Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
30<br />
AugeNblick<br />
prof. Dr.<br />
Birgit Bertram<br />
professorin für mikrosoziologie<br />
Warum möchten Sie ausgerechnet an einer<br />
katholischen Hochschule für Sozialwesen unterrichten?<br />
Es entspricht meiner Vision vom Menschen,<br />
dass jeder Mensch, ob groß oder<br />
klein und egal in welchem Kontext, immer<br />
ein ganzer Mensch ist und damit ein<br />
Ebenbild Gottes.<br />
Was finden Sie an Ihrer Arbeit an der <strong>KHSB</strong><br />
besonders erfüllend, herausfordernd, oder änderungsbedürftig?<br />
Das hängt mit der ersten Frage zusammen.<br />
Ich mag es, wie menschenfreundliche<br />
und zugleich kompetente Lösungen<br />
gesucht und auch gefunden werden. In<br />
meinem Leben bin ich kreuz und quer<br />
durch die Republik gezogen und habe<br />
immer im Kontext der Caritas in der<br />
Kinder- und Jugendhilfe gearbeitet und<br />
dabei eine eindrückliche Kombination von<br />
Professionalität mit Herzlichkeit erlebt.<br />
Und das finde ich hier an der Hochschule<br />
fortgesetzt, nämlich eine hohe Übereinstimmung<br />
von Menschenfreundlichkeit<br />
und Herzlichkeit, gepaart mit hoher<br />
Professionalität. Das finde ich großartig.<br />
Ich bin seit 18 Jahren hier und habe viel<br />
miterlebt – Umzüge, Reformen, Änderungen,<br />
was nicht immer einfach war. Dadurch<br />
aber ist ein Ethos entstanden, das<br />
die Menschen hier zusammenhält, trotz<br />
aller Differenzen.<br />
Wenn Sie Ihren Studierenden eins vermitteln<br />
könnten, was wäre das?<br />
Die Person ihres Gegenübers ganzheitlich<br />
ernst zu nehmen, weder auf den »Kopf«<br />
zu reduzieren noch auf das »Problem«,<br />
aber auch nicht auf die Interessen der Institutionen<br />
– sonst wird schnell übersehen,<br />
was wirklich hilft. Nützlich ist das Wissen,<br />
dass die kleinen Lebenskreise Stabilität<br />
und Hilfe ermöglichen. Das Schöne an der<br />
Mikrosoziologie ist, die Wirksamkeit der<br />
sozialen Netzwerkstrukturen zu erkennen<br />
– Familien, Freundschaften, Nachbarschaften<br />
– eben den Menschen in seinen<br />
Beziehungen zu seinen Mikrosystemen.<br />
Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Strömung<br />
in der Sozialen Arbeit bzw. Heilpädagogik, die<br />
mehr beachtet werden müsste?<br />
Ich lehre in den sog. Bezugswissenschaften,<br />
aber ich würde sagen: das Studium<br />
der gelebten Familienwirklichkeit aus der<br />
Perspektive ihrer Mitglieder, und dazu die<br />
empirischen Befunde ernst nehmen.<br />
Glauben Sie, dass es in den Sozialen Berufen<br />
Fortschritt gibt?<br />
Auf jeden Fall. Wir wissen jetzt viel dezidierter<br />
über die Entwicklungspotentiale<br />
von Menschen Bescheid, und das ist ein<br />
Ergebnis der Integration von verschiedenen<br />
Disziplinen: Neurologie, Medizin, Pädagogik,<br />
Psychologie, Soziologie – all das<br />
ergibt ein Mosaik, das hilft, die menschliche<br />
Entwicklung in unterschiedlichen<br />
Kontexten besser zu verstehen. Einige<br />
Entwicklungen tragen schon Früchte.<br />
Kinder werden zunehmend ganzheitlich<br />
ernst genommen, sozusagen schon als<br />
kleiner Mensch ein ganzer Mensch. Im<br />
Mittelpunkt sollte nicht stehen, wo es erst<br />
hinkommen soll, sondern wie es jetzt sein<br />
Leben mitgestalten kann. Kinder haben<br />
das Recht, dass ihre Bedürfnisse ernst genommen<br />
werden.<br />
Haben Sie eine Person im Umfeld der Sozialen<br />
Berufe, die Sie als Vorbild sehen?<br />
Weiß ich ehrlich gesagt nicht.<br />
Welche Autorin oder welchen Autor lesen Sie<br />
besonders gern?<br />
Ich lese viel Belletristik und auch »gute«<br />
Krimis, und es fällt mir schwer, einzelne<br />
Namen zu nennen. Diese Lektüre brauche<br />
ich als Gegengewicht zu den wissenschaftlichen<br />
Texten. Ich habe zuerst Psychologie<br />
studiert und schwankte damals,<br />
ob ich nicht doch Kriminalistin werden<br />
könnte, denn mich fasziniert es herauszufinden,<br />
warum ein Mensch so handelt,<br />
wie er es tut. Das kann ich gut in meine<br />
Arbeit integrieren: Im Biographie-Seminar<br />
gibt es neben der wissenschaftlichen Literatur<br />
auch eine Romanliste für den »biographischen<br />
Blick«, was die Studierenden<br />
sehr schätzen.<br />
Was würden die meisten Menschen von Ihnen<br />
gar nicht erwarten?<br />
Die meisten sind völlig verblüfft – ich<br />
mache große Teppichbilder, die jeweils<br />
zwischen 3 und 5 Jahre dauern, und zwar<br />
Bilder, die ich im Kopf habe und denen<br />
ich mit Wolle und Farbe Gestalt gebe. Ich<br />
brauche etwas, was ich mit den Händen<br />
anfertige. Der letzte Teppich heißt »Californian<br />
Stranded Goods«, und gerade<br />
entsteht einer über Musik: »Hallelujah«!