufe der<br />

folgenden Jahre ein wahrhaftiges Tangofi eber aus. Für<br />

das Establishment von Buenos Aires war Paris damals<br />

das modische Zentrum, von den jährlichen Reisen wurden<br />

Kleider und alles andere was gerade «en vogue»<br />

war, in die Heimat importiert. Und so wurde paradoxerweise<br />

der Tango, in der feineren Gesellschaft von Buenos<br />

Aires so populär, dass er heute zum kulturellen Erbe<br />

Argentiniens gehört.<br />

Im Restaurant der Reithalle, dem Sous le Pont, fi ndet<br />

sich ab kommenden Januar jeden letzten Sonntag<br />

im Monat eine zusätzliche Gelegenheit, dem Tangofi eber<br />

zu frönen. Dabei wird vor allem Wert darauf gelegt,<br />

möglichst viele Tangointeressierte aus verschieden Szenen<br />

anzusprechen.<br />

Alle infi zierten, ob 45° Celsius oder erhöhte Temperatur<br />

sind an der Tangonacht willkommen. Wer sich erst<br />

in der Inkubationszeit befi ndet, kann die ersten Schritte<br />

am vorangehenden Crashkurs einstudieren. (zVg)


CHRISTINE WANNER<br />

VON MENSCHEN UND MEDIEN<br />

Alles wird besser - wohlklingende Radio-Konzepte im Januar<br />

■ Mitternacht. Feuerwerk schiesst in die Luft, erhellt<br />

den nächtlichen Himmel. Die Korken knallen und das<br />

Feiern zum neuen Jahr darf so richtig ausgelassen werden.<br />

Wenn das Jahr 2006 beginnt, endet das Programm<br />

auf der Frequenz 97.7 und 98.4 MHz. Schliesslich interessieren<br />

sich von Konolfi ngen bis Schwarzenburg zuwenig<br />

HörerInnen für Radio Extra Bern. Zu gering wäre der<br />

Marktanteil in den vergangenen Jahren gegenüber der<br />

lokalen Konkurrenz Radio BE1 und den DRS-Programmen<br />

ausgefallen, meldet Radio Extra Bern.<br />

Allerdings: Wer auf 97.7 und 89.4 MHz nachmitternächtliches,<br />

sphärisches Rauschen erwartet, liegt falsch.<br />

Musik und Werbung zum Discount-Preis sind angesagt.<br />

Weitere Informationen nicht vorgesehen. Zumindest<br />

nicht sofort. Die Hörerschaft wird sich wohl gedulden<br />

müssen bis zum 23. Januar. Dann nämlich, dann wird<br />

alles besser. Vielmehr: Dann klingt alles besser und es<br />

heisst Capital FM.<br />

Gleiches unter neuem Label? Ein Etiketten-Schwindel<br />

also? Die Menschen hinter dem neuen Medium bleiben<br />

dieselben. Beinahe zumindest. Zur Verstärkung hat das<br />

Team von Frederik Stucki klingende Namen wie Sacha<br />

Gamper und Nicola Bomio angeheuert. Ihre bisherigen<br />

Erfolgsprojekte heissen Hitradio Ö3 und Energy Zürich.<br />

Weitere Details will die neue Radioleitung, die auch<br />

die alte ist, nicht ausposaunen. Schliesslich will das<br />

neue Radio auf dem Platz Bern sein noch zu gewinnendes<br />

Publikum überraschen.<br />

Nur soviel sei zur Beruhigung des vieldiskutierten<br />

Medienplatzes Bern gesagt: Keinesfalls zielt Capital FM<br />

auf die Hörerschaft von Radio BE1 ab, das seinerseits mit<br />

einem Relaunch den Marktanteil verdoppelte. Erklärtes<br />

Ziel des noch geheimgehaltenen Radio-Konzepts: Den<br />

beiden SRG-Programmen DRS 1 und DRS 3 HörerInnen<br />

abgewinnen.<br />

Das verlangt ein klares Musikkonzept, das den Rahmen<br />

der Hitradios mit den besten Hits aus den 70ern,<br />

80ern und 90ern sprengt. Auch verlangt es qualitativ<br />

hochstehende Informationen. Diese, soviel verrät die<br />

angehende Capital FM, werden «hauptstadtregional»<br />

ausgerichtet sein. Dynamisch, frisch.<br />

***<br />

Sollte dies nicht Ihren Ansprüchen entsprechen, so<br />

wartet drei Tage später die Schweizer Ausgabe von<br />

Radio Monte Carlo auf. Nach «capital» also «cosmopolitain».<br />

Denn laut Konzept richtet sich dieser Sender an<br />

ein Publikum mit gehobenen Ansprüchen und kosmopolitischem<br />

Lebensstil, an «sozial Bessergestellte».<br />

Neben Nachrichten (Was das wohl sein könnte? Steuertipps?<br />

Die neuesten Off-Shore-Destinationen?) will<br />

das Radio mit dem glamourösen Namen insbesondere<br />

gehobenen Pop liefern und die In-Music-Genres wie Nu-<br />

Jazz, Nu-Soul, Lounge und Chill out, die stilübergreifend<br />

und stilaufweichend jenen easy-listening Sound liefern,<br />

der niemanden wirklich stört und welcher Begleitmusik<br />

zu allem ist.<br />

C A R T O O N<br />

www.fauser.ch<br />

27<br />

Hinter dem wohlklingenden Konzept steht die private<br />

Sendegruppe Monte Carlo und für die Schweizer Ausgabe<br />

Giuseppe Scaglione, der sich mit Radio 105 einen<br />

Namen geschaffen hat.<br />

Nur: diese Wellen empfangen Sie nicht über UKW.<br />

Diese regional begrenzte Ausstrahlung würde dem Inhalts-<br />

und Musik-Konzept der Glamour-Station widersprechen.<br />

Deshalb hört Radio Monte Carlo Swiss, wer<br />

über einen komfortablen Breitband- oder zumindest<br />

Kabel-Anschluss verfügt.<br />

***<br />

Für all jene, die sich als WeltenbürgerInnen verstehen,<br />

sich aber 2006 weder mit dem neuen Lokalsender<br />

Capital FM noch mit dem trendigen, kosmopoliten Radio<br />

Monte Carlo anfreunden möchten, all jenen sei die<br />

UKW-Frequenz 95.6 MHz nahegelegt. Von Zollikofen<br />

via Worb, Köniz über Bümpliz klingt es hier nach Welt:<br />

Jiddisch-Griechisch, El Gato Calculista, wortraum wortreich,<br />

Espaço Brasil, Crepesuzette, Piazza Italia, Schnee-<br />

Radio, und, und.<br />

Na? Erkannt? Soviel sei verraten: Das Konzept hinter<br />

diesem Programm richtet sich weder nach Marktanteilen<br />

noch nach Werbeetats. Zielpublikum: ausnahmslos<br />

alle. Es strahlt werbefrei aus der Bundesstadt und nennt<br />

sich Radio RaBe. Klingt auch nicht schlecht, oder?


28<br />

M E N S C H E N<br />

EVA MOLLET<br />

daniel bohnenblust<br />

Saxmachine: Bean blows the horn<br />

■ Daniel Bohnenblust, Bean genannt, ist ein Energiebündel,<br />

das zunehmend zu mehr Ruhe fi ndet. Er ist dreiunddreissig<br />

Jahre alt, mittelgross, trägt Brille und einen<br />

Kurzhaarschnitt. Bean kauft sich selten Schuhe und Kleidung,<br />

aber wenn schon, dann Style und Qualität.<br />

Wer ihn im Konzert gehört und gesehen hat, wird es nicht<br />

vergessen: Mit seinem Altsaxophon wirbelt Bean über<br />

die Bühne und hat sichtlich Spass dabei. Seine Soli sind<br />

sowohl Kommunikation mit dem Publikum wie mit den<br />

Bandmitgliedern.<br />

Wie kommt das Saxophon zwischen Beans Hände?<br />

Daniel wächst in Burgdorf auf. Seine Mutter ist Sekretärin<br />

und Hausfrau, sein Vater EDV-Spezialist und Hobbymusiker.<br />

Er spielt Sax und Klarinette. Die väterliche Plattensammlung<br />

ist vielseitig: Swing, Gospel, Boogie Woogie<br />

und Jazz.<br />

Daniels musikalische Laufbahn beginnt als Siebenjähriger<br />

mit der Blockfl öte. Mit zehn Jahren steigt er auf die<br />

Klarinette um. Mit zwölf folgt der Wechsel auf das Sopransax,<br />

mit fünfzehn fi ndet er zum Altsaxophon. Daniel<br />

hört sich <strong>kein</strong>e Hitparaden an, wie es die meisten anderen<br />

Jugendlichen tun, er verehrt Louis Armstrong. Trotzdem<br />

ist er <strong>kein</strong> Aussenseiter, mit seiner extrovertierten<br />

Art schafft er es, auch andere für «seine» Musik zu begeistern.<br />

Die ersten Auftritte hat Daniel mit der Kadettenmusik.<br />

Marschmusik und Pseudo-Swing wird gespielt. Da kommt<br />

er mit Leuten in Kontakt, die in einer Dixielandband spielten.<br />

Mit dreizehn tritt er regelmässig an den Dixie-Brunches<br />

in Burgdorf auf. Daniel mag es zu improvisieren. Die<br />

Musik treibt ihn voran, das Sax und die Lust zu spielen,<br />

sind sein Motor. Er will weiter. Mit fünfzehn Jahren wird<br />

Daniel zu Bean: Er ist einer der Jüngsten in der allgemeinen<br />

Abteilung der Jazzsschule Bern. Er belegt drei Un-<br />

terrichtsstunden pro Woche. Das Noten lesen fi ndet er<br />

nicht so interessant, er will besser improvisieren lernen.<br />

Neben der Musik sind für Bean der Sport und die Bewegung<br />

wichtig. Er fährt BMX. Skaten und Snowboarden<br />

haben es ihm ebenfalls angetan.<br />

In einem Skilager eröffnet sich für Bean eine neue Welt:<br />

der Funk. Zwei Jungs stellen ihm Musik aus dem Funkbereich<br />

und dem modernen Jazz vor, zum Beispiel Herbie<br />

Hancock and the Headhunters, Art Blakey und andere.<br />

Bald gründen die drei eine erste Jazz- und Funk-Band.<br />

Trotzdem lernt Bean vorerst einen «richtigen» Beruf.<br />

Er wird Hochbauzeichner. Was für ein Zufall, sein Lehrmeister<br />

ist auch ein Jazzfreak. Bean arbeitet nie auf<br />

diesem Beruf. Nach der Lehre übt er ein Jahr lang und<br />

absolviert anschliessend die Berufsschule der Jazzschule<br />

Luzern.<br />

Nebenbei hängt Bean viel rum mit anderen Musikern.<br />

Es wird viel gejamt. Daraus entsteht die Formation Grand<br />

Mothers Funck (GMF). Warum Funck statt Funk? «Keine<br />

Ahnung, wir waren pubertär. Funck liegt näher bei fuck<br />

und motherfucker fanden wir damals ein gutes Wort.»<br />

Bean ist der Frontmann, der sogenannte Master of Ceremonie,<br />

und er ist der Musical Director der ersten drei<br />

Alben. Das erste Album wird in Prag aufgenommen. Die<br />

Sängerin Sandy Patton ist special guest. Die Zeit ist günstig,<br />

die Schweiz surft gerade auf einer Funk-Revivalwelle.<br />

GMF spielen ca. achzig Konzerte pro Jahr. Bis heute gibt<br />

es von dieser Band fünf Studio- und drei Livealben. Das<br />

Konzept mit den Gastmusikern auf jeder CD bewährt sich<br />

und ist für alle Musiker der Band eine Bereicherung. Ein<br />

Highlight ist der Auftritt 1997 am Jazzfestival Montreux<br />

in der Miles Davis Hall. Unvergesslich das Zusammentreffen<br />

mit dem Godfather of Soul: Mit Lockenwicklern im<br />

Haar und einer Zahnbürste im Mund begrüsst er seine<br />

Bild: Eva Mollet<br />

Vorgruppe. Die GMF spielen auch als Supportact von Fred<br />

Westley, Maceo Parker, Candy Dulfer und andere. Alles<br />

weitere ist nachzulesen auf www.gmf.ch<br />

Bean spielt auch in anderen Formationen. Lange<br />

macht er alle Projekte gleichzeitig, mit maximalem Energieaufwand.<br />

Er spielt sich in eine Erschöpfung. Plötzlich<br />

ist sie da, auf einer Tournee kann er nicht mehr schlafen.<br />

«GMF, Funk und Jazz waren meine ganze Lebensphilosophie.<br />

Heute ist die Musik für mich mehr zum Beruf<br />

geworden. Ich kann mich besser distanzieren. Ich versuche,<br />

die Energie auf der Bühne und im Leben vermehrt<br />

aus der Ruhe heraus zu entwickeln, dann reicht sie länger<br />

aus.»<br />

Zum Ausgleich ist die Bewegung immer noch wichtig<br />

für Bean. Er joggt regelmässig durch den Wald und die<br />

Quartiere. Auch das Wandern beruhigt ihn. Ein anderer<br />

Ausgleich ist das Konstruieren von Lampen aus alten Gegenständen.<br />

Es ist lustig auf Flohmärkten geeignete Objekte<br />

aufzuspüren. Der Umbau einer alten Handwäschetrommel,<br />

eines Löchersiebs oder eines Gesichtsbräuners<br />

zur Lampe vollzieht sich meist schnell. In der Wohnung<br />

sind diese ausgefallenen Leuchten zu bewundern.<br />

Bean ist verbunden mit der Musikschule Matte. Dort<br />

verbringt er viel Zeit und investiert eine Menge Herzblut.<br />

Hier übt er täglich, komponiert und unterrichtet. «Der<br />

Hauptteil meines Übens ist das Weiterentwickeln von<br />

Klang und Technik. Ich versuche meine Kreativität dann<br />

zu packen, wenn sie kommt, ohne sie zu erzwingen. Das<br />

macht mehr Spass.»<br />

www.beanblows.ch


ensuite - kulturmagazin<br />

präsentiert die Kunst-Sonderbeilage:<br />

artensuite<br />

Wolfgang Laib<br />

Laib siebt Blütenstaub von Haselnuss,<br />

Installation: Toyato Municipal Museum of Art, Toyato<br />

City, Japan, 2003. ©2005 Wolfgang Laib,<br />

Foto: Tetsuo Ito, Kenji Taki Gallery, Nagoya.<br />

2927<br />

artensuite


30<br />

artensuite<br />

Wolfgang Laib - Das Vergängliche<br />

ist das Ewige<br />

Contemporary Voices<br />

- Die UBS Art Collection<br />

zu Gast in der Fondation<br />

Beyeler<br />

Fondation Beyeler, Riehen.<br />

Geöffnet täglich 10:00-18:00<br />

h, Mittwoch 10:00-20:00 h.<br />

Beide bis 26. Februar 2006.<br />

Von Blüten und Moneten<br />

■ Das selbsternannte Haus der klassischen<br />

Moderne, die Fondation Beyeler<br />

in Riehen bei Basel, zeigt diese Tage<br />

gleich zwei Ausstellungen eben nicht<br />

der klassischen Moderne, sondern mit<br />

Gegenwartskunst. Und sie könnten unterschiedlicher<br />

nicht sein. Stille und<br />

Kontemplation, Natur und Leben bei<br />

von Dominik Imhof<br />

Wolfgang Laib, der mit minimalen<br />

Zutaten Schönes erschafft; und andererseits<br />

der visuelle Lärm der UBS<br />

Collection, die zwar mit meisterlichen<br />

Werken entzückt, jedoch als Ganzes<br />

kaum zu begeistern vermag.<br />

Wolfgang Laib Mitten auf dem Boden<br />

in einem ansonsten vollkommen<br />

leeren Raum breitet sich ganz sanft<br />

ein zitronengelbes Feld aus. Die Ränder<br />

sind nicht exakt gezogen, sondern<br />

bilden einen feinen Übergang zum<br />

Weiss des Bodens. Das kleine Feld ist<br />

in seiner unglaublichen Leuchtkraft<br />

und Intensität berührend, strahlend<br />

und flimmernd hebt es sich ab, scheint<br />

im weissen Kubus zu schweben: «Blütenstaub<br />

von Löwenzahn» nennt Wolfgang<br />

Laib dieses Werk. In langwierigem<br />

Suchen und Sammeln füllt er im<br />

heimatlichen Oberschwaben ganze<br />

Gläser mit Blütenstaub, die er jeweils<br />

selbst in seinen Ausstellungen in einem<br />

durchaus meditativen Prozess auf den<br />

Boden siebt. Fotos von Laib bei dieser<br />

Tätigkeit haben beinahe dieselbe Bekanntheit<br />

erreicht wie die Blütenstaubarbeiten<br />

selbst (ähnlich den Fotos von<br />

Jackson Pollock).<br />

Seit den 1970er Jahren entwickelt<br />

Laib (1950 geboren) seine Arbeiten im<br />

und mit dem Raum kontinuierlich weiter.<br />

Nur eine handvoll Motivgruppen<br />

sind entstanden, mit denen er sich immer<br />

wieder in unerschöpflicher Ausdauer<br />

beschäftigt. Findlinge, Milch,<br />

Blütenstaub, Bienenwachs und Reis<br />

sind seine Materialien. Zentral ist die<br />

Arbeit mit Blütenstaub, Bienenwachs<br />

und Reis. Diese natürlichen, organischen<br />

Materialien scheinen etwas<br />

vollkommen Archaisches zu beinhalten<br />

- Urstoffe des Lebens schlechthin.<br />

Blütenstaub in seiner unendlichen<br />

Haltbarkeit, Feinheit und seiner<br />

Funktion als Samen; Bienenwachs als<br />

Verdauungsprodukt der Biene, die das<br />

Wachs zum Bau der Waben verwendet;<br />

und Reis als eines der wichtigsten<br />

Grundnahrungsmittel. Laib verbindet<br />

sie mit anorganischen Materialien: In<br />

den «Milchsteinen» ist es Milch, die<br />

sich in einer hauchdünnen Vertiefung<br />

einer Marmorplatte befindet: fest und<br />

flüssig, hart und weich, anorganisch<br />

und organisch. Jeden Abend wird die<br />

Platte gesäubert, jeden Morgen wird<br />

frische Milch eingefüllt, ganz prozessual<br />

und ähnlich rituellen Waschungen<br />

und Trankopfern des Hinduismus.<br />

Immer wieder gibt es diesen Bezug<br />

zu anderen Kulturen, Asien, vor<br />

allem Indien, Tibet aber auch Anatolien.<br />

Die ersten Skulpturen von Laib<br />

sind eierförmige Steine, deren Form<br />

er aus Findlingen herausmeisselt.<br />

Später nennt er sie «Brahmanda» und<br />

bezieht sich so auf den hinduistischen<br />

Schöpfungsmythos, nach dem aus<br />

dem goldenen Welten-Ei der Urgott<br />

der Schöpfung entstieg. So steht nicht<br />

nur am Anfang der Ausstellung in der<br />

Fondation Beyeler ein «Brahmanda»,<br />

sondern ganz programmatisch am Anfang<br />

von Laibs Schaffen. Eine weitere<br />

Motivgruppe zeigt Reismahlzeiten und<br />

-häuser. Anordnungen von Reis auf<br />

einfachen - nach indischem Muster gearbeiteten<br />

- Messingtellern, oder aber<br />

kleine Häuser, die teils auf Reishaufen<br />

erstellt sind. Es sind jeweils ganz<br />

archaische Formen, Kegel und Kuben<br />

mit Satteldächern, mit Siegellack verschlossen,<br />

und an Gräber oder Schreine<br />

erinnernd: Jedoch, sie beherbergen<br />

nichts!<br />

Diese ganz minimalistisch erscheinenden<br />

Arbeiten, die lautlos und fein<br />

den Raum bespielen, weitet Laib in<br />

seinem weiteren Schaffen aus. Nun<br />

sind es ganze Räume, die Laib hinter<br />

Schichten von Bienenwachs oder zinnoberrotem<br />

Schellack und schwarzem<br />

Burmalack versteckt. Besonders ein<br />

mit Bienenwachs ausgekleideter Raum<br />

wird zum sinnlichen Erlebnis, nicht nur<br />

die Honigfarbe fasziniert, sondern vor<br />

allem der süssliche Duft des Wachses.<br />

Eine ganzheitliche Weltvorstellung präsentiert<br />

Laib. Seine Materialien zeigen<br />

dies, aber auch sein Bezug zu bestehenden<br />

und verschwundenen Kulturen aus<br />

Ost und West: «Es ist doch sehr schön,<br />

wenn an ganz verschiedenen Orten und<br />

zu ganz verschiedenen Zeiten diesel-<br />

ben oder ähnliche Gedanken und Ideen<br />

erscheinen - und Teil von dieser Ganzheit<br />

zu sein, als Individuum, ist noch<br />

schöner.» Und gleichzeitig ist Laib ein<br />

zeitgenössischer Künstler, der östliche<br />

und westliche Spiritualität aufnimmt<br />

und verbindet. Es ist ein Erlebnis der<br />

Sinne, diese Ausstellung zu durchstreifen,<br />

ihre Stille und Ruhe einzusaugen,<br />

sich einzulassen auf die archaischen<br />

Formen und Materialien.<br />

UBS Collection Gleich daneben<br />

werden rund 70 Werke der UBS Collection<br />

gezeigt, die vor kurzem im<br />

Museum of Modern Art in New York<br />

zum ersten Mal zu sehen waren. Vorwiegend<br />

aus der Sammlung von PaineWebber<br />

entstand ein umfangreiches<br />

Konvolut, das nun über 900 Werke beinhaltet<br />

- eine Firmensammlung. Donald<br />

B. Marron hat für PaineWebber<br />

mit sicherer und mutiger Hand Ankäufe<br />

getätigt, oft risikofreudig, denn viele<br />

Künstler waren damals noch wenig<br />

bekannt. Immer mit Blick auf die Räume<br />

der Firma kam praktisch nur Malerei<br />

und Fotografie in die Sammlung,<br />

Skulpturen und Videoarbeiten hätten<br />

<strong>kein</strong>en Platz in den Büros.<br />

An hellblauen Wänden sind die<br />

Werke sehr dicht - etwas zu dicht -<br />

präsentiert und oftmals sehr effekthascherisch<br />

beleuchtet, teils mit Spots ins<br />

Zentrum gerückt, teils verschwinden<br />

die Werke im Dunkeln - pure Show,<br />

als ob die Werke das nötig hätten! Die<br />

wichtigsten Namen seit den 1970er<br />

Jahren sind vorhanden. Abstraktion<br />

steht ganz klar im Zentrum. Da muss<br />

ein Franz Gertsch aus der Reihe fallen.<br />

Die Konfrontation von amerikanischer<br />

und europäischer Kunst ist wohl das<br />

Spannendste, dass die Ausstellung bietet.<br />

Aus Europa sind es vor allem englische<br />

und deutsche Künstler, darunter<br />

Lucian Freud oder Anselm Kiefer, die<br />

nun Künstlern wie Damien Hirst oder<br />

Ed Ruscha gegenübergestellt sind, hinzu<br />

kommen junge Namen wie Kiki<br />

Smith. Wer grossartige Einzelwerke<br />

sehen will, der ist hier gut bedient; wer<br />

mehr möchte kaum.


Von der Hand des Meisters<br />

■ Rembrandt ist nicht irgendein<br />

Künstler. Jeder kennt seinen Namen.<br />

Dass Rembrandt diesem Ruf mit Links<br />

gerecht wird, zeigen zwei Ausstellungen<br />

in Basel und St. Gallen. Inhaltlich<br />

sind sie äusserst ähnlich, denn<br />

beide Häuser zeigen Radierungen von<br />

Rembrandt aus privaten Sammlungen<br />

von Dominik Imhof<br />

und versuchen, diese in den weiteren<br />

Kontext des «Goldenen Zeitalters» in<br />

Holland einzubinden. Die Umsetzung<br />

ist jedoch grundverschieden ausgefallen.<br />

In Basel sind die Werke aus der<br />

Sammlung von Eberhard W. Kornfeld<br />

chronologisch ausgestellt, in den<br />

schönen Räumen des Kupferstichkabinetts.<br />

In St. Gallen sind die Werke<br />

aus der Sammlung von Albert W.<br />

Blum (1882-1952) in thematisch-motivischen<br />

Gruppen präsentiert - in ganz<br />

schlichter Form. Auch die Kataloge zu<br />

den Ausstellungen könnten wohl nicht<br />

unterschiedlicher sein. Derjenige zur<br />

Ausstellung in Basel ist in Schwarz<br />

mit Aufschrift in Goldprägung - etwas<br />

gar verstaubt und wissenschaftlich<br />

-, derjenige zu St. Gallen in saftigem<br />

Grün mit einer Beschriftung in Rosa.<br />

Der Galerist und Auktionator Kornfeld<br />

hat sich seit den 1940er Jahren<br />

eine Sammlung mit über 100 Radierungen<br />

von Rembrandt zugelegt.<br />

Immer wieder hat er versucht, eigene<br />

Blätter gegen qualitativ noch bessere<br />

zu tauschen, und das in einer Zeit, in<br />

der kaum etwas von Rembrandt auf<br />

dem Kunstmarkt erhältlich war. Der<br />

Stahlunternehmer Blum konnte einmal<br />

gar um die 200 Radierungen von<br />

Rembrandt sein Eigen nennen und in<br />

seine umfangreiche Grafiksammlung<br />

integrieren.<br />

Rembrandt Harmensz. van Rijn<br />

(1606-1669) wurde in eine Zeit des<br />

kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwungs<br />

in Holland hineingeboren.<br />

Das Land wurde zu einer der wichtigsten<br />

See- und Handelsmächte. Damit<br />

verbunden entstand ein vollkommen<br />

neuer Kunstmarkt. Nicht mehr Kirche<br />

und Adel waren die unverzichtbaren<br />

Auftraggeber der Künstler, sondern ein<br />

aufstrebendes und vor allem wohlhabendes<br />

Bürgertum. Ab 1625 versucht<br />

sich Rembrandt, eigentlich als Maler<br />

ausgebildet, im Medium der Radierung<br />

(von lat. radere für kratzen) und<br />

findet schnell zu seiner Meisterschaft.<br />

Sein Stil wird nun weitgehend derselbe<br />

bleiben, jedoch verfeinert er seine<br />

technischen Mittel immer mehr. Alle<br />

Gattungen der niederländischen Malerei<br />

findet man unter seinen Radierungen<br />

wieder: Genreszenen (Szenen des<br />

Alltags), Landschaft, Porträt, Historie<br />

(Motive aus der Bibel, der Geschichte<br />

oder der Mythologie) bis hin zu Aktdarstellungen.<br />

Die Radierung - von<br />

anderen Künstlern nur zur Reproduktion<br />

und Verbreitung von Gemälden<br />

benutzt - ist für Rembrandt ein vollkommen<br />

autonomes Ausdrucksmittel,<br />

das bereits früh gleichberechtigt neben<br />

der Malerei steht. Am Anfang seines<br />

Schaffens der 1630er Jahre stehen vor<br />

allem Porträts, darunter zahlreiche<br />

Selbstporträts, in denen Rembrandt<br />

sich in mannigfaltiger Kleidung und<br />

Kostümen darstellt. Es sind Typen,<br />

die dabei entstehen und nicht Darstellungen<br />

eines Individuums. Der Maler<br />

wird zum Schauspieler, der überspitzte<br />

Mimik und expressive Emotionen erprobt,<br />

so dass Ausdrucksstudien (so<br />

genannte Tronien) entstehen, die später<br />

in anderen Kompositionen wieder<br />

verwendet werden konnten.<br />

Bereits in den Porträts ist die<br />

Lichtregie ein wichtiger Aspekt: Er<br />

verbirgt Gesichter und Körperpartien<br />

teils im Schatten, wodurch extreme<br />

Helldunkelunterschiede entstehen.<br />

Caravaggios Malerei, die sich im 17.<br />

Jahrhundert bereits über ganz Europa<br />

verbreitet hatte, steht dafür Pate. Rembrandt<br />

nimmt damit das malerische<br />

Mittel des Helldunkels - das sonst nur<br />

in der Malerei zu finden war - in seine<br />

Radierungen auf. Sein Radierstil<br />

zeichnet sich durch eine skizzenhafte,<br />

lockere Linie aus, sichtbar in der<br />

Vielfalt der eingesetzten Parallel- und<br />

Kreuzschraffuren und vor allem durch<br />

das betont verwendete Helldunkel.<br />

Um all dies umzusetzen, bietet sich<br />

gerade die Technik der Radierung an.<br />

Im Gegensatz zu mechanischen Tiefdrucktechniken<br />

(wie dem Kupferstich)<br />

ist die Radierung ein chemisches Verfahren,<br />

das durch Ätzung entsteht und<br />

damit eine grössere Freiheit erlaubt.<br />

Dieser Stil offenbart sich im so genannten<br />

«Hundertguldenblatt» (um<br />

1648), ein Name den das Blatt wegen<br />

seines bereits zu Rembrandts Lebzeiten<br />

hohen Preises erhalten hat. Eigentlich<br />

ist eine ganze Szenenfolge aus<br />

dem Matthäus-Evangelium dargestellt,<br />

im Zentrum Christus, der die Kranken<br />

heilt. Rembrandt verwendet hier eine<br />

Mischung aus Radierung, Kaltnadel<br />

und Grabstichel, wie er sie im späteren<br />

Schaffen immer häufiger gebraucht.<br />

Ebenso vielgestaltig ist seine zeichnerische<br />

Ausdrucksweise: Passagen, die<br />

sehr malerisch ausgeführt sind, stehen<br />

neben ganz skizzenhaft gebliebenen<br />

Stellen (die Rückenfigur am linken<br />

Bildrand), dunkle, geradezu schwarze<br />

Passagen, durch eine Vielzahl sich<br />

überlagernder Schraffuren entstanden,<br />

ruhen neben hellen, vollkommen unbearbeiteten<br />

Passagen. Ein Virtuosenstück<br />

ist hier von der Hand des Meisters<br />

erarbeitet worden!<br />

Damit wäre das Rembrandt-Jahr<br />

eingeläutet, denn am 15. Juli kann der<br />

400. Geburtstag von Rembrandt gefeiert<br />

werden. In zahlreichen Veranstaltungen<br />

wird es um Rembrandt und sein<br />

Schaffen gehen. So zeigt das Rijksmuseum<br />

im Van Gogh Museum in Amsterdam<br />

die Ausstellung «Rembrandt<br />

- Caravaggio» und präsentiert während<br />

des ganzen Jahres Meisterwerke der<br />

Sammlung, darunter natürlich das berühmte<br />

Gemälde «Die Nachtwache».<br />

Bild: Rembrandt, Christus<br />

heilt die Kranken - «Das<br />

Hundertguldenblatt», um<br />

1648, Radierung, Kaltnadel,<br />

Grabstichel, 27,8 x 38,8 cm.<br />

Rembrandt - Seine Epoche,<br />

seine Themen, seine Welt<br />

Kunstmuseum St. Gallen,<br />

Museumsstrasse 32. Geöffnet<br />

Dienstag bis Freitag<br />

10:00-12:00 h, 14:00-17:00 h,<br />

Mittwoch bis 20:00 h. Bis 26.<br />

März 2006.<br />

Rembrandt - Die Radierungen<br />

aus der Sammlung E.<br />

W. Kornfeld<br />

Kunstmuseum Basel, St.<br />

Alban-Graben 16. Geöffnet<br />

Dienstag bis Sonntag 10:00-<br />

17:00 h. Bis 26. Februar<br />

2006.<br />

31 27<br />

artensuite


32<br />

artensuite<br />

André Breton - Dossier<br />

Dada<br />

Kunsthaus Zürich, Heimplatz<br />

1. Geöffnet Dienstag bis<br />

Donnerstag 10:00-21:00 h,<br />

Freitag bis Sonntag 10:00-<br />

17:00 h.<br />

Bis am 19. Februar<br />

Der herrliche Brandstifter<br />

■ Monstershow im Centre Pompidou,<br />

Wiederbelebung des Cabaret Voltaire<br />

und nun im Zürcher Kunsthaus eine<br />

Ausstellung über André Breton: Dada<br />

ist wieder en vogue! Was ist von Dada<br />

geblieben und was passt noch in unsere<br />

Zeit? Die Ausstellung im Zürcher<br />

Kunsthaus geht von der These aus, dass<br />

Dadas Beitrag zur Kunstgeschichte vor<br />

allem in seinem innovativen Umgang<br />

mit den Medien lag. Der Besucher wird<br />

von Helen Lagger<br />

mit etwas bildungsbürgerlich arrangierten<br />

Zeitungsartikeln, Zitaten und einem<br />

Film über André Breton konfrontiert.<br />

Wer sich aber die Geduld zum Lesen<br />

nimmt, wird Zeuge einer interessanten<br />

und hochaktuellen Nutzung der Medien<br />

durch die Dadaisten.<br />

Dabei ist doch unsere Zeit so ganz<br />

anders wie damals, als Dada aus dem<br />

Geist der Rebellion in Folge des ersten<br />

Weltkrieges, entstand. Dada war eine<br />

internationale, antibürgerliche Bewegung<br />

die an ihrem eigenen Radikalismus<br />

scheiterte und sich schliesslich im<br />

Tumult auflöste. Geblieben sind vor allem<br />

verrückte Manifeste, Zeitungsartikel<br />

und einige die Kunstgeschichte prägende<br />

Werke. Man denke an Duchamps<br />

Pissoir, Man Rays Fotografien oder Picabias<br />

Malerei.<br />

1916 tauchte der Name Dada, ein<br />

in einem deutsch-französischen Wörterbuch<br />

zufällig gefundenes Wort,<br />

erstmals auf. Im Slawischen bedeutet<br />

Dada «ja, ja» im Französischen Holzoder<br />

Steckenpferd und Tristan Tzara<br />

brachte es mit schwarzafrikanischen<br />

Lauten in Zusammenhang.<br />

Die Dadaisten wollten sich über<br />

sämtliche Konventionen hinwegsetzen,<br />

erfreuten sich am Nonsens und<br />

bewusster Hässlichkeit. Viele Ideen<br />

der Dadaisten wirken heute überspannt<br />

und in ihrer Vehemenz gegen<br />

alles Etablierte sogar kunstfeindlich<br />

und wirr. Dadaismus muss in seinem<br />

zeitlichen Kontext betrachtet werden.<br />

Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts<br />

waren geprägt von einem sinnlosen<br />

Krieg während in der Kunst eine<br />

Reform die andere jagte. Vom Expressionismus<br />

zum Kubismus, vom Futurismus<br />

zur Abstraktion und zur russischen<br />

Avantgarde. Der Dadaismus<br />

und seine Vertreter waren von diesen<br />

Reformen enttäuscht.<br />

Ein Zitat aus dem dadaistischen<br />

Manifest (Tristan Tzara, Marcel Janco,<br />

Richard Huelsenbeck, Hugo Ball,<br />

Hans Arp): «Haben die Expressionisten<br />

unsere Erwartungen auf eine<br />

Kunst erfüllt, die uns die Essenz des<br />

Lebens ins Fleisch brennt? Nein!<br />

Nein! Nein!»<br />

Die anarchistisch geprägte Bewegung<br />

lehnte alle ästhetischen Systeme<br />

radikal ab. Schon die Abstraktion war<br />

eine Reaktion auf eine vom Krieg geprägte<br />

Gesellschaft gewesen. Das klassische<br />

Menschenbild in der Kunst hatte<br />

sich durch die erlebte Zerstörung aller<br />

Werte, geändert oder sogar aufgelöst.<br />

Die Begriffe Ehre, Vaterland, Moral<br />

und Familie wurden in Frage gestellt.<br />

Der Dadaismus ging allerdings noch<br />

einen Schritt weiter, indem er sich<br />

zur ästhetischen Guerilla stilisierte.<br />

Darin, sowie in der Vermischung von<br />

Leben und Kunst, liegt das eigentlich<br />

Avantgardistische der Bewegung. André<br />

Breton (1896-1966), Zentralfigur<br />

von Dada Paris und späterer Kopf der<br />

surrealistischen Bewegung, machte<br />

sich die Medien gekonnt zu Nutzen.<br />

Seine Provokationen betrachtete er<br />

erst als reüssiert, wenn die Presse entrüstet<br />

darüber berichtete. Die Ausstellung<br />

im Kunsthaus Zürich richtet den<br />

Fokus auf diesen Aspekt und zeigt auf,<br />

mit welcher Systematik der Künstler<br />

es verstand, sein Tun in den Medien<br />

zu spiegeln. Die Pressereaktionen auf<br />

dadaistische Werke wurden zu einem<br />

integralen Teil des Kunstwerkes und<br />

nahmen so vieles vorweg, was sich<br />

später in der Aktionskunst oder den<br />

Happenings abspielte. In einem Album<br />

sammelte Breton von 1916-1924<br />

Artikel, Einladungskarten, Flugblätter,<br />

Plakate, Zeitschriften und Briefe,<br />

die dadaistische Aktivitäten betrafen<br />

oder kommentierten. Der Kunsthaus-<br />

Kurator Tobia Bezzola entschloss sich,<br />

das Werk, das man als Meta-Dada-<br />

Collage bezeichnen könnte, auszubreiten.<br />

Der Besucher kann in eine annähernd<br />

komplette Chronik von Dada<br />

Paris eintauchen und erfährt einiges<br />

über die Zürcher Jahre, den absurden<br />

«Prozess Barrès» und die Entzweiung<br />

zwischen Breton und Tzara. Zitate<br />

von Zeitgenossen und biografische<br />

Eckpunkte ergänzen die Ausstellung.<br />

Philippe Soupault über Andre Breton:<br />

«Der herrlichste Brandstifter dieses<br />

Jahrhunderts». Erstaunliche Ansichten<br />

werden offen gelegt. André Gide verdächtigte<br />

den Dadaismus, nichts anderes<br />

als ein heimtückisches Subversionsmittel<br />

der verhassten Deutschen zu<br />

sein.<br />

Die nihilistische Bewegung verachtete<br />

alles in ihren Augen als reaktionär<br />

geltende. Anatole France und sogar<br />

Picasso waren verpönt. Die Mischung<br />

zwischen Dichterlesung, gelehrtem<br />

Vortrag und Kabarett war das bevorzugte<br />

Ausdrucksmittel. Man interessierte<br />

sich für Opium, spiritistische<br />

Séancen, Gesellschaftsspiele und später<br />

von den Surrealisten weiterkultivierte<br />

Umfragen. Das Cabaret Voltaire<br />

in Zürich, wo die Bewegung einst ihren<br />

Anfang nahm, ist heute ein historischer<br />

Ort, an dem versucht wird, das<br />

Haus im Esprit der Dadaisten neu zu<br />

nutzen. Doch Dada war ein Strohfeuer,<br />

das längst erloschen ist. Die Brandstifter<br />

haben sich noch zu Lebzeiten von<br />

den Ideen distanziert. Deshalb stellt<br />

sich die Frage: Ist heutiges Dada nur<br />

noch Gaga? Mit Sicherheit genügen<br />

unsinnige Gedichte, blosse Geräusche<br />

in der Musik oder das Hässliche in der<br />

bildenden Kunst nicht mehr, um Provokation<br />

zu erzeugen.<br />

Mit der Entrüstung der Bürger und<br />

Politiker zu spielen, indem der Künstler<br />

sein Werk in den Medien spiegelt,<br />

ist allerdings eine weiterhin gut funktionierende<br />

Strategie. Man denke an<br />

Hirschhorn, Gianni Motti oder Schlingensief.<br />

Vive la rébellion!


Hofstettenstrasse 2005<br />

■ Wie immer ist die Museumslandschaft<br />

Schweiz während den Monaten<br />

Dezember und Januar überflutet von<br />

Jahres- und Weihnachtsausstellungen.<br />

Im ganzen Land schiessen sie wie<br />

Pilze aus dem Boden und versuchen<br />

mit mehr oder weniger Erfolg, Gegenwartskunst<br />

zu zeigen. Natürlich auch<br />

in der Region Bern: Das CentrePasquArt<br />

und das Fotoforum in Biel, das<br />

Kunstmuseum Bern, die Kunsthalle<br />

Bern sowie Stadtgalerie und Progr<br />

und das Kunstmuseum Thun zeigen<br />

aktuelles, vorwiegend regionales<br />

Kunstschaffen. Viele der anwesenden<br />

Künstler sind <strong>kein</strong>e Unbekannten<br />

mehr, waren in anderen Ausstellungen<br />

und Jahressausstellungen schon öfters<br />

vertreten. Trotz der üblichen Namen,<br />

kann man durchaus noch kleine Entdeckungen<br />

machen, denn das gezeigte<br />

Schaffen ist aktuellste Produktion. In<br />

Bern überliess man die Auswahl den<br />

Direktoren und Kuratoren, in Biel und<br />

Thun waren es Juroren, die für die<br />

Auswahl aus den eingesandten Bewerbungen<br />

verantwortlich zeichneten.<br />

Das Interesse der Künstler war akzeptabel,<br />

in Biel waren es 112, in Thun 79<br />

Kunstschaffende.<br />

23 Künstler wurden von der Jury<br />

am Kunstmuseum Thun ausgewählt<br />

und ihre Werke sind noch bis zum<br />

22. Januar zu sehen. In der «Hofstettenstrasse»-Ausstellung<br />

finden sich<br />

ebenfalls viele bekannte Namen. Im<br />

Vergleich zum letzten Jahr wurden<br />

bewusst weniger Künstler zur Ausstellung<br />

eingeladen, um dafür den Werken<br />

mehr Platz zu gönnen, was sicher eine<br />

gute Entscheidung war. Mit dieser Juryauswahl<br />

ist eine äusserst heterogene<br />

Präsentation entstanden - und das ist<br />

nicht negativ gemeint: Unglaublich<br />

vielfältig und damit auch spannend<br />

sind die verwendeten Medien und Materialien:<br />

von fragilen Installationen<br />

bis zur klassischen Zeichnung.<br />

Im Gegensatz z. B. zur Ausstellung<br />

im PasquArt in Biel, deren Schwerpunkt<br />

klar Zeichnung war, ist in Thun<br />

<strong>kein</strong> Medium dominant, jedoch plastisches<br />

Schaffen ist wieder vermehrt<br />

anzutreffen. Es sind nicht einfach<br />

Skulpturen, sondern viel mehr installative<br />

Plastiken. Sie zeigen nicht die<br />

Volumina der klassischen Skulptur,<br />

sondern bilden neue, labile Körper.<br />

Überaus fragile Arbeiten zeigt Niklaus<br />

Wenger. Drei Installationen aus<br />

Holz, Karton und Papier sind in einem<br />

Raum arrangiert, an der Wand verkeilt<br />

am Boden gestapelt, geschichtet und<br />

angeordnet. Alle drei Konstruktionen<br />

sind ohne Schrauben oder Nägel erbaut,<br />

das heisst sind selbsttragend - ein<br />

Spiel mit Stabilität und Sicherheit und:<br />

Berühren absolut verboten! Manuel<br />

Burgener, der auch schon Fotoarbeiten<br />

präsentierte (auch in der Weihnachtsausstellung<br />

im Kunstmuseum Bern)<br />

zeigt seine Vielseitigkeit: mit «stelzen<br />

(ohne Sicht)» stellt er Wände aus<br />

Spanplatten mit Holzimitationstapete<br />

bezogen auf schmale Stelzen. So entsteht<br />

eine Art Raum, der provisorisch<br />

und offen erscheint. Auch hier erhalten<br />

die Wände ihre Stabilität nur, indem<br />

sie ineinander verkeilt sind. Diesen in<br />

ihrer Fragilität gefährdeten Arbeiten<br />

setzt Reto Steiner «Mein Stein (Klon<br />

IV)» gegenüber, ein aus Gips gegossener<br />

Steinklon, der nun doch noch Masse<br />

und Gewicht einbringt.<br />

Nur zwei Videoarbeiten sind in Thun<br />

vertreten: Chantal Michel zeigt den<br />

Videoloop «Unbestimmte Extension»,<br />

die im verlassenen Hotel Schweizerhof<br />

entstanden ist. Scheinbar eine Fotografie,<br />

ein Bild im Stillstand, zeigen<br />

sich schliesslich immer wieder kleine<br />

Verschiebungen und natürlich ist<br />

Michel selbst gegenwärtig. Bei Egle<br />

Rieder sind es zu Bewegung animierte<br />

Neonröhren, als Positiv und Negativ,<br />

die in der Grossbildprojektion wie riesige<br />

Wandmalereien erscheinen. Eine<br />

Auswahl von Zeichnungen derselben<br />

Künstlerin ist ebenfalls zu sehen. Rieder<br />

zeichnet in Bleistift: Licht und<br />

Lichtreflexe - z. B. auf Wasser - sind<br />

ihr Thema, durch die Fokussierung<br />

auf einen kleinen Ausschnitt wird das<br />

Dargestellte geradezu abstrakt.<br />

Fotografie taucht mehrfach auf, in<br />

ganz klassischer Form bis zu digital<br />

bearbeiteten Fotos. Bereits innerhalb<br />

eines Mediums zeigt sich eine enorme<br />

und erfreuliche Bandbreite. Christian<br />

Helmle zeigt seine «Weissen Elefanten»:<br />

verlassene oder nie benutzte,<br />

inzwischen zerfallende Gebäude, die<br />

er in Berlin vorgefunden hat. Helmle<br />

hatte ein Atelierstipendium in Berlin<br />

erhalten und arbeitet dort nun konsequent<br />

an seinem fotografischen Schaffen<br />

weiter. In «Soma» von Thomas<br />

Berger steht ebenfalls Architektur im<br />

Zentrum. Auf den ersten Blick scheinen<br />

sie ganz alltäglich, plötzlich er-<br />

kennt man aber die befremdlichen Unterschiede:<br />

Alle Öffnungen der Häuser<br />

sind wegretuschiert. Sie werden geradezu<br />

zu geometrischen Volumina und<br />

zu unheimlichen Festungen.<br />

Die Qualität der Werke ist so verschieden<br />

wie die verwendeten Medien und<br />

Materialien, das ist bei Jahresausstellungen<br />

<strong>kein</strong>e Besonderheit. Aber in<br />

Thun hat man sich Mühe gemacht, eine<br />

ideale Präsentationsform zu finden.<br />

Nicht nur erhält jedes Werk seinen gebührenden<br />

Platz, auch die Zusammenstellung<br />

stimmt. So sind in einem letzten<br />

Raum der Ausstellung die Arbeiten<br />

von Burkhard Hilty und Marta Herzog<br />

vereint. Ersterer malt Abstraktionen<br />

in sehr flüssiger und vor allem bunter<br />

Farbe, meist Primärfarben. Herzog dagegen<br />

präsentiert ein Nichts in Weiss,<br />

Werke, die zwar etwas sehr dekorativ<br />

wirken, aber in ihrer Einfachheit und<br />

Technik doch interessieren. Indem sie<br />

Muster in weisser Gouache auf - natürlich<br />

weisses - Papier malt, erzeugt<br />

sie Falten im Papier, die wie geprägt<br />

wirken. Dadurch entstehen die Muster<br />

ihrer Werke, die als Negativ und Positiv<br />

betrachtet werden können. (di)<br />

Hofstettenstrasse 2005<br />

Kunstmuseum Thun, Hofstettenstrasse<br />

14. Geöffnet<br />

Dienstag bis Sonntag 10:00-<br />

17:00 h, Mittwoch 10.00-<br />

21:00 h. Bis 22. Januar 2006.<br />

Hofstettenstrasse:<br />

Christian Helmle, Weisse<br />

Elefanten: Abhörstation<br />

Teufelsberg, 2005, Fotografie,<br />

33 x 42 cm, Courtesy of<br />

the Artist.<br />

33<br />

artensuite


34<br />

artensuite<br />

GALERIEN IN BERN<br />

annex14 - Galerie für zeitgenössische Kunst<br />

Junkerngasse 14 3011 Bern // Tel 031 311 97 04<br />

Mi - Fr 13:00-18:30 h / Sa 11:00-16:00 h<br />

Kristof Van Gestel<br />

New Sculptures<br />

Vernissage: 13.1.06 ab 18h<br />

13.1.06 - 25.2.06<br />

Art-House<br />

Mittlere Strasse 3A, 3600 Thun // Tel 033 222 93 74<br />

Mi-Fr: 14:00 – 17:30 / Sa: 11:00 – 16:00<br />

Lotti Meschter: Holzskulpturen -Texte<br />

Ruth Loeb: Bilder<br />

Finissage: 15.1.06 11:00h mit einer Lesung von Ruth<br />

Loeb musikalische Begleitung mit Monica Cloetta<br />

Art + Vision<br />

Junkerngasse 34 3011 Bern // Tel 031 311 31 91<br />

Di - Fr 14:00-19:00 h / Do 14:00-21:00 h / Sa 11:00-<br />

16:00 h<br />

Martin Thönen<br />

Holzschnitte, bibliophile Edition<br />

26.11.05 - 7.1.06<br />

Beat Brechbühl<br />

neue Bodoni Blätter<br />

14.1.06 - 4.2.06<br />

Bärtschihus Gümligen<br />

Dorfstrasse 14 3073 Gümligen<br />

ESPACE Indigo<br />

Stauffacher Buchhandlung 3011 Bern<br />

Tel 0844 88 00 40<br />

Ladenöffnungszeiten<br />

bk Galerie Bernhard Bischoff<br />

Speichergasse 8, 3011 Bern // Tel 031 312 06 66<br />

Mi-Fr 14-18 h & Sa 11-16 h oder nach Absprache<br />

Ausstellung:<br />

[ . . . ]<br />

Ruth Buck, COM & COM, Bernhard Huwiler, Reto<br />

Leibundgut, Verena Schwab, Dominik Stauch<br />

3.12.05–21.1.06<br />

Galerie Tom Blaess<br />

Uferweg 10 3018 Bern // Tel 079 222 46 61<br />

Tel 079 222 46 61<br />

Arbeiten des Druckateliers<br />

Jeden Sonntag 12:00-17:00 h<br />

Galerieneintrag:<br />

Auf den Seiten «Galerien in Bern» werden seit<br />

November 2005 nur noch Galerien publiziert,<br />

welche unsere jährliche Publikationsgebühr bezahlt<br />

haben. Wer sich hier eintragen lassen möchte, melde<br />

sich bei der Redaktion:<br />

Telefon 031 318 6050 oder redaktion@ensuite.ch.<br />

Galerie Beatrice Brunner<br />

Nydeggstalden 26 3011 Bern // Tel. 031 312 40 12<br />

Mi / Do / Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h<br />

Ursula Jakob<br />

Zeitraum — Raumzeit<br />

Eröffnung am Galerienwochenende<br />

Sa 14.1.06, ab 11 h<br />

Galerie Kornfeld<br />

Laupenstrasse 41 3001 Bern // Tel 031 381 46 73<br />

www.kornfeld.ch<br />

Mo - Fr 14:00-17:00 / Sa 10:00-12:00 h<br />

Otto Tschumi<br />

Eröffnung am Sonntagmorgen um 11:30 h mit einer Jazz<br />

Matinée: ‚The Swinging Nevergreensʻ.<br />

bis zum 24.2.06<br />

Galerie Martin Krebs<br />

Münstergasse 43, 3011 Bern // Tel 031 311 73 70<br />

Di - Fr: 14:30 - 18:30 h & Sa: 10 - 14 h<br />

Galerie Ramseyer & Kaelin<br />

Junkerngasse 1 3011 Bern // Tel 031 311 41 72<br />

Mi - Fr 16:00-19:00 h / Sa 13:00-16:00 h<br />

Pole Lehmann<br />

Bilder<br />

10.1.06 bis 28.1.06<br />

Galerie Rigassi<br />

Münstergasse 62 3011 Bern // Tel 031 311 69 64<br />

Di - Fr 14:30-18:30 h / Sa 10:30-14:30 h<br />

The Story<br />

Svetlana Kopystansky, Réemy Zaugg, Kaeseberg, Géerard<br />

Schneider, Korec, Johann Fischer.<br />

11.01.06-25.02.06<br />

Kornhausforum -<br />

Forum für Medien und Gestaltung<br />

Kornhausplatz 18 3011 Bern // Tel 031 312 91 10<br />

Design Preis Schweiz<br />

05.11.05 - 8.1.06<br />

Nomadix - Interaction on the move!<br />

14.12.05 - 7.1.06<br />

Ein Bild der Region<br />

11.2.06 - 29.2.06<br />

Blickwechsel zwei<br />

21.2.06 - 29.1.06<br />

Künstlerhaus<br />

Postgasse 20 3011 Bern // 031 311 53 76<br />

Marianne Vögeli, Walter Vögeli & Raoul Ris<br />

Austellung Bilder & Objekte<br />

14.1. & 15.1.06 // 11-17h<br />

Kunstreich<br />

Gerechtigkeitsgasse 76 3011 Bern // Tel 031 311 48 49<br />

Mo - Fr 09:00-18:30 h / Do 09:00-20:00 h / Sa 09:00-<br />

16:00 h<br />

Guido Hauser<br />

14.1.06 - 18.1.06<br />

Kunstraum Oktogon<br />

Aarstrasse 96, 3005 Bern<br />

Fr 16:00-19:00 h / Sa 11:00-15:00 h<br />

KunstQuelle<br />

Galerie Brunngasse 14 3011 Bern // 079 818 32 82<br />

Mi & Fr 14:30-18:00 h, Do 16:00-20:00 h & Sa 13:00-<br />

16:00 h<br />

ONO Bühne Galerie Bar<br />

Gerechtigkeitsgasse 31 3011 Bern // Tel 031 312 73 10<br />

Fr & Sa 13:00-17:00 h - Nachtgalerie: Mi - Sa ab 22:00 h<br />

Galerie: Treffen<br />

Vernissage der Abschlussausstellung der Gruppe autodidaktischer<br />

FotografInnen GAF<br />

Vernissage: 06.1.06 / 19:00 h<br />

Ausstellungsdauer: 6.1.06 - 30.1.06<br />

PROGR Zentrum für Kulturproduktion<br />

Speichergasse 4, Bern<br />

«Connect» Ein interaktives Projekt von Kris Vleeschouwer<br />

und Jürg Curschellas<br />

Mi-So 14:00-17:00 h<br />

17.12. - 8.1.06 / Ausstellungszone 1.OG<br />

Weihnachtsausstellung<br />

noch bis am 8.1.06<br />

leerraum Soundinstallation<br />

Pe Lang & Zimoun, Dale Lloyd<br />

Ort: Ausstellungszone Treppenhaus<br />

Öffnungszeiten: MI–SO 14–17h<br />

5.1.06-21.1.06<br />

R A U M<br />

Militärstrasse 60, Bern<br />

Täglich 16:00-19:00 h/ Sa & So 14:00-16:00 h<br />

«Ich bin ein schwarzer, in die Mitte des Denkens<br />

fliehender Punkt»<br />

Lesung Jürg Halter<br />

12.1.06, 20 h<br />

LUFTLOSGLAS - EINE STAFETTE<br />

Martina Joos - Blockflöte<br />

20.1.06, 20 h<br />

Où en es – tu?<br />

Ausstellung Sophie Elbaz, Paris<br />

Fotografien<br />

Vernissage: Samstag 21.1.06 16:00-19:00 h<br />

Finissage: Samstag 25. 2. 06 12-14 h<br />

Schloss Hünigen<br />

3510 Konolfingen<br />

täglich von 8-21h<br />

Ted Scalpa<br />

Schlösser -Chateaux-Castles<br />

9.1.06-29.01.06


Stadtgalerie<br />

Hodlerstr. 22 + 24A 3011 Bern // Tel 031 311 43 35<br />

Mi-So 14:00-17:00 h<br />

MARKS BLOND DESASTER OFFICE AND LA-<br />

BORATORY<br />

Mi-So 14:00-17:00 h<br />

9.12.05 - 8.1.06<br />

Temporäre Ausstellungsräume<br />

Glaubenssache - Unterwegs nach Eden<br />

Lichthof DEZA, Freiburgstrasse 130, 3003 Bern<br />

Vernissage: 7.12.05 / 17:00 h<br />

In Anwesenheit von Stefan Maurer, Fotograph, Konrad<br />

Specker, DEZA Leiter Sektion NGO, Hartmut Haas,<br />

Haus der Religionen, Bern<br />

7.12.05 - 15.1.06<br />

Galerien-Wochenende<br />

14./15.01.2006 11-17h<br />

Kunst und Wort<br />

Das Motto des diesjährigen Galerienwochenende<br />

bildet einen vielseitigen interpretierbaren<br />

thematischen Rahmen, der den einzelnen galeristen<br />

einen grossen Spielraum an Gestaltungsmöglichkeiten<br />

eröffnet, selbst wenn man «Kunst»<br />

an dieser Stelle - was wir nicht tun wollen- auf<br />

bildende Kunst beschränken würde.. (auszug aus<br />

dem programmheft) er Verein Berner Galerien<br />

veranstaltet am 20. Und 21. Januar ein Galerien-Wochenende<br />

mit besonderen Veranstaltungen<br />

und einheitlichen Öffnungszeiten von 11 – 17 h.<br />

Nähere Informationen und die vollständige Liste<br />

der teilnehmenden Galerien beim Verein Berner<br />

Galerien, Sekretariat Amthausgasse 1, 3011 Bern,<br />

Tel: 031 312 15 75.<br />

New Sculptures - Kristof Van Gestel, 14.1. - 18.2.06 in der Galerie annex14, Bern<br />

Eva Pfirter<br />

Augenspiel<br />

■ Die Betrachtung des Schönen, fand Platon, mache<br />

das Leben lohnenswert. Kein anderer Philosoph des<br />

Altertums hat der Schönheit so viel Bedeutung beigemessen<br />

wie Platon. Und gleichzeitig das, was später<br />

«schöne Kunst» genannt wurde, verurteilt.<br />

Tagtäglich begegnen mir tausend bunte Lichter, glitzerndes<br />

Lametta und rote Weihnachtsmänner. Und ich<br />

muss das schön finden. Unser Ideal von Weihnachten<br />

sagt: Das ist schön. Und: Jetzt ist es schön. Nach Weihnachten<br />

ist es der Silvester, der ausruft: Seid schön! Die<br />

Sekunde, die das alte vom neuen Jahr trennt, verströmt<br />

Schönheit und Glück!<br />

Unsere westliche Welt ist durchdrungen von schreiender<br />

Schönheit, die so aufdringlich ist, dass sie in absolute<br />

Hässlichkeit kippt: Überdruss vom Schön-seinwollen.<br />

Was bleibt, wenn der Weihnachtstrubel vorüber ist?<br />

Die Erinnerung an schöne, stille Momente? Die Erinnerung<br />

an den blau-leuchtenden Weihnachtsbaum auf<br />

dem Bundesplatz? Oder bleibt nichts als die Erinnerung<br />

an den Stress, der uns durch voll gestopfte Strassen trieb<br />

auf der Suche nach der Perfektion des Festes, nach der<br />

Vollendung des definiert schönen Moments?<br />

Irgendwann im neuen Jahr werde ich losmarschieren<br />

durch die Kälte des Winters. Vielleicht fallen feine<br />

weisse Flocken vom Himmel und ich lasse mich<br />

treiben, finde Strassen, die ich nicht kenne, betrachte<br />

Häuser, die ich nie vorher bemerkte und stille Orte, die<br />

schön sind. Die heimlich leuchten.<br />

Schönheit sehen bedeutet, unvoreingenommen sein.<br />

Wenn ich los lasse und frei bin, zu entscheiden, so kann<br />

ich Wunderbares entdecken, was nie vorher wunderbar<br />

war. Oder meinem Auge nicht wunderbar erschien.<br />

Meinem Auge, das von flüchtig Schön-sein-wollendem<br />

überflutet wird. Und sich von dieser Flut verwirren<br />

lässt.<br />

Es ist die Idee des Schönen, das Schönes schön<br />

macht. Platon empfand die nachahmende Kunst (also<br />

Schönes, das die Nachahmung von etwas Schönem<br />

darstellt) nicht als schön. Sie war für ihn lediglich der<br />

«Schatten eines Traumes». Nicht der Traum selbst.<br />

Die Betrachtung des Schönen macht das Leben lohnenswert.<br />

Doch häufig verbirgt sich Schönheit in Stille<br />

und Unvorhergesehenem. Finden kann sie jeder. Suchen<br />

jedoch kann sie niemand.<br />

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artensuite


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L E T Z T E L U S T S E I T E Hinweis: Die Texte auf der letzten Lustseite sind nicht<br />

ganz jugendfrei. Wir bitten die LeserInnen unter 18 Jahren,<br />

diese Texte aufzubewahren und erst bei bei voller<br />

Reife zu lesen.<br />

■ eigentlich läuft das meist ziemlich seriös und wie<br />

andere arbeitsprozesse auch. wir treffen uns und reden<br />

über erotische phantasien und begegnungen. dazu<br />

trinken wir, weil trinken spass macht, den redefl uss beschleunigt<br />

und die hemmungen abbaut. eine macht sich<br />

notizen, die trinkt dann nicht oder nur wenig. im idealfall<br />

– und der tritt gar nicht so selten ein – hat e. oder<br />

k. eine neue, reale begegnung zu erzählen. durch ihre<br />

schilderung fällt uns anderen dann ergänzendes aus<br />

früheren begegnungen oder träumen dazu ein und wir<br />

fügen es zusammen und das ergibt dann eine geschichte,<br />

die sich logisch anhört. aus den notizen, aus dem erzählten<br />

und aus der erinnerung der schreiberin entsteht<br />

dann während des schreibens eine neue lustseite. dann,<br />

leider, gibt es monate, da haben wir alle <strong>kein</strong>en sex, <strong>kein</strong>e<br />

fl irts, noch nicht mal träume. da stehen die rechnungen,<br />

der job, die beziehung, die kinder im vordergrund<br />

und <strong>kein</strong>e kommt in fahrt und <strong>kein</strong>e kriegt rote backen<br />

und redet zu schnell. lustlos suchen wir unsere gedanken<br />

zu konzentrieren, suchen nach schon gedachten,<br />

gelesenen oder gehörten dingen, machen halbe sätze<br />

und anfänge: wie fi ndest du ‚fl ackernde erwartung‘?<br />

oder ‚da war doch noch der typ in amerika!‘ was dann<br />

von einer anderen unterbrochen wird mit ‚fl ackerende<br />

erwartung? schreib doch gleich für eine soap‘ oder mit<br />

dem hinweis, dass wir den amerikaner schon etwa fünf<br />

mal eingebaut haben. auch hat <strong>kein</strong>e von uns so richtig<br />

den überblick, welche entwürfe wir abgeschickt und<br />

veröffentlicht haben. pro monat entstehen vielleicht je<br />

drei seiten, drei in sich abgeschlossene geschichten und<br />

über die jahre haben wir den überblick verloren. ob das<br />

mit dem voyeur am schwarzwasser oder die geschichte<br />

■ interwerk gmbh<br />

kulturconsulting kulturmanagement kulturvermittlung.<br />

www.interwerk.ch<br />

sandrainstrasse 3 3007 bern +41 (0)31 318 6050<br />

mit der kirche vis-a-vis und dem fensterbrettsex abgedruckt<br />

wurde, wissen wir nicht mehr und es interessiert<br />

auch <strong>kein</strong>e von uns wirklich. irland? irland hatten wir.<br />

oder wars alaska? egal, kalte landschaften im dauerregen<br />

brauchen wir jetzt <strong>kein</strong>e mehr. den piano- oder<br />

orgelspieler können wir nicht nochmal bringen. l. sucht<br />

die belegsexemplare, die sind aber im kinderzimmer<br />

und stehen also nicht zur verfügung. so sitzen wir da,<br />

trinken und suchen einen aufhänger. wollen wir wiedermal<br />

zwei frauen? aber das läuft in die soft-ecke und das<br />

mögen die leserInnen nun wirklich nicht allzu häufi g.<br />

ein geiles, kurzes und unerwartetes einfach-so-bumsen?<br />

eine klassische rein-raus geschichte? mag auch <strong>kein</strong>e<br />

lesen. nehmen wir nochmal die mit dem kino? die hat<br />

allen gefallen und sicher hat die leserschaft inzwischen<br />

gewechselt, so dass es gar niemand merkt. e. erinnert<br />

l. an die sache mit dem esofritzen, der unglaublich tolle<br />

tricks mit atmung und so drauf hatte. das war aber<br />

nichts, das hat sich in lachen aufgelöst. und dann erinnert<br />

a. an den bedrohlich nahen abgabetermin und wir<br />

hoffen, dass eine von uns sich jetzt doch noch an einen<br />

traum erinnert. und wieder nichts. hallo männer, hallo<br />

frauen, wo versteckt ihr euch in den wintermonaten?<br />

wo ist der typ, der sich im tram an dich drückt und der<br />

dir gefällt? wo ist er, der sich zu einer sitzung anmeldet<br />

und dann folgt das mittagessen und dann landet man im<br />

anonymen hotel? warum bist du nicht in den pornostreifen<br />

gegangen, war das nicht abgemacht, und hast dich<br />

selbst befriedigt und geschaut ob einer der zuschauer<br />

einsteigt? was war das nochmal mit dem dampfbadversuch<br />

bei dir? der hübsche zahnarzt mit deiner kollegin<br />

und dem notfalltermin? die frau, die im zug mit dir nach<br />

norddeutschland fuhr und als sie einschlief konntest du<br />

ihren traumorgasmus miterleben? du hast doch mal einen<br />

beim gemüsestand getroffen und ihr habt ziemlich<br />

zweideutig den einkaufswagen gefüllt, kannst du das<br />

nicht ausbauen? eine letzte fl asche wird geöffnet und<br />

a. geht schon mal nach hause, sie muss morgen früh<br />

raus. r. möchte nicht darüber reden, dass sie seit wochen<br />

<strong>kein</strong>en sex mehr hat und auch nicht davon träumt.<br />

l. hat zwar dieses neue erotische buch gekauft, aber der<br />

schluss war so schlecht, dass es ihr die ganze stimmung<br />

versaute. dass e. wieder nach amerika und den typen<br />

nochmal sehen möchte, erzählt sie immer gegen ende<br />

des abends. und was sie alles mit ihm machen würde,<br />

dem unbekannten, schönen, zarten und doch fordernden<br />

wahnsinnstypen, das haben wir alles schon aufgebraucht.<br />

und auch s., die immer mal wieder ohne unterwäsche<br />

zur arbeit geht, weil sie drauf wartet, dass er es<br />

bemerkt, hat nichts neues zu berichten. dass er sie an<br />

eine wand presst, sich mit dem mund einen weg sucht,<br />

um dann vor ihr zu knien und sie so in seinen mund<br />

kommt – eher unwahrscheinlich nach all den jahren. e.<br />

muss heute noch zurück nach genf, sie macht sich jetzt<br />

auf den weg. dann ruft die partnerin von k. an und fragt,<br />

wann sie nach hause komme und ob sie jetzt nicht endlich<br />

genug über sex geredet hätte? ich verspreche, einen<br />

entwurf für nächsten monat zu schreiben und k., schon<br />

im mantel und mit handschuhen, lacht müde und eher<br />

freudlos und murmelt was über die kranke adventszeit,<br />

weihnachten mit der familie und das sie eigentlich den<br />

ganzen winter erotisch uninspirierend fände. (vonfrau)<br />

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