Tapetenwechsel in Zerbst<strong>Wir</strong> begleiten Steven, der seine Kinderdorffamilie verlässtund Ostern das erste Mal in den eigenen vier Wände verbringt.Es kommt für jeden einmal derTag, <strong>an</strong> dem es heißt: „Auszugaus dem Kinderzimmer - Einzugin die eigenen vier Wände. Aberwas es wirklich heißt, k<strong>an</strong>n nur dernachvoll<strong>ziehen</strong>, der diesen Schrittschon gewagt hat.L<strong>an</strong>ge vorher malt m<strong>an</strong> es sich inden schönsten Farben aus: Freiheit,Ruhe, ich k<strong>an</strong>n über <strong>alle</strong>s <strong>alle</strong>inbestimmen; k<strong>an</strong>n machen, was ichwill, keiner redet mehr rein, keinenervenden Geschwister mehr…..Aber d<strong>an</strong>n war es doch g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>ders:Ich heiße Steven, bin fast 19 Jahrealt und lebte vier Jahre in <strong>einem</strong> Kinderdorfhausdes <strong>Albert</strong>-<strong>Schweitzer</strong>-Familienwerkes Sachsen-Anhalt inJütrichau.Wenn ich so zurückblicke, waren dasvor <strong>alle</strong>m schöne Zeiten. Ich konnteregelmäßig die Schule besuchen,hatte ein eigenes Zimmer, meineKinderdorfeltern und Simone, unsereErzieherin, waren immer da, wennich jem<strong>an</strong>den brauchte.Klar gab es auch mal Meinungsverschiedenheitenoder auch Reibereienunter uns Geschwistern, aber dasgehört wohl dazu.4Mit dem Abschluss der 10. Klassebekam ich eine Lehrstelle alsKoch in Aken. Darüber war ichsehr glücklich, weniger über denUmst<strong>an</strong>d, weg<strong>ziehen</strong> zu müssen.Aken ist von Jütrichau zwar nur 14km entfernt, aber die Elbe trenntdie Regionen und außerdem fahrenkeine öffentlichen Verkehrsmittel.Eine geeignete Wohnung war baldgefunden und nach der Besichtigungmit den Vormietern geklärt, dassich Teile der Wohnungseinrichtungübernehmen k<strong>an</strong>n, worüber ich sehrfroh war.Nach dem Sommerlager hieß es,Sachen packen, <strong>alle</strong>s in den Kleinbusverstauen, von <strong>alle</strong>n verabschiedenund auf geht es mit <strong>einem</strong> lachendenund <strong>einem</strong> weinenden Auge in meinneues Leben.Aber der Schrecken war riesig, alsich eine leere Wohnung vorf<strong>an</strong>d.Nun hatte ich nur mein Bett undmeine Sachen, welche in Kistenund Taschen verstaut waren. KeinenSchr<strong>an</strong>k, keinen Tisch, keinenStuhl…. So hatte ich mir den Startin mein „neues“ Leben nicht vorgestellt.Als Ute kam, die mich für einegewisse Zeit nachbetreuen sollte,war sie sprachlos. Aber sie hatteauch bald einen Pl<strong>an</strong>. Das KinderdorfhausNiederlepte wurde gerades<strong>an</strong>iert. Die Kinderdorffamilie, diedort wohnte, ist in ein kleineresHaus gezogen, so dass noch Möbelüber waren. Das musste aber erst imFamilienwerk besprochen werden.Ich hatte Glück! Ich sollte die Möbelbekommen.Außerdem bekam ich zusätzlicheinen großen Kühlschr<strong>an</strong>k. In denTagen zuvor strich ich meine Wändefarbig <strong>an</strong> und mit Ute besorgte ichnoch einen Herd, Staubsauger undwas m<strong>an</strong> so für den Alltag braucht.D<strong>an</strong>n war es endlich so weit. MitHilfe von Herrn Hellfritsch, Ute und
ein paar Jugendlichen wurden dieMöbel nach Aken gebracht und auchgleich aufgestellt. Herr Hellfritschtapezierte noch schnell die kleineKüche und innerhalb eines Tageshatte ich eine möblierte Wohnung.Ich räumte meine Sachen ein, und esschlich sich g<strong>an</strong>z l<strong>an</strong>gsam das Gefühlein, dass ich mich wohlfühlen könntein m<strong>einem</strong> neuen Zuhause.Vor ein paar Tagen gab es d<strong>an</strong>nnoch eine Überraschung. Ich schlossdie Tür auf und erschrak zuerst.Im Wohnzimmer st<strong>an</strong>d ein schönes,großes Ledersofa. Ute hattekurzerh<strong>an</strong>d beschlossen, sich einneues zu besorgen, und hat mir ihr„altes“ überlassen, auf dem es sehrgemütlich ist. Nun war meine Wohnungvollständig eingerichtet. Fürdie Gemütlichkeit war ich zuständig.Beim Dekorieren gab ich mir großeMühe. Von meiner Wohnung habeich es nicht weit zumeiner Arbeitsstelle.Ich k<strong>an</strong>n zu Fuß laufen.Anf<strong>an</strong>gs war es sehrungewohnt, zurückzukehren,wo niem<strong>an</strong>dauf mich wartete. Esk<strong>an</strong>n sich sicher jederden Trubel vorstellen,der in <strong>einem</strong> Haus ist,in dem 7 Kinder wohnen.Und auf einmaldiese Stille!So hatte ich es mirnun doch nicht vorgestellt.So einsam.Denn ich k<strong>an</strong>nte j<strong>an</strong>och niem<strong>an</strong>den indieser Stadt. Ute kamauf die Idee, mich inder Bibliothek <strong>an</strong>zumelden,so dass ichmeine Freizeit sinnvollnutzen konnte.Einen Fernseherhabe ich nochnicht, da ich erstbeweisen muss,dass ich pünktlichauf Arbeit und inder Schule erscheine.Aber seit kurzembegrüßt mich nundoch jem<strong>an</strong>d,wenn ich nachHause komme.Tommi, mein Wellensittich.Er zwitschert mir d<strong>an</strong>ngutgelaunt etwas vor und ich fühlemich nicht mehr g<strong>an</strong>z so <strong>alle</strong>in.Mittlerweile habe ich auch auf Arbeitein paar Kontakte geknüpft.Wer hat auch gesagt, dass es einfachwerden würde, in die eigenen vierWände zu <strong>ziehen</strong>??? Aber ich weiß,dass ich jederzeit Hilfe bekomme,falls ich sie benötige. Das finde ichsehr beruhigend. Mit der Zeit wirdsicher vieles einfacher.Steven, früherFamilienwerk in Zerbst5