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Und nun will ich auf meine etwas i

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In <strong>meine</strong>m Vortrag heute <strong>will</strong> <strong>ich</strong> <strong>auf</strong> einige Fallstricke <strong>auf</strong>merksam machen,die zu vermeiden sind, wenn der "Blick über den Zaun" mit diesem Anspruch indie Lande zieht.Aber die eigentl<strong>ich</strong>e Frage heißt:„Was bringt die Schule den jungen Menschen für ihre private und für ihreberufl<strong>ich</strong>e Zukunft und was für ihre Teilnahme am öffentl<strong>ich</strong>en Leben?“Aber vorweg – auch weil wir Gäste hier haben, die den "Blick über den Zaun"n<strong>ich</strong>t so gut kennen - die Frage:1. Was ist besonders am "Blick über den Zaun"? (5)Besonders ist zum einen seine pädagogische Konzeption,zum zweiten – wie erwähnt - ein spezifisches Verständnis vonSchulentwicklung.Erfreul<strong>ich</strong> ist: Beides wird zunehmend wahrgenommen in der öffentl<strong>ich</strong>enDiskussion, wenn es um Wegweiser aus der Depression nach PISA geht:… beim Deutschen Schulpreis, in den Filmen und Kolumnen von Reinhard Kahl,in überregionalen Zeitschriften wie GEO und in Büchern wie Christian Füllersaktueller Abrech<strong>nun</strong>g mit der Bildungspolitik.Über Annemarie von der Groeben Streitschrift „Wir wollen Schule machen!“werden wir morgen sprechen. R<strong>ich</strong>tig platziert könnte diese ungemein vitaleSelbstdarstellung des "Blick über den Zaun" noch mehr als dieprogrammatischen Schriften auch Laien verständl<strong>ich</strong> machen, wie eine andereSchule konkret aussehen kann 1 .Auf dem Büchertisch vorne finden Sie die Broschüre „Grundlagen guterSchule“ 2 von den Vogelsaengers.Darin ber<strong>ich</strong>ten sie u. a., wie die Georg-Christoph-L<strong>ich</strong>tenberg-Gesamtschule(IGS) in Göttingen von ihren AbsolventInnen erfragt,in welchen Kompetenzdimensionen sie s<strong>ich</strong> mehr oder weniger gut <strong>auf</strong> dieAnforderungen im Betrieb oder an der Hochschule vorbereitet fühlen –und diese Selbsteinschätzungen mit analogen Fremdeinschätzungen durch dieEinr<strong>ich</strong>tung kontrastiert.Die Laborschule Bielefeld hat in ihren Absolventenbefragungen zusätzl<strong>ich</strong>einschätzen lassen, wie w<strong>ich</strong>tig bestimmte Kompetenzen für die jeweiligenAnforderungen waren.Mir scheint, beide Inbstrumente gehören zu den ernsthaftesten Formen derSelbstüberprüfung, denen sie s<strong>ich</strong> eine Schule stellen kann 3 .Die Schlüsselfrage ist für die Entwicklung von Schulqualität ja n<strong>ich</strong>t:„Wie viele Punkte erre<strong>ich</strong>en unsere SchülerInnen in ausgewähltenLeistungstests?“.Das kann zwar eine durchaus hilfre<strong>ich</strong>e Zusatzinformation für die Evaluationvon Unterr<strong>ich</strong>t sein,und deshalb trete <strong>ich</strong> nach wie vor für deren Nutzung ein.Hinzu kommt eine zweite Frage, die bei der heute dominierenden Output-Orientierung der Lernstandserhebungen le<strong>ich</strong>t in den Hintergrund rückt:2 Vogelsaenger, R., u. a. (2005, 46 ff.).3 …auch wenn bei der Bewertung der Ergebnisse immer bedacht werden muss, dass die Nützl<strong>ich</strong>keit im Beruf1Horst Rumpf vor 35 Jahren: BEschreibung statt VORschrift3nur ein Kriterium für den Ertrag von Schule sein kann.4


„Wie soll der soziale Raum gestaltet werden, in dem unsere Kinder undJugendl<strong>ich</strong>en viele tausend Stunden ihres Lebens verbringen, damit sie s<strong>ich</strong>als Person allseitig entwickeln können?“1.1 Das pädagogische LeitbildMir ist das Besondere an den Standards des "Blick über den Zaun" kürzl<strong>ich</strong>wieder sehr deutl<strong>ich</strong> geworden, als <strong>ich</strong> ein Interview mit dem USamerikanischenOrganisationsberater Peter Senge zu seinem Buch „Schoolsthat learn“ gelesen habe 4 .(6)Senge (2001, 44) führt die Probleme unseres Schulsystems <strong>auf</strong> fünf Irrtümerzurück, die s<strong>ich</strong> aller Alltagserfahrung zum Trotz wie ein Geheimkodex inpädagogischen Institutionen und Praxistraditionen behaupten. In <strong>meine</strong>reigenen Sprache zusammengefasst:• Kinder sind Mängelwesen, und es ist Aufgabe der Schule, sie in Ord<strong>nun</strong>gzu bringen 5 .• Lernen findet im Kopf statt, getrennt vom Körper 6 .• Alle Menschen lernen am besten <strong>auf</strong> ein-und-dieselbe Weise….… und Lehrerinnen können dank ihrer didaktischen Expertise diesen„besten Weg“ vorgeben• Zentraler Ort des Lernens ist die Schule – Erfahrungen außerhalb zählenn<strong>ich</strong>t 7 .• Es gibt dumme und es gibt schlaue Kinder - individuelle Stärken undSchwächen, also differenzierte Leistungsprofile, geraten durch dieseBrille aus dem Blick.4 Dank an Karl-Heinz-Imhäuser für diesen hilfre<strong>ich</strong>en Hinweis.5 früher in kirchl<strong>ich</strong>en Kreisen: Sünde; heute eher medizinisch: Legasthenie; ADHS6 Vgl. Horst Rumpfs Kritik an „stillgelegte[n] Sinnl<strong>ich</strong>keit“ (Die ZEIT 17/1980), verkümmert wie eine „n<strong>ich</strong>tbenutzte Bahnstrecke“.7 …obwohl wir dem informellen Lernen nach Expertenschätzungen 2/3 bis 3/4 unseres Wissens und Könnensverdanken, vgl. Dohmem (2001, 7).5[ Welche Verarmung der Pädagogik! Früher verwurzelt in denSündenvorstellung der Theologie 8 , heute durch die Krankheitsraster derMedizin definiert hat dieses Bild von Kindern, von ihrer Lernfähigkeit und vonder Optimierung eines Belehrungsunterr<strong>ich</strong>ts einen starken Einfluss imSchulalltag. ]Der "Blick über den Zaun" setzt dagegen ein optimistisches Menschenbild:(7)- jeden einzelnen in seiner Besonderheit wahr- und ernstnehmen;- seine Potenziale entfalten statt über seine Schwächen zu lamentieren;- Erfahrungen n<strong>ich</strong>t <strong>auf</strong> die Schule, gar <strong>auf</strong> Unterr<strong>ich</strong>t, beschränken – und inihr die Lernformen erweitern;- Schule als Ort der Begeg<strong>nun</strong>g, n<strong>ich</strong>t der Belehrung „von oben“ gestalten.Ich habe diese Forderungen vor einigen Jahren zugespitzt <strong>auf</strong> die These:„Die Öff<strong>nun</strong>g des Unterr<strong>ich</strong>ts muss radikaler gedacht,aber auch klarer strukturiert werden.“Der zweite Punkt ist w<strong>ich</strong>tig, denn „Offenheit“ darf n<strong>ich</strong>t zur Rechtfertigungfür Beliebigkeit oder gar Schlamperei werden.Die Standards des "Blick über den Zaun" und ihre Pointierung in der„Hofgeismarer Erklärung“ (2006) sind dazu ein w<strong>ich</strong>tiger Schritt.Zudem wird in den Standards klar, dass Individualisierung s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t inmethodischen Maßnahmen erschöpft, sondern ein anderes Rollenverhältniseinschließt.Sie sind als radikales Gegenbild zu den von Senge attackierten, aber in denKöpfen und den Schulpraktiken tief verankerten Annahmen zu lesen.Genau das aber macht die Verbreitung der "Blick über den Zaun"-Leitbildsschwierig. Insofern ist ein zweites Merkmal seiner Arbeit w<strong>ich</strong>tig, näml<strong>ich</strong> diePassung von pädagogischem Konzept und Stil der Schulentwicklung.8 … aber damit noch n<strong>ich</strong>t ausgestorben, wie der große Erfolg von Bernard Buebs „Lob der Disziplin“ belegt.6


1.2 Das Verständnis von Evaluation und SchulreformDamit Schulen s<strong>ich</strong> als entwicklungsbedürftig und entwicklungsfähig erlebe<strong>nun</strong>d damit sie aus konkreten Erfahrungen lernen können,müssen Anlässe bewusster Reflexion geschaffen werden.Offenheit für eine solche Selbstkritik ist am ehesten zu erre<strong>ich</strong>en, wenn sies<strong>ich</strong> <strong>auf</strong> selbst definierte Problemstellen beziehen kann – ein zentralesMerkmal der wechselseitigen Schulbesuche in den Arbeitskreisen des "Blicküber den Zaun".Anders gesagt: Evaluation braucht Distanz und Nähe.Erinnerung an HG-III (8)Innovationen entstehen le<strong>ich</strong>ter durch einen fremden Blick <strong>auf</strong>Selbstverständl<strong>ich</strong>keiten des routinisierten Alltags.Sie werden aber nur wirksam bei intimer Kenntnis der Kultur, in der sielebendig werden sollen.• Frei<strong>will</strong>igkeit der Teilnahme:Zentral für den Erfolg von Evaluation ist die Bereitschaft derBetroffenen, s<strong>ich</strong> einer Überprüfung ihrer Praxis zu stellen.Motivationspsychologische Studien zeigen:Das Gefühl der Autonomie steigert die Bereitschaft zu lernen n<strong>ich</strong>t nur beiKindern, sondern ebenso bei Erwachsenen 9 .• Zustimmung zu den Maßstäben der Evaluation:Wenn jemand an Kriterien gemessen wird, die er n<strong>ich</strong>t teilt, wird er dieErgebnisse abwehren. D. h. n<strong>ich</strong>t, dass jedem überlassen bleiben kann, dieAnforderungen an gute Schule und an guten Unterr<strong>ich</strong>t selbst zubestimmen.Aber man muss zwei Stufen der Evaluation unterscheiden: dieargumentative Verständigung über Normen und die empirischeÜberprüfung ihrer Einhaltung.Mit dem Aushandeln der Standards und mit ihrer Akzeptanz durch dieeinzelnen Schulen hat der "Blick über den Zaun" eine gemeinsame Basisfür die Konfrontation von Innen- und Außenblick geschaffen.Vergle<strong>ich</strong>t man das BüZ-Verständnis von Schulentwicklung und Evaluation mitanderen Konzepten der Rechenschaftslegung, treten fünf Unterschiedehervor (vgl. auch Annemarie von der Groeben 2008, 87-88): (9)• Orientierung der Evaluation <strong>auf</strong> Entwicklung von Schule und Unterr<strong>ich</strong>tEvaluation dient n<strong>ich</strong>t der bewertenden Klassifikation, also einem Rankingsondern der Reflexion: Wo haben wir Schwächen, wo sind unserePotenziale, was könnten produktive nächste Schritte sein?• Blick von außen – aber <strong>auf</strong> gle<strong>ich</strong>er Augenhöhe und in einemgeschützten Raum.- Interne Evaluation alleine re<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t aus, um Schulen in Bewegung zubringen.- Eine externe Evaluation „von oben“ andererseits stärkt die Neigung zudefensiven Reaktionen.So w<strong>ich</strong>tig der fremde Blick also ist – verbunden mit Kontrollansprüchenerzeugt er nur Rechtfertigungszwänge.9 Vgl. die Studien zur Selbstbestimmungstheorie der Motivation von Deci/ Ryan (1995)78


Insofern ist die symmetrische Beziehung zwischen gastgebenden undbesuchenden Schulen essenziell.• Mehrperspektivität der Wahrnehmungen und Deutungen.Wie der Streit um Fortschritte bei PISA und um die Deutung derELEMENT-Studie in Berlin erneut gezeigt haben, erbringen selbststandardisierte Evaluationsinstrumente n<strong>ich</strong>t die viel beschworenen„objektiven“ Befunde. Deren Deutung muss sozial kontrolliert werden, wie<strong>ich</strong> in Hofgeismar-II ausführl<strong>ich</strong> begründet habe.Hier ist der "Blick über den Zaun" weiter. Schon die Mischung derArbeitskreise aus verschiedenen Schulformen erzeugt unterschiedl<strong>ich</strong>eS<strong>ich</strong>tweisen. Verstärkt wird die Mehrperspektivität durch die Herkunftder Mitglieder aus verschiedenen pädagogischen Traditionen und durch dieje spezifische Entwicklungssituation ihrer Schulen.Für die Zukunft ist zu überlegen, ob der Kreis der Beteiligten n<strong>ich</strong>t überdie Profession hinaus erweitert werden sollte. Heute hier, d. h. <strong>auf</strong>bildungspolitischer Ebene, machen wir den Versuch durch die Einladung vonVertreterInnen der Elternverbände, in der Evaluation vor Ort durchkönnten Eltern und SchülerInnen der besuchten Schulen stärker in denAustausch mit den BesucherInnen einbezogen werden, wie <strong>ich</strong> das als sehrproduktiv im Arbeitskreis 1 in Potsdam erlebt habe.Sie zu thematisieren stellt die Qualitäten des "Blick über den Zaun" n<strong>ich</strong>t inFrage – im Gegenteil, man wird sein Potenzial umso nachhaltiger entfaltenkönnen, je klarer die Risiken gesehen und eingeschränkt werden.Aus <strong>meine</strong>n Beobachtungen bzw. Gesprächen und aus <strong>meine</strong>n Erfahrungen inanderen Innovationsversuchen ergeben s<strong>ich</strong> für m<strong>ich</strong> vier Problembere<strong>ich</strong>e,über die nachzudenken ist:• Was kann man tun, um die pädagogischen Prinzipien im Schulalltag allerBeteiligten lebendig werden zu lassen? ( Kap. 2)• Welche Bedingungen und welche Formen der Schulbesuche sind besondersförderl<strong>ich</strong> für eine Entwicklung der beteiligten Schulen? ( Kap. 3)• Wie kann s<strong>ich</strong> der "Blick über den Zaun" als Reformverbund erweitern,ohne seine pädagogischen Ansprüche zu verwässern? ( Kap. 4 & 5)• Auf welchen Wegen kann der "Blick über den Zaun" erfolger<strong>ich</strong> nach außenins System hinein wirken? ( Kap. 6)Auf diese vier Fragen möchte <strong>ich</strong> im Folgenden <strong>etwas</strong> ausführl<strong>ich</strong>er eingehen.So weit die Besonderheiten des "Blick über den Zaun", den <strong>ich</strong> als einenw<strong>ich</strong>tigen Motor für eine Schulreform von unten sehe.1.3 Selbstkritische Zwischenbilanz (10)Dass es andererseits bei einem so anspruchsvollen Konzept auchSchwierigkeiten in der Umsetzung gibt, scheint mir unvermeidl<strong>ich</strong>.2. Übersetzung der pädagogischen Prinzipienin den Schulalltag aller Beteiligten (11)Ich sehe große Unterschiede zwischen den BüZ-Schulen, in welcher Breite dieStandards in der Schule bekannt und im Alltag umgesetzt sind.Es re<strong>ich</strong>t eben n<strong>ich</strong>t, wenn je zwei VertreterInnen aus jeder Schule s<strong>ich</strong> beiTagungen wie hier in Hofgeismar <strong>auf</strong> hehre Ziele verpfl<strong>ich</strong>ten.910


Reform ist eine Sache, die hauptsächl<strong>ich</strong> die Reformer befriedigt. 10Gerade wenn man von einer eigenen Idee begeistert ist und andere mit ihrbeglücken möchte, muss man s<strong>ich</strong> immer wieder daran erinnern:Von außen initiierte Innovationen werden in der Regel n<strong>ich</strong>t als Chance,sondern als Belastung, wenn n<strong>ich</strong>t gar als Bedrohung erlebt.[ Denn Veränderungen gefährden… (12)- das S<strong>ich</strong>erheitsgefühl der betroffenen Personen: Innovationen erzeugen „Angst vor dem Neuen“ (Eric Hoffer);- die Machtverteilung in den betroffenen Institutionen: Innovationen bedrohen etablierte Interessen (Barry MacDonald);"von oben" oder selbst ein Frontalunterr<strong>ich</strong>t, werden sie noch so gutedidaktische Konzepte n<strong>ich</strong>t übernehmen.Andererseits ermutigt ein wenig beachteter Befund aus den vertiefendenAnalysen von PISA-2003, in denen zwischen Belastung der Schulen undAktivität des Kollegiums unterschieden wird 11 .Danach finden s<strong>ich</strong> in belasteten Schulen mehr aktive als passive Kollegien(32% zu 27% aller Schulen), während in den unbelasteten Schulen dieKollegien deutl<strong>ich</strong> seltener aktiv sind (15% zu 26% aller Schulen).Innovation ist also entgegen manchen Unkenrufen n<strong>ich</strong>t ein Luxus, den s<strong>ich</strong>nur die erlauben können, denen es gut geht.Im Gegenteil.Dieses Potenzial können und müssen wir nutzen. ]Dafür müssen wir Brücken bauenaus den Arbeitskreisen in die Schulen- die Ökonomie des persönl<strong>ich</strong>en wie des institutionellen Alltags: durch die Einführung neuer Praktiken entstehen immer Reibungsverluste– gle<strong>ich</strong>gültig, wie vorteilhaft der Gehalt der Innovation sein mag.Die Kosten-Nutzen-Rech<strong>nun</strong>g einer Innovation kann insofern für verschiedeneBeteiligte sehr unterschiedl<strong>ich</strong> ausfallen, weil Inhalt und Prozess einerInnovation widersprüchl<strong>ich</strong>e Erträge versprechen.Wenn KollegInnen n<strong>ich</strong>t deutl<strong>ich</strong> wird, dass Veränderungen auch für siepersönl<strong>ich</strong> entlastend wirken, dass z. B. Freiräume für eine Individualisierung"von unten" n<strong>ich</strong>t nur eine bessere Passung von Aufgabe und Lernstandbringen, sondern auch weniger Aufwand bedeuten als eine Differenzierung2.1 Identifikation 12 des ganzen Kollegiumsmit den Standards und dem Leitbild (13)Folgt man dem bereits erwähnten J. A. C Brown (1963, 294), dann ist dieEinr<strong>ich</strong>tung der Arbeitskreise reformstrategisch eine sehr kluge Ideegewesen. Seine bereist erwähnte These: Man kann Menschen eher zu einerVeränderung ihrer Einstellungen veranlassen, wenn man sie in eine neueBezugsgruppe holt, als wenn man versucht, sie einzeln für eine neue Positionzu gewinnen.10 (Ambrose Gwinnet Bierce, (1842 - 1914), genannt Bitter Pierce, US-amerikanischer Journalist undSatiriker)1111 Vgl. Prenzel u. a. (2005, 35).12 Senge: The source of such desire is always the same — people slowing down to answer these questions:“What do I really care about?” “What do I really want to create?”12


Das haben schon Kirchenreformer wie Paulus gewusst, als sie ihre Gemeindenum kleine Gruppen mit regelmäßigen Treffen organisiert haben.(14)Besonders fein ausdifferenziert findet s<strong>ich</strong> ein solches System derGruppenorganisation bei John Wesley, dem Gründer der Methodisten-Kirche 13 .Umgekehrt erleben wir ja immer wieder das Verpuffen der Impulse vonLehrerfortbildungen, sobald die TeilnehmerInnen nach den Tagungen in ihrealten Bezugsgruppen zurückkehren.Aber selbst wenn sie den Impuls für s<strong>ich</strong> selbst lebendig halten können, insKollegium hinein wirkt er nur selten.Noch weniger erfolgre<strong>ich</strong> ist die Verbreitung von pädagogischen Ideen überSchriften.Nach der gut fundierten Zwei-Stufen-Theorie der Medienwirkungen wirkenBotschaften n<strong>ich</strong>t direkt, sondern vermittelt über sog. „Gatekeeper“.Wir dürfen uns also n<strong>ich</strong>t zu viel von den Dokumenten erwarten, die der "Blicküber den Zaun“ in den letzten Jahren erarbeitet und breit verschickt hat.Auch ihre Verteilung in den Schulen wird wenig Wirkung haben, wenn ihreInhalte n<strong>ich</strong>t durch Personen transportiert werden (Brown 1963, 296).Kritisch gewendet: Die TeilnehmerInnen an den Schulbesuchen des "Blicküber den Zaun" sind in der Regel immer dieselben KollegInnen. Das istförderl<strong>ich</strong> für die Vertrauensbildung in den Arbeitskreisen, kann aber dieIdentifikation der anderen Mitglieder der Schule mit dem "Blick über denZaun" erschweren.(15)- Wo machen wir schon <strong>etwas</strong>?- Wo haben wir weiße Flecken?- Was können konkrete nächste Schritte sein?Meine erste Frage an Sie für die Diskussion in den anschließendenArbeitsgruppen lautet deshalb: Was machen Sie, um die Ideen des "Blick über den Zaun" in ihren Schulenzum Leben zu bringen, und welche Erfahrungen haben Sie mit konkretenVersuchen gemacht, die KollegInnen breiter zu beteiligen?evtl. (13)[ Voraussetzung für die Entwicklung einer Gruppe sind allerdings die vonSenge (2001, 46) formulierten „Bedingungen“ für Innovation:• Klarheit über persönl<strong>ich</strong>e Ziele – aber auch über die aktuelle Realität 14• Entwicklung einer gemeinsamer Vision – aber auch wechselseitigesErkennen der unterschwelligen Bilder, um Unterschiede zu nutzen• die Mögl<strong>ich</strong>keit geschützt - und produktiv über heikle Fragen zu sprechen.]Aktivitäten in dieser R<strong>ich</strong>tung im Anschluss an die Schulbesuche zu plane<strong>nun</strong>d durchzuhalten, scheint mir eine w<strong>ich</strong>tige und noch n<strong>ich</strong>t systematischgenug bedachte Aufgabe der Kollegien.Als ein Beispiel, wie man die Standards im Kollegium produktiv ins Gesprächbringen kann möchte <strong>ich</strong> die Idee der Martinschule Greifswald erwähnen, diedie Standards in Form einer Matrix als Checkliste zur Selbstevaluationgenutzt hat:13 „Wesentl<strong>ich</strong>e Merkmale der frühen Methodisten waren ein persönl<strong>ich</strong>er, engagierter Glaube, dasLaienpredigertum, die Organisation in kleinen lokalen Gruppen (Klassen) mit Bibelstudium und gegenseitigerRechenschaftspfl<strong>ich</strong>t …“ (Wikipedia)1314 Kein Pädagoge wird seinen Ansprüchen tagtägl<strong>ich</strong> gerecht werden – können. Das zu kritisieren hat keinAußenstehender das Recht. Aber wenn die Realität als r<strong>ich</strong>tig gerechtfertigt wird, wenn der Anspruch<strong>auf</strong>gegeben und das Erre<strong>ich</strong>te zum einzig Mögl<strong>ich</strong>en erklärt wird, ist Kritik notwendig.Fortschritt lebt aus der Span<strong>nun</strong>g von Wollen und Können, diese Span<strong>nun</strong>g auszuhalten ist die großeSchwierigkeit. das fällt le<strong>ich</strong>ter, wenn:14


Diese Eins<strong>ich</strong>t hat wohl auch das „Archiv der Zukunft“ motiviert, in demReinhard Kahl versucht, die Intelligenz der Praxis in einen Austausch zubringen. Vielle<strong>ich</strong>t hat dieser Ansatz seine Schwierigkeiten, weil er zu weitoben angesiedelt ist. Wolfgang Harder hat angeregt zu überlegen, ob wirn<strong>ich</strong>t im "Blick über den Zaun" Formen finden könnten, in denen s<strong>ich</strong> ganzkonkrete Ideen und Erfahrungen für die Lösung von typischen Problemenwechselseitig nutzen lassen. Aus <strong>meine</strong>r S<strong>ich</strong>t ist die Vermittlung solcherKontakte auch eine w<strong>ich</strong>tige Aufgabe für die neue Arbeitsstelle.Ehe <strong>ich</strong> <strong>auf</strong> die nächsten beiden Fragen – die Erweiterung der Arbeitskreiseund Mögl<strong>ich</strong>keiten der Einflussnahme <strong>auf</strong> das Bildungssystem insgesamt -eingehe, muss <strong>ich</strong> einen kleinen grundsätzl<strong>ich</strong>en Exkurs einschieben 17 .4. Widersprüchl<strong>ich</strong>e Anforderungen an Reformstrategien (19)4.1 Basismodelle von Innovationsstrategien evtl. (19)Wer Schule und Unterr<strong>ich</strong>t verbessern <strong>will</strong>, hat demnach unterschiedl<strong>ich</strong>eOptionen: Er kann <strong>auf</strong> der zentralen Ebene ansetzen und versuchen, dieRahmenbedingungen im Bildungssystem zu verändern: durch eine andereSchulstruktur, durch neue Lehrpläne, durch mehr Ressourcen. Wer die Klagenvon Lehrerinnen hört „Wir können n<strong>ich</strong>t, weil…“, wird diesem Weg vielabgewinnen. Andererseits fällt <strong>auf</strong>, wie unterschiedl<strong>ich</strong> <strong>auf</strong> der Ebene desAlltags vor Ort innerhalb derselben Strukturen aussieht. Entsprechendlauten die Klagen von Politik und Verwaltung: „Aber die Lehrerinnen…“.Interventionen scheinen mir <strong>auf</strong> beiden Ebenen nötig und im Verbund deutl<strong>ich</strong>wirksamer. Erfolg versprechen sie aber nur, wenn sie gut informiert sind. Hiersetzt die Aufgabe von Evaluation an, und entsprechend umfassend sind neueVersuche wie etwa die flächendeckenden Lernstandserhebungen auchangelegt. Es gibt nur ein Problem: Methoden, die für statistische Aussagenüber Zusammenhänge in großen Populationen taugen, sind unangemessen, wennes um Einzelfallentscheidungen geht. Wir haben darüber in Hofgeismar-IIausführl<strong>ich</strong> gesprochen 18 .Diese Span<strong>nun</strong>g zwischen zentralen und lokalen Anforderungen an Evaluationzeigt s<strong>ich</strong> auch, wenn man nach der Wirksamkeit von unterschiedl<strong>ich</strong>enReformstrategien fragt.Die Frage, wie man mit dieser Ambivalenz umgeht, macht <strong>auf</strong> einigegrundsätzl<strong>ich</strong>e Dilemmata von sozialen Reformen <strong>auf</strong>merksam, die <strong>ich</strong> fürunvermeidl<strong>ich</strong> halte. Eine jede Innovation muss s<strong>ich</strong> durch die Strudelzwischen Skylla und Charybdis hindurchnavigieren – und das gle<strong>ich</strong> mehrfach.4.2 Grundsätzl<strong>ich</strong>e Span<strong>nun</strong>gen in sozialen ReformprozessenÜberblick komplett (20)Die folgenden Optionen sind jeweils im Blick zu behalten (und ihre Span<strong>nun</strong>gauszuhalten), wenn man eine Reform – wie den "Blick über den Zaun" – in einetabliertes System einführen <strong>will</strong>:• Radikaler Bruch vs. Anknüpfung am Bestehenden"Only those who dare to fail greatly can ever achieve greatly."(Robert F. Kennedy, former U.S. attorney general and U.S. Senator)- Ist eine Innovation zu radikal, läuft sie Gefahr, keine Resonanz zu findenoder gar Abwehrkräfte zu mobilisieren.- Ist sie andererseits zu wenig neu, können ihre Impulse le<strong>ich</strong>t von der„bewährten“ Alltagspraxis absorbiert werden.Wenn ReformerInnen Resonanz suchen, stehen sie insofern vor derAlternative: Sollen sie <strong>auf</strong> den Bandwagon des Mainstream <strong>auf</strong>springen undseinen Fahrtwind nutzen?Beispiel: der Trend zur „selbstständigen Schule“.17 Die folgenden Überlegungen sind angelehnt an mein Hintergrundpapier für einen Vortrag vor Kuratorium.Vorstand und Beiräten der Montag-Stiftungen am 30.3.2007 in der Villa Prieger, Bonn. Vorarbeiten zudiesem Beitrag finden s<strong>ich</strong> in schon <strong>meine</strong>n alten Aufsatz „Lost in the desert of innovation theory – Themirage of dissemination and implementation“ (Brügelmann 1975).18 Vgl. Schulverbund "Blick über den Zaun" (2007).17Wer <strong>auf</strong> solche Trends setzt, hat aber nur eine Chance, wenn er seineDeutung durchsetzen kann.18


Die Alternative ist, Aufmerksamkeit zu gewinnen, indem man s<strong>ich</strong> durchbesonders starke Abwe<strong>ich</strong>ung vom Mainstream als „originell“ ausweist – mitdem Risiko einer Nischenexistenz als Exot. Ein Schicksal, das beispielsweisedie Wirkung von Demokratisierungsideen in manchen freien Schulen das Lebenbeschränkt 19 Disseminationsproblem: MacDonald/ Walker 20 (22)• Programmtreue vs. Situationspassung bei der Umsetzung (23)"The reasonable man adapts himself to the world;the unreasonable one persists in trying to adapt the world to himself.Therefore, all progress depends on the unreasonable man."(George Bernard Shaw)Wenn man mit einer Innovation in die Breite geht, stellt s<strong>ich</strong> das Problem derÜbersetzung <strong>auf</strong> die besonderen Anforderungen in verschiedenenSubkulturen und der Anpassung an unterschiedl<strong>ich</strong>e Bedingungen.Die Missionsarbeit von Religionen liefert hübsche Beispiele für die Versucheeiner Veränderung durch Anpassung (etwa die Umdeutung etablierter Bräucheund Feste, durch die eine neue Botschaft le<strong>ich</strong>ter zugängl<strong>ich</strong> wird - aber auchintentionswidrig umgedeutet werden kann).Beobachten lassen s<strong>ich</strong> zwei Umgangsweisen mit diesem Dilemma:- Schärfung bis hin zur Dogmatisierung der Botschaft, die den BeteiligtenStabilität und S<strong>ich</strong>erheit verspr<strong>ich</strong>t; sie birgt aber auch die Gefahr derVersteinerung, der Unfähigkeit zur Weiterentwicklung.- Bewegl<strong>ich</strong>keit andererseits s<strong>ich</strong>ert zwar Lernfähigkeit, riskiert aber eineVerwässerung durch zunehmende Beliebigkeit.Wer die historische Entwicklung der Montessori-Pädagogik und derWaldorfpädagogik einerseits, der Freinet-Pädagogik andererseits verfolgt,findet anschaul<strong>ich</strong>e Beispiele für einseitige Auflösungen dieser Dilemmata.• Fokussierung vs. Flächendeckung (24)"Pick battles big enough to matter, small enough to win."(Jonathan Kozol, American nonfiction writer and educator)- Da die Ressourcen in der Regel knapp sind, muss man s<strong>ich</strong> überlegen, wie vielkritische Masse an einem Punkt konzentriert werden muss, um im Systemüberhaupt eine s<strong>ich</strong>tbare Veränderung zu erre<strong>ich</strong>en.Denn bei Verteilung der Mittel und Kräfte besteht die Gefahr einerVerdün<strong>nun</strong>g des Innovationsgehalts, so dass die Botschaft des Neuen n<strong>ich</strong>tmehr erkennbar wird.- Ohne eine zure<strong>ich</strong>ende Streuung in der Breite andererseits verkümmert dieReform le<strong>ich</strong>t zur Insel in einer weiterhin unveränderten Landschaft, oder dieReibungsverluste in Auseinandersetzung mit „dem System“ binden Energie<strong>nun</strong>d verlangen Kompromisse, die das Überleben der Innovation ebenfallsgefährden.• Tempo vs. Gründl<strong>ich</strong>keit (25)Wo ständig reformiert wird, drängt s<strong>ich</strong> der Verdacht <strong>auf</strong>,dass dort nie <strong>etwas</strong> Bleibendes geschaffen wurde.(Ernst Probst, *1946, deutscher Schriftsteller und Verleger)19 Ein zweites Problem: Veränderung bloß des Verhaltens oder Änderung der Haltung: JAC Brown„Konvertiten“. Die Pädagogik leidet unter Methoden-Moden, ohne dass s<strong>ich</strong> die Rollen verändern. OffenerUnterr<strong>ich</strong>t ist Stationenarbeit mit denselben Aufgaben und Arbeitsblättern wie vorher.20 MacDonald/ Walker (1976) machen zusätzl<strong>ich</strong> <strong>auf</strong> das Problem <strong>auf</strong>merksam, dass ReformerInnen dazuneigen, gegenüber verschiedenen an einer Innovation Beteiligten unterschiedl<strong>ich</strong>e Images zu erzeugen: hoheAnsprüche gegenüber den Geldgebern und den FachkollegInnen, Nähe zur Praxis und le<strong>ich</strong>te Umsetzbarkeitgegenüber den vor Ort Betroffenen. Das sog. „Disseminationsproblem“ sei insofern oft ein von denEntwicklerInnen bzw. AutorInnen selbst erzeugtes Artefakt…19Jede Reform, wie notwendig sie auch sein mag,wird vom schwachen Geistern so übertrieben werden,dass sie selbst der Reform bedarf.(Samuel Taylor Coleridge, 1772 - 1834,englischer Lyriker und Literaturkritiker)20


- Wer <strong>auf</strong> rasche Veränderungen setzt, riskiert eine nur oberflächl<strong>ich</strong>eVeränderung bis hin zum Mimikry, mit dem die Betroffenen ihr Überleben,auch das anstehender Reformen s<strong>ich</strong>ern.- Ist der Innovationsprozess zu langfristig angelegt, kann die Durststreckebis zum Erfolg die Beteiligten demotivieren, so dass sie ihr Engagementreduzieren oder ganz <strong>auf</strong>geben.• Strukturen vs. Personen (26)„Organisationen sind Gebilde,in denen viele rudern,um wenige voranzubringen.“(Prof. Querulix)Die Persönl<strong>ich</strong>keit sensibler Geister braucht einen Sarkophag,sonst geht sie an den Angriffen der Umwelt zugrunde.Peter Rudl, (*1966), deutscher Aphoristiker- Wer an Systemveränderungen denkt, neigt dazu neue Strukturen zuschaffen („Gesamtschule“, „Ganztagsschule“).Auch aus der S<strong>ich</strong>t der Politik lassen sie s<strong>ich</strong> am le<strong>ich</strong>testen verändern.- Aber im sozialen Bere<strong>ich</strong> sind Reformen <strong>auf</strong> Personen angewiesen.Sie leben von Charismatikern als Zugpferden und von der Kompetenz und demEngagement derjenigen, die sie im Alltag lebendig machen.Andererseits verschleißt s<strong>ich</strong> persönl<strong>ich</strong>es Engagement sehr schnell, wenn dieRahmenbedingungen n<strong>ich</strong>t stimmen. <strong>Und</strong>: Reformen, die allein <strong>auf</strong> Personensetzen, sterben mit deren Weggang.Es gibt keinen einfachen Trick, um Ideen erfolgre<strong>ich</strong> zu verbreiten.So ein Prozess ist mühevoll und die Wirkungen sind widersprüchl<strong>ich</strong>. Ich <strong>will</strong>also dar<strong>auf</strong> <strong>auf</strong>merksam machen, die kleinen Fortschritte wahrzunehmen unds<strong>ich</strong> an ihnen zu freuen, statt den ausbleibenden großen Sprüngenhinterherzujammern.Was also können wir tun, um diese kleinen Schritte wahrscheinl<strong>ich</strong>er zumachen?4.3 Folgerungen für eine Reformstrategie des "Blick über den Zaun"Nach dem, was <strong>ich</strong> kurz aus der Innovationsforschung referiert habe, wird esSie n<strong>ich</strong>t überraschen, dass <strong>ich</strong> für eine Strategie plädiere, die n<strong>ich</strong>t alles <strong>auf</strong>eine Karte setzt, sondern die eine Balance zwischen s<strong>ich</strong> ergänzendenInterventionsformen sucht.Um s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t in den oben genannten Dilemmata gesellschaftl<strong>ich</strong>erInnovationen zu verfangen, sind also bewusst Aktivitäten miteinander zuverbinden, die diese Span<strong>nun</strong>gen auszuhalten helfen. Bezogen <strong>auf</strong> den "Blicküber den Zaun": Wir brauchen…(27)• anspruchsvolle Fernziele UNDeine schrittweise Verbesserung der Alltagspraxis- Langfristige Perspektiven hat der "Blick über den Zaun" durch sein Leitbild,durch seine Standards und durch die Hofgeismarer Erklärung formuliert.Damit macht er s<strong>ich</strong> in der bildungspolitischen Landschaft erkennbar.- Gle<strong>ich</strong>zeitig arbeitet jede Schule exemplarisch vor Ort diese Ansprüche inihrer tagtägl<strong>ich</strong>en Arbeit klein – eine wesentl<strong>ich</strong>e Voraussetzung für dieGlaubwürdigkeit der Programmatik.Um diese vielen Fallen zu wissen kann entmutigen.Es kann aber auch entlasten.<strong>Und</strong> darum geht es mir.21Allerdings:Immer wieder <strong>auf</strong> die BüZ-Schulen zu verweisen, die beim DeutschenSchulpreis erfolgre<strong>ich</strong> waren, verspr<strong>ich</strong>t zwar in der Öffentl<strong>ich</strong>keitAufmerksamkeit.22


Aber es kann gerade die Kollegien entmutigen, die tief im Sumpf derAlltagsprobleme sitzen. 21• .sorgfältige Entwicklung der Grundlagen UND (27)Beschleunigung der Verbreitung- Es war klug, das Format des "Blick über den Zaun" behutsam zu erprobe<strong>nun</strong>d die Kerngruppe zunächst nur langsam zu erweitern. Mit der Bereitschaftzur Selbstausbeutung, die Pionieren eigen ist, ließ s<strong>ich</strong> Manches informellregeln, an anderer Stelle haben Stiftungen geholfen.Auf Dauer aber müssen die Aktivitäten vom Verbund selbst organisiertwerden. Darum ist jetzt w<strong>ich</strong>tig, rasch eine kritische Masse zu erre<strong>ich</strong>en,damit s<strong>ich</strong> der Verbund selbst tragen kann.Aber auch dann stellen s<strong>ich</strong> für die einzelne Schule wie für den Verbundkonkrete Entscheidungsfragen in dieser Span<strong>nun</strong>g:Wie viel von einem gegebenen Budget investiert man in Fortbildung, Beratungund Unterstützung für alle, wie viel konzentriert man in Leuchtturmprojekte,um deren Durchschlagskraft zu erhöhen?• Bewahrung von Kontinuität UNDVariation der Entwicklung- Die Konzeption der Arbeitskreise zielt <strong>auf</strong> eine mehrjährige Reihewechselseitiger Besuche im kleinen Kreis. Das fördert den Aufbauwechselseitigen Vertrauens, so dass s<strong>ich</strong> eine gemeinsame Kultur mitgemeinsamen Normen und Deutungsmustern entwickeln kann.- Es fehlen aber Vorkehrungen, damit es n<strong>ich</strong>t zu geschlossenen In-groupskommt.21 Der Preis für die Würdigung weniger exzellenter Leistungen sind die vielen VerliererInnen – insofern bin<strong>ich</strong> skeptischer als Fauser (2008); s. auch Lesewettbewerbe als Mittel der Leseförderung. AlsSchriftsprachdidaktiker ist mir der Widersinn dieser verbreiteten Logik z. B. bei den Wettbewerben<strong>auf</strong>gefallen, die die Stiftung Lesen seit Jahrzehnten inszeniert hat, um Leseförderung zu betreiben. Jeder,der s<strong>ich</strong> an Erfahrungen in Wettbewerbsübungen wie dem Eckenrechnen erinnern kann, weiß, was das für dieLeistungsschwachen bedeutet. Ich brauche gar n<strong>ich</strong>t in die Diskussion um Ziffernnoten einzusteigen – auchso wird jedem klar: Wenn wir Individualisierung für die Lernprozesse von Kindern und Jugendl<strong>ich</strong>enverlangen, dann dürfen wir n<strong>ich</strong>t erwarten, dass ein Modell von Evaluation und Schulentwicklung für alleKonstellationen passt.23Eine Öff<strong>nun</strong>g der Arbeitskreise (s. unten) und ein verstärkter Austausch derErfahrungen (angeregt und moderiert durch die Arbeitsstelle) sindnotwendig.Nachdem der "Blick über den Zaun" seine Grundprinzipien in mehrerenDokumenten klar herausgearbeitet hat, sollten jetzt auch Varianten ihrerUmsetzung unter verschiedenen Bedingungen überlegt werden, z. B. umSchulen, die noch n<strong>ich</strong>t so weit sind, zu sinnvollen ersten Schritte zuermutigen Folie „Karawane“ (28)• eine Konzentration von Impulsen UNDdie Vernetzung von Aktivitäten- Der "Blick über den Zaun" hat bewusst klein angefangen und ist langsamgewachsen. Zudem wurden die Aktivitäten <strong>auf</strong> kleine Arbeitskreise von 8-10Schulen konzentriert, die über die wechselseitigen Besuche intensivzusammengearbeitet haben.- Auf der anderen Seite gab es schon von der Anlage der Arbeitskreise herimmer überregionale Kontakte, die zudem über die Koordinationsgruppe unddie Hofgeismarer Tagungen einen bundesweiten Austausch von Ideen undErfahrungen gefördert haben.Mit zunehmender Zahl der Mitgliedsschulen muss dieser Austauschmögl<strong>ich</strong>erweise über Zwischenebenen noch stärker organisiert werden (z. B.über eine Regionalisierung von Fachtreffen, s. unten)• die Ermutigung von Personen UNDeine S<strong>ich</strong>erung förderl<strong>ich</strong>er Rahmenbedingungen- Noch so kluge Dokumente und noch so attraktive Materialien verändernWirkl<strong>ich</strong>keit n<strong>ich</strong>t unter der Oberfläche.Der "Blick über den Zaun" setzt <strong>auf</strong> die Begeg<strong>nun</strong>g von Personen. Das ist seineStärke und war bisher zugle<strong>ich</strong> seine Schwäche.- Bisher gab es aber keine Infrastruktur, die den Wechsel von Personenüberdauert, und das Engagement der Beteiligten konzentrierte s<strong>ich</strong> <strong>auf</strong> eineVerbesserung ihrer Arbeit vor Ort.24


Einige Arbeitskreise stehen vor dem Abschluss der wechselseitigenBesuchsserien. Am Ende der acht Besuche könnte man die Arbeitskreisehalbieren oder dritteln und durch die Aufnahme neuer Schulen <strong>auf</strong>füllen.Vorteile dieses Verfahrens sind die beiläufige Tradierung von Erfahrungen an„die Neuen“ (wie in altersgemischten Gruppen bei der Einschulung) undzugle<strong>ich</strong> neue Impulse für „die Alten“ durch Konfrontation mit neuen Ideen,Problemen und Erfahrungen.Viertens sind als neue Formen aber auch Varianten denkbar, z. B. als• Nachbarschaftsmodelletwa durch räuml<strong>ich</strong>e Nähe oder inhaltl<strong>ich</strong> begründet. So könnte man aucheinmal probieren, Schulen der gle<strong>ich</strong>en Schulform zusammenzunehmen.Thematisch lassen s<strong>ich</strong> besondere Rahmenbedingungen wie „sozialerBrennpunkt“ als Fokus eines Arbeitskreises denken. Aber auch besondereAufgaben wie der Aufbau neuer Schulen könnten zur Auswahl für einenArbeitskreis mit Sonder<strong>auf</strong>trag führen.Vor allem den Austausch mit Gründungsinitiativen freier Schulen sehe <strong>ich</strong> alsbeiderseitige Entwicklungshilfe: für die NeugründerInnen aus langjährigerPraxiserfahrung der Regelschulen; aber auch für die Etablierten als immerwieder neue Herausforderung der Freien, bewährte Praktiken zu überdenke<strong>nun</strong>d in Bewegung zu bleiben.Dabei ist zu bedenken: Der "Blick über den Zaun" hat s<strong>ich</strong> bewährt alsArbeitsform für gute Schulen, um zu sehr guten Schulen zu werden. Aber ister auch ein Rezept für ganz normale Schulen, die s<strong>ich</strong> <strong>auf</strong> den Weg machenwollen? <strong>Und</strong> wie steht es mit Schulen, die tief im Schlamassel eineszerstrittenen Kollegiums, einer wechselseitigen Blockierung von Eltern undLehrerinnen oder einem kalten Krieg zwischen Schulleitung und Kollegiumstecken?Es ist sehr genau zu überlegen, für welche Problemlagen wir Angebote machenkönnen – und für welche wir vielle<strong>ich</strong>t alternative Konzepte <strong>auf</strong>nehmen bzw.entwickeln müssen. Annemarie von der Groeben hat zu Recht in ihrem Buch, inKap. 5, ein „Erprobungsprogramm“ von den Kultusministern gefordert. Denneine Blaupause ist der "Blick über den Zaun" n<strong>ich</strong>t.Genauso wenig, wie eine bei Krankheit erfolgre<strong>ich</strong>e Diät als Rezept für dieErnährung Gesunder taugt, ist das Krafttraining von Spitzelathleten alsregelmäßige Übung für den Breitensport geeignet.Insofern bin <strong>ich</strong> froh, dass wir mit der Robert-Bosch-Stiftung und ihrenExzellenzinitiativen einerseits und mit der Montag-Stiftung "Jugend undGesellschaft" und ihrer Erfahrung in kleinen Projekten der Schulentwicklungvor Ort zwei Partner gewonnen haben, die uns helfen können, das Repertoiredes "Blick über den Zaun" zu differenzieren und zu erweitern.Hier <strong>nun</strong> <strong>meine</strong> zweite Frage für die anschließende Diskussion in denArbeitsgruppen: Welches Modell bietet aus Ihrer S<strong>ich</strong>t für Ihren Arbeitskreis am ehesteneine Perspektive, welches scheint Ihnen <strong>auf</strong> keinen Fall passend? Halten Sie es für denkbar, dass stärker als bisher Varianten entwickeltwerden und nebeneinander praktiziert werden?2728


6. Einfluss <strong>auf</strong> das System (31)Auf den ersten Blick liest s<strong>ich</strong> die Bilanz des "Blick über den Zaun" beimDeutschen Schulpreis immer wieder eindrucksvoll 22 :Insgesamt wurde in Deutschland rund 1 Promille der Schulen nominiert - abergut 40% der Nominierungen entfallen <strong>auf</strong> den "Blick über den Zaun". Dassjede 10. Schule des "Blick über den Zaun", aber nur jede 10.000steRegelschule den Schulpreis erhalten hat, kann man als Bestätigung lesen, dassder Verbund <strong>auf</strong> dem r<strong>ich</strong>tigen Weg ist.Dennoch bleibt eine grundlegende Frage, die heute wohl noch niemandbeantworten kann, die uns aber beschäftigen muss, wenn wir n<strong>ich</strong>t zu großeVersprechungen machen wollen, was das Konzept "Blick über den Zaun" leistenkann:- Sind die BüZ-Schulen gut, weil die Zusammenarbeit in den Arbeitskreisensie zu guten Schulen macht?- Oder ist der "Blick über den Zaun" so erfolgre<strong>ich</strong>, weil hier gute Schulenzusammengekommen sind?Dieser Frage nüchtern nachzugehen erscheint mir notwendig, um keineEnttäuschung zu erleben, wenn wir das Konzept in die Breite zu bringenversuchen.Wie wir diese Frage beantworten, hat Bedeutung für die Entschiedenheit, mitder wir den "Blick über den Zaun" als Modell für Schulentwicklung generellempfehlen können. Darum möchte <strong>ich</strong> noch einmal nachdrückl<strong>ich</strong> den Vorschlagvon Annemarie von der Groeben unterstützen, erst über die Zwischenstufeeines Erprobungsprogramms zu gehen und den "Blick über den Zaun" n<strong>ich</strong>t alsBlaupause für eine Systemreform zu verk<strong>auf</strong>en6.1 Vier Wege in das System (32)Strategisch sehe <strong>ich</strong> folgende Mögl<strong>ich</strong>keiten, wie der "Blick über den Zaun"nach außen wirken kann:• über eigene Aktionen, mit denen der Verbund konkrete Themen in dieöffentl<strong>ich</strong>e Diskussion einbringt (wie die Standards und wie das neue Buch„Wir wollen Schule machen!“);• über kooperative Maßnahmen, die gemeinsam im "Blick über den Zaun"verabredet werden und für die die Unterstützung anderer Verbände oderEinr<strong>ich</strong>tungen gesucht wird, wie bei der Hofgeismarer Erklärung 2006, diez. B. von der GEW und vom Grundschulverband übernommen worden ist, undwie auch bei der KMK-Initative, für die wir <strong>auf</strong> dieser Tagung denSchulterschluss mit Elternverbänden suchen;• über die Mitwirkung in Aktionen anderer, z. B. die Mitze<strong>ich</strong><strong>nun</strong>g vonResolutionen, allerdings n<strong>ich</strong>t als "Blick über den Zaun" (um die „Marke“n<strong>ich</strong>t zu verbrauchen und weil es mir wegen der internen Vielfalt anInteressen und mögl<strong>ich</strong>en Positionen schwierig erscheint), sondern durcheinzelne Personen oder Schulen, die s<strong>ich</strong> dabei als Mitglieder im „Blick überden Zaun“ ausweisen;22 Pers. Mitteilung von Wolfgang Harder (Mail 19.5.2008): Bei den beiden Schulpreis-Preisausschreiben 2006und 2007 gab es insgesamt 640 Bewerbungen.28 von ihnen wurden “nominiert” für die Verleihung eines der insgesamt 10 Schulpreise.Unter den 28 “Nominierten” waren 12 BüZ-Schulen (43 %).Unter den 10 Preisträgerschulen waren 7 BüZ-Schulen (70%).29• über das individuelle Engagement von Personen, die in anderen Projektenoder Institutionen mitarbeiten, die über Vorträge, Tagungsbeiträge,Publikationen, Lehrerfortbildung, Mitwirkung an „Runden Tischen“ usw.Erfahrungen und Forderungen des "Blick über den Zaun" ohne das Etikettexplizit nach außen tragen.30


Meine dritte Frage an Sie als Mitglieder des "Blick über den Zaun" für dieanschließende Diskussion in den Arbeitsgruppen lautet: Welche Formen bildungspolitischen Engagements finden Sie produktiv,welche sehen Sie eher skeptisch – und welche vermissen Sie?6.2 Vier War<strong>nun</strong>gen zum Schluss (33)In dem, was <strong>ich</strong> so weit vorgetragen habe, dürfte deutl<strong>ich</strong> geworden sein,dass <strong>ich</strong> so <strong>etwas</strong> wie ein „Reformer mit Beißhemmung“ bin. So sehr <strong>ich</strong> mireinen große Breitenwirkung bei der Verbreitung des "Blick über den Zaun"wünsche – bei der Umsetzung seiner Ideen sind abschließend vier sehrschl<strong>ich</strong>te, wenn auch grundlegende Eins<strong>ich</strong>ten der Innovationsforschung zubeachten:Zur Anregung nenne <strong>ich</strong> zwei Forderungen, die wH im Vorfeld geäußert hatund die erneut eine der Span<strong>nun</strong>gen s<strong>ich</strong>tbar machen, die <strong>ich</strong> vorhin erwähnthabe:• Die Innovationen von heute sind die Fossilien von morgen: Was uns unterden aktuellen Bedingungen und bei gegebenem Wissensstand als „Lösung“erscheint, kann für unsere Nachfolger zum Problem werden.- Um die Kräfte im "Blick über den Zaun" zu bündeln und seine Ausstrahlungzu stärken, sollten die BüZ-Schulen überlegen, welche ihrer oft übervielenVernetzungen, Verlinkungen, Aktivitäten “nach außen” sie reduzieren können,um s<strong>ich</strong> stärker im BüZ zu engagieren.- Was können sie andererseits tun, um ihre PR-Arbeit für die Verbreitung derBüZ-Ideen vor Ort und in der Region verstärken und erweitern? Reformen dürfen deshalb n<strong>ich</strong>t zu fest verankert werden, sie müssenlernfähig bleiben, was für eine evolutionäre Entwicklung in revidierbarenSchritten statt einer mögl<strong>ich</strong>st flächendeckender Verbreitung spr<strong>ich</strong>t(Forderung: Vorläufigkeit von Maßnahmen).Ganz konkret bittet die Redaktionsgruppe Sie um Prüfung des Briefes an dieKMK, für den Sie einen Entwurf erhalten haben.• Daraus, dass eine Maßnahme in vielen Fällen funktioniert, kann n<strong>ich</strong>tgefolgert werden, dass sie unter den spezifischen Bedingungen eines jedenEinzelfalls wirksam – und sinnvoll ist: Die Wirkungen sozialer Reformensind in hohem Maße kontext- und kulturabhängig. Innovationen lassen s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t als standardisierte „Problemlösungen“verbreiten, sie sind als anpassungsfähige „Lösungsangebote“ zu Auch eingutes Konzept kann n<strong>ich</strong>t intakt verbreitet werden, sondern muss Raumfür eigene Aneig<strong>nun</strong>g („Nach-Erfindung“) lassen.(Forderung: Sensibilität von Interventionen)3132


• Was der eine als „gut“ erlebt, wird von einem anderen als „schlecht“bewertet: Die Kriterien für die Bewertung von „Qualität“ und „Erfolg“ sindin gesellschaftl<strong>ich</strong>en Bere<strong>ich</strong>en in der Regel höchst kontrovers – undzumindest die Gew<strong>ich</strong>tung verschiedener Kriterien wird auch innerhalb des"Blick über den Zaun" unterschiedl<strong>ich</strong> ausfallen. Die Entscheidung über Reformen muss in einer pluralistischen Gesellschaftan die Mitsprache der Betroffenen gebunden bleiben(Forderung: Respekt gegenüber Widerstand).• Schließl<strong>ich</strong> dürfen ReformerInnen n<strong>ich</strong>t vergessen: Jeder aktuellunbefriedigende Zustand ist selbst das Ergebnis früherer Innovationen.Nur wer die Gesch<strong>ich</strong>te einer Praxis, einer Institution kennt, kannreformieren, ohne zu restaurieren (Beispiel: Koedukation…). Wer aktuelle Defizite beseitigt, indem er überwundene Problemewiederbelebt oder neue Probleme erzeugt, schafft keinen Fortschritt.(Forderung: Vors<strong>ich</strong>t bei Veränderungen)7. Ein persönl<strong>ich</strong>er Rück- und Ausblick (34)Lassen Sie m<strong>ich</strong> mit einer persönl<strong>ich</strong>en Bemerkung schließen. Wie bereitseingangs erwähnt habe <strong>ich</strong> von 1972 bis 1974 beim Deutschen Bildungsrat andessen Empfehlung „Zur Förderung praxisnaher Curriculum-Entwicklung“mitgearbeitet – als Assistent von Heinr<strong>ich</strong> Bauersfeld, Horst Rumpf, GeroldBecker, Wolfgang Harder und einigen anderen.Autonomie wurde damals n<strong>ich</strong>t als Marktprinzip, sondern als politischerAnspruch verstanden - verbunden mit Partizipation von SchülerInnen undLehrerinnen an Entscheidungen über die Gestaltung von Schule undUnterr<strong>ich</strong>t. So hieß es in der erwähnten Empfehlung unseres Ausschusses(Deutscher Bildungsrat 1974, A17):„Die folgenden Vorschläge für eine praxisnahe Curriculum-Entwicklung gehendeshalb von der These aus, dass Schüler und Lehrer verantwortl<strong>ich</strong> undnachhaltiger als bisher an Entscheidungen über Unterr<strong>ich</strong>t beteiligt werden.“Als dieser doch sehr bescheiden formulierte Anspruch in derParallelempfehlung „Verstärkte Selbständigkeit der Schule und Partizipationder Lehrer, Schüler und Eltern“ (Deutscher Bildungsrat 1974b) in Formrechtl<strong>ich</strong>er Strukturen verbindl<strong>ich</strong>er ausformuliert wurde, wurde derBildungsrat vor allem durch Intervention der CDU-Länder <strong>auf</strong>gelöst.Bildungspolitisch sind die Forderungen nach einer Öff<strong>nun</strong>g des Unterr<strong>ich</strong>tsfür ein selbstständiges Lernen und nach einer Schulentwicklung „von unten“damals verpufft bzw. blockiert worden. Aber in einzelnen Schulen selbsthaben diese Gedanken hier und da Fuß gefasst.Der "Blick über den Zaun" ist für m<strong>ich</strong> nach 35 Jahren eine kaum mehrerwartete Erfüllung dieses Programms in der Praxis:- n<strong>ich</strong>t: verordnete Schulreform von oben,- n<strong>ich</strong>t: Unterr<strong>ich</strong>t als Transport von Wissen,sondern „miteinander arbeiten und voneinander lernen“ <strong>auf</strong> beiden Ebenen.Dafür danke <strong>ich</strong> Ihnen – und dafür wünsche <strong>ich</strong> uns gemeinsam viel Erfolg inden kommenden Jahren.3334


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