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Die Sexualität zwischen Jugend- und Erwachsenenalter bei Menschen mit geistiger BehinderungTagung „Gesundheit fürs Leben“ Potsdam, Mai 2009Die Sexualität zwischen Jugend- und Erwachsenenalterbei Menschen mit geistiger BehinderungVortrag von:Rosemarie CzarskiDipl. Sozialpädagogin, CoachHeilpädagogisches Centrum Augustinum Münchenrosemarie.czarski@hpca.deIch spreche über Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung. Viele, die sobezeichnet werden, habe ich in meinem Berufsalltag kennengelernt. Ich übe michtagtäglich im Verstehen dieser Menschen. Ob es mir gelingt, oder wie weit es mir gelingt,könnte nur jeder/ jede Einzelne von ihnen beantworten.Auf jeden Fall ist es eine große Herausforderung und Aufgabe, vielleicht ist es sogard i e große Kunst in der pädagogischen Arbeit den Menschen mit geistiger Behinderungso gut es geht wahrzunehmen und zu verstehen.Gerade bei einer so intimen, persönlichen und individuellen Angelegenheit, wie derSexualität.Ich kann also an dieser Stelle nur verallgemeinernd zu ihnen sprechen von dem, was ichin Einzel- und Gruppensituationen mit Mädchen und Frauen und in Gesprächen mitmännlichen Kollegen über Jungen und Männer erfahren und beobachtet habe, inVerknüpfung mit dem, was man in den wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen überdie Lebenswirklichkeit von Jugendlichen und Erwachsenen mit geistiger Behinderungfestgestellt hat.Zwischen Jugend und Erwachsenalter – das Alter dazwischenIn der Fachliteratur ist das Ende des Jugendalters umstritten. Manche sprechen auch von„Post - Adoleszenz“und meinen das Alter zwischen 21 und 25 Jahren.Ich stelle mir bei meinen folgenden Ausführungen junge Erwachsene vor, die am Endeihrer Schulzeit stehen und am Start ins Arbeitsleben.Es ist ein Blick in die Vergangenheit, die Kindheit und Pubertät und in die Zukunft auf dasErwachsenenalter nötig.Auch für gleichaltrige Nichtbehinderte ist diese Zeit eine besondere Lebensphase:- kein Kind mehr sein und noch nicht erwachsen -1

Die Sexualität zwischen Jugend- und Erwachsenenalter bei Menschen mit geistiger BehinderungDie Sexualität von Menschen mit geistiger Behinderung ist „behindert“Im Arbeitsalltag würde ich oft sogar sagen:„Die Sexualität wird behindert oder gar verhindert.“Im Folgenden möchte ich die speziellen Umstände und Faktoren aufzeigen, die dieSexualität und das selbstbestimmte Leben von Sexualität bei Menschen mit einersogenannten geistigen Behinderung beeinflussen. Wenn Menschen mit geistigerBehinderung Probleme mit ihrer Sexualität haben, so ist dies weniger auf die Behinderungzurückzuführen, als auf die Besonderheiten ihrer Lebensverhältnisse.Grundsätzlich wird auch in Fachkreisen einhellig festgestellt:„Es gibt keinen Unterschied zwischen der Erotik und Sexualität von behinderten undnichtbehinderten Menschen.“(Bosch, 2004)Die körperliche – sexuelle Entwicklung verläuft altersgemäß. Das äußereErscheinungsbild, die Geschlechtsmerkmale entsprechen in der Regel bei Menschen mitgeistiger Behinderung dem Lebensalter.Die Entwicklungsprozesse in intellektueller und psychosozialer Hinsicht verlaufen nichtzeitgleich, mitunter verzögert und länger andauernd als bei „nichtbehinderten“Gleichaltrigen. Es gibt eine Diskrepanz zwischen Intelligenz- und Sexualalter.Dieses Missverhältnis erschwert dem Jugendlichen mit geistiger Behinderung dasVerstehen und Einordnen von körperlichen Veränderungen, sexuellen Bedürfnissen undGefühlsschwankungen.Welche Faktoren beeinflussen die sexuelle Identität?Viele Menschen mit der Diagnose ‚Behinderung’erfahren lebenslanges,defektorientiertes, medizinisches, therapeutisches Behandeln und die Abhängigkeitvon Pflegemaßnahmen. Maßnahmen, die selbstverständlich notwendig sind.Aber wir müssen auch sehen, was das für das Kind bedeuten kann:- der Fokus richtet sich auf den Defekt, nicht auf das Kind als Person- der eigene Körper wird als mangelhaft, fehlerhaft erfahren. Ein positives Gefühl fürden Körper zu entwickeln ist schwer.- Das Wahrnehmen der eigenen Grenzen und Gefühle wird unterdrückt und kann sichnicht entwickeln.Das gleich gilt auch für pflegerische Hilfe. Menschen mit Behinderung haben oftlebenslang keinen Einfluss darauf w e r sie, w a n n und w i e pflegt.All diese meist notwendigen Maßnahmen lassen Gefühle der Ohnmacht, desAusgeliefertseins wachsen.2

Die Sexualität zwischen Jugend- und Erwachsenenalter bei Menschen mit geistiger BehinderungAuch in neugebauten Wohnheimen sind nach wie vor Doppelzimmer zu finden.Aus dienstplantechnischen Gründen werden bei Pflegemaßnahmen nicht die Wünsche derBehinderten berücksichtigt.Leider immer noch duschen Erzieherinnen männliche Bewohner; Zivildienstleistendehelfen der Rollstuhlfahrerin beim Toilettengang. Und wegen der Aufsichtspflicht und derdünnen Personaldecke müssen die Türen zum Gang offen stehen.Die Kenntnisse über den eigenen Körper und über Sexualität reichen nicht aus.Junge Erwachsene mit geistiger Behinderung brauchen verstärkt Informationen über deneigenen Körper und über Sexualität, um die erlebten Veränderungen ihres Körpersintellektuell einzuordnen.In Befragungen äußern Jugendliche mit geistiger Behinderung, genau wie ihrenichtbehinderten Altersgenossen, den Wunsch von Personen außerhalb ihrer Schulen undEinrichtungen aufgeklärt zu werden.In Sonderschulen mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung ist Sexualerziehung imLehrplan vorgesehen. Es gibt aber keine Vorgaben für den Umfang desSexualkundeunterrichts.Nach dem Verlassen der Schule findet häufig keine Informationsvermittlung mehr zumThema Sexualität statt.Sexualisierte GewaltIch möchte an dieser stelle auf dieses Thema eingehen, weil Menschen mit geistigerBehinderung ein drei bis zehnmal höheres Risiko haben im Laufe ihres LebensOpfer sexueller Gewalt zu werden als die Gesamtbevölkerung.Vorweg: sexuelle Gewalt hat nichts mit Sexualität zu tun, sondern ist sexuelle Ausbeutungvon abhängigen Menschen und Machtausübung.Es gibt inzwischen einzelne Untersuchungen über die Erfahrung von sexueller Gewalt beiFrauen mit Behinderung - mit unterschiedlichen Ergebnissen. Es zeigt sich aber, dassmindestens 64% der Frauen mit geistiger Behinderung im Laufe ihres Lebens sexuelleGewalt erleben müssen.Diese Zahlen decken sich mit meinen Erfahrungen aus der Arbeit mit Frauengruppen.Bei nichtbehinderten Frauen liegen die Zahlen bei 35%, bei nichtbehinderten Männern bei15% . Wir können bei Männern mit geistiger Behinderung von mindestens 30% ausgehen.37% der Täter kommen aus dem professionellen Umfeld. Es sind Pädagogen,Therapeuten, Wohnheimleiter, Busfahrer, ...5

Die Sexualität zwischen Jugend- und Erwachsenenalter bei Menschen mit geistiger BehinderungNeben der üblichen Wissensvermittlung ist es für junge Menschen mit Lernschwierigkeitenvor allem wichtig:- Verhaltensregeln zu kennen (Wie verhalte ich mich wo.)- die eigenen und die Gefühle anderer wahrzunehmen- die eigene Grenzen zu spüren und zu behaupten, als Prävention vor sexueller GewaltZum Abschluss noch ein Zitat von Herrn Prof. Joachim Walter :„Es liegt an uns, ob die Sexualität Behinderter eine behinderte Sexualität ist,und wie lange sie es noch bleibt.“Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.7